Glenda Green

Unendliche Liebe

Jesus spricht …

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Wichtiger Hinweis

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von Verfasserin und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Aus dem Englischen

von Nayoma de Haën

Titel der Originalausgabe:

»Love without End«

© Glenda Green

First printing 1999

Spirits Publishing

Deutsche Erstauflage erschien April 2002

Deutsche Ausgabe: © KOHA-Verlag GmbH Burgrain

Alle Rechte vorbehalten – 3. Auflage 2014

Lektorat: Eva Boettler

Fond S. 6, 24, 231 u.a.: Fotolia

Layout: Birgit-Inga Weber

Gesamtherstellung: Karin Schnellbach

ISBN 978-3-86728-732-6

eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog:

Am Anfang …

1.

Es werde Licht

2.

Er sprach

3.

Das wundersame Universum

4.

Die Liebe, die du bist

5.

Die Ur-Teilchen

6.

Der EINE Geist

7.

Das Herz ist deine höhere Intelligenz

8.

Brücken

9.

Leben in Seligkeit

10.

Die zehn Gebote der Liebe

11.

Unsere Rechte und Freiheiten

12.

Gott und die Wirklichkeit

13.

Jesus und die Wissenschaften

14.

Wege zum Erfolg

15.

Die Geliebten

Epilog:

Das Leben geht weiter …

Widmung

Vater unser, unschuldig und rein,

Geheiligt werde Dein Name.

Möge die Liebe als all das gesehen werden, was sie ist.

Möge die Erde so wie der Himmel gesehen werden.

Fülle diesen Tag aus Deinem überreichen Vorrat,

Und lass uns empfangen,

so wie wir anderen dieses Recht zugestehen.

Heile uns von den Gefahren der Illusionen,

Und erneuere unsere Wahrnehmung der Wahrheit.

Denn die Wahrheit ist das Reich,

und Liebe ist die Macht,

Und Dein ist die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Vorwort

Kämst du hier vorbei,

Auf welchem Weg immer, von wo immer du ausgingst,

Zu welcher Tages- oder Jahreszeit immer,

Geschähe jeweils das Gleiche; du müsstest hintanstellen

Sinn und Begriff. Du bist nicht hier, um zu bewahrheiten,

Dich zu unterrichten, deiner Neugier zu frönen

Oder Berichte abzustatten. Du bist hier, um zu knien,

Wo Gebet seit jeher gültig war.

T.S. Eliot: »Little Gidding«

(in: T.S. Eliot: Gesammelte Gedichte.

Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988)

Überall um uns herum sind Geheimnisse, und die größten, faszinierendsten Geheimnisse des Lebens sollte man genießen, statt sie zu enthüllen. Die Entdeckung der modernen Wissenschaft, dass 99 Prozent der Existenz sich nicht nur der Wahrnehmung durch unsere Sinne und Instrumente entziehen, sondern auch weder Masse noch Gestalt besitzen, ruft ebenso viel Erstaunen wie Demut hervor. Und auch das eine Prozent, aus dem unser Universum besteht, ist nur deshalb fest, weil seine energetischen Konfigurationen relativ stabil sind. Die größten Wissenschaftler, darunter Niels Bohr, Max Planck und Werner Heisenberg, mussten zugeben, dass es auch in einem rationalen Universum Raum für unbegreifliche Wunder gibt.

Albert Einstein sagte: »Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität.«

Unsere Wahrnehmung konzentriert sich meistens auf das eine Prozent der Existenz, das wir sehen, hören und berühren können. Doch was ist mit den restlichen 99 Prozent? Wie gehen wir damit um? Wahrscheinlich mit Sinnen, die wir noch nicht erkannt oder teilweise noch nicht einmal entwickelt haben. Und doch nehmen wir alle auf selbstverständlichste Weise an dem unendlichen Universum teil. Wann immer wir den Filter, den wir »Selbst« nennen, zur Seite legen oder uns entspannen, uns im Spielen, Dienen, Reden, Träumen, Meditieren, Beten, Studieren oder Schlafen »verlieren«, verlagern wir unsere Aufmerksamkeit vom Überlebensnotwendigen auf die größeren Muster der Verbindung mit endlosen Möglichkeiten. Unsere Verbindung mit dem Unendlichen ist in der Regel keine mystische Himmelfahrt in ein fernes Paradies, sondern die stille, persönliche Epiphanie jener Augenblicke, in denen wir erkennen, dass das Gewöhnliche und das Wunderbare ein und dasselbe sind. In solchen Momenten sehen wir klar, dass alles bereits vor unseren Augen existiert und nur darauf wartet, erkannt zu werden. Marcel Proust hat gesagt: »Das eigentliche Entdecken besteht nicht darin, neue Gebiete zu erforschen, sondern mit neuen Augen zu sehen.«

Das menschliche Bewusstsein ist zweifellos der letzte zu erforschende Kontinent hier auf Erden. Dem allgemeinen Verständnis seiner Zeit weit voraus, regte Jesus Christus vor zweitausend Jahren eine Bewusstseinserweiterung an, deren Ende nicht abzusehen ist. Ausgelöst wurde sie durch seine vielfachen Demonstrationen eines scheinbar paranormalen Umgangs mit dem Leben. Doch die Macht hinter seinen Wundern und ihre Bedeutung lag in seiner Lehre, dass sie eben nicht paranormal sind, sondern auf seiner Ebene der Liebe, Kraft und Wahrnehmung normal. Er versprach sogar, dass wir all dies und mehr auch tun können, wenn wir uns spirituell beharrlich bemühen, wenn wir Gott und die Menschen lieben und unser Bewusstsein erhöhen. Wenn Jesus seine Zuhörer lediglich durch geheimnisvolle Kräfte beeindruckt hätte, um sich der Menschheit überlegen zu zeigen, dann hätten seine Wunder keinen bleibenden Wert gehabt.

Für das in diesem Buch Beschriebene gilt Ähnliches. Falls Sie sich Gedanken darüber machen, was an der Autorin dieses Buches wohl Besonderes sei, dass sie so eine Erfahrung machen durfte, entgeht Ihnen damit der Wert diese Buches. Meine Qualitäten liegen in unseren Gemeinsamkeiten, nicht in unseren Unterschieden. Die Werte, Erklärungen, Inspirationen und Wahrheiten dieses Buches sprechen für sich selbst und legen Zeugnis ab für eine Kraft in der menschlichen Seele, die uns allen zur Verfügung steht.

Die Geschichte, die Sie gleich lesen werden, widerfuhr mir wirklich. Bei ihrer Wiedergabe liegt meine größte Schwierigkeit in der Unzulänglichkeit der Sprache. Wie kann ich eine lebendige, seltene und ungewöhnliche Erfahrung durch Bilder aus der vorhandenen, vertrauten Wirklichkeit vermitteln? Ich wäre daher glücklich (und Sie täten sich einen Gefallen), wenn Sie alle Voreingenommenheit beiseite ließen und einfach davon ausgingen, dass ich eben in eine Welle höheren Bewusstseins gestolpert bin, die allgemeine und erleuchtende Wahrheiten über den menschlichen Geist enthält.

Dieses Buch will weder jemanden überzeugen noch einen Glauben festigen oder verändern. Das Nachgrübeln darüber, wie es nun zu verstehen sei, dass Jesus mir erschien, würde Ihrer Inspiration und dem Genuss dieser Botschaften nur im Wege stehen. Es wäre klug, sich zwei wichtige Tatsachen über Spiritualität und Glauben vor Augen zu halten: Zum Ersten scheint die Wahrheit immer durch, in welcher Geschichte sie auch auftritt, sei es Fiktion oder Realität. Viele der größten Wahrheiten und philosophischen Grundsätze sind dem Bewusstsein in fiktiven oder imaginativen Zusammenhängen präsentiert worden. Also brauchen Sie diese Geschichte nicht zu glauben, um Wahrheit darin zu finden.

Zum Zweiten ist die Kraft persönlicher und subjektiver Überzeugungen ohnehin viel größer als alle formalen oder äußeren Glaubenssysteme. Sie werden Ihre eigenen Überzeugungen formulieren, entsprechend Ihrer eigenen Persönlichkeit, und so soll es auch sein.

Die in diesem Buch dargestellten Gespräche sind bei Weitem wichtiger als die Form, in der sie stattfanden, doch um der Klarheit und Authentizität willen kann man sie nicht von ihrem Kontext trennen. Deswegen werden viele von Ihnen fragen, wer diese Frau ist, die mit Jesus gesprochen hat, und wie es dazu kam.

Beruflich bin ich Malerin und habe an zwei großen Universitäten gelehrt. Als Mensch bin ich eine Frau, die ihre größte Wahrheit in dieser Erfahrung mit Jesus fand. Doch dies ist kein religiöses Buch, und ich bin keine Theologin. Diese Botschaften beruhen nicht auf Lektüre, Studien, religiösen Exerzitien oder menschlicher Belehrung. Sie entstanden durch meine Erfahrung, als ich Jesu Porträt malte. Während der Arbeit an diesem Projekt begann er selbst diesen Dialog, und ich nahm daran teil.

Vier Monate lang, von November 1991 bis zum März 1992, erschien mir Jesus, so wirklich wie das Leben und doch als Manifestation einer göttlichen Ebene. Während dieser Zeit redeten wir von allem Möglichen, wie Freunde es tun. Es ging dabei nicht um ideale Welten oder künftige Ereignisse. Seine Botschaften drehten sich um unser gewöhnliches Leben und den potenziellen Himmel, der in jedem von uns existiert. Seine Worte waren sehr praxisbezogen, universell zeitlos und erfrischend relevant für unseren fortgeschrittenen Kenntnisstand. Sie sind so klar, dass sie keiner Unterstützung oder Erklärung bedürfen.

Ich habe Jesu Worte in einer Kursivschrift gesetzt, um es dem Leser zu erleichtern, sie auch unabhängig von unserem Dialog zu genießen. Gleichzeitig habe ich mir große Mühe gegeben, den jeweiligen Zusammenhang zu rekonstruieren, die Fragen, Beweggründe und Gefühle, die ich zu der Situation beitrug. Unser freundschaftlicher Austausch bezog sich immer auf gemeinsame Interessen oder Aspekte unserer Beziehung. Jeden Tag machte ich von unseren Gesprächen ausführliche Aufzeichnungen, manchmal während der Gespräche, doch meist abends, wenn ich alleine war. Ich tat das nur, um auf die Weisheiten, die mir mitgeteilt wurden, auch in Zukunft zurückgreifen zu können. Während des ganzen Prozesses kam ich nie auf die Idee, dass ich unsere Gespräche je veröffentlichen würde, und ich ging bestimmt nicht mit akademischer Genauigkeit daran, alle aus theologischer Sicht interessanten Aspekte zu befriedigen.

Es war eine zutiefst persönliche Erfahrung, doch sie fand inner- und außerhalb von mir statt. Ich hatte nicht nur deutlich sichtbar eine heilige Präsenz vor mir, sondern ich vernahm auch eine wohltönende Stimme und antwortete darauf mit meiner eigenen.

Die vorliegenden Texte sind nicht das Ergebnis von automatischem Schreiben oder Channeling. Wir sind alle Kanäle für Gott. Doch Channeling als beabsichtigter Prozess fand hier nicht statt. Channeling ist eine uralte Praxis, um Botschaften aus anderen Ebenen auf unsere Ebene zu bringen. Diese Methode gewinnt zurzeit wieder an Popularität. Ich erwähne es nur zur Unterscheidung, nicht um es zu bewerten. Jesu Worte waren hörbar, und ich antwortete bei vollem Bewusstsein.

Für eine existenzielle Erklärung der Ereignisse mit all ihren Möglichkeiten reicht meine Perspektive noch nicht aus. Was zwischen dem 23. November 1991 und dem 12. März 1992 geschah, war einfach wundersam. Doch es ist nicht notwendig, es auf eine bestimmte Art zu erklären oder zu betrachten. Ich hoffe, dass die Leser es einfach als die Geschichte einer Frau verstehen, die ihren Platz in einer höheren Wahrheit gefunden hat.

Ob Sie Jesus nun Freund, Lehrer, Meister, Herr oder den fleischgewordenen Gott nennen, ändert nichts an der Tatsache, dass kein anderer Mensch in den letzten zweitausend Jahren mehr Einfluss auf den Verlauf der Menschheitsgeschichte genommen hat als er. Was immer man glauben mag, die Auswirkungen seines Lebens betreffen uns alle. Weit über die zahllosen Gläubigen hinaus gibt es Millionen von Menschen, die seinen Einfluss, seine Liebe und seine Tugenden ehren, auch wenn sie mit den in seinem Namen entwickelten Religionen nichts zu tun haben wollen.

Aus Respekt dafür habe ich mich entschieden, von ihm als »Meister« oder einfach als »Jesus« zu sprechen. Auch wenn manche Leser vielleicht ein sakraleres Protokoll wünschenswert fänden, mir erscheint die Bezeichnung »Meister« ausreichend ehrerbietig und sie bezieht keinen religiösen Standpunkt, der andere von der Lektüre dieser Botschaften ausschließen könnte.

Was Sie von diesen Botschaften haben, wird ein direktes Ergebnis dessen sein, wie Sie sie hören! Ein zentrales Thema in Jesu Lehren an mich war die unschuldige Wahrnehmung: »Öffnet eure Augen, auf dass ihr seht, und eure Ohren, auf dass ihr hört. Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt, und nichts ist verborgen, was nicht offenbar werden kann.« (Ähnliche Worte sprach der Meister verschiedene Male in den Evangelien. Zwei Stellen, die diesem Zitat sehr ähneln, sind Matthäus 10,26 und Markus 8,18.) Letztendlich ziehen wir alle unsere Schlüsse aus dem, was wir vernommen haben, doch das wird nur wenig sein, wenn wir zuhören, ohne empfänglich zu sein, wenn wir zuhören ohne sehnsüchtiges Herz.

Prolog

Am Anfang …

Zur hellsten Stunde des kurzen Tags mit Frost und Feuer

Entflammt die kurze Sonne das Eis auf Teich und Gräben,

In windstiller Kälte, die die Hitze des Herzens ist,

Zurückgestrahlt im wässrigen Spiegel

Ein Glast, der Blindheit bedeutet am Frühnachmittag.

Helleres Feuer als flammender Zweig oder Rost

Zündet den tauben Geist; nicht Wind, sondern Pfingstfeuer

In der dunklen Jahreszeit.

T.S. Eliot: »Little Gidding«

Bei vielen großen Geschichten lässt sich der Ursprung nicht genau festlegen, oft waren mehrere günstige Umstände an ihrem Zustandekommen beteiligt. Der genaue Augenblick, in dem die Entwicklung einer Idee anfängt oder eine schicksalhafte Wendung nimmt, bleibt oft unbemerkt, und seine Bedeutung enthüllt sich erst rückblickend. So war es auch mit meiner Geschichte. Wenn ich mich jedoch für einen Anfang entscheiden müsste, dann würde ich Weihnachten 1989 wählen.

In jenem Winter herrschte in Nord-Texas eine bittere Kälte. Es gab zwar keine »weiße Weihnachten«, doch arktische Temperaturen ließen uns am Weihnachtsabend dicht um den Ofen zusammenrücken. Voller Vorfreude auf den kommenden Tag und seinen Segen gingen wir zeitig zu Bett. Es war schon weit nach Mitternacht, als mein Kater Gunnar uns mit einem ohrenbetäubenden Schrei aus tiefstem Schlaf riss. Es waren nicht die Rentiere des Weihnachtsmannes, die ihn erschreckt hatten. Der Kamin unseres Holzofens hatte Feuer gefangen, und Gunnar wurde zu dem Feuermelder, den wir ansonsten nicht hatten.

Als wir zur Besinnung kamen, hatte das Feuer bereits den größten Teil des Wohnzimmers erfasst. Beißender Rauch und Flammen blockierten alle Auswege, sodass unsere einzige Überlebenschance darin bestand, mit ein paar Kleidern und Gunnar unterm Arm aus einem Fenster im ersten Stock zu springen. Wir konnten uns alle in Sicherheit bringen, doch von unserem ganzen Hab und Gut blieb in kürzester Zeit nichts als Asche. Darunter war auch der größte Teil meiner Bilder.

Wir fanden Zuflucht im Haus meiner Mutter, und der einzige Trost, den ich am Weihnachtstag finden konnte, lag im Schlaf.

Nach ein paar Stunden Ruhe wurde ich von sanften Rippenstößen geweckt.

»Liebling, wach auf!«

»Was ist denn jetzt?« Es war weniger als vierundzwanzig Stunden her, dass ich in einer Katastrophe aufgewacht war.

Mit bebender Stimme flüsterte mein Mann mir zu: »Ich habe gerade geträumt, dass du ein großes Porträt von Christus malen wirst, und das Feuer war irgendwie dafür notwendig.«

»Ach was«, murmelte ich. »Schlaf weiter.« Ich hielt seinen Traum in keiner Weise für eine göttliche Botschaft, sondern nahm an, dass er durch die Gebete und das Mitgefühl unserer Freunde ausgelöst worden war. Ich zog mir die Bettdecke über die Ohren und kehrte in meinen privaten Schutzraum zurück.

Als ich nach mehr als einem Jahr wieder anfing zu malen, spürte ich, dass sich etwas in meinem Herzen verändert hatte. Vielleicht hatte der traumatische Verlust mein Vertrauen erschüttert, jedenfalls war die Begeisterung und Lebendigkeit meiner früheren Arbeiten dahin. Ich studierte den Markt auf der Suche nach Mustern und Tendenzen, die zurzeit erfolgreich waren, während gleichzeitig der Gedanke, aus rein kommerziellen Gründen wieder eine Kollektion meiner Arbeiten aufzubauen, einen dumpfen Schmerz in der Mitte meines Körpers verursachte. Mangels besserer Ideen machte ich jedoch einfach weiter. Ich wendete die Fertigkeiten an, die ich jahrelang entwickelt hatte, in der Hoffnung, dass sich daraus eine neue Wendung ergeben würde.

Meine neuen Arbeiten waren recht ansprechend, auch wenn sie nicht von bahnbrechender Originalität oder Technik waren, und sie hatten beste Aussichten auf eine gute Vermarktung. So entschied ich mich dafür, im Herbst 1991 an einer großen Kunstmesse in Los Angeles teilzunehmen und meine Arbeiten dort zum ersten Mal vorzustellen.

Es wurde kein überwältigender Erfolg, doch ich erhielt etliche gute Aufträge und stellte eine Reihe vielversprechender Kontakte zu Galerien her. Trotzdem fühlte ich mich auf merkwürdige Weise mutlos und ängstlich. Ich war dabei, mich zum ersten Mal in meiner Karriere dem Teil der Kunstwelt anzupassen, der sich vor allem durch Massenproduktion und kommerziellen Erfolg einen Namen machen will.

Mein Maßstab für meinen Erfolg war immer ein akademisch professioneller gewesen. Meine Arbeiten waren von weltweit anerkannten Museen angekauft worden und ich hatte große Einzelausstellungen gehabt. Ich hatte einige prominente Amerikaner porträtiert, darunter einen Präsidenten des U.S. Senats. Mein Porträt von Dr. Paul Peck hing in der Smithsonian Institution, und ein anderes meiner Bilder hing im Museum of the City of New York. Vervielfältigungen meiner Bilder wurden von einem New Yorker Verlag vertrieben, und viele meiner Originale sind in privaten Sammlungen landesweit verteilt. Mein beruflicher Werdegang zeigte Talent, Erfolg und die Anerkennung der »Hüter der wahren Kunst«. Woher kamen also diese nagenden Schuldgefühle darüber, dass ich jetzt auch kommerziellen Erfolg wollte? Dieses äußere Streben hinterließ irgendwie einen bitteren Nachgeschmack. Ich beschloss daher, mir auf der Heimreise Zeit zur Erholung und zur inneren Einkehr zu gönnen. Ich hoffte, von einem inneren, friedvollen Ruhepunkt aus Klarheit über meine wahren Motive zu gewinnen.

In Arizona nahmen wir einen Umweg über Sedona und fuhren durch die herrliche Felslandschaft südlich von Flagstaff. Irgendetwas geschah dort zwischen diesen uralten Sandsäulen, denn am nächsten Morgen fühlte ich mich erholt und zu allem fähig. Ohne bestimmten Anlass hatte ich das Gefühl, dass sich etwas verändern würde. Das Ausmaß der Veränderung wurde jedoch erst im Laufe der Zeit deutlich.

Auf der Heimfahrt hörte ich Mozart und ließ die Schönheit der Musik meine Seele beflügeln. In dieser Stimmung war es leicht, mein Leben zu überblicken und zu erkennen, was mir wirklich wichtig war. Schließlich überkam mich eine tiefe Stille, und außer meinem Drang, einen neuen Anfang zu erreichen, schien nichts mehr von Bedeutung. Ich wandte mich meinem Mann zu und fragte: »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich meine Karriere aufgebe?«

»Nein«, antwortete er. »Tu, was du für richtig hältst.«

Was waren schon mehr als dreißig Jahre harter Arbeit! Ich war innerlich davon überzeugt, dass sich etwas anderes ergeben würde. Wenn ich damals geahnt hätte, was dann kam, wäre ich die Sache vielleicht nicht so entspannt angegangen.

Mein Gefühl der Erleichterung passte zu dem weiten Horizont der trockenen Hochebene Neu-Mexikos, durch die wir fuhren. In der Stille der Wüste versank ich in einen traumartigen Zustand und schaute innere Bilder von unglaublicher Schönheit. Ich bin es gewohnt, Bilder zu empfangen und damit zu spielen, doch diese waren etwas Besonderes. Aus einem sanften inneren Licht hob sich nach und nach eine wunderbare Landschaft mit Feldern, die zu einem üppig grünen Flusstal hin abfielen. Am Flussufer stand ein Baum, dessen Stamm in zwei Hälften gespalten war, und darüber zogen Schäfchenwolken durch einen azurblauen Himmel.

Es war ungewöhnlich für mich, Landschaften als innere Bilder zu empfangen. Es war wohl offensichtlich, wie die Schönheit dieses Eindrucks mein ganzes Sein durchdrang, denn mein Mann fragte mich in diesem Augenblick: »Woran denkst du?«

»Ich denke an gar nichts. Ich sehe eine wunderschöne Landschaft vor meinem inneren Auge.«

»Ach so.« Und einen Moment später fügte er hinzu: »Hast du eigentlich in letzter Zeit über die Idee nachgedacht, das Bild von Jesus zu malen?«

Musste er jetzt unbedingt davon anfangen? Trotz all meiner Widerstände hatte Brian das Thema nie aufgegeben. Ich wunderte mich, wie meine Gedanken und Visionen diese Reaktion auslösen konnten.

»Danach brauchst du gar nicht zu fragen«, erwiderte ich verärgert und versuchte so zu tun, als sei ich kurz vorm Einschlafen.

Nach einer kurzen Pause fuhr er jedoch fort: »Wie würdest du so ein Bild denn angehen?«

»Das ist völlig egal«, gab ich zurück, »denn ich werde das nicht tun, und zwar aus folgenden Gründen.« Ich hoffte, dass ich das Thema endlich vom Tisch bekäme, wenn ich alle Einwände dagegen genau aufzählte.

In meinem Studium der Kunstgeschichte war mein Schwerpunkt die mittelalterliche Kunst Europas gewesen, die im Wesentlichen christlich ist. Ich konnte also aus der Geschichte ausführlich begründen, dass die Grundlage der christlichen Kunst eine bestimmte Theologie ist und dass die christliche Kunst diese Theologie mit ihrer Symbolsprache lehrt und unterstützt. Dies war notwendig, weil es zu wenig historische Fakten über das Leben Jesu gab und die künstlerische Inspiration häufig die Grenzen der kirchlichen Doktrin überschritt. Michelangelo bezahlte gewisse Freiheiten, die er sich an der Decke der Sixtinischen Kapelle nahm, beinahe mit dem Leben. Der Papst hielt sich an das theologische Protokoll, doch der Blick des Künstlers in die ewigen Reiche blieb von diesen Gesetzen unberührt.

Ich kannte keine historischen Beschreibungen Jesu, jedenfalls nicht im Neuen Testament. Für mich als Porträtmalerin war das Projekt allein dadurch schon beendet. Und als gute Porträtmalerin wusste ich darüber hinaus um die intime Beziehung zwischen Körper und Seele, das heißt, kein anderer Mann konnte an Jesu Stelle gemalt werden, wenn das Bild die richtigen Gefühle vermitteln sollte.

Damit nicht genug, stellte ich außerdem klar, dass ich auf keinen Fall ein Porträt von Jesus erfinden würde. Ich war davon überzeugt, dass im Bereich der Vorstellungskraft jeder Mensch das Recht hatte, ihn auf seine eigene Weise zu sehen, und ich wollte meine privaten Vorlieben niemand anderem aufzwingen. In der Hoffnung, die Diskussion damit ein für alle Mal zu beenden, schloss ich meine Ausführungen mit dem Satz: »Und weißt du was: Wenn er kommt und für mich sitzt, dann werde ich ihn malen.«

Brian ließ mich eine Weile in Ruhe, doch er war noch nicht fertig. »Wie würdest du das Bild denn nennen?«, fragte er nach.

Ich war zu aufgebracht, um zu antworten, doch als ich gerade »Keine Ahnung« sagen wollte, geschah etwas sehr Merkwürdiges. Vor meinem inneren Auge schoss ein Pfeil vorbei und zog ein Banner hinter sich her, auf dem die Worte standen: »Das Lamm und der Löwe.« Grasende Schafe tauchten auf den Wiesen meiner inneren Landschaft auf und eine große Wolke nahm die Form eines Löwen an. Es war keine menschliche Gestalt zu sehen, doch ich erstarrte angesichts der plötzlichen Erkenntnis, dass ich tatsächlich ein Porträt von Jesus Christus malen würde.

Aber wie? Hatte ich nicht gerade hundert gute Gründe aufgeführt, warum es unmöglich war?

Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich darauf einzulassen und mein Bestes zu geben. Ich gab mir drei Monate Zeit, um Nachforschungen anzustellen und Material für dieses Projekt zu sammeln. Ich begann damit, das Neue Testament zu lesen, doch das war wenig hilfreich, da sich dort kaum Hinweise auf das körperliche Erscheinungsbild Jesu finden. Wir erfahren nur Dinge wie seine Herkunft aus dem Hause David, dass er ein Zimmermann und Fischer war und dass er stark genug war, selbst nach der Folter noch ein schweres Kreuz zu tragen.

Ich fand im Weiteren heraus, dass die Zimmerleute jener Zeit nicht nur messen und Holz verbinden konnten, sondern auch selbst die Stämme im Wald auswählten, fällten und zu Bauholz verarbeiteten. Sie mussten also in der Lage sein, schwer körperlich zu arbeiten.

Ich forschte auch nach, ob es irgendwelche besonderen Eigenschaften gab, die den Angehörigen des Hauses David zugeordnet wurden. Jeder der zwölf Stämme Israels hatte seine Eigenheiten und seinen Bereich. Das genetische Potenzial Israels war damals wie heute größer, als man gemeinhin annimmt. Von den zwölf Stämmen verschwanden zehn während des babylonischen Exils (das sind die »verlorenen Stämme Israels«, von denen oft die Rede ist). Nur der Stamm Davids und Benjamins, die Leviten und die Überreste einiger der anderen Stämme kehrten zurück. Aus dem Hause Davids gingen die Regenten, Aristokraten und die militärische Elite der Juden hervor, weshalb sie ein bevorzugtes Angriffsziel von Eroberern waren. So vernichteten auch die Römer bei ihrer Besetzung des Heiligen Landes besonders die Angehörigen der Linie Davids.

Als Jahrhunderte später, im Mittelalter, Europäer von Pilgerfahrten ins Heilige Land zurückkehrten, beschrieben sie die verbliebenen Einwohner jenes Landes mit vereinfachten Bildern, in die sich Eindrücke von arabischen und anderen Völkern des Nahen Ostens mischten. Diese stereotypen Vorstellungen über Aussehen und Charakter der Juden verfestigten sich und haben sich in der christlichen Kunst teilweise bis zum heutigen Tag gehalten.

In den wenigen noch erhaltenen antiken Beschreibungen von Juden wird der Stamm Juda oft als höher gewachsen und heller bezeichnet. Ich habe semitische Freunde gefragt, was »heller« in ihrer Welt bedeutet, und sie wiesen mich darauf hin, dass das nicht blond im nordischen Sinne sei. Man müsse sich darunter vielmehr eine hell-olivfarbene, blassere Haut und Augen von haselnussbrauner bis blaugrüner Farbe vorstellen, umrahmt von goldbraunen bis rotbraunen Haaren.

Vielleicht ist Jesus verschiedenen Menschen in unterschiedlicher Weise erschienen, doch seine charismatische Ausstrahlung legt die Annahme nahe, dass er auf irgendeine Weise besonders anziehend war – zumindest wenn er es wollte! Ich konnte jedoch nur vermuten, wie das aussah, und Vermutungen sind nichts für eine Porträtmalerin.

Die frühesten Darstellungen von ihm aus dem 1. und 2. Jahrhundert zeigen einen gut aussehenden jungen Mann, doch sie stehen mehr unter dem römischen Einfluss einer Assoziation mit Apollo, als dass sie dem Nazarener ähnelten. Im Zuge der Romanisierung der Kirche wurden solche symbolischen Parallelen genutzt und stifteten Verwirrung. Daher verboten die frühen Kirchenfürsten den Künstlern, Jesus irgendwie stark oder ansehnlich darzustellen. Sie stützten ihren Standpunkt auf die aus dem 7. Jahrhundert v.Chr. stammende Prophezeiung, die im Alten Testament bei Jesaja 53,2 steht: »Keine Gestalt besaß er, noch Schönheit; und es war kein Anblick, dass wir sein begehrten.« Die meisten Bibelforscher sind sich heutzutage darüber einig, dass diese Prophezeiung sich auf die Art des Charakters und der Führerschaft des Messias bezieht, nicht auf seine äußere Erscheinung. Das würde bedeuten, dass der kommende Messias kein reicher, weltlicher Prinz sei, von dem man sich Privilegien und finanzielle Unterstützung erbitten könne. Diese Interpretation hat sich sicherlich als zutreffend erwiesen. Aber müsste nicht der Herr des Lebens, der Tote erwecken konnte, selbst Gesundheit und körperliches Wohlbefinden ausstrahlen? Mir erscheint das sehr logisch, doch den nur mit der Festigung ihrer geistigen Vorherrschaft befassten Kirchenfürsten jener Zeit passte die Passage bei Jesaja gut ins Konzept, um alle Aufmerksamkeit von seiner körperlichen Erscheinungsform abzulenken. Die meisten Bildnisse von Jesus in den letzten 1700 Jahren sind ein Ergebnis dieser Entscheidung.

Die Kraft jahrhundertealter Traditionen wirkte auch auf mich, und je mehr ich erfuhr, desto weniger fühlte ich mich in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Es war meine Grundbedingung, dass ich meine Integrität wahren würde, und so manövrierte ich mich in eine aussichtslose Lage. All die Teilchen, die ich zusammengetragen hatte, waren interessant, doch zusammengesetzt würden sie einen Flickenteppich ergeben und kein Bild von Kraft und Charakter.

Nach drei Monaten hatte mich jede Spur, die ich verfolgt hatte, in eine Sackgasse geführt und mehr Widersprüchlichkeiten hervorgebracht, als ich verarbeiten konnte. Was sollte ich mit alldem anfangen? Für sich genommen hatte es weder Wert noch Verwendbarkeit.

Die Antwort kam am 23. November 1991. Es war ein wunderschöner Herbsttag, der in keiner Weise andeutete, dass etwas geschehen würde, was den unzusammenhängenden Ereignissen der letzten Jahre Sinn verleihen und die Möglichkeit einer unvorstellbaren Zukunft eröffnen würde.

Das klare Licht des Morgens strich mit seinen langen Fingern über den Rasen und betonte die wenigen leuchtend roten Blätter, die noch an den Bäumen in unserem großen, städtischen Garten hingen. Solche Momente sind wie dafür geschaffen, sich in Gedanken zu verlieren, und ich hatte viel nachzudenken. Der Dampf meines Kaffees wärmte mein Gesicht, als ich in der kühlen Novemberluft in der Hängematte saß.

Ich erging mich in angenehmen Erinnerungen aus meinem Leben und sah ein Muster von Neuanfängen, das stetig wiederkehrte, doch in unübersehbarer Ironie stach der außergewöhnliche Akt der Zerstörung in der Heiligen Nacht 1989 besonders hervor. Wenn ich damals schon so viel über Paradoxe gewusst hätte wie heute, dann hätte ich vielleicht nach den – die Zukunft voraussagenden – Zeichen in den Umschwüngen gesucht, die mein Leben seit diesem Ereignis bestimmten. Doch so fand ich an jenem Novembermorgen meinen einzigen Frieden in dem rhythmischen Schwingen der Hängematte, das leise zu flüstern schien: Gib dich hin, gib dich hin, gib dich hin!

Trotz meiner angenehmen Träumereien lenkte mich die farbenprächtig glühende Natur von der inneren Ruhe ab, nach der ich mich sehnte. Ich aß etwas zu Mittag und begab mich ins Innere des Hauses in das Esszimmer, welches selbst zur Mittagsstunde in einem angenehmen Dämmerlicht lag. Es war ein sehr geeigneter Raum, um mit Gott allein zu sein.

Meine Gebete begannen mit Bitten und Vorwürfen, die meinen Widerstand rechtfertigen sollten. Dann brachte ich meine Gefühle zum Ausdruck, meine Zweifel und Ängste. Doch noch immer fand ich keinen Frieden. Zu guter Letzt bat ich um Vergebung dafür, dass ich etwas vorgehabt hätte, was offensichtlich jenseits meiner Kapazität lag, und gab zu, dass meine zurückhaltende Begeisterung eines solchen Werkes unwürdig sei. Auch das löste nichts. So überlegte ich, ob wohl meine Beschäftigung mit dieser Idee lediglich dazu gedient hätte, mich zu einer anderen, vernünftigeren Unternehmung hinzuführen, die sich mir noch offenbaren würde.

Nachdem ich in dieser Weise alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, die ich mir nur vorstellen konnte, legte ich schließlich meinen Kopf auf meine auf dem Tisch gefalteten Arme und schlief ein.

Ich hatte über eine Stunde geschlafen, als ich von einem hellen Leuchten im Zimmer erwachte. Strahlend glitzernde Helligkeit umgab meinen Körper und erfüllte mein Wesen mit neuer Lebendigkeit. In diesem alles umhüllenden Licht spürte ich die Gegenwart einer Heiligkeit, die mein Leben für immer veränderte. Es war der Anfang vom Ende meines gewöhnlichen Lebens und meiner normalen Wahrnehmung. In jenem Augenblick wurde ich für eine Audienz mit Jesus Christus vorbereitet, die in einer solchen Vollständigkeit meine menschlichen Sinne erfüllte, dass ein Gemälde in den Bereich des Möglichen rückte und eine neue Wirklichkeit wahr wurde.

1

Es werde Licht

Das Leuchten war so hell, dass alle Schatten im Raum verschwanden. Ein Blick nach oben bestätigte mir, dass die Beleuchtung ausgeschaltet war. Ohnehin fühlte sich dieses sanfte, weiße Strahlen, das wie eine Wolke vom Himmel herabzuschweben schien, nicht nach einem künstlichen Licht an. Eine Stille wie frisch gefallener Schnee umfing das ganze Haus. Silbrige Lichtfäden strömten durch diese Stille, energetische Wellen und sanfte Luftstöße, wie von Flammen. Die Quelle dieser Impulse lag in einem Punkt gleißender Helligkeit, der wie die Sonne strahlte und doch nicht feurig war, sondern mehr wie die höchste Konzentration dieses Lichtes schien, das den ganzen Raum erfüllte und dessen Herrlichkeit durch glänzende silberne und goldene Muster noch erhöht wurde, die in schimmerndem Weiß miteinander verwoben waren und in Blau-, Rosa- und Lavendeltönen funkelten.

Ich konnte nur einen Augenblick lang in diese Mitte hineinblicken, weil meine Augen sich sofort mit Tränen füllten. Als ich mich voller Ehrfurcht abwandte, vernahm ich Klänge, die sich zu den Kadenzen und Mustern einer Sprache formten, die ich noch nie gehört hatte. Die »Worte« begannen, in meinem Geist eine Bedeutung anzunehmen, und ihre Botschaft war: »Sei gegrüßt, Glenda.«

Unbeschreibliche Heiligkeit erfüllte den Raum. Wenn Licht singen könnte, wären himmlische Sphärenklänge erklungen. Wenn Licht duften könnte, hätte es die Unschuld reiner Bergluft verströmt.

Ich schaute wieder in das Zentrum des Lichts, doch das Strahlen war einfach überwältigend. Ich schloss meine Augen, um sie vor dieser Helligkeit zu schützen, und weinte dabei. In dem gleichen Augenblick, in dem ich mich so in mich selbst geflüchtet hatte, schoss aus dem Zentrum dieser Erscheinung ein Strahl von Energie in den Punkt zwischen meinen Augenbrauen. Ich verspürte einen Druck und öffnete die Augen, nur um tatsächlich einen Energiestrom zu sehen, der in mich hineinfloss. Zu meiner inneren Sicht zurückgekehrt, konnte ich beobachten, wie ein Bild meinem Gedächtnis eingeprägt wurde. In etwa fünf Sekunden war die Übertragung abgeschlossen, bei der die Vision in dem optischen Bereich meines Gehirns offensichtlich so verankert wurde, dass sie unveränderlich blieb. Ich konnte sie mir von nun an zu jedem beliebigen Zeitpunkt betrachten.

Gebannt und hingerissen bestaunte ich eine vollständig dreidimensionale, holografische Vision von Jesus Christus. Majestätisch stand er da, auf einem Hügel über einer grünen Flusslandschaft, in der Schafe weideten, und darüber türmte sich eine große Wolke zu der Gestalt eines Löwen. Es war eindeutig die gleiche Landschaft, die ich auf der Fahrt durch Neu-Mexiko in meiner Vision erblickt hatte. Nur dass jetzt der oberste Hirte das Bild vervollständigte. Es war die lebendigste und realistischste Malvorlage, die ich mir wünschen konnte, wenn ich ihn schon nicht selbst porträtieren konnte.

Als meine äußere Wahrnehmung zur Normalität zurückkehrte, war die leuchtende Erscheinung verschwunden, und die Wirklichkeit erschien wieder so, wie man es von ihr normalerweise erwartet. Ich ahnte jedoch, dass gewisse Dinge für mich nie mehr so sein würden wie zuvor. Diese Ahnung bestätigte sich, denn nach diesem gesegneten Augenblick veränderte sich mein ganzes Leben.

Das wunderbare Licht war meiner Seele auf ewig eingeprägt, oder vielleicht eher: mit meinem Herzen in einem vereinten, unendlichen Herzschlag verschmolzen. In mir war ein Funke zum Leben erweckt worden, der mich in ein immens erweitertes Bewusstsein und Leben führte.

Vierzig Tage vergingen, bevor ich mir der Bedeutung dieser Erfahrung sicher genug war, um mit dem Malen beginnen zu können. Jeden Morgen intensivierte ich meine Beziehung zu der Vision durch andächtige Bewunderung und Meditation. Ich vertiefte mich in jede Nuance und atmete sie in mich ein wie das Leben selbst.

Im Laufe der Tage wurde die Vision vollständiger und die Gegenwart Jesu lebendiger. Allein diese Tatsache unterschied diese Erfahrung von vergangenen Erlebnissen mit Träumen oder visuellen Inspirationen, die durch Wiederholung in der Regel verblasst.

Zunächst war das Gefühl so, als ob man durch die Glasscheibe eines Fensters einen Freund grüßt. Die wunderbaren Augen des Meisters, die eine immer tiefere Hingabe in mir hervorriefen, ließen jedoch schließlich das »Glas« zwischen uns schmelzen und zogen mich magnetisch in seine Welt. Dadurch wurde seine Gegenwart noch unmittelbarer und lebendiger. Ich schien in eine Welt geraten zu sein, die wie ein großer Traum die Sinne erfüllte und alles umspannte, doch ich empfand in diesem »Traum« eine größere Wachheit, als ich sie je erlebt hatte. Ein weiterer Unterschied zu unseren normalen nächtlichen Träumen lag darin, dass wir in diese durch eine Dunkelheit hindurch gelangen. Zu meinen Begegnungen mit Jesus ging ich jedoch durch ein lebendiges, deutlich wahrnehmbares Licht hindurch.

Die Tage zwischen dem 23. November und dem 1. Januar waren angefüllt mit Vorbereitungsarbeiten, Erkundungen meiner persönlichen Realität und geistiger Kontemplation. Letztere hatte plötzlich einen Quantensprung in kosmische, unendliche Möglichkeiten erfahren. Erinnerungen aus meinen Jahren als Studentin mittelalterlicher christlicher Kunst stiegen auf. Ich hatte viele Darstellungen paranormaler Visionen von Jesus oder Maria kennengelernt, und angesichts der Prüfungen und Härten des klösterlichen Lebens, die mit solchen Visionen oft einhergingen, hatte ich zunächst etwas Sorge um mein Wohlbefinden. Doch meine glänzende Gesundheit löste derartige Bedenken schnell auf, und meine Aufmerksamkeit wandte sich einem noch faszinierenderen Kapitel meines akademischen Hintergrunds zu, der Beziehung zwischen Licht und Körper. Schließlich war mir die seltene Gelegenheit einer alle Sinne umfassenden, mystischen Erfahrung in einer Zeit zuteil geworden, die genug über das Universum weiß, um Einsichten in die Zusammenhänge zwischen dem »Normalen« und dem »Paranormalen« erkennen zu lassen.

Mir fiel Karl Pribram ein, mit seinen bedeutenden Untersuchungen über die holografische Funktion des menschlichen Gehirns. Andere hatten schon vor ihm demonstriert, dass das Sehzentrum im Gehirn nicht auf Hell, Dunkel und Farbe reagiert, sondern auf die Frequenzen verschiedener Wellenformen, und dabei die gleichen mathematischen Funktionen verwendet wie in der Holografie, um diese Impulse nach ihrer Wahrnehmung durch unsere Sinne in unterscheidbare Bilder zu übersetzen. Pribram war einen Schritt weiter gegangen, indem er diese Theorie zu ihrem logischen Schluss führte, dass die objektive Realität – die Welt der Materie, der Strukturen und Dinge – vielleicht gar nicht auf die Weise existiert, wie wir sie wahrnehmen. »Nicht dass die Welt der Erscheinungen falsch sei …, vielmehr erhält man eine andere Sicht, eine andere Realität, wenn man durchbricht und das Universum durch ein holografisches System betrachtet. Diese andere Realität erklärt vielleicht Dinge, die bislang wissenschaftlich unerklärbar schienen, wie zum Beispiel paranormale Phänomene, Synchronizitäten und die offensichtlich bedeutungsvolle Gleichzeitigkeit von Ereignissen.«

In Ergänzung der Theorie des holografischen Gehirns stellte David Bohm die noch erstaunlichere Behauptung auf, dass die gesamte wahrnehmbare Realität eine Art Hologramm sei, in dem jeder Teil des Ganzen nicht nur auf einer primitiven Realitätsebene ungeheuren Ausmaßes wiedergefunden werden könnte, sondern auch unendlich daraus reproduzierbar sei. [Michael Talbot: The Holographic Universe. New York, 1991; dt. Übersetzung: Das holographische Universum. München: Droemer, 1976.]

Dies waren bemerkenswerte Konzepte, und sie sollten in ebenso bemerkenswertem Umfang Bestätigung erhalten. Zuerst einmal hatte ich jedoch meine geheimen Befürchtungen und scheute mich vor der Heiligkeit dessen, was ich der Welt präsentieren sollte – falls meine künstlerischen Bemühungen erfolgreich sein würden. Dieses »falls« geisterte immer wieder durch meine Gedanken, und in jedem meiner Gespräche und Kontakte mit der Außenwelt suchte ich Unterstützung. Brian, mein Mann, versuchte mich auf alle erdenkliche Weise zu unterstützen und zu ermutigen. Er schlug vor, dass ich Kontakt mit echten Schafen suchen sollte. Ich könnte ein Lamm zeichnen oder fotografieren, um einen greifbareren Bezugspunkt für mein Werk zu haben.

Nachdem wir alle Schaffarmen in den umliegenden Landkreisen abgegrast hatten, mussten wir uns damit abfinden, dass Ende November eine ungünstige Zeit ist, um ein Lamm zu finden. Trotzdem schlug Brian vor, am Samstag zu dem landwirtschaftlichen Markt meiner Heimatstadt zu fahren. Mit der Kamera in der Hand starteten wir im Morgengrauen unsere Jagd auf das Lamm. Wenn ich zumindest ein Foto schießen und ein Lamm auf dem Arm halten könnte, hätte sich das schon nach Fortschritt angefühlt.

Als wir ankamen, gingen wir sofort in den Großviehbereich – und wurden dort gleich wieder enttäuscht. Die einzigen zwei Lämmer waren schon morgens um halb neun verkauft worden. Das Glück schien uns einfach nicht hold zu sein.

Ich wollte gerade wieder nach Hause zurückkehren, als ich aus dem Augenwinkel in einer Nebenstraße eine zottelige Herde unterschiedlichster Schafrassen entdeckte, die von einem grauhaarigen, alten, mexikanischen Händler angetrieben wurde. Es war eine armselige Versammlung wollig-verdreckter Kreaturen. Ich wollte mich gerade abwenden, als am Schluss der Herde ein leuchtend weißes Mutterschaf auftauchte und auf mich zuging. Ihre kurze, reine Wolle, ihr langer Hals und ihr erhabener Ausdruck ließ sich mit nichts vergleichen, was ich bis dahin gesehen hatte, und ihre eindrucksvolle Erscheinung wurde durch ihre offensichtliche Trächtigkeit noch gesteigert.

Nach einem alten Kinderreim nannte ich sie spontan »Mary«, denn ihr Fell war wirklich »weiß wie Schnee«. Innerhalb von wenigen Minuten entwickelte sich eine Beziehung zwischen uns, und mich überkam das Bedürfnis, sie zu adoptieren. Ich rechtfertigte das schnell damit, dass es dann ja bald ein Lamm geben würde und mir durch den Kauf von Mary beide als Modell dienen könnten. Passenderweise war unser renoviertes Farmhaus als landwirtschaftlicher Bereich deklariert, obwohl es inzwischen mitten in der Stadt lag. So kam es, dass wir zwei uns, etwas unbeholfen, als Schäfer betätigten und Mary auf den Rücksitz unseres Cadillac luden. Sie schien immer noch zu leuchten, auch außerhalb ihrer Herde, und so fragte ich den Händler nach ihrer Rasse. »Sie ist ein Mufflonschaf«, brummte er, während ich ihn bezahlte. Da mir das nichts sagte, fuhren wir ohne weiteres Gespräch davon.

Wir fühlten uns etwas »schafsköpfig«, als die Leute sich über unseren Passagier lustig machten. Die hatten ja keine Ahnung! Um uns von unserer Lächerlichkeit abzulenken, redeten wir Mary gut zu und schmiedeten Pläne für ihre Behausung. Doch plötzlich fragte ich mich: »Was ist eigentlich ein Mufflonschaf?« Der Name klang irgendwie vertraut, doch ich erstarrte bei dem Gedanken, dass Mary vielleicht eine dieser modernen Rassen sein könnte, die es zur Zeit Jesu noch nicht gab. Als Kind war ich oft auf der Schaffarm meines Onkels gewesen, doch so etwas wie sie hatte ich dort nie gesehen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr erschien es mir als Problem, denn jedes moderne Element würde der Integrität des Werkes Abbruch tun.

Nachdem wir Mary untergebracht hatten, machte ich mich also auf in die Bibliothek, um meine Frage zu klären. Ich fand das Gesuchte schnell in einer Enzyklopädie, doch ich suchte noch in zwei weiteren Quellen nach Bestätigung für das mir höchst erstaunlich erscheinende Ergebnis: Das Mufflonschaf gilt als die älteste domestizierte Schafrasse Europas und als Vorfahr aller Hausrassen. Und es war vor zweitausend Jahren im Nahen Osten verbreitet!

Ich las die Abschnitte immer wieder, bis ich sie auswendig konnte, und bestaunte die wundersame Weise, in der so viele Teile des Puzzles zusammenwirken mussten, damit ein derart vollkommenes Ereignis geschehen konnte. Ohne in den Nahen Osten zu reisen und mit Beduinen zu verhandeln, hätte ich wohl kein perfekteres Modell finden können. Es schien fast unbegreiflich, wie ich Mary in meiner Heimatstadt, auf der Straße, auf der ich schon als Kind gespielt hatte, begegnen konnte. Seit wie langer Zeit war dieses Gemälde wohl schon vorherbestimmt?

Die Begegnung mit Mary schien mir ein Zeichen zunehmender Festigung und Beständigkeit zu sein, doch in Wirklichkeit war sie nur der Auftakt zu noch größeren Wundern.

Der bekannte Quantenphysiker David Bohm sagte einmal: »Materie ist gefrorenes Licht.« Diese Bemerkung beschreibt vielleicht das ultimative Paradox unseres Universums: Das sich vor uns Entfaltende hat sich höchstwahrscheinlich zuvor aus Mustern und Strahlungen entwickelt, die weit jenseits unserer Vorstellungskraft liegen.

Angesichts der Nähe zu Weihnachten und dem ganzen Feiertagsrummel entschied ich mich, mit dem Gemälde Anfang Januar zu beginnen. Das würde mir auch Zeit geben, einige vorbereitende Entscheidungen zu treffen und die Leinwand zu präparieren. Zunächst musste ich die Größe festlegen. Also richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Vision und fragte Jesus. Dabei kam es mir zum ersten Mal in den Sinn, die Vision als ein Mittel zum Dialog zu sehen. Die Antwort wurde mir telepathisch zwar wortlos, doch klar vermittelt. Die Leinwand sollte einen Meter zwanzig im Quadrat groß sein.

Es war ein ruheloser Dezember. Ich fühlte mich wie ein Rennpferd, das darauf wartet, dass sich das Gatter öffnet. Sooft ich mich auch durch den Blick nach innen der Vision versicherte, sie blieb glasklar und schien anzukündigen, dass eine ganz neue Welt geboren werden sollte. Sie war offensichtlich lebendig, und ich bestaunte sie ehrfürchtig. Dieses innere Bild zeigte und verstärkte so viel von Jesu Lebenskraft, dass es mir schließlich das Gefühl vermittelte, er sei da!

Die Anspannung wuchs, in meiner Familie knisterte es vor Aufregung, und in stiller Erwartung war ich erfüllt von etwas, das sich nicht in Worte fassen ließ.

Als ich am zweiten Januar in mein Atelier ging, empfand ich einen geradezu beunruhigenden Frieden – einen Frieden, den mein Körper nur mit einer Gänsehaut als die Ankündigung der Gegenwart des Schicksals interpretieren konnte. Obwohl der Raum nach Leinöl und Terpentin roch statt nach Weihrauch, schien er doch die Atmosphäre eines Tempels zu haben. Vielleicht entsprachen meine Gefühle auch einfach meinen Erwartungen. Vielleicht erfüllte jedoch ein Geist der Heiligkeit in Erwartung meines Kommens den Raum und hatte einen Platz für die »Eröffnungslinien« der Schöpfung vorbereitet. Wie auch immer, meine Sinne waren so klar und rein, als ob ich eben erst in diese Welt geboren worden wäre. Von dem Staub auf dem Fensterbrett bis hin zu meiner unordentlichen Ansammlung von Pinseln und der vor mir aufragenden Staffelei bestand dieser Augenblick aus Einzelheiten, die ich nie vergessen werde. Natürliches Sonnenlicht fiel in den Raum und erinnerte mich an das andere, heilige Licht, welches ich erfahren hatte. Ich bewegte mich durch seine Strahlen, und die Bewegungen meines Körpers verlangsamten sich dabei zunehmend bis hin zu völliger Stille. Das Gefühl der Unausweichlichkeit des Augenblicks erfüllte mich – alles schien zwischen Zeit und Raum in der Schwebe zu hängen. Tausend Augen schienen auf mir zu ruhen, und ich suchte innerlich und äußerlich nach den »Beobachtern«.

Ein forderndes Miauen vor der Tür unterbrach die feierliche Ruhe. Was auch immer da im Atelier vor sich ging, Gunnar, mein schöner tibetischer Kater, wollte dabei sein. Zögerlich öffnete ich die Tür, irgendwie erwartete ich, dahinter mehr als nur Gunnar zu finden, und war ziemlich erleichtert, nichts als das kleine Blauauge zu sehen. Er sprang flink herein, als ob der Zeitpunkt und die Gelegenheit nicht verpasst werden dürften, und machte es sich dann auf einem meiner zwei weißen Meditationskissen bequem.