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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

ISBN 978-3-7822-1230-4 | eISBN 978-3-7822-1467-4

Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg

© 2015 by Maximilian Verlag, Hamburg

Ein Unternehmen der Tamm Media

Alle Rechte vorbehalten.

Produktion: Nicole Laka

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Für meine Tochter Svenja

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Inhalt

Das Entstehen einer Blankeneser Fotosammlung

BLANKENESER PROLOG

VOM FISCHFANG ZUR FRACHTFAHRT

Ungeheuer in Blankenese

Sturmflut in Blankenese

FÄHRGESCHICHTEN

DIE BLANKENESER LEIDEN UNTER SOLDATEN

DER SÜLLBERG Von der Schutzburg zum Gastronomietempel

WRACKS ALS WOCHENENDUNTERHALTUNG

LOTSENGESCHICHTEN

STRANDRÄUBER, SCHMUGGLER UND PIRATEN

NACKTBADENDE VERTRIEBEN FRAUEN IN DIE HÄUSER

PÜTSCHERN, EISSCHIPPERN UND RÜSCHEN Kindervergnügen am Elbstrand

DER KAMPF UM DIE OSTERFEUER

SEGELN ZUM VERGNÜGEN Die Blankeneser Segelclubs

LEGENDÄRE GASTRONOMIE AM ELBUFER

DIE SACHE MIT DEM BEGEHRTEN ELBBLICK

Danksagung & Quellen

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DAS ENTSTEHEN EINER BLANKENESER FOTOSAMMLUNG

Blankenese zieht Menschen in seinen Bann. Das erging auch meinem Vater Heinrich von Appen so, der am Strandweg unmittelbar an der Elbe aufgewachsen ist. Er besuchte die Gorch-Fock-Schule und lernte anschließend im Treppenviertel bei einem Schlossermeister sein Handwerk. Schon früh wurde er Mitglied im Blankeneser Segel-Club. Die Piratenjolle, mit der er auf der Elbe segelte, hatte er selbst gebaut.

Nebenher sammelte er alte Bilder und Postkarten aus Blankenese. Das begann zunächst mit einem Familienalbum. Dann erweiterte er seine Sammlung um Fotos rund um das Bergungsunternehmen Harmstorf, bei dem er nach dem Krieg jahrelang selbst tätig war und auch bei Bergungen mitarbeitete. Es folgten die Ausbildung zum Schlossermeister und die Übernahme eines eigenen Betriebs, der viele Kunden im Blankeneser Hanggebiet hatte. Unter denen hatte sich bald herumgesprochen, dass von Appen alte Blankenese-Fotos sammelte. Und so gaben sie ihm manche alte Postkarte oder ein Foto aus den eigenen Familienalben. Insofern haben viele Blankeneser zum Wachsen der Sammlung beigetragen, die bald mehrere Ordner umfasste.

Es wäre für ihn sicherlich eine Freude gewesen, hätte er noch miterlebt, mit seiner Sammelleidenschaft zu diesem Buch beigetragen zu haben.

Dirk von Appen,
Blankenese im Sommer 2015

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Blankeneser Prolog


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Die Aussicht vom Süllberg war stets begehrt. Heutzutage schätzen Besucher des Restaurants auf seiner Spitze den Blick auf die Schiffe. In früheren Zeiten nutzte eine Burgbesatzung den weiten Blick, um den Übergang über die Elbe zu sichern.

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Von den Gefahren der Schifffahrt auf der Elbe berichten Wracks, wie jenes am Falkensteiner Ufer. Es erinnert aber auch an das dort früher tätige Bergungsunternehmen.

… und an die Elbe gehen,

immer wieder an die Elbe gehen.

Wolfgang Borchert

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Die Elbe ist auch ein Platz, auf dem sportliche Wettkämpfe ausgetragen werden. Die 1301 erstmals erwähnte Fährverbindung über den Fluss besteht immer noch.

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Beiderseitiges Schweigen. Keine weiteren Fragen, denn dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Irrtümer über Blankenese werden Fremden immer wieder neu erzählt. Beispielsweise an Bord der Ausflugsbarkassen, wenn es heißt: »Hier lebten früher Kapitäne und Lotsen.« Irrtum – die leben dort noch heute. An jedem Sonnabendvormittag trifft sich eine lose Runde in der Blankeneser Bahnhofstraße zum Kaffee, es sind tatsächlich Kapitäne, Lotsen, Schifffahrtskaufleute, Schiffbauer – alles Leute, die der Seefahrt eng verbunden sind. Einige von ihnen sind zwar im Ruhestand, aber über das Segeln dem Wasser noch immer eng verbunden.

Das wird wohl auch so bleiben. Denn für junge Menschen, die am Elbufer aufgewachsen sind, haben maritime Berufe eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Während der Ausbildung oder des Studiums sind sie eine Weile nicht mehr zu sehen, aber wenn sie sich beruflich etabliert haben, zieht es sie doch wieder dorthin, wo sie aufgewachsen sind.

Blankenese ist eine jener Wohngegenden, die in den Medien fast unausweichlich mit dem Adjektiv »nobel« in Verbindung gebracht werden. Aber das lässt außer Acht, wie viele bodenständige Menschen dort leben, denen jedes »Schickimicki« zuwider ist.

Es kommt immer wieder vor, dass Menschen sich von dem Ruf des angeblichen Nobelvorortes angezogen fühlen und in die Elbnähe ziehen. Wo sie von den Alteingesessenen genau beäugt werden. Wer dabei herauskehrt, etwas Besseres zu sein, hat einen schweren Stand. So erzählten Nachbarn einmal über Neubürger mit hochnäsigem Verhalten, die kämen aus einer süddeutschen Stadt, die für ihre Schickeriaszene bekannt ist. Die Reaktion war kurz und bündig: »Ja, da hätten die mal bleiben sollen.« So richtig heimisch wurden sie tatsächlich nicht und haben sich inzwischen eine neue Bleibe gesucht.

Machen die Blankeneser es neu Zugezogenen also schwer, dort Fuß zu fassen? Kann man überhaupt Blankeneser werden?

Wer offen ist für andere Menschen, die Lebenseinstellung der Blankeneser teilt, sich für Schiffe, Meer und Elbe begeistert, der hat es nicht schwer, dort Fuß zu fassen. Wer dann noch selbst Wassersport betreibt oder in einem maritimen Beruf arbeitet, der wird geradezu aufgesogen und erlebt eine lebhafte Nachbarschaft.

Wer insbesondere am Sonnabend zu Marktzeiten durch die Bahnhofstraße geht, sieht ein buntes Gemisch, dazwischen eine Anzahl Menschen mit ausgeprägt individualistischer Aufmachung. Auch Charakteren mit skurrilem Erscheinen schaut niemand hinterher. In einer Reportage stand einmal: »Man lässt sich in Blankenese gegenseitig in Ruhe. Ob jemand vom Treppenadel stammt oder zugezogen ist. Es ist ein buntes Völkchen, das aber zusammenhält, wenn Unheil naht.«

Blankeneser sind weltoffen, für sie geht es, wenn sie mit dem Gesicht zur Elbe stehen, links nach Altona und rechts nach Amerika, unter ihnen ist die Elbe und über ihnen der Himmel. Allerdings grenzen sich selbst weltoffene Menschen gegen andere ab und haben ihre Vorurteile. Beispielsweise gegen jene aus Nienstedten und Finkenwerder, aber das sind uralte Rivalitäten, und sie beruhen auf Gegenseitigkeit.

Blankeneser genießen den dänischen Charme und das italienische Flair. Sie stimmen Theodor Fontane zu, der formulierte: »Gleich hier an der Elbe findest du einen palermitanischen Golf.« Auch Menschen, die am Elbufer geboren sind, können sich dafür noch immer begeistern. Ihr Selbstverständnis ist: »Hamburg liegt bei Blankenese.«

Über das Blankeneser Lebensgefühl kann man viel erfahren, wenn man den Menschen einfach mal zuhört. Ganz gleich ob es Tagesgäste oder Einheimische sind. Dann hört man so etwas wie jenen kurzen Dialog in der Bergziege, dem kleinen Bus der Linie 48, der tagtäglich unermüdlich seine Runden hangab und hangauf dreht.

»Hallo, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen! Was führt dich denn nach Blankenese?«

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Ihr Selbstverständnis ist: »Hamburg liegt bei Blankenese.«

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Versonnene, kurze Antwort: »Die Elbe.«

Beiderseitiges Schweigen. Keine weiteren Fragen, denn dem ist nichts hinzuzufügen.

Denn was wäre Blankenese ohne die Elbe, ohne den Schiffsverkehr, ohne seine vielen, dem Fluss zugewandten Fenster, die zum Wasser führenden Treppen, die Terrassen der Lokale in gleicher Richtung, auf denen man sowohl im Sommer als auch im Winter kaum einen Platz findet, selbst wenn der Regen nieselt oder es noch schlimmer kommt.

Ohne die Elbe hätte der Ort noch nicht einmal diesen Namen. Denn der leitet sich von einer hellen Landzunge ab; hell heißt im alten niederdeutschen Sprachgebrauch »blank«; wer »blanke Oogen« hat, der hat einen hellen, wachen Blick. Und eine »Ness« ist eine Landzunge, die Kartenzeichner Melchior Lorichs auf seiner Elbkarte von 1567 verewigte. Sturmfluten haben sie mittlerweile aber längst eingeebnet.

Über der blanken Ness erhebt sich ein Berg, der damals noch so kahl und unbebaut war, dass Lorichs ihn in seiner Zeichnung gar nicht weiter ausgestaltete, sondern an die Stelle des Gipfels eine Windrose malte. Der Berg ist fast 75 Meter hoch, keineswegs die höchste Erhebung im flachen Hamburg, aber die bekannteste. Die Bezeichnung »Berg« wollen Touristen aus dem Süden Deutschlands nicht gelten lassen, bis sie von Einheimischen durch das Treppenviertel gelotst werden, häufiger Verschnaufpausen einlegen müssen und mit bewunderndem Blick auf die Häuser anerkennend sagen: »Wenn man hier seine Einkäufe herschleppen muss…« Bergauf, zurück zum Bahnhof, nehmen sie dann gern die Bergziege.

Wer Blankenese und seine Bewohner verstehen will, sollte sich damit beschäftigen, wie das alles gewachsen ist und welche Ursprünge es hat. Also nicht von der Elbe her auf Blankenese schauen, sondern von Blankenese auf die Elbe.

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Vom Fischfang zur Frachtfahrt


Auch die Römer kamen bis an die Elbe, aber sie blieben nicht lange und hinterließen keine Urkunden.

Blankenese ist ein ziemlicher Hügel an der Elbe, der eine weite Aussicht auf die Elbe hinunter und hinauf und auf die gegenüber liegenden Inseln gewährt«, schrieb der Schweizer Erzähler Jeremias Gotthelf im Jahre 1821. Er war nicht der Erste und wird sicherlich noch lange nicht der Letzte sein, den diese Aussicht begeistert. Geformt hat diesen »ziemlichen Hügel« in der ansonsten flachen norddeutschen Landschaft die vorletzte Eiszeit, als Gletscher Sandmassen aus Skandinavien vor und unter sich herschoben, bis das Eis schmolz. Spuren von Besiedelung sind dort schon früh zu finden und lassen darauf schließen, dass Rentierjäger während der Steinzeit am Ufer der Elbe vorübergehende Rastplätze hatten.

Auch die Römer kamen in den Jahren um vier oder fünf nach Christi Geburt bis an die Elbe, aber sie blieben nicht lange und hinterließen keine Urkunden.

Da Historiker jedoch nur anerkennen, wenn ein Ort erstmals urkundlich erwähnt wird, dauerte es noch bis 1059, dann endlich stand ein solcher Eintrag auf einem Pergament. Als Erstes wird zumindest der Süllberg erwähnt, weil Erzbischof Adalbert von Bremen die Errichtung einer befestigten Probstei am Elbufer auf einem Berg bekannt gibt, »den die Anwohner Sollemberh nennen«. Von der Blanken Ness aber ist noch immer keine Rede.

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Der Süllberg war noch wenig bebaut, aber auf der Elbe herrschte schon reger Verkehr von Fischerbooten, Fähren und Handelsschiffen. Als Anleger diente ein hölzerner Ponton, der »Bull’n«.

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Das änderte sich erst am 31. Dezember 1301. Da hat Graf Adolph VI. von Holstein eine Urkunde ausgestellt, nach der er die Einnahmen aus dem Betrieb der Fähre in Blankenese an die Ritter von Raboisen verpfändete. Denn der Graf schuldete dem Ritter 170 Mark. Nach heutigen Maßstäben eine lächerliche Summe. Aber seinerzeit waren die Werte noch anders. Die jährlichen Einnahmen aus dem Fährbetrieb wurden mit 18 Mark beziffert. Zum Vergleich: Ein Geistlicher bezog in Wedel im Jahr 1347 ein Jahresgehalt von 56 Mark. Und die Geistlichkeit gehörte im Mittelalter zum höchsten Stand in der Gesellschaft, rangierte noch vor dem Adel.

Nur wenige Jahre nach der Verpfändung, im Jahr 1325, gab es eine neue Urkunde, wonach der Graf bestimmte, der ursprünglich ihm zustehende fünfte Teil des Ertrags der Blankeneser Störfischerei solle künftig an den Hamburger Bürger Heinrich Ruge (in alten Dokumenten auch Hinrik) abgeführt werden. Der Adlige scheint mal wieder knapp bei Kasse gewesen zu sein. Denn er übertrug nicht nur das Fischereirecht, sondern verkaufte zudem mehrere seiner Besitzungen. Auf diese Art der Geldbeschaffung griffen auch andere Grafen von Zeit zu Zeit gern zurück, wie alte Urkunden zeigen. Es war eine Verpflichtung mit Langzeitwirkung. Noch 1825 wurden an die dänische Regierung 16 Reichsbanktaler für den Störfang überwiesen.

Für die Hochseefischerei benötigten die Blankeneser Fischer seetüchtige Kutter. Norddeutsche Werften entwickelten einen Typ, der auch auf der Elbinsel Finkenwerder genutzt wurde. Einige dieser Fahrzeuge sind noch heute als Museumsschiffe in Fahrt.

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Blankeneser Fischer hatten keinen Hafen, sondern ließen ihre Schiffe auf dem flachen Ufer bei Ebbe trockenfallen. Die Schwerter an den Seiten ließen sich hochziehen, sodass die Fahrzeuge aufrecht auf dem Strand standen.

Damit sind in Urkunden zwei Tätigkeiten belegt, mit denen sich die Blankeneser jahrhundertelang intensiv beschäftigten – Fischerei und Fährverkehr. Über beides finden sich immer wieder offizielle Urkunden. Und zwar meist dann, wenn es Streit gab. So wie im Jahr 1557, als die Fischerzunft am Elbufer so erstarkt war, dass deren Hamburger Konkurrenten sich im Nachteil sahen. Also musste eine Regelung her. Sie bestimmte, dass die Fischer vom Fuße des Süllbergs jedes Jahr während der Zeit des Stintfangs zwei Wochen lang ihre Reusen auslegen durften. Aber beileibe nicht irgendwo, sondern an Stellen, die der amtlich bestellte Hamburger Ratsfischer ihnen zuwies. Anderen Fischarten durften sie an beliebigen Plätzen nachstellen. Aber in einem Rhythmus, der täglich mit den Hamburgern wechselte. Damit waren sie gegenüber den Nienstedtenern im Vorteil, denn denen war jegliches Fischen auf der Elbe unter Androhung von Gefängnisstrafe völlig verboten.

Außer den genannten Fischgründen hatte Hamburg für sich nämlich den gesamten Fischfang »von der Stadt bis zur salzigen See« beansprucht. Die Blankeneser mussten also mit ihren Pfahlewern bis hinaus auf die »salzige See« fahren, damit niemand sie störte. So ganz nebenbei wurden ihre Schiffe deshalb immer seetüchtiger, und ihre Erfahrung wuchs. Sie spürten nicht nur die besten Fanggründe auf, sondern wussten ihre Fänge auch dort zu vermarkten, wo die höchste Nachfrage war. So tauchten ihre Schiffe in Holland, Belgien, Schottland und Dänemark ebenso auf wie auf Island und in Norwegen.

In Holland waren die von Blankeneser Fischern angelandeten Fänge sogar beliebter als die der Einheimischen.

In Holland waren die von Blankeneser Fischern angelandeten Fänge sogar beliebter als die der Einheimischen. Denn die Männer von der Elbe benutzten Stellnetze, in die ihre Beute nur mit dem Kopf hineingeriet und deshalb leichter herausgelöst werden konnte, während die holländischen Kurrennetze über den Boden schleppten und dabei die Tiere verletzten. Was die einkaufenden Hausfrauen abstieß. Für sie sahen die Blankeneser Fische einfach appetitlicher aus.

Auf der Elbe erhielten die Blankeneser Fischer mehr Freiheiten, als 1640 die Herrschaft Holstein-Pinneberg und das Herzogtum Holstein an den dänischen König Christian IV. fielen. Der dänische Herrscher stärkte den Blankenesern den Rücken und ermutigte sie, sich über die Abkommen mit den Hamburgern einfach hinwegzusetzen.

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Ausrüstungsteile wie die Anker lagerten auf dem Strand, dort wurden auch die Netze geflickt. Auf dem Boot links hängen Scharben zum Trocknen. Der ursprüngliche Blankeneser Bootstyp war der Pfahlewer mit einem einfachen Mast, wie er sich heutzutage noch als Symbol auf Blankeneser Flaggen findet.