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Siegfried Kaltenecker ist geschäftsführender Gesellschafter der Wiener Unternehmensberatungsfirma Loop, die auf systemische Organisations- und Managemententwicklung spezialisiert ist.

Er ist zertifizierter systemischer Organisationsberater, Scrum Master und Scrum Product Owner sowie Kanban Coaching Professional. Zudem ist er Verfasser zahlreicher Fachartikel zu agilen Themen, Autor von Selbstorganisierte Teams führen und Koautor des Buches Kanban in der IT. Eine Kultur kontinuierlicher Verbesserung schaffen.

Als Experte für Agilität und Selbstorganisation war Siegfried Kaltenecker bereits für viele Unternehmen tätig, von denen in diesem Buch berichtet wird.

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Siegfried Kaltenecker

Selbstorganisierte Unternehmen

Management und Coaching in der agilen Welt

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Dr. Siegfried Kaltenecker

Lektorat: Christa Preisendanz

Fotos: Siegfried Kaltenecker (Abb. 5–4 mit freundlicher Genehmigung von Matthias Patzak, Abb. 14–6 mit freundlicher Genehmigung von sipgate und Oliver Tjaden)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

ISBN:

1. Auflage 2017

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

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image Für Selina & Stella image

Vorwort

»Meine Rolle ist die eines Katalysators«, schreibt Ricardo Semler in Maverick, »ich versuche ein Umfeld zu schaffen, in dem andere Entscheidungen treffen« [Semler 1993, S. 3]. Semlers Beschreibung mag einem banal vorkommen angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, die den brasilianischen Maschinenbauer Semco zu einem Vorreiter unternehmerischer Selbstorganisation gemacht haben: vom Abbau von Managementfunktionen über die Stärkung lokaler Entscheidungsautorität und die Transparenz aller relevanten Geschäftsinformationen bis hin zur Gewinnbeteiligung der Arbeiter.

Für mich gehört die in Maverick skizzierte Evolution zum Spektakulärsten, was die Geschichte der Selbstorganisation hergibt. Sie erscheint mir als würdiger Auftakt zu meinem neuen Buch, in dem es um viele aufsehenerregende Geschichten geht. Semlers Katalysatoren-Statement pointiert gleich drei Kernelemente selbstorganisierter Unternehmen: erstens die Wichtigkeit des Umfelds, also der Rahmenbedingungen, unter denen gearbeitet wird; zweitens das Treffen von Entscheidungen, durch die wir uns ständig neu organisieren; und drittens, dass diese Entscheidungen von Fachexperten statt von Vorgesetzten getroffen werden.

Ähnlich spektakulär kommt mir die Veränderung vor, die Semlers eigene Rolle im Laufe der weiteren Unternehmensentwicklung erfährt. Nach vielen Jahren als CEO zieht er sich nämlich aus dem operativen Management von Semco zurück. »Nun also bin ich bloß ein weiterer Berater. Aber meine Aufgabe hat sich nicht verändert. Ich versuche, bestimmte Dinge passieren zu lassen, wie ein Katalysator« [Semler 1993, S. 253].

Dass Semler seine Management- und seine Beratungsrolle mit der gleichen Metapher verbindet, halte ich zumindest in zweierlei Hinsicht für interessant: Zum einen werden dadurch zwei Klammern gesetzt, die einen wichtigen Abschnitt von Semcos Evolution umfassen; zum anderen verbindet Semler ad personam jene zwei Aufgabenfelder, die im Mittelpunkt dieses Buches stehen. Management und Coaching werden hier als essenzielle Dienstleistungen für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung veranschlagt. Schließlich arbeiten beide gleichsam am offenen Herzen dieser Entwicklung: nämlich an einem Arbeitssystem, das ebenso schlank wie beweglich gestaltet werden muss, um fit für sich rasch ändernde Marktanforderungen zu sein. Selbstorganisation, so die zentrale These, stellt heutzutage eine Kernkompetenz für eine solche Fitness dar. Denn wenn wir nicht die Voraussetzungen für eine konzentrierte Arbeit der Fachleute schaffen, diesen Leuten keine angemessenen Gestaltungsfreiräume geben und nicht darauf vertrauen, dass alle ihr Bestes geben, wird es verdammt schwer.

Der Traum vom agilen Unternehmen, der vielerorts verfolgt wird, ist ohne Selbstorganisation nicht zu verwirklichen. Kluge Konzepte und geschliffene Managementrhetorik sind dafür zu wenig. Es braucht ein profundes Verständnis, flexible Interaktionsformen und ausreichend Kondition für den langen Weg der schrittweisen Verbesserung. Glücklicherweise ist Selbstorganisation heute keine Geheimwissenschaft mehr. Wir kennen längst genügend Unternehmen, die darauf setzen und von denen wir praktisch lernen können, um unseren eigenen Weg zu finden. Semco ist dafür nur ein Beispiel, zahlreiche andere werden Sie in diesem Buch kennenlernen.

Bleibt die Frage, warum ausgerechnet Management und Coaching eine besondere Funktion für selbstorganisierte Unternehmen zukommen sollte. Was genau müssen Manager tun, um solche Unternehmen zu ermöglichen? Worauf sollten sich Coaches konzentrieren, um ihrer Rolle als Impulsgeber gerecht zu werden? Und welche speziellen Chancen ergeben sich aus der Kombination von Führungs- und Beratungskompetenzen?

In vier Buchteilen liefere ich Ihnen Antworten auf diese Fragen. In Teil I geht es um die Grundlagen eines Managements, das den Herausforderungen der agilen Welt gewachsen ist. Dazu versuche ich zuerst einige Mythen zu erhellen, die Agilität und Selbstorganisation beharrlich verfolgen. Danach greife ich einige Themen aus meinem letzten Buch zu Selbstorganisierte Teams führen [Kaltenecker 2015b] auf und zeige unter anderem, wie sich solche Teams weiterentwickeln können.

In Teil II des Buches gehe ich über einzelne Teams und Methoden hinaus, um den unternehmensweiten Einsatz von Selbstorganisation zu beleuchten. Dazu gibt es einen Baukasten mit acht verschiedenen Gestaltungsbereichen, die jeweils in einem Kapitel näher betrachtet werden:

Eine breite Palette an Praxisbeispielen aus den verschiedensten Branchen, Kontexten und Ländern soll Ihnen dabei helfen, Ihr eigenes Bauvorhaben zu verfolgen, ohne dabei auf schablonenartige Anleitungen zurückgreifen zu müssen.

Buchteil III erläutert, warum ich Coaching als Schlüsselqualifikation für ein solches Vorhaben ansehe. Zuerst versuche ich, der Begriffsinflation eine solide Definition gegenüberzustellen: Was ist Coaching? Was unterscheidet diese Beratungsform von anderen Formen professioneller Hilfe? Und was hat sie mit Selbstorganisation am Hut? Dazu stelle ich vier Unterstützungsarten vor, die in selbstorganisierten Unternehmen mittlerweile zum Tagesgeschäft gehören: kollegiale Beratung, kollegiales Feedback, Coaching von Managern sowie Manager als Coaches. Ausgewählte Anwendungsbeispiele sollen auch hier helfen, ein möglichst praxisnahes Verständnis zu vermitteln.

In Teil IV fokussiere ich auf die Klammern, die ich eingangs mit Ricardo Semler gesetzt habe. Management und Coaching miteinander verbindend, riskiere ich sogar ein kleines Manifest für selbstorganisierte Führung. Rund um den Begriff der Sparringspartnerschaft versuche ich diese besondere Form der Führung zu umreißen und anhand einiger Erfahrungen aus dem echten Manager- und Beraterleben zu verdeutlichen.

Für wen habe ich diese vier Teile zusammengestellt? Der Untertitel des Buches – Management und Coaching in der agilen Welt – legt nahe, dass ich mich vor allem an zwei Zielgruppen wende: erstens an Linienmanager, die agile Unternehmen gestalten wollen und wissen oder zumindest ahnen, dass sie dafür Selbstorganisation und ein verändertes Verständnis von Führung brauchen; und zweitens an Coaches, die mit ihrem speziellen Fach- und Prozesswissen zu einer solchen Organisation und Veränderung beitragen wollen. Als Coach den Managementteil zu lesen, ist indes so wenig verkehrt, wie sich als Manager in den Coachingteil zu vertiefen. Im Gegenteil: Gerade der verstärkte Einsatz von Managern als interne Berater und Mentoren oder das in Teil IV erläuterte Konzept der Sparringspartnerschaft legen eine derart grenzüberschreitende Lektüre nahe.

Da dieses Buch für Führung auf allen Ebenen plädiert, hat es auch vielen anderen Organisationsmitgliedern etwas zu bieten – seien das nun Fachexperten, Produktmanager, Projektleiter oder Personalspezialisten. Die Verteilung der Managementaufgaben, die selbstorganisierte Unternehmen charakterisiert, die Delegation von Entscheidungsbefugnissen oder die kollegiale Ausrichtung von Beratung und Feedback sind Praktiken, von denen alle etwas haben.

Doch warum sollten Sie jetzt tatsächlich weiterlesen? Was haben Sie davon? Grundsätzlich, so mein zugegebenermaßen vollmundiges Glücksversprechen, erfahren Sie in diesem Buch, wie Sie Ihre Kunden besser versorgen, allen Mitarbeitenden ein zufriedenstellenderes Arbeitsleben ermöglichen und dabei ansehnliche Profite erwirtschaften. Kein schlechter Deal, wie ich meine. Im Speziellen beschreibe ich:

Dieses dreifache Glücksversprechen untermauert meine Hypothese, dass selbstorganisierte Unternehmen imstande sind, die vorhandenen Führungsfähigkeiten kontinuierlich auszubauen. Trotzdem sind dadurch nicht alle Mitarbeiter in der gleichen Position. Im Gegenteil: Der unternehmerische Nutzen von Selbstorganisation liegt gerade darin, dass fachliche, erfahrungsmäßige oder persönliche Unterschiede nicht bloß respektiert, sondern gezielt genutzt werden. Der Austausch und die systemübergreifende Koordination dieser Unterschiede bilden gleichsam den Blutkreislauf der Selbstorganisation.

All das mag Ihnen mehr oder weniger bekannt vorkommen. Falls dem so ist, wünsche ich Ihnen und mir, dass einmal nicht der Teufel, sondern die Erkenntnis im Detail steckt. Und noch mehr wünsche ich, dass Ihnen das eine oder andere Detail in diesem Buch dabei hilft, auf Überraschungen gefasst zu sein und andere überraschen zu können.1

Wenig überraschen wird Sie wahrscheinlich, dass ich das Selbstorganisationsrad nicht neu erfunden habe. Mitterweile gibt es nicht nur zahlreiche Unternehmen, sondern auch einige Publikationen, auf die sich das vorliegende Buch beziehen kann. Insbesondere möchte ich Brian M. Carney, Isaac Getz, Gary Hamel, Dominik Hammer, Stefan Kaduk, Fredric Laloux, Dirk Osmetz, Hans A. Wüthrich und die beiden Corporate Rebels Joost Minnaar und Pim de Morree erwähnen, deren Forschungsarbeiten mich allesamt sehr inspiriert haben.

Inspiration ist auch das Stichwort für die besonderen Einsichten, die mir die Bücher von Selbstorganisationspraktikern wie Hermann Arnold, Corinna Baldauf, Timo Capriuoli, Alexander Gysinn, Klaus Hoppmann, Bodo Janssen, Detlef und Ulrich Lohmann, Tim Mois, Lee Ozley, Ricardo Semler, Rich Teerlink oder Götz Werner offenbart haben.

Mein besonderer Dank gilt all den Gesprächspartnern aus den verschiedensten Unternehmen, die mich großzügig mit Input und Feedback versorgten: Sandra Altnow, Gerhard Andrey, Michael Beyer, Peter Bollenbeck, Katrin Dietze, Hans Gruber, Jutta Handlanger, Erich Harsch, Thijs Havenaar, Achim Hensen, Cliff Hazell, Holger Karcher, Marijke Kasius, Werner Kohl, Stef Lagomatis, Benno Löffler, Ulrich Lohmann, Sönke Martens, Markus Monka, Thu Pakasathanan, Matthias Patzak, Clemens Riedl, Arne Roock, Hartger Ruijs, Michael Rumpler, Peter Stämpfli, Frank Schlesinger, Alexander Schley, Markus Stelzmann, Eva Stöger, Nicole Tietz, Stefan Truthän, Carina Visser.

Danke sagen will ich natürlich auch jenen Unerschrockenen, die sich durch mehrere Versionen dieses Buches gearbeitet und dieses maßgeblich beeinflusst haben: meinem Beratungskollegen und Schmähbruder Klaus Leopold, meiner Lektorin Christa Preisendanz, meinem Busenfreund und intellektuellen Weggefährten Georg Tillner und last but not least meiner Geschäfts- und Lebenspartnerin Sabine Eybl.

Gewidmet ist dieses Buch unseren beiden Töchtern – nicht zuletzt in der Hoffnung, dass sie einer attraktiveren Organisationswelt entgegenblicken dürfen.

Siegfried Kaltenecker
Wien, im März 2017

Inhaltsverzeichnis

Teil IManagement

1Agile revisited

1.1Das Agile Manifest

1.2Lean und Systemdenken

1.3Selbstorganisation und Management

2Mythen und Realitäten der Selbstorganisation

2.1Falschgeld

2.2Grundgesetze

3Entwicklung selbstorganisierter Teams

3.1Eine Matrix und die Praxis

3.2Entwicklungsvarianten

Teil IISkalierung von Selbstorganisation

4Zuerst der Kunde

4.1Mission und Vision

4.2Strategie und Kultur

4.3Design Thinking

5Transparente Steuerung von Abläufen

5.1Kanban

5.2Flugebenen

5.3Information und Interaktion

6Kurze Feedbackschleifen

6.1Besprechungen

6.2Messungen

6.3Kontrolle

7Kundennahe Entscheidungen

7.1Delegation von Autorität

7.2Explizites Entscheidungsmanagement

7.3Einfache Entscheidungshilfen

8Mutige Verbesserungs- und Innovationsexperimente

8.1Wachstum und Agilität

8.2Lebendiges Organisationsdesign

8.3Entwicklung selbstorganisierter Unternehmen

9Schlanke Aufbauorganisation

9.1Minimum an Vorgaben

9.2Spiegelphänomene

10Verteilte Managementaufgaben

10.1Führung durch Vernetzung

10.2Linienmanagement

11Laufendes Training und Coaching

11.1Kata der Selbstorganisation

11.2Emotionen im Veränderungsprozess

Teil IIICoaching

12Professionelles, systemisches und agiles Coaching

12.1Fach- und Netzwerkorientierung

12.2Expertise und Nicht-Wissen

12.3Fokus auf Personen vs. Fokus auf Systeme

13Kollegiale Beratung

13.1Pairing

13.2Mentoring

13.3Communities of Practice

13.4Fallberatung

14Kollegiales Feedback

14.1Eine besondere Visitenkarte unseres Kollegen

14.2Einander den Rücken stärken

14.3Speed Feedback Dating

14.4Kugellager-Feedback

14.5Feedback and feed-forward

14.6Update zu feedback and feed-forward

14.7Lass’ dir helfen!

14.8ABC-Feedback-Trios

14.9Zur Einführung von kollegialem Feedback

15Coaching von Managern

15.1Motive

15.2Voraussetzungen

15.3Erstgespräch

15.4Vom Kontakt zum Kontrakt

15.5Sicherheit gewinnen

15.6Unsicherheit stiften

16Manager als Coaches

16.1Aufgaben

16.2Werkzeuge

16.3Haltungen

Teil IVKleines Manifest für selbstorganisierte Führung

Literatur

Index

Teil IManagement

»Warum schreibst du schon wieder über Management?«, fragte mich meine ältere Tochter, als sie von meinem neuen Buchprojekt erfuhr. »Ich dachte, das hättest du mit deinem letzten Buch erledigt!«

Selbstverständlich kam ich nicht mehr zu einer angemessenen Antwort. Für einen alten Mann ist eine 16-Jährige einfach viel zu agil. Bevor ich noch zu einer Erklärung ansetzen konnte, war sie schon mit ihrem Mobiltelefon zur Tür hinaus. Wenigstens hatte ich mir damit einen plumpen Rechtfertigungsversuch und jenes Augenverdrehen erspart, mit dem meine Töchter darauf zu reagieren pflegen. Stattdessen konnte ich noch einmal nachdenken: War das Thema tatsächlich erledigt? Wussten wir längst alles, was nötig war, um agile Unternehmen gestalten zu können? Litt ich also bloß unter einer Art schriftstellerischem Wiederholungszwang? Getreu dem Motto: Eigentlich ist alles gesagt – nur noch nicht von allen?

Es wäre schön, wenn ich diese Fragen mit einem kategorischen Nein beantworten könnte. Ich muss zugeben, dass ein gewisser Zweifel bleibt – obwohl ich meiner Tochter mittlerweile gute Gründe für ein gepflegtes Revival vorlegen kann: etwa das notwendige Prüfen und Anpassen, immerhin ist seit dem Erscheinen von Kanban in der IT [Leopold & Kaltenecker 2013] und Selbstorganisierte Teams führen [Kaltenecker 2015b] schon einiges Wasser die Donau hinuntergeflossen; die Anregungen, die ich durch das Feedback von Lesern gewonnen habe; oder die neuen Erkenntnisse, die ich in diversen Kundenprojekten sammeln durfte. Alles in allem habe ich das Gefühl, wieder ein wenig schlauer geworden zu sein.

Selbstanzeige

Auf die Gefahr hin, dass das nicht wirklich schlau ist, verwende ich die Begriffe Selbstorganisation, Selbstmanagement und Selbststeuerung weitgehend synonym. Außerdem müsste ich ja streng genommen von sich selbst organisierenden Unternehmen schreiben. Ich weiß, dass ich mir damit eine gewisse Unschärfe einhandle – und bei denjenigen Lesern, die es gerne genau haben, zumindest ein Kopfschütteln auslöse. Zu meiner Verteidigung kann ich mich zumindest auf den agilen Wert der Einfachheit berufen – und auf die Aussicht auf bessere Lesbarkeit.

Wann immer ich von Selbstorganisation schreibe, meine ich damit die freie Gestaltung von Arbeit innerhalb eines definierten Rahmens. Das heißt, dass die Experten selbst bestimmen, welche Aufgaben sie erledigen müssen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Teams legen gemeinsam fest, worauf sie sich verpflichten und wofür sie Verantwortung übernehmen. Und Vertreter verschiedener Geschäftseinheiten bestimmen selbst, wie sie sich mit anderen koordinieren, um möglichst geschmeidige Abläufe zu gewährleisten.

Wenn ich schon dabei bin, will ich gleich einen zweiten Disclaimer anbringen: Ich unterscheide nicht kategorisch zwischen Leadership und Management. Die gängigen Zuschreibungen nach der Formel: Managern geht es um die effiziente Erledigung von Sachaufgaben, Führungskräften um das Gewinnen von Menschen, sind mir zwar geläufig. Ich halte mich in dieser Hinsicht aber lieber an Henry Mintzberg, der überzeugend argumentiert, dass diese Differenz theoretisch zwar ganz interessant, für die Praxis von Managern jedoch weitgehend irrelevant sei [Mintzberg 2010].

So spreche ich in diesem Buch einerseits von Linienmanagern und meine damit eine hierarchisch verankerte Führungskraft. Und unterscheide das andererseits von den Managementaufgaben, die in selbstorganisierten Unternehmen bewusst verteilt werden, sowie von den Führungskräften, die auf allen Ebenen mobilisiert werden.

Daraus folgende Verwirrungen sind bis auf Widerruf gestattet.

Folglich kann dieses Buch als Versuch gelesen werden, die große Idee der kontinuierlichen Verbesserung sozusagen buchstäblich umzusetzen. Selbstorganisierte Unternehmen greift hierzu einige Fragen wieder auf, die man getrost als Dauerbrenner sehen kann: etwa die Frage, wie wir echte Agilität sicherstellen; die Frage, warum Selbstorganisation immer noch von so vielen Mythen umrankt ist; die Frage, wodurch wir die Entwicklung agiler Teams fördern können; oder die Frage, welche Wechselwirkungen zwischen System- und Verhaltensänderung zu beachten sind. Auf der Suche nach neuen, über den Teamkontext hinausgehenden Antworten schlug ich irgendwann eine neue Seite in einem Forschungskapitel auf, das nicht nur meine Tochter für abgeschlossen hielt.

In der Zwischenzeit sind es ein paar mehr Seiten geworden, die ich im ersten Teil dieses Buches zu folgenden drei Kapiteln gebündelt habe:

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Abb. I–1Galaktische Visionen

1Agile revisited

Fangen wir also noch einmal ganz von vorne an: Was bedeutet es, agil zu sein? Die ethymologische Definition des Wortes steckt die ersten Orientierungspunkte ab. Vom lateinischen agilis abstammend, heißt agil buchstäblich »lenksam, behände, rasch«. Eng verwandt mit agere »tätig sein, handeln, agieren« ist der Begriff mit einer Menge energievoller Synonyme verbunden: betriebsam, beweglich, geschäftig, gewandt, lebhaft.

So positiv agil besetzt ist, so oft kommt es in Unternehmen zu Polarisierungen. Ein dafür typisches Beispiel erlebte ich unlängst in einem deutschen Energieunternehmen. Zuerst verlief der Strategieworkshop, zu dessen Moderation ich eingeladen war, in den gewohnten Bahnen: Es gab Präsentationen zum abgelaufenen Geschäftsjahr, positive und negative Entwicklungen wurden identifiziert und eine Ursachenanalyse zu ausgewählten Themen vorgenommen. Doch als es um die daraus abzuleitenden Verbesserungsmaßnahmen ging, wurde es unversehens hitzig. Sollte man nun Scrum einführen oder nicht? Machte vielleicht sogar die Kombination mit Kanban auf Abteilungsebene Sinn? Brachte das, wie einige meinten, nur unnötigen Overhead mit sich? Oder brauchte man tatsächlich ein zweites Betriebssystem, um rascher auf die aktuellen Marktentwicklungen reagieren zu können? Ich erinnere mich noch genau, wie ein Produktmanager in zunehmend beschwörerischem Ton argumentierte, dass daran kein Weg vorbeiführe: »Agilität ist doch ein Gebot der Stunde!« Und ich erinnere mich ebenso gut an die polternde Replik des Entwicklungsleiters: »Agil ist doch bloß wieder so eine Modewelle, auf der wir jetzt unbedingt dahinsurfen müssen.« Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, schaukelte sich die wechselseitige Empörung rasch auf. Es kam zu einer regelrechten Lagerbildung, sodass ich als Workshopleiter meine liebe Not hatte, das Ganze im zivilisierten Rahmen zu halten. Und die Moral von der Geschicht’? Wie immer, wenn es um Veränderung geht, ist Emotion Trumpf. Die Welt zerfällt in Schwarz oder Weiß, Pro oder Kontra, Ja oder Nein. Erfahrung und Wissen verkommen da leicht zur Nebensache. Agilität wird abgelehnt, ohne dass man genau weiß, worum es eigentlich geht.

Leider gilt das mitunter auch für jene, die agile Vorgehensweisen befürworten. Überzeugung ist angesagt, ein festes Glaubensbekenntnis und eine evangelistische Grundhaltung. Doch wo der missionarische Eifer regiert, bleibt eine differenzierte Auseinandersetzung leicht auf der Strecke. Wozu müssen wir denn agil werden? Wer hat etwas davon? Woran erkennen wir, dass es uns etwas bringt? Und wie sollten wir vorgehen, um das Gewünschte zu erreichen?

Zumindest die letzte Frage wird gerne mit einem Verweis auf das Agile Manifest beantwortet [Beck et al. 2001]. »Dort finden wir alles, was wir über Werte, Dos and Don`ts wissen müssen«, erklärte der bereits erwähnte Produktmanager, als er nach den Koordinaten der von ihm forcierten Veränderung gefragt wurde. »Wir haben uns genau an die Prinzipien gehalten«, berichtete einer seiner Kollegen dazu von seiner letzten Firma, »und das half uns, die Scrum-Teams richtig zu installieren. Damit sind wir deutlich agiler geworden.«

Die Erklärungen erscheinen mir gleich in mehrfacher Hinsicht typisch für das, was ich bereits in zahlreichen Unternehmen erlebt habe:

1.1Das Agile Manifest

Die Leitwerte dieses Manifests sind rasch heruntergebetet: Individuen und Interaktionen werden über Prozesse und Werkzeuge gestellt, funktionierende Software über umfassende Dokumentation, Zusammenarbeit mit dem Kunden über Vertragsverhandlung und das Reagieren auf Veränderung über das Befolgen eines Plans. So weit, so gut. Doch kaum jemand macht sich die Mühe, sich genauer mit diesen Werten und den damit verbundenen Prinzipien zu beschäftigen – geschweige denn, diese kritisch zu hinterfragen. Es wirkt, als sei das agile Mantra des Prüfens und Anpassens außer Kraft gesetzt. Das führt dazu, dass das Manifest weniger als Kind seiner Zeit, sondern als historische Grundfeste betrachtet wird – gleichsam in Stein gemeißelt wie die zehn Gebote.

Prinzipien hinter dem Manifest der agilen Softwareentwicklung

  1. Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufrieden zu stellen.
  2. Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.
  3. Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne.
  4. Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten.
  5. Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.
  6. Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist das Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
  7. Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß.
  8. Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.
  9. Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.
  10. Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell.
  11. Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch Selbstorganisierte Teams.
  12. In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann und passt sein Verhalten entsprechend an. [Beck et al. 2001]
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Was könnte uns auffallen, wenn wir diese Prinzipien mit historisch-kritischer Brille lesen? Zuerst würden wir wohl einige Schwerpunkte erkennen:

Haben wir damit also das agile Erfolgsrezept definiert: Kunde – Team – Qualität? Ist eine Organisation, die diesem Rezept folgt, quasi automatisch agil? Dem offiziellen Manifest und Guide folgend dürfen wir das wohl bejahen – uns zumindest auf dem richtigen Weg wähnen. Wenn wir dieses Rezept aber aus einer Lean-Perspektive betrachten, fällt uns das Ja-Wort nicht mehr ganz so leicht.

Prinzipien von Lean

  1. Definiere den Wert aus Kundensicht.
  2. Identifiziere den gesamten Wertstrom.
  3. Bringe den Wert zum Fließen.
  4. Folge dem Prinzip des Ziehens (Pull) und liefere nur das, was der Kunde möchte und wann er es möchte.
  5. Verbessere dich kontinuierlich. (vgl. [Womack & Jones 1996])

Der Vergleich macht Sie sicher, heißt es. Halten wir die beiden Satzungen von Lean und Agile also einmal nebeneinander. Offenbar steht hier wie dort der Kunde im Mittelpunkt. Beide beschäftigen sich mit ähnlichen Grundfragen: Was wollen unsere Kunden? Was ist ihnen besonders wichtig? Wann ist unser Produkt oder Service für sie wertvoll? Freilich ließe sich sogleich hinterfragen, ob wir unsere Kunden überhaupt kennen, ob wir mit ihnen in Kontakt stehen und ob wir laufend Feedback von ihnen erhalten. Doch dazu später mehr. An dieser Stelle können wir uns mit der zugegebenermaßen eher trivialen Einsicht begnügen, dass Lean- und agile Prinzipien gleichermaßen auf den Kunden konzentriert sind. Zudem legen die jeweiligen Prinzipien ähnliches Augenmerk auf die Produktqualität und das Primat der Einfachheit: Liefere das, was gewünscht wird, zur richtigen Zeit.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten sehe ich allerdings einen großen Unterschied in der Ausrichtung. Denn während die agilen Prinzipien das Team als Kraftzentrum setzen, steht und fällt Lean mit dem Wertstrom. Diese Differenz mag harmlos wirken – bei genauerer Betrachtung aber beginnen sich hier die Agilitätsgeister zu scheiden. Die Scheidung wird offensichtlich, wenn wir noch einmal zu unserem Ausgangspunkt zurückkehren: Wann ist eine Organisation agil? Per definitionem bedeutet Agilität, in allen Bereichen flexibel auf sich ändernde Bedingungen reagieren zu können. Responsivität heißt die Kernkompetenz, die Unternehmen erlaubt, sich rasch auf neue Herausforderungen einzustellen. Schließlich wollen sie ja wendige Schnellboote sein und nicht behäbige Dampfer, die Ewigkeiten für einen Kurswechsel brauchen.

Die Flussmetapher, mit dem diese Wunschbilder einhergehen, erinnert nicht von ungefähr an die Lean-Prinzipien. Unternehmen leben bekanntlich davon, dass Arbeit in ihnen fließt und im Zuge dieses Fließens Wert generiert: gewissermaßen von der Quelle einer ersten Nachfrage oder Entwicklungsidee bis zur Mündung eines zufriedenen Kunden. Ein solcher Arbeitsfluss ist immer vorhanden, egal auf welcher Organisationsebene wir das betrachten. Ab einer gewissen Unternehmensgröße setzt sich dieser Fluss meistens aus mehreren Abschnitten zusammen. Einzelne Teams oder Fachexperten sind dann Glieder einer größeren Wertschöpfungskette. Folglich hängt die Qualität dessen, was dem Kunden schließlich geliefert wird, ganz wesentlich davon ab, wie gut dieser Fluss über alle Subsysteme hinweg koordiniert wird. Wie lange ist eine Arbeit eigentlich durch unsere Organisation unterwegs, bis sie dem Kunden geliefert wird? Wie viele Schleusen oder andere Hindernisse muss sie passieren? In wie viele Staubecken gerät sie, in denen wir nicht aktiv sind, sondern nur warten? Wie verbinden wir die einzelnen Flussabschnitte zu einem möglichst geschmeidigen Wertstrom? Und woran erkennen wir zu guter Letzt, welchen Wert wir tatsächlich liefern?

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Abb. 1–2Arbeit im Fluss

Was ist ein System?

Es wird höchste Zeit, mein Verständnis eines Begriffs zu klären, der implizit durch meinen Argumentationsfluss mäandert. Jetzt darf er endlich auftauchen. Doch was darf man sich unter einem System vorstellen? Aus dem Altgriechischen kommend bedeutet sýstēma wortwörtlich »ein aus mehreren Einzelteilen zusammengesetztes Ganzes«. Einfach gesagt versteht man unter einem System also eine Gesamtheit von Elementen, die so miteinander verbunden sind, dass sie als zielorientierte Einheit funktionieren. Ein System ergibt sich nicht aus der Summe der Elemente, es ist vielmehr das Produkt seiner Interaktionen [Ackoff 1994].

Eine solche Definition hat weitreichende Folgen. Auf der einen Seite bedeutet es, dass auch die Interaktionen zwischen den Elementen agil sein müssen, wenn wir agile Systeme schaffen wollen. Auf der anderen Seite bedeutet es, dass wir selbst dann auf das Ganze schauen sollten, wenn wir Subsysteme gestalten. Der Einsatz interdisziplinärer Teams und agiler Methoden in einzelnen Bereichen reicht nicht aus, wenn wir selbstorganisierte Unternehmen schaffen wollen. Dafür müssen wir alle Abläufe, Steuerungsmechanismen oder Feedbackschleifen mit dem Blick auf das große Ganze gestalten (siehe Teil II).

1.2Lean und Systemdenken

Der Begriff des Wertstroms legt drei Schlussfolgerungen nahe: Erstens sollten wir uns weniger aufs Arbeiten als darauf konzentrieren, damit Wert zu generieren; zweitens kann es nicht darum gehen, uns beschäftigt zu halten, selbst wenn wir das höchst effizient tun; und drittens sind die Funktionsfähigkeit, Fehlerfreiheit und technische Exzellenz zwar wichtig, garantieren jedoch noch keinen Kundennutzen – selbst die raffiniertesten Produkte und Services sind für den Kunden mitunter völlig wertlos.

Spätestens an dieser Stelle sollte das Problem mit dem Teamansatz deutlich geworden sein. Denn viele agile Teams sind nur für einen bestimmten Abschnitt des Wertstroms verantwortlich. Damit der Kunde einen Unterschied merkt, müssen wir jedoch mehr als nur einzelne Abschnitte agilisieren. Um hier noch einmal die Schiffsmetapher aufzugreifen: Was bringt es dem auf uns wartenden Kunden, wenn wir zwar zwischen zwei Anlegestationen mit dem Schnellboot unterwegs sind, aber dann wieder auf einen Dampfer umsteigen?

Mit anderen Worten: Wenn wir responsiv sein wollen, müssen wir den gesamten Wertstrom im Auge haben. Denn am Ende des Tages nützt es keinem, wenn wir in bestimmten Organisationsbereichen reaktionsschnell sind, während wir in anderen statisch bleiben – oder uns durch rigide Finanzierungs- oder Personalprozesse entsprechend lähmen.

Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen: Agile Teams allein sind nicht genug. Es ist zwar schön, wenn wir in einzelnen Bereichen beweglicher werden, rascher auf Kundenwünsche reagieren und neue Vorgaben flinker verarbeiten – das nützt aber alles nur wenig, wenn unsere Arbeitsflüsse insgesamt verstopft bleiben.

Selbstverständlich geht es mir hier nicht darum, die Notwendigkeit von Agilität infrage zu stellen. Schon gar nicht geht es mir darum, sie mit Lean-Argumenten auszuhebeln. Stattdessen möchte ich dafür plädieren, unseren Agilitätskonzepten gewissermaßen eine Schlankheitskur zu verordnen. Zusammen mit einem Veränderungsansatz, der die gesamte Organisation in Bewegung setzt, eröffnet eine solche Kur zumindest drei Möglichkeiten, unsere unternehmerische Fitness zu steigern:

  1. Wir können Agilisierung als systemische Veränderung konzipieren, die sowohl das bestehende Arbeitsmanagement als auch die aktuelle Führungskultur umfasst. Bottom-up-Impulse sind gut, sie müssen jedoch top-down und vertikal integriert werden. Wenn wir nicht bei lokaler Verbesserung stehenbleiben und globale Suboptimierung in Kauf nehmen wollen, brauchen wir einen konzertierten Einsatz aller Beteiligten.
  2. Um das Agilisierungskonzert richtig anzustimmen, setzen wir bei der Ablauforganisation an. Wenn wir uns auf die Koordination systemübergreifender Wertströme konzentrieren, werden wir rasch Verbesserungen erzielen können. Aufbauorganisatorische Veränderungen (z. B. agile Teams) oder neue Rollenkonzepte (z. B. der agile Manager) machen unsere Kunden selten glücklicher – ganz zu schweigen von den Mitarbeitern, die oft mit mehr Verwirrung als Klarheit konfrontiert sind.
  3. Die gemeinsame Gestaltung wertschöpfender Arbeitsmanagementsysteme ist wichtiger als die Methodik, die dafür eingesetzt wird. Hier soll nicht einem fröhlichen Eklektizismus das Wort geredet werden, der unter Scrum-But, seichtes Kanban oder LeanFat ins Gerede gekommen ist. Allerdings möchte ich für weniger Dogmatismus und mehr Vertrauen in die unternehmerische Intelligenz plädieren – und damit zugleich für eine konstruktive Verbindung von agiler und systemischer Expertise.

1.3Selbstorganisation und Management

Wie schaffen wir also ein System, das die einzelnen Elemente der Organisation so zu einem kundenorientierten Ganzen verbindet, dass maximale Beweglichkeit gewährleistet ist? Wer mich kennt, sei es nun als Autor, als Trainer oder als Berater, wird wenig überrascht von meiner Antwort sein: durch die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die geschmeidige Arbeitsflüsse gewährleisten und Selbstorganisation fördern. Ebenso wenig sollte überraschen, dass ich es als die zentrale Aufgabe des Managements ansehe, für die Entwicklung und die kontinuierliche Verbesserung eines solchen Systems zu sorgen.

Was bedeutet es, systemisch zu managen? Meiner Ansicht nach bedeutet es vor allem, den Fokus von den Mitarbeitern und deren Aktivitäten auf die Prozesse und Strukturen zu verschieben. Es geht nicht darum, Experten zu kontrollieren, damit diese arbeiten, wie sie sollen. Es geht um das Management der Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich diese Expertise entfaltet: von der allgemeinen Mission über die Ablaufprozesse und Interaktionsregeln bis hin zu den Strukturen, die wir für die Zielerreichung brauchen. Kurzum, Makro- statt Mikromanagement ist angesagt.

Wie ich bereits in früheren Publikationen argumentiert habe, kann Selbstorganisation nur gelingen, wenn wir auch das Management darauf ausrichten. Je nach Reifegrad des Unternehmens verschiebt sich dessen Aufgabenportfolio schrittweise:

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Abb. 1–3Himmlische Aussichten

Die Maxime der Wandlungsfähigkeit ist alles andere als neu. Sie gehört mittlerweile genauso zum Tagesprogramm des Managements wie das wechselseitige Hochschaukeln von technischem Wandel und veränderter Nachfrage. Bestehende Kunden mit neuen Bedürfnissen, neue Kunden mit anderen Anliegen oder ehemalige Kunden mit unbekannten Motiven halten Organisationen allerorts auf Trab. Diese reagieren mit einer Fülle von Maßnahmen: Interdisziplinäre Teams, dezentrale Einheiten, umfassende Kaizen-Programme oder autonome Innovationszentren gehören zum Standardprogramm. Die Frage ist allerdings, wie konsequent diese Maßnahmen eingesetzt werden. Helfen sie tatsächlich, die erhöhte Komplexität der Umwelt besser in den Griff zu bekommen – oder verlagern sie die bestehenden Probleme bloß? Werden sie in maßgeschneiderter Form eingesetzt – oder folgen sie standardisierten Rezepten? Und sind sie Teil eines durchdachten Systems, das auf allen Ebenen die Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit fördert – oder stehen sie im Zeichen des lokalen Aktionismus? Wollen Unternehmen in der Zukunft bestehen, brauchen sie jedenfalls responsive Systeme – darüber hinaus benötigen sie eine Kooperationskultur, die dieser Dynamik gewachsen ist. »Führung als Teamsport« habe ich jene funktions- und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit in meinem letzten Buch genannt [Kaltenecker 2015b]. »Führung als Breitensport« würde ich im Kontext dieses Buches paraphrasieren, um uns auch hier von der Teamfixierung zu lösen. Jedenfalls geht es bei diesem Sport darum, Führung auf allen Ebenen zu fördern.

Eine solche Förderung wird vor allem von einem gemeinsamen Verständnis unternehmerischer Fitness getragen. Wie halten wir unseren wertgenerierenden Kreislauf in Schuss? Was nährt uns als Organisation? Welche Impulse halten uns in Bewegung? Wann sind wir gesund? Und welches Fitnessprogramm sollten wir verfolgen, damit das auch so bleibt? Die Beantwortung dieser Fragen hängt davon ab, dass alle Beteiligten verstehen, was sie eigentlich tun, warum sie das tun und für wen sie es tun. Das heißt, dass sie ihre Organisation durch eine Brille betrachten, deren Linse auf Kundeninteressen ausgerichtet ist. Derart sehen zu lernen bedeutet, wie John Seddon formuliert, »eine andere Perspektive einzunehmen. Wenn wir eine Organisation als System fassen wollen, gehen wir von außen nach innen vor. Wir erfassen den Zweck des Systems aus Kundensicht. Wenn wir mehr über das System lernen, finden wir heraus, wie gut seine Geschäftstätigkeit auf den Kunden abgestimmt ist. Auf Basis dieses Wissens können wir Verbesserungen mit Weitblick in Angriff nehmen« [Seddon 2003, S. 109].

Es wäre hilfreich, wenn wir diese Verbesserung weniger in den Kategorien des Sollens oder gar Müssens fassen als in Kategorien des Dürfens und Wollens. Unternehmen, die auf das Pull-Prinzip und maßgeschneiderte Unterstützung setzen, verändern sich wesentlich leichter als Organisationen, die Leute mit standardisierten Trainings à la Management 3.0 oder Digitialisierung 4.0 zwangsbeglücken. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich mehr Widerstand gegen das Verändertwerden als gegen die Veränderung richtet. Die Erfahrung zeigt, dass die damit verbundenen Lernprozesse leichter gelingen, wenn sie nicht allzu moralisch daherkommen. Die meisten Leute reagieren nämlich ablehnend, wenn sie unter Druck gesetzt oder gar erpresst werden.

Wie Sie vor allem im zweiten Teil dieses Buches noch sehen werden, hängt die professionelle Unterstützung managementspezifischer Lernprozesse von einer positiven Grundhaltung ab. Dafür ist es wenig förderlich, Manager pauschal als größte Hindernisse für die Agilisierung zu brandmarken und deren Überflüssig-Werdung als einzige Entwicklungsperspektive in Aussicht zu stellen. Jenseits solcher Polemik tun sich meiner Erfahrung nach neue Kooperationsfelder auf, in denen Prozessberatung, Wissensvermittlung und Skillstraining sinnvoll verbunden werden. Coaching ist dafür nur ein allgemeiner Begriff, zeigt aber zumindest die Richtung an, um die es in selbstorganisierten Unternehmen geht: um mehr Service, um eine bessere Balance von kundenorientierter und kollegialer Dienstleistung sowie um wechselseitiges Helfen in den verschiedensten Konstellationen.