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VERA F. BIRKENBIHL

JUNGEN UND MÄDCHEN: WIE SIE LERNEN

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VERA F. BIRKENBIHL

JUNGEN UND MÄDCHEN: WIE SIE LERNEN

Welche Unterschiede im Lernstil Sie kennen müssen

Mit Lernmodul Lesen und Schreiben

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@mvg-verlag.de

Auf Wunsch der Autorin erscheint der vorliegende Text in der alten Rechtschreibung.

3. Auflage 2022

© 2019 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© 2005 der Originalausgabe bei Droemer Knaur Verlagsgruppe

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die Merkblätter 2 und 3 auf den Seiten 132f. und 134ff. stammen aus: © GABAL Verlag GmbH Offenbach/Birkenbihl, Vera F.: Trotzdem LEHREN, ISBN: 3-89749-419-1.

Das Zitat auf den Seiten 21ff. stammt aus: Donata Elschenbroich, Weltwissen der Siebenjährigen, © Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2001.

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch, München

Umschlagabbildung: Vera F. Birkenbihl


eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7474-0036-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-368-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-369-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Hier geht’s los

100% männlich – 100% weiblich?

Kapitel oder Module?

BUCH oder BUCH-SEMINAR? – Die 7 Schlüsselfragen

Kapitel 1: Lernfenster

Sollen wir Kinder nach Alter sortieren?

Lernfenster Sprache/n

Diverse weitere Lernfenster

Müssen Jungen sich ständig bewegen?

Sitz-Zwang für kleine Jungen

Lernfenster Grob-/Feinmotorik (Überblick)

GROBMOTORIK

FEINMOTORIK

Wie soll es weitergehen?

Kapitel 2: Sind Jungen lernbehindert?

1. Zappelphilipp?

2. Wahrnehmungs-Stile

3. Reden oder handeln?

Eine zweite »Überkreuz«-Entwicklung

4. Anweisungen oder exploratives Lernen?

Zwischenbilanz: entdeckendes Lernen?

5. REGELN befolgen

Zwischenbilanz: die ersten fünf Faktoren …

6. Selbst-Wert-Gefühl: Identifikation

Der Mann als Gruppenwesen: Kooperation & Rivalität

Die Frau als Individuum

7. Selbst-Wert-Gefühl: Lob und Tadel

2 TIPS fürs Klassenzimmer

Praxis-Modul: LESEN und SCHREIBEN

1. LESEN

Kommentare

7 Techniken für besseres Lesen

2. SCHREIBEN

3 Techniken für besseres Schreiben

ABC-Modul

Architektur des Gehirns

Babies werden angeschaut …

Chronologisches Alter

Default-Wert

Er-FOLG

Fragen? (Falls Sie Fragen an mich richten wollen)

Gender-Mainstreaming

Hormone

Intelligenz – ist sie lernbar?

Jeder sollte SchülerIn UND LehrerIn sein

Klangbild: Konsonanten-Experiment

Lesen oder hören?

Meisterschaft

Normal

Optionen

Pairing

Quo vadis?

Reife: Wann werden Ratten männlich oder weiblich?

Selbstwertgefühl von SchülerInnen

TURNER-Syndrom

Ungleich oder gleich?

Vorgeburtliche Entwicklung

Wenn aus Jungen Mädchen werden

XX oder XY? Oder: Gibt es mehr männliche Genies?

Y-Chromosom

Ziel

Anhang

Merkblatt 1: Auflösung des WQS

Merkblatt 2: WQS – Wissens-Quiz-Spiel-Technik

Hinweise

Merkblatt 3: Anlegen von Wissens-ABC.s & KaWa.s ©

Experiment 1: Das ABC-Spiel

Experiment 2: Das KaWa-Namens-Spiel

ABC-Listen und WORT-Bilder (= KaWa.s)

Literaturverzeichnis

Hier geht’s los

Beginnen wir mit einer Frage: Haben Sie schon einmal ein Birkenbihl-Buch gelesen? Bei JA (willkommen, wieder mal) kennen Sie mein Kern-Thema. Neue LeserInnen (schön, daß Sie zum erstenmal dabei sind) sollten wissen: Es ist die Art, wie unser Gehirn »funktioniert«, wenn wir denken, lernen, lehren, Probleme lösen etc.

Manche fragten im Vorfeld, wie man von der Arbeitsweise des Gehirns zum Thema »männlich/weiblich« kommt. Antwort: Die Thematik »Männer/Frauen« begann mich im Sommer 1991 zu faszinieren, denn damals zeigten diverse Studien, wie dramatisch die Unterschiede der männlichen bzw. weiblichen Architektur des Gehirns sein können und daß viele dieser Unterschiede sich auch in der Tierwelt manifestieren (z.B. die männliche Art, sich über »Karten im Kopf« zu orientieren, während weibliche Wesen sich durch »Orientierungspunkte im Gebiet« leiten lassen).

Genauso spannend war die Tatsache, daß einige dieser Differenzen sich bereits so früh manifestieren, daß man sie nicht länger als Ergebnisse von Erziehungsprozessen wegreden konnte. So lassen sich die Reaktionen von Neugeborenen in den ersten Tagen so glasklar unterscheiden, daß unabhängige BeobachterInnen, die Video-Aufzeichnungen analysierten, zu denselben Ergebnissen kamen (egal wie vermummt oder »verkleidet« die Babies waren) und eindeutig jedes Baby korrekt als Junge oder Mädchen identifizieren konnten. Zeigen wir neuen Erdenbürgern beispielsweise lebensgroße Fotos von Köpfen im Abstand von ca. 30 cm (das ist die Entfernung, in der das Gesicht der Person im Blickfeld erscheint, in deren Arm man liegt), dann erkennen Jungen bekannte Personen (Mutter, Vater) erst viele Monate später als Mädchen. Schon nach einigen Stunden oder Tagen auf dieser Welt lauschen Mädchen doppelt so lange aufmerksam, wenn sie Menschenstimmen hören, als kleine Buben. Ebenso halten sie fasziniert mindestens doppelt so lange Augenkontakt, während Jungen sehr schnell beginnen, herumzublicken, ob es nicht etwas Spannenderes zu entdecken gibt. Auch beim Abschied von der Mutti am Gartentor zum Kindergarten gibt es dramatische Unterschiede bei 3- bis 4jährigen Kindern: Jungen rennen los, sobald die Mutti es zuläßt. Sie stürzen sich sofort ins Geschehen mit den (männlichen) Spielkameraden, die Mutti ist bereits vergessen (statistische Dauer des Abschieds: 30 Sekunden), während Mädchen für ihren Abschied dreimal so lange benötigen und sich auf dem Weg durch den Garten ständig umdrehen, sehnsüchtige Blicke auf die Mutti werfen und winken. Versuchen Mütter hingegen, ihren kleinen Jungen zum »Winke-Winke« zu animieren, werden sie regelmäßig enttäuscht – das ist eben nicht sein Stil …

Solche und andere Unterschiede tauchten Anfang der 1990-er Jahre weltweit in unabhängigen Studien auf (vgl. Literaturverzeichnis, Seite 140f.). Zu diesem Zeitpunkt war eine »kritische Masse« in der Fachpresse erreicht, ab welcher ein Thema förmlich »explodiert«. Deshalb wurden in den nächsten Jahren diverse populäre Bücher veröffentlicht, leider auch von Wissenschaftlern, die ihre Quellen gern verschweigen1, bis hin zu beliebten Kabarett-Programmen, in denen nur lacht, wer sich betroffen fühlt!

Zwar stieg auch ich zunächst in das Thema »Männer/Frauen« ein, aber als ich 2002 an der TU München einen Live-Vortrag hierzu hielt (inzwischen auf DVD erhältlich, s. Literaturverzeichnis, Seite 140f.) wurden sowohl in der Diskussion am Ende des Vortrags als auch hinterher im kleinen Kreis so viele Fragen zum Thema Jungen und Mädchen und wie sie lernen gestellt, daß ich diesen Aspekt in mein Kern-Thema (des gehirn-gerechten Vorgehens) integrieren mußte. Das Ergebnis ist dieses Buch. Aber bevor wir einsteigen, noch ein wichtiger Punkt:

100% männlich – 100% weiblich?

Natürlich sind wir uns darüber klar: Niemand ist 100% »männlich« oder »weiblich«, auch Kinder nicht. Wir sollten uns eher ein Spektrum vorstellen, mit »männlich« am einen Ende und »weiblich« am anderen.

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Jeder von uns »sitzt« in hunderten von Einzel-Aspekten jeweils an einem spezifischen Punkt auf dieser Geraden. So denke ich z.B. im Bereich Logik eher »männlich«, kann aber genauso emotional (»zickig«) reagieren, wie man es eher bei Frauen erwartet, während Männer eher dazu neigen, sich davonzumachen, wenn sie emotional nicht klarkommen.

Trotzdem gibt es im Einzelfall natürlich auch »zickige« Männer (die man dann natürlich nicht so nennt) und Frauen, die im Zweifelsfall ein Gespräch lieber vermeiden. Statistisch werden aber Frauen eher reden (und »meckern«) und Männer eher »fliehen«, wenn sie »sauer« sind.

So erkennt jeder Mensch an sich AUCH Aspekte, die eigentlich dem anderen Geschlecht zugeordnet werden. In der Gesamtheit würde man sich jedoch – gemäß der Häufung von Punkten an bestimmten Stellen auf der Geraden (und das kann von ziemlich männlich bis ziemlich weiblich überall sein) – als eher männlich oder weiblich einstufen.

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Also gelten manche Dinge in diesem Buch bedingt. Sie müssen im Einzelfall entscheiden, an welches Kind Sie gerade denken. Manch ein »femininer« Junge wird sich in bestimmten Aspekten (z.B. beim Bewegungsdrang) möglicherweise eher weniger typisch »männlich« verhalten, wiewohl dasselbe Kind in bezug auf sein Sozialverhalten ausgesprochen »männlich« sein kann und sich in Gruppen mit anderen um die Hackordnung RANGelt (um seinen Rang zu bestimmen).

Sehr zum Leidwesen der Mutter, die lieber einen »braven« Jungen hätte und die Nachbarin beneidet, deren Junge gerade in diesem Aspekt »brav« ist, wiewohl der eigene Junge vielleicht in einem anderen Aspekt um Welten »besser« ist als jener. Natürlich stecken hinter Bewertungen wie »gutes Benehmen« etc. immer Werturteile, so daß ich diese Aspekte fast völlig ausklammern werde. In diesem Buch geht es um die Entwicklung von Jungen und Mädchen und darum, inwieweit wir als Erwachsene diese Entwicklung fördern oder verhindern. Soviel sei vorweggenommen: Egal was gewisse Politiker und politische Agiteure Ihnen einreden wollen – Jungen und Mädchen sind nicht nur NICHT GLEICH, sie sind sogar weit UNGLEICHER, als man uns seit 1930 in zunehmendem Maße einzureden versucht. Diese Entwicklung ist gefährlich, und wir sehen, daß jedes Jahr mehr Jungen in der Schule versagen, immer weniger die Schule oder qualifizierte Abschlüsse schaffen, insbesondere inzwischen weniger Jungen Abitur machen bzw. studieren etc. Mädchen haben nicht nur aufgeholt, weil man ihnen mehr Bildungs-Chancen geboten hat, sondern weil die ersten 4 Schuljahre oft wesentlich leichter für Mädchen als für Jungen sein können (wir gehen hierauf noch ausführlich ein). Hier werden so manche spätere Männerschicksale besiegelt – warum, das werden wir noch sehen. Wir haben lange genug daran gearbeitet, die Frauen zu emanzipieren, und wir müssen dafür sorgen, daß diese Entwicklung anhält, aber wir müssen uns auch fragen, ob wir dabei einen Teil der Männerwelt (unbeabsichtigt?) geopfert haben, und zwar den, der sich am wenigsten wehren kann, den der kleinen Jungen.

Kapitel oder Module?

Wer meine Bücher kennt, weiß, daß wir die beiden Bezeichnungen nebeneinander verwenden. Viele meiner Bücher sind ausgesprochen modular (in beliebiger Reihenfolge zu lesen), dieses Buch aber enthält sowohl Module als auch Kapitel. Mein Vorschlag deshalb:

Lesen Sie diese Einführung und die beiden folgenden Kapitel in der vorgegebenen Reihenfolge. Ihnen folgen zwei Module: Im ABC-Modul finden Sie viele einzelne Informationen, von denen manche aus den Kapiteln »ausgelagert« wurden, weil sie den Haupttext zu sehr vertieft hätten – wer will, kann im ABC-Modul mehr erfahren. Andere Abschnitte waren zu kurz, um ein eigenes Kapitel zu rechtfertigen, sollten aber unbedingt ins Buch. Dieses Modul können Sie gerne vorab oder zwischendurch lesen (eben modular). Dasselbe gilt für das PRAXIS-Modul: Es bietet konkrete Hilfestellungen für den Alltag, teilweise fürs Klassenzimmer, aber auch für zu Hause. Ich finde es wichtig, daß sowohl Eltern als auch Lehrkräfte bald über dieselben Informationen verfügen (was in der Vergangenheit oft nicht der Fall war). Nur so können sie sich GEMEINSAM optimal um die Kinder kümmern. Deshalb wendet sich dieses Buch an beide Gruppen.

Als es darum ging, welche konkreten TECHNIKEN das Praxis-Modul enthalten sollte, mußte ich natürlich berücksichtigen, daß ich in anderen Büchern und auf der DVD meiner TV-Serie (Kopf-Spiele) bereits zahlreiche konkrete Techniken (zu diversen Denk- und Lernthemen) anbiete. Deshalb wählte ich für das vorliegende Buch einen Schwerpunkt, der bisher noch zu kurz gekommen war und der besonders bei Kindern wichtig ist (ganz besonders für Jungen!), nämlich LESEN und SCHREIBEN. Auch hier können Sie gerne sofort herumschmökern (wenngleich die Techniken auf den in den Grundlagen-Kapiteln entwickelten Einsichten basieren).

Übrigens baten einige »alte« LeserInnen im Vorfeld um Hinweise, welche anderen Birkenbihl-Werke an einen Aspekt direkt anschließen. Ich werde deshalb hier und da in Fußnoten Verweise geben, wenn es sich um direkte Verbindungen handelt (besonders interessant, wenn man den Titel schon besitzt).

BUCH oder BUCH-SEMINAR? – Die 7 Schlüsselfragen

Wenn Sie ab Seite 13 alle Fragen beantworten (Schreibzeug griffbereit halten) und aktiv mitdenken, dann kann dieses Werk ein regelrechtes Buch-Seminar für Sie werden. Vielleicht möchten Sie es auch mit anderen gemeinsam lesen. Früher wurden Bücher prinzipiell laut vorgelesen und kapitelweise diskutiert. Diese Art des Lesens ist bei uns in Vergessenheit geraten, wer es jedoch einmal probiert, wird erstaunt sein, was es uns bringen kann.

Aber auch wenn Sie ganz alleine lesen, kann dieses Buch zu einem »Seminar« für Sie werden; deshalb steigen wir sofort mit zwei Denk-Techniken ein. Diese Kopf-Spiele© (vgl. meine gleichnamige TV-Serie) erleichtern die Denk-Arbeit, egal ob wir lernen, lehren oder Probleme lösen wollen. Im konkreten Fall helfen die beiden ausgewählten Kopf-Spiele Ihnen sowohl dabei, sich schnell einen ersten Überblick zu verschaffen, als auch beim Lesen selbst. Wenn Sie die sieben Fragen kennen, um die es sich handeln wird, sind Sie »vorgepolt«. Außerdem kann man jederzeit wieder auf das Wort-Bild2 (Seite 14/15) sehen, um sich (erneut) zu orientieren. Ob man Info HÖREN will (oder soll), z.B. einen Vortrag, Unterricht, eine TV-Doku etc., oder ob man LIEST: Mit diesen beiden Kopf-Spielen stellt man oft mit Erstaunen fest, daß man weit mehr als sonst behalten hat, ohne im herkömmlichen Sinn des Wortes irgend etwas »gelernt« zu haben.

Für den Vortrag zu diesem Buch-Thema wählte ich als Einstieg das folgende WORT-BILD (Seite 14/15). Dabei schrieb ich den zentralen Schüsselbegriff (LERNEN) auf und assoziierte dann zu den einzelnen Buchstaben weitere Schüsselbegriffe, zu denen ich die Fragen formulierte. Diese bilden die Grundlage für das Wissens-Quiz-Spiel© (WQS) (das zweite Kopf-Spiel). Wer mit der Technik der WQS bereits vertraut ist, lese bitte gleich hier weiter. Andernfalls können Sie zuerst kurz in Merkblatt Nr. 2 (Seite 132f.) springen.

Das folgende WQS bereitet Sie auf einige der Fakten vor, die erfahrungsgemäß beim Coaching von Lehrkräften bzw. von Eltern am meisten Überraschung auslösen. Wagen Sie ruhig, im Zweifelsfall in die »falsche« Richtung zu RATEN, wenn Sie unsicher sind. Denken Sie immer daran: Es ist ja nur ein Spiel, spielen Sie mit den Ideen! Es kann übrigens spannend sein, die Fragen auch mit anderen Personen zu spielen, insbesondere wenn Sie das Buch zum »Seminar« machen wollen. Die Auflösung finden Sie im Merkblatt 1, Seite 129ff.

1. E: Erster Sinn das Auge?

Man sagt gemeinhin, der Mensch sei ein »Augentier«. Stimmt das eigentlich?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

Zusatzfrage: Sollte die Tatsache Auswirkungen auf das haben, was wir im Schulunterricht machen?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

2. L: Lese- und Schreib-Probleme

Warum sind die meisten Kinder mit Lese- und Schreibproblemen Jungen? Ihre Vermutung: ___________________

 

 

 

Zusatzfrage: Ist Legasthenie eine Krankheit?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

3. R: Reife

Es wird behauptet, Mädchen seien den Jungen reifemäßig voraus. Ist das wirklich so?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

4. R: Reihenfolge der LERNFENSTER

Wenn wir Kinder über längere Zeiträume beobachten, dann stellen wir fest, daß es gewisse Phasen gibt, in denen sie sich auf bestimmte Dinge stürzen und diese tage- oder wochenlang angehen. Mal kippen sie Sand (Mehl, Zucker, Wasser etc.) von einem Gefäß in das andere, mal sind es Schnüre und Knoten …3

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Das heißt: Wenn das Gehirn für bestimmte Entwicklungen REIF ist, öffnet sich ein LERNFENSTER für diese Art von Aufgaben. Manche Entwicklungen können später noch nachgeholt werden, manche nicht, z.B. SPRACHE: Wer bis zum Alter von ca. 9 Jahren keine Gelegenheit hatte, Sprach-Kompetenz zu erwerben, wird zwar rudimentär kommunizieren lernen, die Sprache aber nie mehr wirklich beherrschen, d.h. niemals differenziert (sprachlich) denken können.4

Frage: Verläuft die REIHENFOLGE der Lernfenster bei Jungen und Mädchen gleich?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

5. N: Norm durch Altersangabe?

Wir »sortieren« die Kinder nach Alter und stecken alle 7jährigen in dieselbe Klasse (oder versuchen es zumindest). Dabei gilt die Annahme, daß Kinder in einem bestimmten Alter bestimmte Dinge (lernen) können. Schafft ein Kind das nicht, dann hält man es für »langsam« oder gar »behindert«. Frage: Ist diese Einteilung nach Alter optimal, wenn wir unseren Kindern die bestmögliche Ausbildung angedeihen lassen wollen?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

6. E: Ent-DECK-en (= explorativer, forschender Stil zu lehren und/oder zu lernen)

Ist dies wirklich der beste Stil für alle betroffenen LernerInnen (d.h. für Männer, Frauen, Jungen und Mädchen)?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

7. N: Neurologische Notwendigkeit für Bewegung?

Viele Lehrkräfte klagen über unruhige Kinder, die den Unterricht stören. Frage: Gibt es eine neurologische Notwendigkeit für Bewegung? Das heißt: Ist Bewegung für die Entwicklung des Gehirns und der Lernfähigkeit unabdinglich?

❑ ja ❑ nein ❑ bin nicht sicher

Zusatzfrage: Warum sind ca. 95% aller hyperaktiven Kinder Jungen? Ihre Vermutung: ___________________

 

 

 

So, jetzt wünsche ich Ihnen viel Entdeckerfreude (Sie wissen: wenn wir den DECK-el heben und in vorher verschlossene Dinge hineinsehen).

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Vera F. Birkenbihl

www.vera-birkenbihl.de

Kapitel 1: Lernfenster

Sollen wir Kinder nach Alter sortieren?

Da Mädchen erwiesenermaßen im Schnitt ca. 2 Jahre reifer sind (vgl. Chronologisches Alter, Seite 93f.), verschieben sie den Maßstab, mit dem alle Kinder gemessen werden, zum Nachteil ihrer männlichen Schulkameraden. Wir sprechen hier von Fertigkeiten, Handlungs-Kompetenzen (nicht von Wissen), also z.B. davon, ob ein Kind Rechenoperationen im Zahlenraum 1 bis 20 beherrschen muß. Da sowohl Schulbücher als auch das meiste Lese- und Lernspiel-Material für Kinder nach Alter bzw. Schulklasse eingestuft wird, hat sich bei uns der Eindruck entwickelt, diese Einteilung sei richtig oder sogar wissenschaftlich fundiert. Tatsache ist: Das Gegenteil ist richtig. Zwar haben neue Forschungsarbeiten es inzwischen ebenfalls festgestellt, aber genaugenommen wissen wir es schon seit über 100 Jahren: Maria MONTESSORI (Italien) und Alfred BINET (Frankreich) fanden beide Anfang des 20. Jahrhunderts heraus, daß der Altersunterschied bei den Kindern im Schnitt »plus/minus 2 Jahre«5 gerechnet werden muß.

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Wenn wir sagen, ein Kind im Alter von 7 Jahren sollte etwas beherrschen, dann erwerben manche Kinder diese Fähigkeit tatsächlich mit 7, manche aber schon mit 6 oder 5, andere mit 8 oder 9 Jahren; also umfaßt die Formel »plus/minus 2« eine Spanne von ca. 5 Jahren (es kann in Einzelfällen sogar auf »plus/minus 31/2« hinauslaufen). Früher wußte man das, in sogenannten Zwergenschulen auf dem Land wußte jede Lehrkraft, daß das eine Kind mit 7 schon recht gut lesen konnte, ein anderes erst mit 11; aber später als Teenager lasen sie beide ausgezeichnet.

MONTESSORI und BINET lernten durch jahrelange Beobachtung, wie unterschiedlich und individuell begabt Kinder sind. Deshalb kann man sie nicht alle gleichzeitig in denselben Techniken oder Fertigkeiten im selben Tempo und in derselben Weise unterrichten. Darum betonte BINET, der Erfinder eines Tests, der die Fähigkeit mißt, im normalen Schulbetrieb mitzukommen:

Die Ergebnisse dürfen keinesfalls an das chronologische Alter der Kinder gebunden werden.

Trotzdem verknüpfte WECHSLER in den USA die Testergebnisse eindeutig mit dem Alter der Testpersonen, und das ist bis heute beim sogenannten IQ nach BINETWECHSLERBINET