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Glossar

Christian Geissler verwendete in »Kalte Zeiten« zahlreiche im Erscheinungsjahr 1965 aktuelle Slogans aus der Werbung. Er selbst hielt dies zumindest »für Leser, die nicht in der Bundesrepublik leben«, für erläuterungsbedürftig. Geisslers Anmerkungen aus der im Aufbau-Verlag 1966 erschienenen Lizenzausgabe wurden für den Leser von heute behutsam ergänzt.

96 It’s a wonderful life …: Werbetext der Zigarettenindustrie.

96 Sein Weg führt stets …: Werbetext der Organisation »Die Waage. Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs«, einer Vereinigung deutscher Industrieller, die durch Kampagnen die Meinung der Bevölkerung sowie der im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) organisierten Unternehmen zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft beeinflussen sollte. Die Waage bestand von 1952 bis 1965.

98 Das geht nicht vorwärts …: Werbetextmischung, vor allem aus Texten der KFZ-Industrie.

101 Und seit 845 Tagen …: Die BILD-Zeitung zählte seit dem 13.8.1961 öffentlich täglich die Tage seit dem Mauerbau.

101 An Mutti denken … let’s do it: Mischung aus Werbe- und BILD-Texten.

111 Und zwar geht es …: Aus der Wochenzeitung Ketteler Wacht, Zeitung der KAB (Katholische Arbeiterbewegung), vom 1.2.1962. Die Ketteler-Wacht. Katholische Wochenschrift für das schaffende Volk in Stadt und Land erschien von 1938 bis 1971.

112 Am Freitag …: Auszug aus dem Bildbericht der Illustrierten Ketteler Wacht.

113–114 Der Imperialismus…: Satzmischung aus Reader’s Digest und Agitationstexten aus der DDR.

114 Die fetten Jahre …: Titeltext einer Nummer der von 1948 bis 1992 wöchentlich erscheinenden Illustrierten Quick.

119–120 Zahnpasta für Menschen …: Satzmischung aus Zahnpastawerbung und BILD-Texten.

120 Die Lebensform …: Vgl. Anmerkungen zu S. 96

125 Gewinnmitnahmen …: Satzmischung aus dem Wirtschaftsteil der Welt und der Ketteler Wacht.

128 Gar mancher ist oft …: Dieser Spruch hing 1962 über der Theke einer Düsseldorfer Arbeiterkneipe.

157 Deutschland muss leben …: Denkmalinschrift, heute, in Hamburg, Nähe Dammtorbahnhof.

160–161 Sie können ruhig … Erfolg bemerkt werden: Werbetextmischung.

161 On Pan Am … dem Kenner serviert: Textmischung aus Luftfahrt- und Sektwerbung.

169–171 Auch Sie sollten dran denken, …; Achten Sie bitte einmal darauf, …; Jedem von uns soll es möglich sein, …; Mit unserem Anschaffungsdarlehen …; Jeder von uns …⁠: Werbetexte der Elektro- und Textilindustrie sowie der Banken.

180 Deeping:Vermutlich Warwick Deeping (1877–1950), englischer Schriftsteller; Verfasser von über 60 Unterhaltungsromanen.

181 Edelweiß in der Ukraine: Josef Martin Bauer, Unterm Edelweiß in der Ukraine. Eine Gebirgs-Division im Kampf gegen Sowjet-Russland. Der Roman des für die Wehrmachtspropaganda arbeitenden Autors erschien 1943 im NSDAP-Verlag Franz Eher.

183 Marlborough-Menschen: Zigarettenwerbung.

* In der Originalausgabe, die bei Claasen 1963 erschien, lautet der Text dieses Abschnittes wie folgt: »Nichts. Immer nur ›Nichts.‹ Nichts, nichts, nichts! Ihr wisst ja so viel. Aber ihr wisst nicht, was ihr wollt. Ihr habt schon vergessen, dass man überhaupt etwas wollen kann. Ich will wissen, was geschieht, wem es geschieht, durch wen es geschieht. Aber ihr lasst ja lieber geschehen. Voller Bauch fragt nicht gern, wie? Lieber tot als blamiert. Lieber dumm als neugierig. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, wie? Es ist schon verdammt kalt hier. – Blöde Kinder von blöden Vätern! Wie habt ihr laut geschrien, damals. Unsere Väter! Wie konnten sie! Sie hätten es wissen müssen! – Und jetzt müsst ihr es wissen. Aber ihr wollt es auch nicht wissen. Ihr seid nicht besser, nur dicker. Dass euch noch nichts passiert ist, ist euer Glück, nicht euer Verdienst. – Wann werdet ihr euch endlich erkundigen nach euren eigenen Angelegenheiten. Warum fragt ihr denn nicht? Fragt und fragt und fragt! Warum nur wollt ihr es nicht wissen? Ach, mein Gott, warum wollt ihr nicht leben!« Aus handschriftlichen Anmerkungen Christian Geisslers in seinen eigenen Exemplaren geht hervor, dass die pädagogischen Ergänzungen von Egon Monk stammen. [ZURÜCK]

Für Ingeborg Brastrup-Hartmann

und Egon Monk

Anmerkungen

1 H. H.: »Unterhaltung und ›harte Welle‹«, Hamburger Abendblatt, 24.10.1960.

2 Die Zeit, 27.5.1960.

3 H. H.: »Unterhaltung und ›harte Welle‹«, Hamburger Abendblatt, 24.10.1960.

4 »Anfrage. Ein Spiel von Christian Geissler«, Hör Zu, Heft 43, 1961, S. 56.

5 Christian Ferber: »Nachfrage nach der Anfrage«, Die Welt, 20.10.1961.

6 Televisor: »Das Wort hat der Kritiker«, Hör Zu, Heft 46, 1961, S. 86.

7 »Geschichte des Fernsehens. Interview mit Egon Monk«, 1976, Aufzeichnung im NDR-Archiv.

8 Im Abspann heißt es lediglich: »›Anfrage‹ von Christian Geissler«; einen Credit für das Drehbuch gibt es nicht.

9 »Anfrage«, Drehbuch, Typoskript, S. 98 (Akademie der Künste Berlin, Egon-Monk-Archiv).

10 Ebd., S. 99.

11 Ebd., S. 100.

12 -er (= Christian Ferber): »Fernsehen und Katastrophen«, Die Welt, 19.2.1962.

13 Die Infratest-Analyse, aus der auch die folgenden Zitate stammen, befindet sich im Nachlass von Egon Monk, Archiv der Akademie der Künste Berlin.

14 Christian Ferber: »Nachfrage nach der Anfrage«, Die Welt, 20.10.1961.

15 -er (= Christian Ferber): »Fernsehen und Katastrophen«, Die Welt, 19.2.1962.

16 Kaspar Klein, Abendzeitung, München, 17./18.2.1962 (zit. nach dem NDR-Presse­spiegel).

17 M. M., Kölnische Rundschau, 17.2.1962 (zit. nach dem NDR-Pressespiegel).

18 ha.: »Anfrage an die Väter«, Neue Zürcher Zeitung, 19.2.1962.

19 s-y: »Anfrage«, Süddeutsche Zeitung, 17./18.2.1962.

20 o. V.: »Anfrage«. In: Der Tagesspiegel, 17.2.1962.

21 Marcel Reich-Ranicki: »Abrechnung mit den Vätern, Die Zeit, 27.5.1960.

22 Zit. nach: Nicky Rittmeyer: »Egon Monk und seine ›Hamburgische Dramaturgie des Fernsehspiels‹«, in: Wolfgang Trautwein / Julia Bernhard (Hg.): »Aufbrüche in die Moderne«, Berlin 2013, S. 116–124. Daraus auch die folgenden Zitate.

23 Hamburger Abendblatt, 14.2.1963.

24 Manfred Delling: »Egon Monk. ›Private Leidenschaften interessieren mich nicht‹«, Film, Heft 2, 1963, S. 58.

25 Nicky Rittmeyer: »Egon Monk und seine ›Hamburgische Dramaturgie des Fernsehspiels‹«, in: Wolfgang Trautwein/Julia Bernhard (Hg.): »Aufbrüche in die Moderne«, Berlin 2013, S. 116–124., S. 122.

26 Dieses und zwei nachfolgende Zitate (aus einer CDU-nahen Tageszeitung und einem Münchner Kirchenblatt) nach: GH (= Gerd Hirschauer): »›Schlachtvieh‹ – für Erwachsene mit Vorbehalten«, Werkhefte, Heft 3, 1963.

27 Werner Knoth: »›Schlachtvieh‹ im Luxus-Expreß«, Hamburger Abendblatt, 15.2.1963.

28 o. V.: »Parole ›Friedenskrieg‹«, epd / Kirche und Fernsehen, Heft 7, 16.2.1963, S. 7.

29 Klaus Mellenthin: »Prozeß im Bruch«, analyse & kritik, Heft 431, 21.10.1999.

30 »Geschichte des Fernsehens. Interview mit Egon Monk«, 1976, Aufzeichnung im NDR-Archiv.

31 Nicolaus Schröder: »Wir waren ja keine Traumfabrik oder Die Rekonstruktion der Gegenwart«, Dokumentarfilm, NDR 1993.

32 Knut Hickethier: »Egon Monks ›Hamburgische Dramaturgie‹«, Augen-Blick, Heft 21, 1995, S. 31.

33 Hamburger Abendblatt, 20.3.1964.

34 Karl Günter Simon: »Monk und seine Autoren«, Film, Heft 11, 1965, S. 33.

35 Momos (= Walter Jens): »Wilhelmsburger Freitag«, Die Zeit, 27.3.1964.

36 Reinhard Baumgart: »Aus zweiter, heißer Hand«, Der Spiegel, 24.11.1965.

37 »Vorbemerkung des Verlages«, in: Christian Geissler: »Anfrage«, Berlin/DDR 1961, S. 8.

38 Henryk Keisch: »Das Grundgefühl der Ordnung bei Hegel und bei Herrn Schütz« Neue Deutsche Literatur, Heft 6, 1963, S. 91 ff.

39 Heiko Büscher: »Von der ›Anfrage‹ zu ›Kalte Zeiten‹«, Sonntag, Heft 38, 1965.

40 In dem Roman »Das Brot mit der Feile« (München 1973. S. 242) wird das Motiv aufgegriffen und variiert: »Paar hundert Leute mit Ostermarsch Pappe, und hinten, oben, am Mikro, ein Dünnmann heiser am Reden.« Die zitierten Satzfetzen stammen aus einer Rede, die Geissler 1964 in Frankfurt hielt. Im Roman heißt es weiter: »Nina kannte den Typ. ›Dichter oder was ist der. Immer für Reden, extra wird der geholt‹.«

41 Hamburger Abendblatt, 11.3.1963. Die vorangegangenen Zitate ebd., 7.2. und 24.4.1962.

42 Christian Geissler: »zweite Rede« [gehalten Frankfurt 1964], in: Ders.: »Die Plage gegen den Stein«, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 342.

43 Vgl. Sonntag, Heft 38, 1965.

44 Momos (= Walter Jens): »Die Predigt am Volkstrauertag«, Die Zeit, 20.11.1964.

45 Eugen Kogon: »Sie müssen dauernd Rücksicht nehmen«, Der Spiegel, 14.2.1966.

46 Die zitierte Korrespondenz Geissler/Monk befindet sich im Nachlass Egon Monk, Archiv der Akademie der Künste Berlin.

47 Der Text ist abgedruckt in: Christian Geissler: »Ende der Anfrage«, München 1967, mit dem Vermerk: »Dieses Fernsehstück ist vom NDR produziert worden unter dem Titel ›Zustände‹.« In dem späteren Sammelband »Die Plage gegen den Stein«, Reinbek 1978, lautet die entsprechende Notiz: »nach der Inszenierung des ersten Teils (Fahrstuhlmädchen) abgebrochen und in der Versenkung verschwunden«.

48 In den Sammelbänden »Ende der Anfrage« und »Plage gegen den Stein« wird der Text als »Fernsehreportage« bezeichnet, was irreführend ist: Geissler war weder mit einem TV-Team unterwegs, noch wurde der Text für dieses Medium geschrieben.

49 »Kein Land für Zuschauer«, Sonntag, 1970, Heft 26.

50 Die Figur Ahlers taucht in den Romanen »Das Brot mit der Feile«, »Wird Zeit, dass wir leben« und »kamalatta« wieder auf, ihre Konturen changieren jedoch.

51 Geissler an Dieter Meichsner, NDR, 12.3.1969, im Nachlass Christian Geissler, Fritz-Hüser-Institut, Dortmund.

52 Ebd.

53 Christian Geissler: »Glücksgefühle am Schneidetisch?«, Film, Heft 4, 1968, S. 52.

54 Geissler arbeitete an Wildenhahns Dokumentarfilm »Der Hamburger Aufstand Oktober 1923« mit und als Sprecher in »Mister Evans geht durch Hamburg«.

55 »Beat im Haus«, Der Spiegel, 11.1.1971.

56 Ruth Herrmann: »Zu Säufern gemacht«, Die Zeit, 19.11.1971.

57 Geissler an Lothar Janssen, 25.12.1974, Fritz-Hüser-Institut.

58 Klaus Mellenthin: »Prozeß im Bruch«, analyse & kritik, Heft 432, 18.11.1999 (2. Teil des Gesprächs).

59 Hier und im Folgenden zitiert aus der Korrespondenz Geissler/Monk, Nachlass Egon Monk, Archiv der Akademie der Künste Berlin.

Impressum und Copyright

Erste Auflage

Verbrecher Verlag Berlin 2014

www.verbrecherverlag.de

© Verbrecher Verlag 2014
Lektorat: Kristina Wengorz
Satz und Ebook-Umsetzung: Christian Walter

ISBN Print: 978-3-95732-016-2
eISBN EPUB: 9783957320919
eISBN Mobipocket: 9783957320926


Der Verlag dankt Nina Pagel.

Christian Geissler

SCHLACHTVIEH
KALTE ZEITEN


Mit einem Nachwort von Michael Töteberg




Rindviehweide

Sonne, dicke Sommerwolken am Himmel, fettes Gras, manierliche Kühe: Milchschokoladen-Niveau.

Eine weidende Kuh. So nah, dass immer nur Teile der Kuh zu sehen sind. Zum Beispiel der fette Hals mit schöner Glocke dran. Die Glocke schlägt hin und her.

SPRECHERIN in strengem Werbeton Es ist geschafft.

SPRECHER Wir leben nicht mehr unter Trümmern.

SPRECHERIN Wir haben Sorgen, dass wir zu dick werden könnten.

SPRECHER Die erste Etappe liegt hinter uns.

SPRECHERIN Es ist geschafft.

BEIDE Die Lebensform freier Menschen!

Eine Kuh schreitet ins Bild. Hebt schwer den Kopf und schaut uns traurig an.

SPRECHER Gut.

SPRECHERIN Aber was nun?

SPRECHER Mal was Neues probieren?

BEIDE Nein!

Die Kuh setzt sich wieder in Bewegung, gliedert sich ein in eine Gruppe von zielstrebig-müde schreitendem Vieh.

SPRECHERIN Wir bauen weiter!

SPRECHER Stein auf Stein.

SPRECHERIN Stein auf Stein.

SPRECHER Stein auf Stein.

Eine Kuh bleibt stehen, geht langsam in die Knie, legt sich umständlich hin, um zu schlafen.

SPRECHERIN Es schützen schon ganz kleine Mauervorsprünge!

SPRECHER Jeder hat eine Chance!

SPRECHERIN Vor allem: Ruhe bewahren!

SPRECHER Es kann schlimmstenfalls immer nur vierzehn Tage ­dauern.

Die Kuh schläft unruhig, schlägt wegen der Fliegen mit Kopf und Schwanz und Ohren.

SPRECHERIN Angst?

SPRECHER Nicht schlafen können?

BEIDE Denke dran – schaff Vorrat an!

SPRECHER Entspannen auch Sie sich!

SPRECHERIN Liegen bleiben, bis der Druck nachlässt.

SPRECHER Dann erst den Schutzraum aufsuchen.

Eine Gruppe alter schlafender Kühe.

SPRECHERIN Außerdem: seien wir doch ehrlich, wer von uns kennt nicht die Frage …

SPRECHER … bin ich wirklich schon verbraucht?

SPRECHERIN So ist heute nun einmal das Leben.

SPRECHER Mensch und Maschine in der Zerreißprobe!

SPRECHERIN Aber:

SPRECHER Man schafft es!

Spielende, springende Kälbchen.

SPRECHERIN Immer mehr Menschen finden heute zu einem echten, schöpferischen Hobby.

SPRECHER Moderne Menschen.

SPRECHERIN Aus kleinen Freuden bauen sie eine glückliche Welt!

Boxendes Rindvieh. Schädel an Schädel.

SPRECHER Do it doch einfach yourself!

SPRECHERIN Mit Schwung, aktiv, intelligent und fix!

SPRECHER Stufe für Stufe weiter nach oben!

SPRECHERIN Endlich geschafft!

SPRECHER Sechzehn Mann unter mir und hundertsechzig Mark Mehrverdienst!

BEIDE Die Lebensform freier Menschen!

Plötzlich die blitzend-aggressive Physiognomie einer LKW-Schnauze auf uns zu.

SPRECHER Eine alte Geschichte: Vertrauen verlangt eben Leistung.

Der LKW hält. Drei Metzger springen ab. Alle drei in Haltung, Bewegung und Kleidung zum Verwechseln einander ähnlich. Kleidung quasi militärisch. Gummischaftstiefel, Gürtel über der gestreiften Bluse, am Gurt jeder einen Holzknüppel. Die Metzger ordnen sich der Größe nach, halten gute Seitenrichtung und gehen im Gleichschritt. Aber nie sind ihre Gesichter zu sehen.

SPRECHERIN Wer schafft …

SPRECHER … braucht Kraft!

SPRECHERIN Nicht mehr müde sein!

SPRECHER Im Rennen bleiben!

SPRECHERIN Mehr Schwung!

SPRECHER Der Wahlspruch freier Menschen einer freien Welt!

Drei Metzgerarme, die Knüppel schwingen über Rindervieh­rücken.

SPRECHERIN Den Freunden guter Körperpflege sind unsere Mittel natürlich längst vertraut.

Rindviehsteiß, auf den mit einem Knüppel geschlagen wird.

SPRECHER Mittel der Tradition – im Stil unserer Zeit!

SPRECHERIN Vor allem: Ruhe bewahren!

Jemand wirft einen Sack über einen Rindviehschädel.

SPRECHER Und gegen die Strahlungen einfach ein nasses Kleid über den Kopf.

SPRECHERIN Mal was Neues probieren?

SPRECHER Nein!

SPRECHERIN Machen Sie doch mit!

SPRECHER Machen Sie ihn einfach mit, den Schritt zur nächsten Etappe!

SPRECHERIN Jeder hat eine Chance!

SPRECHER Helfen auch Sie sich von innen heraus!

Die erste Kuh ist im Wagen festgebunden, reckt den Kopf über die Rampe und schaut mit verdrehtem Blick zurück.

SPRECHERIN Ja, das Glück lacht ihr zu. Und warum?

SPRECHER Weil ihr Alter ein Geheimnis bleibt.

BEIDE Es ist geschafft!

Die große Plane fällt herunter und verdeckt die Kühe auf dem Wagen.

Großstadtstraße

Die Straße ist hell erleuchtet und leer. Außer dem LKW mit den Kühen kein anderes Fahrzeug weit und breit. Ampel mit Rotlicht. Der LKW mit den Kühen hält vor der Ampel. Die Kühe recken die Hälse. Dann Schaufensterauslagen eines Metzger­ladens.

Sich nähernd das Motorgeräusch des LKW.

SPRECHER Ihr Lebensstandard hat sich erhöht.

SPRECHERIN Und was heißt das?

SPRECHER Nichts anderes, als dass alle Chancen genutzt wurden, um im freien Leistungswettbewerb Positionen zu verbessern und zu sichern.

BEIDE Sicherheit und Geborgenheit.

In der Ampel fällt das Licht auf Grün.

SPRECHERIN Aber wohin geht denn die Reise?

Verladerampe im Güterbahnhof

Der LKW fährt auf die Rampe. Das Rindvieh wird rüde ver­laden.

SPRECHER unverändert gleichmäßig, ruhig, optimistisch Besser leben!

SPRECHERIN Jeder hat eine Chance!

SPRECHER Keine Experimente!

SPRECHERIN Sicherheit für alle!

SPRECHER Nichts aufs Spiel setzen!

BEIDE Die Lebensform freier Menschen!

Bahnhofshalle

Großstadtbahnhof in vollem Betrieb. Viele Bahnsteige, viele Menschen, viel Lärm, Signallampen und Signalarme, Anzeige­tafeln, Lokomotiven, Uhren, Kioske, Elektrokarren und Dampf und trübe Beleuchtung. Auf dem Bahnsteig 8 die Gruppe der Reisenden. Hartmann, Huber, Köhler, Hansen, Fuchs, Engel, Steinhoff, Frau Steinhoff und Herr und Frau von Aasenstein. Man hört die Durchsage.

LAUTSPRECHER Achtung! Reisende für den Fernschnelltriebwagen FT 402, planmäßige Abfahrt 19 Uhr 10, Bahnsteig 8; Gleis 16. – Das Einlaufen des Zuges verzögert sich voraussichtlich um zehn Minuten.

Bahnpersonal-Kantine

LAUTSPRECHER Achtung! Lokführer FT 402 zum Zug! – Achtung! Personal FT 402. Einlaufen 402 ausnahmsweise abwarten an Gleis 16. Ende.

Der Lokführer verlässt die Kantine. Die anderen, die schon halb aufgestanden waren, setzen sich wieder hin. Ein bisschen ratlos.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN An der Bahnsteigkante warten wie’n Passagier – das haben wir gerne. Ist schließlich unser Zug.

KELLNER »Unser Zug« – klingt ja fast wie drüben.

KOCH Na, etwa nicht unser Zug?

Der Koch beugt sich zum Schaffner, der die Zeitung liest.

KOCH Verstehst du denn auch, was du da liest?

SCHAFFNER weiterlesend Versteh’ ich was von Fußball oder nich’?

KOCH Machen sie Krieg – machen sie keinen Krieg?

Bahnhofshalle

Hansen taucht hinterm Zeitungswagen auf.

ZEITUNGSVERKÄUFER Na, Soldat, wohin geht denn die Reise?

HANSEN Haben Sie was Spannendes? – Nein, keine Zeitung.

ZEITUNGSVERKÄUFER Aber spannender geht’s doch nicht, Junge.

Der Zeitungsverkäufer zieht einen Krimi mit Mordstitel.

ZEITUNGSVERKÄUFER So was vielleicht? – So’n Krimi ist auch nur spannend, solange sie den Mord noch aushecken. Wenn’s knallt, denn ist der Spaß vorbei. Kannste mir glauben – einsneunzig …

Hansen geht. An seinem Platz erscheinen nun Engel, Steinhoff und Frau Steinhoff. Steinhoff macht hinter dem davongehenden Hansen eine abfällige Kopfbewegung.

LAUTSPRECHER Achtung! Der Fernschnelltriebwagen FT 402, planmäßige Abfahrt 19 Uhr 10, hat in wenigen Minuten Einfahrt auf Gleis 16. Reisende bitte nur den vorderen Teil des Zuges benutzen, die hinteren Abteile sind für den Reiseverkehr gesperrt.

Bahngelände

Auf dem weitläufigen, von den hoch hängenden Bogenlampen nur schwach erhellten Bahngelände steht der FT 402. Schattenhaft undeutlich, sodass weder Kleidung noch Gesichter zu erkennen sind, steigen in die hinteren Abteile acht Leute ein. Die Tür schließt sich hinter ihnen. Am Zugkopf erscheinen der Lokführer, der Zugführer und der Zivil tragende X. Auch sie steigen ein.

Führerstand und Maschinenraum des FT 402

Nur die Maschinen, die Instrumente, die Schalttafeln und alle ­anderen technischen Einrichtungen sind zu sehen, nie die Sprechenden.

X Trennschaltung Lautsprechanlage.

LOKFÜHRER Trennschaltung durchgeführt.

X Trennschaltung Fernsprechanlage.

LOKFÜHRER Trennschaltung durchgeführt.

X Befehlsgeber ist bekannt?

LOKFÜHRER Befehlsgeber ist nicht bekannt. – Befehlsgeber ist bekannt?

X Nicht bekannt. – Kennen Sie die Sache, um die es geht?

LOKFÜHRER Keine Kenntnis. – Kennen Sie die Sache, um die es geht?

X Keine Kenntnis. In Ordnung. Sie übernehmen den Zug.

LOKFÜHRER Ich übernehme den Zug.

Die Hand des Lokführers betätigt den Anlasser. Die Diesel­maschinen springen an. Der Zug setzt sich in Bewegung. Die Räder fassen, drehen sich, immer schneller. Vorbei an Stellwerken, über Weichen, auf die Bahnhofshalle zu. Der Zug fährt in die Bahnhofshalle ein. Vom einfahrenden Zug aus sieht man die Gruppe der Reisenden. Dabei jetzt auch das Zugpersonal. Schaffner, Koch, Barmädchen, Schreibabteilmädchen, Zugstewardessen, Kellner etc. Der Zug hält. Die Leute nehmen Koffer und ­Taschen und steigen ein.

LAUTSPRECHER Türen schließen und zurückbleiben! – Zurück­bleiben, bitte!

Der Vorsteher hebt die Kelle. Der Zug fährt ab und verlässt, immer schneller fahrend, das Bahnhofsgelände.

Fahrgastraum im Barwagen

Die Reisenden suchen ihre Plätze, verstauen Koffer und Taschen, hängen die Mäntel an die Haken und machen es sich bequem. Der Schaffner kontrolliert die Fahrkarten Köhlers, der sich auffallend weit abseits einen Platz gesucht hat.

SCHAFFNER Das ist aber nicht Ihr Platz, mein Herr?

KÖHLER Ist dieser Platz reserviert?

SCHAFFNER Das nicht. Aber Ihr Platz ist da drüben.

Er zeigt auf einen der Plätze in der Mitte des Wagens. Eine Notbremse ist darüber. Köhlers Blick ist der Geste des Schaffners ­gefolgt.

KÖHLER Aber da könnte ich plötzlich Lust haben, die Notbremse zu ziehen.

SCHAFFNER Das ist verboten.

KÖHLER Eben. Lassen Sie mich lieber hier.

Engel, Steinhoff und Frau Steinhoff belegen zwei Bänke in der Mitte des Wagens, Engel setzt sich ans Fenster, Steinhoff ihm gegen­über. Erst, wenn er schon sitzt, fragt er seine Frau:

STEINHOFF Oder möchtest du lieber am Fenster …

FRAU STEINHOFF Nein, nein, bleib nur.

Der Schaffner steht vor Herrn und Frau von Aasenstein.

SCHAFFNER Aber ich kann nicht überall eine Ausnahme machen, meine Herrschaften.

Er zeigt auf zwei freie Plätze gegenüber.

SCHAFFNER Bitte sehr.

HERR VON AASENSTEIN Das ist keine Ausnahme, guter Mann.

FRAU VON AASENSTEIN holt eine Siamkatze aus einem komfortablen Reisekorb Wir fahren immer rückwärts.

HERR VON AASENSTEIN Vorwärts strengt uns an.

Bei Steinhoffs und Engel. Alle drei lesen den Spiegel.

FRAU STEINHOFF Wir sitzen hier genau auf den Achsen!

STEINHOFF hinter der Zeitschrift Wird dir schlecht?

FRAU STEINHOFF Es geht.

ENGEL mit einem Seitenblick auf den weiterlesenden Steinhoff Na, los, zieh’n wir um. Ich guck’ mal nach hinten.

HARTMANN Guten Abend. – Ist hier frei?

KÖHLER Die Plätze sind nummeriert, Herr Pfarrer. – Guten Abend.

HARTMANN setzt sich unentschlossen auf die Sitzkante, Köhler gegen­ über Wir kennen uns, nicht wahr? Sie waren heute Abend in der Andacht.

KÖHLER Gibt’s hier drüben an allen Bahnhöfen Pfarrer?

HARTMANN Wir fangen erst an. – Sie waren früher drüben?

KÖHLER Merkt man das?

HARTMANN Weil sie eben »hier drüben« gesagt haben. Außerdem bekommt man in meinem Beruf einen Blick für Menschen.

KÖHLER nachlässig die Schultern hebend So?

HARTMANN Sie sitzen so abseits.

KÖHLER  Die Bar ist gleich nebenan. Und vielleicht wollte ich auch schlafen.

Vor der versperrten Tür

Engel steht vor der Durchgangstür, die nach hinten führt. Er tippt erst auf die Griffe, um den Mechanismus in Gang zu setzen. Aber die Tür öffnet sich nicht. Dann will Engel die Tür mit Kraft aufziehen und bemerkt, dass sie verriegelt ist. Er versucht, durch die Glasfenster nach hinten zu sehen. Aber dort ist es dunkel. Der Schaffner steht indessen vor den Steinhoffs.

Fahrgastraum

STEINHOFF Wir brauchen noch drei Zuschläge für diesen Superzug, wenn Sie die Güte hätten.

Hartmann kommt, grüßt, vergleicht die Nummer des Sitzes gegenüber Frau Steinhoff mit der Nummer auf seiner Platzkarte und legt sein Köfferchen ins Netz. Er dreht sich schüchtern nach Frau Steinhoff um, sieht den Spiegel, nimmt seinen Koffer wieder herunter und geht zu Hansen. Engel kommt zurück und setzt sich wieder an seinen Platz.

ENGEL Hinten is’ nich’. Verriegelt. Keine Chance.

SCHAFFNER Macht zusammen vierundzwanzig.

ENGEL zu Steinhoff Hast du mal vier Mark?

STEINHOFF Vierundzwanzig Mark! Aber bloß den halben Zug verkoofen!

LAUTSPRECHER Stimme des Schreibabteilmädchens Guten Abend, meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie in unserem Transkontinental-Express FT 402. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit wird 110 Stundenkilometer betragen, die Spitzengeschwindigkeit wird bei 140 Stundenkilometern liegen. Auf diese Weise werden wir in weniger als sechs Stunden, um 0 Uhr 50, den Zielbahnhof erreichen. – Wir wünschen Ihnen eine gute Reise und möchten Sie bei dieser Gelegenheit auf die besonderen Annehmlichkeiten des Zuges hinweisen. Die Küche wird von Herrn Nowotny betreut, einem Mann, der sehr genau weiß, was auf einer Reise gut schmeckt. Im Restaurant werden Sie von unseren Zug­stewardessen und von unserem Oberkellner, Herrn Dienstmann, erwartet …

Schreibabteil

Während das Mädchen ansagt, betrachtet es sich in einem kleinen Handspiegel und zupft sich ein Augenbrauenhaar aus.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Zu Ihnen spricht Erika Kalweit, und Sie finden mich im Schreibabteil des Zuges. Bitte vertrauen Sie mir Ihre Korrespondenz an. Und sollten Sie ein drahtloses Telefongespräch führen oder ein Telegramm aufgeben wollen: Bitte wenden Sie sich an mich. Wer aber einen guten Tropfen liebt oder Sinn hat für ein ruhiges Gespräch zu zweit in behaglicher Atmosphäre, für den wird unser Fräulein Martens sorgen. Fräulein Martens erwartet Sie in der Bar und freut sich, Ihnen Ihren Drink mixen zu dürfen, Ihren ganz speziellen …

Fahrgastraum

Allgemeiner Friede im Abteil. Huber zieht eine Kollegtasche aus seiner Reisetasche und verschwindet in Richtung Schreibabteil.

LAUTSPRECHER Und nun noch ein kurzer amtlicher Hinweis: Die Abteile am Ende des Zuges sind auf Anweisung der Direktion heute ausnahmsweise für jeden Reiseverkehr gesperrt. Wir bitten um Ihr Verständnis. – Guten Abend.

STEINHOFF den Spiegel beiseitelegend Guten Abend. – Gähnt Über allen Gipfeln ist Ruhe die erste Bürgerpflicht.

ENGEL Sind wir Freunde?

STEINHOFF Sonst noch was?

ENGEL Hör mal zu. Kritik einer Freundschaft. Liest aus einem Taschen­buch Jean Paul vor »Einen solchen Fürstenbund zweier seltsamer Seelen gab es nicht oft: dieselbe Lachlust in der schönen Irrenanstalt der Erde.«

STEINHOFF Und die Kritik?

ENGEL Jean Paul. Hundert Jahre alt. Sehr frühe Romantik. Unser Mann: Gelächter im Irrenhaus. Wir taugen nur noch für Lachanfälle.

STEINHOFF lehnt sich zurück und schließt die Augen Wer schläft, sündigt nicht.

ENGEL liest weiter Das könnte dir so passen.

Schreibabteil

HUBER Geschäftspost vor sich auf den Knien, betrachtet das Schreibabteilmädchen Und ausgerechnet bei der Eisenbahn?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Sicher ist sicher. Wo Leute Uniform anhaben, kann nichts schiefgehen. Sagt mein Vater.

HUBER Und hat nicht ganz Unrecht. – Außerdem: Man sieht was von der Welt.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Ziemlich.

Das Mädchen ordnet Schreibpapier. Man flirtet so ein Stückchen vor sich hin.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Einen Durchschlag?

HUBER Zwei, bitte. – Sie sehen gar nicht so aus.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Wie?

HUBER Rauchen Sie?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Danke. – Wie seh’ ich nicht aus?

HUBER lächelnd nach einer Prüfpause Fremdsprachen?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Englisch und Französisch, was man so braucht.

HUBER Oberschule?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Kindermädchen. Ein Jahr England, ein Jahr Paris.

HUBER genüsslich Und? Wie war Paris?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN spannt den Bogen ein Was soll ich für Sie tippen?

HUBER Warten Sie doch mal. – Ich muss heute Abend einen Franzosen treffen. Könnten Sie dolmetschen?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN lächelnd nach einer Prüfung Nur so – oder so?

HUBER Schade.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Bestimmt nicht schade. So ein Abend kann ja schließlich ziemlich lange dauern – unter Umständen.

HUBER Unter Umständen. Abgemacht?

Schreibabteilmädchen Sie wollten mir diktieren.

HUBER Das hat ja Zeit. – Wieso heißen Sie eigentlich Kalweit? Meine Familie ist nämlich auch aus Ostpreußen.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Keine Ahnung. Ich war damals noch ein Kind.

HUBER Aber Heimat bleibt schließlich Heimat.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Wenn man Spaß hat am Leben, kann man leben, wo man will.

HUBER Dann würden Sie wahrscheinlich nicht tagaus, tagein hier im Zug fahren.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Der Zug ist nicht schlecht. Bloß – also ich kann Sie ja mal auslassen – die meisten Fahrgäste sind ziemlich blöd.

HUBER Wirtschaftswunderburschen, was?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Nein, warum, ich finde viel Geld gar nicht übel, nur – nein, wieso eigentlich? Sie haben doch wahrscheinlich auch ziemlich viel?

HUBER Mäßig.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Und warum nicht?

HUBER Es gibt wichtigere Dinge.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Sagen Sie das, weil Sie ans Geld nicht so richtig rangekommen sind?

HUBER Nein, ganz im Ernst, es gibt Wichtigeres.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Zum Beispiel?

HUBER Menschen.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Klingt ganz schön. So’n Mensch ist was Schönes. Aber ohne Geld ist er was ziemlich Unwichtiges. Ohne Geld muss er tun, was andere wollen.

HUBER Kennen Sie einen, der selber was will?

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Stimmt. Alles Gesichter wie’n Mund voll Tempotaschentücher.

HUBER Was kann einer schon wollen? Das meiste kommt von ­allein.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Von allein? Von wo ist das?

HUBER Sie sind ziemlich neugierig.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Immer. Sie nicht?

HUBER Doch. Auf Sie.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Das bisschen Neugier kann man ganz gut im Kino loswerden.

HUBER Sie sind sehr bescheiden.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN Gar nicht. Aber ich möchte Ihnen Unkosten ersparen. – Schreiben wir jetzt einen Brief?

HUBER Sie haben übrigens schöne Augen.

SCHREIBABTEILMÄDCHEN An? …

Bar

Auf dem Bar-Plattenspieler kreist eine Platte. Fuchs hört, rauchend und trinkend, der Musik zu, das Barmädchen betrachtet Fuchsens magnum-Heft.

BARMÄDCHEN Toll.

FUCHS Was? Die Bilder oder die Platte?

BARMÄDCHEN Die Bilder. Sind doch toll gemacht.

FUCHS Jeden Tag tolle Bilder.

BARMÄDCHEN Sind Sie vom Film?

FUCHS Nee. Funk. Toningenieur. – Interesse für Fotografie?

BARMÄDCHEN Toll.

Die Platte läuft aus.

FUCHS Haben Sie noch andere Platten?

Eine neue Platte wird aufgelegt.

FUCHS Toll.

Fahrgastraum

Bei Hansen und Hartmann. Hansen liest seinen Krimi, Hartmann hat eine Zigarette aus der Packung genommen und sucht nach Feuer.

HARTMANN Hätten Sie vielleicht ein Streichholz?

Hansen stellt sich höflich und exakt vor Hartmann auf und gibt ihm Feuer.

HARTMANN Aber ich bitte Sie, behalten Sie doch Platz. – Warum haben Sie sich nicht ans Fenster gesetzt?

HANSEN Man kann hier nicht irgendeinen Platz nehmen, soviel ich weiß …

HARTMANN lächelnd Ordnung muss sein. – Luftwaffe?

HANSEN Panzer, jawohl.

HARTMANN Wollen Offizier werden?

HANSEN Jawohl. Aktiv.

HARTMANN Interessant. – Ich war auch mal Panzermann. Damals. In Russland. Man lernt denken dabei. – Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen.

HANSEN Jawohl.

HARTMANN Sie müssen sehr vernünftige Eltern haben. Ich meine, dass Sie als junger Mann heute den Mut haben zu diesem Beruf …

Huber kommt zurück und verstaut seine Kollegmappe wieder in der Aktentasche. Friede im Abteil.

Schreibabteil

Ein Telefonlämpchen leuchtet auf und zeigt an, dass ein Gespräch in der Leitung ist. Das Schreibabteilmädchen nimmt den Hörer ab.

DURCHSAGE ÜBER TELEFONHÖRER UND LAUTSPRECHER mit starken Störungen, bruchstückhaft Aktion Friedenskrieg vierhundertzwo – Achtung! Aktion Friedenskrieg vierhundertzwo – Auftrieb gleichbleibend und billig und recht und heilsam –

Erst jetzt fällt dem Schreibabteilmädchen auf, dass die Durchsage nicht nur durch den Telefonhörer, sondern auch durch den Lautsprecher zu hören ist.

DURCHSAGE Punktzeit null vierundfünfzig – er selbst aus der Höhe – Marktpreise heilsam – strahlend die mit den roten Streifen –

Das Mädchen verlässt vorsichtig das Schreibabteil und bleibt im Gang stehen.

DURCHSAGE Angst vormerken – Auftrieb bei gleichbleibender Tendenz – Alternative aufzwingen – kleineres Übel auf Wunsch – Sicherheit gleich Tarnung –

Dann betritt es den Fahrgastraum und bleibt einen Augenblick stehen. Im Abteil herrscht immer noch Friede. Aber man beginnt, der Durchsage zuzuhören.

DURCHSAGE Auftrieb Sicherheit zuerst – Sicherheitsabstand und Schlagbolzenfederlänge überprüfen durch Anschießen –

Das Mädchen durchquert den Fahrgastraum und anschließend die Bar, ohne sich aufzuhalten. Das Barmädchen und Fuchs sehen ihm erstaunt nach.

DURCHSAGE Strahlend die mit den roten Streifen – bedenkenlos Punktzeit null fünf vier –

Im Restaurant stehen der Oberkellner und die beiden Zugstewardessen. Sie hören mit geringem Interesse zu. Das Mädchen geht weiter zur Küche.

DURCHSAGE Entscheidende Wirkung erzielen – hochloben Heerscharen Instrument Truppe zuerst aus der Höhe –

Das Mädchen steckt den Kopf durch die schmale Küchentür. Der Koch hebt nur die Schultern und hört dann weiter der Durchsage zu.

DURCHSAGE Punktzeit keine Experimente – mit allen Mitteln Aktion Punktzeit null vierundfünfzig – Sicherheit gleich Tarnung –

Fahrgastraum

Köhler blinzelt schläfrig vor sich hin. Herr von Aasenstein sitzt vornehm und starr mit geschlossenen Augen. Frau von Aasenstein beugt sich zu ihm.

DURCHSAGE Tarnung gleich Sicherheit – Preise gleichbleibend –

FRAU VON AASENSTEIN Arnulf! Was heißt das: »Halsschlagader anschießen«?

HARTMANN macht eine heftige Bewegung Pssssst!

DURCHSAGE Angst vormerken – Achtung! Friedenskrieg vierhundertzwo –

Für einige Augenblicke nur Störungen.

FRAU STEINHOFF »Vierhundertzwo« – das sind wir.

HARTMANN Was heißt »wir«?

HUBER Was wollen Sie damit sagen?

Hartmann und Huber lächeln sich verständnisvoll an. Nur keine Panikmache.

STEINHOFF Psssst!

DURCHSAGE Punktzeit null vierundfünfzig –

Das Mädchen läuft eilig vorbei und verschwindet durch die Ausgangstür in Richtung Schreibabteil.

Schreibabteil

Der Telefonhörer, so, wie ihn das Schreibabteilmädchen, als es hinauslief, hingelegt hatte.

DURCHSAGE Zeit zwanzig null drei – bleibt Differenz zwei null eins – Ende.

Nur noch die Störungen sind zu hören.

Die Hand des Schreibabteilmädchens legt den Hörer auf.

Stille.

Das Mädchen bleibt still stehen und überlegt.

Bar

Fuchs steht unter dem Lautsprecher und horcht hinauf. Als der still bleibt, klopft Fuchs vergnügt gegen das Lautsprecherkästchen und wendet sich zurück zur Bar und klettert wieder auf seinen Hocker.

FUCHS Was haben Sie denn hier plötzlich für eine Welle im Draht? War ja so ziemlich sendereif.

BARMÄDCHEN »Strahlend die mit den roten Streifen« – ist ’ne Zahnpasta.

FUCHS Ich dachte schon Generalstab.

Köhler erscheint und setzt sich auf den Hocker neben Fuchs. Er zeigt auf Fuchs’ Whiskyglas.

KÖHLER zum Barmädchen Auch so was, bitte. Zu Fuchs Was war das eben?

FUCHS Keine Ahnung. Cocteau.

Waschraum

Das Schreibabteilmädchen schaut in den Spiegel und findet sich blass. Es lässt kaltes Wasser über die Hände laufen und trocknet sie wieder ab.