Neuntes Kapitel

Inhaltsverzeichnis


Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen Königs zur Selbständigkeit überrascht: er selbst berief den Rat der Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geübt. Die Regentin war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemächer beschied, wo der König bereits eine Auswahl der höchsten Beamten des Reiches um sich versammelt habe, Goten und Römer, unter diesen Cassiodor und Cethegus.

Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm ahnte nichts Gutes. Aber eben deshalb besann er sich bald eines andern. «Ich darf der Gefahr nicht den Rücken, die Stirn muß ich ihr bieten», sprach er, als er sich zu dem verhaßten Gang anschickte. Er fand in dem Gemach des Königs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich – er trug eine langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glänzte auf seinem Haupt, und unter dem Mantel klirrte das Schwert – von seinem Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand, ging ihr entgegen und führte sie zu einem zweiten höheren Stuhl, der aber zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: «Meine königliche Mutter, tapfre Goten, edle Römer! Wir haben euch hierher beschieden, euch unsern Willen kundzutun. Es drohten diesem Reiche Gefahren, die nur wir, der König dieses Reiches, abwenden konnten.»

Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: «Deine weise Mutter und dein getreuer Diener Cassiodor» – – «Mein getreuer Diener Cassiodor schweigt, bis sein Herr und König ihn um Rat befragt. Wir sind schlecht zufrieden, sehr schlecht, mit dem, was die Räte unsrer königlichen Mutter bisher getan und nicht getan haben. Es ist höchste Zeit, daß wir selbst zum Rechten sehn.

Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fühlen uns nicht mehr zu jung und nicht mehr zu krank. Wir künden euch an, daß wir demnächst die Regentschaft aufheben und die Zügel dieses Reiches selbst ergreifen werden.»

Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust, nach Cassiodors Beispiel zu reden und dann zu verstummen.

Endlich fand Amalaswintha, die diese plötzliche Energie ihres Sohnes gleichsam betäubt hatte, die Sprache wieder: «Mein Sohn, dies Alter der Mündigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser» – – «Nach den Gesetzen der Kaiser, Mutter, mögen die Römer sich richten. Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklärt.

Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerführer und Grafen und alle freien Männer unsres Volkes; so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen Provinzen des Reiches zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem nächsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen.»

Überrascht schwieg die Versammlung.

«Das sind nur noch vierzehn Tage», sprach endlich Cassiodor. «Wird es möglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?» – «Sie sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis haben sie alle bestellt.» – «Wer hat die Dekrete unterschrieben»? fragte Amalaswintha, sich ermannend. «Ich allein, liebe Mutter. Ich mußte doch den Geladenen zeigen, daß ich reif genug, allein zu handeln.»

«Und ohne mein Wissen!» sprach die Regentin. – «Und ohne dein Wissen geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen mußte.»

Er schwieg. Alle Römer waren ratlos und wie betäubt von der plötzlich entfalteten Kraft des jungen Königs. Nur in Cethegus stand sogleich der Entschluß fest, jene Versammlung zu verhindern, um jeden Preis. Er sah den Grund all seiner Pläne wanken. Gern wär’ er mit aller Wucht seines Wortes der vor seinen Augen versinkenden Regentschaft zu Hilfe gekommen, gern hätte er schon mehrere Male in dieser Verhandlung das kühne Aufstreben des Jünglings mit seiner ruhigen Überlegenheit zu Boden gedrückt, aber ihm hielt ein seltsamer Zufall Gedanken und Zunge wie mit Zauberbanden gefesselt.

Er hatte in der Nische hinter dem Vorhang Geräusch zu vernehmen geglaubt und scharfe Blicke darauf geheftet: da bemerkte er unter dem Vorhang durch, dessen Fransen nicht ganz bis zur Erde reichten, die Füße eines Mannes.

Freilich nur bis an die Knöchel. Aber an diesen Knöcheln saßen Beinschienen von Erz eigentümlicher Arbeit. Er kannte diese Beinschienen, er wußte, daß sie zu einer vollen Rüstung gleicher Art gehörten, er wußte auch in unbestimmter Gedankenverbindung, daß der Träger dieser Rüstung ihm verhaßt und gefährlich, aber es war ihm nicht möglich, sich zu sagen, wer dieser Feind sei. Hätte er die Schienen nur bis ans Knie verfolgen können! Gegen seinen Willen mußte er die Augen immer und immer wieder auf jenen Vorhang richten und raten und raten. Und das bannte seinen Geist jetzt – jetzt, da alles auf dem Spiele stand. Er zürnte über sich selbst, aber er konnte Gedanken und Blicke nicht von der Nische losreißen. Der König jedoch fuhr, ohne Widerstand zu finden, fort: «Ferner haben wir die edeln Herzoge Thulun, Ibbas und Pitza, die grollend diesen Hof verlassen, aus Gallien und Spanien zurückgerufen. Wir finden, daß allzuviele Römer, allzuwenig Goten uns umgeben. Jene drei tapferen Krieger werden mit Graf Witichis die Wehrmacht unseres Reiches, die Festen und die Schiffe untersuchen und alle Schäden aufdecken und heilen. Sie werden nächstens eintreffen.» Sie müssen sogleich wieder fort, sagte Cethegus rasch zu sich selbst. Aber seine Gedanken fuhren fort: Nicht ohne Grund ist jener Mann da drinnen versteckt.

«Weiter», hob der königliche Jüngling wieder an, «haben wir Mataswinthen, unsre schöne Schwester, zurückbeschieden an unsern Hof. Man hat sie nach Tarent verbannt, weil sie sich geweigert, eines betagten Römers Weib zu werden. Sie soll wiederkehren, die schönste Blume unseres Volkes, und unseren Hof verherrlichen.»

«Unmöglich!» rief Amalaswintha: «Du greifst in das Recht der Mutter wie der Königin.» – «Ich bin das Haupt der Sippe, sobald ich mündig bin.»

«Mein Sohn, du weißt, wie schwach du warst noch vor wenigen Wochen. Glaubst du wirklich, die gotischen Heermänner werden dich waffenreif erklären?»

Der König wurde rot wie sein Purpur, halb vor Scham, halb vor Zorn; eh’ er Antwort fand, rief eine rauhe Stimme an seiner Seite: «Sorge nicht darum, Frau Königin. Ich bin sein Waffenmeister gewesen: ich sage dir, er kann sich messen mit jedem Feind: und wen der alte Hildebrand wehrfähig spricht, der gilt dafür bei allen Goten.» Lauter Beifall der anwesenden Goten bestätigte sein Wort.

Wieder gedachte Cethegus einzugreifen, aber eine Bewegung hinter dem Vorhang zog seine Gedanken ab: Einer meiner größten Feinde ist es, aber wer?

«Noch eine wichtige Sache ist euch kundzutun», begann der König wieder, mit einem flüchtigen Seitenblick nach der Nische, der dem Präfekten nicht entging.

Etwa ein Anschlag gegen mich? dachte er. Man wollte mich überraschen? Das soll nicht gelingen! –

Aber es überraschte ihn doch, als plötzlich der König mit lauter Stimme rief: «Präfekt von Rom, Cethegus Cäsarius!» Er zuckte, aber rasch gefaßt, neigte er das Haupt und sprach: «Mein Herr und König.» – «Hast du uns nichts aus Rom zu melden? Wie ist die Stimmung der Quiriten? Was denkt man dort von den Goten?»

«Man ehrt sie als das Volk Theoderichs!» – «Fürchtet man sie?» – «Man hat nicht Ursach’, sie zu fürchten.» – «Liebt man sie?» – Gern hätte Cethegus geantwortet: Man hat nicht Ursach’, sie zu lieben. Aber der König selbst fuhr fort:

«Also keine Spur von Unzufriedenheit? Kein Grund zur Sorge? Nichts Besonderes, das sich vorbereitet?»

«Ich habe dir nichts anzuzeigen.» – «Dann bist du schlecht unterrichtet, Präfekt – oder schlecht gesinnt. Muß ich, der in Ravenna kaum vom Siechbett ersteht, dir sagen, was in deinem Rom unter deinen Augen vorgeht? Die Arbeiter auf deinen Schanzen singen Spottlieder auf die Goten, auf die Regentin, auf mich, deine Legionäre führen bei ihren Waffenübungen drohende Reden. Höchst wahrscheinlich besteht bereits eine ausgebreitete Verschwörung, Senatoren, Priester an der Spitze: sie versammeln sich nachts an unbekannten Orten. Ein Mitschuldiger des Boëthius, ein Verbannter, Albinus, ist in Rom gesehen worden; und weißt du, wo? im Garten deines Hauses.» Der König stand auf. Die Augen aller Anwesenden richteten sich erstaunt, erzürnt, erschrocken auf Cethegus. Amalaswintha bebte für den Mann ihres Vertrauens. Aber dieser war jetzt wieder völlig er selbst. Ruhig, kalt, schweigend sah er dem König ins Auge.

«Rechtfertige dich!» rief ihm dieser entgegen.

«Rechtfertigen gegen einen Schatten, ein Gerücht, eine Klage sonder Kläger? Nie!» – «Man wird dich zu zwingen wissen.» Hohn zuckte um des Präfekten schmale Lippen.

«Man kann mich morden auf bloßen Verdacht, ohne Zweifel – wir haben das erfahren, wir Italier! – nicht mich verurteilen. Gegen Gewalt gibt es keine Rechtfertigung, nur gegen Gerechtigkeit.» – «Gerechtigkeit soll dir werden, zweifle nicht. Wir übertragen den hier anwesenden Römern die Untersuchung, dem Senat in Rom die Urteilsfällung. Wähle dir einen Verteidiger.» – «Ich verteidige mich selbst», sprach Cethegus kühl. «Wie lautet die Anklage? Wer ist mein Ankläger? Wo ist er?» – «Hier», rief der König und schlug den Vorhang zurück.

Ein gotischer Krieger in ganz schwarzer Rüstung trat hervor.

Wir kennen ihn. Es war Teja.

Dem Präfekten drückte der Haß die Wimper nieder. Jener aber sprach: «Ich, Teja, des Tagila Sohn, klage dich an, Cethegus Cäsarius, des Hochverrats an diesem Reich der Goten. Ich klage dich an, den verbannten Verräter Albinus in deinem Haus zu Rom zu bergen und hehlen. Es steht der Tod darauf. Und du willst dies Land dem Kaiser in Byzanz unterwerfen.»

«Das will ich nicht», sprach Cethegus ruhig: «beweise deine Klage.» – «Ich habe Albinus vor vierzehn Nächten mit diesen Augen in deinen Garten treten sehen», fuhr Teja zu den Richtern gewendet fort. «Er kam von der Via sacra her, in einen Mantel gehüllt, einen Schlapphut auf dem Kopf. Schon in zwei Nächten war die Gestalt an mir vorbeigeschlüpft; diesmal erkannt’ ich ihn. Als ich auf ihn zutrat, verschwand er, ehe ich ihn ergreifen konnte, an der Tür, die sich von innen schloß.» – «Seit wann spielt mein Amtsgenoß, der tapfere Kommandant von Rom, den nächtlichen Späher?» – «Seit er einen Cethegus zur Seite hat. Aber ob mir auch der Flüchtling entkam – diese Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthält Namen von römischen Großen und neben den Namen Zeichen einer unlösbaren Geheimschrift. Hier ist die Rolle.» Er reichte sie dem König. Dieser las: «Die Namen sind: Silvernus, Cethegus, Licinius, Scävola, Calpurnius, Pompenius. – Kannst du beschwören, daß der Vermummte Albinus war?»

«Ich will’s beschwören.» – «Wohlan, Präfekt. Graf Teja ist ein freier, unbescholtener, eidwürdiger Mann. Kannst du das leugnen?»

«Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in nichtiger blutschänderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder, die Kirche hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln Römer senatorischen Ranges.» Ein Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten. Tejas blasses Antlitz wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans Schwert: «So vertret’ ich mein Wort mit dem Schwert», sprach er mit tonloser Stimme. «Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht auf Tod und Leben.» – «Ich bin Römer und lebe nicht nach eurem blutigen Barbarenrecht. Aber auch als Gote: ich würde dem Bastard den Kampf versagen.» – «Geduld», sprach Teja und stieß das halb gezückte Schwert leise in die Scheide zurück. «Geduld, mein Schwert. Es kommt dein Tag.» Aber die Römer im Saale atmeten auf.

Der König nahm das Wort: «Wie dem sei, die Klage ist genug begründet, die genannten Römer zu verhaften. Du, Cassiodor, wirst die Geheimschrift zu entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemächtigst dich der fünf Verdächtigen, durchsuchst ihre Häuser und das des Präfekten. Hildebrand, du verhaftest den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab.» – «Halt», sprach Cethegus, «ich leiste Bürgschaft mit all meinem Gut, daß ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende. Ich verlange Untersuchung auf freiem Fuß: das ist des Senators Recht.»

«Kehr’ dich nicht dran, mein Sohn», rief der alte Hildebrand vortretend, «laß mich ihn fassen.» – «Laß», sprach der König. «Recht soll ihm werden, strenges Recht, doch nicht Gewalt. Laß ab von ihm. Auch hat ihn die Klage überrascht. Er soll Zeit haben, sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde treffen wir uns wieder hier. Ich löse die Versammlung.»

Der König winkte mit dem Zepter: in höchster Aufregung eilte Amalaswintha aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja. Die Römer drückten sich rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor schritt fest auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm prüfend ins Auge und fragte dann: «Cethegus, kann ich dir helfen?» – «Nein, ich helfe mir selbst», sprach dieser, entzog sich ihm und schritt allein und stolzen Ganges hinaus.

Zwanzigstes Kapitel

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In Neapolis, derjenigen Stadt Italiens, über welcher die zu Byzanz aufsteigenden Wetterwolken sich zuerst entladen sollten, ahnte man nichts von einer drohenden Gefahr. Da wandelten damals Tag für Tag an den reizenden Hängen, welche nach dem Posilipp führen, oder an den Uferhöhen im Südosten der Stadt, in vertrautem Gespräch, alle Wonnen jugendlich begeisterter Freundschaft genießend, zwei herrliche Jünglinge, der eine in braunen, der andre in goldnen Locken: die Dioskuren, Julius und Totila.

O schöne Zeit, da es die reine Seele, umweht von der frischen Morgenluft des Lebens, noch unenttäuscht und unermüdet, trunken von der Fülle stolzer Träume, drängt, hinüberzufluten in ein gleich junges, gleich reiches, gleich überschwengliches Gemüt. Da stärkt sich der Vorsatz zu allem Edelsten, der Aufschwung zu dem Höchsten, der Flug bis in die lichte Nähe des Göttlichen wird in der Mitteilung gewagt, in der seligen Gewißheit, verstanden zu sein.

Wenn der Blütenkranz in unsren Locken gewelkt ist und die Ernte unsres Lebens beginnt, mögen wir lächeln über jene Träume der Jünglingszeit und Jünglingsfreundschaft; aber es ist kein Lächeln des Spottes; es ist ein Ausdruck von jener Wehmut, mit der wir in nüchterner Herbstluft der süßen, berauschenden Lüfte des ersten Frühlings gedenken. –

Der junge Gote und der junge Römer hatten sich gefunden in der glücklichsten Zeit für einen solchen Bund, und sie ergänzten sich wunderbar. Totilas sonnige Seele hatte den vollen Schmelz der Jugend bewahrt: lachend sah er in die lachende Welt: er liebte die Menschen, und der Glanz seines wohlwollenden Wesens gewann ihm leicht und rasch alle Herzen. Er glaubte nur an das Gute und des Guten Sieg: traf er das Böse, das Gemeine auf seinem Pfad, so trat er es mit dem heilig lodernden Zorn eines Erzengels in den Staub: durch seine sanfte Natur brach dann, den Helden verratend, die gewaltige Kraft, die in ihr ruhte, und nicht eher ließ er ab, bis das verhaßte Element aus seinem Lebenskreis getilgt war. Aber im nächsten Augenblick war dann die Störung, wie überwunden so vergessen, und harmonisch wie seine Seele fühlte er ringsum Welt und Leben. Stolz und froh empfand er die Vollkraft seiner Jugend, und jauchzend drückte er das goldne Dasein an die Brust. Singend schritt er durch die wimmelnden Straßen von Neapolis, der Abgott der Mädchen, der Stolz seiner gotischen Waffenfreunde, wie ein Gott der Freude, beglückend und beglückt.

Der helle Zauber seines Wesens teilte sich selbst der stilleren Seele seines Freundes mit, Julius Montanus, zart und sinnig angelegt, eine fast weibliche Natur, früh verwaist und von Cethegus’ hochüberlegnem Geist eingeschüchtert, in Einsamkeit und unter Büchern aufgewachsen, von der trostlosen Wissenschaft jener Zeit mehr belastet als gehoben, sah das Leben ernst, fast wehmütig an. Ein Zug zur Entsagung und die Neigung, alles Bestehende an dem strengen Maß übermenschlicher Vollendung zu messen, lag in ihm und mochte sich leicht bis zur Schwermut verdüstern. Zur glücklichen Stunde fiel Totilas sonnige Freundschaft in seine Seele und erhellte sie bis in ihre tiefsten Falten so mächtig, daß seine edle Natur auch von einem schweren Schlage sich wieder elastisch aufrichten konnte, den eben diese Freundschaft auf sein Haupt ziehen sollte.

Hören wir ihn selbst darüber an den Präfekten berichten:

«Cethegus, dem Präfekten, Julius Montanus.

Die kaltherzige Antwort, die du auf den warmgefühlten Bericht von meinem neuen Freundschafts-Glück erteiltest, hat mir zuerst – gewiß gegen deine Absicht – sehr wehe getan, später aber das Glück eben dieser Freundschaft erhöht, freilich in einer Weise, welche du weder ahnen noch wünschen konntest.

Der Schmerz durch dich hat sich bald in Schmerz um dich verwandelt. Wollte es mich anfangs kränken, daß du meine tiefste Empfindung als die Schwärmerei eines kranken Knaben behandeltest und die Heiligtümer meiner Seele mit bittrem Spott antasten wolltest – nur wolltest, denn sie sind unantastbar –, so ergriff mich doch statt dessen bald das Gefühl des Mitleids mit dir. Wehe, daß ein Mann wie du, so überreich an Kräften des Geistes, darbet an den Gütern des Herzens. Wehe, daß du die Wonne der Hingebung nicht kennst und jene opferfreudige Liebe, die ein von dir mehr verspotteter als verstandner Glaube, den mir jeder Tag des Schmerzes näher bringt, die caritas, die Nächstenliebe, nennt: Wehe dir, daß du das Herrlichste nicht kennst! Vergib die Freiheit dieser meiner Rede: ich weiß, ich habe noch nie in solchen Worten zu dir gesprochen: aber erst seit kurzem bin ich, der ich bin. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht hat noch dein letzter Brief Spuren von Knabenhaftigkeit an mir gegeißelt. Ich glaube, sie sind seitdem verschwunden, und ein Verwandelter sprech’ ich zu dir. Dein Brief, dein Rat, deine Arznei hat mich allerdings zum Manne gereift, aber nicht in deinem Sinn und nicht nach deinem Wunsch. Schmerz, heiligen, läuternden Schmerz hat er mir gebracht, er hat diese Freundschaft, die er verdrängen sollte, auf eine harte Probe gestellt, aber, der Güte Gottes sei’s gedankt, er hat sie im Feuer nicht zerstört, sondern gehärtet für immer.

Höre und staune, was der Himmel aus deinen Plänen geschaffen hat.

Wie wehe mir dein Brief getan – in alter Gewohnheit des Gehorsams befolgte ich alsbald seinen Auftrag und suchte deinen Gastfreund auf, den Purpurhändler Valerius Procillus. Er hatte bereits die Stadt verlassen und seine reizende Villa bezogen. Ich fand an ihm einen vielerfahrnen Mann und einen eifrigen Freund der Freiheit und des Vaterlandes: in seiner Tochter Valeria aber ein Kleinod.

Du hattest recht prophezeit. Meine Absicht, mich gegen sie zu verschließen, zerschmolz bei ihrem Anblick wie Nebel vor der Sonne: mir war, Elektra oder Kassandra, Clölia oder Virginia stehe vor mir. Aber mehr noch als ihre hohe Schönheit bezauberte mich der Schwung ihrer unsterblichen Seele, die sich alsbald vor mir auftat. Ihr Vater behielt mich sogleich als seinen Gast im Hause, und ich verlebte unter seinem Dach mit ihr die schönsten Tage meines Lebens. Die Poesie der Alten ist der Äther ihrer Seele.

Wie rauschten die Chöre des Äschylos, wie rührend tönte Antigones Klage in ihrer melodischen Stimme; stundenlang lasen wir in Wechselrede, und herrlich war sie zu schauen, wann sie sich erhob im Schwung der Begeisterung, wann ihr dunkles Haar, in freie Wellen gelöst, niederfloß und aus ihrem großen runden Auge ein Feuer blitzte nicht von dieser Welt.

Und – was ihr vielleicht noch tiefen Schmerz bereiten wird – eine Spaltung, die durch all ihr Leben geht, gibt ihr den höchsten Reiz. Du ahnst wohl, was ich meine, da du seit Jahren das Schicksal ihres Hauses kennst. Du weißt wohl genauer als ich, wie es kam, daß Valeria schon bei ihrer Geburt von ihrer frommen Mutter einem ehelosen, einsamen Leben in Werken der Andacht geweiht, dann aber von ihrem reichen und mehr römisch als christlich gesinnten Vater um den Preis einer Kirche und eines Klosters, die er baute, losgekauft worden ist. Aber Valeria glaubt, daß der Himmel nicht totes Gold nehme für eine lebendige Seele: sie fühlt sich der Bande jenes Gelübdes nicht ledig, deren sie ewig, aber nur in Furcht, nicht in Liebe, gedenkt.

Denn du hattest recht, als du schriebst: sie sei durch und durch ein Kind der alten, der heidnischen Welt. Das ist sie, die echte Tochter ihres Vaters: aber doch kann sie der frommen Mutter entsagend Christentum nicht abtun: es lebt nicht in ihr als ein Segen, es lastet auf ihr als ein Fluch, als der unentrinnbare Zwang jenes Gelübdes. Diesen wundersamen Zwiespalt, diesen verhängnisvollen Widerstreit trägt die edle Jungfrau im Gemüt: er quält sie, aber er veredelt sie zugleich.

Wer weiß, wie er sich lösen wird? Der Himmel allein, der ihr Schicksal lenkt. Mich aber zieht dieser innere Kampf mit ernsten Schauern an: du weißt ja, daß in mir selbst der Christenglaube und die Philosophie in ungeklärter Mischung durcheinanderwogen. Zu meinem Staunen hat in diesen Tagen des Schmerzes der Glaube zugenommen, und fast will mich bedünken, die Freude führe zu der heidnischen Weisheit, zu Christus aber der Schmerz und das Unglück.

Aber höre, wie ich diese Liebe in mir keimen sah, war ich froher Hoffnung voll. Valerius, vielleicht schon früher von dir für mich gewonnen, sah meine wachsende Neigung offenbar nicht ungern: vielleicht hatte er nur das an mir auszusetzen, daß ich seinen Traum von der Wiederaufrichtung der römischen Republik nicht eifrig genug teilte und nicht seinen Haß gegen die Byzantiner, in denen er die Todfeinde seines Hauses wie Italiens sieht. Auch Valeria war mir bald freundschaftlich geneigt, und wer weiß, ob nicht damals die Verehrung gegen den Willen ihres Vaters und diese Freundschaft genügt hätten, sie in meine Arme zu führen. Aber ich danke – soll ich sagen Gott oder dem Schicksal? –, daß es nicht so kam: Valeria einer halb gleichgültigen Ehe opfern wäre ein Frevel gewesen. Ich weiß nicht, welches seltsame Gefühl mich abhielt, das Wort zu sprechen, das sie in jenen Tagen gewiß zu der Meinen gemacht hätte. Ich liebte sie doch so tief – aber so oft ich mir ein Herz fassen und bei ihrem Vater um sie werben wollte, immer beschlich mich ein Gefühl, als tu’ ich Unrecht an dem Gut eines andern, als sei ich ihrer nicht würdig oder doch nicht die ihr vom Schicksal zugedachte Hälfte ihrer Seele, und ich schwieg und bezähmte das pochende Herz.

Einstmals um die sechste Stunde – schwül die Sonne rings auf Land und Meer – suchte ich Schatten in der kühlen Marmorgrotte des Gartens. Ich trat ein durch das Oleandergebüsch: da lag sie schlafend auf der weichen Rasenbank, die eine Hand auf dem leise wogenden Busen, der linke Arm unter dem edeln Haupt, das noch vom Frühmahl her der schöne Asphodeloskranz schmückte. Ich stand bebend vor ihr: so schön war sie noch nie gewesen, ich beugte mich über sie und staunte die edeln, wie in Marmor gebildeten Züge an: heiß schlug mein Herz, ich beugte mich über sie, diese roten feingeschnittenen Lippen zu küssen.

Da fiel mir’s plötzlich zentnerschwer aufs Herz: es ist ein Raub, was du begehen willst. Totila! rief unwillkürlich meine ganze Seele, und still, wie ich gekommen, schlich ich fort.

Totila! Was war er mir nicht früher eingefallen?

Ich machte mir Vorwürfe, den Bruder meines Herzens über dem neuen Glück fast vergessen zu haben.

Deine Prophezeiung, Cethegus, dachte ich, soll sich nicht erfüllen: diese Liebe soll mich dem Freunde nicht entfremden. Er soll Valeria sehen, gleich mir bewundern, meine Wahl lobpreisen, und dann, dann will ich werben, und Totila soll glücklich sein mit uns.

Andern Tages ging ich nach Neapolis zurück, ihn zu holen. Ich pries ihm den Schimmer des Mädchens, aber ich vermochte es nicht über mich, ihm von meiner Liebe zu sprechen. Er sollte sie sehen und alles erraten. Wir fanden sie bei unserer Ankunft nicht in den Zimmern der Villa. So führte ich Totila in den Garten – Valeria ist die eifrigste Pflegerin der Blumen –, wir bogen, Totila voran, aus einem dichten Taxusgang: da schimmerte uns ihre Erscheinung plötzlich entgegen. Sie stand vor einer Statue ihres Vaters und kränzte sie mit frischgepflückten Rosen, die sie, hoch aufgehäuft in der Busenfalte der Tunika, mit der Linken auf der Brust zusammenhielt.

Es war ein überraschend schönes Bild: die herrliche Jungfrau, in dem Grün des Taxus gleichsam eingerahmt, vor dem weißen Marmor, die Rechte anmutvoll erhebend, und mächtig wirkte die Erscheinung auf Totila: mit einem lauten Ruf des Staunens blieb er sprachlos, ihr gerade gegenüber, stehen.

Sie sah auf und zuckte erschrocken, wie blitzgetroffen, zusammen: die Rosen fielen in dichten Flocken aus ihrem Gewand: sie sah es nicht: ihre Augen hatten sich getroffen, ihre Wangen erglühten – ich sah mit Blitzesschnelle ihr Geschick und mein Geschick entschieden.

Sie liebten sich beim ersten Anblick.

Schmerzlich, wie ein brennender Pfeil, durchdrang die Gewißheit meine Seele. Aber doch nur einen Augenblick herrschte der Schmerz ungemischt in meiner Brust. Sofort, wie ich die beiden betrachtete, die herrlichen Gestalten, empfand ich neidlose Freude, daß sie sich gefunden: denn es war, wie wenn die Macht, die der Sterblichen Leiber bildet und Seelen, die aus einem Stoff füreinander geschaffen: wie Morgensonne und Morgenröte schimmerten sie ineinander, und jetzt erkannte ich auch das dunkle Gefühl, das mich wie ein Vorwurf von Valeria ferngehalten, das mir seinen Namen auf die Lippen geführt hatte: sein sollte Valeria werden nach Gottes Ratschluß oder dem Gang der Sterne, und ich sollte nicht zwischen sie treten.

Erlaß mir, das Weitere zu berichten. Denn so selbstisch ist mein Sinn geartet, so wenig Macht hat noch die heilige Lehre des Entsagens über mich gewonnen, daß – ich schäme mich, das zu gestehen – daß mein Herz auch jetzt noch manchmal schmerzlich zuckt, statt freudig zu schlagen für das Glück der Freunde.

Rasch und unscheinbar, wie zwei Flammen ineinander lodern, schlugen ihre Seelen zusammen. Sie lieben sich und sind glücklich wie die seligen Götter: mir ist die Freude geblieben, ihr Glück zu schauen und ihnen beizustehen, es noch vor dem Vater zu verbergen, der sein Kind wohl schwerlich dem ‹Barbaren› schenken wird, solang er in Totila nur den ‹Barbaren› sieht.

Meine Liebe aber und ihren Opfertod halt’ ich vor dem Freunde tief verborgen: er ahnt nicht und soll nie erfahren, was sein glänzend Glück nur trüben könnte. Du siehst nun, o Cethegus, wie weit ab von deinem Ziel ein Gott deinen Plan gewendet. Mir hast du jenes Kleinod Italiens bringen wollen und hast es Totila zugeführt. Meine Freundschaft hast du zerstören wollen und hast sie in den Gluten heiliger Entsagung von allem Irdischen befreit und unsterblich gemacht. Du hast mich zum Manne machen wollen durch der Liebe Glück – ich bin’s geworden durch der Liebe Schmerz.»

Sechstes Kapitel

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So lag sie, sie wußte nicht wie lange, bald wachend, bald träumend: wild jagten Bild auf Bild an ihrem Auge vorüber.

Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: – Athalarich, wie er auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien sie zu sich zu winken: – das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens – dann Nebel und Wolken und blattlose Bäume, drei zürnende Kriegergestalten mit bleichen Gesichtern und blutigen Gewändern, und der blinde Fährmann: in das Reich der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der öden Heide auf den Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich abermals hinter dem Stein hervor jene verhüllte Gestalt über sie näher und näher – beengend – erstickend. Die Angst schnürte ihr das Herz zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet um sich: da – nein, es war kein Traumgesicht – da rauschte es, hinter dem Vorhang des Bettes, und in die getäfelte Wand glitt ein verhüllter Schatten.

Mit einem Schrei riß Amalaswintha die Falten des Vorhanges auseinander – da war nichts mehr zu sehen.

Hatte sie doch nur geträumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit ihren bangen Gedanken. So drückte sie auf den Achatknauf an der Wand, der draußen einen Hammer in Bewegung setzte.

Alsbald erschien ein Sklave, dessen Züge und Tracht höhere Bildung verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen. Sie teilte ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er erklärte es für Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkältung auf der Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen.

Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Bäder, die, in zwei Stockwerken übereinander, den ganzen rechten Flügel der Villa einnahmen. Das untere Stockwerk der großen achteckigen Rotunde, für die kalten Bäder bestimmt, stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch Siebtüren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere Stockwerk erhob sich, als Verjüngung des Achtecks, über der Badestube des unteren, deren Decke – eine große, kreisförmige Metallplatte – den Boden des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen rechts und links in das Gemäuer geschoben werden konnte, so daß die beiden Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm-und Taucherspielen ganz von dem Wasser des Sees erfüllt werden konnte.

Regelmäßig aber bildete das obere Achteck für sich den Raum des warmen Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkünste in hundert Röhren mit zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhäuptern von Bronze und Marmor duftige, mit Ölen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, während zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das muschelförmige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabführten.

Während sich die Fürstin noch diese Räume ins Gedächtnis zurückrief, erschien das Weib des Türsklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen durch weite Säulenhallen und Büchersäle, in welchen aber die Fürstin die Kapseln und Rollen Cassiodors vermißte, in der Richtung nach dem Garten; die Sklavin trug die feinen Badetücher, Ölfläschchen und den Salbenkrug. Endlich gelangte sie in das turmähnliche Achteck des Badepalastes, dessen sämtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen Marmorplatten belegt waren. Vorüber an den Hallen und Gängen, die der Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorüber an den Heizstübchen, den Auskleide-und Salbgemächern eilten sie sofort nach dem Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin öffnete schweigend die in die Marmorwand eingesenkte Tür.

Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das Bassin lief. Gerade vor ihr führten die bequemen Stufen in das Bad, aus dem bereits warme und köstliche Düfte aufstiegen. Das Licht fiel von oben herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschaffenem Glas. Gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Zedernholz, die auf zwölf Staffeln zu einer Sprungbrücke führte, rings an den Marmorwänden der Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Mündungen der Röhren, die den Wasserkünsten und der Luftheizung dienten.

Ohne ein Wort legte das Weib das Badegerät auf die weichen Kissen und Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten, und wandte sich zur Türe. «Woher bist du mir bekannt?» fragte die Fürstin, sie nachdenklich betrachtend, «wie lange bist du hier?»

«Seit acht Tagen.» Und sie ergriff die Türe.

«Wie lange dienst du Cassiodor?»

«Ich diene von jeher der Fürstin Gothelindis.»

Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte sich und griff nach dem Gewand des Weibes – zu spät: sie war hinaus, die Türe war zugefallen, und Amalaswintha hörte, wie der Schlüssel von außen umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem anderen Ausgang.

Da überkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Königin: sie fühlte, daß sie furchtbar getäuscht, daß hier ein verderbliches Geheimnis verborgen sei. Angst, unsägliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem Raum war ihr einziger Gedanke.

Aber keine Flucht schien möglich: die Türe war von innen jetzt nur eine dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken, nicht mit einer Nadel war in ihre Fugen zu dringen. Verzweifelnd ließ sie die Blicke rings an der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr entgegen. Endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt ihr gerade gegenüber – und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben, und die ovale Öffnung unter dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefüllt.

War es ein menschlich Antlitz?

Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbrüstung der Galerie und spähte vorgebeugt hinüber: ja, es waren Gothelindens verzerrte Züge, und eine Hölle von Haß und Hohn sprühte aus ihrem Blick.

Amalaswintha brach in die Knie und verhüllte ihr Gesicht. «Du – du hier!»

Ein heiseres Lachen war die Antwort. «Ja, Amalungenweib, ich bin hier und dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! – Es wird dein Grab! Mein Dolios und alle Sklaven Cassiodors, an mich verkauft seit acht Tagen.

Ich habe dich hierher gelockt; ich bin dir hierher nachgeschlichen wie dein Schatten: lange Tage, lange Nächte hab’ ich den brennenden Haß getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbärmliche, winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schüttelt und durch diese hochmütigen Züge zuckt: o ein Meer von Rache will ich trinken.»

Händeringend erhob sich Amalaswintha: «Rache! Wofür? Woher dieser tödliche Haß?»

«Ha, du fragst noch? Freilich sind Jahrzehnte darüber hingegangen, und das Herz des Glücklichen vergißt so leicht. Aber der Haß hat ein treues Gedächtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Mädchen spielten unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die Ersten unter ihren Gespielinnen. Beide jung, schön und lieblich: Königskind die eine, die andere die Tochter der Balten. Und die Mädchen sollten eine Königin des Spiels wählen, und sie wählten Gothelindis, denn sie war noch schöner als du und nicht so herrisch; und sie wählten sie einmal, zweimal nacheinander. Die Königstochter aber stand dabei, von wildem, unbändigem Stolz und Neid verzehrt. Und als man mich zum dritten wieder gewählt, faßte sie die scharfe, spitzige Gartenschere» –

«Halt ein, o schweig, Gothelindis.»

– «Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend stürzte ich zu Boden, meine ganze Wange eine klaffende Wunde, und mein Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute.»

«Verzeih, vergib, Gothelindis!» jammerte die Gefangene. «Du hattest mir ja längst verziehn.»

«Verzeihen? Ich dir verzeihen? Daß du mir das Auge aus dem Antlitz und die Schönheit aus dem Leben geraubt, das soll ich dir verzeihen? Du hattest gesiegt fürs Leben: Gothelindis war nicht mehr gefährlich, sie trauerte im stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen.

Und Jahre vergingen.

Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunklen Auge und der weichen Seele; und er, selber krank, erbarmte sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und Güte, mit der Häßlichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine dürstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten Hasses der beiden Geschlechter, zur Sühne alter und neuer Schuld – denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet –, daß die arme, mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte.

Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstümmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus Stolz, weil du den ersten Mann im Gotenreich, den nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest.

Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen; und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids mit der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur Entschädigung – oder war es zum Hohne? – gab man auch mir einen Amaler: – Theodahad, den elenden Feigling!»

«Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich liebtest. Wie konnte ich –»

«Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch erhebe? Oh, du Verfluchte! Und hättest du ihn noch geliebt und beglückt – alles hätt’ ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Zepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz hinein von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht – Rache, Rache für ihn.»

Und die weite Wölbung widerhallte von dem Ruf: «Rache! Rache!»

«Zu Hilfe!» rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang.

«Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du, umsonst hab’ ich so lang meinen Haß gezügelt? Wie oft, wie leicht hätte ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein, hierher hab’ ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor einer Stunde an deinem Bette, hab’ ich mit höchster Mühe meinen erhobenen Arm vom Streiche abgehalten: – denn langsam, Zoll für Zoll, sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.»

«Entsetzliche!»

«Oh, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.»

«Was willst du tun?» rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden nach einem Ausgang suchend.

«Ertränken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkünsten dieses Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weißt es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmächtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich, und ich war in deinem Gefolge und mußte dir dienen. In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen gelöst und die stolzen Glieder getrocknet: – in diesem Bade sollst du sterben!»

Und sie drückte auf eine Feder.

Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurückwichen: mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe Tiefe zu ihren Füßen.

«Denk’ an mein Auge!» rief Gothelindis, und im Erdgeschoß öffneten sich plötzlich die Schleusentüren und die Wogen des Sees schossen ungestüm herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit furchtbarer Raschheit.

Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder, sie faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi. Das erquickte ihre Seele, sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen und betete ruhig mit geschlossenen Augen, während die Wasser stiegen und stiegen, schon rauschten sie an den Stufen der Galerie.

«Beten willst du, Mörderin? Hinweg von dem Kreuz!» rief Gothelindis grimmig, «denk’ an die drei Herzoge!» Und plötzlich begannen alle die Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Ströme heißen Wassers auszuspeien: weißer Dampf quoll aus den Röhren.

Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie: «Gothelindis, ich vergebe dir! Töte mich, aber verzeih auch du meiner Seele.». Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es über die oberste Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. «Ich dir vergeben? Niemals! Denk’ an Eutharich!»

Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf Amalaswintha. Sie flüchtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt gegenüber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserröhren reichte.

Wenn sie die hier angebrachte Sprungdecke erstieg, konnte sie noch einige Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an der verlängerten Qual weiden zu wollen. Schon brauste das Wasser auf dem Marmorboden der Galerie und bespülte die Füße der Gefangenen; rasch flog sie die braunglänzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Brüstung der Brücke: «Höre mich, Gothelindis! Meine letzte Bitte! Nicht für mich – für mein Volk, für unser Volk: – Petros will es verderben und Theodahad…» –

«Ja, ich wußte, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele! Verzweifle! Es ist verloren! Diese törichten Goten, die jahrhundertelang den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem Haus der Amaler: Belisarius naht, und niemand ist, der sie warnt.»

«Du irrst, Teufelin, sie sind gewarnt. Ich, ihre Königin, habe sie gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner Seele!»

Und mit raschem Sprung stürzte sie sich hoch von der Brüstung in die Fluten, die sich brausend über ihr schlossen.

Gothelindis blickte starr auf die Stelle, wo ihr Opfer gestanden. «Sie ist verschwunden», sagte sie. Dann schaute sie in die Flut: obenauf schwamm das Brusttuch Amalaswinthens. «Noch im Tode überwindet mich dieses Weib», sagte sie langsam: «wie lang war der Haß und wie kurz die Rache!»

Drittes Kapitel

Inhaltsverzeichnis


In diesen ersten Tagen der Belagerung empfand auch Miriam die höchsten Freuden und die höchsten Schmerzen ihrer Liebe.

Häufiger als je konnte sie sich in des Geliebten Anblick sonnen: denn die Porta Capuana war ein wichtiger Punkt der Befestigung, den der Seegraf oft besuchen mußte. In der Turmstube des alten Isak hielt er täglich mit Graf Uliaris den traurigen Kriegsrat. Dann pflegte Miriam, wann sie die Männer begrüßt und das schlichte Mahl von Früchten und Wein auf den Tisch gestellt, hinunterzuschlüpfen in das enge Gärtlein, das dicht hinter der Turmmauer lag. Der Raum war ursprünglich ein kleiner Hof im Tempel der Minerva, der Mauerbeschützerin, gewesen, der man gern an den Haupttoren der Städte einen Altar errichtete.

Seit Jahrhunderten war der Altar verschwunden: aber noch ragte hier der alte, mächtige Olivenstamm, der einst die der Göttin geweihte Statue beschattet hatte: und ringsum dufteten die Blumen, die Miriams liebevolle Hand hier gepflegt und oft für die Braut des Geliebten gebrochen hatte. Gerade gegenüber dem riesigen Ölbaum, dessen knorrige Wurzeln über die Erde hervorstarrten und eine dunkle Öffnung in den Erdgeschossen des alten Tempels zeigten, war von dem Christentum ein großes, schwarzes Holzkreuz angebracht über einem kleinen Betschemel, der aus einer Marmorstufe des Minervatempels gebildet war – man liebte, die Stätten des alten Gottesdienstes dem neuen zu unterwerfen und die alten Götter, die jetzt zu Dämonen geworden, durch die Sinnbilder des siegreichen Glaubens zu verscheuchen.

Unter diesem Kreuz saß das schöne Judenmädchen oft stundenlang mit der alten Arria, der halbblinden Witwe des Unterpförtners, die, nach dem frühen Tod von Isaks Weib, wie eine Mutter das Heranblühen der kleinen Miriam mit ihren Blumen in dem öden Gestein der alten Mauern überwacht hatte. Da hatte diese viele Jahre lang still lauschend zugehört, wie die fromme Alte in fleißigem Gebet zu dem Gott der Christen flehte: und unwillkürlich war so mancher Strahl der mildern, hellern Liebeslehre des Nazareners in das Herz der Heranwachsenden gedrungen.

Jetzt, da Alter und Erblindung die Witwe hilfsbedürftig gemacht, vergalt Miriam mit liebevoller Treue der Pflegerin ihrer Kindheit. Mit Rührung nahm Arria diese Treue hin, ihr altes Herz umschloß mit Dank und Liebe und Mitleid das herrliche Geschöpf, dessen mächtige Liebe zu dem jungen Goten sie längst erkannt und beklagt, aber nie gegenüber der scheuen Jungfrau berührt hatte.

Am Abend des dritten Tages der Belagerung schritt Miriam nachdenklich die breiten Mauerstufen nieder, die von der Turmpforte in den Garten führten: ihr edles, seelentiefes Auge glitt, in ernstes Sinnen verloren, über die duftigen Blumen der Beete hin: auf der letzten Stufe blieb sie träumend stehen, die linke Hand auf den Mauerrand lehnend. Arria kniete auf dem Betschemel ihr den Rücken wendend, und betete laut. Sie würde die Nahende nicht bemerkt haben, wenn nicht geflügeltes Leben plötzlich den stillen Hof beseelt hätte: denn in den breiten Zweigen der Olive nisteten die schönsten, weißen Tauben, der einsamen Miriam einzige Gespielinnen. Als diese die vertraute Gestalt auf den Stufen erscheinen sahen, erhoben sie sich alle, in schwirrendem Flug ihr Haupt umschwärmend; eine ließ sich auf des Mädchens linke Schulter nieder, die andre auf das feine Gelenk der Rechten, die Miriam, aus ihrem Traume geweckt, lächelnd ausstreckte.

«Du bist’s, Miriam! Deine Tauben verkünden dich!» sprach Arria sich wendend. Und das schöne Mädchen stieg die letzte Stufe nieder, langsam, die Vögel nicht zu verscheuchen; die Abendsonne fiel durch die Blätter der Olive auf ihre pfirsich-roten Wangen: es war ein lieblich Bild.

«Ich bin’s, Mutter!» sagte Miriam, sich zu ihr setzend. «Und ich hab’ eine Bitte. Wie lautet», fragte sie leiser, «dein Spruch vom Leben nach dem Tode, dein Glaubensspruch? – ‹ich glaube an die Gemeinschaft›.»

«An die Gemeinschaft der Heiligen, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. – Wie kommst du auf diese Gedanken?

«Ei nun», sagte Miriam, «mitten im Leben stehen wir im Tode, sagt der Sänger von Zion. Und jetzt wir besonders! Fliegen nicht täglich Pfeile und Steine in die Straßen. Aber ich will noch Blumen pflücken!» sprach sie wieder aufstehend.

Arria schwieg einen Augenblick. «Jedoch der Seegraf war heute schon da, mir ist, ich hätte seine helle Stimme gehört.»

Miriam errötete leicht. «Sie sind nicht für ihn» sprach sie dann ruhig «für sie.» – «Für sie?» – «Ja, für seine Braut. Ich habe sie heute zum erstenmal gesehen. Sie ist sehr schön. Ich will ihr Rosen schenken.» – «Du hast sie gesprochen? Wie ist sie geartet?»

«Nur gesehen, sie bemerkte mich nicht. Ich schlich schon lange um den Palast der Valerier, seit sie hier ist. Heute ward sie in die Sänfte gehoben, sie ward in die Basilika getragen. Ich lehnte hinter der Säule ihres Hauses.»

«Nun, ist sie seiner würdig?»