Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Inhalt
Vorwort
I.
II.
III.
Impressum und Copyright
Eva Ruth Wemme
Silvia Cristina Stan

AMALINCA
Roman
signet

Die beiden Frauen sind erfunden, aber ähneln uns. Auch die beiden Kinder Iacov und Vinzent sind bloß Figuren, aber wir haben Kinder, die so sind wie sie. Eine von uns schreibt, die andere spricht.

Vorwort

Ende März 2011 reiste ich, Miri, nach Chișinău in die Republik Moldau. Ich war mit dem Nachtzug von Bukarest aus losgefahren, rollte durch Rumänien, jenseits der Fenster kaum beleuchtete Dörfer. Lange starrte ich in die Dunkelheit. Erst gegen Mitternacht zog ich die sehr unordentlich, anscheinend von Hand genähten Gardinen am Fenster zu, jemand hatte viele Male das Wort Moldova darauf gestickt, wahrscheinlich eine wackelige Maschine, keine unermüdliche Frau, aber sicher war ich nicht. Später hatte ich mich auf die nach altem Plastik riechende Sitzbank gelegt und versucht, mich auszuruhen. Manchmal blinzelte ich zweifelnd zur Tür. Sie ließ sich nicht zuschließen, etwas klemmte. Doch war auf dem Gang nichts zu hören. An den Bahnhöfen lauschte ich jedes Mal, ob jemand einstieg und sich für mein Abteil interessierte. Keiner kam und ich hörte bald auf, mir Sorgen zu machen. Mir war schließlich noch nie etwas passiert, nur weil eine Tür nicht schloss. Ich machte es mir zum Schlafen bequem.
Gegen eins hielt der Zug in Bacău. Die Tür des Abteils ruckte laut und rollte in der Metallschiene zur Seite. Ein Mann kam herein, stand vor mir und grüßte unverständlich. »Bună seara«, sagte ich reflexhaft auf Rumänisch. Ich wollte ihn nicht neugierig machen, als Ausländerin. Eine Deutsche würde er vielleicht mit Fragen löchern wollen, um sich die Zeit zu vertreiben. Eine müde Rumänin war ihm hoffentlich egal.
Erst später wusste ich, es wäre besser gewesen, Deutsch zu sprechen, west-östliche Distanz zu schaffen. Der hereinkommende Mann war kein schüchterner Reisegast, sondern betrunken. Ich blieb zunächst liegen, kam mir plötzlich ausgeliefert vor, setzte mich auf. Ich konnte sowieso nicht schlafen, und: Besser aufrecht sitzen und auf alles gefasst sein, als sich liegend fürchten, dachte ich, alarmiert von seinem Geruch. Der Mann ließ sich auf die gegenüberliegende Bank fallen, legte seine Lederjacke ab, zog sie auf links und fing an, auf mich einzureden.
Selten hatte ich mich so mitgenommen gefühlt wie am nächsten Tag nach meiner Ankunft in Chișinău. Mein Hotel hatte ich nur mit Mühe gefunden, es hatte in Berlin keinen Stadtplan zu kaufen gegeben. Dann hatte ich vergeblich versucht, in meinem Zimmer beim Lärm einer Baustelle zwei Stunden zu schlafen, duschte mit kaltem Wasser, verließ schließlich das Hotel und setzte mich im Stadtpark auf eine Bank. Benommen vor Müdigkeit hatte ich an einem der kleinen Fenster mit dem Schild Valiutschik in der erstbesten Seitengasse fünfzig Euro gegen ein zerschlissenes Bündel Geldscheine eingetauscht und an einem Kiosk zwei Kartoffelkuchen gekauft. Ich packte sie aus der Folie, sah mich um, Krokusse blühten, die Bäume waren noch kahl. In ihren Baumkronen saß immerhin eine weiße Frühlingssonne. In dieser friedlichen Umgebung beruhigte ich mich langsam, nach allem, was in der letzten Nacht vorgefallen war. Und ich versuchte mich zu erinnern, was ich hier eigentlich verloren hatte.
Ich war noch nie vorher in der Republik Moldau. Ich hatte auch keine besondere Lust gehabt, hierher zu kommen. Für meine Arbeit als Übersetzerin moldauischer Prosa brauchte ich aber ein paar Informationen, ich hatte mir vorgenommen, das Land kennenzulernen. Dafür hatte ich ein Stipendium bekommen, und ich wollte sowohl etwas über Moldova erfahren und nebenbei auch das Geld einkassieren, um den März zu überbrücken. Als Übersetzerin wollte ich die Bedeutungen des Moldauischen Rumänisch verstehen, ich hatte nämlich gemerkt, dass ich den Humor in den Texten meistens übersah, ich verstand ihn nicht, ich las das »Lustige« immer als »Tragisches«, ich hatte also wirklich überhaupt keine Ahnung.
Wenn mich jemand fragt und ich in Stimmung bin, erkläre ich, dass Übersetzen wie Seiltanzen ist. Seiltänzer stillen ihr Fern- und gleichzeitiges Heimweh mit einem wackeligen Spaziergang. Ich auch: Das Seil der Übersetzer ist gespannt zwischen der todsicheren Annahme von Verschiedenheit und der wortweise erhofften Möglichkeit, die Verschiedenheit aufzulösen. Das Gleichgewicht hält der Übersetzer mit dem Regenschirm der Intuition. Mein Handwerk, finde ich, ist aus der babylonischen Verzweiflung geboren, die ich für einen kurzen Moment mit dem Mitreisenden im Nachtzug nach Chișinău teilte, mit Vasile. Oder anders gesagt: Es ist ein Handwerk, das aus der Fremdheit kommt. Oder: aus der Verlorenheit, keiner privaten, in Therapien zu lindernden, sondern einer strukturellen, mengentheoretischen.
Ich saß auf der Bank im Zentralpark von Chișinău und fühlte mich langsam besser, bereit, mit dem »Verstehen« anzufangen – wo war ich? Entdeckerlust. Ich sah mich um. Das Sortiment eines Luftballonverkäufers schwankte an einem Bündel Fäden. Ein Mann las auf einer benachbarten Parkbank seiner Frau auf Russisch vor. Sie aß ein gekochtes Ei, lauschte und hielt sich dann an seinen Knien fest. Tauben umflatterten Kinder mit Brottüten. Nach einer halben Stunde Parkbeobachtung kam es mir vor, als wäre die Ruhe der Vorbeischlendernden, der Frauen mit grellen Stöckelschuhen und der Männer mit ihren nassglatten Frisuren eine tückische Erscheinung und diese Spaziergänger wären anders, als sie schienen. Waren sie nicht irgendwie … aggressiv, gewalttätig oder wenigstens angespannt? Als säße ihnen ein furchtbarer Schreck in den Knochen, ein historischer, kollektiver vielleicht, und sie müssten sich unbedingt beruhigen und im Park einmal durchatmen, so tun, als wäre dies nichts anderes als ein friedlicher Nachmittag. So, auf der Parkbank, vergaß ich für eine Weile, dass eigentlich bloß mir selbst der Schreck in den Knochen saß.
Die Tür des Abteils ließ sich nicht verschließen; ich lag mit offenen Augen auf der wippenden Bank und hörte den Rädern und Schienen unter mir zu … als Vasile hereinkam, nichts außer einer Flasche Bier im Gepäck.
Ich setzte mich auf. »Bună seara. Was wollen Sie hier?«, fragte ich auf Rumänisch. Er sagte, er sei vom Schaffner hergeschickt worden, hier sei sein Sitzplatz. Ich setzte mich am Fenster an das kleine Tischchen mit Tischdecke, holte Stift und Papier aus meiner Handtasche und begann zu schreiben. Was mir in den Kopf kam, Kritzeleien. Als Kind habe ich geglaubt, Schreiben könnte äußere Gefahren abwenden, indem es einen für die Außenwelt unsichtbar macht oder mit einer Schutzschicht umgibt.
Vasile sagte, er fahre bis Iași, kurz vor der Moldauischen Grenze. Wir sollten uns besser unterhalten, damit er nicht einschlafe. Und warum ich so erschrocken sei. Was ich da schreibe, ob er das lesen dürfe, warum ich so tue, als sei ich Ion Creangă oder Eminescu.* Er griff nach meinem Block.
Als ich ihn seiner Hand entriss, sagte er »Hoh!« – »Wie zu einem Pferd«, notierte ich. Da stand er auf und verbeugte sich: »Ich bin Vasile, Guten Abend, Fußballer und Sportlehrer«. Er tue mir nichts, er zeige mir auch seinen Pass. »Siehst du, ich bin Rumäne.«
Er schob mir seine Papiere hin. Auf dem Tischchen verschob sich das fadenscheinige, grob vernähte Eisenbahndeckchen, auf das ich meinen Block gelegt hatte. Vasile stützte die Hände auf seine Knie und sah mich an. Er wolle mir nichts Böses tun. »Was bist du für ein schreckhaftes Mädchen.«
Als ich verärgert aufstand und draußen auf dem Gang nach dem Zugbegleiter sah, war der verschwunden oder es gab ihn gar nicht.
Vasile folgte mir. »Ich lass dich in Ruhe, Ehrenwort.« Er bat mich wieder ins Abteil. Resigniert stellte ich mich schlafend, ohne zu wissen, wie ich mich bis Iași so aufrecht halten sollte, mit geschlossenen Augen, die Ellenbogen auf das verrutschte Deckchen gestützt, die Taschen zwischen den Füßen. Vasile hatte inzwischen offenbar über mich nachgedacht: Wenn ich ihm meinen Namen nicht sagen wolle, er habe einen für mich: »Gabi! Ein schöner Name. Und: Was haben sie dir getan, Gabi? Warum bist du vor mir so erschrocken? Gabi? Hörst du? Gabi! Gabilein?« Jetzt, wo er meinen Rucksack sehe, da werde ihm alles klar. Ich sei aus der Republik Moldau. »Gabi? Gabi! Behalte das immer im Kopf. Die physische Kraft vermag nichts über den Geist! Nichts! Gabi? Gabilein, kleine Gabi. Hat dich dein Vater missbraucht? So machen sie es ja da bei euch.« Vasile murmelte einen Fluch. »Bist du aus Moldova, wolltest nach Europa, und sie haben dich an der Grenze zu Ungarn zurückgeschickt? Mach dir nichts draus. Das passiert eben mal. Haben sie dich geschlagen und dir Hiebe auf die Fußsohlen gegeben? Ich weiß, so machen sie es. Glaub mir, das tut mir sehr leid, sehr leid. Gabilein! Rede mit mir! Gib mir Ohrfeigen! Schlag mich! Vielleicht geht es dir dann besser. Was haben sie dir bloß angetan?«
Ich hörte ihm zu und konnte plötzlich nicht anders, unsere Konversation schien mir so aussichtslos und verrückt, ich lachte, die Augen noch immer zugedrückt.
»Du lächelst. Siehst du, es gibt Hoffnung, wie schön du lachst«, sagte er.
Ich winkte ab und sah ihn an. »Ich lache, weil es so absurd ist, was Sie denken.«
»Absurd?«, fragte er empört, »du weißt nicht, was absurd ist, Gabi!« Als hätte er irgendeine schreckliche Vision, die vollständig auf »mein« trauriges Leben zutraf. Auf eine Welt jedenfalls, in der Frauen heimlich nach Europa flohen und er sich in der abscheulichen Situation sah, das stellte sich kurz darauf heraus, daraus Profit zu schlagen.
Auf der Bank im Park, umgeben vom Geruch kürzlich getauter Erde, fiel mir ein, wie ein befreundeter Fotograf nach jeder Reise sagte: »Das Misstrauen zwischen Reisenden und Einheimischen, es ist mir unangenehm.«
Seine Finger, die in ihrer fast durchsichtigen Haut immer aussahen, als würden sie in Laborhandschuhen stecken, griffen nach seinen Fotografien; ich sah, die Fotos trösteten ihn über die Enttäuschung »der ewigen Fremdheit zwischen den Menschen« hinweg. Ich betrachtete seine Abzüge und wie immer war es ihm gelungen, nichts Exotisches darauf zu zeigen, keine interessant aussehenden Ureinwohner oder wilden Tiere oder typischen Schmutz oder seltsame Bräuche. Nichts Empörendes oder Sensationelles. Jeder Ort der Welt könnte heimisch sein, behaupteten die Bilder. Im Objektiv meines Freundes verfingen sich, wenn er Menschen fotografierte, andererseits immer die gleichen Gesichter; wen er fotografierte, der schien mir immer dasselbe sagen zu wollen: Glaubst du, du kannst mich sehen? Ich bin nicht wie du.
Ich sagte über die Bilder gebeugt, er hätte recht, es wäre manchmal wirklich schwer, Fremdsein zu ertragen, weil man es immer verwechsele. Mit irgendeiner Vorstellung von Ungerechtigkeit oder einem Ungleichgewicht oder irgendetwas Disharmonischem. Und dann die erschütternde, existentielle Beleidigung, dass andere Menschen unser eigenes Leben nicht teilten. Aus diesem Grund, sagte ich dem traurigen Freund, tarne ich mich auf Reisen manchmal als falsche Einheimische. Damit ich niemanden verängstige. »Allerdings bist du dann«, sagte der Freund, »auch immer auf gewisse Weise gleichgültig.«
Vasile senkte sein Gesicht auf die Höhe meines Gesichts und legte seine Finger vor der Brust aneinander. »Gabi? Hör mal: Zuerst habe ich geglaubt, du wärst eine Deutsche. Aber jetzt ist es mir klar. Deine Panik … daran erkenne ich euch, ich weiß alles über dich, Gabilein, alles.«
Was ich mit Gabis Augen zu sehen und mit ihrem Körper zu fühlen versuchte, ließ mich – genau so wie in meiner eigenen Haut – nur wünschen, in Ruhe gelassen zu werden. Andererseits war ich wie gelähmt vor Neugier, was würde ich erfahren, wenn ich jetzt Gabi blieb und herausfand, was Vasile von ihr wollte?
Reisende in ferne Länder, ins Unbekannte – Weiße, die Richtung Dunkelheit fahren, sammeln Beweise, Hinweise, schnuppern, tasten sich in intime Bereiche vor, damit sie erfühlen, was sie nicht zu verstehen glauben. Die Aneignung dessen, was nicht ist wie sie, kommt ihnen nützlich und sehr notwendig vor. Fuhren ich und auch Vasile denn noch wie Kolumbus und alle ihm nachfolgenden Entdecker, Ethnografen, Pioniere, Schädelvermesser des 19. und 20. Jahrhunderts durch die Welt: ohne einen Zweifel an der »Mission«, voller Anmaßung und um unser fragwürdiges Selbstverständnis bangend? Am Ende einfach gierig?
Vasile strich sich über das Gesicht. Er war müde wie ich. Ich war ängstlich; und gleichzeitig fühlte ich, dass ich wissen wollte, was mit ihm passierte. Ich hätte Vasile verlassen können, aber ich blieb. Gabis Geschichte war so verlockend wie weiße Flecken auf der noch unvollkommenen Landkarte eines frisch in Besitz genommenen Kolonialreichs. Ich stieß mutwillig an ihre Ränder vor und dachte nicht daran, dass diese Expedition in meine eigene Erfindung führte, ich selbst hatte Gabi lebendig gemacht. Gabi musste erobert werden, am Ende könnte ich vielleicht etwas in den Händen halten, was ein mir unbekanntes Land wahrhaft repräsentierte. Ich konnte mein selbstzersetzendes Entdeckerfieber weder bändigen, noch wollte ich das.
Auch später, als ich, die Hände ölig vom Kartoffelkuchen, bei Tageslicht auf der Parkbank saß, wirkte das Forscherfieber trotz aller Müdigkeit nach. Deshalb war ich doch hier. Vor mir hatte ein Kollege Chișinău besucht. Er hatte von der »sowjetischen Gelassenheit« der Stadt gesprochen. Ich war schon nach den ersten Minuten hier nicht mit ihm einverstanden. Vielleicht war sein Blick gefärbt von DDR-Indoktrination, er glaubte möglicherweise, in eine Art sonntäglich stillgelegte Sowjetrepublik zu fahren, nostalgisch, da er aus dem Osten Deutschlands kam.
Auch ich stand unter Einfluss, fiel mir dann ein. Ich stamme, so sagte ich mir, von geflohenen und misshandelten Staatsfeinden der DDR ab. Ich habe ihre Abscheu gegen den Sozialismus übernommen. Ihre Stimmen hatten ganz deutlich in mir zu sprechen begonnen, als ich am Vormittag auf dem Weg zum Hotel die russische Architektur des 19. Jahrhunderts und die der ehemaligen Sowjetrepublik sah, die Plakatwände, die müden Gesichter der Menschen und die rostigen Schriftzüge an den Gebäuden. Ich habe in den inneren Stimmen das Echo einer maßlosen Wut gegen alles Sowjetische gehört. In meinem Kopf haben sich von selbst abschätzige Sätze gebildet.
Ich atmete die Frühlingsluft tief ein und nahm mir vor, diesen Impulsen nicht mehr zu folgen, sondern sachlich wie ein Lackmuspapier in das Land einzutauchen.
Es waren noch mehrere Stunden bis Iași. Vasile zog zwei Bögen Papier aus der Hemdtasche. »Ich zeige dir jetzt etwas, Gabi. Gerade komme ich aus Bukarest. Um neun Uhr morgens öffnet da das Amt; ich war schon halb acht dort. Sie kennen mich da, die Schalterdamen. Sie lassen mich vor den Öffnungszeiten herein. Sie verdienen ja auch daran. Die normalen Leute warteten seit zwei Uhr morgens vor dem Tor. Ich habe ihnen auf die Schulter geklopft, bin reingegangen und habe gesagt, ich habe nur bis zur Öffnung der Tür hier zu tun, danach kommt ihr dran, mein Wort drauf.«
Vasile hatte die Geburtsurkunde einer Mirela, einer Moldauerin, in eine rumänische umschreiben lassen. »Schau hin! Damit kann sie sicher und legal ins Schengengebiet. Sieh es dir gut an, und hier, auch die moldauische, das Scheißding. Mehr kann ich nicht tun, soll ich sie heiraten? Mission erfüllt. Jetzt kommt das Geld. Sportlehrer verdienen nicht viel. Aber ich komme zurecht – mit diesen Papieren. Alle kennen mich: Vasile. Ich bin und bleibe Vasile. Ich beschleunige die Bürokratie. Für zweitausend Euro. Ein bisschen Geld für ein besseres Leben.« Er lächelte auf einmal traurig und sagte: »An der Grenze nachher geht es für dich nicht weiter. Wetten, dass sie dich nicht lassen? Die Polizei wird dich rausholen. Ohne Visum. Zeig mir deinen Pass!«
Ich seufzte. Doch, natürlich, ich fahre nach Chișinău. Ich sei aus Bukarest, unterrichte dort an der deutschen Schule, log ich, sei Übersetzerin. »Du sprichst deutsch und lebst in diesem Scheißland?« Er schüttelte den Kopf. Dann griff er plötzlich wütend nach meinem Handy und wählte eine Nummer. »Ich rufe meine Schwester an, ich will hören, wie du mit ihr sprichst. Sie ist in Stuttgart, hat eine Putzfirma.«
Ich versuchte, es ihm wieder wegzunehmen, er ließ mich nicht. Vasile war nervös. Die Schwester nahm nicht ab, es war schon nach zwei. »Was ist dein Lieblingsgetränk?« »Orangensaft«, sagte ich. Vasile lachte abfällig. »Ja ja, du lügst. Bei euch trinkt man viel Palinka! He?«
Von der Parkbank aus sah ich drei junge Pärchen vorbeigehen. Ein Mann redete auf seine Frau ein, spuckte vor ihr aus. Die anderen beiden Frauen kamen dazu, wollten sie unterstützen, er schrie, sie sollten sich zu ihren eigenen Stechern scheren. Sie lachten und hielten sich die Hände vor den Mund. Um dann doch Gutwetter zu machen, stellte der Mann sich vor seine Frau und fotografierte mit dem Handy ihr unter den Rock. Sie lachte schrill und hüpfte zu ihren zwei Freundinnen. Dann gingen die drei Männer für alle Eis kaufen. Zwei von ihnen hielten sich dabei gekünstelt an den Händen und knickten in den Hüften ein. Dann lachten sie Tränen. Ich dachte, aha, dieselbe Grobheit, bei Vasile und bei diesen jungen Leuten da, und wusste auch nicht, wohin dieser Gedanke führen sollte. Und erinnerte mich an einen Satz, den ich kürzlich gelesen hatte: Wir fahren durch die Welt wie Züge mit hochexplosiver Fracht, die nicht wissen, was sie geladen haben.**
Vasiles Gesicht zeigte eine Verzweiflung, die uns irgendwie miteinander verband, so kam es mir vor, wir waren beide wirklich verloren in unserer Blindheit und unseren Fantasien. Ungehalten schloss ich die Augen. »Lassen Sie mich in Ruhe!« Er schüttelte den Kopf. »Nicht so arrogant, Gabi, ich rede auch höflich mit dir. Aber ich nehme all das auf mich, deine Bosheit, deinen Hochmut, damit du ein bisschen Glück hast heute. Denn ich sage: Komm mit mir nach Iași. Ich glaube nicht an den Zufall, ich musste dich hier treffen, Gabi. Leg dich bequem hin. Du willst schlafen? Ich auch. Ich werde neben dir schlafen. Streck dich aus. Und ich neben dir. So will ich es. Ich habe mich in dich verliebt. Ach, Kraft siegt nicht über den Geist, wie schade. Warum willst du das nicht?« Er tippte an meine Füße. »Wer hat dir diese Socken gestrickt? Deine Großmutter? Du willst nicht, dass ich dich anfasse? Doch, es gefällt dir! Darf ich dich anfassen, ohne dass du gleich zusammenzuckst wie ein angestochenes Ferkel?« Er tippte an mein Knie. Ich schlug seine Hand zurück, griff nach meinen Sachen, um das Abteil zu verlassen. Vasile sprang auf, löschte das Licht und verriegelte das Schloss. Plötzlich funktionierte es. Er sagte drohend: »Und? Ist es so besser? Ist es so gut? Ja?« Als ich aufstand, stellte er sich vor die Tür. Ich stieß ihn weg, wunderte mich, wie leicht er zur Seite schwankte, sah im Halbdunkel, wie verwundert auch er aussah. Ich schrie um Hilfe, er sah mich an, als hätte ich das Spielbrett umgestürzt, kurz bevor ich verlor. Ich öffnete die Tür, die ich am Abend nicht hatte verschließen können.
Ich habe in Vasiles Gesicht wie in einen halbdurchlässigen Spiegel gesehen. Der ins Unendliche weisende Korridor darin hat mir und Vasile eine Frage gestellt. Wer bin ich? Und die Antwort auf die Frage nach Identität drückte sich durch Gewalt aus, eine beginnende Vergewaltigung. Jetzt, dieser Antwort entkommen, sah ich im Park die anderen, die an meiner Stelle hätten sein können. Die echten Moldauerinnen. Ich hatte über die politische, gesellschaftliche Lage dieses Landes gelesen. Die absurde Frage nach der »nationalen« Identität zwischen Russland und Rumänien und dem daraus resultierenden beidseitigen Hass. Ich war sicher, dass alle um mich herum sich derselben Frage und damit auch derselben dumpfen Antwort ausgesetzt sahen. Ich dachte in diesem Moment auch, dass dieses Land sich nur durch einen sehr obszönen Ausdruck würde beschreiben lassen.
Im Gang des Zuges sah ich aufgehende Türen und schlaftrunkene Gesichter. Zwei Frauen, die mein Schreien gehört hatten. Ich floh in ein leeres Abteil und schloss mich ein. Im Morgengrauen wurden die Räder der Waggons abmontiert und breitere, einst sowjetische Achsen angeschraubt, so gelangte ich nach Chișinău.
Während ich noch immer erschüttert über dieses Erlebnis nachdachte, kam ich mir vor wie die Erfindung eines Autors, wie dessen Kunstgriff: die beschämte, vergewaltigte Gabi, in der sich etwas Ganzes – eine ganze Republik – spiegelte. Ich, die literarisch denkende Übersetzerin, wollte das einen Augenblick lang so verstehen. Alles griff doch in dieser Hinsicht ineinander wie in einem einigermaßen komplizierten Text. Ich vergaß, dass es die verlorene und beschämte Gabi nicht gab und dass es also auch keine Betrachterin geben konnte, die ein offenbar Ganzes hätte hineindeuten und herausübersetzen können. Ich tat es trotzdem, um meine Wut auf den fremden Fahrgast zu dämpfen.
Auch an den folgenden Nachmittagen kam ich in den Park. Ich lauschte. Ich begann zu bemerken: Die Stille der Republik Moldau etwa war in Wirklichkeit – die simple Stille eines Donnerstagnachmittags. Ein wenig Baulärm und einmal eine Sirene, die ein paar alte Damen, auch mich, in den Himmel sehen ließ, als fürchteten wir einen Fliegerangriff. Ich erfuhr später von meiner Freundin Nicoleta, dass es sich um probeweisen Erdbebenalarm gehandelt hatte. Der Bürgermeister von Chișinău hielt das Unglück von Fukushima für eine Gottesstrafe, die den Homosexuellen von Japan gegolten hatte. In der Republik Moldau gab es neuerdings auch sichtbare Homo­sexualität, trotz Polizei und Popen. Der Bürgermeister wollte seine Schäfchen mit dem Erdbebenalarm warnen und zu Zucht und Ordnung rufen. Er war jung und galt als tolerant. Er hatte für Chișinău endlich neue Trolejbusse aus Weißrussland gekauft.
Ich hatte immer mein Notizbüchlein dabei. Meine täglichen Erlebnisse und ihre Bedeutung, landeskundliche Wahrheiten, notiert in eiliger, meist empörter Kritzelschrift, verknüpften sich mit den Geschichten, die meine neuen Bekannten erzählten. Im Laufe der Wochen hatte mir Nicoleta ein paar Freunde vorgestellt. Meine Notizen, in der Botanisiertrommel, wurden zum »Sammelsurium«.
Ich schrieb:
Meine Freundin Nicoleta hat erzählt: In den moldauischen Gefängnissen sitzen Jugendliche, die nach Stundenplan zur Vergewaltigung den männlichen Insassen zugeführt werden. Sie hat diese Information von einem Gefängniswächter, der mit dieser Praxis ganz einverstanden ist. Die Jugendlichen, mit denen sie gesprochen hat, sagen, Freiheit, das wäre Zuhausesein. Sie stechen sich mit Draht Tattoos: Mama, vergib mir die Tränen, die du um mich vergossen hast. Es fehlt nicht an wichtigen Leuten, die das wissen, doch alle halten es für gut, so wie es ist.
Nicoletas Freundin Sara sagt: Es ist typisch, dass eine moldauische Braut am Tag ihrer Hochzeit stirbt, weil sie sich schämte, zur Toilette zu gehen. So weit her ist es mit dem weiblichen Selbstbewusstsein.
Der Psychologe Dan erzählt: Ein Bus mit Homosexuellen, die in der Stadt für Toleranz demonstrieren wollten, ist von zehntausend Bürgern, von extra über die Grenze gekommenen transnistrischen Kampfsportlern und von hiesigen Polizeieinheiten mit Steinen beworfen worden.
Peter: Eine gerade im Park aufgestellte Menora ist zum Marientag aus der Erde gerissen worden, und der Pope sagte darauf, kein Sau-Jude wird uns diesen christlichen Feiertag kaputt machen. Er hat vierzig Euro Bußgeld wegen Rassenhass gezahlt und behauptet, er werde täglich im Voraus vierzig Euro bezahlen und es immer wieder sagen.
Heute hat Nicoleta mich auf Stadtbesichtigung geschickt: Das Nationalstadion – war eine Ruine, durch die Aussparung in der Mauer, die so etwas wie eine Eintrittskasse sein sollten, sah ich auf eine große Brache, ungeeignet für Sport.
Der »Stadtpark« – ist eine von Autospuren zerfurchte Wüste, der darin angelegte See ein Schlammterrain, in dem rostige Bagger stehen.
Das historische Museum – ist eine zusammenhanglose Sammlung nicht zu deutender Gegenstände, das Kellergeschoss in psychedelischen Farben ausgemalt: die Erdzeitalter, zwischen den Glasvitrinen strickende Wächterinnen.
Ich sammele Daten. Die Plakatinschriften an den Straßen: Auf nach Europa, in eine angenehme Zukunft! Darunter das Bild einer Dampflok.
Oft das Plakat: Liebe dein Land!
Ein Freund erzählt, es wären Berühmtheiten gefilmt worden, im Rahmen einer Kampagne, sie sollten sagen: Ich liebe die Republik Moldau … – eine Sängerin hätte das nicht sagen wollen, die Republik Moldau wäre weiblich und sie auf keinen Fall homosexuell.
Weitere Geschichten, über einen Schuster, der es in den letzten Jahren zum Millionär gebracht hatte und sich in den Hügeln um Chișinău ein gotisches Schloss bauen ließ.
Über einen Lehrer, der Legebatterie-Hühner kaufte, die nicht einmal zum Körnerpicken aufstehen konnten, er brachte ihnen das Laufen bei.
Dan: »Mein Vater, ein Rumänischstämmiger, hat früher bei der sowjetischen Armee gedient. Er hat sich dort wohlgefühlt und seine Frau später bedrängt, ihm Essen ›wie in der Armee‹ zu kochen, Nudeln mit darüber ausgekippten Fischdosen. Gefühle, keine Werte. Das sind wir Moldauer. Sie kochte seiner Meinung nach nicht gut, nicht wie in der Armee eben, obwohl er die Russen hasste.«
Ein trauriges Bild, so kam es mir vor, ein Blick durch ein ziemlich schmutziges Kaleidoskop.
Nach der Rückreise erzählte ich allen von der Republik Moldau, immer empört. Bis mir irgendwann auffiel, dass meine Schlussfolgerung über die Republik nicht düster, sondern inhaltslos war. Meine Sammlung ließ sich, wie die Gegenstände des Chișinăuer Nationalmuseums, zu nichts Sinnvollem zusammensetzen. Sie war wie ein bröckelnder Gipsabdruck meiner Suche nach einem verstehbaren Ganzen. Ich hatte alles gut notiert …
… und las es noch einmal … Ich erinnerte mich. Ich hörte Nicoletas Stimme, ein Echo, sie war wütend. Dans Empörung, ich erinnerte mich, Sara, als sie mit Rührung von den Hühnern ihres Lehrers sprach. Ich hörte auch mich verwundert sprechen. Die Lektüre zerfiel zu unseren Stimmen.
Mein Freund, der Fotograf, nickte zufrieden zu dieser Entdeckung. »Mein Traumland«, sagte er, »hätte keine Fahne, nur einen Spiegel, er würde kein Land oder keine Nation repräsentieren, sondern nur ein paar Menschen in seinem Widerschein vereinen und dann in Scherben zerfallen.« Er sei wertlos. Er sagte: »Vielleicht besteht Gabis Körper aus so einer Scherbe.« Während meiner Reise nach Chișinău, fiel ihm ein, sei ich vielleicht die ganze Zeit eine Spiegel-Gabi gewesen; ein matter Spiegel, in dem sich andere besehen und mich – wie zweifelnde Märchenköniginnen – befragt hätten. Er ging ein bisschen zu weit. »Und ich?«, war meine Frage. »Du hast dich wieder in denen gespiegelt. Du merkst also«, sagte der Fotograf, »wir könnten im besten Falle einer vor dem anderen wie die Fata Morgana eines freien Landes erscheinen, und dessen Grenzen beständen aus Licht und Schatten, nichts weiter!«
Ich habe eigentlich, antwortete ich, auch nur darüber hinwegkommen wollen, dass ich mal einen Text nicht verstehen und nicht gut übersetzen konnte. Und habe deshalb behauptet, das läge an den zu merkwürdigen Texten, ich müsste mir das erst aneignen – was auf meiner Reise nicht gelungen wäre. Stattdessen hätte ich aber ein paar andere begriffsstutzige oder babylonisch verlorene Menschen getroffen. Wir haben uns Geschichten erzählt, in der Hoffnung, jemand würde uns hören. Wir haben beim Bier gesessen wie in einer erträumten Truth-Comission, und das, so sei es uns vorgekommen, war, als hätten wir ein frisch gedrucktes Buch aufgeschlagen und darin gelesen. Und wir hätten es in der Mitte aufgeschlagen, ohne System, nicht am Ende und nicht am Anfang.


Für Iacov und Vinzent
Eine Gadscha und eine Romni. Während der Sommer zu Ende geht, treffen sie sich in einem Berliner Hinterhof, um gemeinsam einen Arzt aufzusuchen und zu erkennen, dass nichts so ist wie gedacht. Leidenschaftlich sind beide Kind gewesen, haben ihre Welten aufbrechen sehen und sie verlassen. Verschiedene Sprachen, verschiedene politische Systeme, verschiedene Kulturen, trotzdem laufen ihre Leben parallel, ergeben Interferenzen. Die geschriebene Geschichte der einen und die auf Band gesprochene Erzählung der anderen überlagern und kreuzen sich. Die Freundschaft der beiden Frauen beginnt wie ein Mythos der Hoffnung, obwohl beide eigentlich, so sagen die anderen, nicht zusammenpassen können. Sie stürmen das Alltägliche, triumphieren, telefonieren, kochen, spazieren, erzählen, während es vom ersten Augenblick an um nichts anderes geht als um Leben und Tod.
Eva Ruth Wemme, 1973 geboren, studierte in Köln, Berlin und Bukarest. Sie war Dramaturgin am Schauspielhaus Chemnitz, heute ist sie als Autorin und Übersetzerin tätig. Sie lebt in Berlin und ist Sprach- und Kulturmittlerin für Neuankömmlinge aus Rumänien. Im Verbrecher Verlag erschien 2015 ihr Buch »Meine 7000 Nachbarn« sowie 2018 ihre Übersetzung des Romans »Handbuch der Zeiten« von Ștefan Agopian.
Silvia Cristina Stan, 1989 geboren, wuchs in Fântânele bei Bukarest auf. Sie ist Schneiderin, 2012 emigrierte sie nach Berlin und arbeitete in verschiedenen Projekten und Bereichen als Sozialassistentin.

I.

Sobald du sprechen lernst, Vinzent, wird zwischen dir und Iacov ein Unterschied sein. Zuerst scheint alles einfach. »Ball! Auto! Brot!«, sagst du und das reicht dir, um die Welt zu verstehen und mit Iacov zu teilen. Iacov sagt: »Mingea, Maṣines, Maro«. Ihr scheint zu wissen: Es sind nur Wörter und Wörter sind zum Spielen auf der Welt. Manchmal bemerkt ihr, dass ihr euch nicht versteht, ihr ruft euch fremde Wörter zu und lacht, ihr akzeptiert, was ihr hört, ihr wisst anscheinend, dass das zu eurer Geschichte gehört und das ist einfach, denn eins ist klar: dass ihr seit dem Beginn eures Lebens Freunde seid.
So spielend wartet ihr und wachst und auch euer Nichtverstehen der fremden Wörter des jeweils anderen wird größer, bis ihr begreift, was es heißt, eine andere Sprache zu haben. Noch ist das Anlass zu Gelächter, ihr sprecht miteinander und manchmal versteht euch gar niemand. »Billa Willa Mena Motti!«, schreit ihr euch zu und quiekt. »Willa Bella Buba Lotti!«, das setzt ihr dieser Welt entgegen, die großes Aufheben darum macht, sich der Sprache ja sinnvoll zu bedienen, denn sonst wäre alles verloren.
Bevor die Wörter ins Spiel kamen, zogst du, Vinzent, deinen Freund zärtlich an den Haaren, stecktest ihm die Finger in die Nase, bliest ihm ins Ohr und brachtest ihm einen kleinen Hammer aus Holz, damit ihr zusammen bunte Plastiknägel in Bretter schlagen konntet. Noch stritten nur eure Hände um den Ball. Bald begannt ihr euch zu lieben. Ihr ahntet noch nichts von den Hindernissen eurer Herkunft.
Also begann ich, dir diese Geschichte zu erzählen. Ich erzähle sie zusammen mit Cireașa, Iacovs Mutter, ich habe sie darum gebeten, für euch beide und auch für uns selbst. Das hat es mit dieser Geschichte auf sich, dass wir sie erzählen, um dabei ruhig zu werden oder froh, egal woher wir kommen. Wir reden wegen unserer Angst, wegen unserem Unwissen und wegen aller Krankheiten. Wir erzählen und spielen dieses Spiel, weil wir wagemutig sein wollen und unsere Verschiedenheit mit unserer Geschichte übertrumpfen. Damit wir, während wir erzählen, zusammen sprachlos werden. »Worüber?«, fragst du. Dass Cireașa und ich uns wie Schwestern lieben und auch ihr seit dem Beginn eures Lebens Freunde seid.
Mit dieser Geschichte erfinden wir keine neue Sprache. Es ist die alte Sprache, in der wir uns über die Feindschaft zwischen den Gadsche und den Roma hinwegsetzen, nicht ohne Verluste, aber geistesgegenwärtig, sehnsüchtig. Diese Kluft ist alt und gefahrvoll, in ihr hat sich alles gesammelt, was Menschen an Schlimmem kennen: Gleichgültigkeit, Hass, Brutalität, Mord, Verachtung, Angst, Hohn. Auf diese Feindschaft werdet ihr auch eines Tages stoßen. Und wir werden euch mit dieser Geschichte zu trösten versuchen. Eine Feindschaft, die dir, kleiner, goldener Vinzent, jetzt noch unvorstellbar erscheint, jetzt, da du genau wie Iacov noch an der Brust Milch trinkst und ihr euch gegenseitig von Kinderwagen zu Kinderwagen Sesamstangen reicht. Denn du bist nur drei Monate nach Iacov zur Welt gekommen und beide habt ihr auf den Armen eurer Mütter geschlafen, als die eine der anderen ­anfing, ihre Geschichte zu erzählen, und ich kurz darauf alles aufschrieb.