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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-841-6
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Faustrecht

Der Erste Offizier meuterte – und damit grub er sich sein Grab

Als Wölfe im Schafspelz waren die Arwenacks und die Le Vengeurs im Konvoi mitgesegelt und hatten die erstbeste Gelegenheit wahrgenommen, im Morgennebel wieder zu verschwinden – allerdings nicht ohne Beute, wie sich das für echte Korsaren gehört. Ohne einen Schuß, ohne jegliche Gewaltanwendung hatten sie die Galeone „San Lorenzo“ besetzt, denn sie waren ja Soldaten und Offiziere Seiner Allerkatholischsten Majestät, und der dicke Capitán der „San Lorenzo“ wagte nicht, dagegen zu protestieren, zumal er ein schlechtes Gewissen hatte, was wiederum damit zusammenhing, daß er seinen König hatte betrügen wollen. Mit der Schatzladung im Bauch seiner Galeone hatte er heimlich verschwinden wollen, aber seine „Landsleute“ hatten aufgepaßt …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Manzano – der Kommandant der Kriegskaravelle „Cordoba“ verspürt wenig Neigung, das englische „Piratengesindel“ zu verfolgen.

Juan Oviedo – sein Erster Offizier ist gegenteiliger Ansicht und außerdem ehrgeizig.

Philip Hasard Killigrew – muß sich mit Verfolgern herumärgern, die er meinte, abgehängt zu haben.

Sir John – Carberrys „Geier“ fliegt einen erneuten Angriff auf die Bordhühner der „Estrella de Málaga“.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Die Freiwache an Bord eines Kriegsschiffes Seiner Majestät Philipp II. von Spanien war im Prinzip zum Schlafen oder zumindest zum Ruhen bestimmt. Aber Juan Oviedo, der Erste Offizier der Karavelle „Cordoba“, hatte an diesem Nachmittag des 8. November 1594, an dem er sich für vier Stunden in seine Achterdeckskammer zurückziehen konnte, weitaus Wichtigeres zu tun – so glaubte er jedenfalls.

Juan Oviedo war ein ehrgeiziger Mann. Er war übereifrig, herrisch und von sich selbst eingenommen. Die Pflicht und die Disziplin standen für ihn an erster Stelle, und es gab nichts, das seiner Aufmerksamkeit entging.

Er registrierte jeden noch so geringen Schnitzer der Seeleute und hatte auch ein waches Auge auf die Seesoldaten. Damit übertrumpfte er den Profos und den Teniente der Seesoldaten, deren Anwesenheit an Bord er im Grunde ohnehin für völlig überflüssig hielt.

Er, Juan Oviedo, hätte die „Cordoba“ auch ganz allein zu führen verstanden. Jeder beugte sich bedingungslos seinen Befehlen. Unter seinem Kommando würde scharf gesegelt werden, unter härtesten Voraussetzungen, auch durch den dicksten Sturm. Für das Vaterland Spanien riskierte er alles – und wenn es sein mußte, ließ er sich beide Hände und den Kopf abhacken.

Aber leider war er nicht der Capitán, obwohl man ihn nach seiner Rechnung bereits vor drei Jahren hätte befördern müssen, Capitán war Don Manzano. Er bestimmte, was auf der „Cordoba“ zu geschehen hatte, aber Oviedo hatte an seiner Art der Schiffsführung einiges auszusetzen. So gut wie alles: Für ihn gab es keinen schlechteren Kommandanten als Don Manzano.

Zu dieser Erkenntnis war Oviedo nicht erst gelangt, seit sie den Hafen von Guayaquil mit der „Cordoba“ und zwei zweimastigen armierten Schaluppen schnell verlassen hatten, um den „englischen Bastard“ zu suchen, der mit seiner Crew von Höllenhunden die Kriegskaravelle „Estrella de Málaga“ gekapert und entführt hatte.

Nein, in Oviedo gärte es schon lange. Er konnte Don Manzano nicht leiden, er haßte ihn. Diese Animosität mochte beiderseitig sein, doch der Capitán ließ seinerseits nicht durchblicken, wie er über seinen Ersten dachte.

Oviedo hingegen nutzte jede freie Minute, um sich über diesen Don Manzano, der seiner Ansicht nach viel zu behäbig und träge war, auszulassen. Schriftlich tat er dies, er war ein fleißiger Protokollführer und unter anderem auch für das Logbuch der „Cordoba“ zuständig.

Was er in seinen privaten „Dossiers“ jedoch mit Federkiel zur Niederschrift brachte, war nicht für die Augen von Don Manzano bestimmt. Es war „streng geheim“. Oviedo bewahrte es unter Verschluß auf und achtete darauf, daß niemand außer ihm seine Kammer betrat oder sich gar dem Pult näherte. Denn wenn Don Manzano auch nur geahnt hätte, was in diesen Dossiers stand, hätte er nichts Billigeres zu tun gehabt, als seinen von Ehrgeiz zerfressenen Ersten so schnell wie möglich von Bord der „Cordoba“ zu versetzen.

Jede Äußerung, die Don Manzano von sich gab, hatte Oviedo in seinen Aufzeichnungen festgehalten. „Zur Hölle mit dem König“ stand da beispielsweise zu lesen. Oder: „Der Teufel soll die Marine holen.“ „Was sollen wir uns plagen, es hat ja sowieso alles keinen Zweck“, hatte Don Manzano vor ein paar Wochen gesagt. „Eines Tages nehmen uns die Engländer, die Franzosen oder die Holländer ohnehin dieses elende Dreckland wieder weg. Und das ist nur gut so.“ Oviedo hatte es mit der gewohnten Akribie aufgeschrieben und das entsprechende Datum hinzugefügt: 12. August 1594.

Heute gab es wieder ausreichend Stoff für Oviedos Notizen. Mit grimmiger Genugtuung kritzelte er sie auf die Pergamentrolle, die er wie üblich in einem Fach seines Pults verstauen würde. „Dieser Don Miguel de Xeres ist ein Narr“, hatte der Capitán auf dem Achterdeck geäußert. „Was sollen wir mit seinen verdammten Schaluppen? Und wo, zum Teufel, sollen wir die englischen Bastarde suchen? Die finden wir nie!“

Don Miguel de Xeres war der Generalkapitän und Geleitzugkommandant, dem sie auf ihrem südlichen Kurs begegnet waren. Die Bombe war geplatzt: Endlich wußte Don Miguel, daß er einem Schwindler auf den Leim gegangen war. Jener Don Esteban de Castellano, der die „Estrella de Málaga“ befehligte und bei ihm im Konvoi mitgesegelt war, war weder ein Capitán noch ein Spanier: Es handelte sich vielmehr um den schwarzhaarigen Bastard und dessen Crew von Galgenstricken, die die „Estrella“ vor Guayaquil aufgebracht hatten.

Von diesem Satan hatte sich Don Miguel hereinlegen lassen, aber inzwischen hatte er bittere Rache geschworen. Sofort hatte er zwei armierte Schaluppen aus seinem Geleitzug an Don Manzano abgegeben und befohlen, die „Estrella“ und die ebenfalls entführte Galeone „San Lorenzo“ zu verfolgen, einzuholen und zurückzubringen.

Don Manzano mußte gehorchen. Don Miguel war ihm rangmäßig übergeordnet, er hatte zu tun, was dieser ihm auftrug. Aber Don Manzano tat es nur unwillig und zähneknirschend. Denn eigentlich hatte er sich in den Kopf gesetzt, die „Estrella“ nicht wiederzufinden. Auf ein Gefecht mit den Engländern war er nicht scharf. Sie hatten seiner Meinung nach bewiesen, daß sie ausgezeichnete Kämpfer waren. Jetzt hatten sie zwei Schiffe und konnten es mit einer dreimastigen Kriegskaravelle und vier Schaluppen durchaus aufnehmen. Nein, er war überhaupt nicht darauf versessen, dem „schwarzhaarigen Satan“ noch einmal zu begegnen.

Oviedo preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Feigheit vor dem Feind, dachte er, aber das wirst du büßen, du Schwachkopf. Die Dossiers waren für das Personalamt der Marine bestimmt. Der Tag, an dem Oviedo sie vorlegen würde, war nicht fern. Dann mußte Don Manzano Farbe bekennen. Dann wurde er degradiert, und sein Erster Offizier rückte endlich in den Rang eines Capitáns auf, der ihm schon lange zustand.

Eine Frage drängte sich Juan Oviedo immer wieder auf, während er die Äußerungen Don Manzanos auf das Pergament schrieb. Wer war der schwarzhaarige Bastard, der ihnen derart zusetzte und ihnen Kopfzerbrechen bereitete? Ein englischer Korsar, daran bestand mittlerweile nicht mehr der geringste Zweifel. Aber wer? Nun, auch das würde man noch erfahren. Insgeheim hoffte Oviedo, sich diesen Hund vor die Klinge zu holen und ihn in einem scharfen Zweikampf zu töten. Er sah sich schon als Sieger – und Don Manzano würde vor Neid und Ehrfurcht erblassen.

Englischer Bastard, dachte Oviedo, warte auf mich. Bald habe ich dich, und wenn ich Tag und Nacht nach dir suchen muß.

„Ich würde jetzt zu gern das Gesicht von Don Miguel de Xeres sehen“, sagte Jean Ribault zum selben Zeitpunkt auf dem Achterdeck der „Estrella de Málaga“ zu Hasard. „Inzwischen dürfte ihm klar sein, daß wir ihn gründlich geleimt haben.“

Hasard, Karl von Hutten, Dan O’Flynn und Big Old Shane lachten gleichzeitig.

„Dazu gehört nun wirklich kein Scharfsinn mehr“, sagte Hasard. „Ich schätze, er schreit Zeter und Mordio und schickt ein paar seiner Schiffe hinter uns her.“

„Mit Sicherheit sogar“, sagte Dan. „Aber bislang haben sich keine Mastspitzen an der Kimm gezeigt.“

„Sie haben uns aus den Augen verloren“, sagte Karl von Hutten. „Endgültig. Sie können höchstens raten, auf welchem Kurs wir uns verholt haben.“

„Wegen der Dons brauchen wir uns vorläufig wohl nicht mehr den Kopf zu zerbrechen“, sagte Big Old Shane. Er deutete zur Galeone „San Lorenzo“, die achterlich versetzt zur „Estrella“ segelte. „Aber was fangen wir mit den Dons an, die drüben in der Vorpiek stecken?“

„Ben hat ihnen ja versprochen, sie freizulassen“, entgegnete der Seewolf. Erst vor kurzem hatte Ben ihm durch Zuruf mitgeteilt, wie das Gespräch mit dem spanischen Bootsmann verlaufen war. „Und das werden wir auch tun. Ich sehe keinen Anlaß, warum wir sie festhalten sollen.“

„Und was wird mit dem dicken Capitán?“ erkundigte sich Dan.

„Den wollen wir auch so schnell wie möglich loswerden“, erwiderte Hasard. „Er ist für Uns doch nur ein Ballast.“

„Ja, ein Klotz am Bein“, sagte Karl von Hutten. „Obwohl der Kerl für seine Unehrlichkeit bestraft werden sollte. Was fällt dem überhaupt ein, sich einfach eine Schatzladung unter den Nagel zu reißen, die rechtmäßig dem Allerkatholischsten zusteht?“

„Darüber läßt sich streiten“, sagte Dan.

„Worüber?“ fragte Karl von Hutten.

„Über die Rechtmäßigkeit.“

„Wenn es danach geht, gehört das Gold und Silber den Nachfahren der Chimús“, sagte Pater David, der soeben zu ihnen getreten war.

„Richtig“, pflichtete Hasard ihm bei. „Außerdem hat der dicke Capitán es ja auch nur versucht und nicht wirklich getan.“

„Wir haben die Schandtat verhindert“, sagte Dan und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Don Miguel sollte uns dankbar dafür sein.“

„Leider fürchte ich, daß er den Sachverhalt anders beurteilt“, sagte Hasard lächelnd. „Aber darauf haben wir keinen Einfluß. Begnügen wir uns mit den paar Schatzkisten und seien wir froh, daß die Spanier uns nicht entlarvt haben.“

„Die paar albernen Kistchen sind so viel wert, daß wir das Potosi-Unternehmen schon beinah wieder abbrechen könnten“, sagte Jean Ribault. „Aber jetzt fällt mir etwas anderes ein. Ob der Capitán der ‚San Lorenzo‘ und seine Crew wohl inzwischen begriffen haben, daß wir keine Landsleute von ihnen sind?“

„Sie wissen es nicht“, erwiderte Hasard. „Sie ahnen es nicht einmal. Bens Bericht hat es mir bestätigt. Ich glaube, die Dons sind viel zu aufgeregt und bangen zu sehr um ihren Hals, um zu begreifen, was gespielt wird.“

„Und dabei belassen wir es auch, nicht wahr?“ fragte Dan.

Er sah dabei wie zufällig zu Carberry, der wieder einmal mit seinem viel zu kleinen Helm hantierte und eine Reihe von Flüchen ausstieß. Er war der „Teniente“, und Dan fungierte als „Sargento“. Weiter gab es eine Reihe von „Seesoldaten“ an Bord der „Estrella de Málaga“: Roger Brighton, Mac Pellew, Al Conroy, Bob Grey, Luke Morgan, Gary Andrews, Bill, Sven Nyberg, Baxter, Pierre Puchan, Roger Lutz, Tom Coogan, Jonny, Dave Trooper, Le Testu, Montbars und Mel Ferrow. Alle anderen waren „spanische Seeleute“.

Al Conroy befand sich inzwischen zusammen mit Ferris Tucker und Mulligan an Bord der „San Lorenzo“, denn sie hatten dort auf Hasards Anweisung hin einen ganz bestimmten Auftrag zu erfüllen.

„Ja“, sagte Hasard. „Wir wirken echt und überzeugend. Keiner würde auf den Gedanken verfallen, uns für falsche Dons zu halten.“

Die anderen lachten wieder. Carberry drehte sich auf dem Hauptdeck zu ihnen um und musterte sie grimmig.

„Gilt das wieder mal mir?“ fragte er drohend.

„Warum beziehst du immer alles auf dich, Ed?“ fragte Dan.

Der Profos grinste freundlich wie ein hungriger Hai. „Frag den Abendstern, Mister O’Flynn.“ Er wandte sich an Hasard. „Was machen wir mit den Dons drüben auf der Galeone? Die können doch nicht ewig bei uns bleiben.“

„Wir denken gerade darüber nach“, entgegnete der Seewolf. „Wir setzen sie so bald wie möglich irgendwo an Land. Die Küste kann nicht mehr fern sein.“

„Na bitte“, sagte Carberry. „Das wird aber auch Zeit. Ich für meinen Teil habe von Dons und Don-Klamotten erst mal die Nase voll.“

Am Vormittag des Vortags hatten sich die Männer nach dem gelungenen Raid mit der „San Lorenzo“ seewärts, also nach Westen, abgesetzt. Gegen Mittag waren sie dann auf Südostkurs gegangen, der sie wiederum auf die peruanische Küste zuführte.

„Ja“, sagte Hasard noch einmal. „Wir müssen uns von den Spaniern trennen, je früher, desto besser.“

Mittlerweile steuerten beide Schiffe bei Wind aus Südwesten Ostkurs genau auf die Küste zu. Nach Dan O’Flynns Berechnungen mußten sie – die Stromversetzung nach Norden einbezogen – südlich von Trujillo auf die Küste stoßen.

„Hoffentlich stimmt das, was du ausgerechnet hast“, sagte Jean Ribault zu Dan.

„Du kannst dich darauf verlassen.“

„Und du bist sicher, daß du dich in der Aufregung nicht vertan hast?“

„Wer war denn aufgeregt?“ fragte Dan zurück. „Ich doch nicht. Hör mal, mein Freund, es wird offenbar Zeit, daß du wieder ein eigenes Schiff führst, was? Du wirst allmählich unausstehlich.“

Ribault grinste schief. „Ich kann die Küste noch nicht sehen, das ist es. Im übrigen wäre ich längst an Bord der ‚San Lorenzo‘, wenn Hasard mich nicht gestoppt hätte.“

„Denk an deine Blessur“, sagte Hasard.

„Die kannst du vergessen.“

„Du trägst mir wohl immer noch nach, daß ich dich hier zurückgehalten habe, was?“ Hasard lachte auf. „Aber keine Sorge, das ändert sich bald.“

„Wann erreichen wir denn nun die Küste?“ fragte Pater David.

„Nach meinen Berechnungen gegen Abend“, erwiderte Dan.