11. Der Anfang

Ja wirklich, ein böser Film mit Happy End. Der Gangster ist hinüber, und der Gute ist endlich frei. Die vorgeführte Trauer der Hinterbliebenen zerreißt mir nicht gerade das Herz, und die bombastische Trauerfeier entsprach gewiss seinem Geltungsbedürfnis. Alle sind zufrieden.

Wer oder was den Anwalt vom Leben zum Tod befördert hat, weiß ich nun auch. Oh, meine nur allzu berechtigten Vorurteile! Kollege Kowalczyk hat mich angerufen und mir das Ergebnis der Obduktion mitgeteilt: Der Bissen Chinese Food war’s. Das Chinese-Food-Syndrom hat zugeschlagen. Tatwerkzeug war Monosodium-Glutamat, ein gelegentlich immer noch verwendetes Gewürz der chinesischen Küche, obwohl man weiß, dass das eine ziem­lich giftige Substanz ist. Monosodium-Glutamat hat im Tierversuch Hirn- und Augenschäden hervorgerufen und kann bei Menschen starke Beklemmungen, Druck und klopfende Schmerzen im Kopf auslösen, dazu ein Taubheitsgefühl im Nacken sowie heftiges Herzklopfen. Der Anwalt ist einem fulminanten allergischen Schock erlegen. Kein sehr angeneh­mes, aber ein angemessenes Ende. Hätte er sich vertrauensvoll an mich gehal­ten, wäre er gewiss komfortabler zur Hölle gefahren.

Ich sitze auf der Bank im Stadtwald und rauche eine Zigarette. Das ist der feine Herr Grauschelke gewesen, der mich gerade per Handy davon in Kenntnis gesetzt hat, dass er mich in zwei Stunden im Büro sehen will. Der zieht jetzt also die Fäden und beabsichtigt, mich nicht von der Lohnliste zu streichen.

Aber da hat er sich geirrt. Dem werde ich was erzählen. Da ist jetzt Schluss. Ich wähle die Nummer der Kanzlei.

»Verbinden Sie mich mit Dr. Grauschelke«, sage ich barsch.

Der meldet sich. »Ja?«

Ich sage: »Sie haben mich gerade angerufen. Ich hab’s mir überlegt. Ich komme nicht. Ich kündige.«

Pause. Lange Pause.

Ich höre ihn atmen, seine Bronchien pfeifen ein wenig.

Dann er: »Das wird sich nicht machen lassen. Bis Sie in den Ruhestand treten, müssen Sie auch bei uns schon noch durchhalten. Seien Sie vernünftig. Ich denke, wir werden uns einigen. Also dann bis nachher.«

Grauschelke hat aufgelegt.

Na schön, Herr Anwalt, Sie sind ein ziemlich cooler Typ.

Aber wenn Sie derartig darum betteln, muss ich Sie eben kaltmachen.

Die Chance werde ich kriegen.

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Ebook Edition

Günter Handlögten
Henning Venske

Die Termiten

Eine wahre Kriminalgeschichte

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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-571-5

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2015

ullstein bild - CARO / Andreas Bastian

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Vorbemerkung
Der Inhalt dieses Buches ist keine Fiktion.
Diejenigen, die beabsichtigen, die in diesem Buch genannten Namen zu entschlüsseln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, möchten wir eindringlich auf mögliche juristische oder sogar persönliche Folgen hinweisen.
Günter Handlögten/Henning Venske

Günter Handlögten wäre auch ein guter Detektiv geworden. Bei der Arbeit war er von unglaublicher Hartnäckigkeit. Kam immer ganz unaufwendig und bescheiden daher, machte den Eindruck absoluter Harmlosigkeit, als sei er auf die Hilfe seines Gesprächspartners angewiesen, und gerade dadurch erweckte er bei misstrauischen Leuten den Eindruck, man müsse ihn milde stimmen, weil er sowieso schon alles wusste. Und dann erzählten die Leute ihm ihre Version der Ereignisse. Wenn sie meinten, sie hätten genug verraten und schwiegen, schwieg Handlögten ebenfalls. Manchmal minutenlang. Guckte nur mit seinen blauen Augen und grinste leicht. Die Gesprächspartner wurden dann fast immer nervös und legten nach. Viel fragen musste er nie, er wartete einfach ab. Und manchmal, nein, oft brachte er es fertig, dass die Befragten ihn für ihren Verbündeten hielten, der ihre Position verstand und die gleichen Feinde hatte. Handlögten war ein journalistisches Trüffelschwein, und mit ihm an einem Buch zu arbeiten machte nicht nur Spaß, sondern eröffnete auch immer einen Blick in gesellschaftliche Abgründe. (Aus Henning Venskes Biografie »Es war mir ein Vergnügen«, Westend 2014)

Günter Handlögten starb am 17. Dezember 2014

Bertrand Russell:
»Die Wahrheiten, die wir finden,
sind nicht von letzter Wichtigkeit,
und die Wahrheiten,
die von letzter Wichtigkeit sind,
finden wir nicht.«

1. Das Ende

Die Todesursache war also klar, die Kollegen hatten keine Zweifel. »Danke«, sage ich, »danke für die Information«, und stecke das Telefon wieder in meine Manteltasche. Ich setze mich auf eine Bank und rauche erst mal eine.

Die Beerdigung heute Vormittag war ein gesellschaftliches Großereignis gewesen. Der Justizminister hatte dem Toten die letzte Ehre erwiesen und ihm einige Schmeicheleinheiten hinterhergeheuchelt. Abgeordnete hatten wichtig ums Grab he­rum­gestanden, die Staatsanwaltschaft war in prominenter Besetzung erschienen, Richter hatten respektvoll ihr Haupt geneigt, die großen Kanzleien der Stadt entboten ihre kollegiale Hochachtung durch das Entsenden der würdigsten Seniorpartner. Dem Pfarrer wird, so hoffe ich, für seine Lügen über den »herzensguten Freund und liebevollen Vater, den Anwalt der Schwachen und Gestrauchelten und den bedeutenden Rechtsgelehrten« der Eintritt ins Paradies verweigert werden. Er hatte es tatsächlich fertiggebracht, zu behaupten, das kostbarste Vermächtnis dieses Toten sei die Spur, die seine Liebe in unseren Herzen zurückgelassen habe.

Der Gangster Mottenkropf, von drei Bodyguards eskortiert und in safranfarbenes Kaschmir gehüllt, hatte eine weiße Orchidee auf den Sarg geworfen und so getan, als müsse er sich eine Träne aus den Augen wischen. Frau Barke, in elegantem Schwarz, mit Schleier am Hut, zeigte ihre schönen Beine und stellte eine begehrenswerte Witwe dar. Die zwei Exfrauen der Leiche hielten sich unauffällig im Hintergrund, zwei blasierte Jünglinge verbargen ihre Unscheinbarkeit hinter modischen Sonnenbrillen und ließen sich physiognomisch leicht als Söhne identifizieren, dafür waren die eisigen Blicke, die zwischen einer Gruppe Latinlovers aus Cali oder Medellín und einigen persischen Geschäftsleuten ausgetauscht wurden, umso bemerkenswerter. Selbstverständlich blitzten Pressefotografen in der Gegend herum, aber nicht jeder in der Trauergemeinde legte Wert darauf, mit aufs Bild zu kommen.

Die pompösen Trauerkränze stammten von Behörden, Institutionen, Organisationen und diversen Firmen. Der Blumenschmuck am Eichensarg wäre bei einer Fürstenhochzeit wegen Übertreibung unangenehm aufgefallen. Die Kerzen im Altarraum entwickelten eine solche Hitze, dass man sich gut vorstellen konnte, wie es sein würde, wenn eines Tages der ganze Verein auf höllischem Grill geröstet wird.

In den Traueranzeigen der Zeitungen hatte man nachlesen können, welch großartige Persönlichkeit, was für ein wundervoller Mensch, unverzichtbarer Ratgeber, innovativer Chef, zuverlässiger Partner, was für ein vorbildhafter Berufskollege und hochgeschätzter Vorsitzender uns durch ein tragisches Schicksal ganz unverhofft entrissen worden war.

Ich hatte mich schon während des Adagios von Albinoni davongemacht, weil ich es vermeiden wollte, in die Kirche zu kotzen. Ich bin in den Stadtwald gegangen. Bei bedecktem Himmel, und wenn es nicht zu warm ist, latsche ich hier gern stundenlang rum und räume meinen Kopf auf.

Ich fühlte mich befreit. Es gibt Probleme und Leute, die sie verursachen, und die muss man nur überleben.

Das Handy klingelt, ich melde mich. Die Botschaft, die ich höre, ist knapp und unmissverständlich:

»Kommen Sie bitte in zwei Stunden ins Büro. Es sind da einige Dinge zu besprechen, wir wollen die erfolgreiche Zusammenarbeit ja auch weiterhin fortsetzen. Ich möchte einige weitergehende Vereinbarungen mit Ihnen treffen.«

Die Stimme kenne ich. Oh Scheiße, jetzt fängt der ganze Film wieder von vorne an.