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NichtGanzDichter

Geschichten eines nicht ganz Dichten

Meine verrücktesten Begegnungen - ein "Schwerstbegabter" packt aus!

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© 2017 NichtGanzDichter

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN
Paperback: 978-3-7439-1169-7
Hardcover: 978-3-7439-1170-3
e-Book: 978-3-7439-1171-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Einleitung

Ich bin ein ungewöhnlicher Mensch und erlebe ungewöhnliche Dinge. „Originell, speziell, schwerstbegabt“: Was beinahe wie eine hoffnungslose Diagnose anmutet, ist eine durchaus ernstzunehmende Selbsteinschätzung – Risiken und Nebenwirkungen inbegriffen. Offiziell als „hochbegabt“ eingestuft, haben die genannten Attribute dazu geführt, dass mir das Leben fortwährend Geschichten schreibt, wie sie sich kein Drehbuchschreiber besser hätte ausdenken können. Kurzum: In schöner Regelmäßigkeit treffe ich auf außergewöhnliche, kuriose, schrille und mitunter nicht ganz ungefährliche Menschen. Ich ziehe schräge Persönlichkeiten an wie die Motten das Licht.

Was sich im Laufe der letzten fünfzehn Jahre an lustigen, verrückten und absurden Begegnungen angesammelt hat, ist Thema dieses geistigen Ergusses. Die 35 spektakulärsten Begebenheiten sollen in den folgenden Kurzgeschichten in chronologischer Reihenfolge erzählt werden. Ob es im Einzelfall witzig oder eher traurig war, und vor allem für wen, das möge der geneigte Leser selbst entscheiden.

Ich bin studierter Naturwissenschaftler, beruflich voll ausgelastet, und weil das alleine nicht genügt, betätige ich mich auch noch als Autor, Dichter, Poetry Slammer, Übersetzer, Immobilienmakler und Musikjournalist. Nicht immer alles gleichzeitig, aber meist viel zu viel davon in kurzer Zeit. Ich tanze eben gerne auf mehreren Hochzeiten – nur nicht auf meiner eigenen!

Während mich eine ehemalige Bekannte bereits zu einem „Gesamtkunstwerk“ erhob, bekam ich von einer guten Vertrauten, die mich wohl besser kennt, Folgendes zu hören: „Du bist der größte Narzisst, den ich jemals getroffen habe!“ Zwar mag ein Fünkchen Wahrheit darin stecken, doch nutze ich die Übertreibung viel lieber mit voller Absicht als Stilmittel, gerade im Hinblick auf die ausschweifende Darstellung meiner „Leistungen“ und „Erfolge“. Immerhin habe ich längst meinen eigenen Fan-Club! Wenngleich sich die Anhängerschaft noch etwas vergrößern könnte… aber die eine Person aus Österreich kann sich doch nicht irren?!

Spaß beiseite! Bei literarischen Wettbewerben kann sich der NichtGanzDichter in der Regel schon ganz ordentlich platzieren. Eine andere Freundin eröffnete mir kürzlich, dass sie viel darum geben würde, könnte sie nur mal für einen Tag Mäuschen in meinem daueraktiven Gehirn spielen. Nur... ob das wirklich ein so vergnüglicher Ausflug wäre? Immerhin gilt nach wie vor das Georg-Büchner-Zitat: „Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“ Somit wird Abgründiges auch in den folgenden Ausführungen nicht gänzlich fehlen.

By the way: Jedes Wort, das in den Geschichten des nicht ganz Dichten geschrieben steht, ist wahr – wenngleich Personennamen und teilweise auch Orte verfremdet wurden. Es ist wirklich so krass, so lustig, so bekloppt, so böse und oft auch so schön gewesen. Hunderte Begegnungen hat es gegeben, einige Situationen waren bewusst herbeigeführt, wozu alleine über 30 Dates mit verbundenen Augen gehören. Manche Erfahrung war flüchtig, manche intensiv, aber allen dahinter stehenden Menschen gebührt an dieser Stelle doch ein großer Dank. Und mittendrin statt nur dabei: die bald 90-jährige Oma, die in so mancher Geschichte auftauchen wird! Ach ja, wie es sich für einen peniblen Zahlenfreak gehört, wurde selbstverständlich alles Geschehene in einer großen Excel-Tabelle protokolliert.

Es würde den Verfasser dieser Zeilen durchaus freuen, wenn am Ende der Lektüre die Erkenntnis stünde, dass der „NichtGanzDichter“ seinen Namen nicht ganz umsonst trägt. Dabei handelt es sich zweifellos um eine ambivalente, facettenreiche und bestimmt nicht wirklich „normale“ Persönlichkeit, die sich selbst immer wieder mit den drei anfangs erwähnten, markanten Schlagwörtern zu umreißen pflegt: originell, speziell, schwerstbegabt!

Lesen Sie selbst – und viel Spaß!

Der verrückte Professor

Richtig verrückt ging es im Jahre 2003 im schönen Bayern zu. Kurz nach Ende meines Studiums wollte ich meine erste Arbeitsstelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter antreten. Zwar war es mir nie wichtig, einen Doktortitel zu tragen, zumal Geld und Status für mich keine allzu große Rolle spielen, aber ein paar Jahre in einem herausfordernden Umfeld mit geistiger Arbeit zu verbringen, das reizte mich, den „Schwerstbegabten“, damals ganz gewaltig.

Endgültig attestiert wurde die Hochbegabung übrigens, als ich 14 war. Die neunte Klasse übersprang ich auf Drängen der Lehrkräfte. Es folgten: unverändert sehr gute Noten, die Teilnahme an speziellen Akademien für „Gleichgeartete“ – und soziale Anpassungsschwierigkeiten. Dass es im Leben auf vieles mehr ankommt als auf reine Leistung und Wissen und dass Herzensbildung so manchen genialen Geist um Längen zu schlagen imstande ist, das habe ich im Laufe der Jahre erst noch gelernt. Das Gymnasium verließ ich zunächst ganz im Stile eines waschechten Schwerstbegabten, nämlich als Jahrgangsbester mit neuem Punkterekord.

Für das mathematisch orientierte Studium verschlug es mich sodann in die süddeutsche Provinz. Ausgerechnet in Bayern sollte der Start ins „richtige Leben“ glücken. Nun ja, zumindest schien die Hochschule, an der ich als Assistent tätig werden wollte, einen besonders guten Ruf auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften zu genießen. Die Betonung liegt auf „schien“. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Es gab gute Gründe, weswegen die ausgeschriebene Stelle schon seit längerem unbesetzt war! Das Fachgebiet des Professors hatte mit Ökonomie zu tun, und in diesem Bereich sollte ich eine Doktorarbeit anfertigen. So der Plan.

Doch es kam alles ganz anders. Es war im so genannten Jahrhundertsommer mit Temperaturen um die 37 Grad, die fünf Wochen anhielten, ohne dass ein einziger Tropfen Regen fiel, als ich in diesem beschaulichen Städtchen eine höchst hitzige Zeit verlebte. Die Zweizimmer-Wohnung im Villenviertel war hübsch eingerichtet, durch das Schlafzimmerfenster war es sogar möglich, dem Rauschen des nahegelegenen Flusses zu lauschen. Doch schon am nächsten Morgen war es vorbei mit dieser Romantik. Statt plätscherndem Gewässer hörte man in der Lehranstalt nur eines: ein lautes Brüllen! Es war das Geschrei des Professors!

„Sagen Sie mal, wollen Sie mich verarschen? Wollen Sie mich veraaarschen? Wollen Sie mich veraaaaaaaaaarscheeeen?!“, schrie der kleingeratene, dünne Vollbart-Träger mit mir herum – wenn er mir nicht gerade davon erzählte, wie er als „Hobby-Kriminalist“ und Detektiv die Machenschaften der jugoslawischen Mafia in seiner Heimatregion aufdeckte. Manchmal schrieb er nach eigenem Bekunden aber auch Unternehmen an, um Informationen über Widersacher zu sammeln, die ihn angeblich bekämpfen. Dies tat er unter falscher Identität – unter seinem richtigen Namen erhielt er schon lange keine Auskünfte mehr. Woran das wohl lag?!

Dass dieser Mensch das Prädikat „verrückt“ wirklich mehr als verdient hat, bewies er auch anhand der Themenauswahl, die er mir bei der wissenschaftlichen Arbeit zugedachte. Anstatt mich mit fachspezifischen Aufgaben zu betrauen, wie man das hätte erwarten können, sollte ich mich in die folgenden Gebiete einarbeiten: Nächstenliebe, Altruismus, „Wer wird Millionär“. Doch gelang dies offenkundig nicht immer gänzlich zur Zufriedenheit dieses Hochschullehrers, so dass er eines Tages nicht mehr nur herumbrüllte, sondern mich durch das komplette Gebäude verfolgte, bis ich schlussendlich die Tür der Bibliothek hinter mir zuschlug, körperlich glücklicherweise unversehrt.

Da mir das Gebaren des Dozenten zunehmend suspekt vorkam, startete ich nun meinerseits eine eingehende Recherche – und fand Interessantes heraus: Vor meiner Zeit hatten innerhalb weniger Jahre bereits vier Assistenten dieses Professors das Weite gesucht. Kaum einer hatte es länger als ein paar Monate mit diesem lautstarken Giftzwerg ausgehalten. Promoviert hat dort übrigens niemand. Das alles wusste anscheinend auch die Hochschulleitung. Aufgrund der hohen Aggressivität des Lehrkörpers und der damit einhergehenden potentiellen Gefahrenlage gestattete man es mir, die restlichen Monate in sicherer Entfernung von diesem Schreihals zu verbringen. So verdingte ich mich notgedrungen als Übersetzer und Pressefotograf, was sich im Übrigen als deutlich interessanterer Zeitvertreib herausstellte als die „Assistententätigkeit“ am Lehrstuhl. Besagter Professor hat sich mittlerweile in den wohlverdienten Ruhestand gebrüllt.

Frau Li

Wenn ich diesen Namen im Freundeskreis auch nur ausspreche, schrillen bei so manchem sofort die Alarmglocken: Frau Li! Die dazugehörige Dame mit fernöstlichem Einschlag ist schließlich berühmt und vor allem auch berüchtigt, was nicht nur an ihrer besonders liebenswerten Art liegt, sondern an den vielfältigen „speziellen“ Seiten, die sie ebenfalls aufzubieten hat: Man könnte auch von stark ausgeprägtem Gefühl oder von extremem emotionalem Potential sprechen – um es vorsichtig zu formulieren.

2005 lernten wir uns über eine Freizeit-Annonce in einem Stadtmagazin kennen. Auf Anhieb hatten wir uns einiges zu erzählen und vor allem: zu lachen! Augenscheinlich sympathisch kam die ausschmückende Sprache daher, derer sich diese Münsterländerin Ende 30 immer wieder bediente: Statt „Arm“ sagt sie beispielsweise „Flügel“, statt Mund „Schnütchen“, die Brüste sind für sie „Milchtüten“… und in ihrem Betrieb sieht man so manchen Facharbeiter hinter abgestellten Paletten „herumjückeln“. Was das bedeutet, sei der Fantasie eines jeden Lesers überlassen. Die Wortschöpfungen von Frau Li waren jedenfalls derart treffend und witzig, dass ich sogar ein eigenes „Lexikon“ darüber entwarf.

Eine andere Seite dieser Lady war und ist… ihre Dominanz! Was sie sagt, ist Gesetz. Bei Nichtbeachtung erfolgt die Strafe auf dem Fuß. In ihrer Firma bedeutet das: Unflätige und besonders gerne ungewaschene Männer bestellt sie schon mal zu sich ins Büro und faltet sie zusammen. Man muss sich eben durchsetzen! In der Anfangszeit unseres Kennenlernens war für uns beide vor allem Folgendes stilbildend: Emotionen, Dramatik, Eifersucht, Anschreien am Telefon, wüste gegenseitige Beschimpfungen mit der folgerichtigen Konsequenz des Höreraufknallens. Da sich die Wogen meist so schnell nicht wieder glätten wollten, vermag es auch nicht zu überraschen, dass man sich während einer Zeitdauer von elf Jahren gerade einmal fünf Mal im realen Leben getroffen hat. Zu lang waren die dazwischen liegenden Kontaktpausen.

Die erste Begegnung hatte es dafür so richtig in sich: Wieder einmal hatte es Auseinandersetzungen am Telefon gegeben (einen triftigen Grund vermutlich eher weniger). Die Nerven lagen blank, die Stimmung war schlecht, doch eines muss man der sehr gut aussehenden Geschäftsfrau mit den langen dunklen Haaren ja lassen: Was sie verspricht, das hält sie! Da sie mir ein erstes Date zugesagt hatte, sprach sie nach der jüngsten Konfrontation die folgenden Worte, die ich nie mehr vergaß: „Ich werde dich treffen. Aber nicht, weil ich es will – sondern nur, weil ich es versprochen habe!“

Gesagt, getan. So machte sich Frau Li, die selbst im Luxus lebt und stets schmuckbehängt und perfekt gestylt das Haus verlässt, also tatsächlich auf den Weg zu meiner damaligen winzigen Wohnung (meine heutige Wohnung ist übrigens noch winziger). Als wir uns so das erste Mal Auge in Auge gegenüberstanden, mussten wir beide nur noch eines: nein, nicht wegrennen! Sondern ganz laut drauf los lachen! Zu skurril war die Situation angesichts unserer bewegten Vorgeschichte. Die Begegnung selbst verlief zum Glück weitgehend störungsfrei. Die mitgebrachte, mit Parfüm eingesprühte Plüschente nimmt noch heute in meinem Zimmer ein Ehrenplätzchen ein.

Nur an einem Umstand hatte mein Besuch gehörig etwas auszusetzen: Ja, es war der hygienische Zustand meiner Räumlichkeiten. Oder wie Frau Li es ausdrückte: „Was ist denn das für eine Räuberhöhle?!“ Schließlich ist die Dame ausgewiesene Qualitätsmanagerin – und auch im Privaten ist sie derart reinlich, dass man in ihrer Wohnung jederzeit vom Fußboden essen kann. Davon habe ich mich persönlich überzeugt! In meinem „Rattenstall“ fühlte sie sich nicht wirklich wohl.

Bei einer späteren Begegnung verschlug es uns übrigens in ein stilvolles Restaurant in einer weniger stilvollen Stadt im Ruhrgebiet. Auch das wurde lustig. Kurzerhand bestellte sie nämlich einfach das Essen für mich mit! Den Grund konnte sie mir plausibel erklären: „Ich bin sehr vielen Mitarbeitern gegenüber weisungsbefugt. Und dir gegenüber bald auch!“ Zur Belohnung wurde ich im Anschluss intensiv „abgeküsst“. Und für den Fall des Falles haben wir bereits einen „Beziehungsvertrag“ aufgesetzt. Darin ist alles bis ins Detail geregelt – vor allem die Rechte und Pflichten der Beteiligten. Heißt im Klartext: ihre Rechte und meine Pflichten! Ja, diese ganz besondere Frau Li muss man doch einfach lieb haben.

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