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Über dieses Buch

Kräuterbücher haben schon immer eine große Faszination ausgeübt. Das mag daran liegen, dass die genaue Kenntnis der heilenden und schädigenden Wirkungen von Kräutern lange Jahrhunderte hindurch ein zwielichtiges und manchmal lebensgefährliches Wissen war. Es gibt aber auch zahlreiche Küchenkräuter, die, soweit man zurückdenken kann, zu einem wohlbestellten Haushalt gehören. Im Mittelalter kann man sich keine Burg, kein Kloster ohne einen Küchengarten vorstellen. Nachdem viele dieser Kräuter in der deutschen Küche für Generationen weitgehend vergessen waren – wohl kriegsbedingter Not geschuldet –, erobern sie sich seit einigen Jahrzehnten ihren berechtigten Platz zurück. Eine Reihe solcher Kräuter, die in der Küche bis heute oder heute wieder Anwendung finden, stellt Manuel Gasser vor. Er erzählt von ihrer Geschichte und Verwendung, gibt Ratschläge für ihre Dosierung, begleitet von beispielhaften Rezepten.

Der Autor

Manuel Gasser wurde 1909 in Luzern geboren. 1930 ging der Journalist als Frankreich-Korrespondent für das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung nach Paris. Im November 1933 erschien die erste Nummer der von ihm gemeinsam mit Karl von Schumacher begründeten Weltwoche. Von 1933 bis 1957, unterbrochen von Korrespondententätigkeiten in Berlin und London, war Gasser deren Feuilletonredakteur. 1958 wurde er Chefredakteur der Kulturzeitschrift du und blieb dort bis 1974. Manuel Gasser starb 1979 in Zürich.

Manuel Gassers
Kräutergarten

Mit Holzschnitten aus »New Kreüterbuch« von Leonhart Fuchs, 1543

Koloriert von Erna de Vries

Edition diá

Inhalt

Liebstöckel, Rosmarin & Compagnie

Anis
Basilikum
Bohnenkraut
Borretsch
Dill
Estragon
Fenchel
Kerbel
Knoblauch
Koriander
Kümmel
Liebstöckel
Majoran
Meerrettich
Melisse
Oregano
Petersilie
Pfefferminze
Rosmarin
Safran
Salbei
Schnittlauch
Sellerie
Thymian

Rezeptregister
Bibliografie
Impressum

Der Gärtnerin Prinzessin Ludwig von Baden verehrungsvoll gewidmet

Liebstöckel, Rosmarin & Compagnie

Unter den Pflanzen, die sich der Mensch zunutze gemacht hat, gibt es unzählige, die Heil-, aber nur wenige, die Würzkraft besitzen. Und auch diese wenigen sind in der Mehrzahl tropische Gewächse, die im Abendland vergleichsweise spät bekannt und erst in neuerer Zeit Allgemeingut wurden. Seit Jahrtausenden in Gebrauch hingegen waren Blätter, Samen und Wurzeln, die der heimische Boden hervorbrachte – der Ertrag von Kräutern und Stauden, die im Folgenden beschrieben und abgebildet werden.

Dass diese Gewächse schon im Altertum und im frühen Mittelalter die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich zogen, verdanken sie allerdings nicht ihrer Verwendung in der Küche, sondern der Tatsache, dass sie ohne Ausnahme in der gelehrten und in der Volksmedizin in hohem Ansehen standen.

Von den heute noch gebräuchlichen Gewürzkräutern wird nur ein einziges – der Kümmel – nördlich der Alpen wild wachsend angetroffen. Einige, wie etwa die Pfefferminze und der Sellerie, sind Züchtungen, deren Urformen zweifelhaft sind, und im Fall von Koriander, Safran, Schnittlauch und Oregano streitet man sich über das angestammte Verbreitungsgebiet. Sodann gibt es eine Anzahl Gewürzkräuter, die schon in vorgeschichtlicher Zeit aus Indien, Persien und aus den Steppen Innerasiens eingewandert sind: Basilikum, Liebstöckel, Dill und Knoblauch. Der Hauptharst unserer Küchenkräuter hingegen stammt aus den Ländern um das östliche Mittelmeer. Sie bei uns heimisch gemacht zu haben, ist das Verdienst der römischen Legionäre, in einigen Fällen auch der Benediktinermönche, die die in ihrer Heimat seit jeher geschätzten Heil- und Gewürzkräuter in den Klostergärten zogen. Auch die Mauren, die während Jahrhunderten Spanien beherrschten, sind zu erwähnen; durch sie gelangte mehr als ein würziges, aus dem Vorderen Orient stammendes Kraut zu uns.

Einige wenige Gewächse, denen man in alten Kräuterbüchern begegnet – Ysop, Pastinak, Bibernelle zum Beispiel –, sucht man in diesem Kompendium umsonst; sie sind in Vergessenheit geraten, und es dürfte schwerhalten, sich für ihren Anbau Samen oder Setzlinge zu beschaffen. Auch Kräuter, die in unserer Küche kaum je Verwendung finden – Lavendel und Wermut –, wurden übergangen; desgleichen Gemüse und Salate wie Portulak, Zwiebel, Brunnen- und Gartenkresse. Was die zwei Dutzend hier beschriebenen Kräuter hingegen betrifft, so sind sie, jedes auf seine Art, der auf Abwechslung und Verfeinerung bedachten Köchin unentbehrlich.

Wer auf botanische Zusammenhänge achtet, wird feststellen, dass nicht weniger als drei Viertel der im Folgenden erwähnten Kräuter zwei Pflanzenfamilien zugehören: den Doldengewächsen und den Lippenblütlern. Die restlichen sechs verteilen sich auf die Lilien- und Schwertliliengewächse, die Korb- und Kreuzblütler, während der Borretsch seinem Clan gar den Namen gegeben hat.

Im Übrigen will die Sippenzugehörigkeit hier nicht eben viel besagen. Unter den Lippenblütlern wie unter den Doldengewächsen gibt es Vertreter sowohl der »feinen« wie der »robusten« Kräuter, und nur dadurch unterscheiden sich die beiden Hauptgruppen, dass von den Lippenblütlern die Samen nie, von den Doldengewächsen fast immer ebenfalls und in einigen Fällen sogar ausschließlich verwendet werden.

Die Gewürzkräuter unserer Breiten sind in der Mehrzahl recht unscheinbar. Gerade die Gewächse mit dem feinsten und vornehmsten Arom, wie Basilikum, Majoran oder Koriander, sprechen das Auge am wenigsten an. Auch fiele es niemandem ein, der großen Schar der Doldengewächse Gartengastrecht zu gewähren, wären sie in der Küche nicht unentbehrlich. Und was die mangelnde Blütenpracht angeht: Es ist nicht die Schuld des Schnittlauchs, wenn ihn die Köchin aberntet, bevor seine lustigen Pompons zum Blühen kommen. Und wer wollte dem zartfliederfarbigen Flor des Rosmarins, dem treuherzigen Himmelblau der Borretsch-Sterne seine Zuneigung versagen? Auch wurde dem reinen Schauvergnügen zuliebe der im Herbst blühende Safran in diese Sammlung aufgenommen; denn in der Vereinzelung gezogen ist er der Küche nicht nützlich.

Für die Verwendung der Gewürzkräuter gibt es eine Reihe eiserner Regeln: Dill gehört zu Krebs und Fisch, Knoblauch zu Lamm und Hammel, die Pizza ist ohne Oregano so undenkbar wie die Sauce béarnaise ohne Estragon, und auch Kümmel, Meerrettich, Bohnenkraut und so fort haben ihre durch jahrhundertealten Brauch festgelegten Wirkungskreise. Damit aber darf sich die Köchin nicht zufriedengeben. Sie soll immer neue Zusammenstellungen ausprobieren, um eines Tages herauszufinden, wie trefflich Fenchel mit Karotten, Melisse und Koriander mit Fruchtsalat, Pfefferminze mit Zuckererbsen harmonieren.

Ein Wort noch zu den von Erna de Vries kolorierten Illustrationen dieses Bändchens: Sie stammen aus dem »New Kreüterbuch« von Leonhart Fuchs, das 1543 von der Offizin Michael Isingrin in Basel herausgegeben wurde.

Das »New Kreüterbuch« folgte Peter Schoeffers »Herbarius« von 1484 und dem 1532 erschienenen »Herbarum vivae eicones« von Otto Brunfels als drittes Standardwerk der Renaissance-Botanik.

Die 517 ganzseitigen Tafeln des »New Kreüterbuch« wurden von den Zeichnern Heinrich Füllmaurer und Albert Meyer entworfen und von Vitus Rudolph Speckle in Holz geschnitten. Die Originale messen in der Höhe fast genau 32 Zentimeter, wurden also für unsere Zwecke wesentlich verkleinert. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich; hat doch Leonhart Fuchs selber 1545 eine Art Taschenbuchausgabe seines Werkes veranstaltet, in welcher die Holzschnitte in halber Größe wiedergegeben sind.

Die Illustrationen des »New Kreüterbuch« sind denjenigen von Schoeffers »Herbarius« an Naturtreue weit überlegen und kommen an Schönheit den Pflanzenbildern im Werk von Otto Brunfels gleich.

Alle von uns beschriebenen Gewürzkräuter fanden sich im »New Kreüterbuch«, mit der einzigen Ausnahme des Estragons. Dieser wurde dem »Cruydeboek« des niederländischen Botanikers Rembert Dodoens entnommen, das anno 1554 erschienen ist.

Anis

Pimpinella anisum

Der Anis gehört zu den Doldengewächsen, zu jener Pflanzenfamilie also, die zusammen mit den Lippenblütlern im Kräutergarten am zahlreichsten präsent ist. Er stammt aus dem Vorderen Orient, ist aber schon rund 2000 Jahre nördlich der Alpen heimisch und hat sich unserem Klima angepasst. In reicher, lockerer Erde und an einem sonnigen Platz gedeiht er gut. Indes sollte man ihn erst Ende April, Anfang Mai aussäen, da die junge Pflanze den Frost fürchtet.

Das Gewächs hat große Ähnlichkeit mit seinen Vettern Kümmel, Fenchel und Dill, doch wird es nur halb so hoch wie sie. Die meist weißen, oft aber auch rosaroten Blüten stehen in zusammengesetzten Dolden. Die Frucht, die bei uns nicht vor Ende August reift, besteht aus zwei zusammenhängenden, graugrünen Samen, die sich erst beim Trocknen trennen. Für den medizinalen und den Küchenbedarf werden nur sie gebraucht, doch besitzt das ganze Gewächs den köstlichen Anisduft und -geschmack, sodass man auch die zierlich gefiederten Blätter zur Aromatisierung von Gemüsen und Salaten verwenden kann.

Hippokrates war der Ansicht, Anis dürfe in keinem Kräutergarten fehlen, und Vergil riet seinen Landsleuten, ein üppiges Mahl mit mustacae – einem mit Anis- und Kümmelsamen gewürzten Gebäck – zu beschließen. Die Wissenschaft gab ihm später recht; denn Anis ist der Verdauung in hohem Maße zuträglich. Weshalb man zu einer Zeit, da es noch Ammen gab, bei Magenstörungen des Säuglings der Milchmutter Anistee zu trinken gab, der dann auf diesem Umweg dem kleinen Patienten zugutekam.

Für uns ist Anis ein Synonym für Weihnachten; die Anrainer des Mittelmeers hingegen, die auf Anis so scharf sind wie Katzen auf Baldrian, genießen das geliebte Arom nicht in Gebäck und Zuckerwerk, sondern als Aperitif unter den Namen Raki, Ouzo, Pastis, Pernod und so fort.