image

Titel

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7380-3 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5791-9 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser, Stolberg

In zeitgenössischen Quellen wurden sowohl der ursprünglich verwendete Wortlaut
von Zitaten, Bibeltexten, als auch die originale Orthografie, selbst wenn diese fehlerhaft
sein sollte, beibehalten.

© 2017 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: mailto:info@scm-haenssler.de

Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: iStockphoto.com
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Inhalt

Vorwort von Prof. Joachim Scholtyseck

KRIEGSKINDHEIT

1 Stunde null

2 Zuflucht am Simssee

3 Ein letzter Besuch

ATTENTAT UND VERFOLGUNG

4 Cäsar von Hofacker

5 Der 20. Juli 1944 in Paris

6 Hausdurchsuchung

7 Verhaftung

8 Im Polizeigefängnis Ettstraße

9 Abreise der Jüngsten

10 Im Kinderheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt

11 Eingesperrt im Bombenkrieg

12 Die Odyssee beginnt

13 Im Verhör

HIMMLERS GEFANGENE

14 Schicksalsgefährten

15 Die Sippenhaft als Spielart der Macht

16 Lagerleben

17 Verwaiste Kinder

18 Die dunkelsten Stunden

19 Flucht vor der Roten Armee

20 SS-Strafgefangenenlager Matzkau

21 Transport nach Buchenwald

22 Neuankömmlinge

23 Warten auf die Amerikaner

24 Schicksalsstunde: 3. April 1945, 15 Uhr

25 Befreiung

26 Die Odyssee geht weiter

27 »Gefangener Bonhoeffer – mitkommen!«

28 Sammeln für den letzten Transport

29 Mythos Alpenfestung

FREIHEIT AUF RATEN

30 Zwischen Wehrmacht und SS

31 Zum zweiten Mal befreit

32 Gäste der Amerikaner

33 Lang ersehnter Aufbruch

34 Zurück ins Leben

35 Neuanfang

Nachwort der Autorin

Nachwort von Christa von Hofacker

Bildteil 1

Bildteil 2

Anmerkungen

Die Odyssee der Sippenhäftlinge

Stammbaum der Familie von Üxküll-Gyllenband

Stammbaum der Familie von Hofacker

Stammbaum der Familie Schenk von Stauffenberg

Abkürzungen

Verzeichnis der Personen

Literaturverzeichnis

Bildnachweise

Leseempfehlungen

Vorwort von Prof. Joachim Scholtyseck

Die Annahme, über die Widerstandsbewegungen im Kampf gegen Hitler sei alles bekannt und alles gesagt, ist in der Öffentlichkeit immer wieder zu hören. Dies ist nachweislich falsch – wie ließe sich beispielsweise ansonsten erklären, dass über das berüchtigte Berliner Gestapo-Zellengefängnis in der Lehrter Straße, in das nach dem gescheiterten Attentat gegen Hitler im Juli 1944 zahlreiche Widerstandskämpfer eingeliefert wurden, erst 2014 ein voluminöses Buch von Johannes Tuchel erschienen ist?

Ähnliches lässt sich auch über weitere Aspekte sagen, die sich mit der Verfolgung der Angehörigen des Widerstands vom 20. Juli 1944 verbinden. Erst in den letzten Jahrzehnten haben einige Studien zur berüchtigten »Sippenhaft« unsere Kenntnisse zu dieser perfiden Art der Bestrafung neu beleuchtet. Hierzu zählen unter anderem die wichtigen Arbeiten aus der Feder von Hans-Günther Richardi, Johannes Salzig und Friedrich-Wilhelm von Hase. Aber auch diese Studien, die sich akribisch bemühen, die Aktion des Regimes zu ergründen, müssen manche Fragen unbeantwortet lassen, weil schlicht und einfach die Quellen fehlen.

Umso begrüßenswerter ist, dass mit dem vorliegenden Werk unser Wissen über zahlreiche Aspekte der Leidensgeschichte der Angehörigen der Verschwörer des 20. Juli 1944 sowie weiterer europäischer Prominenter, die in den Augen des NS-Regimes als »Feinde« klassifiziert oder als Faustpfand missbraucht wurden, erweitert wird. Die Darstellung aus der Feder von Valerie Riedesel ergänzt somit unser Bild des Widerstands um weitere Facetten. Ihre Arbeit ist zwar nicht als wissenschaftlich-historische Studie konzipiert, aber sie integriert und interpretiert einfühlsam neue Quellen und bislang unbekannte Briefwechsel von Angehörigen. Sie vermag anschaulich das Leiden derjenigen zu zeigen, die als Ehepartner, Kinder und Enkel zu den Opfern der Verfolgung im »Dritten Reich« wurden. Nicht zuletzt mit Blick auf diese Neuerkenntnisse ist dem Werk von Valerie Riedesel eine weite Verbreitung zu wünschen!

Professor Dr. Joachim Scholtyseck,
Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn
Stellvertretender Vorsitzender der »Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944«

KRIEGSKINDHEIT

1

Stunde null

Südtirol, April/Mai 1945

Es ist laut in den Lastwagen. Mühsam arbeiten sich die Wehrmachtsfahrzeuge den Weg auf der schmalen Straße den Berg hoch, kämpfen weniger gegen die Steigung als gegen den Schnee. Seit diese seltsame Reisegruppe Niederdorf verlassen hat, fallen dichte, weiße Flocken, jeder Meter bringt sie aus dem beginnenden Frühling zurück in den Winter – aber in Sicherheit. Die Männer, Frauen und selbst die paar Kinder versuchen gar nicht erst mit Gesprächen den Krach der Motoren zu übertönen. Sie sind gleichzeitig müde und aufgedreht und in Gedanken noch ganz bei den sich überstürzenden Ereignissen des heutigen Tages. Je höher sie kommen, desto dichter wird das Schneetreiben und desto gequälter auch das Dröhnen der Lastwagen. Schließlich halten sie an. Bitte aussteigen. Das letzte Stück müssen Sie leider zu Fuß gehen. Wer ein Bündel oder einen Koffer hat, greift ihn, die Männer nehmen galant den Damen die Last ab. Es dämmert, die Schneeflocken trüben die Sicht, und doch heben sich die schroffen, felsigen Gipfel der Dolomiten klar im Zwielicht ab.

Zum Glück brauchen sie nicht allzu weit zu laufen, bis sie am Ziel sind. Zwischen Wald und See, dem einsamen Lago di Braies, taucht ein lang gestrecktes Gebäude aus Natursteinen auf. Die Haustür steht offen, und mit großer Herzlichkeit empfängt sie Emma Heiss-Hellenstainer, die Besitzerin des Hotels »Pragser Wildsee«. Als ob sie lang erwartete Gäste wären, bekommt jeder von ihnen eine kleine Karte mit der Nummer eines Zimmers, das ihm speziell zugeteilt worden ist. Dabei hatten erst wenige Stunden vorher drei Wehrmachtsstäbe auf höheren Befehl missmutig das Gebäude geräumt.

Selten hat das ehrwürdige Hotel im Hochpustertal in Südtirol eine solche Vielzahl an namhaften internationalen Gästen gesehen wie an jenem letzten Apriltag des Jahres 1945. Sie tragen keine Pelze, wie es angesichts der kalten Temperaturen auf 1 400 Meter Höhe angemessen wäre, sie haben kaum Gepäck und kein Gefolge bei sich. Sie besitzen kaum mehr als das, was sie am Leibe tragen, dreckige Uniformröcke, sorgfältig, aber einfach geflickte Hosen, abgetragene Jacken, möglichst dicke Wollpullover über alten Röcken, kaputte Schuhe. Auch wenn sie sich äußerlich in ihrer abgenutzten Kleidung und den von Not und Entbehrung gezeichneten Gesichtern ähneln, so könnte diese illustre Gesellschaft unterschiedlicher nicht sein: Frühere Regierungschefs aus Österreich, Ungarn oder Frankreich sind darunter, von Hitler abgesetzte Minister und Generäle, deutsche Aristokraten und Großindustrielle, Offiziere der Wehrmacht, der Roten Armee und der Royal Air Force, Theologen, britische Agenten und Familienangehörige der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944. Während ihre Nationen sich die allerletzten Gefechte des Zweiten Weltkriegs liefern, verbindet sie ein gemeinsames Schicksal. Sie alle waren bis zu diesem Morgen Gefangene der Nazis, von Himmlers Schergen als Geiseln in die Alpen verschleppt und in einem recht dramatischen Handstreich schließlich von der Wehrmacht aus den Händen der SS befreit.

Im Tal ist der Frühling schon deutlich zu spüren, doch am Pragser Wildsee liegt eine geschlossene Schneedecke, die weißen Gipfel der Dolomiten spiegeln sich im klaren Wasser des Bergsees – eine malerische, aber kalte Pracht. Abgesehen von der Einquartierung durch die Wehrmacht, hat niemand in dieser Jahreszeit mit »richtigen« Gästen gerechnet. Die Zimmer sind eisig, können größtenteils gar nicht geheizt werden, denn die Saison beginnt hier frühestens im Juni. So mancher, wie Pastor Martin Niemöller, leidet unter der Kälte im Hotel. Viel Ärger wegen Umzugs und Ofenheizens, Schnee usw.1, schreibt der bekannte Pfarrer der Bekennenden Kirche in sein Tagebuch. Doch für die meisten der Menschen, die Monate und zum Teil Jahre eingepfercht in Lagern hinter Stacheldraht verbracht haben, ist das malerische Hotel ungeachtet mancher Unbequemlichkeiten ein Paradies. 139 Personen sind es aus siebzehn verschiedenen Nationen.

Sie können sich satt essen, auch wenn sie mangels Personal das Essen selber kochen müssen. Sie haben ein richtiges Bett zum Schlafen, können sich waschen, sie dürfen spazieren gehen, in der kleinen Kapelle am See Andachten feiern, und sie werden von Einheimischen und Soldaten der Wehrmacht mit großer Freundlichkeit und Respekt behandelt. Sie genießen die ungestörte Unterhaltung untereinander, nachdem ihnen während der Lagerzeit der Austausch mit anderen Häftlingen strengstens untersagt war.

Ihre Gemeinschaft ist noch jung. In verschiedenen Gruppierungen haben sie Gefängnisse und Konzentrationslager durchlaufen, bis sie alle zusammen schließlich von Innsbruck aus in Bussen über den Brenner nach Südtirol gebracht wurden, in die Alpen – die letzte Bastion des NS-Reichs. Rivalitäten unter den Nationen und unterschwelliges Misstrauen gerade gegenüber den Häftlingen in Wehrmachtsuniform während der nervenzerreißenden letzten Tage der Gefangenschaft sind jetzt einem Gefühl der Zusammengehörigkeit gewichen – vor allem, nachdem es dann doch deutsche Soldaten und noch nicht die Amerikaner waren, die sie aus der Gewalt der SS befreit haben.

Die Zeit am Pragser Wildsee erleben sie als Innehalten, als kurze Atempause, bevor das Kriegsende dann doch wieder diese Gemeinschaft in Sieger und Besiegte, in Franzosen, Engländer, Dänen, Italiener einerseits und Deutsche andererseits einteilen wird. Die große Anspannung fällt langsam von ihnen ab, genauso wie die Furcht der vergangenen Wochen, am Ende doch noch von den SS-Bewachern liquidiert zu werden. Die Hotelbesitzerin Emma Heiss serviert den Gästen großzügig die letzten Reserven aus ihrem Weinkeller und muntert mit ihrer Gastfreundschaft auch Pastor Niemöller wieder auf. Auch die Kabarettistin Isa Vermehren sorgt mit ihren Liedern abends in der Hotelhalle für eine entspannte, sogar fröhliche Atmosphäre.

Und doch: Sie sind befreit, aber noch nicht frei – und es fällt manch einem schwer, seine Ungeduld zu zügeln, jetzt, wo der endgültige Zusammenbruch nur noch eine Frage von Tagen sein kann. Doch die Wehrmacht möchte die Gruppe geschlossen an die Amerikaner übergeben. Nicht nur SS-Leute stellen noch immer ein unberechenbares Risiko dar, auch die italienischen Partisanen, die so kurz vor der deutschen Kapitulation in Italien immer offener aus der Deckung der umliegenden Berge in die Dörfer vordringen, würden sich gerne dieser prominenten Gesellschaft bemächtigen. So wird das Hotelareal bis zum Einmarsch der Amerikaner von deutschen Soldaten bewacht. Der italienische General Sante Garibaldi, ein Enkel des berühmten Freiheitskämpfers, hat sich schon zu den Partisanen abgesetzt.

Auch Wassilij Kokorin, Neffe des sowjetischen Außenministers Molotow, hält nichts mehr nach Jahren der Gefangenschaft. Er möchte sich zu seiner Truppe durchschlagen und lässt sich auch von seinen Gefährten nicht umstimmen. Er könne sich nicht von der Hure England2 befreien lassen, das würden ihm sein Onkel und Stalin nie verzeihen, sagt er beim Abschied. Er schließt sich kommunistischen Partisanen an, wird von ihnen in einer Berghütte versteckt, stirbt dort jedoch mangels medizinischer Versorgung an Wundbrand, als durch die Kälte alte Frostwunden neu aufbrechen.

Mithilfe der Wehrmacht und des großen Engagements von Emma Heiss, vor allem aber auch dank des militärischen Organisationstalents, das etliche der befreiten Offiziere unter Beweis stellen, gelingt es, die Versorgung und das Zusammenleben der heterogenen Gruppe einigermaßen zu regeln. Küchendienste werden eingeteilt und Holzrationen zugewiesen – wobei allerdings das Holz und auch der Weinvorrat schneller schwinden, als es sein dürfte. Jeder Gast bekommt einen Zettel, um aufzuschreiben, was am dringendsten fehlt. Prinz Philipp von Hessen listet vom Koffer bis zu den Schuhen Größe 43 alle notwendigen Kleidungsstücke auf. Auch Fabian von Schlabrendorff braucht Ersatz für sein gesamtes Gepäck, während Hitlers früherer Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht bescheiden vermerkt: Ich bitte um eine Unterhose, wenn die dringendsten Wünsche befriedigt sind. Eine habe ich.3

Die 15 Jahre alte Anna-Luise, von allen hier nur familiär Ännerle genannt, hat vor allem einen Wunsch: Bleistift und Schreibpapier. Sie ist die Tochter von Cäsar von Hofacker, einem Vetter Stauffenbergs, der selber zu den aktiven Verschwörern des 20. Juli gehörte und nach langer Haft und Folter hingerichtet worden war. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem anderthalb Jahre älteren Bruder Eberhard wurde Ännerle kurz nach dem Attentat in Sippenhaft genommen. Vom Gefängnis in München führte sie die Odyssee ihrer Haft über das Riesengebirge in das KZ Stutthof bei Danzig und schließlich im tiefsten Winter wieder zurück über Buchenwald und Dachau bis an den Pragser Wildsee. Während Eberhard neugierig und erlebnishungrig im Hotel umherstreift, sucht Ännerle eher die Stille ihres kleinen Zimmers. Es drängt sie, alles aufzuschreiben, was sie in den vergangenen neun Monaten erlebt hat, Gefängniszeit, KZ, Trennung von den jüngeren Geschwistern, Krankheit, Tod, Transporte. Sie muss diese Zeit festhalten, um nichts zu vergessen, um sie später mit den drei »Kleinen« – Christa, Alfred und Liselotte – teilen zu können, um Zeugnis abzulegen und vielleicht auch, um all das Erlebte zu bewältigen. Sie liebt es zu formulieren, Geschichten und Gedichte zu schreiben. Während ihrer Odyssee durch Gefängnisse und Konzentrationslager hat ihr der Mut gefehlt, Tagebuch zu führen. Zu groß war die Angst, dass die Aufzeichnungen entdeckt und gegen sie verwendet werden könnten. Jetzt sind sie befreit, jetzt darf sie wieder offen sagen und aufschreiben, was sie denkt, muss sich nicht mehr vor den Wachen in SS-Uniform ducken.

Doch als sie alleine in dem kalten Zimmer vor dem schönen kleinen Büchlein mit dem roten Ledereinband sitzt und die leeren Seiten durchblättert, zögert sie. Womit soll sie anfangen? Wie weit zurückgreifen in eine Geschichte, in der ihre Familie von heute auf morgen auseinandergerissen wurde? Und was ist das Ende? Die Befreiung, das erleichterte Aufatmen nach Tagen der Furcht, doch noch von der SS beseitigt zu werden? Aber noch sind sie nicht zu Hause, noch haben sie keinerlei Nachricht von den drei kleinen Geschwistern, wissen nicht, wo sie nach ihnen suchen sollen in diesem zerstörten, umkämpften Deutschland, ja, ob sie überhaupt noch leben.

Nein, sie stecken noch mitten drin in dieser Geschichte. Aber Ännerle kann den Anfang ihrer Odyssee aufschreiben, die Ende Juli 1944 in einem kleinen Dorf in Oberbayern begann und sie hoffentlich bald wieder dorthin führen wird. Entschlossen streicht sie die braunen Haare aus dem Gesicht und beginnt in großen, sorgfältigen Lettern zu schreiben:

Tagebuch
Anna-Luise
von Hofacker
1944 – 45.

Dann malt sie die einzelnen Buchstaben aus, blättert die Seite um und fährt fort:

Unsere Gefängniszeit

Die folgende sehr, sehr schwere Zeit will ich in diesem Buch beschreiben. Am 20. Juli 1944 ist ein Attentat auf den Führer verübt worden. Dieses Attentat führte ein Vetter von Vater, Oberst Schenk Graf Klaus von Stauffenberg, aus. Fast sämtliche Generäle, die Hitler im Laufe des Kriegs entlassen hatte, sowie Hunderte von anderen deutschen Offizieren und Zivilisten waren an diesem Attentat beteiligt. Kurz: der Mordanschlag auf Hitler vom 20.7. zog ungeheure Kreise in Deutschland. Dieses wollte die Regierung natürlich nicht wahrhaben, die Zeitungen sprachen nur von einer winzigen Clique, die schon in der ersten Nacht durch die Erschießung von Klaus Stauffenberg und einiger Generäle ausgeräuchert wurde. Am 21. Juli erzählte mir Mutti, daß auch Vater an diesem Attentat beteiligt war und daß sein Leben auf dem Spiel stünde. Alle Briefe, die Vater im letzten Jahr geschrieben hatte und die ihn in irgendeiner Weise belasten könnten, wurden verbrannt. Die Zeitungen möglichst versteckt, damit die Kleinen nicht zu viel von der Sache erfuhren. Es waren fürchterliche Tage. Am 26. Juli erschien ein GeStaPo-Beamter namens Wagner, der mit einem Polizisten eine Haussuchung bei uns vornahm. Mutti wankten die Knie, aber es wurden nur zwei völlig unbedeutende Briefe von Vater gefunden.4

Ännerle starrt aus dem Fenster auf die schneebedeckten Tannen des nahen Waldes. Alles ist plötzlich wieder so nah, die Hausdurchsuchung, die Verhaftung vier Tage später, aber auch die Zeit davor, die Jahre am Simssee, die sich in ihrer sehnsuchtsvollen Erinnerung während der Haft zu einer unbeschwerten Kindheit fügen – was so nicht ganz stimmt. Sie reibt ihre vor Kälte starren Finger, nimmt ihr Büchlein und geht in den Gemeinschaftsraum auf der anderen Flurseite, den sie mit Angehörigen der Familie Stauffenberg teilen – Sippenhäftlinge wie sie selbst. Er hat den großen Vorzug eines Ofens und den wunderbaren Blick auf den See und die zackigen Berggipfel, die sich viel näher und auch bedrohender erheben als zu Hause die Kampenwand oder der Heuberg.

2

Zuflucht am Simssee

Krottenmühl, 1943

Krottenmühl am Simssee, im Voralpenland zwischen Rosenheim und dem Chiemsee gelegen, ist ihrer Familie zur Heimat geworden. Eigentlich hatten sie in Berlin gelebt, wo ihr Vater Cäsar von Hofacker als Justiziar bei den Vereinigten Stahlwerken angestellt war. Doch mit Kriegsbeginn wurde er als Reserveoffizier einberufen und schließlich in das besetzte Paris geschickt. Aus Sorge vor Bombenangriffen der Engländer zog die Familie den Sommer über nach Krottenmühl, in das »Zuhäusl« einer alten Mühle, früher Altenteil der Müller und jetzt gelegentlich an Sommergäste vermietet. Nur wenige Meter trennen das kleine malerische Haus mit den Rosenspalieren vom See. In der um einiges größeren und komfortableren Mühle wohnen nahe Freunde aus der Berliner Nachbarschaft, Familie von Simson. Etwas abseits liegt noch eine kleine Kapelle und das Haus der Vermieter Zieglwallner, ein großes bayrisches Landhaus mit den typischen blumengeschmückten Holzbalkons. Die beiden Zieglwallner-Kinder sind schon etwas größer, die drei Simsons in etwa gleich alt. Ännerle und Felicitas verbindet eine unzertrennliche Freundschaft. Die beiden teilen alles miteinander – Schule, Freizeit, Geheimnisse und Zukunftspläne.

Auch in der Nachbarschaft schließen die Kinder schnell Freundschaften. Zwar gibt es eine Reihe von Aufgaben und Pflichten, die in Haus und Garten zu erledigen sind, aber es bleibt ausreichend Zeit für wilde Geländespiele in der nahen Schlucht, Ausflüge im Ruderboot und Badeschlachten. Ermahnungen und Verbote betreffen vor allem die Bahnschienen hinterm Haus und den See außerhalb des Uferbereichs. Doch die elterliche Kontrolle hält sich in Grenzen – die Väter sind in Berlin oder Paris, die Mütter haben wenig Zeit, die Bande besonders zu beaufsichtigen. Wenn sie nach Rosenheim fahren, um Lebensmittel oder andere Notwendigkeiten zu organisieren, wissen die Kinder genau, mit welchem Zug sie frühestens zurückkommen können. Um über den See zu schwimmen, muss man schon einige Zeit einplanen, und natürlich ist es streng verboten. So wird diese Unternehmung von längerer Hand heimlich vorbereitet. Als die Mütter wieder einmal nach Rosenheim aufbrechen, werden in Windeseile Decken und Proviant in zwei Ruderboote gepackt. Christa und Georg von Simson – beide etwa zehn Jahre alt – sind die Jüngsten, die mitkommen dürfen, und werden zum Rudern abkommandiert. An die zehn Kinder waten ins Wasser und schwimmen los, wer nicht mehr kann, soll in ein Boot klettern. Bald schon vergrößern sich die Abstände zwischen den einzelnen Schwimmern: Eberhard und der noch ältere Pipsi Zieglwallner liegen weit vorne und kommen schon nach 45 Minuten am anderen Seeufer an. Ännerle kämpft hinten verzweifelt um den Anschluss an die anderen. Eins der Kinder gibt auf und hat größte Mühe, ins Boot zu klettern. Schließlich, nach weit über einer Stunde, sind alle Kinder glücklich gelandet, teilweise völlig erschöpft und mit blau gefrorenen Lippen – doch stolz wie Bolle. Gut, dass sie an Decken und Proviant gedacht haben! Nach dem Picknick geht es in den beiden Booten wieder zurück. Doch die ganze Unternehmung hat länger gedauert als gedacht. Jedenfalls sehen sie ein Boot, von heftigen, wütenden Ruderschlägen vorangetrieben, auf sich zukommen. Es ist Lotte von Hofacker, die sehr schnell kombiniert, als sie die verwaisten Häuser und die fehlenden Boote am Steg bemerkt hat. Eberhard kassiert als Ältester ihrer Kinder die Ohrfeigen, das Donnerwetter geht an alle – doch das Abenteuer war es allemal wert!

Die Kriegswinter verleben Hofackers im Allgäu im Hotel Löwen in Oberjoch. Mit dem doppelten Gehalt aus der zivilen und militärischen Tätigkeit ist der finanzielle Spielraum größer geworden. Liselotte, die jüngste der fünf Kinder, geht noch nicht zur Schule, Alfred und Christa rodeln zusammen mit den Dorfkindern mit dem Schlitten zur Volksschule nach Hindelang. Es sind fünf Kilometer auf tief verschneiten Ziehwegen durch den Wald. Wenn sie morgens aufbrechen, ist es noch stockdunkel. Bis sie am Nachmittag alle Hänge wieder mühsam hochgestapft sind, dämmert es wieder. Alfred ist nicht nur drei Jahre jünger, sondern auch um einiges schüchterner als Christa und leidet etwas in der fremden Schule. Die beiden Großen, Ännerle und Eberhard, bekommen gemeinsam Privatunterricht, um einigermaßen den Anschluss an ihre Berliner Klassen zu halten. Den Geschichtsunterricht hatte immer schon der Vater bei seinen Heimatbesuchen übernommen, aus Passion und auch aus Misstrauen zu den nationalsozialistischen Lehrplänen.

Anders als in den beiden vorangegangenen Jahren verbringen Hofackers den Winter 1942/43 in ihrem Zehlendorfer Haus in der Hauptstadt – genau wie Simsons auch. Die alliierten Luftangriffe haben sich als weniger dramatisch erwiesen als befürchtet und die Westberliner Randbezirke waren bisher kaum davon betroffen. Auch reist Cäsar von Hofacker öfter von Paris aus nach Berlin und kann die Familie hier viel häufiger sehen als im Allgäu. Ännerle ist es sehr recht gewesen. Als eher untalentierte Skifahrerin langweilen sie die langen Wintermonate in Oberjoch ohne ihre Freundin. Lieber geht sie mit Felicitas auf die private Lehwess-Schule, die jetzt »Schule am Föhrenwald« heißt. Auch nachmittags sind die Mädchen unzertrennlich, gehen zusammen zum Reitunterricht oder zum Zahnarzt, um ihre Zahnspangen nachstellen zu lassen.

Am 1. März 1943 trennen sich die Freundinnen nachmittags auf dem Rückweg von der Schule. Es ist ein Montag, bis zu den Osterferien dauert es noch etwas, doch Simsons wollen am nächsten Tag wieder nach Krottenmühl umsiedeln, denn die Luftangriffe auf Berlin nehmen zu. Die Mädchen verabreden sich noch einmal für den nächsten Morgen. Dann aber ertönt abends Fliegeralarm: eine durchdringende Sirene mit dem typischen auf- und abfallenden Signalton. Über den Rundfunk werden die Berliner zusätzlich gewarnt: Starke Verbände im Anflug auf die Reichshauptstadt. Ohne große Hast und Sorge nehmen Hofackers das fertig gepackte Notköfferchen mit in den Luftschutzkeller und warten auf das durchgezogene eintönige Entwarnungssignal. Doch dieser Angriff ist anders: Eine halbe Stunde später erschüttert eine ohrenbetäubende Detonation ganz in der Nähe das Haus und lässt alle angstvoll zusammenschrecken. Der Bombenkrieg hat auch Zehlendorf erreicht.

Als Lotte von Hofacker später Freunde und Verwandte abtelefoniert, um sich zu vergewissern, dass niemandem etwas passiert ist, klingelt bei Simsons das Telefon zwar ganz normal, doch keiner nimmt ab. Beunruhigt ziehen Mutter und Tochter los um nachzusehen. Auf der anderen Seite der Chamberlainstraße steht ein Haus in lodernden Flammen. Ännerle kann den Blick gar nicht abwenden, als sie hinter ihrer Mutter zur Ecke Böckelweg geht, wo sie morgens auf dem Weg zur Schule immer auf Felicitas wartet. Schließlich dreht sie sich zum Haus ihrer Freundin um: Die Adresse Böckelweg 7 gibt es nicht mehr. Eine Luftmine hat das große Backsteinhaus getroffen, ein riesiger Schutthaufen ist alles, was davon übrig geblieben ist.

Felicitas und ihre Eltern können nur tot aus den Trümmern geborgen werden. Doch das erfährt Ännerle erst einige Tage später in Krottenmühl. Schon am 4. März flieht Lotte mit den Kindern vor den Bombenangriffen nach Bayern in das Zuhäusl am See, das zu klein, ohne Bad und auch sonst recht spartanisch ist – eigentlich nur ein Sommerquartier. Die Kinder stört das wenig.

Vielmehr lastet auf der 13 Jahre alten Ännerle der Verlust der Freundin. Jeden Schritt waren sie hier im vergangenen Sommer gemeinsam gegangen, sie fehlt auf dem langen Schulweg nach Rosenheim, in der nach wie vor fremden Klasse, zu Hause auf dem großen Mühlengrundstück am See, beim Baden, beim gemeinsamen Spiel mit den anderen Kindern – überall wird sie an Felicitas erinnert. Lotte macht sich große Sorgen um ihre Älteste, die immer wieder in melancholische Traurigkeit versinkt und heimlich Gedichte voller Todessehnsucht schreibt.

Heimgang

Ach Herr, Du hast in diesen kriegerischen Zeiten
So oft den Tod in diese Welt gesandt;
Soviel Soldaten mußten aus dem Leben schreiten,
Soviele Menschen aus dem Erdenland.

Oh Herr, erlös’ auch mich aus dieser Erdenqual,
Und schicke auch zu mir recht bald den Tod;
Nimm mich heraus aus diesem Jammertal,
Und führe mich weit fort von solcher Not.

Oh Gott, mein viele Sünden mir vergib,
Doch nimm mich raus aus diesem Erdenleid;
Führ’ mich zu ihr, die immer reiner als ich blieb,
Bring mich zu ihr in Deine Seligkeit.

Ach schick’ den Tod, der jetzt so oft auf Erden weilt,
Doch bald auch nur ein einzig mal zu mir:
Und nimm die Seele, die Dir dann entgegen eilt,
Zu ihr, zu Jesu und zu Dir!

Es fällt ihr leichter, über ihren Kummer zu schreiben als zu sprechen. Während sie sich zu Hause eher verschließt, findet sie einen ganz neuen Zugang zu ihrem Vater und gibt ihm in langen Briefen nach Paris Einblick in ihre wunde Seele. Er nimmt sie sehr ernst, vor allem auch die teilweise selbstzerstörerischen Gedanken des plötzlich frühreifen 13-jährigen Mädchens.

Lieber Vater, ich habe schon so oft darüber nachgedacht, wie schön es sein müßte, ihr zu folgen. Auch bei Gott sein zu dürfen; rein und von allen Sünden und allem Leid dieser Erde befreit. Einmal habe ich mit Mutti darüber gesprochen. Sie hielt mir Euer großes Leid vor. Liebster Vater! Ich glaube sicher, daß Ihr erst traurig wäret. Ich glaube aber auch bestimmt, daß Ihr mich im Himmel wüßtet, daß Ihr wüßtet, ich bin bei Gott und bei ihr.5

schreibt sie am 11. April 1943. Der Vater antwortet ihr postwendend:

Heute Nachmittag bekam ich Deinen lieben langen Brief vom 11., in dem Du mit so ergreifenden Gedanken Deinen Kummer und Deine Verzweiflung vor mir ausgebreitet hast. So sehr mir das Herz beim Lesen blutet, so dankbar bin ich doch als Vater, daß Du mich nicht – wo ich so weit weg bin und deshalb nicht mit Dir sprechen kann – vergißt und ausgeschaltet hältst, sondern in Stunden der Einsamkeit und des Übermanntseins das Bedürfnis hast, den Weg zu meinem Herzen zu finden.

So gut kann ich Dir alles nachfühlen, und so oft habe ich mich gefragt: Wie wird nur mein Annele in Krottenmühl mit all den vielen Erinnerungen, die sie täglich auf Schritt und Tritt umgeben und die Wunde immer neu zum Fließen bringen, fertig werden? Denn wenn es auch trotz allem Schmerz schön ist, gerade durch liebe und wehmütige Erinnerungen davor bewahrt zu werden, einen geliebten Menschen – und wenn auch nur für einen Tag – zu vergessen und ihm sozusagen »untreu« zu werden, so kann auf der anderen Seite ein Übermaß an Erinnerungen einen auch wieder dazu bringen, sich zu sehr in seinem Schmerz zu verlieren und sich in Gedanken zu verstricken, die gerade derjenige, um den man trauert, einem am liebsten aus der Ferne wegstreicheln möchte.

Felicitas wäre sicher die erste, die Dir sagen würde: »Schau, mein Annele, ich weiß, daß Du am liebsten zu mir kommen würdest, und das ist lieb von Dir, hätte ich nie anders von Dir erwartet. Aber falsch wäre es, wenn Du die Erde, die schöne, bunte, farbenfrohe Erde, auf der ich selbst einstmals so gerne weilte, nur noch als Jammertal empfändest, wenn Du das Leben, in dem Du Deine Tage verbringst, nur noch als Schatten betrachtest und schon jetzt auf Erden Dich nur nach dem Himmel sehnst. Solange Du auf der Erde bist, hast Du dort Deine Pflichten, mußt Du ihnen leben. Das Leben auf der Erde ist, auch wenn es 70 Jahre währt, kurz im Vergleich zum Ewigen Leben. Wiedersehen werden wir uns noch früh genug, und ich weiß, daß selbst wenn Du erst in 60 Jahren zu mir kommen solltest, wir doch wieder sofort da anfangen werden, wo wir aufgehört haben.«

Nicht das ist das Entscheidende, daß wir Eltern tief gebeugt wären, wenn der Liebe Gott Dich zu sich und zu Felicitas nehmen würde. Wir müßten unseren Schmerz und unser ewiges Vermissen tragen, wie soviele andere heute auch. Das Entscheidende und Furchtbare wäre, daß Du dem Leben viel zu früh entrissen wärest, daß Du das nicht mehr erfüllen könntest, wofür die Mutter Dich geboren und der liebe Gott Dir das Leben geschenkt hat.

Es ist ja nicht so, daß der Mensch nur für sich da ist. Er ist in erster Linie für andere da. Nicht darauf kommt es an, daß man hienieden froh oder traurig, ob man selber glücklich oder unglücklich ist, ob man lieber den Weg auf der Erde weitergeht oder sich zu Gott und in den Himmel sehnt, sondern allein darauf, daß man stark und tapfer sein Schicksal auf sich nimmt, daß man die Pflichten erfüllt, die einem das Leben stellt, daß man durch Leid sich selber läutert, nie verzagt und sich immer bewußt bleibt, daß der liebe Gott einen ja nicht zwecklos in dieses Leben hineingestellt hat. …

Nein, mein geliebtes Annele, das ist nicht der Sinn solcher schweren Schicksalsschläge, mit denen der Herrgott uns Überlebende oft so hart trifft und so tief beugt –, daß wir innerlich verzweifeln, dem Leben den Rücken kehren und mit unseren Gedanken vor der Härte des uns umgebenden irdischen Lebens ins Jenseits flüchten. Gerade wir Überlebenden müssen es uns vielmehr zur heiligen Pflicht machen, stark zu bleiben, den Helm, wie der Soldat sagt, doppelt fest zu binden und das, was den Händen der Toten entglitten, viel zu früh entglitten ist, nunmehr selber zu übernehmen und in unserem Leben das doppelt zu erfüllen, was die anderen nicht mehr erfüllen können.6

Zahlreiche Briefe wechseln zwischen Krottenmühl und Paris, in denen die Kinder nicht nur von tiefem Kummer, sondern auch von ihrem Alltagsleben erzählen und der Vater ihnen zwischen harmlosen Berichten aus Paris seine ureigenen Wertvorstellungen fürs Leben mitgeben kann. Die ganze Tragweite dieser Korrespondenz erschließt sich Ännerle erst nach dem Tod des Vaters, der nach fünfmonatiger Einzelhaft hingerichtet wurde, ohne ein einziges Abschiedswort den Seinen hinterlassen zu dürfen.

3

Ein letzter Besuch

Krottenmühl, 1944

So anstrengend der Kriegsalltag für Lotte von Hofacker in dem kleinen Häuschen auf dem Land sein mag, für die fünf Kinder gibt es keinen schöneren Ort. Es fehlt nicht an Freunden in der Nachbarschaft, und natürlich steht immer wieder der See im Mittelpunkt ihrer Spiele und Unternehmungen: Badeschlachten, Rudern, Paddeln im Sommer, Rodeln und Schlittschuhlaufen im Winter, wenn das Wasser glatt genug gefroren ist, was leider selten vorkommt. Daneben werden von ihnen etliche häusliche Pflichten gefordert. Der Vater hat seine Großen sehr ins Gebet genommen, die Mutter zu unterstützen und zu entlasten. Beim Kochen, Putzen, Nähen und Stopfen sind die Mädchen gefordert, das Holzhacken und die schwere Arbeit auf dem kleinen Gemüseacker gehören zu Eberhards Aufgaben. Die ganze Familie verbringt immer wieder Stunden beim Beeren-, Holz- und Tannenzapfensammeln. Unterstützung gibt es durch zwangsverpflichtete Mädchen aus dem Osten, erst die Russin Nina – noch in Berlin –, dann Nadja. Nina war überzeugte Kommunistin, aus ihrem Dorf verschleppt worden und machte keinen Hehl aus ihrem Hass gegen die Deutschen. Die Familie, bei der sie leben und arbeiten musste, bildete keine Ausnahme. Als Lotte unter ihrer Matratze ein großes Küchenmesser entdeckte, trennte sie sich von ihr. Doch bei Nadja ist alles anders. Die Ukrainerin liebt die Kinder, kann tüchtig zupacken und ist absolut zuverlässig.

Während Alfred und Christa drei Kilometer zur nächsten Dorfschule nach Schwabering marschieren, fahren Ännerle und Eberhard mit dem Zug nach Rosenheim aufs Gymnasium. In den schneereichen Wintern kommt es immer wieder zu Verzögerungen und bei strenger Kälte bleibt die Schule ganz geschlossen. Zum Sommer 1944 nehmen die Luftangriffe der Alliierten auf München, aber auch auf die Städte in der Umgebung zu. Als Bahnknotenpunkt ist Rosenheim besonders betroffen, die Strecke nach Berchtesgaden über Krottenmühl häufig Ziel von Tieffliegerangriffen. Bei Fliegeralarm fahren keine Züge, die Kinder sitzen oft stundenlang in Rosenheim im Luftschutzbunker fest oder laufen die zwölf Kilometer zu Fuß nach Hause. So werden sie früh recht selbstständig. Wenn die Mutter zu Fuß oder mit dem Rad loszieht, um Lebensmittel zu besorgen oder Freunde zu besuchen, ist sie oft den ganzen Tag unterwegs und erwartet, dass zu Hause alles läuft. Liselotte, die Jüngste, führt ein recht ungebundenes und unbekümmertes Vorschulleben, behütet, aber doch selten wirklich beaufsichtigt.

Die ausgefüllten Tage, neue Freundinnen und jede Menge Tiere helfen Ännerle, über den Verlust von Felicitas langsam hinwegzukommen – zumindest lässt sie sich davon ablenken. Heute ist Felicitas’ Todestag. Für mich war dieser Tag sehr schwer. Nachmittags hatten wir Konfir,7 notiert sie kurz am 1. März 1944 in ihr Tagebuch. Während sie in den Briefen an den Vater offen über alle inneren Nöte schreibt, beschränkt sie sich in ihren Tagebuchnotizen auf die alltäglichen Dinge. Die Erziehung ihres Langhaardackels Schimm beschäftigt sie, noch mehr aber die zahlreichen Hasen, die nicht nur gefüttert und gemistet werden müssen, sondern auch Junge bekommen, einen Auslauf und einen größeren Stall brauchen.

Am allerschönsten sind die seltenen Heimatbesuche des Vaters. Es gibt so viel nachzuholen, und so widmet er diese kurzen Wochen ganz der Familie. Kaum ist er angekommen, tauscht er die Uniform gegen seine alte Lederhose. Fahrradtouren und Bergwanderungen führen die Kinder auch schon mal an physische Grenzen. Doch mit seinen unerschöpflichen, fantasievollen Geschichten kann Cäsar sie immer wieder aufmuntern, wenn Lust und Ausdauer nachlassen. Bei schlechtem Wetter sitzen sie im Zuhäusl bei Schreibspielen zusammen, die sich der Vater oft selber ausdenkt und bei denen meistens auch Geschichts- und Geografie-Kenntnisse abgefragt werden. Am schönsten aber sind im Sommer die Bootsschlachten auf dem Simssee. Anfangs geht es nur darum, einen kleinen Ball in das Boot der gegnerischen Mannschaft zu zielen. Aber natürlich endet es damit, dass alle sich gegenseitig ins Wasser werfen. Absoluter Höhepunkt sind auch die Räuber- und Gendarm-Spiele mit dem Vater und jeder Menge Kinder aus der Nachbarschaft in der nahe gelegenen Schlucht. Viel zu schnell vergehen diese Urlaubstage.

Dann bleiben wieder nur die Briefe aus Paris, in denen der Vater mit den größeren Kindern Gespräche fortsetzt und den jüngeren seine begonnenen Geschichten weitererzählt. Es schmerzt ihn, nur aus der Ferne Eberhards Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen begleiten zu können, umso intensiver ist seine Korrespondenz mit dem Ältesten, sind seine Gedanken, Forderungen und Bestätigungen. Er schreibt für ihn einen kompletten Schulaufsatz zum Thema »Führertum heißt: Verantwortungstreue, überlegenes Können und unermüdliche Fürsorge« – eigentlich sollten es nur ein paar hilfreiche Stichpunkte sein, doch dann reißt ihn das Thema zu sehr mit. Eberhard solle jedoch vorsichtshalber noch ein paar eigene Formulierungen einbringen. Er schickt ihm Fahrradflickzeug, Anweisungen zum Bau eines Splittergrabens und Koordinatenpapier, damit der Junge die Eierleistungskurve der Hühner millimetergenau aufzeichnen und nach Paris berichten kann. Fast täglich schreibt Cäsar an Lotte, Briefe voller Sehnsucht und Liebe, voller Anteilnahme an ihren Alltagsnöten und an der Erziehung der Kinder, er gibt Ratschläge und auch mal klare Anweisungen. Und Lotte berichtet getreulich von allen häuslichen Dingen ihrem Peter – den Namen Cäsar findet sie einfach zu altmodisch!

Zweimal in der Woche fahren Eberhard und Ännerle von der Schule direkt zum Konfirmandenunterricht nach Prien. Es ist für sie kein Abhaken einer eher lästigen Pflicht, die in diesem Alter dazugehört. Der christliche Glaube wurzelt tief in der Familie und prägt die Erziehung der Kinder. Auch wenn der sonntägliche Gottesdienst nur in Abständen wahrgenommen wird – immerhin sind es wieder etliche Kilometer zu Fuß zur nächsten evangelischen Kirche –, ist der Glaube nicht nur Richtschnur, sondern auch fester Halt, als die Familie auseinandergerissen wird.

Zur Konfirmation am 2. April 1944 kann der Vater nicht aus Paris kommen. Zwischen seinem offiziellen Dienst und den Umsturz-Vorbereitungen bleibt immer weniger Freiraum für Besuche zu Hause. Was er seinen beiden Großen auf ihrem Weg in ein zunehmend eigenverantwortlich geführtes Leben mitgeben möchte, fasst er in einem eindringlichen und bekennenden Brief zusammen.

Früher, als niemand das Christentum ernstlich bekämpfte und anzweifelte, waren Taufe und Konfirmation für viele nur eine Formsache, bei der sie sich nicht allzuviel dachten. Heute ist das anders geworden. Heute stehen viele Menschen auf dem Standpunkt, daß der christliche Glaube sich überlebt habe, daß er eine Art Aberglaube und undeutsch sei und daß man auch ohne ihn auskommen könne.

Wenn sich daher heute ein heranwachsender Mensch entschließt, sich »konfirmieren«, d. h. als Mitglied der christlichen Gemeinschaft bestätigen zu lassen, dann vollzieht er durch diesen Schritt ein persönliches Bekenntnis, dann stellt er sich – wie der Soldat durch den Fahneneid – für sein künftiges Leben hinter eine Fahne, die innerlich zu verehren, äußerlich hochzuhalten, für die zu kämpfen und die zu verteidigen er sich verpflichtet.

Noch kann in dem Augenblick, wo Mutti Euch diesen Brief vorliest, jeder von Euch von der Konfirmation zurücktreten, wenn er glaubt, nicht die innere Kraft zu diesem Bekenntnis aufbringen zu können. Es würde mich zwar innerlich bekümmern, aber ich würde keinem von Euch auch nur den leisesten Vorwurf daraus machen. Denn wichtiger als mein eigener Wunsch ist mir, daß Ihr völlig frei und unbeeinflußt und in voller eigener Überzeugung und Verantwortung Euch selbständig entscheidet. Und zwar müßt Ihr Euch nicht mit halbem, sondern mit ganzem Herzen entscheiden. Lieber gar kein Entschluß, als ein halber Entschluß! Nur wenn jeder von Euch in ehrlicher Selbstprüfung gewissenhaft von sich sagen kann, daß er Christ sein und bleiben will und es ihm ein wirkliches inneres Bedürfnis ist, sich auch nach außen hin als Mitglied der christlichen Gemeinschaft zu bekennen, ist es richtig, sich jetzt schon in jungen Jahren zu binden. Denn in Eurem späteren Leben, wenn Ihr älter und reifer seid, werden bei jedem von Euch Augenblicke kommen, wo sich aus Eurer Zugehörigkeit zur christlichen Kirche nicht nur äußere Anfechtungen, ja sogar Anfeindungen ergeben werden, sondern wo Ihr auch mit inneren Zweifeln und Kämpfen zu tun haben werdet. Diese könnt Ihr nur dann bestehen, wenn die Bindung, die Ihr heute eingeht, Euch nicht nur eine oberflächliche Formsache bedeutet, sondern Eurem wirklichen Glauben und echten Gewissen entspricht.8

Lotte, die ihren beiden Großen diesen Brief vorliest, hält einen Moment inne. Ännerle und Eberhard verfolgen voller Konzentration die Gedanken des Vaters. Doch hören sie schon heraus, was zwischen den Zeilen steht? Bisher hatte Cäsar in seinen Briefen kritische Bemerkungen gegenüber der nationalsozialistischen Gesellschaft weitgehend vermieden – erst recht in den Briefen an die Kinder. Wie wichtig muss es ihm sein, diese Gedanken weiterzugeben – nicht mehr an Kinder, sondern eher an junge, eigenverantwortliche Erwachsene. Als die Konfirmanden sie fragend ansehen, liest sie weiter.

Warum haben wir gerade in heutiger Zeit Anlaß, uns mit besonderer Inbrunst zum christlichen Glauben zu bekennen?

Weil wir mehr denn je fühlen, daß jeder von uns in Gottes Hand ist, daß er die Menschen und Völker lenkt und daß wir daher tief demütig sein müssen; daß die Menschen die Demut, die Ehrfurcht vor etwas Höherem, Reinerem, Größerem als sie selbst brauchen, wenn sie nicht dem Übermut, dem Größenwahn, dem Verbrechen verfallen wollen.

Weil wir fühlen, daß es bestimmte ewige Gesetze des Gutseins, des Edelmuts, der Gerechtigkeit gibt, die man nicht ungestraft verletzen darf, und die die Menschen nur dann einhalten, wenn sie – anstatt nur an die Nützlichkeit dieser Gesetze – an einen Gott glauben, der das Gute will und das Schlechte bekämpft.

Weil wir fühlen, daß Gott in der einmaligen großen Persönlichkeit von Jesus Christus, unserem Heiland, den Menschen ein Geschenk gemacht, eine Offenbarung gespendet hat, für die wir gar nicht tief genug dankbar sein können. Durch seinen Mund, sein Leben und Wirken und Leiden hat uns Gott jene großen ewigen Lehren und Grundsätze verkündet, die wir Menschen einhalten, nach denen wir leben und streben müssen, wenn wir besser, reiner, glücklicher werden wollen.

Die Lehre Christi ist das größte und tiefste Vermächtnis, das Gott uns Menschen bisher gegeben hat. Beinahe 2 000 Jahre hat sie die Entwicklung der Menschen, insbesondere in Europa, bestimmt und gerade die Besten und Edelsten unter ihnen immer wieder veranlaßt und angespornt, zu versuchen, die Menschen auf eine Stufe der Sittlichkeit emporzuheben. Immer wieder haben sich Menschen gefunden, die – wie z. B. Martin Luther – dann, wenn die Lehre Christi von kleinen Geistern verfälscht oder zu irdischen Zwecken mißbraucht wurde, sie von künstlichen Schlacken befreit und wieder auf ihren reinen Kern zurückgeführt haben.

Und immer hat es dann schwere Rückschläge und Katastrophen gegeben, wenn die Menschen glaubten, ohne Religion, d. h. ohne innere Bindung an Gott, ohne Ehrfurcht vor einer höheren überirdischen Macht auskommen zu können.

Es gibt nun einmal in der ganzen bisherigen Geschichte keine geistige Macht, die so wie das Christentum es verstanden hat, die Menschen dazu zu bringen, ihre eigenen Grenzen zu erkennen, das Gute zu wollen und dem Schlechten zu widerstreben.

Und einem solchen Glauben, der soviel Gutes zustande gebracht hat, dem alle unsere Vorfahren angehangen haben, dem nichts Gleichwertiges gegenübergestellt werden kann, sollten wir unsere Ehrfurcht nicht versagen, sollten nicht auch wir überzeugt und freudig angehören? Gerade heute, wo es so bitter notwendig ist, Millionen verzweifelter Menschen wieder Halt, Zuversicht, ruhige Stärke zu geben.

Man kann ein guter Christ und trotzdem ein guter Deutscher sein. Beides widerspricht sich nicht, sondern im Gegenteil, ergänzt und steigert sich. Wir Deutschen werden uns umso mehr die Achtung der fremden Völker erwerben, wenn das, was wir tun, nicht gegen diejenigen christlichen Gesetze verstößt, die auch sie hochhalten. Sich zum Christentum zu bekennen, ein guter, starker Christ sein, die großen ewigen Lehren und Mahnungen des Heilands im Neuen Testament sich zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen, steht nicht im Gegensatz zu den Pflichten, die Du, Eberhard, einstmals als deutscher Mann und Kämpfer und Du, Annele, einst als deutsche Frau und Mutter zu erfüllen haben werdet, sondern enthält in heutiger Zeit mehr denn je alles das, was notwendig ist, um durch das eigene Beispiel unser armes, aus tausend Wunden blutendes deutsches Volk wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Der heutige Tag ist für Euch eine neue Grundlage für Euer ganzes künftiges Leben. Möget Ihr Euch gleich der langen Kette Eurer Vorfahren stets mit Mut und Stolz dazu bekennen!

In Liebe und Vertrauen umarmt Euch

Euer Vater

In seinen Briefen hat Cäsar die Kinder immer wieder an Treue, Pflicht und Verantwortung gemahnt. Doch noch nie hat er ihnen den inneren Zwiespalt offenbart, den ein solches Bekenntnis zu christlichen Werten in der NS-Diktatur unweigerlich bedeutet. Demut entspricht nicht gerade dem Zeitgeist. Größenwahn und Verbrechen begegnen nicht nur ihm tagtäglich. Ännerle und Eberhard verstehen zwar den Sinn seiner Gedanken, doch sie erkennen darin noch nicht die Brisanz. Nie hat der Vater bei seinen Besuchen zu Hause irgendwelche kritischen Andeutungen gemacht. Seine Verzweiflung über das unbeschreibliche Unrecht, das im Namen des deutschen Volkes in ganz Europa begangen wird, hat er vor den Kindern verborgen. Keine seiner Bemerkungen hätten irgendwelche Rückschlüsse auf Widerstand und Umsturzpläne zugelassen, zumal jedes leiseste Mitwissen gleichzeitig eine zusätzliche Gefährdung bedeutet hätte. Doch im Frühjahr 1944 ist ihm bewusst, dass er das Heranwachsen seiner Kinder eventuell nicht weiter begleiten wird. So ist dieser ungewöhnlich deutliche Brief nicht nur ein Bekenntnis, sondern auch eine Vorbereitung auf sein Handeln und ein Vermächtnis für seine Familie.

Eberhard und Ännerle haben zusammen mit der Mutter das Haus schon um 6.30 Uhr verlassen. Der Pastor hatte ausdrücklich darum gebeten, Zugverspätungen mit einzukalkulieren und rechtzeitig aufzubrechen. So frühstücken sie in Ruhe in Prien und gehen anschließend vor dem Konfirmationsgottesdienst und vor der ersten Teilnahme am Abendmahl zur Beichte. Auch der Pfarrer stellt in seiner Predigt das offene Bekenntnis zum Christentum in den Mittelpunkt. Nach dem Gottesdienst weicht jedoch die ernste, feierliche Stimmung beim dreistündigen Fußmarsch nach Hause einer fröhlichen Ausgelassenheit. Ännerles Berliner Patentante und die jüngeren Geschwister sind zur Kirche nach Prien nachgekommen, und jetzt wandern alle zusammen bei herrlicher Sonne wieder zurück. Die Kinder amüsieren sich über die Mutter, die am Morgen zwei Schmerztabletten auf nüchternen Magen genommen hat und etwas taumelig ist. Zu Hause erwarten sie Blumen, Geschenke und viele Gäste, und es gibt Gebäck zum Richtig-satt-Essen. Abends lesen sie mit der Mutter eine Predigt ihres Vorfahren Ludwig Hofacker und schauen sich alte Fotos aus Lottes Jugendzeit an. Es war ein einzig schöner Tag heute, beendet Ännerle zufrieden ihre Tagebucheintragung.

Drei Tage später kommt der Vater ganz überraschend über Ostern nach Hause. Wie immer reist er mit dem Zug, zieht sich zu Hause als Erstes die Lederhose an und lässt Paris noch einmal für ein paar Tage hinter sich. Es ist sein letzter Besuch – eine Woche voller Intensität. Spaziergänge mit den Kindern, Schreibspiele und der obligatorische Geschichtsunterricht – diesmal über den Ersten Weltkrieg – füllen diese Tage. Mit Ännerle holt er beim Schreiner Holz für einen Hasenauslauf. In Gesprächen mit Eberhard mahnt er seinen Ältesten, Verantwortung für die jüngeren Geschwister zu übernehmen und die Mutter in allem zu unterstützen. Die Kinder ahnen nichts von kommenden Entscheidungen, doch Lotte hat er bei diesem Besuch in groben Zügen eingeweiht.9 Sie weiß jetzt, dass es ein Attentat geben wird, er daran führend beteiligt und dieser Abschied möglicherweise endgültig ist. Am Bahnhof und auf dem Heimweg weint sie sehr.

ATTENTAT
UND
VERFOLGUNG

4

Cäsar von Hofacker

Vor Oberstleutnant Cäsar von Hofacker liegen die letzten Wochen intensiver Vorbereitung, denn allen ist klar: Die Tat muss bald erfolgen, möglichst noch vor einer Invasion der Alliierten, die das Kräfteverhältnis in diesem bereits verlorenen Krieg noch weiter zu Ungunsten Deutschlands verschieben wird. Doch mit der Landung der englischen und amerikanischen Truppen in der Normandie im Juni 1944 eröffnen sich für die Pariser Widerstands-Gruppe ganz neue Handlungsspielräume, und Hofackers Rolle als treibende Kraft des Militärputsches in Paris10 gewinnt an entscheidender Bedeutung. Jetzt gilt es, durch eine bedingungslose Kapitulation im Westen weiterem Blutvergießen Einhalt zu gebieten und dem NS