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Über das Buch

Zwei Beine anstelle eines Fischschwanzes? Für die Meerjungfrau Mayla Morena bricht eine Welt zusammen, als sie aus ihrer Meerstadt Maimara verbannt wird. Wer soll sich nun um ihren kranken Vater kümmern? Und wie soll sie selbst an Land überleben, wo Verbannte von den anderen Halbwesen doch geächtet werden? Doch Mayla hat Glück, sie findet Unterschlupf bei dem jungen Zentauren Diar, der sie vor den Anfeindungen seines Clans beschützt. Trotz widriger Umstände verlieben sie sich ineinander. Da erfährt Mayla von einer Möglichkeit, sich wieder in eine Meerjungfrau zu verwandeln. Doch der Preis dafür ist hoch und ihr Vorhaben gefährlich. Wird Mayla wirklich nach Maimara zurückkehren?

Für Franca,

die beste Cousinen-Schwester der Welt.

Inhalt

Verbannt

Unter Zentauren

Mondfest

Schreie in der Nacht

Bärlauch und Bestien

Flügel und Hörner

Nachtschwarzer Wald

Zain

Die Hexe Ruba

Liebeslos

Die Ohren des Waldes

Eine unerwartete Freundin

Epilog

Verbannt

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»Lasst mich los! Lasst mich!« Ich versuche, den beiden Meermännern meine Arme zu entwinden, und erwische einen von ihnen mit meiner Flosse am Rücken. Er starrt jedoch nur geradeaus und zerrt mich weiter. Ich werfe einen gehetzten Blick zurück auf die Lichter von Maimara. Die Stadt liegt so friedlich da, als sei ich ihr vollkommen egal, als sei ich nicht auch eine ihrer treuen Bewohnerinnen.

»Ich war verzweifelt. Es tut mir leid. Ich tue es nicht wieder! Wie wäre es, wenn ich Strafstunden am Korallenriff ableiste? Hört ihr mir überhaupt zu?«

Ich sehe von einem zum anderen, und als sie nicht reagieren, beginnt mein Herz wie verrückt zu pochen. Sie meinen es wirklich ernst.

»Bitte! Bitte nicht!« Meine Stimme klingt erstickt, und als König Malek, Herrscher der Meere, in Sicht kommt, setzt mein Atem einen Moment lang aus. »Ich wollte ihm doch nur helfen. Ich wollte doch nur …« Niemand schert sich darum, warum ich es getan habe. Ich habe Hochverrat begangen und darauf folgt Verbannung.

Als ich einen Blick nach oben gen Wasseroberfläche richte, beginne ich wieder, mich zu wehren. Panik macht mich stärker, nur leider nicht stark genug.

»Nein!« Es ist ein verzweifeltes Kreischen, das mir entfährt, und einen Moment lang ängstige ich mich vor mir selbst.

»Mayla Morena, du hast Hochverrat begangen und damit deinen Herrscher beleidigt.« König Maleks Stimme klingt so kalt, dass er das Wasser um uns herum zum Gefrieren bringen könnte. Stattdessen jedoch tobt es und reißt an meinen Haaren, als wüte an der Oberfläche ein Sturm. Hinter Malek wird das Meer flacher, weißer Sand kennzeichnet den Strand.

Mir wird schlecht. Ich hänge schlaff in den Armen der Palastwächter und traue mich nicht, meinen König anzusehen.

»Es tut mir leid, Majestät«, flüstere ich. »Bitte vergebt mir. Ich … bitte!« Ich kann nicht verbannt werden! Was soll aus Vater werden? Omar ist schon so lange fort, dass wir nicht wissen, ob er jemals wiederkommen wird. Und Vater war so stolz, dass sein Sohn Soldat werden würde.

»Wer sich der Gemeinschaft von Maimara nicht fügen kann, verliert das Recht, ein Meermensch zu sein!«, sagt Malek und sieht angewidert auf mich hinab. »Mayla Morena, du wirst hiermit aus den Gewässern der Erde verbannt. Du wirst nicht mehr in der Lage sein, zurückzukehren, auf dass du uns keine Schande mehr bereiten kannst.«

Mittlerweile vermischen sich meine Tränen mit dem Meerwasser. Ich sage nichts mehr, als er sein schwarzes Amulett hebt und auf meinen Fischschwanz richtet. Schmerz schießt meinen Rücken hinauf und ich schluchze verzweifelt auf. Die Palastwächter lassen mich los und ich treibe dem Festland entgegen, eingehüllt in eine schwarze Wolke, die von einem Tintenfisch stammen könnte, doch sie besteht aus uralter Magie. Und sie macht mich zu etwas, das kein Meermensch jemals sein will: zu einem ganz normalen Menschen.

Als die Wellen mich an den Strand spülen, bleibe ich kraftlos liegen. Ich hole zitternd Luft. Es ist seltsam. Ich war bereits ein paar Mal an der Oberfläche, aber nie lange und meist verbotenerweise.

Ich merke erst, als ich laut schniefe, dass ich wieder angefangen habe zu weinen.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wahrscheinlich sollte ich mich erheben, aber ich traue mich nicht, einen Blick auf das zu werfen, was meinen Fischschwanz abgelöst hat.

Was soll ich denn jetzt machen? Am liebsten würde ich mich in Vaters Arme werfen und ihn um Rat bitten, doch er ist unerreichbar für mich. Ich schlucke ein Schluchzen hinunter und streiche mir die nassen grünen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Die Sonne brennt unangenehm auf meiner Haut. Ich kann nicht den ganzen Tag hier liegen bleiben.

Versuch, rational zu denken, Mayla!, sage ich mir. Dann stemme ich mich mit den Armen auf und werfe einen Blick auf meinen Unterkörper. Ich sehe zwei kleine Füße, die unter einem langen grünen Kleid herauslugen. Ich hole tief Luft, dann wackele ich versuchsweise mit den Zehen und zucke erschrocken zusammen, als es funktioniert. Wieder treten mir die Tränen in die Augen.

Ich fahre herum, als ich Hufgetrappel aus dem Wald vernehme. In plötzlicher Angst springe ich auf die Beine und merke fast gar nicht, wie sie mich hinter einen der großen Felsen tragen. Außer Atem presse ich mich gegen den Stein, spüre seine Rauheit unter meinen Fingern und blicke dann erstaunt auf die zwei Dinger hinab, die mich gerade gerettet haben. Plötzlich höre ich Stimmen.

»Tarik, komm schon, wir sollen pünktlich zum Abendessen zurück sein! Wir haben keine Zeit für Umwege!«

Ich luge um den Fels herum und halte überrascht inne. Ich dachte, es handle sich um Menschen. Aber diese Wesen sind nicht nur menschlich. Außerdem leben die Menschen im Osten und ich weiß, dass ich an die Westküste gespült wurde.

Diese Wesen haben einen menschlichen Oberkörper, aber dort, wo bei einem echten Menschen die Hüften säßen, beginnt der Rumpf eines Pferdekörpers – das sind Zentauren! Halbwesen wie ich. Wie ich eines war, korrigiere ich mich.

Der eine hat braunes Pferdefell, während der andere, der wartend die Hände in die Hüfte stemmt, silbergrau in der Sonne glänzt. Schwarzes zerzaustes Haar sitzt auf seinem Kopf und darunter rollt ein kantiges Gesicht mit den Augen.

Bevor ich weiß, dass ich mich dazu entschieden habe, rufe ich: »Hey! Hey, Zentauren!« Ich verlasse mein Versteck und gehe unsicher auf sie zu, schwanke leicht, als meine Füße sich in den warmen Sand graben. Der Braune scheut und galoppiert zu seinem silbergrauen Begleiter. Der jedoch betrachtet mich mit zusammengekniffenen Augen.

Ich kann den Braunen irgendetwas mit »Mensch« murmeln hören. Ich wische mir die Tränen von den Wangen und bleibe vor ihnen stehen.

»Ich bin kein … Ich meine, ich bin schon …« Ich zucke hilflos mit den Schultern, dann schlucke ich und will wieder etwas sagen, doch der Silbergraue unterbricht mich:

»Sie ist eine Verbannte.« Er legt dem Braunen beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Sieh doch nur ihre Haare. Keine Menschin hat so etwas.«

Ich lächle angestrengt. Ich versuche, nicht daran zu denken, was ich jetzt bin. Ich habe es in eine besonders kleine Muschel gequetscht, dieses Wissen, und im Korallenriff meiner Gedanken vergraben. Wer weiß, wie lange es dort verborgen bleiben wird. Jetzt geht es darum, einen Platz für die Nacht zu finden. Etwas zu essen zu haben, vielleicht eine Decke.

»Komm, Tarik, wir gehen jetzt«, sagt der Silbergraue und sie wenden sich in Richtung Wald.

»Nein, bitte«, sage ich eilig. »Bitte, ich brauche nur für heute Nacht etwas … bis … bis ich weiß, was ich tun soll.«

»Wie alt bist du, Verbannte?« Der Silbergraue sieht mich mitleidig und zugleich misstrauisch an. Ich schlucke.

»Fünfzehn«, sage ich leise. Er ist älter als ich, das spüre ich an der Art, wie er redet. Tarik, der andere, könnte in meinem Alter sein. Er sieht seinem Begleiter neugierig zu, als der mir seufzend die Hand entgegenstreckt.

»Steig auf. Für eine Nacht werden wir wohl ein Arrangement mit Alem treffen können.« Ich nicke hastig und ergreife seine Hand. Mir wird leicht schwindelig, als er mich mit einem Ruck auf seinen Rücken hebt.

»Danke«, sage ich leise. »Ich danke euch.«

»Halt dich fest«, erwidert er nur und prescht los.

Wir rauschen an Blättern und Ästen vorbei und ich kralle mich an der Mähne des Zentauren fest, damit ich nicht auf den Waldboden krache. Als er endlich wieder stehen bleibt, rutsche ich matt von seinem Rücken. Meine neuen Beine zittern und ich habe das Gefühl, dass sie nicht mehr lange durchhalten werden. Zum Glück ist dieser Tag bald vorbei.

Es dämmert, wird dunkel zwischen den alten, knorrigen Bäumen und vor uns flammen Lichter auf. Wir haben die Herde erreicht. Ich frage mich, wie lange sie wohl schon hier verweilen. Zentauren bleiben nie lange an einem Ort. Sie sind die Nomaden der Halbwesen.

»Mein Name ist übrigens Diar«, sagt der Silbergraue und nickt dann zu Tarik. »Tarik, mein kleiner Bruder.«

»Mayla«, erwidere ich. Er wirft einen Blick in Richtung Zeltgruppe. »Am besten bleibst du zwischen uns. Verbannte sind hier nicht gern gesehen.«

Verbannte sind nirgendwo gern gesehen. Ich will noch immer nicht darüber nachdenken, was nun aus mir werden soll. Ich kann nicht zu den Elfen. Minotauren, Satyre und Greife sind mir unheimlich und mit Harpyien werde ich mich erst recht nicht anfreunden können. Und nach Hause darf ich nicht. Ich blicke ebenfalls geradeaus und gehe mit wackeligen Beinen neben Diar und Tarik her. Neugierige und befremdliche Blicke folgen uns.

»Was ist sie?«, fragt ein weiblicher Zentaur und reitet neben Diar.

»Verbannte.«

»Und ihr bringt sie hierher?« Ihre Stimme klingt kreischend in meinen müden Ohren.

»Das geht dich nichts an, Johara«, erwidert Diar und sieht sie kühl an. Die Zentaurin schürzt die Lippen und trabt von dannen.

Ich starre wieder geradeaus und betrete dann hinter Diar und gefolgt von Tarik ein schmuddeliges Zelt. Auf ein paar Pelzen kniet ein bärtiger, einschüchternder Zentaur. Bart und wallendes Haar sind in unzählbare Zöpfe geflochten. Er weckt in mir das Bedürfnis, mich hinter Diar zu verstecken, doch der packt mich am Arm, als wisse er, was in mir vorgeht, und hält mich neben sich.

»Alem«, sagt er und beugt den Kopf, »wir haben diese Verbannte am Strand aufgelesen. Sie bittet um Obdach für eine Nacht.« Er schweigt einen Augenblick und sieht dann auf. »Wie du siehst, ist sie noch sehr jung. Ich hätte sie sonst nicht hergebracht.«

Ich blicke zu Boden und warte darauf, dass der Anführer dieser Gruppe etwas sagt. Ich höre, wie er sich erhebt, und spüre seinen prüfenden Blick auf mir lasten. Vielleicht sollte ich doch nicht hier sein. Vielleicht sollte ich mir meinen Weg zu den Menschen suchen und mich damit abfinden, dass –

»Auch wenn ich es nicht schätze, dass du ein solches Geschöpf in unser Lager bringst, kann ich doch verstehen, warum, Diar.«

Ich hebe den Kopf und blinzele Alem entgegen. Wird er mir erlauben, hierzubleiben?

»Eine Nacht ist alles, was ich dir bieten kann, Kind«, sagt er an mich gerichtet. »Diar wird dich bei sich unterbringen. Er wird dir etwas zu essen geben und dafür sorgen, dass du morgen wieder verschwunden bist.«

Ich nicke und flüstere: »Ich danke Euch.« Alem nickt und bedeutet Diar, zu gehen.

»Großartig«, brummt der, als wir das Zelt verlassen. »Damit hatte ich nicht gerechnet.«

»Gut gemacht, Bruder.« Tarik sieht in feixend an. »Wenigstens ist es nicht mein Zelt. Mama würde die Krise kriegen.« Er winkt uns zu und reitet nach rechts, weg von uns. Diar sieht mich an, seufzt und winkt mich mit sich.

»Mein Zelt ist klein«, sagt er und bleibt vor einem wirklich winzigen Zelt stehen, hält die Plane beiseite und ich schlüpfe hinein. Auf dem Boden liegen ebenfalls Felle und auf der linken Seite häufen sich diverse Waffen. Das Schwert funkelt bedrohlich, als er eine Laterne entzündet.

»Bleib hier, während ich uns was zu essen hole«, sagt er und schon bin ich mit Waffen, Fellen und Licht allein.

Ich plumpse zu Boden und vergrabe das Gesicht in den Händen. Der Versuch, an nichts zu denken und mein inneres Korallenriff von allen Strömungen abzuschirmen, misslingt. Es ist in Aufruhr und ich habe das Gefühl, das alles zu viel für mich ist. Ohne Vater und so ganz allein an Land. Ich löse mich erst wieder aus dieser Position, als ich Diars Hufe vor dem Zelt höre.

Er reicht mir eine Schüssel mit einer würzig riechenden, dampfenden Masse. Dann knickt er seine Vorderbeine ein und setzt sich neben mich. Es sieht umständlich aus.

»Iss«, sagt er, als ich mich nicht rühre. »Mehr bekommst du nicht.«

Ich nicke und tauche den Löffel ein. Es schmeckt nicht schlecht, trotzdem hätte ich nichts gegen Algensalat einzuwenden.

»Erzählst du es mir?«, fragt Diar und mustert mich aufmerksam.

Ich schlucke den zweiten Löffel hinunter und erwidere seinen Blick. »Was?«, frage ich.

»Warum du verbannt wurdest«, sagt er. Ich stelle die Schüssel auf dem Boden ab, auf einmal geht mein Atem so schnell, als sei ich mit Omar um die Wette geschwommen. Diar scheint zu bemerken, was seine Frage in mir ausgelöst hat.

»Schon gut«, sagt er schnell und nickt, als verstünde er, was mit mir los ist.

Ich schüttele den Kopf. Er soll es wissen, vielleicht entscheiden sie sich ja dazu, mich zu akzeptieren, wenn sie wissen, dass ich es aus Liebe getan habe.

»Ich … ich habe meinen König bestohlen«, presse ich hervor. Die Worte wollen nicht über meine Lippen kommen. Ich schäme mich gleichzeitig, wie ich spüre, dass Wut in mir aufsteigt. Wut auf meinen Herrscher, der genug besitzt und nicht mit seinem Volk teilen will. Diar sagt nichts. »Ich habe es getan, weil mein Vater krank ist. Er ist schon lange krank und endlich habe ich von einem Heilmittel erfahren, dass in Aqueva wachsen soll. Es ist teuer und … ich bin – ich war Zofe von Prinzessin Rania. Die Goldtruhe stand offen, als ich in den Thronsaal kam – ich sollte eine von Ranias Muränen holen, um mit ihr durch den Schlossgarten zu schwimmen – und ich konnte nicht anders. All diese Münzen und er brauchte sie nicht. Gerade als ich die Hand hineingesteckt hatte, kam jedoch eine Palastwache herein und hat mich dem König gemeldet. Ich weiß nicht, was aus Vater werden wird. Mein Bruder, er ist schon so lange fort …« Tränen tropfen auf die Felle, ich blicke hinab und betrachte, wie sie sich an den weichen Haaren festklammern, als könnten sie sie trösten.