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Nr. 2709

 

Der perfekte Jäger

 

Das Atopische Tribunal schickt einen Marshall – seine Fähigkeiten sind tödlich

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

Epilog

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben. Dort herrschen die Onryonen, die im Namen des Atopischen Tribunals die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern.

Das Tribunal stellt zunächst die wichtigste Unterstützung Perry Rhodans kalt – die JULES VERNE samt Reginald Bull ist verschwunden, und auf einen weiteren von Rhodans Gefährten wartet nun DER PERFEKTE JÄGER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Shekval Genneryc – Der Onryone bereitet die Herrschaft des Atopischen Tribunals vor.

Marshall Leza Vlyoth – Der Jaj sieht sich als perfekten Jäger.

Peo Tatsanor – Ein junger Mann mit viel Wut in sich.

Icho Tolot – Der Haluter arbeitet mit Viccor Bughassidow zusammen.

Prolog

Raumvater HOOTRI

 

Sie ahnten nichts.

Noch nicht.

Doch bald würden sie erfahren, dass das Gericht über sie kam. Die Vorbereitungen dazu waren beinahe abgeschlossen.

Shekval Genneryc war zufrieden. Alles verlief genau nach Plan, es blieben nur wenige Anordnungen zu erteilen.

»Die gewünschte Verbindung ist hergestellt«, erklang die neutrale Stimme des Zentralrechners des Raumvaters HOOTRI.

Die Zentrale-Anuupi schwebten zusammengeballt über dem Kommandostand und tauchten ihn in angenehmes, weiches Licht – nichts blieb in den Schatten verborgen, ohne es grell auszuleuchten.

Kurz darauf baute sich ein Holo vor dem Kommandanten des Raumrudels auf und zeigte einen älteren Onryonen mit grauer, glanzloser Kopfbehaarung. In den goldfarbenen Augen zeigten sich rotbraune Altersflecken, seine über den Kopf ragenden, spitzen Ohren waren an den Rändern ausgefasert. Wie Genneryc trug er farbenprächtige Kleidung; allerdings in einer Zusammenstellung, die dem Kommandanten keinerlei Aufschluss darüber bot, ob er zu einer bestimmten Einheit gehörte. Auch Rückschlüsse auf den Charakter des Onryonen ließen sich nicht ziehen, denn die Farben waren zugleich grellbunt wie pastellmild und willkürlich kombiniert.

Für einen winzigen Moment war Genneryc verunsichert, und er warf unwillkürlich einen Blick auf die Anzeige der Verbindungsdaten auf seinem Befehlterminal außerhalb des Sichtbereichs der Holoverbindung. Die Angaben trafen exakt zu, die Steuereinheit hatte selbstverständlich keinen Fehler begangen. Und somit passte alles zusammen und war keineswegs unstimmig, sondern so gewollt.

»Marshall Leza Vlyoth«, eröffnete der Kommandant mit begleitender Höflichkeitsgeste das Gespräch und achtete darauf, dass das Emot auf seiner Stirn weder durch Färbung noch durch Kräuselung seine Stimmung verriet. Das fiel ihm nicht schwer; er war es gewohnt, seine Emotionen im Griff zu haben. Bei seinem Gegenüber hatte die gezeigte Neutralität des Emots vermutlich andere Gründe als Beherrschung. »Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass du Zeit für dieses Gespräch gefunden hast.«

Etwas blitzte in den Augen seines holografischen Gegenübers auf. Der Marshall wirkte jedoch nicht irritiert, sondern eher amüsiert, dass Genneryc sich nicht hatte täuschen lassen.

»Ich danke für deine Aufmerksamkeit«, gab er höflich zurück. Die Stimme passte hervorragend, weich und leise säuselnd. Niemand konnte vermuten, dass es sich gar nicht um einen Onryonen handelte.

Genneryc gestattete sich einen kurzen Augenblick der Faszination. Die Jaj waren perfekte Gestaltwandler und in der Lage, jedes Geschöpf zu similieren. Außer ihnen selbst kannte niemand ihre Urform. Nicht ein einziger Außenstehender hatte je erfahren, wie sie wirklich aussahen, sie hatten sich niemals offenbart. Vermutlich gaben sie sich nur an abgeschiedenen Orten auf ihrer Heimatwelt und ausschließlich untereinander »ganz natürlich«.

»Es ehrt mich, dass du mir als Onryone begegnest«, fügte er hinzu.

»Es erschien mir als die beste Wahl. Schließlich handelt es sich um ein vertrauliches Gespräch und sollte deshalb optisch auf einer angenehmen Basis von Gleich zu Gleich aufgebaut werden. Zudem möchtest du dich selbstverständlich, bevor du mich beauftragst, von meinen Fähigkeiten überzeugen. Damit habe ich dir eine Demonstration meiner Kunst gegeben, die dich hoffentlich zufriedenstellt.«

Der Onryone neigte den Kopf leicht zur Seite. Seine Hand glitt in die Tasche seines faltenreichen Gewandes und spielte mit dem Gryoc, wie immer, wenn er eine Anspannung nahen fühlte. »Die Informationen, die ich erhalten habe, besagen, dass du zu den Besten gehörst.«

»Ich bin der Beste«, versetzte Vlyoth kühl. Es klang nicht nach Unbescheidenheit, sondern nach gelassener Überzeugung. »Andernfalls hättest du dich gar nicht erst persönlich mit mir in Verbindung gesetzt, richterlicher Bevollmächtigter.«

Der Jaj hielt sich eine kleine, gläserne Kapsel unter die Nase, zerrieb sie und atmete mit weit geblähten Nasenflügeln den aufsteigenden sarottegelben Nebel ein.

Genneryc war unwillkürlich ein wenig indigniert. Onryonen würden etwas so Intimes niemals in der Öffentlichkeit zelebrieren; sie nahmen nicht einmal Speisen in gemischter Geselligkeit zu sich. Das war schlichtweg unanständig, und was der Jaj hier so ungeniert zu sich nahm, war noch dazu etwas Verpöntes. Glasfrost. Eine Droge, die Genneryc niemals verwenden würde. Er rügte den Marshall jedoch nicht dafür, denn alle Jaj waren süchtig nach Glasfrost. Vermutlich hing es mit dem Vorgang oder der Aufrechterhaltung der Similierung zusammen, anders konnte Genneryc es sich nicht erklären.

Vlyoth schloss zwei Herzschläge lang die Augen, und als er sie wieder öffnete, waren sie für einen Moment verschleiert, doch gleich darauf völlig klar und aufmerksam.

Genneryc hatte gehofft, in diesen wenigen Sekunden vielleicht einen Blick »dahinter« zu erhaschen, aber wie stets vergeblich. Sein Status verbot ihm, eine direkte Frage zu stellen, doch seine Neugierde war nur schwer im Zaum zu halten. Vor allem ... dieses Nichtwissen war ein unwägbarer Faktor, der eine genaue Einschätzung unmöglich machte. Und sich damit der Kontrolle entzog; etwas, das der Kommandant ganz und gar nicht schätzte. Es machte die Jaj unberechenbar.

Und unverzichtbar. Durch ihre besonderen Fähigkeiten waren die Jaj ideale Kundschafter. Darin bestand ihre hauptsächliche Aufgabe in der Verkörperung des Tribunals. Die Onryonen waren die Hände der Richter, die Jaj die Ohren, die Tesqiren die Münder, die Tolocesten die Augen.

Marshall Leza Vlyoth allerdings würde nicht als Kundschafter tätig werden, sondern einen ganz besonderen und noch dazu ganz besonders heiklen Auftrag erhalten.

»Ich bin allerdings überrascht, dass du dich überhaupt an mich wendest«, fuhr Vlyoth fort, nachdem sich der Glasfrost-Nebel vollständig verflüchtigt hatte. »Ich hörte, dass du einen Auftrag für Maltynouc im Auge hast?«

Das Emot auf der Stirnmitte kräuselte sich leicht. Es war also mehr als nur eine Similierung, ein bloßer Schein. Vlyoth zeigte dadurch ganz deutlichen Unmut, wie auch durch den etwas raueren Unterton seiner Stimme zu vernehmen war. Kein Wunder. Die beiden Jaj standen in erbitterter Konkurrenz zueinander.

Diese primitive Emotion amüsierte Genneryc; das war ein Verhalten, mit dem er etwas anfangen, das er kontrollieren konnte. Das machte den Jaj berechenbarer. Greifbarer.

»Marshall Caileec Maltynoucs Auftrag betrifft weder dich noch die Aufgabe, die mir für dich vorschwebt«, sagte er. »Doch ist sein Auftrag keineswegs der vordringlichste, denn ich halte ihn für leicht ausführbar. Der Auftrag hingegen, den ich für dich vorgesehen habe, ist um einiges heikler und keineswegs unbedeutender, auch wenn es zunächst den Anschein haben mag.« Fakten in geschmeichelten Worten.

Vlyoth war nicht so leicht damit zu beeindrucken. Seine samtweiche Stimme war weiterhin kühl. »Ich höre.«

»Die Beute ist äußerst schwierig zu fassen. Ein Gegner, der als unüberwindlich gilt.«

Nun hatte Genneryc die volle Aufmerksamkeit seines holografischen, Tausende Lichtjahre entfernten Gegenübers. Das Gold seiner Augen leuchtete auf und ließ die Altersflecken zurücktreten. Kein Wunder, Genneryc hatte ihn bei der Ehre gepackt. Marshall Vlyoth galt als der perfekte Jäger, ein Titel, den Maltynouc ihm gern streitig machen wollte. Genneryc hoffte, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, aber bisher hatten ihn Erfahrung und Intuition nie getrogen.

Ein perfekter Jäger träumte immer von der perfekten Beute, seiner größten Herausforderung. Das war sein wahres Ziel, darin waren die Jaj nicht anders. Sie waren äußerst diszipliniert, erledigten ihre Aufgabe selbstständig und zielstrebig und gaben niemals auf. Hatten sie die Witterung erst aufgenommen, ließen sie nicht mehr von der Jagd ab, bis die Beute gestellt und überwältigt war. So undurchsichtig die Jaj waren, in dieser Hinsicht waren sie zu hundert Prozent verlässlich.

»Es gibt nicht viele in der Milchstraße, auf die eine solche Bezeichnung zutrifft, und auch unter diesen nur wenige Individuen.« Vlyoths Stimme bebte leicht. Selbstverständlich hatte er sich längst kundig gemacht und die täglich wachsenden Datenbänke des Tribunals durchstöbert. Genneryc war sicher, dass er mit dem Zielobjekt bereits vertraut war. Wie würde er wohl reagieren, sobald er dessen Namen erfuhr?

»Der Auftrag, und das kann ich nicht genug betonen, ist weitaus gefährlicher als der, den Marshall Maltynouc zu erledigen hat.«

»Du bestätigst also, dass ich der bessere Jäger bin?«

»Du giltst als der perfekte Jäger. Bewähre dich darin.«

»Darum mach dir keine Gedanken. Ich erledige auch das Unmögliche.«

»Eine kühne Zusicherung, leichtfertig ausgesprochen.«

»Pah! Sonst wäre ich nicht geeignet und nicht der, der ich bin. Das Zielobjekt bitte, damit ich sofort beginnen kann.«

Genneryc bewegte zufrieden die großen Ohren. Er gestattete sich sogar eine leichte rosa Färbung des Emots, um dem Marshall seine positive Stimmung zu vermitteln. Vlyoth war Profi, gar kein Zweifel, und dass er Perfektionist war, konnte ebenfalls als sicher angenommen werden.

Er bewegte eine Hand leicht über die Bedienkonsole. »Ich übermittle dir soeben alle Informationen, die du benötigst. Du kannst selbstverständlich unsere Datenbanken für weitere Recherchen nutzen.«

»Und wer ist nun der oder die Auserkorene?«

Der onryonische Kommandant sagte es ihm.

Die similierten Ohren des Jaj zuckten. Genneryc hatte richtig vermutet, er kannte den Namen.

»Es wird mir ein Vergnügen sein.« Der Marshall schob den Unterkiefer noch weiter vor und bleckte die Zähne; ein Ausdruck, der Genneryc einen Schauer über den Rücken jagte. Er spürte, wie sich seine dichte schwarze Kopfmähne leicht sträubte, und hatte Mühe, die Neutralität des Emots zu bewahren. In diesem Moment hoffte er, der sonst äußerst abgebrüht war und nichts fürchtete, dass er niemals zur Beute des Jaj würde.

»Ich nehme umgehend Witterung auf. Gibt es eine zeitliche Frist?«

»Es sollte innerhalb der folgenden hundert bis hundertzwanzig Tage der hiesigen Standardzeit zum Erfolg kommen.«

Vlyoth schien nachzurechnen. »Ich benötige einige Vorbereitungen. Wie du sagst, diese Beute ist außergewöhnlich. Vermutlich werden es eher hundertzwanzig Tage, schließlich sind auch erhebliche Entfernungen zurückzulegen. Keine Hast, sondern professionelle, exakte Planung ist vonnöten, schließlich ist das Zielobjekt in der Tat eine große Herausforderung. Ja, ich gebe es ehrlich zu: meine größte bisherige Herausforderung.

Ich habe damit erheblich mehr Aufwand als bei allen Jagden bisher zusammengenommen, denn ich darf mir keinen Fehler erlauben. Dennoch ist die Aufgabe lösbar, und ich denke, ich weiß auch schon, wie.«

Genneryc bewegte zustimmend die Hand. »Bestens! Gute Jagd.«

»Danke für diesen interessanten Auftrag.« Der Marshall bleckte erneut die Zähne, dann schaltete er ab.

 

*

 

Genneryc dimmte die Anuupi und aktivierte die Fensterfunktion an der Außenwand des Kommandostands. Dort draußen erstreckte sich das Technogeflecht, unter dem der Raumvater HOOTRI verborgen lag.

Luna.

So lautete die Eigenbezeichnung des Mondes dieses Systems der Terraner. Nunmehr Herrschaftsbereich der Onryonen.

Auf dem langen Weg an diesen Ort waren neue Generationen herangewachsen, die sich die »Mondgeborenen« nannten. Über ihnen standen die »Missionsgeborenen«, zu denen auch Shekval Genneryc gehörte.

Luna war perfekt gewandelt worden, eine hervorragend bewehrte Welt, Sitz des Richters Matan Addaru Damnoer, als dessen Bevollmächtigter Genneryc bald an die Öffentlichkeit treten sollte.

Und dort draußen im Solsystem dürsteten die Terraner nach Gerechtigkeit. Und nicht nur sie, sondern auch Billionen weitere Bewohner der Galaxis. Gerechtigkeit, die sie verdient hatten. Genneryc würde sie ihnen im Namen des Tribunals bringen. Selbstverständlich unter gründlicher Überprüfung aller Fakten auf unparteiischer und rein sachlich-neutraler Basis, unter Berücksichtigung der in der Galaxis vorherrschenden moralischen und politischen Instanzen.

Gerechtigkeit. Sie war möglich!

Gennerycs träumerische Versunkenheit wurde unterbrochen, als eine Meldung hereinkam: erneut ein Anschlag in Sektor 23.

Der Kommandant reagierte unaufgeregt. Der terranische Widerstand auf Luna war nur eine Frage der Zeit. Damit konnte er ohne den Einsatz eines Jaj fertig werden, der sich similiert problemlos einschleichen könnte. Der Widerstand war nahezu zerschlagen, es bestanden lediglich Reste, die allerdings sehr zäh und schwierig ausfindig zu machen waren. Die Tage der Rebellen waren in jedem Fall gezählt. Sie konnten Genneryc weder Schwierigkeiten bereiten noch die Ausführung des Plans verhindern oder auch nur zeitlich verzögern.

Viel bedeutender war der an Marshall Vlyoth erteilte Auftrag im Namen des Richters. Genneryc kannte derzeit keine weiteren Hintergründe, war aber sicher, dass der Richter sie ihm bald eröffnen wurde. Vorerst genügte ihm das Wissen, dass es sich um einen engen Freund und jahrtausendelangen Begleiter Perry Rhodans handelte.

Perry Rhodan war einer der beiden Hauptangeklagten des Atopischen Tribunals. Insofern war Vlyoths Auftrag weitaus bedeutender, als er zu ahnen in der Lage war ...

1.

Vorbereitungen (1):

Glistaide

 

Die Sonnen über Glistaide gingen gerade in einem farbenprächtigen Spektakel unter, als das Geschäft nach einem Zehnteltag zu einem zufriedenstellenden Ende kam. Container um Container, von Antigravfeldern getragen, schwebte – blitzend und funkelnd das Sonnenlicht reflektierend – vom Transporter auf dem Landefeld nach oben durch ein geöffnetes Schott in den Frachthangar des Schiffes.

Quezdan Kirzay, der Tentra, hatte sich wegen seiner Verspätung entschuldigt.

»Ich bin sonst für meine Pünktlichkeit bekannt«, versicherte der Kaufmann mit der für Jülziish typisch zwitschernden Stimme seinem Handelspartner. »Aber diese Konferenzen ... Man hat selten einen Einfluss darauf, und ich konnte nicht einfach fernbleiben.«

»Ja, das kenne ich nur zu gut!«, röhrte der Mehandor Osgin Wilm und fuhr sich durch die von einem bunten Band zusammengehaltene graue Haarmähne. Die langen Zopfenden seines gleichfalls grauen Bartes fielen über die mächtige, tonnenartige Brust hinab. »Ich lasse mich längst vertreten, das kann ich mir leisten.«

Kirzay musterte den um ein gutes Stück kleineren Mehandor mit leicht geneigtem Kopf, wohlweislich darauf achtend, dass er sich nicht unschicklich krümmte. Mit den Augen am Hinterkopf konnte er ein Stück des abgehalfterten Walzenraumschiffs erkennen, dessen beste Tage schon Jahrzehnte zurückliegen mussten. Mindestens.

Auch die Kleidung des Händlers ließ zu wünschen übrig; sie war einmal maßgeschneidert gewesen, jedoch an manchen Stellen leicht ausgeleiert und ausgefranst, die Farben verblasst. Außerdem setzte Wilm in nahezu regelmäßigen Abständen einen flachen Behälter an die wulstigen Lippen und ließ eine unbekannte Flüssigkeit mit deutlichen Schluckbewegungen die Kehle hinunterrinnen.

»Zu welcher Familie, sagtest du, gehörst du?«, fragte der Jülziish.

»Meine Familie gehört zu mir, ich bin der Patriarch«, korrigierte Wilm und grinste breit. Er schlug dem Kaufmann mit seiner Pranke auf die Schulter, wobei er sich hochrecken musste. »Macht ja nichts, man muss nicht jeden kennen. Ich lege größten Wert auf Diskretion, weswegen ich das eine oder andere Geschäft lieber selbst erledige, anstatt in sterilen Konferenzräumen zu verschimmeln.«

Der feine blaue Haarflaum stellte sich auf Kirzays Handrücken auf, seine Lider klappten misstrauisch auf und zu. »Du bist nicht etwa ein Paria?«

»Und wenn's so wäre, was kümmert's dich?« Der angebliche Patriarch winkte ab. »Ich bin Pendler, seit zehn Jahren. Wollte noch einmal neu anfangen, nachdem der liebe Sippenvorstand der Ansicht war, dass ich allmählich zu alt fürs Geschäft werde.«

Kirzay wusste, dass Pendler, im Gegensatz zu den Parias, ihre Isolation freiwillig auf sich nahmen und allein durch die Galaxis zogen, um Handel zu treiben. Er glaubte Wilm. Schließlich hatte er selbst vor einiger Zeit mit einem Misstrauensvotum zu kämpfen gehabt. »Dann ist es gut, wenn du dich nicht nur nicht unterkriegen lässt, sondern auch noch ein neues Geschäft aufziehst, um deiner Sippe anschließend deinen Erfolg zu verkünden und den Vorsitz zurückzuverlangen.«

Der Mehandor lachte dröhnend. »Und wie viel Spaß das macht! Ich hatte ganz vergessen, welchen Reiz und Kitzel der Handel haben kann, welche Überraschungen die Galaxis birgt. Ich bin weit davon entfernt, mich auf mein Altenteil zu setzen. Und genau deswegen gebe ich auch meine treue MUSE nicht auf.« Er wies auf das alte Schiff. »Sie mag außen nicht mehr sehr hübsch sein, aber technisch ist sie auf dem neuesten Stand. Kann nie schaden, ein bisschen unterschätzt zu werden, hm?« Er zwinkerte dem Jülziish zu.

Kirzay machte sich seine eigenen Gedanken. Es spielte keine Rolle, ob die Geschichte nun stimmte oder nicht; was zählte, war der Handel. Lieferung gegen Barzahlung. Das war das Wichtigste dabei. Keine Anwälte, keine Notare, keine Banken. Keine Zeugen.

»Waren das alle?«, fragte Wilm, als der letzte Container verschwunden war. Der automatische Transporter hob auf Kirzays Steuerbefehl mit hochfahrenden Schotten ab und flog zum Handelsposten zurück.

Kirzay rief das Protokoll auf und nickte. »Fünfzehn Container.«

»Wollen wir gemeinsam an Bord gehen und den Inhalt überprüfen?«

Wieder zuckte Misstrauen in den Härchen des Kaufmanns. Allerdings war es besser, die Ware hinter verschlossenen Schotten zu prüfen.

Wilm trank einen weiteren Schluck und schlug dem Handelspartner erneut auf die Schulter, was dieser mit Verärgerung zur Kenntnis nahm. Er war die plumpe Vertraulichkeit der Mehandor gewohnt, aber sie gefiel ihm keineswegs. Seine Haut verdunkelte missbilligend zu Violett. Der alte Pendler achtete nicht darauf, sondern ging voran an Bord seiner Walze. Kirzay hoffte, dass die ausgefahrene Einstiegsluke nicht gleich zusammenbrach, wenn sie sie gleichzeitig betraten.

Aber es gab nur ein wenig Ächzen und Knirschen, und gleich darauf waren sie oben. Wilm fuhr die Luke durch die Steuerung im Rahmen hoch und schloss zudem das Schott. Automatisch ging das Licht in dem mittelgroßen Frachtraum an. Die fünfzehn Container standen fein säuberlich neben- und hintereinander in drei Reihen.

Kirzay betätigte die Fernsteuerung, und alle Container gingen gleichzeitig auf.

»Prächtig! Prächtig!«, freute sich der Mehandor. Wie ein Kind zappelte er und klatschte mehrmals in die Hände.

Die Ladeliste an den Containern zeigte bei allen an, dass sich jeweils vierzig Roboter darin befanden. Sechshundert Stück. Eine beachtliche Menge für einen einzeln agierenden Pendler.

»Du musst ja einen ziemlich großen Garten haben«, bemerkte Kirzay.

»Oh, es ist eine Plantage – ich baue Boccul an, und um beste Qualität zu erhalten, benötigt es einen erheblichen Aufwand.«

»Boccul.« Kirzay glaubte kein Wort. So viel Aufwand nur für ein Gewürz?

Eher war es wohl Vevelyn, eine Droge, die immer mehr Beliebtheit fand und somit genau die richtige Basis für einen neu beginnenden Mehandor war. Wenn er schnell genug war, konnte er sich als einer der ersten Großhändler etablieren und die Preise diktieren.

Für Vevelyn wurden keine biologischen Erntehelfer eingesetzt, obwohl sie weitaus billiger waren als Roboter und jederzeit massenweise zur Verfügung standen. Denn schon die Sporen explodierten geradezu bei der leichtesten Berührung und sonderten hauchfeinen Staub ab, der sich schnell in der Luft verteilte.

Sicher konnte dem Rausch durch entsprechende Schutzkleidung entgegengewirkt werden, doch die Roboter waren in jedem Fall verschwiegener und beklauten den Eigentümer nicht, um ihr eigenes Geschäft aufzuziehen. Und sie öffneten die Schutzbekleidung auch nicht heimlich, um sich einen kostenlosen Trip zu gönnen und damit für den Rest des Tages auszufallen.

»Nur ein Hinweis – ich beteilige mich nicht an illegalen Aktionen«, warnte Kirzay.

»Ach was!« Wilm schritt gut gelaunt die Container entlang, blieb vor einem salutierend stehen und schnarrte: »Stillgestanden!« Kichernd wandte er sich seinem Handelspartner zu und nahm den nächsten Schluck.