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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Epilog

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2708

 

Vier gegen ITHAFOR

 

Sie sind ein erprobtes Team – im tödlichen Einsatz für ein großes Ziel

 

Arndt Ellmer/Christian Montillon

 

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben. Dort herrschen die Onryonen, die im Namen des Atopischen Tribunals die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern.

Anderswo in der Galaxis kriselt es zwischen den einzelnen Völkern:

Hier ist insbesondere der Konflikt zwischen den humanoiden Tefrodern und den Blues in der Eastside zu nennen. Ein Streitpunkt ist der Polyport-Hof ITHAFOR-5. Da er den Tefrodern vorenthalten wird, starten diese eine Mission: VIER GEGEN ITHAFOR ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Benjuber-Wocaud – Der Agent erhält den womöglich wichtigsten Auftrag seiner Karriere.

Ghöllrysch – Der Kommandant von ITHAFOR-5 kann sich auf seine Mitarbeiter verlassen.

Lan Meota – Seine Gabe ist mit Schmerz verbunden.

Satafar – Der Tefroder fungiert als Anführer der vier Eroberer.

Toio Zindher – Die Mutantin besitzt eine ausgeprägte Sichtweise.

Trelast-Pevor – Der Tefroder gehört scheinbar ungerechtfertigt zum Mutantenkorps.

Vetris-Molaud – Der Tamaron verfolgt eine Politik der Stärke.

1.

Die vier Eroberer

Planet Tefor

 

Draußen im Meer starb etwas. Toio Zindher wusste nicht, was es war oder warum es starb. Weil sie es schon viel zu oft erlebt hatte, bedauerte sie es nicht einmal. Oder nur höchstens ein klein wenig.

Die Wasseroberfläche lag da wie ein Spiegel, eine smaragdgrüne Haut, die Tefor überzog. Toio schaute weg von der Brandung der See, die sich kräuselte und weiße Schaumberge warf. Feinkörniger gelber Sand rieselte ihr über die Füße. Er kitzelte zwischen den Zehen.

Manchmal nahm die Tefroderin ein orangefarbenes oder rotes Aufblitzen wahr, ein winziges Leuchten von Leben in dem Mikrouniversum des Strands.

Toio blieb stehen und genoss den Anblick. Auch im Meer gab es vor allem Leben, weniger den Tod. Durch das Grün schlängelten sich hin und wieder Rifftorken, kleine platte Fische von überbordendem Bewegungsdrang. Ab und zu steigerte sich ihre Vitalität zu einem Pulsieren aus hellem Gelb und cremefarbenem Weiß.

Penenac, die sichelförmige Insel südwestlich von Costor, galt als ein Juwel, ein einzigartiges Geotop. Sie kam gerne an diesen Ort, nur fand sie viel zu selten die Zeit dafür. Wie sie ohnehin viel zu selten die Heimat besuchen konnte. Dank ihrer Fähigkeiten trieben sie ihre Aufträge hinaus ins All.

»Dein Zeitkonto spendiert dir eine weitere halbe Stunde Vergnügen«, meldete sich der Kommunikator in der Gürteltasche ihres Anzugs, den sie lässig über dem Arm hängen hatte. »Danach solltest du deinen Spaziergang allerdings beenden. Deine Haut ist gefährdet, und ...«

»Ich bekomme keinen Sonnenbrand«, unterbrach sie. »Der Wind fehlt. Du weißt doch, wie es bei mir ausgeprägt ist we...«

»Der Wind ist bereits unterwegs.« Dieses verflixte Gerät fiel ihr mitten ins Wort! »Es wird nicht mehr lange dauern.«

Toio ging weiter, sank tief ein mit jedem Schritt. Nach hundert Metern spürte sie das erste feine Lüftchen, dem bald ein gleichmäßiger, strammer Nordwind folgte. Er blies um ihren Körper und berieselte sie bis hinauf zu den Haarspitzen mit Sand. Sie genoss die leichte Massage ihrer Haut und ihrer Brustwarzen. Sie war nackt. Natürlich. Sie liebte die Freiheit und das vitale Leuchten um sie herum, das auch von ihr selbst ausging.

In der Ferne entdeckte sie erste Sandschleier. Der Wind trieb die Gebilde vor sich her, formte sie zu Sandwogen und ließ sie Augenblicke später zerfallen und achtlos am Wegesrand liegen.

»Wenn du schwimmen willst, solltest du es jetzt tun«, sagte der Kommunikator.

»Drängle nicht«, antwortete sie. »Es sind keine Sandstürme gemeldet.«

»Darum geht es nicht. Du bekommst bald Besuch.«

»Das ist in der Tat ein Grund, um unterzutauchen«, stimmte sie zu. »Du hältst mir so lange den Gast bei Laune!«

Es gehörte nicht zu seinem Programm, deshalb lehnte er es ab. Sarkasmus, Ironie oder auch nur das geringste Witzchen verstand er nicht.

In ihrer Jugend hatte sie geglaubt, ein Kommunikator müsse dank seiner lernfähigen Programmierung alles können. Dieses Gerät war wie ein zweites Ich. Es handelte in ihrem Namen, wenn sie dazu nicht in der Lage war; es nutzte ihre Sprache und ihre Stimme, falls es sich als nötig erwies.

»Hüte deinen Kommunikator wie einen Schatz«, hatte ihr Vater sie gelehrt. »Es ist sehr mühsam, einen neuen anzulernen. Sprich viel mit ihm. Je mehr er von deiner Art zu sprechen weiß, desto besser versteht er dich und kann so handeln, wie du es tun würdest.«

Toio überlegte, ob sie versuchen sollte, das Gerät ins Nirwana zu argumentieren. In ihrer Kindheit hatte sie es ein paarmal mit dem robotischen Hauslehrer ihres Großvaters versucht. Gegen die Lebensweisheiten des alten Tamerlan Zindher, die sich auf den Kommunikator übertragen hatten, war sie allerdings nicht angekommen. Sie besaßen eine schlecht zu widerlegende Allgemeingültigkeit. Tamerlan war immer Sieger geblieben. Und mit ihm sein Kommunikator.

»Wie viel Zeit bleibt mir noch?«, fragte sie.

»Zehn Minuten.«

Toio Zindher warf sich mit ausgebreiteten Armen auf den Strand. Die Schulterblätter fingen den Sturz ab. Der tiefe Sand legte sich als weicher Schutzkragen um ihren Nacken.

Sie wälzte sich ein paarmal hin und her, rollte zum Wasser, ließ sich von den Wellen der Brandung hochheben und hinaustragen. Im stark salzigen Meer waren fast keine Schwimmbewegungen nötig.

Der Anzug blieb als einsamer Wächter zurück, ein bizarr gekrümmtes Stück Stoff, das an die Überreste eines Tefroders erinnerte, der aus großer Höhe herabgestürzt war. Eine schauerliche Assoziation.

»Der Besucher ist gelandet und kommt dir entgegen!«

Toio ruderte und streckte die Beine nach unten aus. Ihre Füße wirbelten jede Menge Sand und Kleinlebewesen auf. Vitalität sprudelte im Wasser, und Toio badete in einer Orgie aus Lebenskraft und Lebensfreude, ein unbändiges und unheimliches Geschenk zugleich.

In der Ferne entdeckte sie das Fahrzeug und die einsame Gestalt, die auf sie zuwatete. Der Besucher war in respektvollem Abstand gelandet – ein Zeichen der Wertschätzung – und legte die Distanz zu Fuß zurück. Dem Gast kam einige Bedeutung zu, weil er sie überhaupt gefunden hatte, aber es handelte sich nicht um einen Notfall; sonst hätte er den Gleiter unmittelbar in ihrer Nähe abgesetzt.

Toio Zindher stieg aus dem Wasser, hob ihren Anzug auf und ging dem Fremden entgegen. Sie zog sich nicht an. Wieso auch? Sie war äußerst attraktiv und hatte weder Grund, sich zu schämen, noch Hemmungen, sich zu zeigen.

Der Tefroder trug eine Uniform. Er näherte sich mit elastischem Gang, als habe er festen Boden unter den Füßen und nicht diesen weichen Sand, in den sie bei jedem Schritt bis über die Knöchel einsank.

Als der Mann bis auf zwanzig Meter heran war, entdeckte sie das Flimmern an seinen Absätzen. Zwei winzige Energiefelder rahmten die Stiefel ein. Sie verdichteten die Sandkörner, auf denen er wie auf einem Plastboden ging.

Der andere musterte sie ungeniert. Sein Blick wanderte über ihren Körper, und ihm schien zu gefallen, was er sah. Ihr gefiel es ebenso. Der Besucher sah nicht übel aus.

Erst auf den letzten Schritten zögerte er fast unmerklich. Er legte die Hand auf das Brustbein und führte sie in einer einladenden Geste nach außen. Es war der übliche Gruß um diese Tageszeit; ein wenig langsamer als üblich ausgeführt, wiederum ein Zeichen der Wertschätzung.

»Welch herrlicher Anblick!«, sagte er und ließ seinen Blick schweifen.

Toio fragte sich, was genau er wohl meinte.

Er bemerkte den Lapsus offenbar ebenfalls, stockte kurz und ergänzte: »Penenac ist ein paradiesischer Ort.« Seine Augen suchten nun ihr Gesicht. »Fenad Tensor«, stellte er sich vor. »Ein so wundervolles Erlebnis hat man mir im Tamaghat nicht angekündigt.« Ein Räuspern. »Und das gleich in mehrerlei Hinsicht.«

Er kam also aus dem Tamaghat, dem Stern von Apsuma, wie man das elfzackige Gebäude mitten im Wasser nannte. Der Besucher war direkt aus dem Regierungssitz zu ihr geschickt worden. Toios innere Anspannung stieg übergangslos. Ihre Poren sonderten mehr Schweiß ab, den der Wind abkühlte. Sie begann zu frösteln. Zugleich gefiel ihr, dass sich der andere einem Flirt offenbar nicht abgeneigt zeigte.

»Die Insel ist herrlich«, stimmte sie ihm zu. »Sie lädt zum Verweilen ein.«

»Sieh nur dort!« Tensor trat näher, wies mit ausgestrecktem Arm an ihr vorüber. »Das sind zwei Königskrebse. Sie führen einen Balztanz auf.«

Toio Zindher hielt den Atem an. Die beiden Krustentiere platzten fast vor Vitalität. Sie pulsierten in hellen Farbtönen, glühten immer greller – Minivulkane, die kurz vor der Explosion standen.

Wenn du sehen könntest, was ich sehe, dachte sie. Ob es ein Balztanz war oder nicht, für sie spielte es keine Rolle. Den Besucher interessierten ohnehin nicht die Krebse, er sprach verschleiert von ihnen beiden. Toio war geneigt, sich mit ihm einzulassen. Er war sportlich, höflich, hatte ein markantes Gesicht, einen offenen Blick mit einem Hauch von Melancholie.

Das gefiel ihr. Sie wollte aber mehr sehen.

Sie trat einige Schritte zurück, betrachtete ihn genauer und nahm seine Vitalsilhouette in sich auf. Sie ließ das gleichmäßige Leuchten hinter der körperlichen Erscheinung auf sich wirken. Es sah gut aus.

Fast überall.

Nach ein paar Augenblicken entdeckte sie einen dunklen Fleck, einen Mangel an Vitalität. Sie fing die Stelle ein, vertiefte sich mit ihrer Fähigkeit in die Abnormität. Es war die Spur einer schleichenden, noch nicht ausgebrochenen Krankheit, die in Kürze unweigerlich tödlich verlaufen würde. Wahrscheinlich ahnte der andere nichts davon. Schade ... und wirklich bedauernswert.

Als Vitaltelepathin wusste sie die Silhouetten und ihre Details zu interpretieren. Auf einer archaischen Welt hätte sie vermutlich ihr Dasein als Wahrsagerin in einer Hütte begonnen und als Königin auf einem hohen Thron beendet, falls sie nicht geächtet und verfolgt worden wäre.

Toio Zindher sah aber nicht nur die Vitalenergie jedes Lebewesens, sie nahm auch deren Stimmungen wahr. Sie konnte erkennen, ob jemand log oder ehrlich war, ob ängstlich oder draufgängerisch.

Und Fenad Tensor, der Tefroder vor ihr, empfand Angst – Angst vor ihr. Sein lockerer Flirt war aufgesetzt und ein reiner Schutzmechanismus. Toio überlegte kurz. Er wusste also, wen er vor sich hatte. Und er kam direkt aus dem Tamaghat. Ein hoher Mitarbeiter oder gar ein Mitglied der Regierung schickte ihn.

Vielleicht Tamaron Vetris höchstpersönlich.

Wahrscheinlich sogar.

Toio fühlte sich angesichts der Angst ihres Gegenübers geschmeichelt. Andererseits störte es sie. Manchmal wünschte sie sich, eine ganz normale Frau zu sein und von anderen nicht wie ein Weltwunder angestarrt zu werden: wie die einzige Vitaltelepathin der Welt, die direkt in Vetris' Diensten stand. Ihre Erregung jedenfalls verflog.

»Gut«, sagte sie. »Worum geht es?«

Er schaltete ebenso schnell um wie sie. »Man will dich sehen.«

»Man? Wer ist das? Und betrifft es nur mich?«

»Das weiß ich nicht.«

Er sagte die Wahrheit.

»Ich komme.«

»Ich werde es ausrichten.« Er grüßte, diesmal deutlich knapper als bei seiner Ankunft. Ruckartig wandte er sich um und stapfte davon.

Toio sah ihm nach, während sie sich mit den Handflächen den Sand von der Haut wischte und sich anzog.

»Schade«, murmelte sie und musterte den Makel in seiner Vitalität. »Schade um dich.«

Sie kannte diese Krankheit; sie war heimtückisch und böse. Es ihm zu sagen hätte nur seine verbleibenden Tage überschattet. Sollte er sich gut fühlen, solange es ging; das bittere Erwachen kam früh genug für ihn.

Sie fand ihn nach wie vor sympathisch. Es prickelte nun wieder in ihrem Bauch, als sie seine Bewegungen beobachtete. Ob sie ihm doch noch ein rasches Abenteuer verschaffen sollte? Kurz und im Grunde bedeutungslos?

Und was würde wohl Satafar darüber denken?

Toio Zindher wischte die Träume mit einer Handbewegung weg. Sie war überzeugt, dass man sie nicht allein im Tamaghat sehen wollte. Auch die anderen mussten dorthin kommen, Trelast-Pevor, Lan Meota und schließlich der Chef ihrer kleinen Vierergruppe, der Anführer von Tamaron Vetris' Mutantenkorps: Satafar.

Sie freute sich darauf, alle wiederzusehen. Dann waren die vier Eroberer endlich aufs Neue vereint.

Lan Meota war ihr stets ein wenig unheimlich, und hin und wieder bemitleidete sie ihn für seine spezielle Parafähigkeit. Trelast-Pevor hingegen beeindruckte sie durch seine Erscheinung und seinen Charme. Mit seiner Größe von über zwei Metern wirkte er beinahe wie ein überirdisches Wesen – zu präsent, zu bestimmend, um wahr zu sein. Und dass Satafar sie liebte, war ihr manchmal lästig.

Aber manches ließ sich eben nicht ändern. Insgesamt stellten sie zweifellos eine großartige Gruppe dar: die vier Eroberer – ein Titel, den sie mit Stolz trugen.

Toio konnte es kaum noch erwarten. Sie befahl ihren Gleiter herbei und stieg ein. Höchste Zeit, dass sie wieder zusammenkamen. Ganz gleich, wer im Stern von Apsuma etwas von ihnen wollte, ob tatsächlich Tamaron Vetris-Molaud persönlich sie rief ...

Toio Zindher, die Vitaltelepathin, freute sich darauf.

 

*

 

Auf dem Monitor tanzten drei Orterechos. Sie zeigten die Fahrzeuge, in denen sich Lan Meota, Trelast-Pevor und Satafar näherten; das automatische Leitsystem hatte die Gleiter miteinander verknüpft.

Sie rasten aus verschiedenen Richtungen näher zur Hauptstadt. Apsuma lag auf Costor, dem Äquatorialkontinent mit dem Aussehen eines riesigen Blattes samt Stiel. Dort, wo das Blatt in den Stiel überging, ragte die Stadt auf, ein immer wieder erhebender Anblick.

»Ich möchte mit den Teamkollegen sprechen«, sagte Toio Zindher. »Stell eine Verbindung her.«

»Tut mir leid.« Der Autopilot des Gleiters projizierte einen Dreiklang in Moll, um sein Bedauern zu unterstreichen. »Eine Funkverbindung ist nicht möglich.«

Die Aussage war ihr zu ungenau. »Präzisiere das!«, forderte sie. »Ist sie aus technischen Gründen nicht möglich, oder ist sie untersagt?«

»Aus technischen Gründen wäre eine durchaus wahrscheinliche Variante.«

Was im Klartext hieß: Die Verbindung wurde unterdrückt. Der Auftraggeber im Tamaghat arbeitete mit einer hohen Sicherheitsstufe.

Das gefiel ihr. Also wartete wohl doch Tamaron Vetris in Person auf sie. Mit ihm hatten sie meist zu tun, wenn es um brisante Aufträge ging. In ihrem Bauch begann es zu kribbeln, viel intensiver als vorhin wegen Tensor. Sie wischte die Gedanken an den Boten und den Strand weg und bereitete sich innerlich auf die Begegnung mit Vetris vor: mit der charmanten und skrupellosen Verkörperung reiner Macht. Es gefiel ihr – und das bisschen Angst, das sich in ihrem Hinterkopf breitmachen wollte, unterdrückte sie.

Den Kommunikator verstaute sie in einem Ladefach. Während der Unterredung und erst recht danach im Einsatz hatte er nichts zu suchen.

Ihr Fluggleiter raste mit hoher Geschwindigkeit über das Meer nach Nordosten. Toio Zindher fuhr mit den Fingern durch das Kupferhaar. Winzige Salzkristalle verklebten die Strähnen. Zum Duschen und Umziehen blieb ihr leider keine Zeit. Flüchtig dachte die Vitaltelepathin daran, einen direkten Transmitteranschluss zwischen ihrer Wohnung und dem Strand auf Penenac zu beantragen.

Später vielleicht!, sagte sie sich. Wenn irgendwann alles vorbei ist.

Denn es kam die Zeit, in der sie zu alt für ihren Job war. Außerdem würde irgendwann Frieden herrschen. Immerhin einer dieser beiden Gründe, nicht mehr in den Einsatz zu gehen, klang verlockend. Keine ganz schlechte Quote.

Frieden ...

Sie dachte darüber nach. Angesichts der kriegerischen Blues-Völker in der Nachbarschaft hatten die Tefroder einen schweren Stand. Doch Toio wusste ihr Volk bei Vetris in besten Händen. Es galt, den eigenen Herrschaftsbereich abzusichern und Angriffe der Tellerköpfe zu verhindern.

Toio Zindher kannte die genauen Pläne des Tamrats nicht, aber sie ahnte, dass die Situation kritisch war. Das Neue Tamanium, der Zusammenschluss der sieben eigenständigen Tefroder-Staaten in der Eastside, balancierte auf einem schmalen Grat zwischen Selbstbehauptung und Untergang. Die Gefahr, in die allgemeinen Auseinandersetzungen der Blues – Jülziish nannten sie sich selbst – hineingezogen zu werden, wuchs mit jedem Jahr.

Auch in der modernen Zeit nach der Epoche der Terminalen Kolonne TRAITOR suchten die gebärfreudigen Blues immer wieder Sauerstoffplaneten, um den Bevölkerungsdruck abzubauen. Dass die Tellerköpfe ihre vier Augen begehrlich auf die Tefroder-Welten richteten, war kein Geheimnis. Zoit war das jüngste Beispiel eines Planeten, der sich über Nacht zum Zankapfel zwischen den beiden Völkern entwickelt hatte.

Die Vitaltelepathin nahm den Blick vom Orterschirm und schaute sinnierend nach vorn auf das Meer. Am Horizont tauchte die geschwungene Küstenlinie auf. Wenig später wuchsen die ersten Türme der Hauptstadt auf.

Toio beschattete die Augen mit der Hand und musterte das Blau hinter dem durchsichtigen Kanzel-Hartglas. Irgendwo dort draußen mussten die anderen sein, mit Kurs auf den Stern von Apsuma. Sie entdeckte einen winzigen Lichtblitz, ob Reflexion oder bewusstes Scheinwerfersignal, ließ sich nicht feststellen. Sie vermutete das Letztere. Der Gleiter kam aus westlicher Richtung.

Sie beugte sich über die Kontrollen und gab ein Lichtsignal.

Das andere Fahrzeug antwortete.

Welcher ihrer drei Kollegen grüßte auf diese Weise?

Toio konzentrierte sich. Die Entfernung zwischen ihnen schrumpfte beim Anflug auf den Styrpas-See im Nordosten der Stadt, aus dessen Wasser der Stern von Apsuma ragte; ein immer wieder erhebender Anblick. Der Regierungssitz sah tatsächlich aus wie ein gigantischer elfzackiger Stern, der sich aus den Fluten erhob.

Die Vitaltelepathin hoffte darauf, eine Gestalt in der Gleiterkanzel zu entdecken oder das Vital-Farbmuster wenigstens zu erhaschen. Sie kannte ihre Einsatzpartner gut, die Lebensmuster der Gefährten waren ihr vertraut. Toio brauchte kein vollständiges Muster, um einen von ihnen zu identifizieren. Es reichten jeweils einige individuelle Körperzonen.

Es klappte nicht. Der andere zeigte sich nicht hinter der Kanzel, und die Entfernung blieb konstant ein wenig zu groß. Kurz vor der Peripherie fädelten sich die Fluggeräte in das Leitsystem der Stadt ein.

Toio verlor den zweiten Gleiter aus den Augen. Apsuma glich dem Gewimmel in einem Bienenstock. Manchmal betrug der Abstand zwischen Fahrzeugen lediglich ein paar Meter. Seit die Hauptstadt des Planten sich immer mehr zum Zentrum des Neuen Tamaniums entwickelte, nahm der Verkehr laufend zu. Weit draußen vor der Stadt, nahe den ersten Wolkenbänken, die momentan einem düstergrauen Felsmassiv glichen, schwebten mehrstöckige Parkebenen. Sie fingen einen Teil der Besucher außerhalb der Metropole ab und leiteten sie intern weiter.

Der Autopilot kommunizierte mit der Leitstelle des Sterns vom Apsuma, der unübersehbar aus dem Wasser ragte. Der Gleiter sank dem südlichen Stadtteil entgegen, dessen Hochgeschwindigkeitsbahnen ihr grellrotes Warnlicht nach oben schickten. Auf dem Monitor vor Toio Zindher leuchtete eine Warnschrift auf.

»Sport« nannten sie das – und insbesondere die Jungen. Dort rasten hitzköpfige Tefroder auf den kommerziellen Rennstrecken um die Wette – und hin und wieder in den Tod. Zumindest erlebten sie den Tod beim Rennen, denn die Virtualprojektoren leisteten ganze Arbeit. Auch wenn sich dieser nur virtuell ereignete, tat er dennoch weh: Manchmal ruinierten sich einige Jugendliche, die abhängig von dem Hochgeschwindigkeitskick wurden, ihr Nervenkostüm und landeten in einer Heilanstalt.

Der Gleiter ging tiefer und näherte sich dem Peripheriekanal. Die rotgrüne Färbung stammte nicht vom Wasser, sondern von Plastbeton.

Toios Fahrzeug sank in den Kanal. Augenblicke später verschwand es durch eine Bodenschleuse in einem Hohlraum. Um sie herrschte Dunkelheit.

»Was machst du da?«, fuhr sie die Automatik an. »Ich habe dir keinen Befehl erteilt, mich zu ...«

»Eine Anordnung mit Überrang«, erklärte die Maschine knapp. »Das Ziel deines Fluges muss geheim bleiben. Ihr werdet speziell umgeleitet. Vertrau mir. Sorg dich nicht.«

Sorg dich nicht.

Toll.