Über dieses Buch

Nicht alle Menschen sind gleich. Nicht alle Netten sind pausenlos erträglich. Klugscheißer lösen nicht alle Probleme. Die Schönen können uns mächtig auf die Nerven gehen. Aber Machos können hilflos sein und in absolute Arschlöcher kann man sich sogar verlieben.

Katja Oelmann lädt mit ihrer Geschichte ein zu einem Ausflug durch menschliche Unzulänglichkeiten und charakterliche Verschiedenheiten. Da sind die Prototypen und die Außenseiter, die Unverbesserlichen und die Prinzipienreiter. Mit dem Leseabstand werden peinliche und kritische Situationen zu witzigen Passagen. Und dann entdeckt man sich vielleicht sogar selbst – und lacht noch darüber. Manchmal beginnt die Toleranz eben bei uns selbst ...

 


IMPRESSUM

 

Katja Oelmann

Prinz Arschloch

Männer sind so – Frauen auch

Roman

 

© 2018 - Kadera-Verlag - Norderstedt

www.kadera-verlag.de / verlag@kadera.de

Autoren-Kontakt: katja.oelmann@gmx.de

Cover-Gestaltung unter Verwendung iStock-Grafik

Die handelnden Personen sind frei erfunden,

Namensähnlichkeiten sind zufällig und beziehen sich

nicht auf real existierende Personen.

Detaillierte Daten im Katalog der Deutsche Nationalbibliothek:

https://portal.dnb.de

 

ISBN Print: 978-3-944459-96-7

ISBN E-Book: 978-3-944459-97-4

 

 

Muschi

Ungefähr so fing es an. Im Internet:

@zonengabi1974: moesizlak7 Dein Username ist mir zu kompliziert. Ich werde dich ab heute einfacherweise Muschi nennen.

@moesizlak7: zonengabi Was für ein witziger Name! Du möchtest den Männern gerne sagen, was sie zu tun haben, nicht wahr? Deine Mechanismen des Scheiterns haben dich hierher gebracht. Der Hass gegen deinen Vater und deine restliche verkorkste Familie, die dich nie lieb gehabt hat, und dein unsinniges Dasein. Jetzt hockst du mit einem Frauenmagazin in deinen Händen auf deiner spackigen Couch, telefonierst mit deiner ebenfalls dummen, schwatzsüchtigen Freundin und wetterst gegen die Männer. Du bist ein armes Würstchen und du brauchst immer männliche Idioten, um dich gut zu fühlen und um dich Powerfrau zu nennen. Du kannst dich gut artikulieren, aber das ist keine Kunst. Ich möchte dich also bitten, dich zu entfernen, ansonsten werde ich dich in den Kommentaren fertigmachen! Du bist kein Gegner für mich!

Was haben wir uns in den letzten Wochen für wohlformulierte Sätze via Internet an den Kopf geschmissen! Unterstellungen, die bis weit unter die Gürtellinie gingen! Aber was mich betrifft, haben seine Anschuldigungen nie den Tatsachen entsprochen, die er von mir annahm oder zu wissen glaubte.

Wir wurden jeden Tag besser. Jeder konnte es lesen.

Ich soll mich entfernen, schreibt er mir jetzt als private Mail. Mach ich aber nicht. Muschi ist es anscheinend nicht gewohnt, Paroli zu bekommen. Und ein Macho mag auch nicht Muschi genannt werden. Will er mir etwa erklären, dass er in einer anderen Liga spielt? Ganz unrecht hat Muschi nicht. Männliche Idioten um einen herum sind ja ganz angenehm, aber die sind stets von ganz allein gekommen. Soll ich sie wegschicken, wenn sie schon einmal da sind? Fressen ja kein Brot. Im Gegenteil, die bringen Kuchen mit. Gut, vielleicht bin ich zu hart zur Männerwelt, weil ich bisher immer das zweifelhafte Glück hatte an blöde Machos zu geraten.

Trotzdem kann Muschi genauso wenig aus einer Mail lesen wie ich aus Kaffeesatz. Er weiß nicht, dass ich aus Faulheit nicht gern telefoniere. Das macht mir manchmal ein schlechtes Gewissen, was die Freundschaftspflege angeht. Der Zustand meiner Couch ist Ansichtssache, aber mit einem Frauenmagazin in den Händen sitze ich da nie drauf. Wie kommt er auf sowas?

Soweit ich in anderen Kommentaren von ihm gelesen habe, hat er die Vorstellung, dass die Powerfrau von heute klodeckelgroße Sonnenbrillen trägt, während sie versucht, ihre Shoppingtüten in den Kinderwagen zu stopfen, mit dem sie durch die Gegend eiert.

Dass ich keine Normal-Eigenschaften habe, die eine Frau im täglichen Leben mit sich bringen sollte, kann ich Muschi nicht mehr sagen. Er hat sich aus dem Forum abgemeldet. Einfach so – und weg! Ich hatte mich schon so an ihn gewöhnt. Schade, dass ich nie herausfinden werde, ob ich in meinen Äußerungen richtig gelegen habe.

Andererseits wird er auch nie erfahren, dass ich gerne in den Baumarkt gehe, nicht Fahrrad fahren kann, keine Handtasche und auch kein Kleid, ja nicht mal ein Portemonnaie besitze, keine Absatzschuhe trage, mich nur einmal am Tag schminke, aber trotzdem ganz gut aussehe, und dass ich nie eine Diät machen musste.

 

Es ist fast drei Uhr morgens. Mit diesem Gedanken versuche ich einzuschlafen. Vorher lasse ich den vergangenen Tag noch einmal abspulen und denke an die Dinge, über die ich mich besonders gefreut oder geärgert habe. Gefreut habe ich mich über den verdammt gut aussehenden Haustürvertreter, der mir ein Reinigungsgerät für Heizkörper verticken wollte. Geärgert habe ich mich darüber, dass im gesamten Haus eine Fußbodenheizung verlegt ist. Danke, Fortschritt!

An meinen vorletzten Vertreter kann ich mich auch noch gut erinnern. Ich habe vom Fenster aus beobachtet, wie er vor dem Haus eingeparkt hat. Er war so blass, als hätten sie ihm bei der Blutspende aus Versehen ein paar Liter zu viel abgepumpt. Bevor er aus seinem Auto ausstieg, hat er sich noch kurz das am Spiegel hängende Duftbäumchen durch die Achseln gezogen. Optimistisch stand er mit seinem ganzen Equipment vor meiner Tür. Ich hab ihm nicht aufgemacht.

Was er verkaufen wollte, weiß ich nicht. Parfüm war es sicher nicht.

 

 

Mein »Irish Pub«

Verschlafen! Wie so oft. Gewöhnt daran, habe ich es gelernt, morgens zehn Sachen gleichzeitig zu machen. Kaffee kochen und Haare kämmen. Zähne putzen und schminken. Kaffee trinken im Auto. Ich habe mich auch schon an die komischen Blicke der Nachbarn gewöhnt, wenn sie mich dabei beobachten, wie ich neben meinem Auto in die Hocke gehe und erst mal meine beiden Kaffeetassen auf dem Erdboden abstelle, um das Auto aufzuschließen und meine Utensilien einzuladen. Danach stelle ich routiniert eine Tasse auf das Armaturenbrett und mit der anderen Tasse in der Hand fahre ich los. Inzwischen habe ich ein Gefühl dafür, wie man mit einer Tasse in der Hand lenkt, bremst, schaltet und gleichzeitig Tasse Nummer zwei im Auge behält. Heute klappt es mal wieder vorbildlich.

Ich bin bereits bei der zweiten Tasse, die lauwarm ist. Und ich bin zufrieden mit mir, weil ich heute mal nichts zu Hause vergessen habe, weswegen ich hätte umkehren müssen. Auch so eine Schwäche von mir: Die Vergesslichkeit. Ich schiebe sie meistens auf Hektik und Stress. Dann kann ich leichter damit leben. Der einfache Weg war schon immer der angenehmste für mich. Das sind alles Dinge, über die ich nie lange nachdenke – pure Zeitverschwendung.

Gleich bin ich an meinem kleinen »Irish Pub«, den ich seit fast zehn Jahren betreibe.

»Wir waren um zehn verabredet«, höre ich eine genervte Stimme.

»Ja, ich weiß, aber der Verkehr«, stottere ich. Was soll ich denn sonst sagen? Dass mein Goldfisch Schnupfen hat? Ich bin doch genauso genervt von ihm wie er von mir.

»Würden Sie dann bitte mit ausladen? Es warten noch andere Kunden.« Er ist wirklich etwas mehr genervt über meine Unpünktlichkeit.

»Klar, natürlich.«

Das ist so ein Moment, wo ich mich über mich selbst ärgere. Wäre ich wie verabredet dagewesen, hätte ich nicht einen Handschlag tun müssen. Egal.

»Haben Sie Leergut?«

»Ja. Aber keine Sorge, ich fasse mit an.«

Puh, daran hatte ich gar nicht gedacht. Leergut.

Komisch, jetzt erinnere ich mich zwangsläufig wieder an die männlichen Idioten, die den Kuchen mitbringen, und lächle ihm freundlich hinterher, während ich mich insgeheim über die neue Warenrechnung ärgere. Ich sehe sie mir später an. Nach der ersten Kaffeepause. Genau!

Jetzt tut mir der Lkw-Fahrer doch etwas leid. Helfen beim Ausladen konnte man das wirklich nicht nennen. Habe bloß die Kartons hin und her geschoben. Aber warum soll‘s ihm besser gehen als mir. Ich kann mir meine Kundschaft ja schließlich auch nicht aussuchen. Außerdem muss ich jetzt alles allein auspacken. Diverse Sorten Alkohol, Säfte und alles andere, was gerade knapp wurde. Im Vorratsraum muss wirklich alles durchdacht aufgestapelt werden. Viel Platz ist nicht in dem kleinen Raum. Manchmal frage ich mich, warum noch niemand in diesen Raum eingebrochen ist. Solange die Sommerlauben laut Zeitung noch interessant sind, denke ich auch nicht über eine Alarmanlage nach. Beim Gedanken daran frage ich mich, was in so einer Sommerlaube überhaupt zu klauen ist. Opas abgestandene, fast leere Flasche »Goldi« oder Omas Rüschendecke, die sie beim Vietnamesen ihres Vertrauens auf dem Wochenmarkt billig erstanden hat? Oder klauen Einbrecher den Inhalt des Kühlschranks? Blumenzwiebeln? Würfelbecher? Ich hab keine Ahnung. Will es auch gar nicht wissen.

Die Rechnung des Lieferanten steckt dreifach gefaltet in meiner Hosentasche. Angesehen habe ich sie bisher nicht. Ich sitze in einem Biergarten, direkt auf der Einkaufsstraße, und habe einen Stuhl auf der Sonnenseite gewählt. Wie es aussieht, bin ich fast allein – nur noch zwei ältere Damen. Ist ja auch Mittagszeit, und dazu noch sehr heiß heute. Die Bedienung muss wegen mir tatsächlich ihr Sonnenbad beenden und arbeiten. Gleich wird sie dem Koch mitteilen, dass sich seine Kochleidenschaft entfalten darf. Ich sehe schon jetzt das aufgesetzte Lächeln, wenn sie mir mit Eifer meinen Teller serviert. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich vor zwanzig Minuten selbst noch nicht gedacht hätte, dass ich bei dieser Hitze auf etwas Überbackenes Appetit haben könnte. Aber der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein, auch nicht bei dreiunddreißig Grad im Schatten.

Ich denke, es ist an der Zeit, die heutige Rechnung unter die Lupe zu nehmen. Ich habe mir nicht umsonst Arbeit mit in die Mittagspause genommen. Doch vorerst lasse ich mich gern davon ablenken.

Es scheint, als wäre gerade eine Armada an Touristenbussen angekommen. Es füllt sich. Ich beobachte vier junge Frauen, jede mit Kinderwagen, die sich mit Gewalt den Weg zu einem der Tische bahnen. Vom Alter und der Kleidung her haben sie wegen der Entbindung die Schule abgebrochen und werden noch vom Jugendamt betreut. Als das Quartett am Tisch angekommen ist, weckt ein schreiendes Baby das nächste. Eine Geräuschkulisse wie auf einer Geburtsstation zwingt die vier gebärfreudigen Mütter, permanent an den Wagen zu rütteln, während sie sich gegenseitig über die Dauer ihrer Wehen aufklären. Als wäre es ein Wettbewerb, gibt jede einzelne Mami damit an und versucht, die anderen zu übertrumpfen. Dabei geben sich die Mammis gegenseitig Ratschläge, wie sie die Schwangerschaftpfunde wieder loswerden können. Sinnlos, denn sie schaufeln sich riesengroße Tortenstücke rein.

Ich höre den vier Rubens-Grazien nun eine Weile zu und frage mich, wer sie wohl zu Müttern gemacht hat. Ich ahne, dass bei allen vier Kinderwagenbewohnern der biologische Vater längst über alle Berge ist, hauptberuflich arbeitslos ist und keinen Unterhalt zahlt. Wie so oft.

 

Ich lassen meinen Blick öfter über die Einkaufsmeile schweifen. Der Biergarten füllt sich mehr und mehr.

Wie fast immer, sitze ich allein am Tisch. Heute an einem Vierertisch. Vielleicht gesellen sich noch andere Leute zu mir. Manchmal ist es ganz spannend, denn die Leute vergessen oft die vierte Person am Tisch, die sie nicht kennen, die aber alles mithört. Wenn ich mal an ein Dreiergespann gerate, das sich untereinander nicht kennt, ist es nur halb so spannend.

Eine alleinstehende Frau sollte sich nie, nie, nie an einen Zweiertisch setzen. Dann ist die Fahrstuhl-Atmosphäre vorprogrammiert. Wir waren doch alle schon mal im Fahrstuhl, oder?

Oft sind sie rundum verspiegelt. Wer allein darin steht, mustert sich zwangsweise in diesem Kasten, sucht sein Gesicht nach Pickeln ab oder macht ‘ne Fratze. Wenn sich weitere Personen im Fahrstuhl befinden, wird geschwiegen und auf den Boden gestarrt oder nach oben auf die Etagenanzeige. Jeder macht sich schmal wie eine Ölsardine und wartet auf den Gong.

Heute habe ich Glück. Niemand setzt sich zu mir an den Tisch. Ich beobachte Touristen, die in alle Richtungen fotografieren, und Reisegruppen, die staunend die Fassaden der Häuser betrachten. Sie sind fasziniert von Dingen, die ich als Einheimische gar nicht mehr wahrnehme.

Eine Person fällt mir immer wieder ins Auge, denn sie ist ebenso auffällig wie penetrant. Ein als Handy verkleideter Typ, der einen Stapel Papier in der Hand hält und Passanten offensichtlich auf tolle Handyverträge aufmerksam machen will.

Heute scheint nicht sein Glückstag zu sein. Bis jetzt konnte ich jedenfalls nicht beobachten, dass er auch nur ein Flugblatt losgeworden ist. Manchmal ruft er den dankend abwinkenden Leuten abfällige Bemerkungen hinterher. Je näher er dem Biergarten kommt, desto deutlicher höre ich, was er sagt. Gerade eben hat er eine Frau als Arbeitslosenpack bezeichnet. Einige aufgebrachte Passanten regen sich über das rotzfreche Handy auf, andere gehen kopfschüttelnd weiter.

Der Job ist nicht der richtige für den Handy-Typen. Das merkt er allerdings nicht. Er diskutiert eifrig mit einem älteren Paar, das sich nun abwendet und den Biergarten betritt. Da jetzt nur an meinem Tisch Platz ist, weiß ich, dass sie gleich bei mir sitzen werden. Ich hätte beim Beobachten ab und zu auf meinen Teller sehen sollen – habe mich total bekleckert. Das ältere Paar nimmt am Tisch Platz und bestellt Kaffee und Kuchen. Auch sie haben den Handy-Mann noch im Auge. Der geht vor dem weißen Lattenzaun des Biergartens auf und ab. Seine Strategie hat er nicht geändert. Er pöbelt wieder Leuten hinterher, die seine Mobil-Tarife für zu teuer oder ihn für zu unfreundlich halten.

Der ältere Mann an meinem Tisch kann nun einfach nicht mehr nur zusehen und wettert lautstark über den Zaun. Der Handy-Typ kommt näher und die beiden Männer streiten sich. Der alte Herr ist schlagfertig und kontert ordentlich, was mich zum Lachen bringt und dem Handy-Typ offensichtlich nicht entgeht. Daraufhin posiert er sich wie King Kong direkt vor mir.

»Willst du auch noch deinen Senf dazugeben?«

Das betrachte ich doch glatt als Einladung!

»Ja, gerne«, erwidere ich mit bösen Blicken. »Jetzt pass mal auf, Handy! Also spätestens dann, wenn ich mich als Telefon verkleidet in einer Fußgängerzone wiederfände, würde ich mich fragen, was in meinem Leben vielleicht schiefgelaufen sein könnte. Und was deine Qualitäten als Promoter angeht, sieht es so aus, als wärst du vom Arbeitslosenpack nicht weit entfernt.«

Das hat gesessen! Das Handy weiß nicht mehr, was es sagen soll, sein Akku ist leer. Als ihn nun auch die restlichen Besucher des Biergartens anstarren, gibt er auf und geht.

Seine widerwärtige Art lässt mich wieder an Muschi denken. Ebenso hätte auch er im Handy-Kostüm stecken können. Schade, dass dieser Internet-Proll in der Versenkung verschwunden ist. Er konnte gut austeilen, musste aber auch einstecken. Vielleicht war ich deshalb sein Problem, vor dem er aus dem Portal floh. Aber Parolen über ein völlig verzerrtes Bild der Frauenwelt kann ich nicht auf mir sitzenlassen. Weil ich nicht zu den Frauen gehöre, die nur zu zweit zur Toilette gehen oder jedem Trend aus einem Modemagazin hinterherjagen. Ich weiß auch nicht, warum er Frauen generell für unterbelichtet hält und einen Hass auf geschäftstüchtige Frauen oder Frauen in Führungsebenen hat. Wieso bloß? Nimmt die männliche Potenz beim Anblick von Karrierefrauen ab? Hatte er mal eine böse Chefin? Verdient seine Frau, falls er eine hat, mehr Geld als er? In seiner Welt gehören Frauen dem Mann untergeordnet. Warum? Ich weiß es nicht.

 

»Darf es noch was sein?«, fragt die Bedienung und reißt mich aus meiner Mittagspausen-Philosophie.

»Nein, danke. Ich würde gern zahlen.«

Während die Kellnerin in ihrer Geldbörse nach Wechselgeld sucht, beobachte ich, wie der Mann am Tisch hinter uns ungeniert auf ihre Beine starrt. Wenn es nach ihm ginge, könnte die Kellnerin wohl den ganzen Tag in dieser leicht gebeugten Position stehen.

Die Hitze wird langsam unerträglich und ich sehne mich nach meinem gekühlten Vorratsraum.

 

Als ich wieder zwischen den Kartons stehe, habe ich der Rechnung immer noch keine Beachtung geschenkt. Das Thermometer im Lager zeigt vier Grad an. Für den Moment erfrischend. Die Kellnerin vom Biergarten würde sicher gern mit mir tauschen. Die Getränke, die ich an der Bar brauche, stehen nun zur Abfahrt in dem kleinen Güterlift bereit. Ich schicke sie per Knopfdruck eine Etage höher, direkt in den zweiten Lagerraum meines Irish Pubs. Ich nehme die Treppe. Wenn der Lift größer wäre, sodass ich mit reinpasste, würde ich nicht einmal die Farbe des Treppengeländers kennen, bequem wie ich bin. Ich bin schon in der Lage, mich selbst zu beurteilen. Selbsteinsicht ist ja der erste Weg zur Besserung, lässt sich mit mir aber nicht beweisen.

Alles steht zum Auspacken parat. Ich habe kein Problem damit, alle Flaschen in die Regale hinter dem Tresen zu ordnen. Die leeren Kartons danach zu falten, um platzsparend die Papiertonne zu befüllen, gehört allerdings nicht zu meinen Lieblingsaufgaben, ebenso wenig wie die Buchhaltung, die regelmäßig auf mich wartet. War da nicht noch etwas?

Genau! Meine Warenrechnung.

Ich hatte mit mehr gerechnet. Das ist die Summe der letzten Woche. Heute habe ich schon wieder einen neuen Lieferschein bekommen, für den dann nächste Woche die Rechnung kommt. Da man auf der Welt nichts geschenkt bekommt, nehme ich es hin, dass ich mich in einem immer wiederkehrenden Kreislauf befinde, schalte in meinem kleinen Büro den Computer an und überweise brav den Betrag.

Bei der Gelegenheit könnte ich eigentlich kurz mal nachsehen, ob Muschi die Internetwelt wirklich verlassen hat. Vielleicht hat er sich mit seinem Tarnnamen moesizlak7 auch in anderen Foren angemeldet. Ja, wofür gibt es denn sonst Suchmaschinen? Okay, dann mal los!

Die Suche ergibt nichts. Schade. Hatte ich sowieso nicht anders erwartet. Dafür halte ich Muschi doch für zu schlau, was mich aber auch etwas ärgert. Egal. Gleich muss ich sowieso in die Startlöcher.

 

Heute gibt es Live-Musik. Mit den Bands läufts immer gleich ab. Meistens besteht eine Band aus zwei oder vier Musikern, von denen einer immer absolut unsympathisch ist. Das ist ausnahmslos der Chef, der sogenannte Bandleader, oft auch als Sänger bekannt. Er selbst nennt sich Bandleader, denn der Begriff »Sänger« klingt ihm wohl zu belanglos.

Der Bandleader ist immer ganz wichtig und muss, kaum ist er durch die Tür, erstmal das Finanzielle klären. Besonders wichtig ist so ein Sänger, wenn er sich schon einen Kabelträger leisten kann. Dieser hat dann während des Auftritts die Aufgabe, pausenlos Flyer und Autogrammkarten zu verteilen und selbstgebrannte CDs am selbstgebastelten Verkaufsstand zu verscherbeln.

Die Aufgabe des Sängers hingegen ist, dass er in den Pausen die weiblichen Gäste aufsucht und sich ihnen mit Drink in der Hand und absoluter Selbstüberzeugung so darstellt, als wäre er schon für den nächsten World Music Award nominiert. Das macht er sehr, sehr gewissenhaft. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er so glücklich mit sich und der Welt ist, dass er sich jeden Abend vor den Spiegel stellt und fragte: »Und, wie war ich?« Na klar: Toll, toll, toll!

Ich habe schon erlebt, dass Leadsänger ihre eigenen Autogrammkarten dabei hatten. Irgendwann später kriegen wir diese Autogrammkarten sogar im A4-Format, falls A3 gerade alle ist. Man will sich ja auch irgendwie abheben. Das ist verständlich.

Die gebuchte Band macht den letzten Soundcheck. Ich weiß nicht, ob es ein Ehrencodex ist, aber er klingt immer gleich. »One, two. One, two, three. Ssssiiiit. Zsss.« Fertig. Aber auch nur, wenn kein Bandleader beim Soundcheck dabei ist, denn der lässt es sich natürlich nicht nehmen, schon mal einen Vorgeschmack seines Gesangtalents zu geben.

Manchmal buche ich Bands über eine Agentur. Aus finanziellen Gründen kann ich mich nur in der Kategorie »Bekannt und bezahlbar« umschauen. Bezahlbar, weil die Musiker meist vor zwanzig Jahren ihre große Zeit hatten, als noch Mädels im Faltenrock Blumensträuße auf die Bühne brachten. Den einen oder anderen Star – oder sagen wir alternden Künstler – habe ich sogar selbst im TV gesehen, als ich noch klein war. Fast ohne Ausnahme hatten diese Musiker nur einen großen Hit, an den sich ein Teil des Publikums schwach erinnert - oder gar nicht. Diesen Song muss die Band dann zwangsläufig am Anfang, am Ende und auch zwischendurch noch einmal zum Besten geben. Die Stars von gestern würden natürlich nie zugeben, dass ihr Zug schon vor einer Ewigkeit abgefahren ist. Sie machen sich noch nicht einmal Sorgen, wenn die Tontechniker mehr Angebote von weiblichen Zuhörern bekommen als sie selbst.

Oft leisten sie sich bis zum letzten Tag Manager, die aber während der vielen Wochen, in denen die Stars nicht gebucht werden, eher als Psychotherapeuten und Mädchen für alles herhalten müssen. In der Regel finden sich die Manager damit ab, dass sie ein anderes Gehalt und andere Aufgaben haben als in vergangenen Glanzzeiten. Treue Seelen verlassen eben nicht die Hand, die sie so viele Jahre gefüttert hat und das immer noch tut. Der Brötchengeber wird ja immerhin ab und zu noch gebucht. Beide kommen doch über die Runden, und er, der Manager, will ja schließlich auch nicht normal arbeiten gehen.

Mein Abend hat sich gelohnt. Der Laden war voll und die Band sorgte für Stimmung. Was will man mehr?

Zufrieden vor meinem kleinen Häuschen angekommen, stelle ich fest, dass heute der Tag der Kaffeetassen ist. Es wird Zeit, mal wieder welche in Richtung Geschirrspüler zu tragen. Also raus aus dem Auto mit dem Geschirr, auch wenn ich zweimal laufen muss. In den letzten Tagen haben sich so einige Tassen hier angesammelt – und nicht nur die. Ich hoffe, dass ich nicht mit einer Pilzfarm unter meinem Sitz durch die Gegend fahre, denn öfter rollen auch mal Pommes darunter, wo sie dann für sehr lange Zeit bleiben. Oder für immer. Überhaupt sehe ich ein Auto nur als Gebrauchsgegenstand an. Mehr als Fahren macht das Ding ja auch nicht. Ich habe nie die Männer verstanden, die ihr Wochenende mit Autoputz und Polieren verbringen. Kann man daran wirklich Spaß haben?