Cover

LIAM O’DONNELL

BATTLE OF THE BLOCKS 3

FLUCHT AUS DEM

ENDE

Aus dem Amerikanischen von Annette Mader

images

© 2016 Liam O’Donnell
Titel der Originalausgabe: Battle of the Blocks 3: Escape from the End
ISBN der Originalausgabe: 978-0-9919281-8-7

Minecraft®/TM & © 2009–2016 Mojang/Notch

Dies ist kein offizielles Minecraft-Produkt. „Minecraft” ist eine eingetragene Marke der Notch Development AB. Es handelt sich bei diesem Werk nicht um ein offizielles „Minecraft“-Lizenzprodukt und steht in keiner Verbindung mit Mojang AB oder einem anderen „Minecraft“-Rechteinhaber.

Dieses Buch ist reine Fiktion. Der Autor erhebt keinen Anspruch auf die Urheberrechte von Minecraft, Mojang oder irgendwelche Namen, Orte, Kreaturen oder Gegenstände, die in diesem Spiel vorkommen. Alle Namen, Personen und Orte entstammen allein der Fantasie des Autors. Jede Ähnlichkeit mit aktuellen Ereignissen, Orten oder lebenden beziehungsweise toten Personen ist rein zufällig. Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Erlaubnis des Autors darf dieses Werk weder ganz noch in Teilen, weder mechanisch oder elektronisch, nicht durch Fotokopien, Aufnahmen oder Datenspeicherung, vervielfältigt werden.

Cover-Design: Saboten
Umschlag-Layout: Axel Mahé

© der deutschen Ausgabe: Ullmann Medien GmbH

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Annette Mader
Lektorat und Satz: ce redaktionsbüro für digitales publizieren
Redaktion: Franziska Funcke

Gesamtherstellung: Ullmann Medien GmbH, Potsdam

eISBN 978-3-7415-2287-1

www.ullmannmedien.com
info@ullmannmedien.com
facebook.com/ullmannmedien
twitter.com/ullmannmedien

Kapitel 1

Viel Zeit, die Welt zu retten, hatte Jaina nicht.

Die Polizei wartete in Rektor Whiners Büro. Es würde nicht lange dauern, bis sie sie wieder hereinrufen würden. Sie hatte vorgegeben, auf die Toilette zu müssen. Viel Zeit war damit nicht gewonnen, aber es könnte reichen.

Sie hastete den menschenleeren Flur zur Bibliothek hinunter und wünschte sich, ihr Magen würde aufhören Purzelbäume zu schlagen. Der Unterricht war seit über einer Stunde zu Ende. Sämtliche Schüler und die meisten Lehrer waren nach Hause gegangen.

Die Totenstille auf dem Gang wirkte auch nicht gerade beruhigend – es war wie an dem Tag, an dem alles begonnen hatte. Offensichtlich gestern. Es war erst ein Tag vergangen, seit Jaina und ihre besten Freunde auf dem Seedserver, dieser so unglaublich realen Version von Minecraft, gelandet waren. Seitdem war so viel geschehen, dass sie meinte, es wäre Wochen her. Im Spiel musste die Zeit mit einer anderen Geschwindigkeit vergangen sein, wie etwa bei diesen Zeitreisen im Fernsehen. Wie dem auch sei, ein einziger Tag ihrer Abwesenheit hatte genügt, ihre Mutter in Sorge zu versetzen und die Polizei zu alarmieren. Jetzt, wo Jaina wieder zurück war, war die Polizei gekommen und hatte ihr Fragen über Fragen gestellt. Jede ihrer Antworten hatte weitere Fragen aufgeworfen.

„Du bist also in ein Computerspiel gezogen worden?“, fragte der Polizist, als sie ihre Geschichte beendet hatte. Er hatte einen großen, roten Fleck auf seiner Uniform, als hätte er allzu gierig seine Spaghetti gegessen.

„Ja, genauso wie meine Freunde Ant und Hamid und auch Rektor Whiner.“ Jaina schaute zu ihrem dickbäuchigen Schulleiter, der ihr gegenüber saß. „Sie können ja ihn fragen, wenn Sie mir nicht glauben.“

Jaina hatte verschwiegen, dass Whiner sie gejagt und sogar versucht hatte, sie umzubringen. Im Grunde genommen war er während ihrer Gefangenschaft auf dem Seedserver eine ständige Nervensäge gewesen. Mr. Whiner mochte ja hier der Rektor ihrer Schule sein, in Minecraft jedoch hatte er sich eher wie ein Bösewicht aus einem schlechten Film benommen. Wieder in die reale Welt zurückgekehrt, änderte er sein Verhalten abermals. Er saß schweigend in seinem Sessel, schaukelte lässig vor und zurück und betätschelte das Schaumstoffschwert, mit dem überhaupt alles angefangen hatte. Dieses Spielzeug hatte sich auf dem Seedserver ebenfalls verwandelt. Es war zu einem echten Schwert aus Echten Diamanten geworden, und es war nicht das einzige. Es gab vier davon. Durch ihre Energie waren Jaina und ihre Freunde in die Welt von Minecraft gezogen worden. Jaina hatte ihre Kraft genutzt, um alle wieder aus dieser Welt herauszubekommen. Nun ja, fast alle! Hamid war leider noch immer dort gefangen und brauchte dringend ihre Hilfe. Deshalb musste sie jetzt unbedingt zurück in die Bibliothek.

Jaina öffnete die Tür und schlüpfte geräuschlos in die dunkle Bibliothek. Der flackernde Bildschirm eines einzigen Computers tauchte den hinteren Teil der Bibliothek in gruselig grünes Licht. Ohne das Licht anzuschalten, ging sie unter dem in der Decke klaffenden Loch durch. Staubschwaden zogen durch das von oben hereinfallende Sonnenlicht. Das hier war Ants Meisterwerk. Ihr Freund war zwar auch zurück in die reale Welt gekommen, aber weiterhin vom Alphaschleim infiziert. Seitdem er dieses Fluchtloch in das Dach der Schule gesprengt hatte, war er verschwunden. Mr. Rodinaldo hatte das Feuer, das er auf dem Geschichtsteppich entzündet hatte, zwar gelöscht, aber um das Loch in der Decke zu reparieren, brauchte es mehr als nur einen einfachen Feuerlöscher. Jaina hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie sie Ant wieder einfangen könnte.

Sie vertrieb den Gedanken an ihren flüchtigen Freund und bewegte sich eilig auf den blinkenden Computer zu. In wenigen Augenblicken würden noch mehr Polizisten hier eintreffen und sie ziemlich sicher von diesem ganzen Durcheinander weg in die sichere Obhut ihrer Mutter bringen. Bei dem Gedanken, dass ihre Mama sie zärtlich in ihre Arme nehmen würde, wurde ihr ganz warm ums Herz. Am liebsten würde sie weglaufen, sich verstecken und nie wieder einen Computer anfassen. Aber solange Hamid noch in Minecraft gefangen war, würde sie noch einige Zeit am Bildschirm verbringen müssen, und zwar ab sofort!

Jaina setzte sich vor den grün leuchtenden Computer. Er war noch immer mit dem Seedserver verbunden, wie sie an den Worten erkennen konnte, die auf dem Bildschirm leuchteten.

 

NICHT AUSSCHALTEN! WIR KOMMEN ZURÜCK

NICHT AUSSCHALTEN! WIR KOMMEN ZURÜCK

NICHT AUSSCHALTEN! WIR KOMMEN ZURÜCK

NICHT AUSSCHALTEN! WIR KOMMEN ZURÜCK

 

Diese Nachricht hatte sie selbst vom Seedserver gesendet. Mithilfe der geheimnisvollen Kraft der Diamantschwerter, die sie in Minecraft hineinbefördert hatte, war auch ihre Nachricht aus dem Server zurück in die reale Welt gelangt. Wenn also Nachrichten auf diesem Weg hierhergelangt waren, konnten sie auch auf demselben Weg zurückgeschickt werden, dachte sich Jaina.

Hastig tippte sie in die Tastatur und sandte ihre Nachricht direkt in den Seedserver. Sie blieb still sitzen und zweifelte daran, dass ihre Worte ihr Ziel erreichen würden.

Die Computer neben ihr begannen plötzlich aufzuleuchten, als seien sie aus einem tiefen Schlaf erwacht. Einer nach dem anderen fuhr hoch. Irgendetwas hatte sie aus dem Standby-Modus geweckt.

Zwei gleißend weiße Quadrate erschienen auf ihrem Bildschirm.

Jaina sprang auf und riss dabei ihren Stuhl um. Sie konnte die weißen Quadrate nicht aus den Augen lassen. Sie wurden größer und größer, bis sie schließlich den ganzen Bildschirm ausfüllten und das Gerät so laut summte, als würden seine Schaltkreise bald überhitzen. Auch auf den anderen Computern in der Bibliothek tauchten die Quadrate jetzt auf. Im ganzen Raum summte es wie in einem Bienenstock.

Plötzlich drängten sich die weißen Vierecke aus den Bildschirmen hervor. Pechschwarze Blöcke traten aus jedem Computer, gefolgt von langen mitternachtsblauen Körpern. Innerhalb von Sekunden sah sich Jaina von Kreaturen umgeben, die sie nie mehr hatte sehen wollen.

„Endermen!“, stöhnte sie. Jaina rang nach Luft.

Als die Endermen ihre Stimme vernahmen, drehten sie sich um. Ihre leeren Augen starrten Jaina durchdringend an. Ihre Kälte erstickte Jainas letzte Hoffnungen im Keim. Das waren keine normalen Endermen. Ihre Augen waren anders. Dieses blasse Weiß gehörte zu einer bösen Macht, der sie dienten, die aber nicht hier in ihrer Schule sein sollte. Jaina schreckte zurück. Ein furchtbarer Gedanke schoss durch ihren Kopf.

Herobrines Armee war gekommen.

Kapitel 2

Hamid war auf der Jagd.

Ihm war kalt und er hatte Hunger. Um ihn herum erstreckten sich gelbe Blöcke in alle Richtungen. Eine Landschaft des Nichts ohne Ende. Was für eine Ironie, denn hier war er ja im Ende. Hier war die Endstation, das Ende aller Hoffnungen, und wenn er nicht bald einen Weg aus dieser Ödnis finden würde, auch das Ende von Hamid.

Seitdem er in dieser letzten Minecraftwelt gestrandet war, hatte er schon millionenfach versucht, diese düsteren Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Ohne Tag und Nacht, ohne die Sonne, an der er sich hätte orientieren können, war er immer weiter gelaufen. Nichts als gelaufen. Die immerwährende Dämmerung nahm ihm jedes Zeitgefühl. Wie lange lief er nun schon? Stunden? Tage? Oder noch länger? Das wussten nur die endlosen Hügel aus den ewig gleichen, gelben Steinen.

Du wirst hierbleiben, während ich frei umherstreife.

Herobrines letzte Worte spukten ihm noch durch den Kopf. Die ultimative Quelle des Chaos war sehr erfreut gewesen, als seine Endermensoldaten Hamid durch das Endportal aus dem Nether hierhergebracht hatten. Herobrine war seit einer Ewigkeit in dieser trostlosen Welt gefangen gewesen, doch Hamids Ankunft hatte nun alles verändert.

Mein Gefängnis darf nicht leer bleiben. Jemand muss meinen Platz einnehmen. Eigentlich war der Dummkopf Whiner dafür vorgesehen, aber du kannst diese Rolle ebenso gut übernehmen.

Hamid war im Ende gefangen, was Herobrines Fluchtplan in Gang brachte und ihn selbst auf diesen Hügel.

Unter ihm bewegte sich seine Beute ebenfalls weiter. Ein schier endloser schwarzer Strom bahnte sich seinen Weg durch ein enges Tal. Wie ein riesiger Tausendfüßler aus großgewachsenen Gestalten schlängelten sich die Endermen summend aus der Schlucht in eine flache Ebene hinaus. Sie alle marschierten in die gleiche Richtung. Einige liefen, andere teleportierten sich wie Bockspringer immer ein Stückchen vorwärts.

Hamid hatte sie viele Hügel zuvor entdeckt, als er ziellos umhergeirrt war. Er war auf eine niedrige Erhebung geklettert und hatte den Strom der Endermen durch die öde Landschaft bemerkt. Sie summten und knisterten, wie sie es immer taten, aber diese Kreaturen hier waren irgendwie anders. Alle gingen wie Soldaten, die einem Befehl gehorchten, in die gleiche Richtung. Aber das war es nicht, was Hamid beunruhigte. Es waren ihre Augen, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen. Sie waren nicht violett wie bei normalen Endermen, sondern weiß. Nur ein Monster hatte derart helle Augen. Mehr brauchte Hamid nicht zu wissen, um zu begreifen, dass Herobrine diese Endermen unter seine Kontrolle gebracht hatte.

Es waren so viele dunkle Gestalten, dass es leicht war, sie im Auge zu behalten. Die Schwierigkeit für Hamid lag jedoch darin, selbst nicht entdeckt zu werden. Er lief die Kämme der niedrigen Hügel entlang, folgte den Endermen mit einigem Abstand und vermied es, ihnen in die Augen zu sehen. Ein einziger Blickkontakt würde genügen, und sie wären hinter ihm her wie ein Hund hinter einem Knochen.

Je länger er ihnen folgte, umso drängender fragte er sich, wo sie wohl hin marschierten. Das Flachland ging über in eine Hügellandschaft und wechselte wiederum in eine flache Ebene. Hamid bezweifelte allmählich, jemals herauszufinden, wo ihre Reise hinging. Doch plötzlich, nach Abertausenden von Schritten, kannte er die Antwort.

Die Schlucht vor ihnen öffnete sich zu einem von Hügeln umgebenen, großen Talkessel. An der gegenüberliegenden Seite erhob sich ein Berg aus Endsteinen vor dem Horizont. Auf dem Gipfel thronte ein aus Obsidian gehauenes Bauwerk. Es wirkte wie eine Mischung aus Schloss und Raumschiff. Die Bergkuppe war umgeben von einer Mauer aus mitternachtsblauen Steinen. Hinter ihr ragte ein einzelner Turm aus Obsidian in den Himmel. Die endlose Schlange von Endermen marschierte den Berg hinauf und strömte in dieses dunkle Schloss.

Lautes Summen umgab die Kreaturen und wurde mit jedem Augenblick lauter. Hamid warf sich auf den Boden und hielt sich die Ohren zu. Sein Gehirn schien zu zerspringen. Als die Lautstärke ihren Höhepunkt erreicht hatte, erstrahlte ein helles Licht an der Turmspitze.

Das Licht durchbrach die Dunkelheit, verwandelte das Summen der Endermen in ein wahnsinniges Knistern, erstrahlte in die Höhe und durchbohrte den dunklen Himmel wie eine Lanze.

Wie Mücken trieben Schwärme von kleinen Körpern auf dem Lichtstrahl nach oben. Sie tanzten und taumelten, während sie nach oben schwebten und schließlich nicht mehr zu sehen waren. Während ihres Aufstiegs formten sie sich zu ihrer endgültigen Gestalt.

Ziffern! Es waren viele Ziffern, die sich zu einer langen Zahlenfolge verbanden. Herobrine hatte den Seedgenerator aktiviert, der die langen Startwerte generierte, die für alle Spieler weltweit sämtliche Elemente einer Minecraftwelt bestimmten. Der Seed verfügte über die Energie, eine Welt aus dem Nichts entstehen zu lassen. Jetzt nutzte Herobrine diese Energie, um eine Brücke zwischen dieser Welt aus Blöcken und Hamids echter Welt zu schlagen.

Herobrines Handlanger hatten den Seed aus diesem einzigen Grund gestohlen und ihn von der Oberwelt ins Ende gebracht. Mit dem aktivierten Seed war die Brücke hergestellt. Hamid konnte nur noch entsetzt zuschauen.

Unten im Tal erreichte das Summen der Endermen ein ohrenbetäubendes Niveau, aber Hamid konnte seinen Blick nicht von dem Lichtstrahl wenden, in dem nun etwas anderes nach oben schwebte. Langgliedrige Körper stiegen aufwärts durch den dunklen Himmel. Einer nach dem anderen begann den Aufstieg, bis schließlich ein stetiger Strom weißäugiger Endermen über den Lichtstrahl in die reale Welt entschwebte. Unten im Tal marschierten die Endermen weiterhin wie auf einem Laufband in das Schloss auf dem Berg. Unentwegt drängten sich Minecraftmonster über den Lichtstrahl heraus aus dem Ende. Herobrines Armee hatte sich in Bewegung gesetzt.

Die Invasion der realen Welt hatte begonnen.

Kapitel 3

Weißäugige Endermen bevölkerten die Bibliothek.

Sie entstiegen den Bildschirmen in einem endlosen Strom, teleportierten sich von einer Seite der Bibliothek zur anderen, summten durch die Sachbuchabteilung und schwirrten um die Bilderbuchregale herum. Es schien, als wäre die Bibliothek durch einen Schlauch mit dem Ende verbunden und jemand hätte das Ventil weit aufgedreht. Ein Schwarm langgliedriger, weißäugiger Minecraftmonster ergoss sich in die reale Welt.

Wie ein Schnellfeuer-TNT-Geschütz hämmerte Jainas Herz in ihrer Brust. Sie konnte kaum glauben, was sie hier sah. Aber es geschah wirklich. Minecraftmonster hatten es geschafft, in die reale Welt einzudringen.

Ein Endermen tauchte direkt vor Jaina auf. Sie konnte gerade noch seinem zugreifenden Arm entkommen und sprang auf das Regal mit den Comics. Er versuchte erneut, sie mit seinen langen Händen zu erwischen. Jaina sprang herunter, landete mit einer Rolle vorwärts auf dem Boden und kam am Bücherausgabepult wieder auf die Beine.

Irgendetwas war eigenartig. Damit jedoch meinte sie nicht die Monsterarmee, die sie gerade angriff. Im Computerspiel sprang sie umher und wich ihren Angreifern aus, aber doch nicht im echten Leben. Letztes Jahr wäre sie in Sport fast durchgefallen, doch auf einmal sprang sie umher wie ein Känguru. Sie schob diese Gedanken von sich und stellte sich den Endermen entgegen, die vor ihr zusammenliefen.

Ein kontinuierliches Summen begleitete die Monster. Ein einzelner Enderman, länger als alle anderen, trat aus der Gruppe hervor. Seine weißen Augen waren fest auf Jaina gerichtet. Er schwirrte nicht so nervös umher wie seine Artgenossen, sondern bewegte sich mit Bedacht und überlegt fort, wie Jaina es bei diesen Kreaturen noch nie beobachtet hatte. Das hier war kein gewöhnlicher Enderman. Er war nicht einfach nur ein namenloses Glied eines summenden Schwarms. Er war mehr.

Das Monster kam auf Jaina zu und streckte seine Arme nach ihr aus. Alle vier Arme! An beiden Seiten seines langen Körpers hingen fast schon spinnenähnlich je zwei Armpaare. Jaina taumelte zurück und versuchte zu begreifen, was sie da gerade sah. Das war keine Kreatur aus Minecraft. Es war etwas anderes, und es stand in der Bibliothek ihrer Schule direkt vor ihr.

Die Umrisse der Bibliothek verschwammen. Jaina konnte nicht mehr klar sehen, alles erschien ihr wie verpixelt. Ein Metalleimer erschien direkt vor ihr. Verräterische blaue Blöckchen schimmerten aus dem Eimer. Wasser! Jaina griff nach ihm und konnte einen Aufschrei nur knapp unterdrücken. Sie hatte keine Hände mehr. Ihr Arm endete in einem blockigen Stumpf. Wie war das möglich? Sie ließ auch diese Frage unbeantwortet und wandte sich ihrem Feind zu. Der Eimer kam ebenso aus Minecraft wie dieser vierarmige Enderfreak, der im Begriff war, sie anzugreifen. Sie schleuderte den Eimer auf das Monster. Es stürzte zu Boden und schrie jämmerlich, als das Wasser seinen Körper traf.

Minecrafteimer gegen Minecraftspinner: 1 : 0

Plötzlich wurde Jaina fortgezogen, weg von dem kreischenden Monster. Die Blöcke verschwanden. Die Realität kehrte zurück, und Mr. Rodinaldos Gesicht tauchte direkt vor ihr auf.

„Komm mit mir!“

Ihr Lehrer zog sie aus der Bibliothek und schlug die Türen zu.

„Sind das Endermen?“ Mr. Rs Mund stand offen.

Jaina nickte. „Wir sollten besser hier verschwinden, bevor das Wasser versiegt.“

Sie liefen den Flur zum Sekretariat zurück. Draußen vor dem Schultor hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Gott sei Dank waren es Menschen. Rektor Whiner, Kommissar Spaghetti, ein Typ im Trenchcoat und eine Handvoll Polizisten.

„Wie ich sehe, sind noch mehr Polizisten eingetroffen“, sagte Jaina, als sie um die Ecke hasteten.

„Kommissar Gruber und sein Team“, keuchte Mr. Rodinaldo außer Atem.

Alle drehten sich zu ihnen um, als Jaina und Mr. R. näher kamen. Der Ausdruck der Erleichterung im Gesicht der Polizisten wich schlagartig blankem Entsetzen, als sie sahen, wer hinter ihnen durch die Halle lief.

Jaina riskierte einen Blick über ihre Schulter. Dunkle Gestalten schwärmten aus dem Flur. Dutzende Endermen teleportierten sich summend näher.

Kommissar Spaghetti rieb sich die Augen, weil er nicht glauben konnte, was er sah. Auch der Typ im Trenchcoat hatte seine Augen weit aufgerissen. Rektor Whiner öffnete und schloss seinen Mund wie ein Guppy.

Jaina blieb direkt vor den Männern stehen, die noch immer ungläubig die Meute der herannahenden Computerspielmonster anstarrten.

„Sie müssen Kommissar Gruber sein“, wandte sie sich an den Mann im Trenchcoat.

Als er seinen Namen hörte, nickte Gruber, konnte seine Augen aber nicht von den heranstürmenden Monstern lassen. Jaina seufzte.

„Das sind Endermen“, flötete sie mit ihrer besten Noobstimme. „Sie sind aus Minecraft und werden in Ihr Gehirn eindringen. Rennen Sie weg!“

Kommissar Gruber blickte sie böse an. „Ich nehme keine Befehle von Kindern an.“

„Dieses Mal sollten Sie es aber tun“, bemerkte Rektor Whiner. Offensichtlich schien er wieder bei Verstand zu sein, auch wenn er noch so bleich war wie ein Ghast. „Wir müssen die Schule verlassen. Sofort!“

Der vierarmige Enderfreak führte die Endermen immer näher heran. Ein unheimliches Meer aus weißen Augen trieb durch den Flur.

Kommissar Grubers grimmiger Blick bohrte sich in Jaina, als er den Befehl zum Rückzug gab.

Sie rannten los und blieben erst stehen, als sie die Straße vor der Schule überquert hatten. Polizeiautos säumten die Straße und weitere Polizisten standen einsatzbereit herum. Sie waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf das, was jetzt geschah.

Endermen strömten aus dem Haupteingang der Schule.

Eine Flut langgliedriger, summender Körper ergoss sich auf den Schulhof und quer über den Kinderspielplatz. Aber sie kamen nicht näher. Sie verteilten sich bis in die letzten Winkel des Schulhofs. Kurz vor dem Zaun hielten sie an und verharrten dort stumm.

„Was tun sie da?“, fragte Mr. Rodinaldo.

„Sie warten auf Befehle.“ Whiners Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Das habe ich schon einmal gesehen.“

Jaina konnte den vierarmigen Enderfreak nicht entdecken, aber sie wusste genau, dass er irgendwo unter ihnen war.

Plötzlich hatte jeder Enderman einen Obsidianblock in der Hand. Wie eine Armee aus Ameisen legten sie alle die Blöcke nebeneinander auf den Boden um das Schulgründstück herum. Einen nach dem anderen, Block für Block, bis diese Blöcke in einer Reihe das gesamte Schulgelände umsäumten. Die Endermen setzten eine neue Reihe auf die soeben fertiggestellte, dann eine weitere und so fort. Im Rhythmus ihres Summens fügten sie Block auf Block hinzu.

Mit gerunzelter Stirn beobachtete Kommissar Gruber die Endermen. „Was machen sie jetzt?“

„Sie bauen“, stöhnte Whiner. „Das ist schlecht. Sehr schlecht!“

Die Obsidianmauer wuchs immer höher. Jaina konnte die Schule schon nicht mehr sehen. Bald umgab die Mauer aus unzerstörbarem Stein das gesamte Schulgrundstück.

Kommissar Gruber verschränkte die Arme und schien nicht besonders beeindruckt. „Und was bauen sie da?“

„Eine Festung“, sagte Jaina besorgt. „Sie bereiten sich auf einen Krieg vor!“

Kapitel 4

Hamids Hintern war vollkommen taub.

Das passiert eben, wenn man auf kalten Endsteinen sitzt. Unter ihm schlängelte sich das endlose Band der Endermen durch die Ebene. Es schlängelte sich durch das Tal und schließlich über das flache Gelände. Jeder dieser langen Körper war ein Soldat, der in Hamids Heimat einmarschierte, und er konnte nur hilflos zuschauen.

Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon hier oben saß und auf die Talsenke blickte. Eine Stunde? Einen Tag? Oder noch länger? Hier in dieser Welt ohne Sonne war es unmöglich, den Lauf der Zeit richtig einzuschätzen.

Mit Gewissheit wusste er nur, dass die Endermen in Herobrines Schloss liefen, auf dem Lichtstrahl nach oben schwebten und im Himmel verschwanden. Sie wechselten hinüber in die reale Welt. Darüber konnte kein Zweifel bestehen.

Herobrine hatte die Invasion der wirklichen Welt begonnen. Der Strom der Endermen unter ihm war erst der Anfang. Zombies, Creeper und Skelette würden sicher bald folgen. Er konnte sich ausmalen, wie sich das Chaos in seiner Welt ausbreiten würde. Es würde nicht lange dauern, bis es in seiner Nachbarschaft nur so von Minecraftmonstern wimmeln würde. Aber was konnte er dagegen tun?

Je mehr Endermen vorbeiströmten, desto mehr zerstreute sich seine Hoffnung auf ein Entkommen aus dieser Ödnis. Er würde so lange hier gefangen bleiben, bis seine Herzen aufgebraucht waren.

Dann würde alles vorbei sein. Herobrine könnte dann seinen Sieg verkünden und Hamids Freunde und Familie zu Hause terrorisieren. Das Spiel wäre für alle endgültig verloren. Für Hamid war es ja schon verloren. Es machte keinen Sinn mehr, weiter zu kämpfen. Es war aus, für alle.

Eine rasche Bewegung unten im Tal erregte Hamids Aufmerksamkeit. Unruhe machte sich unter den Endermen breit. Der geordnete Strom der auf den Lichtstrahl zustrebenden Monster brach auseinander. Ihr verunsichertes Summen und Knistern drang bis zu Hamids Versteck oberhalb der Talmulde.

Etwas Kleines bewegte sich durch die Schlange der Endermen und verursachte Verwirrung unter den Soldaten, die unsicher ausschwärmten. Vergeblich versuchten einige mit ihren langen Armen nach der flinken Gestalt zu greifen. Das kleine Geschöpf rannte durch die Schlange, fletschte die Zähne und schnappte nach den Endermen. Als die Kreatur schließlich zu bellen begann, keimte wieder Hoffnung in Hamid auf.

„Bones!“

Unten im Tal rannte Jainas verlotterter kleiner Hund wie ein Ritter bei einem Turnier durch die Reihen der Endermen. Mit jedem Angriff unterbrach er den ständigen Strom der Endermen. Die Kreaturen reihten sich schnell wieder ein und der Strom riss nicht ab. Doch der kleine Hund gab nicht auf.

Bones war ebenso einsam und verloren im Ende wie Hamid. Aber das kleine Hündchen saß nicht tatenlos auf einem Stein und bedauerte sich selbst. Es war mitten im Geschehen und zeigte Herobrine, dass der Kampf noch nicht vorbei war. Hamid war beschämt. Wenn Bones noch immer kämpfte, würde Hamid es auch tun. Doch jetzt war er nicht mehr allein.

Er kletterte den Hügel hinunter und lief auf die Endermen zu. Sein Inventar war leer, er hatte den Endermen nur seine Worte und seine unbändige Wut entgegenzusetzen. Von beidem war genug vorhanden.

„Hey, ihr Blockdiebe“, rief er ihnen entgegen. „Lasst Bones in Ruhe und vergreift euch an etwas Größerem!“

Einige Endermen drehten sich zu Hamid um. Sie blickten ihn kurz mit ihren weißen Augen an, drehten sich um und liefen weiter. Hamid blieb stehen und rief ihnen weitere Beschimpfungen zu. Wieder wandten sich einige Endermen ihm zu, fixierten ihn kurz, marschierten dann aber unbeirrt weiter auf Herobrines Festung zu.

Sie hatten Hamid einfach ignoriert. Eigentlich war der Blickkontakt mit einem Enderman gleichbedeutend mit dem Beginn eines Kampfes. Offensichtlich hatte Herobrine sie in seiner Gewalt. Wenn er die Invasion stoppen wollte, musste er sich mehr einfallen lassen, als die Truppe nur zu beschimpfen.

Von der anderen Seite wirbelte Bones durch die Soldaten. Sie stoben auseinander, teleportierten sich ein kurzes Stück weg, summten verwirrt und reihten sich schließlich wieder ein. Bones ließ nicht nach, kehrte zur Endermenreihe zurück, attackierte sie erneut und trieb sie noch einmal auseinander. Sekunden später brach er wieder durch. Diesmal wartete Hamid schon auf den kleinen Kerl.

Bones erkannte ihn sofort. In einem Augenblick verwandelte sich sein zorniges Bellen in freudiges Winseln. Er raste auf Hamid zu und leckte ihn von oben bis unten ab.

„Ich freu mich auch, dich zu sehen!“ Hamid lachte und gab dem Hund einen liebevollen Klaps. „Wie bist du denn hierhergekommen? Ist Jaina bei dir?“

Bones bellte weiter, als wollte er Hamid antworten und umkreiste ihn. Mehr Antworten konnte er nicht geben. Aber eines war klar: Der Hund freute sich unbändig, ihn zu sehen. Ohne Vorwarnung rannte Bones in die Richtung, aus der die Endermen kamen, stoppte abrupt, kehrte zu Hamid zurück, bellte und rannte wieder davon.

„Ich soll dir folgen?“ Hamid blickte zu den Endermen, die ihren Marsch stetig fortsetzten. Im Moment konnte er sie nicht aufhalten. Nach ihrer gemeinsamen Zeit im Nether wusste Hamid, dass er Bones vertrauen konnte. Wenn der Hund wollte, dass man ihm folgte, folgte man ihm. Vielleicht würde er ihn zu Jaina und den anderen führen. „Dann lauf vor, alter Freund!“

Bones machte vor Freude einen Luftsprung und trottete dann das Tal entlang, wobei sie sich allmählich von den Endermen entfernten.

Hamid folgte ihm das Tal hinaus und durch die flache Ebene des Ende. Bones wusste genau, wohin er wollte, und lief entschlossen voran. Gelegentlich blieb er stehen, bellte Hamid aufmunternd zu und setzte seinen Weg fort.

„Ich komme ja schon!“, rief Hamid dann. Seine Herzen gingen langsam zur Neige und deshalb wollte er nicht zu schnell laufen. Seitdem er ins Ende gelangt war, hatte er nichts mehr gegessen. Schnelles Laufen und Kämpfen würde zu einem raschen Ende im Ende führen. Er lief nur so schnell wie unbedingt nötig, um Bones nicht aus den Augen zu verlieren.

Der Hund führte ihn zu einem niedrigen Hügel aus Endsteinen. Am Fuße der Erhebung befand sich eine kleine Öffnung, nur drei Blöcke hoch und zwei Blöcke breit. Hamid untersuchte den Eingang.

„Die hat jemand angelegt“, flüsterte er.

Auf seiner Wanderung durchs Ende hatte er bisher noch keinen Hinweis auf andere Spieler gefunden, weder halbfertige Gebäude, Unterschlüpfe oder Türme. Außer Herobrines Festung hatte er nur natürlich entstandene Endsteine gesehen. Bis jetzt!