cover
B. H. Bartsch

Ein Vogel für den Puma





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Ein Vogel für den Puma

 

 

Gay Fantasy

 

 

Ein Vogel

für den Puma



von

B. H. Bartsch











Copyright © 2017 B. H. Bartsch

All rights reserved.





Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.



Dieses Buch enthält explizite homosexuelle Handlungen und ist daher nur für volljährige Leser geeignet.



Sämtliche Personen und Handlungen sind fiktiv und frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Begebenheiten sind nicht beabsichtigt und daher nur zufällig.



Fiktive Personen können auf Kondome verzichten. Im wahren Leben gilt: Safer Sex



Cover: unter Verwendung von Bildmaterialien von www.Pixabay.de

Puma von Skeeze, Adler von the3cats, Berge von Gero73

bearbeitet von Bonny Bendix

Lektorat Bernd Schroeder und Karolina Peli

Korrektorat Bernd Frielingsdorf





Auflage/Juni 2017


ISBN-13 - 978-154717 1903

 

 

ISBN-10 - 1547 171901

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einen ganz großen Dank an meine Betaleser

 

Sandra Schmidt,

Tirsi Hess,

Bernd Schroeder,

Leona Read

Annika Paul und

Nicole Friedrich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

 

Dies ist der zweite Teil rund um das Jasper-Rudel.

 

Plötzlich steht Lous Welt still. Von einem auf den anderen Moment werden seine Eltern durch einen grausamen Mord aus dem Leben gerissen. Um ihn zu schützen, wird der musikbegabte Student von Mitgliedern eines Wolfsrudels versteckt. Lou fühlt sich entwurzelt. Doch das Schicksal beweist Humor, als es den Steinadler auf seinen wahren Gefährten William, einen Puma genannt Billie, treffen lässt. Doch wird er sich wirklich als sein wahrer Gefährte erweisen?

Wer ist diese Bestie, die es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht hat, alle Gestaltwandler zu töten?

 

Diese Geschichte ist ein homoerotischer Liebesroman für Erwachsene mit explizitem Inhalt und hat circa 50.0000 Wörter. Das Printbuch enthält ca. 230 Seiten.

 

Teil 1 - Mein – Für immer

Teil 2 – Ein Vogel für den Puma

Teil 3 – Deine Worte in meinem Herzen (erscheint im Herbst 2017)














 

 

 

 

Kapitel 1 - William

 

Handschuhe, verdammt, wo sind meine Handschuhe? Scheiße, ist das kalt. Muss der Bus ausgerechnet heute Verspätung haben? Eine Rüge von Professor Higgins ist mir sicher, wenn ich wieder zu spät zu einer meiner letzten Veranstaltungen vor meinem Abschluss in der Uni erscheine. Mist. Das wäre schon das zweite Mal diese Woche. Es schneit, als ob es kein Morgen gäbe. Ich reibe meine Hände aneinander, aber es bringt nichts, also stecke ich sie tief in die Taschen meiner Jacke und taste nach dem Inhalt. Ein Bonbon, Münzen, ein Folienpäckchen? Ich ziehe es aus meiner Jackentasche. Ah, ein Kondom. Die ältere Dame neben mir betrachtet meinen Fund ebenfalls und schmunzelt. Von einem Fuß zum anderen wippend versuche ich die Kälte zu ertragen. Verdammt noch mal, der Wind pfeift hier um die Ecken, es ist bitter kalt und es ist gerade mal Mitte Dezember. Die richtig kalten Wintermonate kommen erst noch. Autos schieben sich in Schrittgeschwindigkeit über die vereisten Straßen. Meterhoch türmt sich bereits Schnee am Straßenrand, dass man kaum noch trockenen Fußes auf die andere Seite kommt. Meine Jahreszeit ist der Winter definitiv nicht. Ich ziehe meine Mütze tiefer über meine Ohren und hoffe, dass der Bus bald kommt. Am liebsten möchte ich den Platz mit dem kleinen Mädchen tauschen, das neben mir in seinem Kinderwagen winterfest eingemummelt sitzt. Ich will den Frühling, und das ganze ZZ, also ziemlich zügig, wenn es nach mir ginge.

 

Als der Bus in Sichtweite kommt, ist mir sofort klar, dass dort kein Einsteigen möglich ist. Wegen Überfüllung geschlossen. Der Fahrer schüttelt den Kopf und lässt niemanden mehr zusteigen. Frustriert mache ich mich mit hochgezogenen Schultern und tief in den Taschen vergrabenen Händen zu Fuß auf den Weg zur Uni.

 

»Mr. Sullivan, schön, dass Sie uns heute auch noch mit Ihrer Anwesenheit beehren.« Professor Higgins begrüßt mich so, wie er einen mutmaßlichen Vorlesungsstörer immer in Szene setzt. Sarkastisch und mit scharfem Unterton. Im Grunde kann ich den Kerl ja gut leiden. Er gestaltet seine Vorlesungen immer interessant und es ist nie langweilig. Aber notorische Zuspätkommer werden von ihm ohne mit der Wimper zu zucken mit einem Spruch zur Strecke gebracht. Mist, verdammter. Ich gebe mich zerknirscht und suche mir schnellst möglich und leise einen Platz.

Ich studiere Biologie im Masterstudiengang im zweiten Jahr. Bin also so gut wie fertig. Wenn ich meinen Master of Science gemacht habe, möchte ich im gerichtsmedizinischen Institut arbeiten. Gestorben wird jeden Tag und Todesursachen sind oft nicht sofort erkennbar. Das ist mein Ziel: Zusammen mit dem Gerichtsmediziner gemeinsam dem Geheimnis der Todesursachen auf den Grund gehen. Die Wissenschaft hört mit dem Tod eines Menschen nicht auf. Im Gegenteil. Dann wird es oft erst richtig spannend. Meine Bewerbung liegt dort schon seit Wochen, aber da ich meinen Abschluss noch nicht in der Tasche habe, stehe ich so ziemlich zwischen den Stühlen. Das ist keine angenehme Situation, aber mit meinen Noten habe ich gute Chancen, einer der Besten in diesem Jahrgang zu werden, außerdem habe ich dort bereits in meinem Grundstudium ein Praktikum absolviert. Im Moment habe ich alle Hände voll mit meiner Masterarbeit zu tun. Das Niederschreiben ist eine Sache, die mir nicht so liegt, es gehört eben dazu, aber es ist Licht am Ende des Tunnels.

Ich beschließe, nach dem Essen meinen Mentor Dr. Phillips im Department für Pathologie zu besuchen. Er ist nicht nur ein Vorgesetzter, er ist auch ein Freund, aber vor allem ist er ein Wandler. Ein Wolf. In dem hiesigen Rudel ist er der Arzt, der immer dann gerufen wird, wenn es einen von uns erwischt hat. Dr. Phillips befürwortet meine Anstellung im Department, da der amtierende forensische Biologe in den wohlverdienten Ruhestand gehen möchte. Einen Wandler auf die Position zu bringen, wäre für unsere Gemeinschaft vorteilhaft. Es ist nach wie vor so, dass wir uns sehr bedeckt halten müssen. Die Menschen sind für eine Spezies neben ihrer noch nicht bereit. Ob es nun rassistische, sexistische oder homophobe Intoleranz ist, sie ist leider allgegenwärtig. Traurig, aber wahr. Ich bediene da gleich zwei Parts, ich bin schwul und ein Puma. Jawohl. Aber jetzt muss ich erst mal diese Veranstaltung überstehen und anschließend werde ich Nathan in der Pathologie besuchen gehen.

 

Das Essen in der Mensa sieht heute aus, als sei es schon mal gekaut, geschluckt und wieder hochgewürgt worden. Auf dem Schild stand Spaghetti Bolognese, dort stand aber nicht, dass es schon einmal gegessen wurde. Ich begnüge mich lieber mit einem Apfel, einem Stück Kuchen und einer Flasche Wasser. Zum Überleben wird es reichen. Mein Handy vibriert in meiner Hosentasche und ich weiß jetzt schon, dass es mein Bruder ist, der mir per WhatsApp mal wieder erzählt, dass er in Vancouver die besseren Temperaturen hat.

»Hey, Kleiner. Alles gut bei dir?«

Ich lese seine Nachricht und antworte im gleichen Atemzug.

»Hey, Robbie. Alles gut, ich wollte dir nur sagen, dass ich über Weihnachten in Jasper bin. Ich hoffe, dass du es auch schaffst!«

»Dem sollte nichts im Wege stehen. Ein paar Tage im Schoß der Familie tun uns beiden ganz gut, oder?« Er hat recht.

»Ja, allerdings«, bestätige ich seine Frage.

»Zu Silvester werde ich aber wieder zurückfliegen. Ich habe da einen wirklich heißen Eishockeyspieler, dem ich noch ein bisschen unter die Haut kriechen will. Und du so?«

Ich grinse mir einen und denke mir meinen Teil. In dieser Beziehung sind wir verschiedener, als Zwillinge normalerweise sind. Robert ist ein Charmeur der Sonderklasse und Schürzenjäger vom Feinsten.

»Ist alles roger! Ich bin da im Moment weniger belastet als du. Du weißt doch. Die wahre Liebe und so. :o)«

Wann ich das letzte Mal so richtig flachgelegt worden bin, weiß ich schon nicht mehr. Ist jedenfalls Wochen her.

»Gott, du stirbst noch mal an einem Samenstau oder an geplatzten Eiern. Okay, Brüderchen, ich muss los. Pass auf ich auf. Bis dann.« Tja, so ist er.

Der Gedanke an Zuhause lässt mich innerlich warm werden, denn man ist dort heimisch, wo die Familie ist oder der Partner, der einem das Gefühl gibt, angekommen zu sein. Das habe ich alles, wenn ich an Jim und Ben, Breandan und Sakari, an Akiak, Nanuk, Ian und Nivan denke. Mein letzter Besuch ist schon wieder viel zu lange her.

Jim, dem Alpha des Jasper-Rudels, ist es zu verdanken, dass Robbie und ich ein Studium nach unserer Wahl absolvieren konnten. Jasper ist zu unserem Zuhause geworden, nachdem wir aus unserem Rudel in Alaska verbannt wurden, weil wir Pumas sind. Toleranz wurde in unserem ehemaligen Rudel immer groß geschrieben, aber nach dem Tod unseres Alphas hat sich alles zum Schlechten gewandelt und wir mussten fliehen. Wir waren damals acht Wandler verschiedener Rassen. Ben und Jim haben uns sofort ein Zuhause gegeben, nachdem wir über ein Jahr auf der Flucht vor dem neuen Alpha unseres ehemaligen Rudels in Dillingham waren. Alles brach plötzlich auseinander und wir mussten lernen, dass das Leben kein Ponyhof ist. Von heute auf morgen verloren wir unseren Adoptivvater Breandan durch einen feigen Hinterhalt, unsere Heimat in Alaska und unseren Glauben, dass wenigstens unter Wandlern eine gewisse Toleranz besteht; aber diesen Glauben hat uns Yuma, der neue Alpha, recht schnell genommen. Die Bären Akiak und Nanuk, Nivan, der Polarfuchs, Robbie und ich sowie Breandans schwangere Witwe Kaya machten uns in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Staub, da Yuma Anspruch auf Kaya erheben wollte, sobald sie die Welpen zur Welt gebracht hatte. Das hätte aber den Tod der Babys bedeutet, also blieb uns nur die Flucht. Nach langen und anstrengenden Monaten haben wir endlich ein neues Zuhause gefunden. Das gesamte Jasper-Rudel hat uns nach Kayas Tod aufgefangen und uns Zeit zum Trauern und Verarbeiten gegeben. Ich vermisse sie. Jeden Einzelnen, jeden Tag.

Im meinem ersten Jahr hier in Calgary hatte ich oft Heimweh. Ich kam mit der Trennung von meinem Bruder nicht gut zurecht, aber auch ihm fiel die erste Zeit allein in Vancouver sehr schwer. Wir waren es immer gewohnt, beieinander zu sein, die Familie im Rücken zu haben. Aber das Studium war sehr anspruchsvoll und da ich nicht gänzlich auf das Geld vom Rudel angewiesen sein wollte, jobbte ich nachts in der Gerichtsmedizin, wenn keiner so wirklich dort sein will. Erst als Nachtwächter und später als Praktikant im Labor. Dort traf ich dann auf meinen Mentor, Dr. Nathan Phillips.

 

 

»William, mein Junge, schön dich zu sehen.« Die tiefe, dröhnende Stimme von Nathan hallt in den gekachelten Räumen wider. Er richtet sich auf und dreht ein kleines Reagenzröhren zu, um die Probe, die er dem Leichnam, der vor ihm auf dem Tisch liegt, entnommen hat, zu verschließen.

»Es ist gut, dass du kommst, denn ich hätte dich heute, spätestens morgen angerufen. Es gibt Neuigkeiten. Ab wann kannst du deinen kleinen Arsch hierherbewegen und dich endlich wieder nützlich machen? Wir haben mehr Arbeit, als uns guttut.«

»Wenn alles klappt, werde ich spätestens Sonntag mit meiner Masterarbeit fertig und werde sie am Montag einreichen. Bis sie dann bewertet ist, kann es noch mal vier Wochen dauern. Warum?«

»Na ja, du weißt doch, dass Dr. Backer in den Ruhestand gehen will. Ich würde die Stelle gern nahtlos besetzen wollen, und zwar mit dir. Kannst du abschätzen, wie das Ergebnis ausfallen wird? Ich meine, du weißt, wie wichtig mir deine Anstellung gerade auf diesem Posten ist?«

»Nathan, ich garantiere dir, dass ich bestimmt keinen Bullshit in meine Masterarbeit geschrieben habe. Sorgen mache ich mir deswegen keine.«

»Okay, dann sieh zu, dass du spätestens zum ersten Januar anfangen kannst. Damit hast du noch zwei Wochen, um alles in Sack und Tüten zu bringen. Deine Einarbeitungsphase hier dauert so lange, bis dein Master bestätigt ist. Ich freue mich, und jetzt lass uns einen Kaffee trinken gehen, damit ich dich auf den neuesten Stand bringen kann.«

 

Kapitel 2 - Lou


»Lou-Phillipe Bouchard, muss ich dir tatsächlich erst eine Extraeinladung schicken, damit du zum Essen herunterkommst?« Wie eine Matrone steht meine Mutter in meiner Zimmertür und funkelt mich wütend an. Ich lege meine Geige in den Geigenkasten und versuche, wenigstens ein bisschen reuig aus der Wäsche zu schauen. Scheinbar habe ich ihr Rufen nicht mitbekommen. Habe ich wirklich nicht. Dafür war mein Spiel zu laut, zu intensiv. Nun übe ich schon seit über zwei Stunden, damit ich die Zankerei zwischen meinen Eltern nicht mitbekomme.

»Ich komme sofort, Mom.« Sie schaut mich kopfschüttelnd an und macht auf ihren Hacken kehrt. Mist, sie ist sauer. Ist wohl besser, wenn ich lieber gleich runtergehe, bevor sie sich noch richtig aufregt. Seufzend gehe ich mir die Hände waschen.


Die Stimmung am Tisch gleicht den Temperaturen, die draußen herrschen, nämlich eisig. Meine Eltern sitzen am Esstisch und schweigen sich an. Das erste Mal seit Stunden. Seit Wochen ist die Stimmung zu Hause frostig.

Unter der Woche wohne ich auf dem Campus der Uni, doch an den Wochenenden zog es mich immer nach Hause, weil ich hier ungestörter üben kann. Seit meine Eltern sich ständig streiten, würde ich lieber auch an den Wochenenden in meinem kleinen Zimmer im College bleiben, aber Dad hat morgen Geburtstag. Das wäre nicht gut angekommen, wenn ich dieses Wochenende nicht nach Hause gekommen wäre. Mein Musik- und Musikgeschichtsstudium läuft ganz gut und die letzten Klausuren für dieses Jahr habe ich diese Woche geschrieben. Eigentlich wollten wir heute in die Berge fahren. Urlaub machen, so wie jedes Jahr zu Weihnachten, aber irgendwas scheint zurzeit im Argen zu liegen, was bedeutet, dass dieses Jahr der Urlaub ins Wasser fällt.

»Lou, ich sag’s nicht gern, aber es ist besser, wenn du die nächsten Wochenenden auf dem Campus bleibst. Es ist zu gefährlich für dich, nach Hause zu kommen. Ich werde dich morgen früh wieder zurückbringen. Es tut mir leid, mein Junge.« Meine Mutter verzieht wütend das Gesicht und knallt ihr Besteck auf den Tisch.

»Was ist hier eigentlich los? In den letzten Wochen war die Stimmung hier echt unterirdisch. Ständig streitet ihr, keiner sagt mir was. Mann, ich bin doch kein Kind mehr.« Ich schaue von einem zum anderen. Meinem Vater sieht man seine Zerrissenheit förmlich an. Mittlerweile ist mein Appetit vergangen und auch ich lege mein Besteck zur Seite.

»Wir müssen es ihm sagen. Wenn uns was passiert, muss Lou wissen, was auf ihn zukommt.« Moms Stimme zittert.

»Was ist los?« Alarmiert durch Moms Worte schaue ich zu Dad, der inzwischen eine aschgraue Gesichtsfarbe angenommen hat.

»Wir haben mehrere Verluste in den letzten Monaten zu beklagen. Ich meine damit keine Unfälle oder Krankheiten, sondern Mord. Irgendwer hat Kenntnis von unserer Existenz, unserer Rasse, und bringt einen nach dem anderen um. Die ersten beiden Opfer waren alleinstehend, aber die nächsten Opfer waren ganze Familien. Wir beklagen nun schon neun Opfer. Es ist grausam. Sie sind regelrecht abgeschlachtet worden. Wir machen uns Sorgen. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wer als Nächstes im Fokus dieses Psychopathen steht. Wir sind alle latent in Gefahr.« Dad greift nach meiner Hand, er drückt sie fest und schaut mir ernst in die Augen.

»Du weißt, wie du dich zu verhalten hast. Bitte, pass auf dich auf.« Entsetzt über die Neuigkeiten, die Dad mir eben schonungslos erzählt hat, überzieht eine Gänsehaut meinen ganzen Körper. Mich schüttelt es und es macht mir Angst. Mom greift nach meiner anderen Hand und bekommt auf diese Weise meine Aufmerksamkeit.

»Versprich mir, dass du auf dich aufpasst. Sei vorsichtig, traue niemandem, und vor allem pass auf, wo du dich verwandelst. Sei dir sicher, dass niemand in der Nähe ist.« Ihre Stimme bricht, in Moms Augen schimmern Tränen und in ihrem Gesicht steht die blanke Angst.

»Lou, wenn uns was passieren sollte, ruf diese Nummer an.« Dad schiebt mir eine Visitenkarte zu. »Das ist die Nummer von Dr. Nathan Phillips. Er ist ein Wolfswandler, er wird dir helfen unterzutauchen, ich habe in den letzten Wochen öfter mit ihm Kontakt gehabt, weil … na ja, er ist Pathologe und hat die Untersuchungen an unseren Freunden vorgenommen.«

»Von welchen Freunden reden wir hier eigentlich und … verdammt, warum habt ihr mir nichts gesagt?«

»Du hast in deinen Prüfungen festgesteckt und wir wollten dich nicht verunsichern.«

»Glaubt ihr etwa, ich hätte eure Diskussionen nicht mitbekommen? Wer, Dad?« Mein Vater holt tief Luft, schaut zur Decke und scheint zu irgendeiner Gottheit zu beten.

»Piet, Richard, Familie Riggs und Familie Mauvais.«

»Oh mein Gott. Teenager? Er hat Kinder umgebracht? Wir sind Steinadler und keine Monster? Warum?«

»Wenn wir das nur wüssten. Was wir aber wissen, ist, dass sie einem Sadisten in die Hände gefallen sind. Es ist schrecklich, was ihnen angetan wurde.« Sein Blick ist wissend, darüber, was unsere Freunde ertragen mussten. Die Geschehnisse haben ihn um Jahre altern lassen.

»Wir wissen nicht, was wir machen sollen, Lou. Ja, wir haben Angst, aber klein beigeben und sich aus dem Staub machen? Das ist nicht unsere Art, deswegen fällt dieses Jahr unser Weihnachtsurlaub aus. Das erste Opfer war Piet Ryder. Er wurde in seinem Eisschrank gefunden. Er starb in seiner Tiergestalt. Mit der Tür zur Wand gedreht, konnte er sich nicht befreien. Der Mörder hat eine Steinadlerfeder auf dem Boden vor dem Eisschrank hinterlassen. Es handelte sich um eine Feder von Piet selbst. Dann vier Wochen später haben sie Richard Brown gefunden. Als er aufgefunden wurde, war er etwa zwei Tage tot. Er war bei den Riggs zum Sonntagsessen eingeladen, als er aber nicht kam, versuchten sie ihn zu erreichen. Er ging nicht ans Telefon, also sind sie raus zu seiner Hütte gefahren. Er wurde am Baum aufgehängt. Damit er sich nicht wandeln konnte, wurden ihm die Handgelenke an die Fußknöchel gebunden. Der Bastard hat ihn bei lebendigem Leib am Baum aufgeknüpft. Er ist erstickt.« Dad schluckt und in seinen Augen schimmern Tränen.

»Er hatte eine Feder an seiner Gürtelschnalle. Sie war von Piet. Erst wurde gemutmaßt, dass Richard Piet umgebracht haben sollte, aber Richard war zu dem Zeitpunkt in New York und es gibt Zeugen für die ganze Zeit seines Aufenthaltes, denn er war dort nicht allein. Er hatte seinen Umzug dorthin geplant.«

»Will ich wissen, wie die anderen ums Leben gekommen sind?«

»Feuer.«

»Oh mein Gott.«

»Lou, vorerst kein Kontakt zu den anderen. Keine Telefonate, nichts. Wir müssen verhindern, dass der Mörder eine Fährte aufnehmen kann. Weder real noch virtuell. Auch zu uns nicht. Kontakt nur noch über Dr. Phillips. Ruf ihn an, er wird sich dann bei uns melden. Die Polizei meint, dass der Täter die Kontakte über das Internet gefunden hat. Dort suchen sie auch nach Ansätzen, um den Mörder zu finden. Er muss irgendwo eine Spur hinterlassen haben.«

»Habe ich das gerade richtig verstanden? Ich soll mich erst mal hier nicht mehr blicken lassen und keinen Kontakt halten? Dad! Ist das dein Ernst?«

»Es ist lebensnotwendig. Wir wollen nicht, dass du in die Schusslinie gerätst. Mir wird schlecht, wenn ich darüber nachdenke, dass ich dich nicht beschützen kann.«

»Was vermutet ihr, dass du mich aus der Schusslinie haben willst? Ich meine, das sagst du doch nicht ohne Grund?«

»Wir vermuten, dass der Ursprung bei Piet liegt, was naheliegt, weil er das erste Opfer war. Piet hatte finanzielle Schwierigkeiten. Er hat sich Geld geliehen und zahlte immer zurück. Jeden Monat, aber irgendwie wurde er enttarnt. So ganz ist die Polizei noch nicht dahintergekommen. Die Ermittlungen laufen noch.«

»Wir wollen dich nur schützen. Auch wenn es uns schwerfällt, dich jetzt wegzuschicken, aber du bist in Calgary wesentlich sicherer als hier Banff. Wir wollen nur nicht, dass du in das Fadenkreuz dieses Psychopathen gerätst. Du hast jetzt noch ein Semester, dann bist du fertig. Du sollst beruflich Fuß fassen können. Du schaffst das. Und sollte uns etwas passieren, wir haben alles zu deinen Gunsten geregelt. Das klingt jetzt sehr nüchtern, aber die Vorkommnisse haben uns dazu gezwungen.« Mom schaut mich an und ich sehe ihre Liebe zu mir. Wir halten uns alle drei an den Händen und geben uns die Kraft, die wir benötigen.

»Wie soll ich nach Calgary zurückgehen, in dem Wissen, dass euch jeder Zeit was Schlimmes passieren kann? Wie soll ich dort in Ruhe mein Studium beenden? Wie?«, frage ich meine Mom.

»Solange wir nicht wissen, was er als Nächstes plant, sind uns die Hände gebunden. Wir können nur abwarten. Aber wir können hier auch nicht alles stehen und liegen lassen. Es ist unsere Existenz. Mom geht weiter zur Schule und unterrichtet, und ich kümmere mich weiterhin um meine Praxis. Sie brauchen mich. Die Menschen wie auch die Vogelwandler. Der Schwarm ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Wo kämen wir hin, wenn alle fluchtartig das Land verlassen würden?«

»Keine Ahnung, aber das beruhigt mich nicht, Dad. Ich nehme jetzt die Sorgen mit und ich darf mich noch nicht mal melden. Das ist nicht fair.«

»Deswegen haben wir dir so lange nichts gesagt. Verstehst du nun?« Dad reibt mit seinem Daumen über meinen Handrücken. In meinem Bauch nistet sich ein furchtbar schlechtes Gefühl ein.

»Weihnachten ohne euch? Das wird beschissen.«



Kapitel 3 - William


Nach Hause zu kommen ist immer etwas Besonderes. Jim und Ben haben kurz nach unserem Einzug ins Rudel damals für Robbie und mich eine kleine Hütte im Garten nah am See gebaut. Weihnachten zu Hause bedeutet auch runterkommen und Zeit in unserer Tiergestalt zu verbringen. Laufen, Jagen und Bastet danken, dass wir es hier so gut haben. Im Moment genieße ich den Schnee unter meinen Pfoten und die klare Nacht mit den unendlich vielen Sternen, die hier greifbar nah erscheinen. Immer wieder lässt mich das Polarlicht fasziniert in den Nachthimmel blicken. Es ist atemberaubend fesselnd. Manchmal wünsche ich mir einen Partner an meiner Seite, mit dem ich das Naturschauspiel gemeinsam bestaunen kann.

Ich bin auf dem Weg zum Gipfel, wo ich einen Moment der Ruhe für mich allein genießen möchte, da der Abend laut, lustig und sehr gesellig gewesen ist. Sie waren alle bei Jim und Ben. Das gesamte Rudel hat gemeinsam die Weihnachtsnacht verbracht. Doch jetzt lasse ich die letzten Jahre Revue passieren und stelle fest, dass erwachsen werden, das Studium beenden und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen ein großer Schritt in meinem Leben ist.

Ich höre die Wölfe heulen, die Bären brüllen und meinen Bruder fauchen, was bedeutet, dass er hier in der Nähe herumschleicht.

Scheinbar haben wir alle denselben Lieblingsplatz, denn als ich oben auf dem Gipfel ankomme, liegen dort zusammengekuschelt Ian und Nivan. Der kleine weiße Polarfuchs fiept mich an und fordert mich auf, zu ihnen zu kommen und mich dazuzulegen. Der große Wolfskörper hinter ihm schirmt ihn von dem scharfen Wind ab, der hier oben geht. Ich robbe auf dem Bauch zu den beiden und neige meinen Kopf zur Seite, sodass Ian meine Kehle sehen kann. Er brummt kurz, legt dann seine Schnauze wieder auf Nivan ab und schließt die Augen.

Mit Nivan, unserem Schamanen, verbindet mich eine ganze Menge. Er ist der Onkel, der Robbie und mich unter seine Fittiche genommen hat, als Breandan starb.

Zusammengekuschelt in trauter Dreisamkeit genießen wir unser Dasein und diese wundervolle Nacht.

In den frühen Morgenstunden komme ich heim und sehe Jim und Ben auf dem Sofa. Da ich aber weiß, dass sie mich sowieso gehört haben, gehe ich rein und ziehe mir einen Kaffee aus dem Vollautomaten.

Nur mit Jogginghosen bekleidet liegen sie dicht beieinander auf dem Sofa und kuscheln. Ihre Haare sind zerzaust und der Raum riecht nach Pheromonen, Sex und männlichem Schweiß. Was die beiden hier getrieben haben, erzählt mir meine Nase. Boah … Elternsex …

»Möchtet ihr auch einen Kaffee oder soll ich euch lieber eine Zigarette holen?« Grinsend gehe ich näher und sehe, dass Bens Wangen eine leichte Röte zieren.

»Keine Zigarette, aber Kaffee ist eine gute Idee. Ich mache uns welchen.« Ben streicht zärtlich über Jims Kinn und haucht einen leichten Kuss auf seinen Mundwinkel, bevor er aufsteht und in der Küche den schwarzen Sud aus der Maschine laufen lässt. Sie sind glücklich. Das wiederum lässt in mir ein warmes Gefühl von »Zuhause« aufkommen.

»Wie geht es dir, mein Junge?« Jim schaut mich mit müden Augen an und fordert mich auf, mich zu setzen. Wenn ich etwas recht schnell gelernt habe, dann, dass Jim eine ehrliche Antwort auf seine Fragen haben möchte. Auch auf so eine Allerweltsfrage wie »Wie geht es dir?«.

»Müde, aber glücklich, froh, das Studium abgeschlossen zu haben und endlich hier sein zu können, ohne ständig daran zu denken, dass ich irgendetwas für die Uni machen muss. Ich genieße meinen Puma und lasse ihm gerne für ein paar Tage die Oberhand, bevor ich zurück nach Calgary gehe und meinen neuen Job anfange.«

»Ach, weil du es gerade erwähnst: der Alpha vom Rudel in Calgary hat mich kontaktiert. Er hat mich um mehr Aufmerksamkeit gebeten. Es gibt in Banff einen Steinadlerschwarm, der mächtig Schwierigkeiten hat. Weißt du was darüber?«

»Ja, aber ich darf nicht drüber sprechen. Verschwiegenheitspflicht. Aber ich spreche mit Dr. Phillips, damit er dir im Notfall Bericht erstattet.«

»Okay, das verstehe ich. Im Notfall kann Ian Nachforschungen anstellen. Ich sage dir jetzt, was ich weiß, okay?«

»Das ist okay.«

»Mein Kenntnisstand ist vom letzten Montag, heute ist Sonntag. Es gab bis dato neun tote Vogelwandler. Allesamt wurden auf grausame Weise umgebracht. Es waren auch Kinder darunter. Die Polizei tappt im Dunkeln. Es wurde ein Spezialteam auf den Mörder angesetzt. Sie gehen davon aus, dass einer der Wandler enttarnt wurde und nun jemand Jagd auf Wandler macht. Die Alphas in den umliegenden Rudeln wurden alle informiert und sind zur Vorsicht und Aufmerksamkeit aufgefordert.«

»Genau das entspricht meinem Kenntnisstand. Aber Anfang des Jahres kann ich eventuell schon mehr sagen, mit Erlaubnis natürlich. Diese Tatsache macht mir auch Angst. Ich hoffe, dass ihr die Rudeldaten gut gesichert habt.«

»Das haben wir. Mir geht es primär um eure Sicherheit. Die eines jeden Einzelnen. Pass auf dich auf, okay?«

»Werde ich. Versprochen.« Ben kommt mit zwei frischen Tassen Kaffee zurück ins Wohnzimmer und setzt sich wieder zu Jim. Sofort legt sich sein Arm um Bens Hüfte und zieht ihn nah an sich heran. Bens Blick in Jims Augen ist so intensiv, dass kein Zweifel an der Liebe zwischen den beiden aufkommen kann.

Ich trinke meinen Kaffee aus und erhebe mich.

»Ich lasse euch mal allein. Aber wisst ihr was?« Ben schaut mich an, schiebt seine Brille seinen Nasenrücken hoch und lächelt wissend.

»Ich weiß, ich spüre deine Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe. Aber ich bin mir sicher, dass du sie finden wirst.«

»Manchmal bist du mir echt unheimlich. Dein Wort in Bastets Gehör.«

»Eure Göttin wird dich nicht hängen lassen. Hab Vertrauen, Billie.«

»Bis später, ihr zwei.« Ich stelle die Tasse in den Geschirrspüler und laufe durch den Garten in Richtung unserer Hütte, wo ich meinen schlafenden Bruder zu finden erwarte.


»Hey, Kumpel, wie geht es dir?« Breandan sieht von seinem Buch auf und lächelt mich in seiner kindlichen Art an.

»Hey, Billie. Ich freue mich, dass du wieder da bist. Hab dich vermisst.« Bran legt sein Buch zur Seite und wartet darauf, dass ich mich neben ihn setze. Ich ziehe ihn an den Schultern näher zu mir und er kuschelt sich an mich. Wir verstehen uns ohne Worte. Spüren, dass unsere Verbindung noch immer so eng ist wie zu Zeiten, als Robbie und ich noch hier im Rudel gelebt haben.

»Ich habe dich auch vermisst, Kleiner. Wie geht es dir? Alles gut? Was macht die Schule?«

»Alles gut. Dad sagt, dass du mit deinem Studium fertig bist. Kommst du dann jetzt wieder nach Hause? Ich vermisse dich, weißt du?«

»Ich vermisse dich auch, aber ich habe Arbeit gefunden, die mir Spaß machen könnte, und … Nein, Bran. Ich komme nicht nach Hause, zumindest nicht ganz. Aber du wirst immer mein kleiner Bruder sein.« Brans Lächeln fällt in sich zusammen und es zerquetscht mir mein Herz bei dem Anblick.

»Hm hm. Aber du kommst zu Besuch?«

»Hey, ein Anruf von dir und ich bin so schnell ich kann bei dir, das weißt du doch. Was ist los?«

»Nichts, ich dachte nur, jetzt, wo du nicht mehr studierst, kommst du wieder nach Hause. Das ist alles. Robbie kommt auch nicht nach Hause. Er bleibt auch in Vancouver. Das ist so furchtbar weit weg.«

»Da sind diese Träume.« Seine Stimme ist leiser. Ängstlich.

»Ich kann mich hinterher nie erinnern, aber sie sind da und dann weiß ich nur, von wem ich geträumt habe. Papa Ben hat mich immer sofort in die Arme genommen, als er gemerkt hat, dass es mir nicht gut ging. Es waren keine guten Träume, das weiß ich sicher. Ich habe von dir geträumt. Billie, ich habe Angst.«

»Das Einzige, an das ich mich erinnern kann, ist eine Melodie, so, als ob sie jemand pfeifen würde, weißt du? Aber ich habe sie vorher, also vor diesen Träumen noch nie gehört.«

»Wann fährst du wieder zurück?«

»Und Robbie. Nur wir vier. Geschwister im Herzen?«

»Okay. Billie? Ich hab dich lieb.«



»Wann kommst du wieder?«, fragt sie leise. Die sonst so taffe kleine Wölfin ist heute nachdenklich und in sich gekehrt.

»Ja, ich weiß, aber sie kann ich jederzeit sehen, wenn ich will. Dich und Robbie sehen wir wirklich selten. Magst du uns nicht mehr?«

»Du hast nicht ganz unrecht. Ich glaube auch nicht, dass ich mal hierbleiben werde. Aber Bran schon. Weißt du, dass er mal Arzt werden möchte? Er sagt, dass er mal Shanes Praxis übernehmen will. Ich weiß nicht, was ich machen will. Wir sind da so verschieden.«

In circa einer Stunde sind Robbie und ich am Flughafen in Jasper mit Akiak verabredet, der uns nach Calgary fliegen wird. Unsere Ferien sind definitiv zu Ende.