Inhaltsverzeichnis


Erster Teil
Zweiter Teil
Dritter Teil

An den günstigen Leser!

Der Schreiber der nachfolgenden Geschichten begibt sich in dieser Stunde mit banger Freudigkeit an sein Geschäft. Es gibt Leute, welche darüber lachen, daß man zu irgend einem Tun den lieben Gott mit rechter Inbrunst um Hülfe anrufen könne; demungeachtet scheut sich der Schreiber nicht, zu gestehen, daß er solches jetzt eben von ganzem Herzen getan habe. Schon früher hat ihm das bei ähnlichen Unternehmungen geholfen, und er verhoffet zuversichtlich, es soll auch diesmal helfen. Denn wie ein reiches Meer mit wunderlichen Ufergestaltungen, mit Regenbogenfarben auf den Wassern, mit vielfach wechselnder Strömung und gestaltungsreichem Wolkenhimmel drüber hin, schwebt mir diese Geschichte vor. Den großen Weg, den ich zu steuern habe, kenne ich wohl, aber von den Abenteuern, die sich mir einzeln entgegenstellen werden, ahne ich bei weitem mehr, als ich weiß. Ich lade dich dennoch ein, mein günstiger Leser, schiffe nur getrosten Mutes mit mir hinaus. Es wäre denn, daß du den Namen des lieben Gottes, den ich eben angerufen habe, nicht gut leiden könntest, sonst, meine ich, sollst du mit dem, was ich dir geben will, und was mir zukam und noch zukommen wird, wohl zufrieden sein. Nur wisse, daß das, was dir am besten gefällt, nicht mein eigen ist, sondern eine süße Gabe von oben herab, die mir nur dann wird, wenn ich selbsten besser bin, als es in der gewöhnlichen Art meines verderbten Wesens liegt. Ich gebe dir also in den nachfolgenden Blättern das Allerbeste, so mein Selbst erschwingen mag, wie hier die reine Wahrheit, für welche ich dir mein ehrliches Wort verpfände. Und somit sei mir in den Hainen und Wiesen, und Schlachten und Festen, und Trauer- und Hochzeittagen, die sich demnächst erschließen werden, aus ganzer Seele willkommen!

Ein Leben, zwischen kindlichen Spielen und höherer Weisheit schwankend, führte Bertha auf dem Schlosse. Sie stand wie auf einer Schwelle, und konnte sich doch mit süßer Behaglichkeit darauf lagern, von Lüften einer zwiefachen Welt angeweht. Die geheimen Künste der Muhme boten sich der Jungfrau willig zum Spielwerke dar, und deuteten doch immer zugleich auf unerhörte Heimlichkeiten in der Ferne. Wenn ihr Bruder vor die Burg kam, erzählte sie ihm gern über die blumigen Zinnen hinaus, wie wohl es ihr gehe, und was für unerhörte Wunder sie schaue. Er dagegen freute sich, daß ihr holdes Antlitz immer rosiger zwischen den weißen Blüten hervorblickte, und so schieden sie beständig in Zuversicht und Freude voneinander.

Vor allem andern Zeitvertreib hatte Bertha einen wunderlichen Spiegel lieb, der zwischen unbekannten Zeichen in die Wand eines abgelegenen Gemaches eingefügt war. Als ihn ihr die Drude zum erstenmal zeigte, und den Vorhang davon zurücke zog, sagte sie: »Da bildre ein bißchen, Kind. Ich habe jetzt Hochwichtiges zu tun.« – Und wie nun Bertha allein vor dem Glase stehn blieb, wußte sie erst gar nicht, wie sie es mit dem Bildern anfangen sollte, aber sie ward dessen bald inne, denn ganz von selbsten fing es in dem Spiegel an zu leben von mannigfachen Gegenden, Tieren, Menschen und Gebäuden. Bald sah man in eine weite Meeresfläche hinaus, und Schiffe zogen drauf hin und her in Handel oder Krieg, unter heiterm Sonnenhimmel oder Nachtsturm. Dann wieder taten sich weite Kirchenhallen auf, und viele betende Menschen drin, oder große Marktplätze mit Schranken und turnierenden Rittern. Die sah aber Bertha weniger gern, denn sie mußte dabei an den Kampf zwischen dem Freiherrn von Montfaucon und dem Grafen von Walbeck denken, und wie viel sie dabei verloren hatte. Wieder wandelte der Spiegel seine Gestaltung in das Innere einer prächtigen Pfalz, und ein großer König saß auf dem Thron, und herrliche Frauen und Ritter um ihn her. So auch ließen sich mohrische Städte schauen, mit ihren seltsamen Einwohnern in langen, reichen Kleidern auf den Gassen. Woran aber Bertha vorzüglich gern ihre Augen weidete, das war eine einsame, es schien hoch nordliche Gegend, voll unerhörter Felsengebilde, und auf einer der höchsten Klippen eine alte, moosige Warte, und durch die Fenster der Warte schimmerte ein Lichtlein heraus, nur ganz dämmrig und verstohlen, aber es kam der Jungfrau vor, als müsse dorten ein wundersam stilles Glück zu finden sein. Sie hatte auch dessen gegen die Muhme kein Hehl; und diese sagte ihr oftmalen: »Was dir so wohl gefällt, liegt weit, weit von hier, hoch in das kalte Schwedenland hinauf. Ich reise auch bald hinüber nach der einsamen Warte; doch kann ich dich leider nicht mitnehmen.« – Diese Reden machten der Jungfrau die nordliche Felsgegend nur noch lieber, und nie lächelte sie anmutiger und zufriedener, als wenn sich ihr beim Bildern im Spiegel der alte Turm offenbarte und das einsame Klippengestein.

Eines Abends spät war die freundliche Drude mit ihrem Pflegekinde noch hinaufgegangen auf einen alten Turm der Veste, wo nichts über ihnen war, als der klare Sternenhimmel, und wo die Lüfte der lauen Sommernacht, ungehindert vom Baum oder Gebäu, um sie her zogen, wie ein friedliches Meer. Da richtete die Muhme ihre Augen unverwandt in das golddurchfunkelte Blau, und es war, als sehe sie nicht nur, sondern als höre sie zugleich viel Herrliches von da oben herab. Bertha unterbrach endlich, leise flüsternd, das lange Schweigen, und sagte: »Ach, holde Frau, Ihr horcht ja fast auf, als vernähmet Ihr die Töne der kreisenden Goldreifen in Euren Sälen, und doch ist alles still.« – »Vernehme ich denn nicht die Töne der kreisenden Goldreifen?« entgegnete die Drude mit einem verzückten Lächeln. »Nur dir, mein arm uneingeweihtes Mädchen, nur dir ist alles still. Aber wie die Goldreifen bisweilen unten im Saale sich drehen, so drehen sich hier endlos oben am leuchtenden Himmelssaal die seligen Goldreifen, welche man Sterne nennt, und tönen in so wunderlieblichem Hall, daß jedes andre Getön davor zu Mißlaut wird und verstummen muß, und sei es das lieblichste, so die Erde kennt. Wer ihm recht eigen ist, dem Sternengetön, der hört's. Die andern müssen sich mit dumpfem Erstaunen begnügen, oder wenn es hoch mit ihnen kommt, erbarmt sich ihrer ein seliger Traum, und klingt es ihnen schlafend in das Gemüt.«

Die Jungfrau aber sah ihre Muhme mit einem seltsamen Blicke an, denn sie hatte schon seit geraumer Zeit mehr Verlangen nach den geheimen Zauberkünsten empfunden, als Schauder davor, und war nun im Begriffe, die Drude zu bitten, sie solle sie einweihen in all das viele Wunderbare, welches sie hier umgebe. Aber Frau Minnetrost warf einen noch weit seltsamern Blick zurück, davor sich Bertha sehr entsetzte, und ihr mit einem Male alles wieder furchtbar in die Sinne treten mußte, was ihr jemals an den magischen Erscheinungen unheimlich vorgekommen war. Die Muhme indes starrte sie immer ernsthafter und durchbohrender an, und sagte endlich: »Kind, Kind, törichtes Kind, warum wolltest du bitten? Vermeinest du denn, weil du mit jenen wunderlichen Geheimnissen spielen darfst, es seie überhaupt nur ein Spiel damit? Wem es Gott eröffnet hat, der muß die ernste Bürde tragen, weil er nun einmal dazu geordnet ist. Kein andrer aber strecke die Hände darnach aus. Wehe, sehr wehe, tut oftmals diese Last. Ach, Kind, glaubst du denn, ich hätte immer hier gewohnt? Immer so einsam und unverstanden? Nie mit einem Namen wie andre Menschen geheißen? Ach nein, ach nein! Ein glückseliges Leben habe ich geführt, und mein geheimes Wissen hat es zerstört, obzwar ohne meine Schuld. Nun nennen sie mich Minnetrost, und ich habe für die Minne vieler Leute Trost; für meines eignen Lebens Minne hab ich keinen mehr.« – Damit fing sie mildiglich zu weinen an, und legte ihr Haupt, wie tränenmüde, an der Jungfrau Brust. Das ging recht wehmütig süß durch Berthas Herz, denn sie hatte ihre wundersame Muhme bis jetzt nur immerfort in stiller Heiterkeit gesehn, wie einen leuchtenden Mond, und nun ward es ihr erst recht klar, daß auch sie ein menschliches, Leid und Freud empfindendes Wesen sei, und sie konnte gar nicht ablassen, sie auf das liebevollste an sich zu drücken, und mit ihr zu weinen, und zu ihr zu sagen: »Ach liebe, liebe Muhme, wie so gar unaussprechlich habe ich Euch lieb!« – Frau Minnetrost aber richtete sich mit freundlichem Ernst wieder empor, und sprach: »Wenn du mich denn so lieb hast, mußt du es auch hübsch darnach einrichten, daß wir beisammen bleiben können. Siehe, ich reise nun auf eine ganze Zeitlang von hier, hoch nach der nordischen Warte im Schwedenlande hinauf, die du bei deinem Bildern so gerne siehst. Zwar reise ich wohl schneller, als andre Menschenkinder zu tun pflegen, aber weit ist doch immer die Fahrt, hochwichtig das Geschäft, unsre Trennung lang! Da halte dich nun derweile recht still und eingezogen daheim; siehe auch nicht aus den Fenstern, noch minder über die Zinnen hinaus, wenn ich dir raten soll. Auch wird dein Bruder in dieser Zeit nicht vor die Tore kommen; ich hab' es ihm durch einen Boten angesagt. Doch sollst du dich gar wohl ergötzen: der Bilderspiegel wird dir schöne Dinge zeigen, hell dich die Goldreifen umtönen, und Blumen und Weiher und alles wird dir dienen, als wär ich selbsten hier. Doch, liebes Kind, zeuch nicht den Vorhang von dem Spiegel mit deiner Hand zurück, bring nicht mit deiner Hand die Goldreifen in Bewegung, berühre mir die Blumen nicht. Wenn du von irgendwo was begehrst, so sing in deine Laute, oder spiel' auch nur darauf, und es wird kommen. Geduld, mein liebes Kind, und Sanftmut, und Gehorsam! Dann bleiben wir beisammen, und alles wird bald unaussprechlich gut!«

Dabei küßte sie die staunende Jungfrau, und begab sich schweigend in ihr Gemach. Am folgenden Morgen suchte Bertha nach der Muhme in der ganzen Burg vergebens.

Verschiedene Tage der Einsamkeit waren an Bertha still und friedlich vorüber gegangen. Alle die wunderbaren Töne und Gebilde hatten auf das Anmutigste mit ihr gespielt, und indem sie die Sorge für Garten und Wirtschaft und Küche ganz allein übernahm, ward ihr doch alles vor unsichtbaren Begünstigungen so leicht, daß es minder Geschäfte zu sein schienen, als artige Spiele, mit zu den andern gehörig. Da ließ sie sich eines Nachmittags von der Barke auf dem tiefblauen Weiher umherwogen, und die Sommerlüfte spielten erquickend um Stirn und Wangen der holden Schiffenden. Zugleich hielten sonndurchblitzte Wölklein ordentlich einen Reigentanz am Himmel, und viele Vögel flatterten auf die Zinnen der Burg, sahen zwischen die weißen Blumen herein, und schwangen sich dann wieder jubelnd und tirilierend, wie trunken von Lust und Freiheit, durch die heitre Tagesbläue hin. Es war, als wolle ihr das alles zusammen etwas von draußen erzählen, und sie ermuntern, doch wenigstens einen einzigen Blick in die lustige Weit hinaus zu tun. »Was könnte es denn am Ende auch schaden?« sagte sie zu sich selbst. »Es ist die Frage, ob ich überhaupt die Muhme mit ihren Warnungen recht verstanden habe. Auf die Erde hinauszublicken, für die mich Gott erschaffen hat, kann mir doch unmöglich irgend jemand verbieten wollen.« – Und fast so schnell, als der Gedanke gedacht war, hatte auch Bertha die goldhelle Barke zum Ufer zurücke gewandt, und weil sie ja doch weit minder über die Zinnen als zu den Fenstern hatte hinausschauen sollen, erwies sie sich, wie sie meinte, recht gehorsam, ging vor den lockenden weißen Blumenwarten vorbei, und in ein Gemach, von wo sie wohl sonst, wenn sie mit ihrem Bruder an den Zinnen sprach, die Muhme hatte herausblicken sehen. Das Kämmerlein enthielt auch weiter nichts Heimliches, und Bertha hatte alsbald das buntbemalte Glasfenster geöffnet, und schaute über das weite grüne Land dahin.

Eine sehr vergnügliche Aussicht tat sich von hier über fruchtbare Wiesentäler auf in das nahe Meer hinein, auf dessen windstillem Spiegel die Sonnenstrahlen ihr leuchtendes Spiel trieben, ein nahes buschiges Eiland, wie mit goldblauen Gluten umkränzend. Bertha fühlte sich nach dem Eilande von einer tiefen Sehnsucht hinübergezogen; sie dachte, ohne zu wissen warum, Otto müsse darauf wohnen, und sich eine blühende Siedlerhütte unter den Schatten gebaut haben, in gänzlicher Vergessenheit der prächtigen Gabriele, und im stillen Harren und Hoffen nach seiner ersten Minne. Es kam ihr das alles immer wahrhafter und notwendiger vor; sie meinte schon zu wissen, wie der Boden zwischen den Gesträuchen durch Ottos Pflege hell und duftig erblüht sei, und wie zierlich geordnete Pfade sich weißleuchtend durch die Pflanzung hinschlängen. Bald darauf schwebte ein Nachen heran, der zwischen dem Eilande und der Küste hin und her wogte im Sonnenglanze, und die Gestalt ihres Bruders in dem Fahrzeuge ward ihr mit jedem Augenblicke kenntlicher an Wuchs, Bewegung, und Farbe und Schnitt der Kleidung. – »Mein Gott«, dachte sie, »sollte der wohl Otto gefunden haben auf der Insel, und sich mit ihm versöhnt, und mich nun hinüberrudern wollen zu ihm?« – Dabei kam es ihr ganz deutlich vor, als winke Heerdegen mit einem weißen Tuche nach ihr; aber wie sie eben das ihre faßte, den Wink zu erwidern, erschrak sie vor der Versuchung und schlug das Fenster zu. Mit tiefer Wehmut dachte sie an ihre gütige Muhme, und wie sie am Abend vor der Abreise so herzensfromm und betrübt gewesen sei, und sie mußte bitterlich weinen, daß sie deren Rat und Bitten auch nur Augenblicks habe ungetreu werden können. Dennoch, – so schwach in der Versuchung sind wir arme Menschen! – ließ die Lust nach dem Eiland und dem Nachen keinesweges von ihr ab, und um sich selbst vor sich selbsten sicher zu stellen, sagte sie mehrmals laut: »Törichtes Zeug! Ich habe gottlob! ja nicht einmal die Schlüssel zum Burgtor.« – Da ward es plötzlich in ihr ganz klar, daß sie recht gut wisse, wo sie liegen, und ihre Bangigkeit stieg so hoch, daß sie sich auf keine Weise mehr zu raten und zu helfen wußte.

Ängstlich nach Zerstreuung suchend, vor ihrem eignen Wollen in übereilter Flucht, rannte sie nach dem Gemach, drinnen der Spiegel mit den Bildern eingefugt war. Sie streifte unterweges an einen Sessel, worauf ihre Laute lag, und die freundlichen Saiten klangen ihr nach, als wollten sie ihr zurufen: »Nimm uns doch mit, du sollst uns ja klingen lassen, wenn du etwas von den schönen Wunderdingen willst!« – Aber Berthas aufgeregter Sinn hatte für solche leise Sprüche jetzo kein Gehör, sie stürzte atemlos in das Gemach, und so ernst und feierlich auch der blutrote Vorhang vor dem Spiegel in schweren Falten herunter hing, faßte sie ihn dennoch in wilder Vergessenheit an, und riß ihn heftig vor dem magischen Glase zurück.

Und auf der geheimnisreichen Fläche wogte es, und dunkelte es, wie ein ungeheures Meer, wie ein Schaffen, das noch in den ersten Regungen begriffen sei, und nur unversehens, aller schonenden Hüllen beraubt, hervorgerissen werde an den Tag, davor es sich abscheulich entsetze, und sich ineinanderkräusle zu allerhand Ungestalten des Abgrunds. Bertha wollte es wieder mit dem Vorhang verhüllen, aber so, wie sie nur die zitternde Hand erhub, fing das Drehen und Wirbeln einen zwiefach grimmigen Kreislauf an, und sie blieb entsetzt, und festgebannt, und zweifelnd stehen. Endlich trat eine Menschengestalt in dem Spiegel hervor, aber sie war sehr bleich und sehr verzerrt von wildestem Zorn. Und wie sich es auch Bertha ableugnen wollte, sie mußte dennoch ihren Bruder Heerdegen darin erkennen. Über seinem Kopfe saß etwas mit zwei ungeheuern goldfarbigen Geierflügeln; sie wußte nicht, trug er einen Helm von so wunderlicher Gestaltung, oder war es ein Geier selbst, der ihn vielleicht mit seinem scharfen Schnabel so bleich gehauen hatte. Wie sie noch darüber nachsann, kam ein Frauenbild in dem Spiegelglase zum Vorschein, das war sehr blutig, und recht hinschauend, mußte Bertha mit ungeheuerm Entsetzen aufschreien: »Herr Gott, das bin ich ja selbst!« – Und gejagt von dem Bilde, gejagt von dem Klange ihres eignen Rufes, stürzte sie sträubenden Haares aus dem Gemach, in den Saal hinein, wo die Goldreifen hingen. Starr und regungslos hingen sie da, wie von unsichtbaren Banden gehalten, ohne den leisesten Ton, und Bertha hätte um alles jetzt das lauteste Schallen von ihnen begehrt, denn in dem nahen Gemache regte es sich wunderlich, als seien die Bilder aus dem Spiegel los, und übertäuben, überjubeln sollten die Reifen jenes schauerliche Geräusch, und die drückende Angst in der Jungfrau eignen Brust. Da dachte sie wohl daran, daß sie mit Lautenklängen oder mit Gesang erheischen solle, was sie von diesen Zaubereien verlange. Aber der Gesang war ihr wie eingefroren in Schreck und Bangen, die Laute lag fern jenseit des unheimlichen Spiegelgemachs. Ohne Wahl riß das Entsetzen Berthas Hand zu einem der nächsten Reifen hinan, und zu drehen begannen sich alle, und zu tönen, aber wie mit dem Tone des Sturmes und Donners, ein heisres Brüllen als von wilden Tieren zwischendurch; Schwertergezische klirrte hinein, und ein jämmerliches Wehklagen, wie von qualvoll sterbenden Sündern. Endlich kreisten die Reifen schneller und schneller, gräßlicher heulte der Lärmen, ein wüstes Lachen schmetterte hindurch, Berthas Haupt begann zu schmerzen und zu schwindeln, und da pochte es an die Tür vom Spiegelgemache her. Bertha meinte, sie werde sich nicht enthalten können, Wer da? zu rufen, und dann werde es ihr mit ihrer eignen Stimme antworten: »Ich selbst!« und sie werde dann sich selbsten hereintreten sehn, blutig und sehr verzerrt, durch die furchtbare Tür, und mit offenen Armen grinsend auf sich zu – im halben Wahnsinn stürzte sie aus den Gebäuden, und über den Burgplatz hin nach den Toren zu, pfeilschnell die Ufer des Weihers entlängst. Der zischte wie kochendes Wasser himmelan, und überhaupt sah alles verwildert und seltsamlich aus; unter anderm waren die mehrsten Blumen blutrot geworden, und schwankten wie ungeheure Flammen von den Zinnen herab, und schlugen auf die Flüchtige los. Wie stieg aber ihr Entsetzen, als sie sich dem Ausgange nahte, und ihr einfiel, daß sie die Schlüssel vergessen hatte. Sollte sie nun durch alle die wunderlichen Greuel wieder darnach zurück? Sie fühlte wohl, das ging nicht, denn sie wäre toll davon geworden. Und so rannte sie immer dem Tore zu, ängstlich nach ihrem Bruder rufend, ob sie gleich wußte, der könne ihr in diesen Mauern nicht helfen. Aber die Pforten standen auf, weit auf, obgleich sie sehr schwankten, und mit ungeheurer Schwere in jeglichem Augenblicke zusammenzuklappen drohten, zerschmetternd, was sich zwischen sie hineingewagt hätte. Dennoch faßte die Jungfrau einen Mut, und rannte gestreckten Laufes zwischen durch, und kaum war sie hinaus, da fielen die ehrnen Flügel mit betäubendem Gerassel hinter ihr zusammen, so daß sie im Entsetzen vor einem so nahen, kaum überstandenen Augenblicke des Zermalmens noch pfeilschneller den Hügel hinunterflog, unten aber in völlig ohnmächtiger Erschöpfung zu Boden sank. Sie hörte nur noch, daß von allen Seiten ein wildes Waffengetös sich erhub, und merkte, wenn sie bisweilen wieder zu sich kam, daß ihr Bruder sie in seinen Armen trug, und wie zu sich selber sagte: »Wir müssen machen, daß wir in den Kahn gelangen, und nach dem Eiland hinüber. Das Volk ist hier ganz toll worden vor dem Spuk auf der Burg.« – Dann flüsterte Bertha, ihrer vorigen Ahnungen gedenkend: »O nach dem Eiland; o ja, nach dem lieben Eiland hinüber!« schloß aber alsbald die ermatteten Augen wieder zu.

Erwachend fand sie sich auf dem Rasen liegen, ihren Bruder neben sich kniend, und mit ängstlicher Sorgfalt um sie beschäftigt. Noch immer tönte ein verworren wildes Geräusch in ihr Ohr. Sie richtete sich in die Höhe, und sah, daß es staubig und waffenblitzend auf dem festen Lande tose, von welchem sie durch einen Arm des Meeres geschieden war. Der Nachen schaukelte sich angelegt zu ihren Füßen.

»Gottlob, daß wir auf der Insel sind!« sagte sie zu ihrem Bruder, und Heerdegen erwiderte: »Ja freilich ist es recht gut. Denn vor dem wilden Donnern und Stürmen von der Mondesburg herab, hat sich das ganze Land in Waffen erhoben, teils um die Drude, welche sie gefährdet glauben, zu retten, teils um den eigenen Grimm, dieweil es ja selbst vom Sitze des Friedens hertoset, desto ungehinderter gegeneinander austosen zu lassen. Das ist nun fürder dort kein Wohnungsplatz für zarte Fräulein mehr, und wir müssen trachten, wie wir weiter von hinnen kommen.« – »Warum denn von hinnen?« fragte Bertha, »Warum denn von diesem Eilande weg? Hier blühet gewißlich Frieden und Liebe und Versöhnung, und alles, was man nur auf Erden wünschen kann. Folge mir nur, ich weiß Bescheid.« Und damit schritt sie in die tiefgrünen Schatten der Gebüsche hinein; überzeugt, sie müsse Otto und seine Siedlerhütte finden, der frühern Gaukelei ihrer Wünsche gemäß, welche sie mit den weissagenden Gebilden des Spiegels verwechselte. Heerdegen mochte wohl glauben, sie habe wirklich ein geheimes, wohltätiges Wissen mit aus der Burg gebracht, und ging ihr staunend nach in die Verschlingungen des unwirtbaren Forstes hinein.

Aber da sahen sie nichts von geebneten Gängen, nichts von zierlich gepflegten und geordneten Blumen, nichts überhaupt, was den Sinn und die Hand einsam sehnender Liebe verraten hätte. Eifriger und erhitzter drang Bertha vor; sie stand fast im Begriff, nach Otto zu rufen, nur daß Scham und Furcht vor dem Bruder ihre Zunge band. Während dessen wanden die Gezweige der Bäume sich immer dunkler zusammen, die Wurzeln liefen wilder und kühner über den feuchten Boden hin, Schlangen und andre Untiere raschelten, von den ungewohnten Menschentritten erschreckt, scheu durch das hohe Gras. Da blitzte schon das Meer von der andern Seite wieder herdurch, und seinen Strand ereilend fand Bertha nur eine noch wildere Gegend, wo auf alten Runensteinen und Grabhügeln die Abendsonne ihre Scheidelichter wehmütig spielen ließ, wehmütig die Seelüfte im Moose rauschten, das über den grauen Denkmalen hervorgeschossen war. Weinend sank die getäuschte Bertha auf einen der verwitterten Steine hin, und rief in schmerzlicher Ergebung aus: »So war es denn nichts, als ein Grab?« – Je mehr nun ihr Bruder mit Fragen in sie drang, je bitterlicher mußte sie weinen, die Beschämung über ihr voreiliges Hoffen und dessen Vereitelung mit gleich heftigem Jammer empfindend.

Heerdegen fing, in seiner Betrübnis und Ungewißheit über die Tränen der Schwester, auf die Muhme zu schelten an, die gewiß mit ihren tollen Zauberstücken das Gemüt der Jungfrau so wunderlich verwirrt habe. Da tat sich mit dieser Erinnerung eine neue Quelle schmerzhafter Tränen für Bertha auf. Mit all ihrer feierlichen Milde, mit ihrem Weinen am letzten Abende, mit ihren zärtlich warnenden Bitten stieg Frau Minnetrost vor dem Geiste des Mägdleins auf, und die Reue über das verletzte Versprechen, wie auch über das verlorene Glück, welches die Drude als nahe bei ihrer Heimkehr angedeutet hatte, löste die arme Bertha fast ganz in Wehmut auf, und machte ihren Bruder mit jedem Augenblick ungeduldiger.

Da hörten sie dicht neben sich ein helle und liebliche Frauenstimme erklingen, welche ungefähr folgende Worte sang:

»Beeren glührot, Blätter grün
Brauen grimmen Heldentrank.«

Und aufblickend gewahrten sie einer hohen, schlanken Gestalt, die am Ufer umherging, bisweilen sich nach dem Grase bückend, oder Laub von den Zweigen streifend, und alles in einen glänzenden Becher einstreuend, den sie unter dem Arme trug, und der wie ein großes goldnes Horn anzusehen war. Reiche blonde Haare wehten über den Nacken und die Schultern der Wandelnden hin, zugleich ihr das Antlitz, weil sie suchend nach der Erde sah, verhüllend. Ein reichgesticktes Gewand, wie nur vornehme Frauen es tragen, aber nachlässig gegürtet und wie zum Reisen aufgeschürzt, schmiegte sich um ihre zarten Glieder, von ihren Hüften hing ein schönes leuchtendes Schwert herab, Köcher und Bogen über ihren Rücken. Sie sang und suchte emsig fort, während die beiden Geschwister ihres eignen Leides und Unwillens vergaßen, um die herrliche Erscheinung zu betrachten, und auf die seltsamen Worte ihres Liedes zu horchen, welches in ganz ungewohnten Weisen klang, und von einem Zaubertranke handelte, der Helden grimm mache zur Schlacht, und ganz unüberwindlich, als nur vor bezauberten Waffen. Jeder Absatz schloß aber mit langsamen milden Klängen, und in einen weichern Ton übergehend. Er hieß etwa also:

»Aber zögernd trink, mein Zecher,
Zaubermet ist wild. O hüt dich!«

Als sie sich eben wieder nach dem Grase gebeugt hatte, rief Heerdegen unwillkürlich aus: »O Gott, wie muß ihr Antlitz schön sein!" – Da sprang sie fieberschnell in die Höhe, wie eine starkgebeugte junge Tanne, die plötzlich ihre Bande zersprengend gegen das Himmelblau wieder emporfährt. Und sonnengleich strahlte die wunderbare Schönheit ihrer Züge durch die finstre Gegend. Aber der Zorn funkelte alsbald aus den großen blauen Augen. Drohend blickte sie nach den Geschwistern herüber, und rief: »Ihr habt mich gestört! Wozu der günstige Abend nun! Wozu der herrlichen Zauberkräuter reiches Blühn!« Und zürnend schüttelte sie das Goldhorn, daß dessen würziger Inhalt zerstreut über die Gräser hinflog. Heerdegen wollte sich ihr entschuldigend nahen. Da blinkte die helle Klinge rasch in ihrer schönen Hand. Sie winkte ihn zurück damit, und schritt feierlich in einen Nachen, der sie vermutlich kaum erst hergetragen hatte, und den sie nun geübten Armes mit Ruderschlag in die weite Meeresfläche hinaustrieb, bald darauf hinter einem nahen Hügelgehölze verschwindend.

Die Geschwister sahen ihr staunend nach, und als sie nach einer Weile anfangen wollten, sich über die seltsame Erscheinung zu besprechen, fuhr Bertha überrascht in die Höhe, und rief: »Ach Bruder, was sind das für wunderliche Masten dort im Wald?« – Und hinschauend ward Heerdegen statt der Masten gewaltige Hallebarten gewahr, welche über das minderhohe Gezweig hervorragten. Gleich darauf traten viele der Männer, welche sie trugen, aus dem Schattendunkel des Forstes heraus: riesengroße Gestalten, mit gewaltig klirrenden, schweren Panzerplatten überdeckt, und große, erzbedeckte Schildränder an ihren linken Schultern. Heerdegen sprang empor, und blickte forschend, die Hand am Schwertgriff, nach der andern Seite um, von welcher eine eben so furchtbare Menge gewaffneten Volkes angezogen war. Ein bildschöner junger Mann, im goldfarbnen Harnisch, von seinem sehr hohen Helme zwei ungeheure, goldgetriebne Geierflügel hervorragend, trat aus dem Gewirre der Schar auf den Platz heraus, zeigte mit einem mächtigen Wurfspeer in seiner Rechten auf die Geschwister und sagte: »Bringt sie nach unsern Schiffen.« – »Was wollt Ihr mit freigebornen Leuten?« rief Heerdegen, und das Schwert in seiner Faust leuchtete den Fremden entgegen. »Tritt hinter mich, Bertha! Und wer sich von euch zuerst heranwagt gegen uns, hat sein Leben verspielt.« – Da richteten sich eine Menge von Wurfspeeren in nervigen Händen gegen den Jüngling, aber der Anführer rief – »Laßt ab! ich will sie lebendig.« – Und die Wurfspieße senkten sich, aber die Schilde reiheten sich zusammen, wie zu einem kunstreichen, wandelnden Gebäu, und immer enger und enger schloß sich der eherne Reihen um Heerdegen und Bertha her. – »Pfui des Mißbrauchs der Übermacht!« rief der bedrohte Jüngling. »Hättest du Goldgeharnischter dort ein kühnes Herz, und wärst ein Rittersmann, wie ich, die Fehde nähme bald einen andern Gang.« – »Halt!« rief der junge Führer, und die vordringenden Erzriesen standen wie regunglos. Dann trat er selbsten in den Kreis, stellte sich Heerdegen gegenüber, lehnte sich auf den Griff seines großen Schwertes, und sprach: »Was wolltest du denn da sagen, du wärst ein Rittersmann? Du bist ja ohne allen Harnisch.« – »Zog ich denn aufs Kämpfen aus?« entgegnete Heerdegen. »Ich fuhr mit meiner Schwester zu Abend von der Küste herüber. Wer dachte an Überfall!« – »Ihr hättet doch dran denken sollen«, antwortete der Fremde. »Habt ihr mir meinen Zins vorenthalten, so nehm' ich dafür im Vorübersegeln von eurem Strande, was mir gefällt; ihr beide gefallt mir, obgleich du auch in Wams und Barett nicht prächtig angetan bist, wie eure Häuptlinge doch sonst zu tun pflegen.« – »Zu den Häuptlingen des Landes gehör' ich nicht«, sagte Heerdegen. »Ich bin ein fremder Rittersmann, und halte nichts auf Schmuck und Zier.« – »Das seh ich wohl«, hohnlachte der Führer, »und wer weiß überhaupt, wie es mit deinem Rittertum angetan ist! Fangt ihn ein, Landsleute.« – Die ehrne Mauer engte sich wieder, langsam vorschreitend, zusammen. – »Halt!« rief Heerdegen mit so erschütternder Stimme, daß die eisernen Gestalten abermals standen, wie auf das Gebot ihres Herrn. »Ich erkenne euch für Normänner«, fuhr er fort, »an Sprache, Gestalt und Tracht. Normänner sind tapfre Degen, dem Zweikampf hold und jeglichem ehrbaren Wagstück. Ich rufe dich auf, du Führer dieser Schar, prob' dich mit mir in Waffen. Der Obsieger mag entscheiden, was aus mir und meiner Schwester werden soll!« – »Ja, das ist ein andres«, sagte der Führer. »Hier wird's nun ein ordentlicher Holmgang, wie wir bei uns die ernsten Zweikämpfe nennen, die wir auf Eilanden ausfechten. Gebt Raum, ihr Kriegsleute, denn jetzt sehe ich wohl, daß hier ein echter Rittersmann vor uns steht, und steckt uns den Rund zum Gefechte ab. Du aber, fremder Degen, kannst du die Waffen unsres Volkes führen? Das ist eine Hauptsache, denn ich habe keine andern bei mir.« – »Siehst du mich für ein Knäblein an?« sagte Heerdegen. »Ein Kriegsmann, der so lange im Nordland umhergereist ist, als ich, wird doch wohl vor allen Dingen Nordlands Kampfessitte gelernt haben, und verstehn, eure großen Schilde zu schwingen, und eure gewaltigen Speere zu werfen.« – Da sorgte der Führer alsbald, daß schöne Harnische und Helme und Schilde herbeigeschafft wurden, und auch die besten Wurfspieße, die man im Schiffe fand, und ließ unter allen seinem Gegner die Wahl. – »Schwerter«, sagte er, »heiß ich dir nicht bringen, dieweil ja ein eignes an deiner Hüfte klirrt, und ein solches ist doch immer uns Fechtern der allerbeste und zuverlässigste Freund.«

Während sich nun Heerdegen mit der Beihülfe des normännischen Helden waffnete, sprach dieser: »Siehst du nun wohl, daß ich ein ehrlicher Ritter bin? Ich wußte nur anfangs nicht so recht gewiß, ob ich auch an Geburt und Kampfrüstigkeit meinesgleichen vor mir hätte. Sonsten, wenn du viel in den Nordlanden gereiset bist, kann es dir nicht unbekannt geblieben sein, daß wir Seeritter nicht nur zu siegen wissen, sondern zu schonen und den Gegner zu ehren auch.« »Ich weiß wohl«, entgegnete Heerdegen, »und in dieser Zuversicht rief ich dich um den Zweikampf an. Aber nun sage mir vor allen Dingen, Kampfgesell, ob dich die schöne Jungfrau mit dem Goldhorn und dem Ritterschwerte zur Rache gesandt hat, weil ich sie in dem Sammeln ihrer Kräuter und Beeren und Blätter gestört?« »Ich weiß nicht, was du mit deiner schönen Jungfrau willst,« antwortete der Seeritter. »Außer dem holden, zitternden Bilde dort, welches du deine Schwester nennst, weiß ich von keiner schönen Jungfrau weit und breit. Da mußt du mir ordentlich erzählen, was du damit meinst.« – Und kaum daß Heerdegen von der wunderbaren Erscheinung Bericht abgestattet hatte, so kehrte sich der Normann zu einigen Kampfgenossen, die in seiner Nähe standen, und rief aus: »Denkt einmal, Gerda ist hier gewesen, und kaum vor einer halben Stunde, und hat hier Zauberkräuter gesucht! Was mag das wohl bedeuten sollen?« – Die Befragten schüttelten unzufrieden und schweigend die Köpfe, und wurden, als sie eben ihre Meinung kundgeben wollten, daran verhindert, weil ein junger Kämpfer herangesprungen kam und sagte: »Ja, was ist hier zu fragen und zu besinnen! Wer sich noch bei den letzten Sonnenlichtern schlagen will, der mache schnell, und grüble nicht lange. Bleibt er leben, so hat er nachher noch Zeit zum Überlegen genug, fällt er, so steht ihm die Neugier nicht mehr an.« Und weil nun Heerdegen bereits vollkommen gerüstet war, auch einen Spieß und Schild sich ausgesucht hatte aus dem Haufen, schritten die zwei Fechter in das Rundteil hinein, welches die Geübtesten unter den Kriegsleuten indessen nach nordländischer Sitte genau abgemessen, und mit eingesteckten Haselruten bezeichnet hatten. Jeden der beiden Kämpfer führte ein eisgrauer Degenheld an seinen Platz, drückte ihm die Hand, sagte: »Halt dich gut!« und ließ sie dann einander gegenüber allein.

Die Speere hoch, die Schilde zur Deckung vor die Brust gehalten, begannen die Fechter langsamen, gemeßnen Schrittes in derselben Entfernung umeinander her zu gehn, immer an den Grenzen des Kreises hin, jeder eine Gelegenheit zum Wurf erspähend. Wohl bemerkte Bertha mit heißem Erbangen, daß ihrem Bruder dies fremde Gewaffen ungewohnt sei, daß er sich unter der Riesenwucht des Schildes unbeholfner als sein Widersacher bewege, und den ungeheuern Wurfspeer nur mühsam und prüfend ins rechte Gleichgewicht zu bringen wisse, dagegen der Seeritter sein Lanzengeschoß leicht, wie ein zieres Stäblein, in der Rechten schwang. Aber Mut und besonnene Freudigkeit am Kampf loderte zu gleichen Parten aus der beiden Streiter Augen. Wären die Lichter der Blicke Pfeile gewesen, die Ritter hätten allzwei durchbohrt auf den Rasen fallen müssen. Bisweilen schwang einer von ihnen den Speer, man mußte denken zum entscheidenden Fortschleudern, – dann aber war es nur ein Versuch gewesen, den Gegner zum übereilten Wurfe, oder zu irgend einer unvorsichtigen Wendung des Schildes zu locken, und fürder harrend und starr schritten sie ihren feierlichen Mordtanz umeinander herum. Da sausete plötzlich Heerdegens Speer durch die Luft, und zugleich drehte der Nordmann sein riesigleuchtendes Schild, wie einen wirbelnden Mond, fing das Geschoß mit der festen Mitte der Schutzwaffe auf, und schleuderte es so im Bogen geschnellt gegen den Werfer zurück. Und zugleich zischte auch seine Lanze fort und fuhr durch Heerdegens Schildrand mit so krachender Gewalt, daß sie den überraschten Fechter, eben da er zum Schwerte fassen wollte, mit sich zur Erde riß, den Schild in den rasigen Boden einpfählend. Noch eh' sich der Gesunkne davon losmachen konnte, war ihm der Seeritter gewaltigen Sprunges, wie ein geflügeltes Raubtier, auf dem Nacken, hielt ihm mit einem geschickten Griff beide Arme gegen den Rücken zusammen, und gewann gleich darauf mit der einen Hand des Schwertes Knauf, das er aus der Scheide riß, und weit über den Kampfesrund hinausschleuderte. Während dieses Ringens sang er mit lauter, fröhlicher Stimme:

»Hat den kräftigen Holmgang
Heiß gekämpft der Nordmann,
Kniet noch kaum sich regend
Fremder Kämpfer lautlos!«

Bertha aber sahe mit wachsendem Entsetzen, wie ihr Bruder erlag, sahe, wie die goldnen Geierflügel vom Helme des Siegers über das zornbleiche Antlitz Heerdegens hervorragten, und des gräßlich erfüllten Gesichtes im Zauberspiegel gedenkend, schrie sie laut auf: »O Geier, o mächtiger Geier, so schone des edlen Wildes!« – Da lächelte der Seeritter freundlich gegen sie empor, und sagte: »Ich tu' ihm nichts.« – Dann neigte er sich wieder zu Heerdegen, sprechend: »Du bist wehrlos. Willst du dich geben? Dann hast du's mit einem ehrlichen Feind zu tun.« – Heerdegen senkte in Beschämung und Ingrimm sein Haupt. Da ließ ihn der Nordmann los, ging lächelnd zu Bertha, und sprach: »Laßt es euch beide nicht gereuen, daß ihr mich eine Zeitlang begleitet auf meinen Fahrten durch die salzige Flut. Ich hab' Euch rühmlich gewonnen, und es ist für Euch und ihn nichts weiter, als hättet Ihr noch einen Bruder dazu. Der ist aber freilich der älteste, oder gilt doch dafür, und da müßt Ihr hübsch folgen, wie er's gebeut.« Dann kehrte er sich zu seinem Gefolg, und rief: »Boot heran! Segel bereit. Wir müssen heut noch viele Meilen schiffen beim Sternenlicht.«

Und noch war die Sonne kaum ganz hinab in die Flut, da fuhren die Geschwister schon mit der Flotte des Seeritters, – drei schnelle, wunderlich gebaute Fahrzeuge waren's, und sie mit ihm in demselben Schiffe, – auf und davon. Bertha aber stand auf dem Verdeck, und mußte bitterlich weinen, wie die Abendnebel am verschwindenden Ufer sich kräuselten, und mit ihren weißen Armen nach ihr zu fassen schienen, wie abgesandt von der verlassenen freundlichen Drude. »Ich käme ja gern, ich käme ja gern«, sagte sie leise unter ihren quellenden Tränen. »Ich kann ja nicht wieder zurück.« Eine weiße Taube flog girrend über sie hin, und die Küste verschwand in den Schleiern der Dunkelheit und des Meeres.

Einige Zeit, nachdem sich die letzterzählten Begebenheiten an dem Strande der Nordsee zugetragen, saßen Otto und Tebaldo in der Mitte des schönen Landes Frankreich unter den Schatten eines tiefdunkeln Forstes auf schwellendem Rasen beieinander. Die Sonne stand hoch am wolkenleeren Himmel, und schickte, ohne die Kühlung zu unterbrechen, nur heiter spielende Lichtlein durch das saftgrüne Laubengezweig. Die Rosse der beiden Gefährten graseten friedlich nebeneinander, denn des Ritters lichtbrauner Hengst hatte sowohl den gelben Polacken als dessen Herrn auf der langen Reise kennengelernt, und tat keinem von ihnen mehr etwas zuleide. Während nun Otto in ernsthaften Gedanken rückwärts gelehnt durch das Waldesgrün emporblickte nach dem Himmelblau, ergriff Tebaldo eine zierliche Mandoline, welche er immer mit sich zu führen pflegte, stimmte sie, und sang mit anmutiger Stimme folgende Worte zu seinem Spiel:

»Die Lande fliehn, die Reise schwingt die Flügel,
Im süßen Schwindel saust man durch die Lüfte,
Umkränzung immer neu, und nie Begrenzung!
Gehabt euch wohl, entschwundne Seen und Hügel,
Seid schön gegrüßt, ihr fern geahnten Düfte,
Einfassend ihr der Gegenwart Umglänzung!
O Wechsel, gaukelnd Kind der zart'sten Feien,
Führt endlos fort den lust'gen Lebensreihen!«

»Nein, ich kann dir dein Lied nicht nachsingen!« fuhr Otto aus seinem tiefen Sinnen auf, und Tebaldo entgegnete lächelnd: »Wer verlangt denn das auch von Euch? Singt ein anders. Die wenigsten Menschen können einerlei Lieder singen, kaum einerlei Lieder vertragen, weshalben es eben so viele Sänger und Dichter gibt, und geben muß.«

»Ich mag gar nicht singen«, sagte Otto. »Die Sehnsucht in mir überschwillt das holde Maß, in welchem sie ein tönend Meer des Liedes wird. Sag' mir, Tebaldo, ist es nicht unbegreiflich, daß man zwei so leuchtenden Gestalten, als Folko und Gabriele, zweien Namen, denen das ganze Frankreich zum Echo dient, noch immer vergeblich nachziehen kann, wenn man so lange und so eifrig bemüht ist, sie zu suchen, als wir?«

»Eben die vielen Spiegel, draus sie widerleuchten«, erwiderte Tebaldo lachend, »eben die zahllosen Echos, die von ihnen widerklingen, machen uns irre, und unsre Bemühungen zunicht. Sind die beiden nicht etwa schon ganz geworden, wie Erscheinungen aus der alten Sagenzeit, von deren wundervollen Taten jedermann erzählt, was ihm am wundervollsten vorkommt, und sich berechtigt glaubt, auf ihre Rechnung zu lügen, was er sich irgend erdenken kann? Sie sind gewissermaßen schon bei ihren Lebzeiten vergöttert, und eben deshalb auf Erden nicht mehr gut ausfindig zu machen.«

»Du willst mich zu lachen machen«, sagte Otto, »aber gib mir die Mandoline. Ich will doch lieber ein Lied singen.«

»Seht Ihr nun wohl?« sprach Tebaldo, ihm das Instrument hinreichend. »Ach ja, singt, lieber Ritter, singt. Gesang ist wahrlich der reinste Engel, der sich in unsre Welt herein verfliegt. Es müßte denn den Düften einmal einfallen, Paradies spielen zu wollen, die nehmen's wohl mit jenem auf.«

Otto rührte die Saiten und sang folgendes Lied:

»Vöglein dort im klaren Blauen,
Zeigt mir an
Rechte Bahn,
Wo sie führt zu meiner Frauen!
Ach, ihr fliegt so kreuz und quer
Irr umher,
Habt sie selbst noch nicht gefunden;
Bang' im Leib
Unterm bunten Federkleid
Tragt auch ihr der Sehnsucht Wunden.«

»Es ist seltsam«, sagte der Italiener, als Otto schwieg, »wenn Ihr deutsch redet und vollends etwas ungestüm, scheinen sich diese Bäume und Gräser und Gewässer ordentlich zu verwundern, ja wohl gar ein wenig zu erschrecken; aber so wie Ihr singt, ist alles wieder gut, und sie schauen ganz befreundet drein. Und seht einmal, was sie Euch jetzo gar, wie zur Belohnung, Wundervolles und Schönes bescheren wollen.«

Die Augen emporrichtend, sahe Otto, daß auf einem schlanken weißen Pferd ein junger Mann durch die Hainesschatten geritten kam. Er trug ein faltiges grünes Sängerkleid, und eine prächtige Goldkette darüber, an der ihm die blanke Zither vor der Brust herunterhing. Er spielte während des Reitens darauf, denn das Rößlein war so artig und wohlgezogen, daß es ordentlich den tiefer hängenden Zweigen aus dem Wege zu gehen suchte, damit sein Reiter nicht dadurch in seiner anmutigen Beschäftigung gestört wurde. Angekommen bei den Reisenden, fragte der Fremde: »Wart ihr es, die eben so ergötzlich gesungen habt?« Und auf Ottos höflich bejahende Antwort stieg er ab, sprechend: »So erlaubt, daß ich mich ein wenig zu euch setze. Gleich und gleich gesellt sich gern.« – Damit nahm er seinem Pferde das Hauptgestell ab, und ließ es über die frische Waldwiese hinlaufen. Alsbald kam Ottos Streithengst herbei, und stellte sich kampfheischend dem fremden Weidegesellen gegenüber, daß davor das zarte Tier erschrak, und Schirm suchend zu seinem Herrn zurücktrabte. Otto aber rief den zornigen Lichtbraunen mit strengen Worten an, und sogleich begab er sich ruhig zu dem Polacken, worauf denn des Sängers Rößlein wieder dreist ward, und sich in allerlei zierlichen Sprüngen auf dem Anger ergötzte.

»Wir ziehen vielleicht eines Weges«, sagte der freundliche Fremde, »ja ich hoffe es sogar stark. Denn wo ich jetzt einen geharnischten Ritter erblicke, kann ich mir immer nichts anders einbilden, als er reise nach Osten in das heilige Land.« – »Leider ist es mit mir nicht so«, entgegnete Otto mit einem flüchtigen Erröten, »aber es ist nicht meine Schuld. Ein gegebnes Wort treibt mich immer weiter gegen Abend fort, so sehr auch mein Herz der erquickenden Sonne des Orients entgegenschlägt.« – »Schade!« sagte der Sänger. »Es hätte hübsch sein müssen, in eurer Gesellschaft zu reisen. Aber so wie die Sache steht, habt ihr vollkommen recht. Gegebnes Wort ist heilig Pfand, und es wär' ein schlechter Gottesdienst, das Heiligste im Stich zu lassen, um dem Heiligen zu dienen. Wollt Ihr aber nicht für jetzt noch etwas singen?« – »Ich weiß nicht«, sagte Otto, »aber Ihr habt mir mit dem Gedanken an das Morgenland das Herz so schwer gemacht. Ich könnte jetzt nichts Ordentliches singen, oder doch wenigstens was Erfreuliches nicht. Viel lieber hörte ich von Euch ein Lied.« – »Ja«, sagte der Fremde, »ich weiß auch eben von nichts anderm zu singen, als vom Morgenland. Wenn Ihr mich aber hören wollt, so hört.« – Darauf schlug er die Saiten, und sang mit wundersüßer Stimme folgende Worte:

»Was bebt durch diese grünen Räume?
Was rauscht durch diese blaue Luft?
Was sagt ihr zueinander, Bäume?
Welch ferne Kunde bringst du, Duft?

Es klingt wie Jammer aus der Ferne,
Es hallt wie tiefer Seufzerlaut,
Es ist ein Weh, doch hört man's gerne,
Und hegt's, wie eine kranke Braut.

Ach Gott, wer hätt' es nicht verstanden,
In dem ein christlich Herze schlägt!
Seht ihr den Frevel in den Landen,
Wo man den Herrn ins Grab gelegt?

Die einen haben ihn erschlagen,
Die andern schwelgen um sein Grab;
Für jenes haben wir nur Klagen,
Für dieses Kling' und Lanzenstab.

Wenn Schmerzenlaut von dorther tönet,
Horch, wie von hier Trompete klingt,
Schau, wie mit rotem Kreuz verschönet,
Der Ritter sich in Bügel schwingt!

Sieh Wellen sich an Wellen schließen,
Und allesamt von blankem Stahl,
Den Speerwald sieh zusammenschießen,
Und jeder Zweig ist Gottes Wahl.

Wir wären lange schon gekommen,
Wir meinten's längst im Sinne gut,
Doch fehlt' es am Panier den Frommen,
Und blöd und einzeln schwieg der Mut.

Jetzt tönt ein freud'ger Sang von allen,
Steigt zuversichtlich himmelwärts;
Panier, Panier, wir sehn dich wallen,
Bist König Richard Löwenherz!«

Ottos Wangen brannten, er wäre um alles gern mit dem wunderbaren Sänger dem königlichen Kreuzpaniere nachgezogen in das Morgenland, und er wollte eben seinen Mund auftun, den Fremden zu befragen, ob er nicht etwa vernommen habe, daß der Freiherr Folko von Montfaucon mitziehe an das heilige Grab; dann wäre jede einzelne Fehde zur Ruh' bis nach der Fahrt, und ihr Weg und ihr Kämpfen gemeinschaftlich das Glorwürdigste und Seligste auf der ganzen Welt. Aber noch ehe er fragen konnte, trabten einige Kriegsleute durch den Wald heran, sprachen ehrerbietig mit dem Sänger, zäumten nach seinem Gebote das weiße Rößlein wieder auf, und alsbald ritt er mit ihnen, Otto und Tebaldo freundlich grüßend, durch das frische Gezweig davon. – »Wer war der Herr?« fragte Otto einen Kriegsknecht, der sich etwas verzögert hatte. – »Ei«, entgegnete dieser, »es ist der berühmte Meister Blondel, der beste Minstrel in allen englischen Landen, und König Richard Löwenherzens Busenfreund, deshalben er auch dem heiligen Lande zureiset mit unserm großen Heere. Der hat uns ihn als Begleitung zugeordnet, wenn der Meister unterweges hin und her zieht, in freundlicher Neubegier, wie es der edlen Sänger heitre Weise ist. Gehabt euch wohl, ihr Herren!«

Und damit sprengte er dem lustigen Zuge nach, den man noch fernherüber durch den Wald scherzen und singen hörte.

»Kommt es dir nicht vor«, sagte Otto nach einem langen Schweigen zu Tebaldo, »als ob uns fast immer die besten Freuden und Kräfte des Lebens nur hohnneckend ins Gesicht sähen, ohne uns jemals den Weg zum rechten Genusse zeigen zu wollen? Oder, weil du so gar verdrießlich zu meinen Worten aussiehst, laß mich lieber die Sprachweise verändern, und statt: uns sagen: mir. Es ist doch ein ordentlich boshaftes Spiel, daß ich nun heute erblicken muß, und ganz nahe bei, was mir das Allerschönste und Höchste dünkt auf der ganzen Welt, und daß mich dennoch ein fremdes Treiben an der Kette meines heiligen Wortes so unaufhaltsam abwärts reißt.«

»Ich hätte im Grunde mehr zu klagen, als Ihr«, entgegnete auf eine ziemlich mürrische Weise Tebaldo. »Denn seht nur an, mein edler Herr, wenn Ihr törichte Versprechungen getan habt, habe ich sie meines Wissens nicht mitgetan, und wäre jetzo doch sehr gern nach Jerusalem hinausgezogen.«

»Verlasse mich nur immer, Tebaldo,« sagte Otto weichmütig, »ich habe viel verlassen, und muß deshalben schon gut daran gewöhnt sein.«

Da sah ihn Tebaldo sehr freundlich an, und sprach gerührt: »Nein, Gott bewahre mich vor dergleichen. Aber laßt die Lamenten sein, und seht wieder hinauf ins Himmelblau. Wie da Wolke und Zweig und Vogelflug durcheinander spielt! Ich dächte, es müßte Heilkraft für alles Weh der Erden aus dem freudigen Gewimmel herunter regnen.«

Otto schaute empor, und sprach: »Du hast recht; auch mir vertreibt nichts besser das Grämeln, und alles Nichtsnutzige, als der Hinaufblick in die rege, sonnenblaue Halle über uns.«