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Beschreiben und Verändern

Sonderpädagogik als werteorientierte und reflektierte Wirkungsforschung

Jan Kuhl

Technische Universität Dortmund

Zusammenfassung: Der Artikel stellt die Grundpositionen eines Ansatzes der sonderpädagogischen Forschung dar, der als empirische Wirkungsforschung charakterisiert werden kann. Wirkungsforschung darf sich aber nicht als neutrale Empirie verstehen, sondern muss werteorientiert und reflektiert sein.

Gegenstand der Sonderpädagogik ist die Behinderung oder Störung der Weltaneignung, wobei die Behinderung oder Störung des Aneignungsprozesses nur als Differenz zu einer Erwartungsnorm bestimmt werden kann. Eine sonderpädagogische Wirkungsforschung kann durch deskriptive und präskriptive Forschung dazu beitragen, die Behinderung und Störung von Aneignungsprozessen zu beschreiben und zu erklären sowie Unterstützungsmaßnahmen abzuleiten und zu überprüfen. Letztendliches Ziel ist die Entwicklung und empirische Prüfung handlungsleitender Theorien. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Zielvorstellungen pädagogischen Handelns nicht aus der deskriptiven oder präskriptiven Forschung stammen können. Hier bedarf es der Ergänzung durch die normative Forschung.

Schlüsselbegriffe: Sonderpädagogische Wirkungsforschung, Gegenstand Sonderpädagogik, normative/deskriptive/präskriptive Pädagogik/Erziehungswissenschaft

Describe and Change – Special Education as Value-Based and Reflective Impact-Research

Summary: The article outlines the basic positions of an approach of special educational research to be characterized as an empirical impact-research. Impact-research should not be understood as a neutral empirical research, but must be value-oriented and reflected.

The object of special education is the obstruction or disturbance of world adaption. Those obstruction or disturbance of the process is determined only as a difference to an assumed norm. Impact research in special education can use descriptive and prescriptive research to describe and explain the obstruction or disturbance of the adaption process and derive support measures. Goal is the development and empirical examination of theories as the guiding basis. However, sight should not be lost of the fact that objectives of educational action cannot originate from descriptive or prescriptive research. It is necessary to supplement the approach with normative research.

Keywords: Special education, impact-research, normative/descriptive/prescriptive education/pedagogy

1   Der aktuelle Diskurs in der Sonderpädagogik, oder Lob der Synthese von Forschungsansätzen

Dieser Artikel ist ein Beitrag zum aktuellen Diskurs in der deutschsprachigen Sonderpädagogik, der z. B. in den Beiträgen von Dederich (2017) und Grosche (2017) seinen Niederschlag findet. Zu diesem Diskurs wird hier aus der Sicht eines Ansatzes Stellung bezogen werden, der als empirische Wirkungsforschung charakterisiert werden kann. Dazu wird den Fragen nachgegangen, was diesen Forschungsansatz charakterisiert, wie der Gegenstand der Sonderpädagogik beschrieben werden kann sowie welche Aspekte des Gegenstands durch diesen Ansatz bearbeitet werden können und welche nicht.

Den Ausgangspunkt bildet aber zunächst die Frage, inwieweit die Polarisierung zwischen Ansätzen oder gar die Annahme, dass sich bestimmte Ansätze gegenseitig ausschließen, für die Entwicklung eines Fachs produktiv sind.

Die Frage nach dem richtigen Weg zur Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnis ist seit jeher unterschiedlich beantwortet worden. Die Kontroversen wurden dabei häufig auf scheinbare Gegensatzpaare wie z. B. „Empirismus versus Rationalismus“ zugespitzt (Balgo, 2012). Auch in der Erziehungswissenschaft kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Richtungen. In den 1960er Jahren konkurrierte z. B. das Berliner Modell der lehr-lern-theoretischen Didaktik nach Heimann, Otto und Schulz (1965) mit der Bildungstheoretischen Didaktik nach Klafki (1963) um die Vorherrschaft in den bundesdeutschen Studienseminaren. Interessanterweise führte der kollegiale Streit nicht nur zu einer Weiterentwicklung der Ansätze zum Hamburger Modell (Schulz, 1980) und zur kritisch-konstruktiven Didaktik (Klafki, 2007), sondern vor allem auch zu einer Annäherung der Ansätze (Meyer & Meyer, 2007).

Nach 1945 wurde die Erziehungswissenschaft in West-Deutschland zunächst maßgeblich von den Vertretern einer geisteswissenschaftlichen Pädagogik geprägt. Für die Beschreibung der Erziehungswirklichkeit reicht dieser Ansatz aber nicht aus. Die geisteswissenschaftliche Pädagogik wurde zunächst durch philosophische, phänomenologische und anthropologische Ansätze ergänzt. Am bedeutsamsten waren aber die empirische Umorientierung der Erziehungswissenschaft sowie die zeitgleiche Ergänzung durch den gesellschaftskritischen Ansatz (Meyer & Meyer, 2007).

Für die Didaktik unterscheidet Klafki (2007) zwischen dem historisch-hermeneutischen, dem empirischen sowie dem gesellschafts- und ideologiekritischen methodischen Ansatz. Alle drei Ansätze seien relevant, es gehe aber nicht um ein Nebeneinander oder um eine reine Addition der Ansätze. Vielmehr sei eine Integration aller drei Konzepte notwendig.

Die Ablösung der Vorherrschaft des geisteswissenschaftlichen Ansatzes in der Pädagogik ist weniger darin begründet, dass er vollständig verworfen wurde oder sich seine Grundlagen als falsch herausstellten. Vielmehr wurde deutlich, dass mit ausschließlich hermeneutischen Methoden weder eine adäquate Beschreibung der Erziehungswirklichkeit noch die Entwicklung tragfähiger Konzepte für die Praxis möglich sind. Der geisteswissenschaftliche Ansatz wurde – im Sinne von „einerseits überwunden, anderseits aber als unverzichtbares Moment auch aufbewahrt“ (Klafki, 2007, S. 84) – aufgehoben.

Ähnliches geschah innerhalb der Psychologie, als der Behaviorismus als vorherrschender Ansatz vom Kognitivismus abgelöst wurde. Sein Niedergang war nicht darin begründet, dass die auf Grundlage des Behaviorismus entdeckten Lernmechanismen, die auf operantem Konditionieren basieren, widerlegt wurden. Auch ist der Behaviorismus nicht an seinem, oft als inadäquat beschriebenen, Menschenbild gescheitert. Vielmehr reichte seine Erklärungskraft nicht mehr aus. Am Anfang des Siegeszugs des Kognitivismus stand die Erkenntnis, dass die Entwicklung von Sprache auf Grundlage rein behavioraler Ansätze und Black-Box-Modellen nicht ausreichend beschrieben und erklärt werden kann (Hecht & Desnizza, 2012). Auch der Behaviorismus wurde also aufgehoben, indem er verworfen und aufbewahrt wurde. Daraus erklärt sich auch, dass, obwohl der Behaviorismus kaum noch in reiner Form vertreten wird, sich trotzdem in (sonder-)pädagogischen Theorien, Studien und Materialien noch Elemente finden, die dieser psychologischen Schule entspringen. Dass sich ein pädagogisches Konzept oder ein pädagogischer Ansatz solcher Elemente bedient, bedeutet aber nicht, dass das Konzept oder der Ansatz in seiner Gänze behavioristisch wären oder die Vertreter/innen ein behavioristisches Menschenbild hätten. Daher ist das Labeling sonderpädagogischer Konzepte, Ansätze und Materialien als „behavioristisch“ aufgrund weniger – teilweise nur unterstellter – Merkmale ausgesprochen kritisch zu betrachten.

Die bisherigen Ausführungen zeigen auf, dass das Konkurrieren wissenschaftlicher Ansätze meist nicht zum vollständigen Triumph einer Seite, sondern vielmehr zu Synthese und Weiterentwicklung führt. So wie Klafki (2007) dies für die Didaktik fordert und in seiner kritisch-konstruktiven Didaktik auch tut.

Bezogen auf die deutschsprachige Sonderpädagogik bin ich dementsprechend nicht der Auffassung, dass sich die derzeit genutzten Ansätze gegenseitig ausschließen. Vielmehr können nur verschiedene Herangehensweisen zusammen einem so komplexen Feld wie der Sonderpädagogik gerecht werden. Langfristig kann durch eine Weiterentwicklung und Synopse der verschiedenen Ansätze ein neuer und erklärungsmächtigerer Ansatz entstehen.

2   Arten (sonder-)pädagogischer Forschung

Ein Plädoyer für die Integration verschiedener Forschungstraditionen ist aber nicht mit einer Position der Beliebigkeit zu verwechseln, die alles gleichermaßen gelten lässt. So ist die Sonderpädagogik als wertegeleitete Wissenschaft im Sinne von Haeberlin (2016) zu konstituieren, deren grundsätzliches Anliegen die Parteinahme für Menschen mit Behinderung und Benachteiligungen ist. Daher kann das innerhalb der sonderpädagogischen Forschung produzierte Wissen nicht wertfrei sein, wie z. B. Popper dies für jegliche Wissenschaft fordert (Hecht & Desnizza, 2012).

Weiterhin ist zu beachten, dass die Pädagogik, und damit auch die Sonderpädagogik, zu den Real- und Handlungs-Wissenschaften gehört. Ihr Gegenstand kann daher nicht alleine durch die Logik ergründet werden. Die Erziehungswissenschaft beschreibt u. a. Handlungen, und ihr Ziel ist es, zu pädagogischen Handlungsentscheidungen beizutragen. Daher wird Empirie benötigt, um zu prüfen, ob Theorien und Wirklichkeit übereinstimmen und Handlungsintentionen erreicht werden. Um zu praktisch relevanten Handlungsentscheidungen beizutragen, muss die (Sonder-)Pädagogik Soll- und Ist-Aussagen treffen, um diese zu Handlungsempfehlungen zusammenzuführen (Ludwig, 2002).

Als norm- und handlungsorientierte Wissenschaft benötigt die Sonderpädagogik einerseits ethisch-moralische Werturteile und anderseits objektsprachliche Sachaussagen. Diese beiden Aussageebenen müssen zwar aufeinander bezogen werden, eine Vermischung ist aber unzulässig (Grosche, 2017). Grosche (2017) nimmt sogar an, dass die unzulässige Vermischung der Aussageebenen ein bedeutsames Problem im derzeitigen sonderpädagogischen Diskurs darstellt. Die Beschreibung und Trennung der verschiedenen Aussageebenen pädagogischer Forschung ist anhand der Dreiteilung von Klauer (1980) in deskriptive, präskriptive und normative Pädagogik möglich.

Deskriptive pädagogische Forschung versucht die Erziehungswirklichkeit zu erfassen und in ihrer Bedingungsstruktur zu durchdringen. Dabei werden weder Ziele von Erziehungshandeln gesetzt noch Wege zu pädagogischen Zielen entwickelt oder überprüft. Deskriptive Forschung kann aber beschreiben, welche Ziele eine bestimmte Konzeption, z. B. die Waldorfpädagogik, hat (Kanter, 1980; Klauer, 1980; Wember, 2017).

Präskriptive pädagogische Forschung versucht festzustellen, mit welchen pädagogischen Mitteln und auf welchen Wegen sich definierte Ziele erreichen lassen und zu welchen Effekten bestimmte Vorgehensweisen führen. Es geht also um die Erarbeitung und Überprüfung von Änderungs- und Wirkungswissen sowie von Handlungstheorien (Kanter, 1980; Klauer, 1980; Wember, 2017).

Während deskriptive und präskriptive Forschung Erziehungsziele als gegeben voraussetzen, geht es bei normativer pädagogischer Forschung um die Frage, welche Ziele angestrebt werden sollen. Aufgabe normativer Forschungsbemühungen ist es, pädagogische Normen und Ziele zu erstellen, zu begründen und zu reflektieren (Kanter, 1980; Klauer, 1980; Wember, 2017). Normative Aussagen können grundsätzlich nicht empirisch überprüft werden (Haeberlin, 2016; Speck, 1998). Trotzdem unterscheiden sie sich von bloßen Meinungsbekundungen und gefühlsmäßigen Haltungen, da sie logisch begründet, in sich schlüssig und prinzipiell nachvollziehbar sein müssen (Kanter, 1980).

Klauer (1980) geht davon aus, dass die präskriptive Pädagogik die deskriptive und die normative voraussetzt, da sie von beiden bestimmte Informationen benötigt. Die Umkehrung gelte aber nicht. Dass sowohl die normative als auch die deskriptive pädagogische Forschung ohne die präskriptive Forschung auskommen, ist sachlichlogisch korrekt. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit die Beschreibung der Erziehungswirklichkeit vollständig sein kann, ohne Möglichkeiten der Einflussnahme zu prüfen, oder inwieweit die Legitimation von Erziehungszielen sinnvoll ist ohne die Erforschung der Wege zu deren Erreichung. Daher ist Grosche (2017) zuzustimmen, dass die drei Arten pädagogischer Forschung aufeinander bezogen sind und nur im Zusammenspiel ein sinnvolles Ganzes ergeben können. Auch Speck (1998) nimmt an, dass Pädagogik immer „unaufhebbar in die Spannung zwischen Sein und Sollen, zwischen dem faktisch Gegebenen und dem Erstrebenswerten gestellt“ (ebd., S. 87) ist. Die zentralen Orientierungsgrößen sind einerseits die vorgefundenen Erziehungsbedingungen „und anderseits das was als Erziehungsziel gelten soll“ (ebd.).

Nach Ludwig (2002) hat Pädagogik den Anspruch, aus dem Zusammenbringen von Soll- und Ist-Aussagen Handlungsempfehlungen abzuleiten. Daher sind Zielsetzung, Deskription und Präskription immer aufeinander bezogen und miteinander verflochten. Ein Forschungsansatz muss daher alle drei pädagogischen Wissensarten beachten. Dies bedeutet aber wiederum nicht, dass jede/r Wissenschaftler/in zu allen drei Wissensarten arbeiten muss. In einem Forschungsprojekt zum Leseerwerb von Schüler/innen mit geistiger Behinderung kann die Begründung der Zielsetzung sowie die Beschreibung des Ist-Standes des Leseunterrichts an Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung aus anderen Forschungsarbeiten übernommen werden. Die Forschungstätigkeit könnte sich dann vollständig auf die Evaluation einer bestimmten Methode beschränken. Ebenso kann sich eine Forschungsarbeit mit den Zielen der politischen Bildung in inklusiven Klassen auseinandersetzen, dabei vor allem auf der normativen Ebene arbeiten und die Deskription der aktuellen Situation aus anderen Arbeiten entnehmen. Die Ableitung von Handlungsempfehlungen könnte wieder anderen Studien überlassen bleiben.

3   Gegenstand der Sonderpädagogik

Da die Sonderpädagogik als Teilgebiet der Pädagogik zu verstehen ist (Klauer, 1992), erscheint es sinnvoll, den Gegenstand aus der allgemeinen Pädagogik heraus zu bestimmen. Natürlich ist Sonderpädagogik nicht ausschließlich Sonderschulpädagogik (Speck, 1998, S. 39), aber dennoch ist die schulische Sonderpädagogik, und damit auch die sonderpädagogische Didaktik, ein großer und wichtiger Teil der Sonderpädagogik. Daher wird hier zunächst der Gegenstand der Didaktik erschlossen.

Hußmann, Kranefeld, Kuhl und Schlebrowski (2018) schlagen das didaktische Tetraeder-Modell als Lerngegenstand der Lehramtsausbildung und damit auch als Gegenstand der (Fach-)Didaktik vor. Der didaktische Tetraeder ist eine Erweiterung des didaktischen Dreiecks (Lernende – Lehrende – Lerngegenstand) um die Dimension Artefakte. Der Begriff Artefakte meint dabei nicht nur für Lehr-/Lernsituationen erstellte didaktische Materialien im engeren Sinne, „sondern (…) jegliche ‚Dinge‘, die in der unterrichtlichen Interaktion eine didaktische Funktion erlangen. Die vierte Ecke der Artefakte bildet damit den Aspekt der ‚Materialität fachunterrichtlicher Wissensordnungen‘ (Gebhard, Hummrich, Rabenstein & Reh, 2015, S. 4) ab“ (Hußmann et al., 2018, S. 13). Durch die Ergänzung um diese Ecke kann nun zwischen der Struktur des Lerngegenstands und den die Aneignung unterstützenden Angeboten, wie Unterrichtsmaterialien, Anschauungsmittel und Medien, klarer differenziert werden (ebd., S. 18). Der Gegenstand der Didaktik sind nicht das Lernen, die Lerninhalte und/oder der/die Lernende/n, sondern die Aneignung des Gegenstands durch den/die Lernende/n sowie die institutionellen Bedingungen, unter denen diese Aneignung stattfindet. Darin eingeschlossen sind natürlich auch die Auswahl des Lerngegenstandes und die Interaktion zwischen den einzelnen Bedingungen. Da die Didaktik nur ein Teilgebiet der Pädagogik ist, ist der Gegenstand der gesamten Pädagogik notgedrungen deutlich weiter. Dabei ist zu beachten, dass Erziehung intentional ist und immer in einem und für einen historisch-gesellschaftlichen Kontext stattfindet. Daher bedeutet Erziehung gezielte Beeinflussung der Weltaneignung unter bestimmten historisch-gesellschaftlichen Bedingungen. Gegenstand der Pädagogik ist somit die Weltaneignung durch individuelle Erfahrung und vor allem durch die Aneignung „gesellschaftlich-historischer Erfahrung“ (Leontjew, 1980, S. 450) unter der Bedingung von Erziehung bei besonderer Beachtung der institutionellen Erziehung. Die Überschneidungen mit den Gegenstandsbereichen der Soziologie und der Psychologie sind natürlich erheblich. Eine trennscharfe Abgrenzung ist aber bisher in keinem Entwurf gelungen und vermutlich grundsätzlich nicht möglich.

Nachdem so der Gegenstand der Pädagogik bestimmt ist, kann nun gefragt werden, was der spezifische Gegenstand der Sonderpädagogik als Teilgebiet der allgemeinen Pädagogik ist. Die Abgrenzung der Sonderpädagogik ist in diesem Zusammenhang über das ihr zugrunde liegende Subsidiaritätsprinzip (Bach, 1999; Borchert, 2007; Wember, 2003) möglich. Subsidiäre Pädagogik ist notwendig, wenn durch erschwerende Bedingungen, wie z. B. eine Behinderung, die üblichen Erziehungsbemühungen durch Elternhaus, Kindergarten und Schule nicht ausreichend sind, um den Bedürfnissen eines Kindes gerecht zu werden (Bach, 1999). Nach Klauer (1992) ist der Gegenstand der Sonderpädagogik „die Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen, die im Rahmen der allgemeinen Erziehung und Bildung nicht hinreichend gefördert werden können und deshalb besonderer Hilfen bedürfen“ (ebd., S. 9).

Es besteht eine besondere Bedürftigkeit, die das Anrecht auf eine besondere Unterstützung begründet (Wocken, 1995). Diese Unterstützung muss aber zur Selbsthilfe und zur Autonomie beitragen, da nur so zwischen dem Recht auf Hilfe und dem Recht auf Selbstbestimmung vermittelt werden kann (Borchert, 2007).

Allerdings ist nicht nur der Sonderpädagogik, sondern auch der Sozialpädagogik das Subsidiaritätsprinzip zu eigen. Die Abgrenzung dieser beiden pädagogischen Teildisziplinen wird üblicherweise über die Personengruppe vorgenommen, die von erschwerten Bedingungen betroffen ist. So werden als Zielgruppe der Sozialpädagogik meist Menschen in sozialen Risiko- oder Problemlagen benannt (Ellinger, 2006; Raithel, Dollinger & Hörmann, 2009), während bei der Beschreibung der Zielgruppe der Heil- und Sonderpädagogik Menschen mit Entwicklungsverzögerung oder -störung, Behinderung und Beeinträchtigung im Fokus stehen. Prominent ist hier Bleidick (1972) mit seiner „Pädagogik der Behinderten“. Das Moment der Störung der körperlichen und/oder seelischen Entwicklung findet sich nach Sassenroth (2012) aber bereits bei Hanselmann und damit in den Anfängen der Sonderpädagogik als wissenschaftliche Disziplin. Laut Bach (1999) befasst sich die Sonderpädagogik mit der Erziehung bei allen Formen und Graden von Beeinträchtigung.

Damit eine Beeinträchtigung im Kontext von Erziehung relevant ist, muss sie sich auf den Gegenstand der Pädagogik beziehen. Wenn nun der Gegenstand der Pädagogik die Weltaneigung durch individuelle und gesellschaftliche Erfahrung ist, wäre der Gegenstand der Sonderpädagogik die Behinderung der „Aneignungsmöglichkeiten von Welt“ (Jantzen, 1992, S. 16) von Personen mit Beeinträchtigungen oder Störungen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer besonderen Unterstützung. Dabei ist die Behinderung nicht direkt kausal von der Beeinträchtigung oder der Störung verursacht, sondern entsteht nur, wenn die Umwelt nicht dazu in der Lage ist, die Schwierigkeiten beim Aneignungsprozess auszugleichen. Verschiedene Umwelten können bei gleichen individuellen Voraussetzungen zu vollkommen unterschiedlichen Verhaltensausprägungen führen (Jantzen, 1992). Entsprechend können auch inadäquate didaktische Entscheidungen eine Lernbehinderung zur Folge haben (Kutzer, 1973, 1979).

Auch ob ein erreichtes Fähigkeitsniveau als beeinträchtigt betrachtet wird, ist eine Frage von gesellschaftlichen Minimalvorstellungen über Funktionstüchtigkeit und Fähigkeitsentwicklung in für bedeutsam erachteten Bereichen (Bach, 1999; Feuser, 1996; Jantzen, 1992; Kutzer, 1973). In verschiedenen Gesellschaften werden unterschiedliche Fähigkeiten wertgeschätzt und als wichtig erachtet (Kutzer, 1973). Entsprechend gibt es unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen darüber, was als eine Beeinträchtigung zu gelten hat. Daher ist Behinderung ein relationaler Sachverhalt (Bach, 1999), und es ist Jantzen (1992) zuzustimmen, dass sie als Behinderung erst existent wird, „wenn Merkmale und Merkmalskomplexe eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und Kommunikation in Bezug gesetzt werden zu gesellschaftlichen Minimalvorstellungen über individuelle und soziale Fähigkeiten“ (ebd., S. 18). Behinderung existiert nicht an sich, sondern nur aufgrund unserer Wahrnehmung von menschlicher Tätigkeit im Spiegel unserer Normen (Feuser, 1996). Damit kann aber eine Behinderung oder Störung des Aneignungsprozesses nur als Differenz zu einer Erwartungsnorm bestimmt werden.

4   Beschreiben und Verändern – Sonderpädagogik als Wirkungsforschung

Dieser Beitrag beschreibt u. a. meinen Zugang zur sonderpädagogischen Forschung und steht stellvertretend für den Ansatz der sonderpädagogischen Wirkungsforschung. Dieser Ansatz ist der Bereitstellung von adäquaten (Lern-)Umwelten für Kinder mit Beeinträchtigungen oder Störungen bei der Weltaneignung verpflichtet. Dabei werden in erster Linie Faktoren in den Blick genommen, die einer Veränderung am besten zugänglich sind, und dies sind vor allem die, die sich im Zugriff von Lehrer/ innen und anderen pädagogischen Kräften befinden. Entsprechend befasst sich der Ansatz mit dem Handeln von Lehrkräften und der Entwicklung und Evaluation von Lehr-Lern-Konzepten, Förderprogrammen und -materialien. Diese Bemühungen sind vor allem der präskriptiven Forschung zuzuordnen (siehe Abschnitt 2). Um Handlungsbedarfe abzuleiten, ist es aber notwendig, diese präskriptive Forschung durch deskriptive zu ergänzen. Zu diesem Zweck ist z. B. die aktuelle Lern- und Lebenswirklichkeit von Kindern mit Beeinträchtigungen zu beschreiben. Auch ist es wichtig, das derzeit übliche Handeln sowie die Kompetenzen, Einstellungen und Überzeugungen von Lehrkräften zu erfassen, um daraus Schlüsse für die Lehramtsausbildung zu ziehen.

Da Konzepte des Lehrens und Lernens m. E. nur auf Grundlage von Erfahrung entwickelt und durch Erfahrung evaluiert werden können, ist der Ansatz grundsätzlich empirisch, aber nicht ausschließlich quantitativ-empirisch.

Trotzdem ist das Ziel der Forschungsbemühungen nicht Empirie, sondern Theorie. Empirisches Vorgehen sollte immer theoriegeleitet sein und nicht bloß im mehr oder minder blinden Sammeln von Fakten bestehen. Empirische Untersuchungen müssen auf Grundlage vorhandener Theorien geplant werden und auf eine theoretisch abgeleitete Fragestellung zielen. Nur Theorie macht es dann möglich, empirische Befunde zu generalisieren, Zusammenhänge zu verstehen und Vorhersagen zu machen. Ohne gute Theorie ist keine sinnvolle Untersuchung planbar und durchführbar. Ebenso wenig sind Befunde ohne theoretische Überlegungen interpretierbar (Klauer, 1997). Die empirischen Sachverhalte müssen wieder in die Theorie zurückfließen, um diese zu verbessern und zu erweitern. Eine Theorie, die nicht auf empirischen Befunden beruht, ist in den meisten Bereichen der Erziehungswissenschaft reine Spekulation oder Meinungsbekundung (Klauer, 1997; Rost, 2007).

Auch für die praktische Anwendung ist m. E. das Zusammenspiel von Theorie und Empirie entscheidend. Wirkungen von pädagogischen Maßnahmen können nur auf Grundlage von empirischen Befunden beurteilt werden. Trotzdem hilft ein einzelner empirischer Befund einer Lehrkraft bei ihrer Unterrichtsplanung kaum weiter. Erst wenn die empirischen Befunde zu einer Theorie, z. B. in Form eines Entwicklungsmodells, eines Lernstrukturgitters (Kutzer, 1979, 1999) oder einer didaktischen Landkarte (Brinkmann & Brügelmann, 2000) verdichtet werden, sind sie praktisch nutzbar.

Beim Ansatz der Wirkungsforschung geht es darum, Wirkmechanismen, z. B. die Auswirkungen der häuslichen Umwelt auf die Schulleistungen, zu identifizieren und zu beschreiben. Darüber hinaus sollen aber auch Maßnahmen entwickelt und deren Wirkung überprüft werden. Insofern ist es auch durchaus ein technologischer Ansatz. Es wäre aber ein Missverständnis zu glauben, dass der Ansatz ohne Zielbestimmung auskommt. Guter Unterricht kann immer nur in Bezug auf ein bestimmtes Ziel gut sein (Helmke, 2015).

Ebenso unhaltbar ist die Auffassung, dass es eine unüberbrückbare Differenz zwischen dem gesellschaftskritischen Ansatz und dem Ansatz der Wirkungsforschung gibt, wie dies Dederich (2017) konstruiert. Hier ist m. E. Klafki (2007) zuzustimmen, dass beide Ansätze integriert werden müssen. Dass dies auch möglich ist, belegt z. B. eine Arbeit von Probst (1976), in der er zeigt, dass die soziale Lage stärker auf das Schulversagen eines Kindes wirkt als seine Intelligenz. Anhand dieser empirischen Befunde kritisiert Probst (1976) die Konzeption der Schule für Lernbehinderte (so die damalige Bezeichnung der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen) und des zugeordneten Überweisungsverfahrens. Generell ist Bildungsgerechtigkeit nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine politische Frage, die gesellschaftskritisch zu betrachten ist. Dies tun beispielsweise Schütz und Wößmann (2005), indem sie bereits im Titel ihrer Arbeit fragen, wie sich die Ungleichheit der Bildungschancen verringern lässt. Anhand der Daten internationaler Schulleistungstests können sie zeigen, welche Wirkung das System frühkindlicher Bildung sowie der Zeitpunkt der Selektion in verschiedene Schultypen auf die Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern haben. Auf dieser Grundlage kritisieren sie das deutsche Schulsystem, das eben kein allgemeines Gesamtschulsystem ist. „Die deutschen Gesamtschulen treten ja als weiterer Schultyp neben die anderen bestehenden Schultypen, wodurch im Zweifelsfall eine noch stärkere spezifische Selektion der Schüler auf unterschiedliche Schultypen gegeben ist. Demgegenüber beziehen sich die ausgleichenden Wirkungen auf ein eingliedriges System, das eben nicht so früh wie in Deutschland in unterschiedliche Schultypen selektiert“ (Schütz & Wößmann, 2005, S. 24).

Natürlich braucht Gesellschaftskritik Normen und Werte als Grundlage, aber sie braucht auch eine fundierte Kenntnis von Wirkungszusammenhängen.

Die Wirkungsforschung in der Sonderpädagogik muss m. E. als wertegeleitete Wissenschaft betrieben werden, und es ist zu reflektieren, dass Forschungsschwerpunkte und Fragestellungen auch immer von Werten und Vorlieben der Wissenschaftler/innen beeinflusst sind (Haeberlin, 2016). Speck (1998) irrt aber m. E., wenn er eine empirische Wende als Abkehr von Werteorientierung interpretiert. Auch hinter Wirkungsforschung stehen Werte, Normen und Menschenbilder. Diese müssen mitgedacht werden (und die meisten Wirkungsforscher/innen in der Sonderpädagogik tun dies auch), es ist aber weder möglich noch sinnvoll, alle normativen Grundlagen in jeder Forschungsarbeit darzustellen. Um beispielsweise zu beurteilen, ob eine bestimmte Methode die Leseflüssigkeit von Kindern mit dem Förderschwerpunkt Lernen im Grundschulalter besonders gut fördert, benötige ich keine Menschenbilddebatte und auch keine Erörterung der Wichtigkeit des Lerngegenstands Lesen. Dass ich von der Bildungsfähigkeit der Kinder ausgehe und deren Recht auf eine möglichst gute Förderung anerkenne, ergibt sich aus der Wahl des Untersuchungsgegenstands. Dass das Lesen eine sehr wichtige Fertigkeit ist, ist m. E. so unumstritten, dass es kaum einer weiteren Begründung bedarf. Für die Begründung des Verfahrens wird vielmehr ein Entwicklungsmodell benötigt, welches die Bedeutung der basalen Fähigkeit Leseflüssigkeit für höhere Lesekompetenz aufzeigt (Euker, Kuhl & Probst, 2012).

Zusammenfassend würde ich die Sonderpädagogik als Wirkungsforschung mit den folgenden Attributen versehen: empirisch und theoriegeleitet, deskriptiv und präskriptiv forschend, zur Unterstützung und Verbesserung der Praxis gedacht und daher an Wirkungen orientiert.

Durch diesen Zugang kann m. E. ein Beitrag zur Beschreibung und auch Erklärung von Behinderung und Störung von Aneignungsprozessen geleistet werden. Ebenso können Versuche unternommen werden, die Lebens- und Erziehungswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen und Störungen ihrer Aneignungstätigkeit zu beschreiben. Weitere Gegenstände von Deskription können institutionelle Gegebenheiten (z. B. der Einsatz von sonderpädagogischen Lehrkräften in inklusiven Schulen) oder auch die Kompetenzen und Einstellungen von Lehrkräften sein. Das Ziel dabei ist es, verallgemeinerbare Erkenntnisse zu gewinnen, die Zusammenhänge aufzeigen (z. B. zwischen dem Feedbackverhalten von Lehrkräften und der sozialen Integration von lernschwachen Schüler/innen in die Schulklasse) und Erziehungswirklichkeit erklären (z. B. Warum sind lernschwache Schüler/innen häufiger schlecht in ihre Klasse integriert?). Auf Grundlage dieser empirischen Erkenntnisse können dann Prognosen erstellt (Gaus & Uhle, 2006) und Handlungsbedarfe abgeleitet werden (Gräsel, 2015).

Die Wirkungsforschung bleibt aber nicht bei der Beschreibung stehen, sondern strebt die Entwicklung und Überprüfung von Unterstützungs- und Interventionsmaßnahmen an. Durch experimentelle Unterrichts- und Lehr-Lernforschung können entsprechende handlungsleitende Theorien entwickelt werden (Klauer, 1997).

Dabei ist aber nicht jeder Schritt innerhalb des Forschungsprozesses notwendigerweise methodisch gesehen experimentell. Wichtig ist, dass die Konzeption von Maßnahmen theoriegeleitet erfolgt (Kuhl et al., 2017; Hager & Hasselhorn, 1995). Bei der formativen Evaluation und der Modifikation von Maßnahmen spielen die Erfahrungen von Praktiker/innen sowie informelle und qualitative Verfahren eine wichtige Rolle (Hager, 2008; Hager & Hasselhorn, 1995; Kuhl et al., 2017). Eine wirkliche Wirksamkeitsprüfung kann dann aber nur durch eine experimentelle oder quasi-experimentelle Methodik und bei entsprechend methodisch sauberer Anlage und Durchführung der Studie stattfinden. Nur so kann nachgewiesen werden, dass die Effekte auch wirklich von der Maßnahme hervorgerufen werden (Rost, 2007; Wember, 2017).

Dies bedeutet aber nicht, dass in jedem Fall randomisierte Kontrollgruppenstudien die einzig mögliche Methode sind (Kuhl, 2018; Kuhl et al., 2017). Auch hier muss die Methodik dem Forschungsgegenstand folgen. So sind kontrollierte Einzelfallstudien geradezu eine prädestinierte Methode für eine Reihe von Fragestellungen im sonderpädagogischen Feld (Grünke, 2012).

Selbstverständlich haben die aus der deskriptiven Forschung entstandenen Erkenntnisse sowie die aus der Evaluationsforschung abgeleiteten Handlungstheorien nicht den Status von Naturgesetzen. Vielmehr sind sie immer vorläufiger Natur (Klauer, 1997; Masendorf, 1997) und haben, wie alle sozialwissenschaftlichen Befunde, einen probabilistischen Charakter (Stark, 2017). Die Anwendung auf den Einzelfall ist also nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit richtig (Kuhl, 2018).

Andersherum können Befunde aus einem Einzelfall nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden. Beispielsweise kann nicht von den Einstellungen einer einzelnen Sonderpädagogin zu Behinderung auf die Einstellungen der gesamten Berufsgruppe geschlossen werden. Von einer größeren Stichprobe aus ist dies schon eher möglich, falls diese die Gesamtgruppe repräsentiert. Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass bei der Untersuchung von großen Stichproben mit standardisierten Instrumenten (denn nur diese garantieren die Vergleichbarkeit der Informationen) andere und auch weniger Informationen pro Proband erhoben werden als bei der Untersuchung von wenigen Probanden mit qualitativen Untersuchungen. Etwas vereinfacht ausgedrückt werden im einen Fall wenige Daten von vielen Probanden und im anderen Fall viele Daten von wenigen Probanden erhoben. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob einige Lehramtsstudierende in einem Einzelinterview über ihre Einstellungen zu Behinderung befragt und die Interviews mit der Methode der objektiven Hermeneutik ausgewertet werden (Schröter & Kuhl, 2017, 2018) oder ob einige hundert Studierende zu diesem Thema einen standardisierten Fragebogen ausfüllen, welcher mit Methoden der deskriptiven Statistik und der Inferenzstatistik analysiert wird (Schröter, Schulze, Krause & Kuhl, eingereicht). Wichtig ist auch wieder, dass es sich nicht um konkurrierende, sondern um sich ergänzende Forschungsansätze handelt. Es werden unterschiedliche Informationen generiert, die unterschiedlichen Zwecken dienen. Nur zusammen können sie m. E. ein adäquates Bild des Gegenstands liefern.

Die empirisch orientierte Wirkungsforschung innerhalb der deutschen Sonderpädagogik tendiert m. E. momentan dazu, quantitative gegenüber qualitativen Methoden sowie Gruppen- gegenüber Einzelfalldesigns zu bevorzugen. Daraus entsteht die Problematik, dass bestimmte Fragestellungen bevorzugt bzw. einseitig untersucht werden, während andere vernachlässig werden. Dies ist allerdings eine Problematik, die nicht so sein muss, da sich weder qualitative und quantitative Forschung noch die Betrachtung von Einzelfällen und Gruppen gegenseitig ausschließen. Ohne für die derzeitige Verteilung der Forschungsarbeiten empirische Daten vorlegen zu können, wäre m. E. aktuell eine höhere Anzahl von hochwertigen empirisch-qualitativen Arbeiten und Einzelfallstudien wünschenswert.

Sowohl zur Ableitung von Handlungsbedarfen aus deskriptiver Forschung als auch zur Zielbestimmung von Interventions- und Unterstützungsmaßnahmen werden Zielvorstellungen benötigt, die wiederum nicht aus der deskriptiven oder präskriptiven Forschung selbst stammen können (Klauer, 1980). Hier wird eine Ergänzung durch normative Forschung benötigt, die für die Sonderpädagogik Normen und Ziele erstellt, begründet und reflektiert (Kanter, 1980; Klauer, 1980; Wember, 2017).

Schließlich kann nur eine Sonderpädagogik, die geisteswissenschaftliche, gesellschaftskritische und empirische Ansätze integriert und Wirkungsforschung auf wertegeleiteter und kritisch-reflektierter Grundlage betreibt, den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden. Dabei muss nicht jede/r Forscher/in die gesamte Bandbreite abdecken. Aber er oder sie sollte sich dessen bewusst sein und daher die Arbeiten des anders orientierten Kollegen oder der anders orientierten Kollegin besonders wertschätzen.

Literatur

Bach, H. (1999). Grundlagen der Sonderpädagogik. Bern: Haupt.

Balgo, R. (2012). Sonderpädagogik im historischen und aktuellen Kontext. In R. Werning, R. Balgo, W. Palmowski & M. Sassenroth (Hrsg.), Sonderpädagogik. Lernen, Verhalten, Sprache, Bewegung und Wahrnehmung, 2. Aufl., 13 –100. München: Oldenbourg.

Bleidick, U. (1972). Pädagogik der Behinderten. Grundzüge einer Theorie der Erziehung behinderter Kinder und Jugendlicher. Berlin: Marhold.

Borchert, J. (2007). Sonderpädagogische Grundfragen. In J. Borchert (Hrsg.), Einführung in die Sonderpädagogik, 1 –38. München: Oldenbourg. https://doi.org/10.1524/9783486842708.1

Brinkmann, E. & Brügelmann, H. (2000). Offenheit mit Sicherheit. Hamburg: Verlag für pädagogische Medien.

Dederich, M. (2017). Zwischen Wirksamkeitsforschung und Gesellschaftskritik – Versuch einer Standortbestimmung. In D. Laubenstein & D. Scheer (Hrsg.), Sonderpädagogik zwischen Wirksamkeitsforschung und Gesellschaftskritik, 23 –40. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

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