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Für Camilo, Emiliano, Manuel und Nina

Stefan Hofer-Krucker Valderrama, Rémy Kauffmann

Neue Medien – neuer Unterricht

Das Praxishandbuch

ISBN Print: 978-3-0355-1487-2

ISBN E-Book: 978-3-0355-1488-9

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

 

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Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:

http://mehr.hep-verlag.com/neue-medien

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1: Nutzen und Mehrwert digitaler Medien im Unterricht

1.1 Besserer Unterricht dank digitaler Medien?

1.2 Kompetenzen für das 21. Jahrhundert

Kapitel 2: Unterrichtsszenarien

2.1 Informationen suchen und bewerten

2.1.1 Informationsbedarf wahrnehmen

2.1.2 Effizient suchen und Relevantes finden

2.1.3 Suchergebnisse bewerten

2.2 Wissen aufbauen und strukturieren

2.2.1 Motivierendes und variantenreiches Üben

2.2.2 Wissen gezielt strukturieren und vernetzen

2.2.3 Präsentationen korrigieren und verbessern

2.3 Netzressourcen nutzen

2.3.1 Wikipedia-Einträge analysieren

2.3.2 Wikipedia-Einträge editieren

2.3.3 Wikipedia-Einträge verfassen

2.4 Präsentieren, zeigen, demonstrieren

2.4.1 Aktivierend präsentieren

2.4.2 Präsentationssituation verändern

2.5 Kommunizieren und diskutieren

2.5.1 Alle zu Wort kommen lassen

2.5.2 Argumentieren und überzeugen

2.5.3 Über Kommunikation sprechen

2.6 Mit Texten arbeiten

2.6.1 Texte verstehen

2.6.2 Texte analysieren

2.6.3 Texte umwandeln

2.6.4 Texte kreativ bearbeiten

2.7 Mit Bildern arbeiten

2.7.1 Bilder analysieren

2.7.2 Bilder editieren

2.7.3 Bilder herstellen

2.8 Mit Filmen arbeiten

2.8.1 Filme analysieren

2.8.2 Filme editieren

2.8.3 Lernressource Film

2.8.4 Filme herstellen

2.9 Texte verfassen

2.9.1 Realitätsnah schreiben

2.9.2 Prozessorientiert schreiben

2.9.3 Gemeinsam schreiben

2.9.4 Texte online publizieren

Intermezzo:

Die Sicht der Schüler*innen

Erkenntnisse der Lehr- und Lernforschung

Kapitel 3: Produkte herstellen

3.1 Mögliches Vorgehen

3.1.1 Basiswissen erarbeiten

3.1.2 Gemeinsam Ideen generieren

3.1.3 Projekte definieren und vorbesprechen

3.1.4 Produkte erarbeiten

3.1.5 Produkte als Lernressource nutzen

3.2 Produktorientiertes Arbeiten: Medientransfer

3.3 Produktorientiertes Arbeiten: Interessegeleitete Themenwahl

3.4 Diskussion

Kapitel 4: Neue Medien – neuer Unterricht

5 Anhang

5.1 Liste der erwähnten Tools

5.2 Tipps und Tricks

5.3 Literatur

5.4 Verzeichnis aller Szenarien

5.5 Anmerkungen

Einleitung

«Digitalisierung» ist derzeit das Schlüsselwort in der Gesellschaft. Es bezeichnet die tiefgreifenden Veränderungen, die die Gesellschaft seit einigen Jahren in all ihren Bereichen erfassen und die sich aus der Entwicklung und dem Einsatz der neusten digitalen Technologien ergeben. Gefordert ist ein adäquater Umgang mit diesen Veränderungen. Die Schule rückt hierbei besonders stark in den Fokus: Denn die Schüler*innen von heute sollen dereinst die Gesellschaft weiterentwickeln und Probleme lösen, die sich jetzt schon abzeichnen. Entsprechend groß sind daher die Erwartungen an den Bildungssektor, die betreffende Vorbereitungsarbeit zu leisten.

Trotz hoher gesellschaftlicher Erwartungen sind die Maßnahmen, die bisher an Schulen ergriffen werden, überschaubar. Es fällt der Schule offensichtlich schwer, sich auf diese neusten gesellschaftlichen Entwicklungen einzulassen. Doch woher rühren diese Schwierigkeiten? Folgende Gründe sind zu nennen:

Digitalisierung wird in der Gesellschaft gemeinhin als technologische Entwicklung verstanden. Mit Blick auf die Schule sind hier in erster Linie digitale Geräte und Medien zu nennen, die im Unterricht eingesetzt werden können. In diesem Bereich hinkt die Schule der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher; vielerorts fehlt es noch an verlässlicher technologischer Infrastruktur. Dazu wird Digitalisierung an der Schule oft allein als technologische Entwicklung missverstanden; dabei wird vergessen, dass eine Begleitung durch sinnvolle pädagogisch-didaktische Konzepte zentral ist. Denn die Lernforschung sagt, dass die Lernwirksamkeit digitaler Unterrichtsszenarien sehr stark von der jeweiligen Umsetzung und Einbettung abhängt. Bisher fehlen solche Konzepte aber weitgehend; und vor allem fehlen auch konkrete und gut handhabbare Beispiele, die den Lehrkräften die Arbeit erleichtern würden. Die Anforderungen, die im Zeichen der Digitalisierung auf die Schulen und die einzelnen Lehrkräfte zukommen, werden daher von den Lehrkräften als diffus wahrgenommen. Was genau «digitaler Unterricht» bedeutet und wie viel Digitalisierung des Unterrichts sinnvoll ist, bleibt offen. Folge davon ist, dass die Lehrkräfte gar nicht genau wissen, wo sie ansetzen und was und wie viel sie tun sollen.

Das ist daher fatal, weil die Digitalisierung kein Oberflächenphänomen ist, vielmehr in alle Bereiche des Lehrberufs und in alle Bereiche schulischer Lehr- und Lernprozesse eingreift – mit massiven Auswirkungen auf das System Schule. Das zeigt sich etwa am Thema «Prüfungen»: Weiterhin werden Prüfungen zumeist handschriftlich in einer oder mehreren Lektionen und ohne Einbezug digitaler Medien durchgeführt; und auch der abgefragte Stoff gleicht dem, der vor Jahren schon geprüft wurde. Das digitale Zeitalter scheint in dieser Hinsicht also noch nicht in der Schule angekommen zu sein. Doch angesichts der Tatsache, dass mittlerweile unendlich viel Wissen jederzeit über das Netz abgerufen werden kann, ist ganz grundsätzlich zu fragen, welches Wissen bzw. welche Kompetenzen Lehrpersonen den Schüler*innen heute und in näherer Zukunft vermitteln und dann auch prüfen sollen, damit diese gut auf die Herausforderungen in der Gesellschaft vorbereitet sind.

Die einfache Verfügbarkeit von Wissen hat auch Auswirkungen auf das Selbstbild der Lehrkräfte, das durch die Digitalisierung stark herausgefordert wird. Die veränderte gesellschaftliche Organisation von Wissen führt einerseits zumindest potenziell zu einem Autoritätsverlust der Lehrkräfte und zu neuen Interaktionsmustern zwischen Lehrenden und Lernenden wie Coaching und dialogischem Lernen. Andererseits kann der Entscheid von Lehrkräften, digitale Medien im Unterricht einzusetzen oder nicht, weitreichende Konsequenzen haben. Denn es geht letztlich darum, ob man als eine moderne und zeitgemäße Lehrkraft wahrgenommen wird oder nicht. Mit gutem Grund reagieren Lehrkräfte daher oft sehr emotional auf Fragen der Digitalisierung: Denn diese Fragen berühren ihre berufliche Identität in tiefgreifender Weise. Daraus erklärt sich die sehr ambivalente Haltung vieler Lehrkräfte gegenüber dieser gesellschaftlichen Entwicklung.

Schließlich mangelt es der Schule an einer fehlerfreundlichen Lehr- und Lernkultur und grundsätzlich an einer experimentellen Haltung neuen Entwicklungen gegenüber. Diese wären für den Einsatz von digitalen Medien aber zentral. Denn es ist naheliegend, dass der Einbau von digitalen Medien nicht reibungslos ablaufen wird, dass da und dort Probleme auftreten können; diese gilt es auszuhalten und Erfahrungen damit und Erkenntnisse daraus für die Entwicklung der weiteren Lehr- und Lernszenarien zu nutzen. Die Angst vor Kontrollverlust oder die Angst, sich angesichts eines ungewohnten Szenarios vor den Schüler*innen zu blamieren, müssen Lehrkräfte handhaben und aushalten können.

Aus den genannten Gründen löst die Digitalisierung des Bildungsbereichs bei vielen Lehrkräften ungute Gefühle aus und wirkt als Stressfaktor. Denn als gleichsam totalitäres Schlagwort evoziert die Digitalisierung tiefgreifende Veränderungen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen und also auch die Schule und die Lehrkräfte umfassend herausfordern; gleichzeitig ist vielen Lehrkräfte unklar, wie sie mit dieser Herausforderung umgehen sollen, weil Handlungsanleitungen fehlen.

Ziel dieses Buches

Hier möchte das vorliegende Buch ansetzen. Zum einen wollen wir darin konkrete Ideen und Anregungen vermitteln und Mut machen, sich auf die Digitalisierung an der Schule wirklich einzulassen. Die Grundfrage lautet: Wie kann ich die neuen digitalen Möglichkeiten nutzen, um den Bildungsprozess ganzheitlich zu fördern und die Schüler*innen auf eine digitale Ausbildungs- und Berufswelt vorzubereiten? Es geht also nicht in erster Linie um Tools und Applikationen, sondern um Ideen und didaktischen Szenarien, die mit ihrer Hilfe umgesetzt werden können. Wir haben daher einen pragmatischen Ansatz gewählt, der weitgehend auf theoretische und konzeptionelle Ausführungen verzichtet; und wir konzentrieren uns auf alltagstaugliche und einfach umsetzbare Ideen und Anregungen in Form von Szenarien, die sich in unserem Unterricht bewährt haben.

Zum andern soll dieses Buch dazu ermuntern, die Digitalisierung nicht als Bedrohung, sondern als Möglichkeit wahrzunehmen, die eigenen Unterrichtsroutinen zu überdenken, das Wagnis einzugehen, unkonventionelle Formen auszuprobieren und zu experimentieren, den Schüler*innen mehr Freiraum zu geben und als Lehrkraft neue Erfahrungen zu machen. Diese Erfahrungen ermöglichen es dann, eine selbstbewusste und reflektierte Haltung zu Fragen der Digitalisierung im Bildungsbereich einzunehmen, die man vor sich und anderen – der Schulleitung, dem Kollegium, den Schüler*innen, den Eltern, der Öffentlichkeit – überzeugt vertreten kann.

Zum Aufbau des Buches

Zum Auftakt machen wir uns im ersten Kapitel Gedanken zum Nutzen und Mehrwert digitaler Medien im Unterricht. Im Kontext dieser Überlegungen stehen dann die folgenden Kapitel. Ausgangspunkt der einzelnen Unterkapitel von Kapitel 2 ist jeweils ein Unterrichtsszenario, das unserer Erfahrung nach gegenwärtig häufig in der Praxis eingesetzt wird und den Ist-Zustand bezeichnet. Diese Alltagsszenarien sind mal ganz analog konzipiert, nicht selten aber bedienen auch sie sich bereits digitaler Medien: Sie nutzen also etwa Word, PowerPoint, eine Suchmaschine im Internet oder das Smartphone. Damit ist auch gesagt: Die Digitalisierung der Schule erfolgt nicht abrupt, sie ist vielmehr ein kontinuierlicher Prozess, an dem wir alle schon seit längerer Zeit beteiligt sind. Diese Einsicht rückt die Digitalisierung unseres Erachtens etwas zurecht und lässt sie handhabbarer erscheinen.

Im Anschluss an das gängige Unterrichtsszenario stellen wir jeweils einige mögliche Alternativen vor, die stärker auf den Einsatz von digitalen Medien bauen. Dabei konzentrieren wir uns auf den Einbezug von kostenfreien Web-2.0-Anwendungen: Denn diese benötigen keine spezielle Software, die Installation und die Verwaltung von Lizenzen entfällt und die Handhabung ist intuitiv und unkompliziert, so dass Lehrkräfte und Schüler*innen innerhalb kürzester Zeit Produkte erstellen können. Und nicht zuletzt lassen sich Web-2.0-Anwendungen auf Computern, Tablets und Smartphones nutzen.

Wir verzichten auf detaillierte technische Anweisungen: Denn zu allen gängigen Applikationen und Tools sind inzwischen auf dem Netz gut gemachte Tutorials zu finden, die selbsterklärend sind. Und wir konzentrieren uns auf wenige konkrete Applikationen und Tools: Diese können bekanntlich schnell auch wieder verschwinden, wobei in der Regel neue Applikationen die entstandenen Lücken umgehend füllen.

Kapitel 3 zeigt, wie unter den gegebenen schulischen Bedingungen ein Unterricht gepflegt werden kann, der produktorientiert verfährt, dabei die Möglichkeiten digitaler Medien intensiv nutzt und die Schüler*innen auf diese Weise aktiv einbindet. In Kapitel 4 denken wir schließlich darüber nach, wie die Digitalisierung die Schule auch sehr viel grundsätzlicher verändern könnte, wenn gewisse Rahmenbedingungen angepasst würden. Der Band endet mit konkreten Tipps für einen gangbaren Weg, wie sich der eigene Unterricht schrittweise digitaler gestalten lässt. Schließlich sollen in diesem Band auch jene nicht fehlen, die von der Institution Schule am direktesten betroffen sind: Wir haben zwei unserer Klassen zur Digitalisierung der Schule befragt und geben die Ansichten und Überlegungen dieser Schüler*innen wieder.

An wen richtet sich dieses Buch?

Dieses Buch, als Handreichung von Lehrkräften für Lehrkräfte gedacht, ist aus der Praxis des Schulunterrichts entstanden und möchte Anregung für diese Praxis vermitteln. Es ist keine Studie, die den Einsatz digitaler Medien im Unterricht empirisch untersuchen oder den Mehrwert dieses Einsatzes wissenschaftlich fundiert diskutieren möchte. Wir argumentieren aber sehr wohl auf der Folie von Erkenntnissen aus der Lehr- und Lernforschung und der Mediendidaktik, die wir auf den Seiten hier bis hier knapp zusammenfassen.

In erster Linie richten wir uns an Lehrkräfte, die sich den Herausforderungen der zunehmenden Digitalisierung der Schule stellen wollen oder müssen und auf der Suche nach Ideen und Anregungen sind. Ihnen könnte der vorliegende Band als Ergänzung zu Weiterbildungsveranstaltungen und zu sonstigen eigenen Bemühungen im Bereich digitale Medien dienen. Lehrkräfte, die den Unterricht schon stärker digital unterstützen, finden hoffentlich Ideen und Anregungen, um die eigenen Ansätze zu erweitern.

Wir sind beide Geistes- und Kulturwissenschaftler und unterrichten an Gymnasien in der Schweiz. Deshalb sind Lehrkräfte, die ebenfalls auf der Sekundarstufe und in vergleichbaren Fächern im deutschsprachigen Raum unterrichten, unsere primäre Zielgruppe. Wir hoffen jedoch, auch Lehrkräften aus anderen Fächern und Schulstufen Impulse vermitteln zu können. Denn vieles lässt sich – bei entsprechender Anpassung – gut auf andere Unterrichtssituation übertragen. Wir versuchen auch zu berücksichtigen, dass Lehrkräfte sehr unterschiedliche Vorstellungen von Lehren und Lernen und unterschiedliche Unterrichtsphilosophien vertreten – und dass es für qualitativ hochstehenden Unterricht fundamental ist, wenn unterschiedliche Wege und Philosophien auch tatsächlich gewählt werden können. Entsprechend bauen wir darauf, dass unsere Anregungen mit unterschiedlichen Lehr- und Lernphilosophien kompatibel sind.

Neben dem Unterricht an Gymnasien führen wir an der Universität Zürich Weiterbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte zum Thema digitale Medien durch und sind an der gleichen Institution in der Ausbildung von angehenden Lehrkräften engagiert. Aus diesen Erfahrungen und aus den Gedanken, Überlegungen und Problemen, die sowohl angehende als auch erfahrene Lehrkräfte im Zusammenhang mit dem schulischen Einsatz von digitalen Medien umtreiben, haben wir fiktive Lehrer*innenzimmergespräche kreiert. Diese Gespräche erscheinen verteilt über den Band und sollen dazu dienen, die sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf Digitalisierung an der Schule, die es gegenwärtig im Lehrkörper gibt, lebendig werden zu lassen. Sie helfen uns derart, den Blick auf neuralgische Punkte zu lenken.

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Das BYOD-Konzept[1], das derzeit an den Schulen Einzug hält, stellt Lehrkräfte vor neue Herausforderungen und konfrontiert sie mit einer Reihe von sehr wesentlichen Fragen: Welche konkreten Lerninhalte müssen die Schüler*innen im digitalen Zeitalter beherrschen und über welche Fähigkeiten und Kompetenzen sollen sie dereinst verfügen? Wie gestalte ich meinen Unterricht, wenn die Schüler*innen alle mit einem Laptop oder Tablet im Schulzimmer sitzen? Und last but not least: Wie wird sich mein Beruf und meine Tätigkeit im Rahmen der Digitalisierung der Schulen verändern?

Die fiktiven Lehrer*innengespräche, die wir einzelnen Kapiteln dieses Bandes voranstellen, sollen einen Einblick in Gedanken zu diesen Problemen eröffnen. Dabei geht es nicht um gute oder schlechte, moderne oder traditionelle, digitale oder analoge Typen und Lehr- und Lernphilosophien. Vielmehr soll das breite Meinungsspektrum abgebildet werden, das heute an den Schulen anzutreffen ist und worin sich eine kritische, aber auch konstruktive Auseinandersetzung mit den neuen technischen Möglichkeiten zeigt. Die Dialoge und Äußerungen der Lehrkräfte sind in diesem Kontext zu verstehen; sie thematisieren jeweils ganz spezifische Probleme.

Humboldt-Gymnasium – große Pause

Die Schulleitung hat die Lehrkräfte eben darüber informiert, dass im neuen Schuljahr BYOD eingeführt wird. Die Entscheidung wird im Pausengespräch im Lehrer*innenzimmer heftig diskutiert.

Wagner: Jetzt ist es also so weit: Nun sollen bald alle Schüler einen Computer im Unterricht verwenden! Dabei gibt es keine einzige Studie, die beweisen würde, dass die Schüler damit mehr oder besser lernen …

Fischer: Aber darum geht es doch gar nicht! Die Welt hat sich verändert, die Digitalisierung ist allgegenwärtig. Wir müssen die Schüler fit machen für diese digitale Welt. Unterricht mit Papier und Bleistift ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Kühn: Ich sehe das gleich. Wir leben im 21. Jahrhundert: Zuhause warten Google Home oder Alexa auf mich; und die Jugendlichen können sich ein Leben ohne Handy gar nicht mehr vorstellen. Aber was tun die Schulen? Sie verbieten Handys auf dem Schulareal und arbeiten gleichzeitig Konzepte aus, um den Unterricht zu digitalisieren! Wie auch immer, ich freu mich jedenfalls über diesen Entscheid.

Zellweger: Aber Walter hat nicht Unrecht: Die empirische Unterrichtsforschung hat bisher keine Belege dafür gefunden, dass ein Unterricht mit Computern bessere Resultate liefern würde. Im Gegenteil, überall hört man von Problemen wie Ablenkung, Spielsucht, Mobbing – all diese Dinge beeinflussen doch das Lernen negativ.

Wagner: Ich habe das Gefühl, dass es vielen Schulleitungen vor allem darum geht, sich als moderne und hippe Schule zu profilieren. Das gibt dann wieder ein paar Medienberichte. Wo aber bleibt das pädagogische Konzept hinter dieser Neuerung? Gibt es Weiterbildungen für Lehrkräfte? Erhalten wir Zeit, um uns einzuarbeiten? Fragen über Fragen also, alle ungelöst. Für mich ist das Ganze alles andere als eine überzeugende und pädagogisch durchdachte Maßnahme, sondern ein Schnellschuss, eine PR-Aktion …

Zellweger: Und ganz zu schweigen von den Kosten, die der Schule entstehen; denn irgendwer muss ja die Infrastruktur liefern. Aber auch die Schüler und ihre Eltern werden zur Kasse gebeten. Denn die Schule wird kaum für die Anschaffung der Geräte aufkommen können.

Baumann: Ich sehe diese Probleme alle auch. Aber ich sehe eben auch die neuen Möglichkeiten, die mir und den Schülern zur Verfügung stehen werden. Sie werden viel selbstständiger arbeiten können. Und ich selbst kann ab sofort ganz anders unterrichten und meine Idee von eigenverantwortlichem und projektorientiertem Lernen viel besser umsetzen.

Kühn: Guter Punkt! Außerdem müssen wir die Schüler auch digital fit machen. Denkt doch nur an das Stichwort «Fake-News»: Es geht heute in erster Linie um kritisches Denken und einen souveränen Umgang mit den digitalen Angeboten, nicht um Anhäufung von Wissen.

Wagner: Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, irgendwelchen technischen Schnickschnack einzusetzen, sondern die Schüler in meinem Fach fit zu machen. So können sie danach erfolgreich an der Hochschule starten. Solange es aber keine klaren Belege dafür gibt, dass man mit Computern besser unterrichtet, und solange sinnvolle pädagogische Konzepte fehlen, bleibe ich skeptisch. Den Versprechungen der Hard- und Softwareindustrie mit ihren Bildern von glücklichen und lachenden Schülern, die voller Enthusiasmus mit einem Laptop lernen, traue ich jedenfalls nicht.

Soweit ein kleiner Einblick in das, was den Lehrkörper eines typischen Gymnasiums zum Stichwort «Digitalisierung» gegenwärtig umtreibt. Die folgenden Ausführungen beleuchten einige der hier gemachten Äußerungen aus Sicht der Lehr- und Lernforschung und legen dar, welche Rolle die digitalen Medien im Unterricht spielen können.

1.1 Besserer Unterricht dank digitaler Medien?

Die Digitalisierung ist in allen Bereichen mit Kosten und mit zeitlichem Aufwand verbunden; so auch im Bildungsbereich. Daher gilt zu fragen, ob sich diese Kosten und dieser Aufwand lohnen und ob also ein Mehrwert aus dem Einsatz von digitalen Medien im Unterricht resultiert. Wird der Unterricht lernförderlicher, lernwirksamer und insgesamt besser dank dem Einsatz von digitalen Medien?

Die Frage lässt sich nicht abschließend beantwortet. Denn es gibt sowohl wissenschaftliche Studien, die einen Mehrwert nachweisen, als auch solche, die das Gegenteil belegen. Die widersprüchlichen Forschungsresultate lassen sich auf zwei Faktoren zurückführen. Zum einen ist die Frage so falsch gestellt: Nicht der Laptop oder ein bestimmtes Programm sind entscheidend für den Lernerfolg, sondern deren lernwirksamer Einsatz. Zum anderen wird der Einsatz digitaler Medien im Unterricht durch viele andere Faktoren beeinflusst, die behindernd oder begünstigend wirken können (vgl. Abb. 1). Unterricht als soziales System lässt sich nun mal nicht als Einweg-Kommunikation organisieren, er ist vielmehr von vielfältigen und hochkomplexen Rückkoppelungseffekten geprägt. Digitaler Unterricht ist damit nicht per se besser als analoger oder herkömmlicher Unterricht; entscheidend für den Erfolg ist ein didaktisch sinnvoller Einsatz, der die verschiedenen Einflussfaktoren im Lernprozess möglichst gut berücksichtigt.

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Abbildung 1: Digitale Medien im Unterricht: Einflussfaktoren

Quelle: Herzig 2014, S. 10

Lehrkräfte sollten sich also nicht von Berufskolleg*innen verunsichern lassen, die sich allein daher als modern und aufgeschlossen verstehen, weil sie im Unterricht digitale Medien häufig nutzen, oder von Schulleitungen, die auf den vermehrten Einsatz von digitalen Medien im Unterricht drängen. Denn der Computer oder das Internet allein führen nicht zu mehr Lernerfolg. Entscheidend bleibt die reflektierte Planung und Umsetzung eines Lehr- und Lernsettings, in dem die «time on task» und damit das eigentliche Lernen im Vordergrund stehen.

Was sind denn aber ganz grundsätzlich wesentliche Bedingungen für erfolgreiches Lernen? Hier liefert die empirische Lehr- und Lernforschung Antworten. Sie gibt uns Hinweise darauf, welche Elemente von Lehr-/Lernsettings besonders wirksam sind. Entscheidenden Einfluss auf erfolgreiches Lernen nehmen

das Vorwissen, image
ein kontinuierlich betriebener Wissensaufbau, image
die klare Strukturierung der Lerninhalte, image
das regelmäßige Üben und Repetieren, image
häufige kognitive Aktivierung, image
die Unterstützung des Lernprozesses durch formative Tests image
und Selbsterklärungaufgaben image
sowie die Reflexion des Lernens auf der Ebene der Metakognition image
und mit Hilfe von Feedback. image
Weiter trägt die Motivation der Lernenden wesentlich zum Lernerfolg bei, image
ebenso ein positives Selbstkonzept und image
die gut funktionierende Beziehungsebene zwischen Lehrenden und Lernenden.[2] image

Unterricht, der diese Faktoren berücksichtigt, begünstigt also den Lernerfolg der Schüler*innen. Digitale Medien unterstützen dabei in vielerlei Hinsicht: Denn durch ihren Einsatz können Abläufe verbessert, mehr Übungsgelegenheiten bereitgestellt oder das Herstellen und das Austauschen von Produkten auf einfachere Weise ermöglicht werden.

In den folgenden Kapiteln präsentieren wir Beispiele für Lernszenarien, in denen digitale Medien eine große Rolle spielen und die gerade dadurch einen besonders lernförderlichen Unterricht ermöglichen. Die Icons verweisen dabei auf jene Kompetenzen und Aspekte, die in den Szenarien besonders fokussiert werden.

1.2 Kompetenzen für das 21. Jahrhundert

Heute reicht die Berücksichtigung der genannten lernförderlichen Faktoren allein aber nicht mehr aus. Denn die gestiegene gesellschaftliche Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien verändert auch die Anforderungen an die Schule und damit die Rahmenbedingungen von Bildung. Die Digitalisierung und die durch sie hervorgerufene Ablösung der Gutenberg-Galaxie durch das Informationszeitalter beeinflussen in hohem Maße die Generierung, Verteilung und Vermittlung von Wissen. Folgen dessen sind einerseits eine sehr große Menge an Informationen, auf die immer und überall Zugriff genommen werden kann, andererseits komplexere gesellschaftliche Probleme und ein beschleunigter Wandel. Die Hochschulen, die Berufswelt und die Gesellschaft insgesamt sind daher bereits jetzt und viel stärker noch in naher Zukunft auf Menschen angewiesen, die ganz spezifische Kompetenzen mitbringen.

Die Schule hat deshalb auch die Aufgabe, sowohl ein konzeptionelles als auch ein anwenderorientiertes Wissen und Können zu vermitteln, damit die neuen Technologien sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden. Ein fundiertes Verständnis für die digitale Lebenswelt muss heute als eine wichtige Voraussetzung für die Bildung einer eigenständigen Persönlichkeit verstanden werden, die über die notwendigen fachlichen, sozialen und personalen Kompetenzen verfügt, um sich kritisch mit den Vor- und Nachteilen einer digital geprägten Welt auseinanderzusetzen.

In diesem Kontext werden gemeinhin die folgenden vier Schlüsselkompetenzen als besonders wichtig für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Probleme genannt; sie lassen sich im sogenannten «4K-Modell» zusammenfassen:

Kommunikation image Kreativität image
Kollaboration image Kritisches Denken image

Was bedeutet das für die Schule? Sie muss den Fokus verstärkt auf den Austausch und die Kooperation zwischen den Schüler*innen, aber auch zwischen den Lehrkräften und Schüler*innen sowie zwischen den Lehrkräften selbst legen. Dem gemeinsamen Problemlösen und dem Analysieren und kritischen Beurteilen von konkreten Fragestellungen gilt es großes Gewicht beizumessen. Und nicht zuletzt soll die Kreativität zur Entfaltung kommen; das gelingt in erster Linie dann, wenn die Schüler*innen selbst aktiv und wenn Lernprozesse produktorientiert gestaltet sind und in Präsentationen und Diskussion der Ergebnisse münden – und wenn damit Lernergebnisse als Lernressourcen genutzt werden.

Beim Ausarbeiten von Lehr-/Lernszenarien sollten also stets die vier genannten Schlüsselkompetenzen mitberücksichtigt und gefragt werden, ob und inwiefern das betreffende Lernsetting auch den Kompetenzaufbau in diesen Bereichen unterstützt. Und es sind gerade die digitalen Medien, die nun eine entscheidende Rolle dabei spielen, diese Kompetenzen zu schulen. Denn digitale Medien sind einerseits dank ihrer Charakteristika – multimedial, interaktiv, kollaborativ – und ihrer gesellschaftlichen Verankerung und Verbreitung in besonderem Maße dazu geeignet, zum Erwerb der genannten vier Schlüsselkompetenzen beizutragen. Andererseits ermöglichen digitale Medien auf einfache Art und Weise vielfältige Produkte herzustellen und damit den Wechsel vom eher passiven Rezipieren und Verarbeiten zum aktiven Nutzen und Erarbeiten zu befördern.

Wer heute analog unterrichtet oder digitale Medien lediglich dezent einsetzt, der kann mit einer Lerngruppe weiterhin viel erreichen. Wer aber darüber hinaus digitale Medien in umfassenderem Sinne für die Gestaltung und Durchführung von Lehr- und Lernprozessen nutzt, dem eröffnet sich einerseits eine Vielfalt an Möglichkeiten, den Unterricht motivierender, zeitgemäßer, attraktiver und abwechslungsreicher zu gestalten. Andererseits können dabei die genannten vier zentralen Kompetenzen kontinuierlich und gezielt gefördert werden. Den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht verstehen wir daher grundsätzlich als Chance.

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2.1 Informationen suchen und bewerten

Humboldt-Gymnasium – große Pause

Sechs Lehrkräfte diskutieren über Informationskompetenz.

Kühn: Wusstet ihr, dass im europäischen Markt rund 90 Prozent aller Suchanfragen über Google laufen? Das heißt: Wenn Google etwas nicht indexiert, dann existiert es im Netz gar nicht!

Fischer: Wegen dieser Monopolstellung empfehle ich meinen Schülern, auch alternative Suchmaschinen zu nutzen.

Zellweger: Finde ich eigentlich ja eine gute Idee. Aber meine Schüler haben gar nicht das Gefühl, sie müssten mehr Informationen suchen. Vielmehr diskutieren sie bei einer interessanten Fragestellung einfach los, ohne dass ihnen wesentliche Fakten und Zusammenhänge bekannt wären.

Baumann: Stimmt. Wir hatten kürzlich eine Diskussion über die Legalisierung von Drogen, die die Schüler vorbereiten mussten. In der Stunde wurde gleich munter drauflos diskutiert. Aber als ich dann ein paar genauere Nachfragen zum Thema stellte, zu Zahlen, Fakten, wissenschaftliche Studien, Forschungsergebnissen, da war kaum etwas vorhanden.

Wagner: Ergo: Wir müssen die Schüler zum Recherchieren – oder neudeutsch: Googeln – motivieren.

Fischer: Ob Google, Bing oder andere Suchmaschinen ist Nebensache. Wichtig ist, dass die Schüler lernen, faktenbasiert zu argumentieren. Es ist an uns, eine selbstkritische Haltung gegenüber dem Wissen zu kultivieren. Das ist doch das A und O von Bildung überhaupt und beginnt weit vor dem eigentlichen Suchprozess!

Wagner: Ich erinnere mich an früher, wie schwierig es damals war, überhaupt an relevante Informationen zu gelangen. Wenn man zum Beispiel nur schon wissen wollte, wie groß ein Land war oder wie hoch die Arbeitslosigkeit darin: Ohne Gang zum Büchergestell war man da aufgeschmissen.

Kühn: Heute haben wir genau das umgekehrte Problem: Google liefert uns in Sekundenschnelle Tausende von Treffern, doch über deren Relevanz müssen wir selbst entscheiden. Die neue Kompetenz ist nicht das Suchen, sondern das Filtern und Bewerten der Informationen.

Fischer: Ich sehe das weniger problematisch, die jungen Leute von heute sind doch mit Suchmaschinen groß geworden und kennen sich auf dem Netz bestens aus: Digital Natives eben. Es ist eher umgekehrt: Wir Alten müssen von den Jungen lernen: Facebook, Snapchat, Twitter, WhatsApp … Oder wer von euch hat denn einen Instagram-Account?

Zellweger: Da bin ich mir aber gar nicht so sicher. Kürzlich habe ich in einer Studie gelesen, dass Nutzer von Suchmaschinen keine vertieften Erkenntnisse darüber haben, wie man Suchanfragen effizient gestalten kann. Es wird zumeist immer die gleiche Suchmaschine verwendet und eine ähnliche Vorgehensweise gewählt. Das mag bei Anfragen, die auf konkreten Informationsbedarf hinzielen, unproblematisch sein. Geht es aber um problemorientierte Anfragen in wissenschaftlichem Kontext, dann ist das sehr bedenklich.

Kühn: Da kann ich dir nur zustimmen, das deckt sich voll und ganz mit meiner Erfahrung. Und die User schauen ohnehin nur die ersten Treffer an und taxieren diese Informationen auch sehr schnell und unkritisch als wahr und richtig.

Schärer: Konkret heißt das also: Die Schüler müssen zuerst merken, dass Sie Informationsbedarf haben, also dafür sensibilisiert werden; erst dann kann ich sie googeln lassen. Aber wonach sollen sie denn eigentlich googeln, wenn sie keine Ahnung vom Thema haben?

Wagner: Guter Punkt! Genau deswegen betone ich immer wieder, dass wir in den Klassen zuerst für eine solide Wissensbasis sorgen müssen. Erst danach ist eine sinnvolle Recherche möglich.

Zellweger: Zumal sich ja auch die Produktion und die Verteilung von Wissen radikal verändert. Heute kann jeder Informationen ins Netz stellten. Eine vorgängige Selektion der Inhalte durch eine Redaktion, einen Verlag oder sonst eine Institution findet oft gar nicht mehr statt.

Fischer: Da kann ich euch nun aber wirklich nicht folgen: Schlagt ihr allen Ernstes vor, dass wir die Schüler auch noch lehren müssen, wie man richtig googelt?

Zellweger: Genau! Und nicht nur das: Die Schüler müssen auch lernen, die Suchergebnisse kritisch zu bewerten. Denn wer die richtigen Informationen findet, kann offene Fragen beantworten, Probleme lösen und zu Sachverhalten eine kritische Sichtweise einnehmen. Deshalb müssen diese Fähigkeiten gefördert werden. Und nicht nur aus bildungspolitischen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Wir sehen ja, was da gegenwärtig gerade so abläuft …

Kühn: Da hilft kein Kulturpessimismus. Diese Aufgabe müssen wir wohl oder übel alle anpacken.

Schärer: Aber wie? Dazu bräuchte es doch ein eigenes Fach, etwa «Medienkunde» oder «Informationskompetenz». Das kann ich doch nicht auch noch in den Unterricht einbauen!

Fischer: Ich fürchte, auf ein solches Fach können wir lange warten. Wir müssen das jetzt auf die Reihe kriegen.

Der Pausengong ertönt, die Lehrkräfte gehen etwas nachdenklich in die Klassenzimmer.

Das Gespräch im Lehrer*innenzimmer macht deutlich: Informationskompetenz ist umfassender als die reine Recherche. Denn in viel stärkerem Maß – und aus den im Gespräch genannten Gründen – ist heute ergänzend zur Suchkompetenz auch das Bewerten der gefundenen Information gefragt.

Der Aufbau und Erwerb von Informationskompetenz lässt sich in Teilschritte gliedern: Schüler*innen sollen

2.1.1 Informationsbedarf wahrnehmen

Schulisches Alltagsszenario: In einer Lektion wird diskutiert, ob das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden soll. Die Lehrkraft teilt die Klasse in zwei Gruppen auf, die jeweils Argumente für oder gegen die Einführung zusammentragen müssen. Die Schüler*innen tauschen sich rege aus, einige machen sich Notizen. Darauf folgt eine Debatte zwischen den beiden Gruppen. Die jeweiligen Pro- und Contra-Argumente werden an der Wandtafel festgehalten. Am Schluss wird gemeinsam ein Fazit aus der Debatte gezogen.

Es fällt hier auf, dass die Schüler*innen von ihrem Allgemeinwissen ausgehen und dieses in der Diskussion beiziehen; ein weitergehender Informationsbedarf ist offenbar nicht vorhanden, denn eine eigentliche Recherche wird nicht betrieben. Im Schulzimmer sollte aber eine selbstkritische Kultur gegenüber dem eigenen Wissen aufgebaut und die Schüler*innen auf diese Weise motiviert werden, sich umfassend zu informieren. Derart wird eine Wertschätzung gegenüber faktenorientierten Aussagen kultiviert. Die folgenden Szenarien, die sich digitaler Medien bedienen, zielen darauf, sich des eigenen Informationsbedarfs bewusst zu werden.

image Faktenfundament

Noch bevor die Debatte beginnt, werden die wichtigsten Fakten zum Thema «bedingungsloses Grundeinkommen» zusammengestellt. Hilfreich sind hier zum Beispiel W-Fragen:

Die Antworten darauf werden individuell oder in Gruppen recherchiert, zusammengetragen und in Form von Frequently Asked Questions (FAQ) allen zugänglich gemacht (image Kollaboratives Arbeiten). Vor der Debatte lesen die Schüler*innen die FAQ und bereiten sich so ernsthaft vor. Dieses «Wissensfundament» soll sie für eine faktenorientierte und fundierte Argumentationskultur sensibilisieren – was nicht zuletzt auch sehr wertvoll ist für das Verfassen von argumentativen Texten. Debatten, die auf diese Weise vorbereitet werden, sind gehaltvoll. Denn die Schüler*innen treten für ihre Argumente ein und fühlen sich kompetenter.

Als Alternative zu den FAQ können die Schüler*innen auch in Gruppen zentrale Pro- oder Contra-Argumente zur Fragestellung sammeln.

image Der Blick fürs Wesentliche

Die Schüler*innen gestalten zum Thema eine image Infografik. Die Herausforderung besteht darin, die wesentlichen Fakten, Zahlen und Zusammenhänge zum Thema visuell ansprechend in Form einer Grafik zu präsentieren. Vor der Debatte werden die elektronischen Versionen angeschaut und verglichen oder die Papiere werden als Poster ausgedruckt und zur Vorinformation im Klassenraum präsentiert. Der didaktische Mehrwert resultiert hier erstens aus der visuellen Darstellung, welche die Fakten zugänglicher macht; zweitens aus der Vergleichbarkeit der Produkte. Hier bieten sich folgende Leitfragen an:

Die Arbeitsform «Posterpräsentation» ist nicht zuletzt auch daher wertvoll, weil sie im wissenschaftlichen Kontext häufig eingesetzt wird; dieses schulische Setting eröffnet einen ersten Zugang zu dieser Methode.

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Abbildung 2: Beispielposter, das Elemente einer Infografik veranschaulicht

Quelle: Sergey Kandakov/Freepik

image Advocatus Diaboli

Im Plenum wird das Thema «bedingungsloses Grundeinkommen» kontrovers diskutiert. Jede Seite hat einen Advocatus Diaboli in ihren Reihen, der insgesamt dreimal einen Faktencheck verlangen darf. Während der Diskussion ruft er also an einer strittigen Stelle «Faktencheck!». Die gegnerische Seite muss nun nachweisen können, worauf sie sich in der entsprechenden Aussage stützt, und dabei verlässliche Rechercheresultate vorlegen.

Alternativ dazu kann dieser Faktencheck auch durchgeführt werden, während die Debatte weiterläuft. Hierzu recherchiert eine Gruppe gleich während der Debatte Fakten zum Thema. Wird von der einen oder anderen Seite ein Faktencheck verlangt, so nimmt die Moderation dies zur Kenntnis und informiert die Recherchegruppen. Die Debatte läuft so lange weiter, bis die Recherchegruppe Ergebnisse präsentieren kann. Oder die Internetrecherche begleitet die Debatte im Hintergrund und die Recherchegruppe versucht, möglichst viele der Aussagen aus den beiden Debattiergruppen zu belegen – was anspruchsvoll ist; erst am Ende der Debatte präsentiert die Recherchegruppe ihre Ergebnisse und legt ein Urteil darüber fest, welche Gruppe faktenorientierter argumentiert hat. Diese Varianten bieten eine Möglichkeit, Schüler*innen, die nicht mitdiskutieren wollen, mit einer anderen Aufgabe in den Unterricht einzubinden.

2.1.2 Effizient suchen und Relevantes finden

Schulisches Alltagsszenario: Die Lehrkraft bespricht mit der Klasse den Ersten Weltkrieg. Es geht um die Frage nach den Ursachen, die zum Ausbruch der «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts» führten. Die Schüler*innen recherchieren im Internet und finden schnell Antworten in Form von stichwortartigen Aufzählungen wie «Militarismus», «Bündnispolitik» und «Imperialismus». Die Ergebnisse werden in der Klasse zusammengetragen, erläutert und ergänzt.

image Klüger fragen

Die Schüler*innen interpretieren im obigen Beispiel den Rechercheauftrag im Sinne von: Wir müssen jetzt die drei wichtigsten Ursachen des Ersten Weltkrieges finden und in Form von Stichworten benennen können. Wenn wir die passenden Stichworte gefunden haben, dann ist die Aufgabe gelöst und die Frage beantwortet. Wer auf diese Weise nach den Ursachen des Ersten Weltkrieges sucht, der findet schnell Listen und Aufzählungen mit Gründen, die zum Ausbruch dieses Krieges geführt haben. Diese Ergebnisse erfassen die eigentlichen Ursachen aber nicht, bleiben vielmehr an der Oberfläche. Dies zeigt: Nicht jede Suchanfrage ist komplex und bildet eine eigentliche Suchstrategie ab. Man unterscheidet zwischen einem konkreten und einem problemorientierten Informationsbedarf. Einfache Suchanfragen nach konkreten Informationen sind kaum dazu geeignet, die Informationskompetenz der Lernenden zu verbessern. Aus diesem Grund sollte man den Auftrag umformulieren und mehrstufig gestalten, so dass sich das Problem tatsächlich erfassen lässt und auch die Analyse der Ergebnisse berücksichtigt wird:

Dieser Fall ist komplizierter, weil es mehrere mögliche Antworten gibt, die sortiert, gewichtet, analysiert und diskutiert werden müssen. Hier ist der Suchprozess prinzipiell offen und es kann nur knapp oder aber sehr umfangreich geantwortet werden. Entscheidend ist die Art, wie die Resultate der Suche beurteilt und ausgewertet werden.