Inhaltsverzeichnis


I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV

I

Inhaltsverzeichnis

Einen Morgens, im Herbst 1856, öffnete mein Diener, ungeachtet des ausdrücklichen Befehls, den ich ihm gegeben hatte, mich nicht zu stören, meine Thür, und sagte als Antwort auf die sehr bedeutungsvolle Grimasse, die er auf meinem Gesichte bemerkte:

»Mein Herr, sie ist sehr hübsch.«

»Wer denn, Dummkopf?«

»Die Person, für die ich mir erlaube, Sie zu stören, mein Herr.«

»Und was liegt mir daran, daß sie hübsch ist? Du weißt doch, wenn ich arbeite, bin ich für: niemand zu Hause.«

»Und dann, mein Herr,« fuhr er fort, »kommt sie von einem Freunde von Ihnen.«

»Der Name dieses Freundes?«

»Er wohnt in Wien.«

»Der Name dieses Freundes?«

»O, mein Herr, ein drolliger Name, ein Name wie Rubin oder Diamant.«

»Saphir?«

»Ja, mein Herr, Saphir heißt er.«

»Das ist etwas Anderes; da laß sie in das Atelier eintreten und bringe mir einen Schlafrock herunter.«

Mein Diener ging hinaus. Ich hörte einen leichten Schritt, der an der Thür meines Kabinetts vorüber ging; dann kam Monsieur Theodor, meinen Schlafrock über den Arm gehängt, herunter.

Wenn ich einem Diener dieses Zeichen der Rücksicht beilege, ihn Monsieur zu nennen, so geschieht es, wenn er sich durch seine Dummheit oder seine Schelmerei auszeichnet.

Ich habe drei der schönsten Exemplare dieser Art, wie man sie nur finden konnte, gehabt: nämlich Monsieur Theodor, Monsieur Joseph und Monsieur Viktor.

Monsieur Theodor war nur ein Dummkopf, aber er war es vollständig.

Ich gebe dies hier beiläufig an, damit der Herr, bei dem er diesen Augenblick ist, wenn er überhaupt einen Herrn hat, ihn nicht mit den beiden Anderen verwechsele.

Ueberdies hat die Dummheit einen großen Vorzug vor der Schelmerei; man sieht immer bald genug, daß man einen einfältigen Bedienten hat; man bemerkt immer zu spät, daß man einen schelmischen hat.

Theodor hatte seine Schützlinge. Mein Tisch hat immer einen ziemlich großen Umfang, so daß zwei oder drei Freunde sich daran niedersetzen können, ohne erwartet zu sein. Sie finden nicht immer ein gutes Mittagessen, aber sie finden immer ein gutes Gesicht. An den Tagen, wo das Mittagessen nach dem Geschmack des Monsieur Theodor gut war, setzte er diejenigen von meinen Freunden oder Bekannten, die er den anderen vorzog, davon in Kenntniß.

Nur sagte er je nach der Empfindlichkeit der Leute zu Einigen:

»Monsieur Dumas sagte diesen Morgen: Es ist lange, daß ich diesen lieben N. nicht gesehen habe; er sollte doch heute kommen und ein Mittagessen von mir verlangen.«

Und der Freund, gewiß, einem Wunsche zuvorzukommen, kam, ein Mittagessen von mir zu verlangen.

Dem Anderen, der weniger empfindlich war, begnügte er sich, den Ellenbogen zu berühren und zu sagen:

»Es giebt heute ein gutes Mittagessen, kommen Sie doch.«

Und gewiß, ein gutes Mittagessen zu finden, kam dieser Freund, der sonst wahrscheinlich nicht gekommen wäre.

Ich erwähne diese Einzelheit der großen Persönlichkeit des Monsieur Theodor; wenn ich das Portrait vervollständigen sollte, müßte ich dieses ganze Kapitel dazu anwenden.

Kehren wir zu dem von Monsieur Theodor angemeldeten Besuche zurück.

Mit meinem Schlafrocke bekleidet, wagte ich zu dem Atelier hinaufzusteigen. In der That fand ich dort eine reizende junge Frau von hohem Wuchse und blendender Weiße, mit blauen Augen, kastanienbraunen Haaren und prächtigen Zähnen; sie trug ein Kleid von perlengrauem Taffet, welches bis zum Halse hinaufging, einen faconnirten Shawl, von arabischem Stoff und einen jener reizenden Hüte, welche die Deutschen mit dem Beinamen »Ein letzter Versuch« belegt haben, die leider von dem französischen Geschmack ein wenig verachtet sind, und die selbst der häßlichen oder nicht mehr jungen Frauen so gut stehen.

Sie überreichte mir einen Brief, auf dessen Adresse ich das unleserliche Gesudel des armen Saphir erkannte.

Ich steckte den Brief in meine Tasche.

»Nun,« sagte sie mit stark markirtem fremden Accent zu mir, »Sie lesen nicht?«

»Unnöthig, Madame,« antwortete ich ihr; »ich habe die Handschrift erkannt, und Ihr Mund ist so graziös, daß ich von ihm selber zu erfahren wünsche, was mir die Ehre Ihres Besuche verschafft.«

»Nun, ich wünsche Sie zu sehen, das ist Alles.«

»Ei! Sie haben doch gewiß die Reise von Wien nicht ausdrücklich deshalb gemacht!«

»Wer sagt Ihnen das?«

Meine Bescheidenheit.«

»Verzeihen Sie; aber Sie gelten am Ende nicht für bescheiden.«

»Ich habe meine Tage der Eitelkeit, das ist wahr.«

»Welche?«

»Die, wo die Anderen mich beurtheilen, und wo ich mich vergleiche.«

»Mit Denen, die Sie beurtheilen?«

»Sie haben Geist, Madame; nehmen Sie doch gefälligst Platz.«

»Wenn ich nur hübsch gewesen wäre, hätten Sie also nicht diese Einladung an mich ergehen lassen?«

»Nein, ich hätte eine andere ausgesprochen.«

»Himmel! welche Thoren die Franzosen sind!«

»Es ist nicht ganz ihre Schuld.«

»Nun, als ich Wien verließ, um nach Frankreich zu gehen, legte ich ein Gelübde ab.«

»Welches?«

»Das, mich zusetzen, das ist Alles.«

Ich stand auf und verbeugte mich.

»Werden Sie die Gnade haben, mir zu sagen, mit wem ich die Ehre habe zu reden?«

»Ich bin dramatische Künstlerin, Ungarin von Geburt; ich heiße Madame Lilla Bulyowsky; ich habe einen Gatten, den ich liebe und ein Kind, welches ich anbete. Wenn Sie den Brief unseres gemeinschaftlichen Freundes Saphir gelesen hätten, würde er Ihnen dies Alles gesagt haben.«

»Glauben Sie, daß Sie nicht dabei gewonnen haben, es mir selber zu sagen?«

»Ich weiß es nicht; die Unterredung mit Ihnen nimmt so seltsame Wendungen.«

»Es steht Ihnen frei, sie wieder aus den Weg zu bringen, der Ihnen passend scheint.«

»Ei! Sie geben ihr immer Ellenbogenstöße, um sie zur Rechten oder zur Linken zu treiben.«

»Besonders zur Linken.«

»Das ist gerade die Seite, wohin ich nicht gehen will.«

»Also wollen wir gerade vor uns hingehen.«

»Ich fürchte sehr, daß das nicht möglich sein wird.«

»Sie sollen sehen, daß es doch möglich ist.«

»Wiederholen Sie, was Sie mir eben gesagt haben; Sie sind?«

»Dramatische Künstlerin.«

»Was spielen Sie?«

»Alles: Drama, Kömödie, Tragödie. Ich habe zum Beispiel fast alle Ihre Stücke gespielt, von Katharina Howard bis Mademoiselle Belle Isle.«

»Und auf welchem Theater?«

»Auf dem in Pesth.«

»In Ungarn also.«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Ungarin sei.«

Ich stieß einen Seufzer aus.

»Sie seufzen?« fragte Madame Bulyowsky.

»Ja, eine der lieblichsten Erinnerungen meines Lebens knüpft sich an eine Ihrer Landsmänninnen.«

»Ei, da treiben Sie die Unterhaltung wieder zur Linken.«

»Die Unterhaltung, nicht Sie. Stellen Sie sich doch vor —— aber nein, fahren Sie fort.«

»Durchaus nicht. Sie wollten eine Geschichte erzählen, erzählen Sie sie.«

»Warum?«

»Nun, um mich zu unterhalten! Alle Welt kann Sie lesen. aber es ist nicht aller Welt gegeben, Sie zu hören.«

»Sie wollen mich bei der Eigenliebe fassen.«

»Ich will Sie überhaupt nicht fassen.«

»Da wollen wir uns nicht mit mir beschäftigen. Sie sind dramatische Künstlerin, Sie sind Ungarin von Geburt. Sie heißen Madame Lilla Bulyowsky, Sie haben einen Gatten. den Sie lieben, ein Kind, welches Sie anbeten,. und Sie kommen nach Paris um mich zu sehen.«

»Fürs Erste.«

»Sehr gut, und nach mir?«

»Alles, was man in Paris sehen kann.«

»Und wer wird Ihnen Alles zeigen. was man in Paris sehen kann?«

»Sie. wenn Sie wollen.«

»Sie wissen, daß man uns nicht dreimal bei einander sehen darf, ohne Eins zu sagen.«

»Was denn?«

»Daß Sie meine Geliebte sind.«

»Was macht das?«

»Vortrefflich.«

»Ohne Zweifel vortrefflich; die, welche mich kennen, werden das Gegentheil wissen, und was die betrifft, welche mich nicht kennen, was liegt mir daran, was sie sagen?«

»Sie sind philosophisch.«

»Nein. ich bin logisch; ich bin fünfundzwanzig Jahre alt; man hat mir so oft gesagt. daß ich hübsch sei, daß ich gedacht habe, es sei ebenso gut, es zu glauben, während es wahr sei, als wenn es nicht mehr wahr sei. Sie werden doch nicht glauben, daß ich Pesth verlassen habe, um ganz allein, selbst ohne eine Kammerjungfer nach Paris zu kommen, mit der Ueberzeugung, daß man nicht versuchen werde, mich zu verleumden?l Das hat mich nicht zurückgehalten, man verleumde, man verkleinere, besonders meine Kunst.«

»Da ist also Ihre Reise nach Paris eine Kunstangelegenheit?«

»Nichts Anderes; ich habe Ihre großen Dichter sehen wollen, um zu wissen, ob sie den unsrigen gleichen, und Ihre großen dramatischen Künstler, um zu erfahren, ob ich ihnen etwas ablernen könnte; da habe ich Saphir um einen Brief an Sie gebeten, er hat ihn mir gegebene, und da bin ich. Haben Sie mir einige Stunden zu widmen?«

»Alle Stunden. die Sie wollen.«

»Nun, ich werde einen Monat in Paris bleiben, habe hier sechstausend Franken theils zu meinen Einkäufen, theils zu meinen Vergnügungen auszugeben, und tausend Franken, um nach Pesth zurückzukehren. Stellen Sie sich vor, daß Saphir Ihnen einen Studenten aus Leipzig oder Heidelberg anstatt einer dramatischen Künstlerin von dem Theater in Pesth zugeschickt hätte, und richten Sie sich darnach ein.«

»Da werden Sie also mit mir zu Mittag speisen?«

»Jedes mal wenn Sie frei sind.«

»An diesen Tagen werden wir in’s Schauspiel gehen.«

»Sehr gut.«

»Bestehen Sie darauf, daß noch eine dritte Person uns begleite?«

»Durchaus nicht.«

»Und es wird Ihnen gleichgültig sein, was man sagen mag?«

»Wenn Sie Saphirs Brief gelesen hätten, würden Sie gesehen haben, daß er diesem Kapitel einen ganzen Paragraphen gewidmet hat.«

»Ich werde Saphirs Brief lesen.«

»Wann denn?«

»Wenn Sie fort sind.«

»Dann geben Sie mir zwei oder drei Empfehlungsbriefe, und ich gehe; an Lamartine, an Alphonse Karr und an Ihren Sohn. Da fällt mir ein, ich habe seine Kamelien-Dame gespielt.«

»An meinen Sohn? Es ist unnöthig,. Ihnen einen Brief an ihn zu geben; wenn Sie wollen, werden wir morgen mit einander zu Mittag speisen.«

»Ich will es freilich. Endlich an Madame Doche, denn man hat mir gesagt, daß sie in der Kamelien-Dame bezaubernd ist.«

»Madame Doche wird mit uns zu Mittag speisen und es übernehmen, Sie irgend wohin zu führen.«

»Wohin denn?«

»Wohin sie will. Man muß in dieser Welt auch etwas dem Zufall überlassen.«

»Sie müssen mir eines Tages Ihre Geschichte mit meiner Landsmännin erzählen.«

»Wenn es Ihnen Vergnügen macht ——«

»Ja.«

»Wann?«

»Wenn ich es von Ihnen verlangen werde.«

»Vortrefflich.«

»Nun, meine Briefe. Sie müssen wissen, daß ich seit sechs Jahren spare, um nach Paris zu reisen; ich werde wahrscheinlich nicht wieder hierher kommen, und ich habe keine Zeit zu verlieren.«

Ich stieg zu meinem. Bureau hinunter und schrieb die zwei oder drei Briefe. um die mich Madame Bulyowsky gebeten hatte; dann ging ich wieder hinauf und gab sie ihr.

Ich wollte ihr die Hand küssen, als sie mich ohne Weiteres auf beide Wangen küßte.

»Habe ich Ihnen nicht angekündigt, daß Sie es mit einem Leipziger oder Heidelberger Studenten zu thun hätten?«

»Ja.«

»Nun also, nach deutscher Sitte: entweder den Händedruck oder die Umarmung.«

»Ich ziehe die Umarmung vor. In Frankreich hat man ein Sprichwort, welches sagt, von einer schlechten Zahlung muß man so viel nehmen wie man kann. Also auf morgen zur Mittagstafel.«

»Auf morgen zur Mittagstafel. Wo?«

»Hier.«

»Um welche Stunde?«

»Um sechs Uhr.«

»Um sechs, sehr gut; wenn ich einige Minuten später komme, muß man es mir nicht übel nehmen.«

»Ebenso, wenn Sie einige Minuten früher kommen, muß man Ihnen nicht dankbar dafür sein?«

»Nein, ich bin gern bei Ihnen, und wenn ich früher komme, geschieht es zu meiner eigenen Genugthuung; auf morgen also.«

Und sie stieg leicht die Treppen hinunter; auf dem Treppenabsatze wendete sie sich noch einmal um und warf mir ein letztes Zeichen der Freundschaft zu.

An der Thür meines Arbeitscabinets fand ich Monsieur Theodor mit blinzelnden Augen und lächelndem Munde.

»Nun sehen Sie doch, mein Herr, daß ich nicht so einfältig bin, wie Sie immer sagen?«

»Nein.« versetzte ich,. »aber Du bist noch viel dummer, als ich es glaubte.«

Mit diesen Worten trat ich wieder in mein Kabinett und ließ ihn ganz bestürzt zurück.

II

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Einen Monat lang speiste ich wöchentlich zwei- oder dreimal mit Madame Bulyowsky zu Mittag und zwei- oder dreimal wöchentlich führte ich sie ins Schauspiel.

Ich muß sagen. daß unsere Sterne sie wenig blendeten. mit Ausnahme der Rachel.

Madame Ristori war nicht in Paris.

Eines Morgens kam sie zu mir.

»Ich reise morgen ab.« sagte sie.

»Warum reisen Sie morgen ab?«

»Weil ich nur noch gerade so viel Geld übrig habe, um nach Pesth zurückzukehren.«

»Wollen Sie welches?«

»Nein. ich habe in Paris Alles gesehen. was ich dort sehen wollte.«

»Wie viel haben Sie denn noch übrig?«

»Tausend Franken.«

»Sie werden nicht halb so viel gebrauchen.«

»Doch, denn ich reise nicht direct nach Wien,«

»Sagen Sie mir Ihre Reiseroute.«

»Also: ich gehe nach Brüssel, nach Spaa, nach Köln, ich fahre den Rhein hinaus bis Mainz und reise von dort nach Mannheim.«

»Ei, was wollen Sie in Mannheim machen; Werther hat sich erschossen, und Lotte ist gestorben.«

»Ich will Madame Schröder sehen.«

»Die Schauspielerin?«

»Ja; kennen Sie sie?«

»Ich habe sie einmal in Frankfurt spielen sehen; aber ich habe ihre beiden Söne und ihre Tochter gut gekannt.«

»Ihre beiden Söhne?«

»Ja.«

ihre beiden Söhne und ihre Tochter gut gekannt.« »Ihre beiden Söhne?« »Ia.«

»Ich kenne nur einen, Devrient.«

»Den Schauspieler; ich kenne den anderen, den Priester, der in Köln hinter der St. Gideonkirche wohnt. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen einen Brief an diesen mit.«

»Ich danke Ihnen, ich habe mit seiner Mutter zu thun.«

»Was wollen Sie von ihr?«

»Ich bin Ungarin, wie ich Ihnen gesagt habe; ich spiele Komödie, Drama und Tragödie in ungarischer Sprache; nun bin ich dessen müde, nur zu sechs oder sieben Millionen Zuschauern zu reden; ich möchte deutsche Komödie spielen, um zu dreißig oder vierzig Millionen Menschen zu reden. Darum will ich Madame Schröder sprechen, in deutscher Sprache eine Scene vor ihr recitiren, und wenn sie mir die Hoffnung giebt, daß ich mit einer Arbeit von einem Jahre die fremdartige Aussprache verlieren kann, da verkaufe ich einige Diamanten, gehe in die Städte, wo sie sich aufhält, folge ihr als Gesellschafterin oder als Kammerfrau, wenn sie es will, und nach Verlauf von einem Jahre trete ich auf den deutschen Theatern auf. Nun, was giebt's?«

»Ich bewundere Sie.«

»Nein, Sie bewundern mich nicht. Sie finden dies ganz einfach; ich bin entsetzlich ehrgeizig, ich habe große Erfolge gehabt und will noch größere.«

»Bei diesem Willen werden sie Ihnen zu Theil werden.«

»Jetzt speisen wir zusammen zu Mittag, nicht wahr? Wir gehen zum letzten mal ins Schauspiel; Sie geben mir Briefe nach Brüssel mit, wo ich mich einen oder zwei Tage aufhalten und von wo ich all' mein Gepäck nach Wien abschicken werde; wir sagen einander Lebewohl und ich reise ab.«

»Warum sagen wir einander Lebewohl?«

»Nun, ich wiederhole Ihnen, weil ich abreise.«

»Es ist mir ein Einfall gekommen.«

»Welcher?«

»Ich habe in Brüssel zu thun.

Das ist nicht wahr.«

»Das ist nicht Ihre Sache.«
»Und dann?«

»Nun, anstatt Ihnen Briefe zu geben, reise ich mit Ihnen ab; allein werden Sie sich zum Sterben langweilen, sein Sie offen.«

Sie fing an zu lachen.

»Ich war gewiß, daß Sie mir diesen Vorschlag machen würden,« sagte sie.

»Und Sie waren zum voraus entschlossen, ihn anzunehmen?«

»Nun ja, in Wahrheit, ich liebe Sie sehr.«

»Meinen Dank.«

»Und wer weiß, ob wir uns je wiedersehen werden! Also morgen reisen wir ab.«

»Morgen, mit welchem Zuge?«

»Mit dem um acht Uhr Morgens. Ich entferne mich.«

»Schon!«

»Ich habe entsetzlich viel zu thun; Sie begreifen wohl, ein letzter Tag ——«

»Ich kann Ihnen nicht helfen?«
»In nichts.«

»Dann lassen Sie mich arbeiten; ich muß an einem Tage mein Journal für zwei Wochen machen.«

»Für zwei Wochen? Sie wollen also vierzehn Tage in Brüssel bleiben?«

»Wer weiß: Der Mensch denkt, Gott lenkt.«

»Da fällt mir ein.«

»Was?«

»Wir reisen nicht zusammen ab, wir begegnen uns dort zufällig ——«

»Warum das?«

»Weil ich mit Leuten von meiner Bekanntschaft reise.«
»Mit Wienern?«

»Ja.«

»Ihr Gewissen genügt Ihnen also nicht mehr?«

»Es sind Schwachköpfe.«

»Wir wollen mehr thun, als das.«

»Das Bessere ist der Feind des Guten.«

»Anstatt morgen früh abzureisen, reisen Sie morgen Abend ab.«

»Sie reisen erst morgen Abend ab; sie sind entschlossen, mit mir abzureisen.«

»Und wie weit reisen sie so?«

»Bis Brüssel nur.«

»Warten Sie; hören Sie, was wir thun wollen: wir reisen morgen Abend ab.«

»Sie bestehen darauf?«

»Ich bestehe darauf, Sie werden das wohl für mich thun, denke ich. Sie sind nicht voraus,«

»Sie werfen es mir vor?«

»Nein, ich bestätige es nur.«

»Nun, sagen Sie, wir werden später sehen.«

»Wir reisen also mit dem Abendzuge ab; wir begegnen einander nicht einmal; Sie steigen mit Ihren Wienern in irgend einen Waggon; ich sehe Sie einsteigen und bezeichne Sie einem der Angestellten; ich steige ganz allein in einen Waggon; auf der zweiten oder dritten Station beklagen Sie sich über Erstickung; der Eisenbahnbeamte macht Ihnen den Vorschlag, in einen weniger besetzten Waggon zu steigen; Sie nehmen es an, Sie kommen in den meinigen, wo Sie so viel Luft schöpfen, wie Ihnen nöthig ist und worin Sie die ganze Nacht ruhig schlafen.«

Und worin ich ruhig schlafen werde?«

»Auf Ehre.«

»In der That, das läßt sich so anordnen.«

»Also geschehe es so.«

»Vortrefflich.«

»Also auf diesen Abend?«

«Nein, auf morgen.«

»Wir werden morgen zusammen zu Mittag speisen?«

»Unmöglich, da ich am Abend abreise; ich bin genöthigt, mit meinen Wienern zu Mittag zu speisen.«

»Also werden wir uns erst auf der Eisenbahn wiedersehen.«

»Ich werde versuchen, im Laufe des Tages zu Kommen und Ihnen die Hand zu drücken.«

»Kommen Sie.«

Ich begann, mich daran zu gewöhnen, unter diesem Taffet und dieser Seide eine bezaubernde Gesellschafterin zu entdecken, wo ich eine hübsche Frau zu finden geglaubt hatte; wir reichten einander die Hand und Lilla entfernte sich.

Am folgenden Tage erhielt ich dieses kleine Billet:

»Unmöglich, Sie zu besuchen; ich kämpfe mit meinen Schneiderinnen und Modehändlerinnen. Ich packe so viel ein. daß man in Pesth ein Magazin davon anlegen könnte. Ich weiß nicht, wie ich es hätte machen, sollen, wenn ich diesen Morgen hätte abreisen müssen,

»Auf diesen Abend. Gute Nacht.

» Lilla.«

Das stark unterstrichene »Gute Nacht« erschien mir ziemlich ironisch.

»Gute Nacht« wiederholte ich indessen, »man weiß nicht, was geschehen kann.«

Am Abend war ich eine Viertelstunde vorher auf dem Bahnhofe; ich weiß nicht, ob ich je eine Gelegenheit finden werde, den Eisenbahnen in Masse für alle Aufmerksamkeiten zu danken, deren Gegenstand ich von Seiten der Beamten bin, sobald man mich in einem der Gänge sieht, an deren Thüre mit großen Buchstaben die bedeutungsvollen Worte stehen: »Das Publikum hat hier keinen Zutritt.«

Ich suchte den Chef des Bahnhofes auf; ich erklärte ihm die Lage.

Er fing an zu lachen.

»Ei, nein,« sagte ich zu ihm.

»Wirklich!«

»Auf Ehre!«

»O ja! aber während der Fahrt.«

»Ich glaube nicht.«

»Thut nichts. Gutes Glück.«

»Nehmen Sie sich in Acht, man wünscht keinem Jäger eine gute Jagd.«

Ich stieg in meinen Waggon, wo der Beamte mich hermetisch einschloß, indem er an den Griff meiner Thüre eine Karte hing, worauf mit großen Buchstaben geschrieben stand:

»Bestelltes Coupé.«