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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Erster Sprung

Zweiter Sprung

Dritter Sprung

Vierter Sprung

Fünfter Sprung

Sechster Sprung

Siebenter Sprung

Achter Sprung

Neunter Sprung

Zehnter Sprung

Elfter Sprung

Zwölfter Sprung

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2224

 

Spezialagent 707

 

Er ist ein Spezialist des Liga-Dienstes – und operiert unter höchstem Risiko

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Das Jahr 1332 NGZ setzt das verheerende Jahr 1331 ohne Anzeichen einer Besserung fort: Die galaktischen Großreiche der Arkoniden und der Terraner belauern einander mit schwerstem Kaliber, und der schon seit Jahrzehnten besonders sensible Sternensektor Hayok droht zum Zentrum eines Krieges zu werden. Währenddessen sind Perry Rhodan und Atlan im Sternenozean von Jamondi verschollen.

Nach wie vor ächzen sämtliche galaktischen Zivilisationen unter der Störung aller Geräte auf hyperenergetischer Basis. Hinzu kommen Probleme, die nicht recht einzuordnen sind: Wie aus dem Nichts heraus tauchen die harmlos scheinenden Schohaaken auf. Ebenso unverhofft bildet sich auf Terra eine neue Religion heraus: der Endzeitkult um den Gott Gon-Orbhon.

Doch während dies eher »innere« Probleme sind, bedrohen außenpolitische Belange den Frieden viel offensichtlicher: Im Zentrum des Sternenarchipels Hayok sind Gucky, Icho Tolot und Perry Rhodans Sohn Kantiran in einem terranischen Geheimstützpunkt gestrandet.

Doch was können sie hier ausrichten? Was, wenn man sie entdeckt? Was, wenn einer von ihnen zum Verräter wird? Das sind die Fragen, die sich der gesamten Besatzung des Stützpunktes stellen – auch SPEZIALAGENT 707 ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Corg Sonderbon – Der Bilderbuch-Agent setzt alles auf eine Karte.

Kantiran – Der »Sternenbastard« rekrutiert eine tragbare Armee.

Gucky – Der Ilt erweist sich als nachsichtiger Lehrer.

Filana Karonadse – Die Positronikspezialistin erlebt, was sie nie zu träumen gewagt hat.

Mayk Molinas – Der »Maulwurf« liegt eigentlich im Koma.

Armer Agent

Armer starker Mann

Immer ganz nah dran

Immer voll präsent

 

Armer Spion

Lebst von Lug und Trug

Genug ist nie genug

In deiner Position

 

Armer, armer Spitzel

Wie toll du schienst

Auf Risikomission

 

Vergiss den Nervenkitzel

Geh heim! Dienst

Zu viele Jahre schon ...

 

(Die Bordärzte: »Sonett für einen Spion«)

 

Erster Sprung

Ein wahres Himmelfahrtskommando

 

»Bist du wirklich sicher, dass du es wagen willst?«

»Ja.«

»Absolut?«

»Absolut. – He, lassen wir die Formalitäten, ja? Wir haben das oft genug durchgekaut.«

»Als dein leitender Offizier bin ich verpflichtet, dir diese Fragen unmittelbar vor deinem Aufbruch nochmals zu stellen. Das ist Vorschrift, wie du eigentlich wissen müsstest.«

Natürlich weiß ich das. Aber alles in mir brennt darauf, endlich loszulegen. Ich fühle mich, als jagte mit jedem Herzschlag ein Hunderttausend-Volt-Stromstoß durch meine Adern.

»Na schön«, sage ich. »Aber mach schnell.«

»Dir ist bewusst, dass du in einen Risikoeinsatz gehst, dessen Erfolgschancen von allen unseren Experten, dich eingeschlossen, als sehr gering beurteilt wurden?«

»Ja.«

»Du tust dies nicht auf meinen Befehl hin oder aufgrund einer Order des Terranischen Liga-Dienstes, sondern aus freien Stücken. Du hast dich als Freiwilliger dazu gemeldet.«

»Ja.«

»Die ganze Unternehmung war deine eigene Idee. Auch an der Ausarbeitung des Einsatzplans warst du federführend beteiligt.«

»Ja doch.«

Ungeduldig trete ich von einem Bein aufs andere. Ich ertrage die Spannung kaum mehr. In mir kribbelt es so stark, dass ich am liebsten aus der Haut fahren möchte.

»Du trägst die Verantwortung für diese Operation. Der TLD stellt nur die Ressourcen zur Verfügung. Aber auch das werden wir abstreiten, falls etwas schief gehen sollte. Die Herkunft deiner Ausrüstungsgegenstände ist nicht zu uns zurückverfolgbar. Deine Existenz wird aus allen unseren Aufzeichnungen gelöscht, hier in der Außenstelle Varfa ebenso wie im SPEICHER von Vhalaum. Wir kennen dich nicht, haben dich nie gekannt. Sobald du startest, bist du völlig auf dich allein gestellt. Ist das klar?«

»Ja, verdammt!«

»Und du willst es trotzdem tun?«

»Zum hundertsten Mal: ja!«

»Gut. In diesem Fall ... Hals- und Beinbruch, Spezialagent sieben-null-sieben!«

Wir salutieren zackig.

Dann stellt sich meine Vorgesetzte auf die Zehenspitzen, umarmt mich, küsst mich heiß auf den Mund und raunt mir ins Ohr: »Komm heil wieder zurück, du Irrer, hörst du? Ich warte auf dich.«

 

*

 

Sie ist schön, atemberaubend schön.

Wie sie dasteht, schlank und elegant geschwungen, mit 28 Metern nur knapp niedriger als die Decke des subplanetaren Hangars! Ihre rotgoldene Außenhülle funkelt und gleißt im Licht der Montagestrahler.

Mit ihrem hochkant stehenden, annähernd spindelförmigen, an der dicksten Stelle sieben Meter durchmessenden Rumpf und den davon herabhängenden Schläuchen gleicht die ZEPPELIN einem überdimensionalen Kalmar. Ganz unten, zwischen den »Tentakeln« des stählernen Tintenfischs, befindet sich die kugelförmige Kapsel, die mich aufnehmen wird.

Ich atme tief durch, genieße noch ein letztes Mal den Anblick des nach meinen Entwürfen gebauten Luftschiffs.

Dann betätige ich die Verschlüsse meiner Spezialmontur und steige ein. Verstaue den mitgebrachten Tornister am dafür vorgesehenen Platz, zwänge mich in den genau nach meinen Maßen gefertigten Sitz, verbinde das Kabel meines Anzugs mit der einzigen Buchse in der Seitenwand.

Andere Instrumente gibt es nicht. Sobald der Stecker in der Dose eingerastet ist, beginnt die Startsequenz.

Ab jetzt kann ich nicht mehr zurück, nicht einmal, wenn ich wollte.

Die kreisrunde Luke schwingt zu. Um mich wird es finster.

Ich höre nur meinen eigenen Atem, fühle den Puls in meinen Schläfen und Fingerspitzen. Nach dreißig Herzschlägen bemerke ich einen ganz leichten Ruck.

Die ZEPPELIN hebt ab.

 

*

 

Ich besitze keine Möglichkeit mitzuverfolgen, was draußen geschieht.

Doch ich weiß, dass sich inzwischen die Abdeckung des Hangars geöffnet hat, wie die Blende einer riesigen, antiken Kamera. Nur vom geringeren spezifischen Gewicht des Gases im Ballonkörper nach oben gezogen, schwebt das ultraleichte Luftschiff in den dunklen Nachthimmel empor.

Die ZEPPELIN ist nicht manövrierbar. Sie verfügt auch über keinerlei Funk oder Außenbeobachtung.

Eine einzige Energiequelle befindet sich an Bord, eine mikrominiaturisierte Batterie: Sie versorgt die Heizung in meinem Spezialanzug. Doch selbst diese ist derzeit desaktiviert.

Das Luftschiff muss energetisch tot sein, damit die Drohnen und Überwachungsstationen der Arkoniden es nicht orten können. Mausetot, ohne einen Funken Energie.

Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Wir haben monatelang Versuche mit ferngesteuerten Kleinflugkörpern gemacht, in die wir alles gepackt haben, was wir an Störsendern, Anti-Ortungssystemen und dergleichen auftreiben konnten. Dennoch wurde jede einzelne Sonde, sobald sie zu nahe ans kritische Gebiet kam, identifiziert und abgeschossen.

Das Kristallimperium ist uns, was Hochtechnologie betrifft, mehr als ebenbürtig. Und es bewacht seine Geheimnisse gut.

Weiterhin zähle ich meinen Puls. Mein Herz schlägt ruhig und regelmäßig, und dies trotz der immensen Anspannung. Fast bin ich ein wenig von mir selbst beeindruckt ...

Nach etwa zehn Minuten verspüre ich eine gewisse Erleichterung. Die erste heikle Phase ist überstanden.

Per Radar kann die zur Gänze mit einer speziellen Tarnfolie überzogene ZEPPELIN nicht entdeckt werden. Sehr wohl aber optisch, obgleich Hayok keinen Mond besitzt und der Sternenhimmel heute Nacht von einer dichten Wolkendecke verhangen ist.

Vor arkonidischen Patrouillengleitern bin ich sicher. Der nächste wird hier planmäßig erst wieder in zwölf Minuten auftauchen.

Meine Sorge gilt eher dem privaten Flugverkehr. Der kommt in dieser Zone zwar äußerst selten vor, kann jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

»Der Teufel schläft nicht«, wie meine Großmutter gerne sagte.

Ein Gleiter voller hochadliger Müßiggänger, die von einer Party heimkehren und sich im Überschwang oder Drogenrausch nicht ganz an die vorgeschriebenen Flugkorridore halten ... Jemand blickt zufällig hinaus, bemerkt ein merkwürdiges, fast dreißig Meter langes Flirren in der Luft ...

»He, guckt euch das an! Habt ihr so etwas schon mal gesehen? Sollten wir nicht lieber die Luftfahrtkontrolle verständigen?«

Sicher, das wäre ein sehr dummer Zufall gewesen. Aber die meisten Agenten sterben nicht primär an Strahlschüssen oder tödlichen Dagor-Tritten, sondern an sehr dummen Zufällen.

Fünfzehn Minuten. Mittlerweile bin ich mit Sicherheit in den Wolkenschichten verborgen. Die ZEPPELIN steigt rasch, und dank ihrer perfekt aerodynamischen Form wird sie dabei auch nur so weit vom Wind abgetrieben, wie sie soll.

Hoffe ich zumindest ...

Zwanzig Minuten. Längst atme ich ein speziell für die extreme Höhe entwickeltes Gasgemisch. In der Kapsel ist es empfindlich kalt geworden, trotz der Isolierungen und des Thermo-Anzugs. Doch die Kälte gänzlich draußen zu halten hätte entweder mehr Gewicht oder aber einen gewissen Energieaufwand erfordert. Beides verbietet sich aus nahe liegenden Gründen.

Paradoxerweise hätte sich bei einem SERUN ohne syntrongesteuerte Vollklimatisierung das Problem der Überhitzung ergeben ...

Fünfundzwanzig Minuten, und ich lebe immer noch. Hurra!

Rufen oder sprechen könnte ich freilich nicht mehr. Meine Zähne schlagen klappernd aufeinander. Ich schlottere am ganzen Leib. Versuche mich gleichwohl zu entspannen, doch das ist leichter gesagt als getan.

Hölle, ist das kalt!

Wie ich die letzten sieben Minuten überstehen soll, weiß ich nicht. Die anderen hatten Recht. Kein Mensch kann das aushalten, in dieser Höhe.

Spezialagent 707, du hast dich übernommen ...

Ich schrecke auf. Was war das? Ein Blackout? Bin ich kurz eingenickt?

Dann war ich soeben weniger als eine Handbreit vom Tod entfernt. Ein Wunder, dass ich überhaupt nochmals zu mir gekommen bin.

Aber das heißt ...!

Die Erkenntnis versetzt mich in Panik. Ich bin wieder hellwach.

Verdammt, wenn ich tatsächlich geschlafen habe – wie lange?

Bin ich vielleicht schon zu hoch?

Ich beuge mich unter Aufbringung aller Kräfte nach vor. Greife mir den Tornister, befestige ihn an meiner Montur und ziehe den Stecker aus der Buchse.

Die Ausstiegsluke wird abgesprengt. Der Sog reißt mich nach draußen.

Das ist eingeplant – aus eigener Kraft hätte ich mich nicht mehr aus dem Sitz erheben können, so steif sind meine Beine.

Adieu, ZEPPELIN! Schade, dass wir uns nie mehr wiedersehen ...

Ich werde herumgewirbelt, dann falle ich wie ein gefrorener Stein durch die Wolken, der Planetenoberfläche entgegen.

 

*

 

Langsam, ganz langsam macht sich die durch das Trennen der Verbindung aktivierte Anzugheizung bemerkbar. Ich taue buchstäblich auf.

Wenn wir die Thermik und die Windgeschwindigkeiten richtig berechnet haben, befinde ich mich jetzt, immer noch viele Kilometer hoch, über dem kritischen Gebiet. Die ZEPPELIN hat mich über die unsichtbare Grenze und durch das elektromagnetische Überwachungsfeld getragen, von dem der arkonidische Hochsicherheitssektor lückenlos umgeben ist.

Nun, da ich mich innerhalb davon aufhalte, stellen die sehr geringen Emissionen der Heizung hoffentlich kein Problem mehr dar. Vorausgesetzt, alles ist nach Plan verlaufen und ich bin einigermaßen an der Position, an der ich sein sollte.

Aber das kann ich nicht verifizieren.

Ich weiß nur, wo oben und unten ist, mehr nicht. Immer noch fehlt mir jede weitere Orientierung. Ich rase durch dunkelgraue, fast schwarze Nebel.

Eine hübsche Zeile eines altterranischen Lyrikers fällt mir ein: »Vom Himmel auf die Erde fallen sich die Engel tot.«

Wie hieß der noch gleich? Irgendetwas mit einem Getränk. Weinmann oder Bierkerl ...

Seltsam, was einem durch den Kopf geht, wenn man in höchster Lebensgefahr schwebt. Wobei »schweben« in meinem Fall wohl nicht ganz der richtige Ausdruck ist ...

Ein scharfes, metallisches Geräusch übertönt das Brausen der Luft. Der in meinem Tornister eingebaute Höhenmesser hat die mechanische Entriegelung für die Stummelflügel ausgelöst.

Inzwischen bin ich aufgewärmt genug, um meine Extremitäten bewegen zu können. Sie schmerzen fürchterlich. Als säßen auf jedem Quadratzentimeter meiner Körperoberfläche tausend monomolekularspitze Nadeln.

Ich brülle den Schmerz hinaus, hemmungslos. Mich kann ohnehin niemand hören.

Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich meine Glieder und die winzigen, dreieckigen Flügel so weit koordiniert habe, dass ich den Sturz ein wenig zu beeinflussen vermag. Bremsen ist nahezu unmöglich, aber lenken kann ich nun, wenn auch nur in sehr beschränktem Ausmaß.

Da durchstoße ich auch schon die unterste Wolkendecke.

Ein Lichtermeer blitzt auf, so hell, dass ich für einen Augenblick geblendet bin. Nach dem langen Sturz durch Dunkelheit ...

Jetzt muss es schnell gehen. Ich bin nur noch etwas über drei Kilometer hoch.

Aber wo, wo?

Zur Linken sollte der Seehafen von Fremor liegen, der größte auf dem Kontinent Varfa und damit auf der gesamten Südhalbkugel. Ich habe mir das Muster der unzähligen beleuchteten Molen per Hypnoschulung eingeprägt. Die Küste dahinter sollte deutlich weniger Lichtpunkte aufweisen ...

Doch da gibt es keine Küste.

Verfluchte Sch...! Ich bin viel zu weit im Landesinneren! Ich muss nach links, nach links, nach links!

Unter Aufbietung aller Kraftreserven stemme ich die Flügel gegen den Wind. Urkräfte zerren an mir. Jeden Moment muss es mir die Arme abreißen ...

Es gelingt mir, den Sturz in einen Gleitflug zu verwandeln. Ich beschreibe einen Bogen, ungefähr in die Richtung, in der ich die Küste vermute. Die dreieckigen Stummel flattern wie wild.

Wenn ich ins Trudeln gerate, ist alles aus. Doch das wäre mittlerweile auch egal. Ich bin viel zu tief, schon viel zu tief ...

Da taucht vor mir ein schwarzer, gezackter Streifen auf. Die Küste! Aber wo ist Fremor?

Vergiss Fremor!

Ich kann bereits Gebäude erkennen, typisch arkonidische Trichterbauten. Sechs davon bilden eine charakteristische Formation: ein Fünfeck, mit dem sechsten Kelch als Mittelpunkt. Das ist der zweite, der wichtigere Orientierungspunkt.

Aber die Trichter sind viel zu weit weg. Es wird nicht funktionieren, das weiß ich plötzlich mit kristallener Klarheit. Ich bin vielleicht noch etwas mehr als einen Kilometer über dem Boden, von dem aus sich die höchsten Türme mir bis auf eine Höhe von vierhundert Metern entgegenrecken ...

Das war's, Spezialagent 707.

»Unbekanntes Flugobjekt über den Außenbezirken der Hafenstadt Fremor abgestürzt und dabei explodiert. Alles deutet auf einen missglückten Attentatsversuch hin. Der Kamikaze-Pilot konnte nicht identifiziert werden. Eine Sprecherin von Mascant Kraschyn vermutet eine Beteiligung der SENTENZA, welche sich für die zuletzt erfolgten Strafmaßnahmen rächen wollte.«

Ich schließe nicht die Augen. Ich will die kommenden Sekunden, meine letzten, bewusst erleben.

Etwas erfasst mich von unten. Scheint meinen Fall zu bremsen, mich regelrecht hochzuheben.

Ich brauche fast eine Sekunde, bis ich realisiere, dass ich in eine Thermik geraten bin.

Natürlich steige ich nicht wirklich. Aber ich verliere etwas weniger an Höhe.

Das könnte ... das könnte reichen!

Plötzlich wäre ich sehr, sehr gern religiös. Dann würde ich jetzt beten, was das Zeug hält.

Meine Gedanken überschlagen sich. Ich kann die sechs Kelche nicht umfliegen, ohne zu viel an Höhe einzubüßen. Dann käme ich nicht mehr weit genug. Ich muss schnurstracks darauf zuhalten, nur dann habe ich eine Chance.

Keine fünfzig Meter liegen zwischen mir und der Oberkante des höchsten Trichterbaus, als ich darüber hinwegbrause.

Dass mich jemand sehen könnte, ist noch meine geringste Sorge. Die Chamäleon-Beschichtung meines Anzugs und der Flügelstummel hat sich dem Grau der Wolkendecke perfekt angepasst. Ich bin für einen etwaigen Beobachter, was wir Terraner immer schon für die Arkoniden waren: Luft, heiße Luft.

Vor mir liegt der tropische Ozean. Und, ziemlich genau drei Kilometer von der Küste entfernt, eine herzförmige Insel. Claryoon.

Mein Ziel. Dort will, dort muss ich hin.

Weit, weit davor klatsche ich ins Meer.

 

*

 

Mit der letzten in der Batterie meines Anzugs verbliebenen Energie baue ich einen winzigen, nicht mehr als einen halben Meter durchmessenden Prallschirm vor mir auf, der vorne spitz zuläuft. Er steht für genau eine Sekunde, nicht länger.

Ich muss den Moment des Aufpralls also ganz genau abschätzen, sonst werde ich dabei an der Wasseroberfläche zerschellen.

Es gelingt mir. Denkbar knapp, obwohl ich diese entscheidende Aktion hundertmal geübt habe, am Simulator wie auch auf unserem Trainingsgelände.

Trotzdem wäre ich um ein Haar zu früh dran gewesen. Kaum bin ich eingetaucht, erlischt der Prallschirm auch schon wieder.

Der tödliche Aufprall aufs Wasser ist mir erspart geblieben. Aber der Bremsdruck erwischt mich voll.

Ich vermeine, zerquetscht zu werden. Mir ist, als würden meine Innereien aus allen Körperöffnungen herausquellen.

Doch ich bleibe bei Bewusstsein. Und die Endorphine, die der wahnwitzige Absprung freigesetzt hat, helfen mir über die schier unglaublichen Schmerzen hinweg.

Ich tauche auf, treibe im warmen Wasser. Drehe mich auf den Rücken, öffne den Helm, sauge gierig die frische, klare Meeresluft ein.

Blicke nach oben. Weine vor Glück.

Ich hab's geschafft. Ich hab's tatsächlich geschafft! Ich bin in eine der am besten gesicherten Regionen des gesamten Sternenarchipels eingedrungen, und zwar, so, wie's aussieht, unbemerkt.

Zwar fühle ich mich wie ein Klumpen Hackfleisch, der schockgefroren, in der Mikrowelle gegrillt und dann nochmals durch den Fleischwolf gedreht wurde, aber was soll's – ich bin drin.

Gut. Nun zum kniffligeren Teil.

 

*

 

Den Tornister mit den Flügeln schnalle ich ab, lasse ihn in die Tiefe sinken. Er hat seine Schuldigkeit getan, ebenso wie die ZEPPELIN, die ungefähr zum selben Zeitpunkt in den höchsten Schichten der planetaren Lufthülle zerplatzt.

Leider muss ich den Anzug anbehalten. Er macht das Schwimmen zur Tortur, aber ich benötige die Ausrüstung noch.

Ich habe Triathlons absolviert, ein Dutzend davon. Nicht gerade mit Spitzenzeiten, aber im guten Mittelfeld.

Dennoch bin ich mehr als einmal der Verzweiflung nahe. Die Insel Claryoon will einfach nicht näher kommen.

Ich zwinge mich, jeweils nur an das Schwimm-Tempo zu denken. Rechter Arm, linker Arm, atmen. Rechter Arm, linker Arm, atmen. Rechter Arm, linker Arm ...

Endlich gelange ich an den Punkt, an dem ich eigentlich hätte landen sollen. Hier gibt es eine Meeresströmung, die in Richtung der Insel und um diese herumführt.

Ab jetzt geht es etwas leichter. Trotzdem kraule ich mit voller Kraft weiter. Ich muss die Verspätung aufholen. Schaffe das auch, aber nicht ganz.