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© Schwager & Steinlein Verlag GmbH

www.schwager-steinlein-verlag.de
eISBN: 978-3-8155-6916-0

Inhalt

Siegfried und der Drache

Die Loreley

Wie Rübezahl zu seinem Namen kam

Die Heinzelmännchen

Die versunkene Stadt

Die treuen Weiber zu Weinsberg

Der Rattenfänger von Hameln

Laurins Rosengarten

Die Schildbürger

Der Ritt über den Bodensee

Kannitverstan

Die Rosstrappe

Das Riesenspielzeug

Till Eulenspiegel und der Herzog von Lüneburg

Till Eulenspiegel und der lesende Esel

Till Eulenspiegel als Bäckergeselle

Lohengrin

Der fliegende Holländer

Heinrich der Löwe

Wilhelm Tell

Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser

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Siegfried und der Drache

Vor langer Zeit lebte ein Königssohn, der Siegfried genannt wurde. Er war außergewöhnlich hübsch, stark und tapfer. Seine Eltern waren sehr stolz auf ihn. „Sicherlich wird Siegfried einmal ein berühmter Held“, sagte der König häufig zur Königin. Die Königin nickte dann und seufzte: „Ja, da bin ich mir sicher.“

Doch der kleine Siegfried war nicht nur mutig, sondern auch wild und stürmisch. Er tobte jeden Tag durch das Schloss, und nicht selten ging dabei etwas kaputt. König und Königin waren jedes Mal sehr bekümmert.

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Sobald Siegfried alt genug war, schickten ihn seine Eltern fort. Er sollte sich außerhalb der Schlossmauern in der großen weiten Welt bewähren. Sie hofften, dass aus dem Rabauken auf diese Weise ein ruhigerer junger Mann werden würde.

Der junge Siegfried machte sich gut gelaunt auf den Weg, denn er freute sich auf die bevorstehenden Abenteuer. Er durchquerte dunkle Wälder, durchschwamm breite Flüsse und bestieg jeden Berg. Dabei hielt er unermüdlich Ausschau nach Riesen und Ungeheuern. Denn er hoffte auf einen tüchtigen Kampf, der ihm Ruhm und Ehre bringen würde.

Nach einiger Zeit kam er zu einer Schmiede, die dem berühmten Waffenschmied Mime gehörte. Mime bearbeitete gerade ein rot glühendes Stück Eisen mit geschickten Schlägen, um daraus ein Schwert zu machen. Als Siegfried dies sah, war er sofort begeistert.

„Ich möchte auch ein Schmied werden“, rief er.

„Ich nehme nicht jeden als Lehrling! Beweise erst einmal, dass du stark genug bist!“, antwortete Mime.

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Da nahm Siegfried den großen Hammer und schmetterte ihn auf den Amboss.

Der eiserne Block zerbrach augenblicklich in zwei Teile. Auch der Hammer splitterte und war nicht mehr zu gebrauchen.

Mime erschrak. Siegfrieds Stärke machte ihm Angst. Auf keinen Fall wollte er ihn bei sich behalten. Denn im Falle eines Streits würde er sich nicht gegen den Kraftprotz wehren können!

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„Ich nehme dich gerne als Lehrling. Aber jetzt gehe in den Wald und hole für mich Holzkohle, die ich für mein Feuer brauche“, sagte Mime deshalb zu Siegfried. Denn Mime wusste, dass im Wald ein gefährlicher Drache wohnte. Dieser Drache hieß Fafnir, und er hatte bisher jeden Eindringling mit einem Happs verspeist. Auch Siegfried würde es nicht anders ergehen, dachte Mime. So könnte er den Jungen gewiss loswerden!

Sofort zog Siegfried los, um die Kohle zu holen. Doch kaum hatte er den Wald erreicht, vertrat ihm ein gewaltiger Drache den Weg. Es war Fafnir! Seine grünen Augen glitzerten kalt, als er fauchend mit spitzen Zähnen nach Siegfried schnappte.

Für einen Moment war Siegfried überrascht. Schließlich war dies der erste Drache, dem er in seinem Leben begegnete. Aber dann fasste er sich und sprang rasch zur Seite. Das Untier brüllte und schlug mit seinem dornigen Schwanz nach allen Seiten aus.

Eilig sah sich Siegfried nach einer geeigneten Waffe um. Doch da war nichts um ihn herum als Wald. Der Drache aber stürzte ihm mit aufgerissenem Maul wütend entgegen. Da riss Siegfried einen Baum samt Wurzeln aus der Erde und schlug dem Drachen damit auf den Kopf. Sofort sank dieser tot zu Boden.

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Als der Drache tot vor Siegfried lag, kam ein Vögelchen geflogen und setzte sich auf den Ast einer nahen Linde. Es zwitscherte: „Siegfried! Tauch ein ins Drachenblut! Es wird deine Haut unverwundbar machen!“

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Das ließ sich Siegfried nicht zweimal sagen. Sofort zog er sich aus und benetzte seinen Körper mit dem Blut des Drachen. Doch ein kleines Lindenblatt hatte sich vom Ast gelöst und war auf seinen Rücken gefallen. Diese Stelle wurde vom Drachenblut nicht berührt und blieb daher verwundbar. Aber das machte Siegfried zunächst nichts aus. Denn überall sonst konnte selbst der härteste Stahl ihn nicht verletzen. Er wurde ein berühmter Held und blieb für lange Zeit in jedem Kampf der Sieger.

Die Loreley

An einem großen Fluss, dem Rhein, soll einmal ein wunderschönes Mädchen gelebt haben. Sie wurde Loreley genannt. Jeden Tag in der Abenddämmerung saß es auf einem hohen Felsen. Dort kämmte es sein langes, goldschimmerndes Haar und sang dabei ein Lied.

Seine Stimme soll so lieblich und schön gewesen sein, dass jeder, der sie hörte, wie verzaubert war.

Die Schiffer, die den Rhein entlang fuhren, achteten dann kaum noch auf den Fluss mit seinen gefährlichen Stromschnellen.

Alle blickten zu Loreley hinauf, in der Hoffnung, sie zu sehen.

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Doch Loreley war sehr scheu. Sie zeigte sich keinem Menschen und blieb immer für sich allein. Nur die Fischer am Flussufer besuchte sie hin und wieder, denn sie mochte die Männer gern. Dann führte sie sie zu den Stellen des Rheins, wo sie die besten Fische fangen konnten. „Aber erzählt es nicht weiter“, bat Loreley.

Die Fischer waren Loreley dankbar und freuten sich. Doch sie konnten ihr Geheimnis nicht für sich behalten. Sie erzählten allen Leuten von der schönen und hilfsbereiten Loreley. Bald hatte jeder im Land von ihr gehört.

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Auch dem Sohn des Grafen kam die Geschichte der schönen Loreley zu Ohren. Sofort hatte er nur noch eines im Sinn: Er wollte das Mädchen mit eigenen Augen sehen.

„Gleich morgen werde ich mich auf die Suche nach Loreley machen“, sagte er. Doch sein Vater schüttelte nur den Kopf. „Bleib lieber zu Hause! Die Geschichte kommt mir seltsam vor. Diese Loreley ist sicherlich nicht aus Fleisch und Blut! Vielleicht ist sie sogar eine böse Hexe!“

Der junge Graf ließ sich nicht abhalten. Gleich am nächsten Tag machte er sich auf den Weg. Am Ufer des Rheins bat er einen Fischer, ihn über den Fluss zu bringen. Schon während der Überfahrt konnte er Loreleys liebliche Stimme hören.

Als er am Fuß des Felsens an Land ging, war er bereits völlig verzaubert. Der junge Graf achtete nicht mehr recht auf den Weg. Er rutschte auf einem glitschigen Stein aus und versank in den Fluten des Flusses.

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Als der junge Graf nicht nach Hause kam, wusste sein Vater vor Kummer weder ein noch aus. Er wütete und tobte. Schließlich gab er der schönen Loreley die Schuld.

Zusammen mit einigen seiner Leute ließ er sich zum Rheinfelsen bringen, um Loreley gefangen zu nehmen. Doch als Loreley die fremden Männer sah, rief sie:

„Vater! Deine Rosse geschwind sende, dass sie tragen dein Kind, Loreley! Loreley!“

Sogleich war ein gewaltiges Tosen zu hören. Der Rhein begann zu brodeln. Loreley wurde von zwei Schaumwellen erfasst und verschwand fröhlich lachend in den Fluten des Stroms.

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Erst jetzt begriff der Graf, dass Loreley kein böses Geschöpf, sondern eine gute Nixe war, nämlich die Tochter des mächtigen Rheins. Traurig kehrte er zurück auf seine Burg. Dort angekommen, traute er seinen Augen kaum, denn sein tot geglaubter Sohn erwartete ihn.

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„Ich lag erst am Grund des Flusses“, berichtete er. „Doch dann fühlte ich mich wie von Zauberhand hinaufgezogen. Eine sanfte Welle spülte mich schließlich an Land.“