Ist es möglich, meine Liebe

(Gotthold Ephraim Lessing)
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Ist es möglich, meine Liebe, ist es in aller Welt möglich, daß ich Ihnen in so langer Zeit nicht geschrieben habe, daß ich es habe aushalten können, in so langer Zeit nichts von Ihnen zu sehen und zu hören? – Wenn Sie argwöhnisch wären! Wenn ich nicht glaubte, daß Sie mich wohl kennten! – Besorgt mögen Sie immer um mich gewesen seyn, aber wenn Sie je einen argen Gedanken, der meiner und Ihrer unwürdig wäre, von mir gehabt haben: wahrlich, so verdiene ich, daß Sie es mir abbitten. – Nicht wahr, der Wendung hätten Sie sich nicht versehen? Ich verlange Abbitte, und sollte sie selbst thun. – Nun, ja, meine Liebe, ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung, wenn ich Ihnen einen einzigen mißvergnügten und bekümmerten Augenblick gemacht habe. Gleichwohl würde ich untröstlich seyn, wenn ich Ihnen auch ganz und gar keinen gemacht hätte. – Aber, werden Sie fragen, woran lag es denn nun? An tausend und tausend Dingen, die all so klein sind, daß sie sich garnicht erzehlen lassen; die aber doch zusammengenommen so eine außerordentliche Würkung auf mich gehabt haben, daß ich, um wenig zu sagen, die ganze Zeit über, die ich nichts von mir hören lassen, so gut als gar nicht gelebt habe. Nicht, daß ich etwa krank gewesen; ob ich mich auch schon nicht gesund befunden. Ich bin schlimmer als krank gewesen: mißvergnügt, ärgerlich, wild; wider mich, und wider die ganze Welt aufgebracht; Sie allein ausgenommen. Dazu kam, daß ich mich in eine Arbeit verwickelt hatte, die mir weit mehr Zeit und Anstrengung kostete, als ich voraussetzen können. Seit ein Paar Tagen habe ich einen kleinen Stillestand in dieser Arbeit machen müssen, und vielleicht kommt es eben daher, daß ich mich jetzt ein wenig ruhiger befinde. Ich will mir diese Augenblicke zu Nutze machen, die ohne Zweifel bald wieder verschwinden dürften; und will mich wenigstens gegen eine Person in der Welt ganz ausschütten. Und wer könnte diese einzige Person anders seyn, als Sie? – Sie wissen, meine Liebe, was ich Ihnen oft gestanden habe: daß ich es auf die Länge unmöglich hier aushalten kann. Ich werde in der Einsamkeit, in der ich leben muß, von Tag zu Tag dümmer und schlimmer. Ich muß wieder unter Menschen, von denen ich hier so gut als gäntzlich abgesondert bin. Denn was hilft es mir, daß ich hier und in Braunschweig diesen und jenen besuchen kann? Besuche sind kein Umgang; und ich fühle es, daß ich nothwendig Umgang, und Umgang mit Leuten haben muß, die mir nicht gleichgültig sind, wenn noch ein Funken Gutes an mir bleiben soll. Ohne Umgang schlafe ich ein; und erwache blos dann und wann, um eine Sottise zu begehen. – Also hören Sie meine Liebe, was ich mir für einen Plan gemacht habe. Denn wie es mit Ihnen gehen dürfte, sehe ich nun wohl. Sie werden entweder nie, oder sobald nicht von Wien wegkommen. Wenn ich also hierbleiben und die Hände in den Schoß legen will, so wird aus allem nichts, was ich mir in glücklichen Augenblicken manchmal so möglich und so leicht vorgestellt habe. Dieses einzige folglich kann mich noch retten, oder nichts.

Sie erinnern sich, daß, ich als meine ietzige Stelle einnahm, ich mir ausdrücklich vorbehielt, in einigen Jahren eine Reise nach Italien thun zu dürfen. Nun bin ich beinahe drei Jahre hier; und es darf niemanden befremden, wenn ich nun bald auf diese Reise dringe. Daß ich sodann den Weg über Wien nehme, das versteht sich: theils aus der Ursache, die niemand besser weiß als Sie; theils um mit meinen eigenen Augen da zu sehen, was für mich zu thun seyn dürfte. Ich habe neuerlich, durch den Grafen Kanitz, welcher mich hier in Wolffenbüttel besuchte, sehr dringende Veranlassungen bekommen, die Reise nach Wien doch ja einmal zu thun; mit der Versicherung, daß sie unmöglich anders, als sehr zu meinem Glücke ausschlagen könne. Das will ich sehen, um mir selbst nichts vorzuwerfen zu haben. Aber ich will es so sehen, daß ich nicht darauf rechne. Ich bin versichert, daß unser Herzog, wenn ich ihn auf Jahr und Tag um Urlaub bitte, mir ihn ohne Umstände geben, und mir nicht allein meine Pension fortsetzen, sondern auch meine Stelle, so lange ich außenbliebe, offen lassen wird. Ja, es sollte mich ein Wort kosten, so wollte ich noch eine eigne Zulage zur Reise erhalten. Doch dieses würde mich zu sehr binden, und ich will mich an jenem begnügen lassen.

Finde ich es nun in Wien so, daß ich Wolffenbüttel darüber vergessen kann: desto besser. Finde ich es nicht, so habe ich mich doch wieder mit Ihnen, meine Liebe, besprochen, und ich weiß, woran ich bin. Das Schlimmste hierbei ist nur, daß ich nicht gleich morgen aufpacken kann. Aber daß ich es je eher je lieber können möge, das ist itzt mein einziges Bestreben. Jene ganze Arbeit, von der ich Ihnen gesagt habe, zielt dahin ab; weil ich doch nicht gern die Bibliothek in Unordnung und ohne ein Andenken von mir verlassen möchte. Der Winter wird wohl wenigstens darauf gehen; und ich werde mehr in diesem einen Winter arbeiten müssen, als ich sonst nicht in dreien gethan habe. Was schadet das? Eine einzige gute Aussicht kann mich alles ertragen machen. – Doch, meine Liebe, habe ich auch Recht gethan, Ihnen alles das zu schreiben? Sie sehen, wieviel ich von Ihrer Seite dabei vorausgesetzt, wie sehr ich darauf rechne, daß Sie noch immer die nemliche sind.

Möchte Ihnen dieser Brief nur nicht zu einer gar zu unruhigen Stunde zukommen. Möchten Sie wenigstens eine recht ruhige Stunde finden, mir darauf zu antworten. Das Herz bricht mir, wenn ich daran denke, wie wenig Sie ruhige Stunden haben mögen.
Leben Sie wohl, meine Liebe; und melden Sie mir es bald, daß Sie wohl leben.

Ich bin mit ganzer Seele der Ihrige

Lessing


Wolffenbüttel, den 26. Oktober 1772

Ich wollte

(Michelangelo an Vittoria Colonna)
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Ich wollte, Herrin, bevor ich die Dinge, die Euere Herrlichkeit mit mehrere Male (schon) hat geben wollen, annahm, um sie weniger unwürdig als ich vermochte zu empfangen, etwas eigenhändiges für Sie arbeiten. Nun aber habe ich erkannt und gesehen, daß Gottes Gnade nicht käuflich ist, und daß sie verschmähen eine sehr schwere Sünde ist, und daher sage ich: meine Schuld, und nehme gern die erwähnten Dinge an. Und wenn ich sie habe, – nicht um sie in meinem Haus zu besitzen, sondern um meinerseits in ihrem Hause zu sein, (d.h. ihr Gast nicht ihr Besitzer zu sein) – wird es mir vorkommen, als befände ich mich im Paradiese. Und dafür werde ich Euerer Herrlichkeit noch mehr verpflichtet sein, wenn anders ich es noch mehr als ich es schon bin sein kann.

Der Überbringer dieses Schreibens ist mein Diener Urbino, dem Euere Herrlichkeit sagen kann, wann Sie wollen, daß ich kommen soll, um den Kopf zu sehen, den Sie mir zu zeigen versprochen haben; und ich empfehle mich Ihnen

Eurer Herrlichkeit Diener
Michelagniolo Buonarotti

Den Brief begleitete folgendes Sonett Michelangelos:

Um wen’ger unwert, hohe Frau zu sein
Der Gabe eurer unermessenen Güte,
Verlangt’ es mich, aus freudigem Gemüte,
Euch meines schwachen Geistes Dank zu weihn.

Da sah ich, daß aus eigener Kraft allein
Nach jenem Ziel ich mich vergebens mühte,
Verzeihet meiner frevlen Kühnheit, bitte,
Durch Irrtum geh’ ich nun zur Einsicht ein.

Ich sehe wohl, es irrt sich, wer da glaubt,
Daß, Göttergleiche, eurem Gnadenregen
Mein schwach’, gebrechlich’ Werk sich könnt’ vergleichen.
Geist, Kunst, Gedächtnis sind der Kraft beraubt:
Aus Eigenem lohnen einem Himmelssegen
Kann keine Mühe Sterblicher erreichen.

Michelangelo an Vittoria Colonna

Mozart an seine Braut Konstanze Weber

(Wolfgang Amadeus Mozart)
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Mozart konnte sich erst nach schweren Kämpfen mit seinem Vater und der Mutter seines Mädchens die Braut erringen. Er zeigt sich auch als liebevoller Gatte gegen Konstanze, der ihrerseits die mancherlei Frivolitäten des geselligen Verkehr im ausgehenden 18. Jahrhundert nicht völlig zur Last zu legen sein werden. S. Nohl, Mozarts Briefe, Salzburg 1865.


Dresden, 13. April 1789
Um 7 Uhr früh,

Liebstes bestes Weibchen!


Liebstes Weibchen, hätte ich doch auch schon einen Brief von Dir! Wenn ich Dir alles erzählen wollte was ich mit Deinem lieben Porträt anfange, würdest du wohl oft lachen. Zum Beispiel wenn ich es aus seinem Arrest herausnehme; so sage: grüß dich Gott Stanzerl! – grüß dich Gott Spitzbub – Krallerballer – Spitzignas – Bagatellerl – schluck und druck! – und wenn ich es wieder hineinthue so lasse ich es so nach und nach hinunterrutschten, und sage immer Nu – Nu – Nu – Nu! aber mit dem gewissen Nachdruck den dieses so vielbedeutende Wort erfordert und bei dem letzten schnell: Gute Nacht, Mauserl, schlaf gesund! – Nun glaube ich so ziemlich was Dummes (für die Welt wenigstens) hingeschrieben zu haben, für uns aber, die wir uns so innig lieben, ist es gerade nicht dumm. – Heute ist der sechste Tag daß ich von Dir weg bin, und bei Gott mir scheint es schon ein Jahr zu sein. – Du wirst wohl oft Mühe haben, meinen Brief zu lesen, weil ich in Eile und folglich etwas schlecht schreibe. – Adieu liebe einzige – der Wagen ist da – da heißt es nicht brav und der Wagen ist auch schon da – sondern – male. – Lebe wohl und liebe mich ewig so wie ich Dich; ich küsse Dich millionen mal auf das zärtlichst und bin ewig Dein Dich zärtlich liebender Gatte

W. A. Mozart.

Dresden 16. April 1789
Nachts um halb 12 Uhr.

Liebstes bestes Weibchen!


Liebes Weibchen ich habe eine Menge Bitten an Dich; –

1 mo bitte ich Dich daß Du nicht traurig bist;

2 do daß Du auf Deine Gesundheit achtest und der Frühlingsluft nicht trauest.

3 tio daß Du nicht allein zu Fuße, am liebsten aber gar nicht zu Fuße ausgehest.

4 to Daß Du meiner Liebe ganz versichert sein sollst; – keinen Brief habe ich Dir noch geschrieben, wo ich nicht Dein liebes Portrait vor meiner gestellt hätte. –

5 to Bitte ich Dich nicht allein auf Deine und meine Ehre in Deinem Betragen Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf den Schein. – Sei nicht böse auf diese Bitte. – Du mußt mich eben dieshalb noch mehr lieben, weil ich auf Ehre halte.

6 to et ultimo bitte ich Dich in Deinen Briefen ausführlicher zu sein. – Nun lebe wohl, Liebste, Beste! – Denke daß ich alle Nacht ehe ich ins Bett gehe eine gute halbe Stunde mit Deinem Portrait spreche, und so auch beim Erwachen.


O stru! stri! ich küsse und drück Dich 1095060437082 mal (hier kannst Du Dich im Aussprechen üben) und bin ewig Dein treuester Gatte und Freund

w. A. Mozart.

Schiller an Lotte

(Friedrich von Schiller)
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3. August, Montag.


Ist es wahr, theuerste Lotte? darf ich hoffen, daß Caroline in Ihrer Seele gelesen hat und aus Ihrem Herzen mir beantwortet hat, was ich mir nicht getraute, zu gestehen? O wie schwer ist mir dieses Geheimnis geworden, das ich, solange wir uns kennen, zu bewahren gehabt habe! Oft, als wir noch beysammen lebten, nahm ich meinen ganzen Muth zusammen, und kam zu Ihnen, mit dem Vorsatz, es Ihnen zu entdecken – aber dieser Muth verliess mich immer. Ich glaubte Eigennutz in meinem Wunsche zu entdecken, ich fürchtete, dass ich nur meine Glückseligkeit dabey vor Augen hätte und dieser Gedanke scheuchte mich zurück. Konnte ich Ihnen nicht werden, was Sie mir waren, so hätte mein Leiden Sie betrübt, und ich hätte die schöne Harmonie unserer Freundschaft durch mein Geständniß zerstört, ich hätte auch das verloren: was ich hatte, Ihre reine und schwesterliche Freundschaft. Und doch gab es wieder Augenblicke, wo meine Hofnung auflebte, wo die Glückseligkeit, die wir uns geben konnten, mir über alle Rücksichten erhaben schien, wo ich es sogar für edel hielt, ihr alles Uebrige zum Opfer zu bringen. Sie konnten ohne mich glücklich seyn – aber durch mich nie unglücklich werden. Dieses fühlte ich lebendig in mir – und darauf baute ich dann meine Hofnungen. Sie konnten sich einem andern schenken, aber keiner konnte Sie reiner und zärtlicher lieben, als ich. Keinem konnte Ihre Glückseligkeit heiliger seyn, als sie es mir war und immer seyn wird. Mein ganzes Daseyn, alles was in mir lebt, alles, meine theuerste widme ich Ihnen, und wenn ich mich zu veredeln strebe, so geschiehts, um Ihrer immer würdiger zu werden, um Sie immer glücklicher zu machen, Vortrefflichkeit der Seelen ist ein schönes und ein unzerreißbares Band der Freundschaft und der Liebe. Unsre Freundschaft und Liebe wird unzerreissbar und ewig seyn, wie die Gefühle, worauf wir sie gründen.

Vergeßen Sie jetzt alles, was Ihrem Herzen Zwang auflegen könnte, und lassen Sie nur Ihre Empfindungen reden. Bestätigen Sie, was Caroline mich hoffen ließ. Sagen Sie mir, daß Sie mein seyn wollen, und dass meine Glückseligkeit Ihnen kein Opfer kostet. O versichern Sie mir dieses, und nur mit einem einzigen Wort. Nahe waren sich unsre Herzen schon längst. Laßen Sie auch noch das einzige fremde hinwegfallen, was sich bisher zwischen uns stellte, und nichts die freye Mittheilung unserer Seelen stören.

Leben Sie wohl theuerste Lotte. Ich sehne mich nach einem ruhigen Augenblick Ihnen alle Gefühle meines Herzens zu schildern, die in dem langen Zeitraum, daß diese Einzige Sehnsucht in meiner Seele lebt, mich glücklich und wieder unglücklich gemacht haben. Wie viel habe ich Ihnen noch zu sagen?

Säumen Sie nicht, meine Unruhe auf immer und ewig zu verbannen. Ich gebe alle Freuden meines Lebens in Ihre Hand. Ach, es ist schon lange, daß ich sie mir unter keiner andern Gestalt mehr dachte, als unter Ihrem Bilde. Leben Sie wohl, meine theuerste.

Schiller an Lotte und Caroline

(Friedrich von Schiller)
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Leipzig den 8. August, Montag Abends.


Dieser heutige Tag ist der erste, wo ich mich ganz glücklich fühle. Nein! Ich habe nie gewußt, was glücklich sein ist, als heute. Ein einziger Tag verspricht mir die Erfüllung der zwei einzigen Wünsche, die mich glücklich machen können. Liebste, theuerste Freundinnen, ich verlasse eben meinen Körner – meinen und gewiß auch den Ihrigen – und in der ersten Freude unseres Wiedersehens war es mir unmöglich, ihm etwas zu verschweigen, was ganz meine Seele beschäftigte. Ich habe ihm gesagt, daß ich hoffe, – bis zur Gewißheit hoffe, von Ihnen unzertrennlich zu bleiben. In seiner Seele habe ich meine Freude gelesen, ich habe ihn mit mir glücklich gemacht. O ich weiß nicht, wie mir ist. Mein Blut ist in Bewegung. Es ist das erstemal, daß ich diese so lang zurückgehaltenen Empfindungen gegen einen Freund ausgießen konnte. Dieser heutige Morgen bei Ihnen, dieser Abend bei meinem theuersten Freund, dem ich alles geblieben bin, wie ich es war, der mir alles geblieben ist, was er mir je gewesen – soviel Freude gewährte mir noch kein einziger Tag meines Lebens. Körner kündigt mir noch an, daß er bereit sei, Dresden zu verlassen, und Jena zu seinem Aufenthalt zu wählen. Innerhalb eines Jahres kann ich hoffen, auch von ihm unzertrennlich zu werden.

Welche schöne himmlische Aussicht liegt vor mir! Welche göttliche Tage werden wir einander schenken! Wie selig wird sich mein Wesen in diesem Zirkel entfalten! O ich fühle in diesem Augenblick, daß ich keines der Gefühle verloren habe, die ich dunkel in mir ahnte. Ich fühle, daß eine Seele in mir lebt, fähig für alles, was schön und gut ist. Ich habe mich selbst wiedergefunden und lege einen Werth auf mein Wesen, weil ich es Ihnen widmen will.

Ja Ihnen sollen alle meine Empfindungen gehören, alle Kräfte meines Wesens sollen Ihnen blühen! In Ihnen will ich leben und meines Daseins mich erfreuen. Ihre Seele ist mein – und die meinige ist Ihnen. Lassen Sie mich für meine Freunde mit angeloben. Auch siedieser