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Thomas Buttgereit

Panamericana 2016

(M)ein Reisetagebuch Motorrad-Tour durch Südamerika

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© 2017 Thomas Buttgereit, Taufkirchen

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN
Paperback978-3-7439-1790-3
Hardcover978-3-7439-1791-0
e-Book978-3-7439-1792-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

INHALT

VORWORT

VORBEREITUNG

1 CHILE

2 ARGENTINIEN

3 CHILE

4 ARGENTINIEN

5 CHILE

6 ARGENTINIEN

7 CHILE

8 ARGENTINIEN

9 CHILE

10 BOLIVIEN

11 PERU

12 ECUADOR

13 KOLUMBIEN

EPILOG

DANKSAGUNG

ANHANG

VORWORT

Liebe Biker und Reiselustigen,

mein Reisetagebuch soll in erster Linie unterhaltsam sein. Daher möchte ich dich auch nicht mit tiefgreifenden Hintergrundinformationen zu vielen Sehenswürdigkeiten belästigen, die findest du sicherlich in besserer und umfassenderer Form in Reiseführern oder auf Wikipedia. Vielmehr möchte ich dich dazu ermuntern – oder gar auffordern –, selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Wage den Schritt, eine längere Reise zu unternehmen, und zwar nur mit dem Wesentlichen ausgestattet (siehe Liste im Anhang). Denn das Schwierigste ist: das Losfahren! Fast alles andere ergibt sich von selbst.

Mehr Bilder findest du in meinem Blog unter www.panamericana2016.de. Die Umrechnungen der verschiedenen Währungen sind nur ungefähre Angaben. Für Fragen und Anregungen kannst du mir gerne eine Mail schicken an: info@panamericana2016.de.

Und nun wünsche ich dir viel Spaß auf meiner Reise durch Chile, Argentinien, Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien.

Dein Thomas Buttgereit

VORBEREITUNG

„Thomas, du stehst auch auf der Liste!“

Mir wurde also gekündigt, die Umstrukturierung im Unternehmen betraf damit auch mich. Und das war das Beste, was mir passieren konnte. Es war Mitte September 2015, als ein neues Kapitel in meinem Leben begann. Anstatt den Kopf hängen zu lassen und in ein Loch zu fallen, wurde mir schnell klar: Das ist meine Chance! Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um mir endlich meinen Traum zu erfüllen: Ich wollte einmal mit dem Motorrad auf der Panamericana durch Süd- und Mittelamerika fahren.

Schon 2011 hatte ich mit meiner damaligen Frau geplant, 2018 mit den Motorrädern von Mexiko nach Feuerland zu fahren. Für diese Reise hatte ich mir im Herbst 2012 eines der letzten luftgekühlten Motorräder von BMW gekauft: die R 1200 GS Adventure. Ich wusste, wie zuverlässig diese Maschine sein würde. Der 33-Liter-Tank war ideal für mein Vorhaben und mit einer Reichweite von mehr als 600 Kilometern würde ich wohl immer rechtzeitig eine Tankstelle finden.

2016 war es dann so weit: Nach der Trennung von meiner Frau Mitte 2015 und nach meiner Kündigung gab es keinen Grund mehr für mich zu warten. Am dringendsten erschien mir die Frage, wie ich das Motorrad nach Südamerika transportieren sollte. Ein Start in Mexiko kam aufgrund der Jahreszeit nicht mehr Betracht. Schließlich wollte ich noch vor der Kälte und dem Schnee auf Feuerland ankommen. Also musste der Zielort in Südamerika sein. Im Internet fand ich die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Motorrad auf einem Frachter die lange Reise von Hamburg nach Montevideo (Uruguay) anzutreten. Um die Kosten von über 3.100,00 € etwas zu reduzieren, suchte ich per Annonce im Internet eine Reisebegleitung für die Überfahrt, die sich die Kabine mit mir teilen sollte. Es dauerte nicht lange, da klingelte das Telefon und eine Frauenstimme meldete sich. Sie war nicht an einer Mitreise interessiert, sondern gab mir allerhand nützliche Hinweise, da sie selbst diese Überfahrt einmal gemacht hatte. Einerseits hat ein Frachtschiff, im Gegensatz zu Kreuzfahrtschiffen, keine Stabilisatoren gegen das Rollen (Hin- und Herschaukeln) – auf hoher See kann das ziemlich ungemütlich werden. Andererseits könnte die über 30-tägige Überfahrt mit maximal zehn Passagieren an Bord ziemlich schnell langweilig werden. Das stimmte mich nachdenklich und ich suchte nach Alternativen.

Kurze Zeit später fand ich im Internet eine Spedition, die einen Container ausschließlich für Motorräder von Hamburg nach Valparaíso (Chile) verschiffte. Die Ankunft sollte kurz vor Weihnachten sein. Genau das brauchte ich! Der günstige Preis inklusive Abholung in München von 1.350,00 € überzeugte. Das Beste daran war, dass ich keine Kiste bauen musste. Ich konnte mein Motorrad voll bepackt und mit der kompletten Ausrüstung daran montiert auf die lange Reise schicken. Perfekt!

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1 Letzte Umbaumaßnahmen

Bis zur Abholung Anfang November blieben mir gerade einmal sechs Wochen Zeit. Bis dahin musste ich noch einige Teile bestellen und anbauen. Ein verstärkter Unterfahrschutz sollte mich davor bewahren, mit dem Ölfilter aufzusetzen. Zwei USB-Anschlüsse versorgten während der Fahrt Handy und Tablet mit Strom. Ein extra abgesicherter 12-Volt-Anschluss spendete den Saft sowohl für den Kompressor zum Befüllen der Reifen als auch für meine beheizbare Innenjacke – ich habe sie auf der ganzen Fahrt nicht gebraucht. Ein Schutzgitter für den Scheinwerfer, eine Seitenständerverbreiterung, damit die schwere Maschine nicht zu sehr einsank, und eine Windschildverlängerung gegen den Fahrtwind hatte ich montiert. Zum entspannten Fahren wurde der Lenker erhöht und eine Rändelschraube am Gasgriff befestigt, mit der ich die Geschwindigkeit, besser gesagt die Stellung des Gasgriffs, feststellen konnte. Zu guter Letzt gönnte ich mir noch eine besonders gut gepolsterte Sitzbank – ein nicht zu unterschätzendes Utensil, das ich jedem nur ans Herz legen kann.

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2 So geht Flecha Negra auf die Reise

Jeden Tag fiel mir noch etwas Neues ein oder ich bekam Tipps von Freunden und aus diversen Internetforen. Die Zeit verging wie im Flug. Vollbeladen trat die BMW Anfang November ihre große Reise an.

Ab jetzt waren es noch sieben Wochen bis zu meinem Abflug an Silvester. Von einer Arbeitskollegin bekam ich die Adresse einer Freundin, die meine geplante Reise schon vor 14 Jahren auf einer kleinen 250er gemacht hatte. Jeanette hatte bereits damals einen Blog geschrieben, obwohl das Internet noch in den Kinderschuhen steckte. Ihre Texte dienten mir nun als Grundlage für meine Reiseplanung. Ich war aber auch neugierig auf ihre persönlichen Schilderungen. So rief ich Jeanette an und bat sie um ein Treffen, um einige brennende Fragen beantwortet zu bekommen. Daraus sind dann mehrere Stunden geworden und schließlich vermittelte sie mir noch den Kontakt zu Fernando und Beatriz in Santiago de Chile, der Familie, von der sie damals ihr Motorrad gekauft hatte. Jetzt hatte ich eine erste Anlaufstelle.

Obgleich mein Spanisch schon recht ordentlich war, dachte ich mir, dass ein zweiwöchiger Intensivkurs in Salamanca, der Stadt des Hochspanisch, nicht schaden konnte. Mitte November flog ich nach Spanien und entfloh damit gleichzeitig dem Schmuddelwetter in Deutschland. Dort lernte ich Johanna aus Österreich kennen. Sie erzählte mir, dass sie sich ab Mitte Dezember im Süden von Chile für drei Monate auf einer Farm um Pferde kümmern und im Gegenzug Kost und Logis erhalten würde. Wir überlegten, dass wir uns dort vielleicht treffen.

Die Zeit rannte, fast hatte ich die Hoffnung aufgegeben, noch einen Untermieter für die kommenden Monate zu finden, als sich tatsächlich die Kollegin einer Freundin von mir meldete. Die Miete würde meine Reisekasse auffüllen und gleichzeitig brauchte ich mir keine Sorgen wegen meiner Wohnung zu machen. Unglaublich, wie sich alles fügte!

Mein Abflug rückte immer näher. Claudia, eine gute Freundin von mir, brachte mich zum Flughafen. Ich spürte ein leichtes Grummeln in der Magengegend. Obwohl ich genau wusste, dass diese Reise das Richtige für mich sein würde, war ich aufgeregt. Was würde ich erleben? Welchen Reichtum an Erfahrungen würde ich mitnehmen? Diese Gedanken regten meine Neugier auf das Höchstmaß an.

Wie sehr habe ich mich gefreut, als völlig überraschend weitere Freunde am Flughafen auf mich warteten und spaßeshalber meinten: „Wie wollen auch sichergehen, dass du wirklich einsteigst und keinen Rückzieher machst!“

Zum Abschied überreichten sie mir noch einen kleinen Glücksbringer: einen Stoffkater. Er sollte einen Ehrenplatz erhalten. Ich weiß nicht, wie ich auf seinen Namen kam, jedenfalls bestieg ich zusammen mit „Hugo“ den Flieger nach Frankfurt. Von dort aus ging es über Panama nach Santiago de Chile. Irgendwo über dem Atlantik bekam ich ein Glas Sekt gereicht und so begann das neue Jahr. Nicht sehr spektakulär, zumal die Flugbegleiter nichts trinken durften.

Angemerkt sei noch, dass es gar nicht so selbstverständlich war, dass ich mit meinem One-Way-Ticket das Flugzeug nach Panama besteigen durfte, denn bestimmte Fluglinien verlangen ein Rückflugticket. Sie wollen nicht das Risiko eingehen, dass einem Passagier die Einreise verwehrt wird, weil die Ausreisedokumente fehlen und die Fluglinie dann auf ihre Kosten den Rückflug organisieren muss. Zu diesem Zweck hatte ich mir vorsichtshalber ein Busticket von Santiago de Chile nach Mendoza in Argentinien gekauft. Mein Sitznachbar hatte weniger Erfolg und musste sich tatsächlich vor Reiseantritt noch ein weiteres Flugticket kaufen, das er anschließend verfallen ließ.

1 CHILE

Tag 1: Ankunft in Santiago

Unter mir sehe ich den Andenkamm und meine Gedanken fahren Achterbahn. Noch fällt es mir schwer zu realisieren, was in den letzten 14 Wochen alles geschehen ist. Und was kommt nun auf mich zu? Welchen Gefahren und Herausforderungen werde ich ausgesetzt sein, welche Aufgaben zu bewältigen haben? Auch Gedanken an das Danach tauchen kurz auf; ich wische sie schnell beiseite und schlafe ein.

Fernando und Beatriz haben es sich nicht nehmen lassen und holen mich wie selbstverständlich gemeinsam mit Feña, ihrer Tochter, am Flughafen ab. Die Freude darüber, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen, ist riesig. Bisher hatten wir uns nur über Facebook unterhalten. Mein Spanisch ist durchaus passabel, sodass wir uns erstaunlich gut verständigen können, wenngleich das Chilenisch schon eine besondere Herausforderung darstellt. Wir fahren direkt zu ihnen nach Hause und essen mit ihrem Sohn Emilio und dem Großvater Patricio zu Abend, bevor mich Fernando in mein bereits in Deutschland gebuchtes Hostel bringt, das keine zehn Minuten entfernt ist. Ich bin angekommen.

Tag 2: Stadtrundfahrt

Fernando holt mich mittags im Hostel ab und gleich bekomme ich die erste lokale Spezialität zum Probieren: Pastel de Choclo, ein Maisgericht, das es in unterschiedlichsten Ausführungen gibt. Sehr lecker! Anschließend fahren wir zusammen mit Feña und ihrem Freund Pepe auf den Cerro San Cristóbal, von dem aus wir eine herrliche Aussicht über die Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole haben. Sehr gut ist hier der Unterschied zwischen dem armen und dem reichen Viertel der Stadt zu erkennen. Ganz oben thront die Statue von Maria der Jungfrau. Obgleich dieser Ort ein Touristenmagnet ist, finden hier immer wieder bewaffnete Überfälle statt. Deshalb ist es sehr ratsam, hier nicht alleine unterwegs zu sein.

Am Abend spüre ich noch den Jetlag und falle nach einem leckeren Essen todmüde im Hostel ins Bett.

Tag 3: Gletscherwanderung

Fernando, Emilio, Feña und Pepe holen mich gegen 9.00 Uhr am Hostel zu einem Ausflug ab. Wir fahren zum nördlichst gelegenen Gletscher Chiles namens El Morado. Als Stärkung während der Wanderung holen wir uns noch Empanadas, gefüllte, warme Teigtaschen, die überall in Südamerika in diversen Ausführungen zu bekommen sind. Schon die Fahrt gestaltet sich abenteuerlich, denn die Straße geht in eine Schotterpiste über, die schließlich einspurig wird und recht steil ist. Zu steil für den Fahrer eines Allrad-SUV vor uns. Er hat wohl sein Sperrdifferential nicht eingeschaltet, denn er kommt tatsächlich keinen Meter weiter und muss rückwärts hinunter. Uns bleibt nichts anderes übrig, als ebenfalls den Rückweg anzutreten, zumindest so weit, bis er an uns vorbeikommt. Dann jagt Fernando seinen vollbesetzten Citroën Picasso problemlos bis zum oberen Parkplatz. Aus den 1,5 Stunden Aufstieg werden dann doch 2,5 Stunden. Wir wandern an grünen Wiesen entlang und erreichen über Geröll- und Schneefelder den imposanten Gletscher. Auch wenn die Sonne an diesem Tag nicht so richtig herauskommt, hat sich die Mühe gelohnt. Meinen ersten Sonnenbrand habe ich auch, weil ich meinen Nacken nicht eingecremt habe und die Sonne eben doch irgendwie da ist. Der Abstieg in 1,5 Stunden kommt mir vor wie ein Kinderspiel.

Für das Abendessen kaufen wir auf dem Rückweg den für Südchile berühmten „Kuchen de Nuezes“ ein. Ja, das deutsche Wort „Kuchen“ hat es tatsächlich bis ins Spanische geschafft. Anschließend bereitet mir Fernando meinen ersten Pisco Sour zu, eine Mischung aus Pisco, dem 35-prozentigen berühmten Traubenschnaps, Limonensaft, Zucker und zu Schaum geschlagenem Eiweiß. Sehr lecker! Das wird bestimmt nicht mein letzter Drink dieser Art gewesen sein.

Tag 4: D-Day

Ursprünglich wollte ich heute mit dem Bus nach Valparaíso fahren, um mein Motorrad aus dem Hafen zu holen. „Das kommt gar nicht infrage!“, hatte Fernando auf meinen Vorschlag hin geantwortet. Er will mich begleiten – und ich sage nicht Nein. Denn er kennt die Stadt wie seine Westentasche und wird mich bei den ganzen Formalitäten sicherlich sehr gut unterstützen.

Um 7.30 Uhr steht er vor meinem Hostel. Der Stadtverkehr hier steht dem in europäischen Großstädten in nichts nach. Es dauert ewig, bis wir die Stadtgrenze hinter uns lassen. Erst gegen 10.00 Uhr erreichen wir die sympathische Hafenstadt. Fernando parkt im Parkhaus direkt im Zentrum und nach kurzer Zeit erreichen wir das kleine Büro des Transportunternehmens im 4. Stock. Es ist winzig und besteht aus einem kleinen Vorraum sowie dem eigentlichen Büro. Außer mir wollen noch zwei Schweizer und zwei Franzosen ihre Motorräder abholen. Ich erfahre, dass viele Formalitäten der aufwendigen Einfuhrprozedur schon im Vorfeld erledigt wurden und wir dadurch etwa einen Tag an Erledigungen sparen. Nach dem Zusammenstellen aller Dokumente gehen wir gemeinsam zum nahegelegenen Amt für Migration von Transportmitteln, um dort vor den Augen des Beamten persönlich zu unterschreiben. Bis die restlichen notwendigen Kopien angefertigt sind und alles an das etwa 15 Kilometer entfernte Zollfreilager weitergeleitet ist, haben wir Zeit für ein Mittagessen. Sehr gut, denn nach nur einem Kaffee zum Frühstück knurrt mein Magen gewaltig.

Fernandos vierrädriges Raumwunder geht mächtig in die Knie, als wir – inzwischen zu siebt, denn ein Holländer hat sich noch zu uns gesellt – zum Lagerhaus fahren. Erneut kümmert sich Fernando rührend um uns. Wir alle sind dankbar, dass er die Organisation vor Ort übernimmt. Mit unseren dürftigen Spanischkenntnissen hätte das bestimmt länger gedauert. Ausgestattet mit der notwendigen Sicherheitsausrüstung (Helm und Weste) zeigt er uns schließlich den Weg zu unseren Motorrädern. Mein Puls steigt! Dann sehen wir die Maschinen unversehrt in der hinteren Ecke der Halle stehen. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Mit wenigen Handgriffen sind die Motorräder fahrbereit. Ein letzter Check der Fahrgestellnummer und eine letzte Unterschrift, dann können wir gemeinsam das Gelände verlassen. Zum ersten Mal befahren wir chilenischen Boden. Was für ein Gefühl!

Oh Schreck! Ich habe mein Handy im Rucksack vergessen. Und der liegt in Fernandos Auto, das bereits auf dem Weg nach Hause ist. Jetzt darf mein Navi gleich mal zeigen, was es kann – es kann wirklich viel. Schon jetzt zeigt sich: Diese kleine Investition in das komplette Kartenmaterial von Süd- und Mittelamerika hat sich gelohnt. Ohne Probleme finde ich Fernandos Haus. Einzig der Einlass in das gesicherte Anwesen dauert ein wenig, da ich mangels Telefon nicht anrufen kann und mich anders bemerkbar machen muss, denn es gibt keine Klingel!

Was jetzt folgt ist das Sortieren, Ordnen, Umpacken, Einräumen und endgültige Verstauen all meiner Sachen an der Maschine. Ich habe doch zu viel mitgenommen.

Den Abend verbringen wir gemeinsam bei einem Pisco Sour, dabei lassen wir den Tag Revue passieren. Alles läuft bisher reibungslos. Einfach klasse. Danke, Fernando!

Tag 5: Taufe und Abfahrt

Um mich von Beatriz und Emilio zu verabschieden, die beide früh aufstehen müssen, stehe ich ebenfalls um 6.30 Uhr auf und frühstücke gemeinsam mit ihnen. Ein zweites Frühstück mit Fernando, Patricio und Feña gibt es dann gegen 9.00 Uhr.

Plötzlich ist Fernando verschwunden. „Er kommt gleich wieder“, höre ich als Antwort auf meine Frage, wo er steckt. Ich treffe meine letzten Vorbereitungen, als mich Fernando bittet, nach draußen in die Einfahrt zu kommen. Dort präsentiert er mir stolz sein Werk: Auf dem Windschild meiner BMW prangt der Schriftzug: „Flecha Negra“ (Schwarzer Pfeil), zudem eine chilenische Flagge. Ich bin zutiefst gerührt. Jetzt ist sie getauft, meine Maschine. Am Abend zuvor hatten wir über diesen Namen gesprochen, aber mit einer solch schönen Überraschung habe ich nicht gerechnet. Nun befestige ich noch „Hugo“ mit Kabelbindern direkt hinter der Frontscheibe, und dann kann die Reise mit dem ungefähr 430 Kilogramm schweren Koloss auf der Ruta 5 Sur losgehen.

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3 Taufe: Flecha Negra sollst du heißen

Da mir die Autobahn recht langweilig vorkommt und hier – ungewöhnlich für Südamerika – auch für Motorräder eine Mautpflicht gilt, entscheide ich mich, über die parallel verlaufende Landstraße zu fahren. Als ich anhalte, um meine ersten Lebensmittel in einem der vielen kleinen Supermercados einzukaufen, die hier überall zu finden sind, spricht mich ein Südtiroler, der seit mehr als 20 Jahren in Chile lebt, auf Deutsch an. Wozu habe ich denn Spanisch gelernt? Hier unten im Süden Chiles ist ein solches Erlebnis nicht ungewöhnlich, denn Mitte des vergangenen Jahrhunderts sind viele Deutsche, Österreicher und Südtiroler hierher ausgewandert. Zum Abschied stellt er mir die – fast schon obligatorische – Frage, ob er noch irgendetwas für mich tun könne. Und wieder bin ich von dieser unheimlichen Gastfreundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Achtsamkeit der Menschen hier beeindruckt. Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl!

Als die ersten Tropfen vom Himmel fallen, beschließe ich kurzerhand, Richtung Westen zu fahren, da dort das Wetter besser zu sein scheint. Tatsächlich zeigt sich bald die Sonne … und die erste Schotterpiste! Als ob das nicht schon ausreicht, muss ich schon bald über Sand fahren, ein Grund für weitere Adrenalinstöße. Von nun an ist vollkommene Konzentration gefragt. Eine kleine Unachtsamkeit würde ausreichen und mein Gefährt könnte sich der Schwerkraft nicht mehr entziehen.

Falls es mal nicht der Untergrund ist, der meine volle Aufmerksamkeit fordert, so sind es die vielen, meist herrenlosen Hunde, die mir unvermittelt vor das Motorrad springen und mich dazu zwingen, entweder zu bremsen oder zu hupen und einen Schlenker zu machen. Absolut glücklich darüber, nicht gleich heute die Straße geküsst zu haben, entschädigt mich am Ende des Tages eine schöne Bergstraße mit vielen Kurven und herrlichen Seen für die langweilige Ruta 5 und ich lande in dem kleinen Dorf Llico. Die Nacht verbringe ich auf dem naheliegenden Campingplatz im Nationalreservat Laguna Torca. Leider muss ich schnell feststellen, dass es doch ganz schön lang dauert, mein neues Zelt aufzustellen. Ich hoffe doch sehr, dass ich mit mehr Übung etwas weniger als 15 Minuten brauchen werde. Steht das Zelt erst mal, habe ich enorm viel Platz, sogar Flecha Negra würde in den Vorbau passen!

Bevor ich mich todmüde in meinen Schlafsack winde, schreibe ich noch eine Nachricht an Johanna aus Österreich, um herauszufinden, wo sie schließlich untergekommen ist.

Tag 6: Plan B

Meine Nachbarn auf dem Campingplatz, ein paar laute Chilenen, haben meine Nachtruhe gestört und so schlafe ich bis 9.00 Uhr. Jetzt kommt die erste – im wahrsten Sinne des Wortes – Feuerprobe für meinen Multi-Fuel-Kocher, der mit Benzin betrieben wird. Ich braue mir meinen ersten eigenen Kaffee: wunderbar. Ein Müsli, kombiniert mit Apfel und Joghurt, vervollständigt das Frühstück: genau nach meinem Geschmack. Der Abbau des Zeltes geht mir etwas schneller von der Hand als der Aufbau, gestaltet sich jedoch auch eher mühsam und aufwendig – dabei habe ich doch alle Zeit der Welt.

Über die anfänglich schottrige Passstraße entlang der Lagune fahre ich hinunter zur Küste, wo mich eine wunderschöne und kurvenreiche Asphaltstraße begrüßt. Mit 100 Stundenkilometern und dank Bluetooth Kommunikationseinheit mit Musik im Ohr geht es Richtung Institución. Als ich am Plaza eine mittelmäßige Pizza esse, erhalte ich eine Nachricht von Johanna. Gerade einmal 120 Kilometer bin ich von ihr entfernt. Und mein Zelt darf ich selbstverständlich auf dem riesigen Gelände der Gastfamilie aufschlagen. Sie freut sich schon, mich kennenzulernen.

So ändere ich meinen Plan und nehme Kurs Richtung Osten, um nach Rari, das 25 Kilometer nordöstlich von Linares in der Nähe von Panimávida liegt, zu fahren. In einem kleinen Supermarkt in Rari frage ich zwei Jungs nach dem Weg. Sie bestaunen Flecha Negra mit großen Augen und wollen unbedingt zusammen mit mir auf ein Foto. Sie freuen sich sehr und wünschen mir noch eine gute Fahrt.

Über eine kurze Schotterstrecke erreiche ich den Hof – oder besser sollte ich das Anwesen sagen – „Rarimalas“, eine Heidelbeerfarm, die von José Luis und seiner Frau Gabriela betrieben wird. Was ich dort vorfinde, macht mich sprachlos: ein unheimlich süßes Haus mit sehr gepflegtem Garten und einem herrlichen Pool. Ja, hier lässt es sich aushalten. Als ich später erfahre, dass beide über 70 Jahre alt sind, verschlägt es mir die Sprache. Sie schauen wesentlich jünger aus. Anscheinend halten Heidelbeeren jung.

Nachdem ich mein Zelt direkt neben dem Pool aufgestellt habe, erwartet mich ein überaus reichhaltiges Abendessen. Ich fühle mich wie im Paradies! Weil das Ehepaar immer wieder für seine Pferde Pflegerinnen aus Europa beschäftigt, geben sich beide unheimlich Mühe, ein sehr gut verständliches Spanisch zu sprechen. Es macht mir sehr viel Spaß, meine Sprachkenntnisse auf diese Art zu erweitern. Und morgen werde ich Flecha Negra für einen Tag gegen ein Pferd tauschen.

Tag 7: Ausflüge hoch zu Ross

Nach einem kurzen Frühstück um 8.00 Uhr gehen Johanna und ich zum Stall; mein erster Ausritt seit Jahrzehnten steht bevor. Ich bekomme eine kurze Einführung zum Thema Zaumzeug und Sattel, dann geht es los auf den hauseigenen Berg. Diese Art von Freiheit ist unvergleichlich, entschleunigt sie doch ungemein. Ich bin eins mit der Natur, höre die Vögel und das Rascheln im Unterholz. Die Natur duftet und ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit der Pippi-Langstrumpf-Abenteuer. Da alle sechs Pferde täglich bewegt werden müssen, folgt ein zweiter Ausritt am Vormittag, bei dem Johanna eine völlig andere Route wählt. Dabei erklimmen wir ohne Probleme Hügel, die ich mit Flecha Negra nicht einmal ansatzweise hätte bewältigen können.

Danach gibt es ein stärkendes Mittagessen mit leckerem, hausgemachtem Pastel de Choclo, bevor wir uns ein drittes Mal mit den übrigen beiden Pferden auf den Weg machen. Es ist einfach herrlich – und macht müde. So schlafe ich sofort ein, als ich mich nach der Rückkehr auf eine Liege am Pool lege.

Später fahren wir zu den Läden in Rari, in denen Handwerkskunst verkauft wird, die es nur hier gibt: aus Pferdehaaren hergestellte Puppen, Lesezeichen und andere mehr. Ich erstehe zwei Lesezeichen, die ich sicher geschützt in meinem dicken Reiseführer unterbringe.

Nach dem köstlichen Abendessen sitzen wir noch bei Wein und Nüssen auf der Veranda. Ich erfahre viel über Heidelbeeren, die Farm und die damit verbundenen Herausforderungen. Der größte Abnehmer sind die USA mit über 70 Prozent, und eine Ernte ist nur dann möglich, wenn die Beeren absolut trocken sind, da sie sonst zu faulen beginnen. Wir alle wollen am nächsten Tag früh aufstehen und so gehen wir bald ins Bett. Mal sehen, ob ich morgen Muskelkater haben werde.

Tag 8: Abschied

Anders als befürchtet spüre ich nur ein leichtes Ziehen in den Oberschenkeln, der Muskelkater hält sich in Grenzen. Eigentlich wollte ich nach dem Frühstück weiterfahren, doch Johanna fällt es leicht, mich zu einem weiteren Ausritt zu überreden, bei dem ich sogar galoppiere.

Diese unendliche Gastfreundlichkeit, die mir seit der ersten Stunde hier in Chile begegnet, ist unbeschreiblich. Umso schwerer fällt mir der Abschied nach dem Mittagessen. Für mein nächstes Picknick schenkt mir Gabriela eine Tüte „avellanas chilenas“ (kleine Haselnüsse, die es nur in Chile gibt). Inzwischen hat auch der Regen aufgehört, der sich in der Nacht und am Morgen nieselnd breitmachte. Alle 70 Erntearbeiter von José Luis mussten deshalb am Morgen unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen; Lohn bekommen sie an diesem Tag entsprechend keinen.

Weil es keine Alternative gibt, fahre ich die 300 Kilometer bis Victoria auf der Ruta 5. Die einzige Aufregung ist mein geschmolzener Ersatzkanister, der den warmen Auspuffgasen auf der linken Seite des Motorrads nicht standgehalten hat. Notdürftig flicke ich das entstandene Loch mit Panzerband und verfrachte den Kanister auf die rechte Seite. Leider löst sich das Band durch das Benzin nach kurzer Zeit in Wohlgefallen auf, sodass mir wohl nichts anderes übrigbleibt, als den Kanister wegzuschmeißen.

In Curacautín werde ich, wie so oft, vor dem Supermarkt angesprochen, und so frage ich die Männer dort nach einer schönen Übernachtungsmöglichkeit. Laguna Blanco ist mein nächstes Ziel, das ich über eine 19 Kilometer lange Schotterpiste erreiche. Ich bekomme einen schönen Zeltplatz mit tollem Blick auf den Sonnenuntergang und gönne mir eine warme Dusche.

Nach dem Essen sitze ich mit einem Belgier und Laura, einer hier arbeitenden Deutschen, noch länger am Lagerfeuer zusammen. Wir unterhalten uns über die unterschiedlichen Lebenseinstellungen von Europäern und Lateinamerikanern, wobei sich herausstellt, dass die Chilenen sich in Vielem den Europäern annähern, beispielsweise was die Pünktlichkeit angeht.

Ich höre das Knistern des Feuers noch in meinem Schlafsack. Absolute Abenteuerromantik.

Tag 9: Adrenalin pur

Mit den im Supermarkt erstandenen „avenas“ (Haferflocken) ist mein Frühstück fast perfekt. Nur Naturjoghurt konnte ich bisher nicht finden und so muss ich weiterhin den gesüßten Joghurt mit Geschmacksverstärker essen. Auch das Abbauen des Zeltes nervt ein wenig und dauert recht lang, deshalb komme ich erst gegen 11.30 Uhr los. Natürlich will ich die Lagune sehen, also auf dorthin. Unterwegs begegne ich einem Greifvogel, der sich wohl extra für mich am Wegesrand auf einem Baumstamm niederlässt, um von mir fotografiert zu werden. Diverse Gatter veranlassen mich schließlich, zu Fuß weiterzugehen. Leider finde ich die Lagune nicht. Auch ein anderer Weg, den ich unvernünftigerweise mit dem Motorrad befahre, führt mich nicht zum Ziel. Meine Nerven sind extrem angespannt, denn das Geröll und die extreme Steigung sind für Flecha Negra und mich eine große Herausforderung, die wir gerade noch ohne Sturz meistern. Da sind die 19 Kilometer Schotterpiste zurück zur Hauptstraße fast schon eine Wohltat, wobei ich mich auf die sich anschließende Teerstraße richtig freue.

Doch die Freude währt nur kurz, auf dem Weg zum Nationalpark Conguillio ist wieder Enduro-Modus angesagt. Die Maut für den Park beträgt 6.000 CLP (8,50 €), die gut angelegt sind. Dafür gibt es neben Lagunen und Seen jede Menge Vögel, 1.000 Jahre alte Bäume und den Blick auf den Volcán Llaima. Leider trägt der immer mehr werdende Sand nicht zur Entspannung bei, sondern fordert größte Wachsamkeit. Mehrmals kann ich nur knapp einen Sturz verhindern. Jetzt zeigt sich, dass sich die Anschaffung des Kompressors tatsächlich gelohnt hat. Für längere Schotterfahrten senke ich den Luftdruck in den Reifen und passe ihn für Fahrten auf Asphaltstraßen an, um die Reifen nicht unnötig zu belasten.

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4 Reifendruckanpassung je nach Straßenbelag

Nach dem Mittagessen zeigt sich in Melipeuco der Vulkan sogar ohne sein übliches Wolkenhäubchen in vollem Glanz und voller Größe. Wieder über Asphalt fahre ich nach Villarrica. Da das kleine Dorf um diese Zeit touristisch doch sehr bevölkert ist, fahre ich gleich weiter nach Lican Ray an den Lago Calafquen. Ich beschließe, dort einen Ruhetag einzulegen, um mich wieder zu regenerieren und das Zelt für einen Tag stehen lassen zu können.

Ich weiß nicht, ob es vom Reiten kommt oder einfach vom ungewohnten Fahren auf Schotter mit viel Gepäck und von dem Auf- und Abbauen des Zeltes, aber ich fühle mich erschöpft. Reisen kann ganz schön anstrengend sein.

Tag 10: Faulenzertag

Ich genieße den Tag am Strand und schlafe sogar mehrmals ein. Jetzt komme ich endlich dazu, mein Buch auszupacken und zu lesen. Auch das will ich ja schließlich lernen: Einfach mal nichts tun! Am späteren Nachmittag fange ich mit dem Schreiben des deutschen Tagebuchs an. Ich fühle mich erholt und freue mich auf die nächste Woche.

Tag 11: Kurvenparadies

Jetzt bin ich fast eine Woche unfallfrei gefahren und was muss mir passieren? Ich stolpere in der Nacht auf dem stockdunklen Campingplatz über eine Bank und schlage mir doch tatsächlich mein Knie dabei auf.

Am nächsten Morgen klappt der Zeltabbau schon schneller, um 11.00 Uhr bin ich schon abfahrbereit. Erst geht es noch über Asphalt am Ostufer entlang in Richtung Coñaripe, doch recht schnell gelange ich zur nächsten Schotterstraße – voraussichtlich 100 Kilometer liegen vor mir. Also lasse ich erst einmal wieder Luft aus den Reifen – habe ja schon Übung. Mit rund 0,8 bar weniger Druck fährt es sich spürbar angenehmer.

Was für ein Panorama! Rauf auf 600 Höhenmeter, runter auf 200 Meter, schöne Kurven und immer wieder die schneebedeckten Vulkane. Vorbei am Lago Neltume nach Punahue. Und das Navi kennt sich besser aus als meine Karte. Zeigt diese noch eine Verbindungsstraße an, so ist tatsächlich kurz hinter Choshuenco plötzlich Schluss und es heißt: umdrehen! Wieder mit Asphalt unterm Reifen geht es die kurvenreiche Straße am Lago Panguipulli entlang, natürlich nicht ohne zuvor mit dem Kompressor wieder Luft zuzugeben. Mir geht der Gedanke durch den Kopf, dass ich bisher bis auf mein (zu) reichhaltiges Werkzeug und die Notfallmedizin schon alles gebraucht habe, was ich eingepackt hatte.

Die Abstände zwischen den Tankstellen sind zuweilen doch recht groß. So bin ich froh, als ich in Futrono erst Flecha Negra etwas geben kann (den bisher teuersten „Saft“) und anschließend mir zwei Empanadas und eine Coke gönne. Weiter geht es am Ostufer des Lago Ranco nach Llifén bis zur Ortschaft Lago Ranco. Traumhaft!

Und wieder kennt mein GPS einen Weg, der in der Karte nicht eingezeichnet ist: eine Schotterstraße von 30 Kilometern, die bis nach Entre Lagos führt. Also Luft raus und los. Und wie ich so dahinhopple, passiert es: Meine Windschildverlängerung fliegt davon. Also umdrehen, zurückfahren und … oh nein! Ich lande tatsächlich im rechten Straßengraben. Noch ist nichts passiert, das heißt, meine Maschine ist noch nicht umgefallen, aber es ist gar nicht so einfach, die ungefähr 330 Kilo (ohne mich) aus dem Graben zu befördern. Mit viel Kupplungschleifen und entsprechendem Gestank schaffe ich es endlich. Ich drehe um, setze den Windschild wieder auf und fahre weiter. Das ist ja noch mal gut gegangen.

Da ich mir heute ein Wohlfühlbad einbilde, fahre ich zum Lago Puyehue bis zur gleichnamigen Therme mit angeschlossenem Hotel. Endlich mal nicht das Zelt aufbauen und bei 41° C baden. Herrlich!

Im Zimmer bemerke ich, dass ich wohl meinen Beutel mit den Ladegeräten für Notebook und Kamera auf dem Campingplatz vergessen habe. Jetzt ist es zu spät, das muss ich morgen klären.

Tag 12: Vulkanlandschaft

Gleich nach dem Aufstehen recherchiere ich die Telefonnummer des Campingplatzes. Doch mein Anruf bleibt leider ergebnislos. Umso glücklicher bin ich, als ich den vermissten Beutel tief unten in meinem rechten Seitenkoffer wiederfinde. Alle Aufregung umsonst!

Es ist schon 12.00 Uhr, als ich bei recht bewölktem Himmel und kühlen 17° C losfahre. Sogar das Innenfutter habe ich in die Jacke getan. Nachdem mein erstes Ziel, Puerto Octay, nicht wirklich viel zu bieten hat, fahre ich erneut im Uhrzeigersinn um den See in Richtung Volcán Osorno und Volcán Calbuco, der erst 2015 ausgebrochen war (Bilder unter chilereisen.at). Diese Strecke ist ein Muss für jeden Motorradfahrer, auch wenn zwischendurch immer wieder die netten Steinchen kommen. Aber daran habe ich mich schon gewöhnt. Bei einem Stopp am Ufer des Lago Llanquihue unterhalte ich mich länger sehr nett auf Deutsch mit einer alten Dame, die 1938 ausgewandert ist und dort seitdem ein kleines Café betreibt.

Im Footprint-Handbook, meinem Reiseführer über Südamerika, suche ich ein Hostel im nahegelegenen Puerto Varas und habe Glück. Ich bekomme gerade noch ein Zimmer für genau eine Nacht in der von einem Österreicher geführten Hosteria Outsider. Ohne Reservierung ist hier im Normalfall nichts zu machen. Wie praktisch, um die Ecke ist gleich ein Waschsalon. Nach zwei Wochen haben es meine Sachen echt nötig.

Der Ort ist touristisch, was durchaus seinen Reiz hat, da an jeder Ecke Musikanten und andere Künstler zeigen, was sie können. Schön ist auch, dass die Wolken verschwunden sind: Ich habe freien Blick auf die beiden Vulkane. Postkartenmotiv! Ich genieße es, durch die Straßen zu schlendern, vorbei an der Villa Kuschel, dem ältesten, 1910 erbauten Haus des Ortes, hinunter zum Seeufer. Ich besuche das Museum von Pablo Ferro, der Altertümliches sammelt und kostenlos in einem sehr witzigen und etwas skurrilen Haus, ehemals ein Wasserhaus, ausstellt. Beim Italiener direkt im Hostel lasse ich den Tag bei Lachs mit Kartoffeln ausklingen.

Tag 13: Auf nach Chiloé

Die Wäsche ist sauber und vollzählig – keine Selbstverständlichkeit –, die Webseite aktualisiert und das Motorrad vollgetankt. Jetzt kann es losgehen ins 22 Kilometer entfernte Puerto Montt, um dort „Marisco“ (Meeresfrüchte) zu essen. An der Küstenstraße entdecke ich ein Lokal, von dem aus ich Flecha Negra im Blick behalten kann. Völlig unbeaufsichtigt möchte ich hier mein Motorrad dann doch nicht am Straßenrand stehen lassen. Die Marisco sind ganz in Ordnung, ich denke aber, es gibt bessere. Da außer viel Verkehr hier kaum etwas zu sehen ist, steuere ich gleich wieder die Ruta 5 Sur an, um zur Halbinsel Chiloé weiterzufahren. Die Strecke erweist sich immer noch als genauso langweilig, also fahre ich über die Dörfer. Eine gute Idee, hier fühle ich mich plötzlich wie beim Achterbahnfahren. Herrlicher Asphalt mit traumhaften Kurven, dazu der Blick aufs Meer. Verdammt! Ich muss echt aufpassen. Urplötzlich hört der Teer auf, ohne vorherige Ankündigung fängt die Naturstraße an. Was bleibt, sind die schönen Kurven, nur langsamer muss ich jetzt fahren. In Pargua steht die Fähre schon bereit, die 25 Minuten Überfahrt nach Chacao kosten stolze 8.050 CLP (11,30 €). Das ist ja teuer als eine Fährfahrt von Meersburg nach Konstanz auf dem Bodensee.

Die wechselnden Bodenbeläge erfordern auch weiterhin meine volle Konzentration, dennoch lohnt es sich, die Straße an der Küste entlang bis Quemchi und dann nach Dalcahue bis nach Castro zu nehmen. Dort steht eine sehenswerte, vollständig hölzerne Kirche in Gelb und Lila. Ich fülle meine Bargeldreserven auf und fahre weiter an die Westküste nach Cucao. Erneut verlasse ich mich auf meinen Reiseführer, wähle den dort empfohlenen Campingplatz aus und werde nicht enttäuscht. Ein Idyll mit See vor dem Zelt am Rande des Nationalparks Chiloé. Nur die Pferdefliegen und Mücken nerven um diese Jahreszeit gewaltig. Zum Abendessen gibt es Paprika mit Chili und Ei, dazu Avocados, die hier „Paltas“ heißen und die die besten sind, die ich je gegessen habe.

Inzwischen bin ich auf dem 43. Breitengrad (südlicher Breite) angelangt, hier geht die Sonne schon wesentlich später unter als in Santiago de Chile. Die Vögel zwitschern und ich genieße die entspannte Stimmung am Ufer des Lago Huillinco. Auf dem kaum besuchten Campingplatz zelten neben mir Julian und Anna, ein Pärchen aus Deutschland. Die beiden sind mit dem Rucksack unterwegs. Wir unterhalten uns und lassen den Tag bei einem Glas Wein gemeinsam ausklingen.

Tag 14: Bitterkalt und kein Ticket

Die Nacht war mit einstelligen Temperaturen erstaunlich kalt, sodass ich meine lange Hose anbehalten habe und froh bin, den warmen Schlafsack mitgenommen zu haben. Zuerst mache ich mir also einen heißen Kaffee. Nach dem Frühstück suche ich den auf einer Karte eingezeichneten Wanderweg, der auf einen Berg im Nationalpark Chiloé führt. Leider muss ich feststellen, dass es sich um eine Forststraße handelt, auf der die Einheimischen ihr Feuerholz abtransportieren. Ihre Fahrzeuge verlieren dabei erhebliche Mengen an Benzin und Öl – eine echte Sauerei! So fahre ich zum Strand weiter und mache dort einen ausgedehnten Spaziergang. Ich liebe diesen Salzgeruch. Aber die nervigen Pferdefliegen sind wirklich überall!

Später fahre ich erneut nach Castro, um für Flecha Negra und mich ein Ticket zu ergattern, es soll entweder von Castro oder Quellón nach Chaitén gehen. Die Antwort ist ernüchternd: Das ist erst wieder in einer Woche möglich! Selbst von Puerto Montt, sagt mir die Dame am Schalter, schaue es schlecht aus. Na dann … Ich fülle meine Vorräte im Einkaufszentrum auf, esse einen Kuchen in einem sehr netten Café und trinke dazu einen guten Cappuccino. Dann mache ich mich auf den Weg zur Crêperie, von der meine Zeltnachbarn so geschwärmt hatten. Sehr lecker, die Crêpe mit dreierlei Käse.

Als ich mich auf den Rückweg mache, fängt es an zu tröpfeln. Also fahre ich zügig zurück zum Campingplatz. Doch da passiert es! Hinter einer Kuppe fahre ich heute genau in das Schlagloch hinein, das ich tags zuvor noch sicher umfahren habe. Durch den Schlag hat sich die Windschildverlängerung erneut gelöst und ist weggeflogen. Bevor ich umdrehe und nach ihr suche, schaue ich erst, ob der Reifen und die Felge etwas abbekommen haben. Ich scheine Glück zu haben; nichts ist passiert. Jedoch finde ich im hohen Gras am Straßenrand das Schild nicht mehr. Na ja, es geht auch ohne. Ich bin gerade im Zelt, da fängt es unerbittlich an zu regnen. Und das bleibt die ganze Nacht so.

Tag 15: Start der Carretera Austral

Der Regen hat sich verzogen. Obwohl es rundherum immer noch sehr finster aussieht, sitze ich in der Sonne und frühstücke. Sogar das Zelt kann abtrocknen, bevor ich alles wieder zusammenpacke. Ich nehme erneut Kurs auf die Ruta 5 zur 150 Kilometer entfernten Fähre in Chacao – nicht ohne nachzuschauen, ob ich den verlorenen Windschild doch noch wiederfinden kann. Ah, das Universum meint es gut mit mir. Am Morgen haben die Straßenarbeiter das Gras gemäht. So liegt das Schild nun bestens sichtbar am Straßenrand, bereit, von mir wieder angesteckt zu werden. Auch die Fähre hat nur auf mich gewartet. Ich bin das letzte Fahrzeug, das noch passieren darf, bevor wir Kurs auf Pargua nehmen. Erstaunlicherweise hat sich der Preis für die Überfahrt verringert (CLP 7.400/10,50 €).

Als wir wieder in Puerto Montt ankommen, zeigt Flecha Negras Kilometerzähler genau 24.000 Kilometer. Seit dem Start haben wir bereits 2.500 Kilometer zurückgelegt, die Strecke von Hamburg bis Palermo.

Ab hier beginnt die Ruta 7, auch Carretera Austral genannt. Ich folge der schönen, gut ausgebauten Uferstraße in Richtung La Carena. Die erste Fähre stellt kein Problem dar, nach 30 Minuten bin ich schon in Puelche. Hier regnet es heftig, sodass ich zum ersten Mal meine Regenkombi anlege. Die Überhandschuhe lassen wenig Gefühl zu, aber dafür bleibt alles trocken. Wie gewohnt geht auch hier auf der Carretera Austral die gut ausgebaute, kurvenreiche Teerstraße unmittelbar in eine schottrige Piste über. Am Straßenrand stehen riesige Farne. Bisher kannte ich diese Blätterdächer nur aus Filmen, jetzt aber erlebe ich sie hautnah, ihr Duft steigt mir in die Nase. Warum es zwischendurch immer wieder hervorragend ausgebaute Streckenabschnitte gibt, wissen nur die Chilenen, ich genieße sie sehr.

Die Stimmung ist irgendwie unglaublich gespenstisch. Tiefschwarze Wolken und nebelverhangene, steile Abhänge sehen mit den immer wieder aufblitzenden einzelnen Sonnenstrahlen sehr malerisch aus. Fast kitschig. Gegen 19.30 Uhr lande ich in Hornopirén. Leider schließt das Büro, das die Fährtickets verkauft, bereits um 19.00 Uhr, sodass ich erst morgen früh ab 7.30 Uhr mein Glück versuchen kann. Jetzt heißt es, eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Ich denke gerade darüber nach, wieder mein Zelt irgendwo aufzuschlagen, als ich gleich nach der ersten Kurve stoppe. Im Fenster eines Hauses steht ein Schild: „Alojamientos“ (Unterkünfte). Fragen kostet nichts und so bekomme ich das wahrscheinlich kleinste Zimmer, das ich während meiner Reise bewohne, für CLP 10.000 (14,00 €), Frühstück inklusive. Nun kann alles trocknen und ich muss mir in der Früh keine Gedanken über das Zelt machen. Auf Empfehlung der Tochter des Hauses hin gönne ich mir in einem nahegelegenen Restaurant zum Abendessen einen leckeren Fisch mit Kartoffelpüree, dazu Wein und Wasser. Draußen schüttet es wie aus Eimern und ich bin froh, ein festes Dach über dem Kopf zu haben. Auch wird mir sehr bewusst, dass mir eine gute Matratze immer noch lieber ist als eine Therm-A-Rest-Matte. So schlafe ich zufrieden ein.

Tag 16: Auch Regen hat etwas

Pünktlich bin ich am Ticketschalter, habe allerdings meine Papiere im Hostel vergessen. Also gehe ich schnell wieder zurück, hole meinen internationalen Fahrzeugschein und Reisepass und halte zehn Minuten später ein Ticket für die Fähre um 10.30 Uhr in der Hand – für sage und schreibe nur 7.950 CLP (11,20 €). Mir bleibt noch genug Zeit, um alles gemütlich und gewissenhaft einzupacken und zu frühstücken.

Warum ich bereits eine Stunde vor Abfahrt der Fähre an der Verladestelle sein soll, obwohl sicher bekannt ist, dass Motor- und Fahrräder immer erst zum Schluss verladen werden, wird für ewig ein gut behütetes Geheimnis bleiben. Während ich warte, kommen einige Brasilianer mit Reise-Enduros an. Leider kriegen sie keine Tickets mehr und so wird leider nichts aus einem Erfahrungsaustausch. Schade, bisher sind Motorradfahrer eher Mangelware.

Die fünfstündige Überfahrt verbringe ich mit Schlafen und Tagebuchschreiben, wegen der schlechten Sicht verpasse ich nichts. Pünktlich um 15.30 Uhr legen wir in Caleta Gonzales an – die Chilenen haben sich wohl tatsächlich die Pünktlichkeit von den Deutschen abgeschaut. Hier lasse ich erst einmal wieder Luft aus den Reifen, denn es kommen 45 Kilometer Schotterpiste bis Chaitén auf mich zu. Das Fahren auf dieser Straße im Regen erfordert meine vollste Aufmerksamkeit, sodass kaum Gelegenheit bleibt, die Natur zu bewundern. Bei den schlechten Sichtverhältnissen macht das aber nichts. Echte Ernüchterung verspüre ich in Chaitén, denn dieser Ort ist nach dem verheerenden Ausbruch des gleichnamigen Vulkans im Mai 2010 so gut wie ausgestorben. Ich halte, um zu tanken und wieder Luft aufzufüllen. Der Preis für einen Liter Benzin hat ungeahnte Höhen erreicht, inzwischen ist er mit 925 CLP (1,30 €) höher als in Deutschland.

Jetzt will ich noch Geld holen. Leider scheitert dies erneut an der Unart, dass die Banken hier teilweise dem eingegebenen Betrag einfach zwei Dezimalstellen anfügen, wodurch wieder einmal mein Verfügungsrahmen gesprengt wird. Statt 200.000 CLP (280,00 €) fragen sie den Betrag von 20.000.000 CLP an, was mein Tageslimit von 500,00 € deutlich übersteigt. Weder mit meiner VISA- noch mit meiner MasterCard bekomme ich die ersehnten Scheine. So muss ich wohl bis Coyhaique warten und hoffen, dass mein Bares reicht.