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Erhard Kaupp, 1957 geboren in Überlingen am Bodensee, hängte mit 35 Jahren seinen Beamtenjob an den Nagel, um fast 10 Jahre lang im südlichen Afrika neue Erfahrungen zu sammeln. Wieder zurück in der alten Heimat, wurde ihm der Wiedereinstieg nicht leichtgemacht und so hangelte er sich gezwungenermaßen von Job zu Job, bis er nach einer Umschulung als LKW-Fahrer seinen Traumjob fand. Bis ein unvorhergesehener, gesundheitlicher Einschnitt in den beruflichen Alltag ihn derart ausbremste, dass damit von heute auf morgen Schluss war.

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© 2016 Erhard Kaupp

Text & Illustration

Korrektur: Volker Müller

2. Ausgabe

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN
978-3-7439-3064-3 (Paperback)
978-3-7439-3065-0 (Hardcover)

978-3-7439-3066-7 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Erhard Kaupp

BEINAHE

Mit Vollgas in die Depression

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ich bin stolz

Bei den Ärzten und Therapeuten

Beginn (m)eines psychologischen Krieges

Der alltägliche Wahnsinn

Der Weg zum Durchdrehen ist geebnet

Noch einmal davon gekommen

Mit Vollgas in die Sackgasse

Beim Psychologen

Ab in die Klinik

Die Therapien

Nackt und bloßgestellt

Nachtrag

Vorwort

Die von meinem Hausarzt festgestellte Diagnose lautete: Depression. Das hatte mich sozusagen erst einmal vom Sockel gehauen. Depression, allein schon dieses Wort einer Krankheit, an der mehr Menschen erkrankt sind als bekannt. „Ich bin also jetzt auch einer von denen, die nicht mehr ganz normal sind – da oben!“ und denke sofort an den ganzen Psychokram, von dem ich viel, aber eigentlich nichts Genaues, gehört habe.

Mit dieser autobiografischen Erzählung möchte ich in leicht verständlicher Umgangssprache all denen etwas von diesen Ängsten nehmen, die genauso wie ich zum ersten Mal mit dem Wort „Depression“ konfrontiert wurden oder werden. Für ein besseres Verständnis kann ich nur Beispiele aus meiner Situation mit einbringen, die symbolisch ebenso für alle anderen Berufssparten stehen können. Da eine durch Alltagsstress verursachte Depression laut meines Psychologen zu den „leichteren“ Arten dieser Krankheit gehört, ist der Heilungserfolg recht hoch. Voraussetzung ist, man setzt sich mit dem Thema intensiv auseinander, dass man selbst aktiv mitarbeitet und vor allem, sich ihr ohne falsche Scham entgegenstellt.

Ich bin stolz

Es ging mir all die Jahre blendend. Ein Beruf der mir Freude machte, der mich ausfüllte und mit den nötigen finanziellen Mitteln versorgte, ohne die es einfach nicht geht. Eine tolle Familie, die hinter mir steht, und einen Lebensstandard, der uns mit offensichtlich innerer Zufriedenheit erfüllte. Früh morgens gut gelaunt aus dem Haus gegangen, und anschließend freudig motiviert zur Arbeit gefahren. Mit netten und auch weniger netten Menschen am Arbeitsplatz den Tag verlebt, die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitspausen ausgenutzt, um dann abends, nach der vom Betrieb geforderten Arbeitszeit, nach Hause zu kommen und mit der Familie den Rest des Tages in Harmonie zu verbringen.

Ich bin stolz darauf, tief im Innersten erfüllt, wenn auch körperlich müde, abends mit den Gedanken ins Bett zu fallen, heute wieder etwas in meinem Leben geschafft zu haben, was meinem eigenen Wertgefühl entgegenkommt.

Stolz darauf, als ein kleines, aber durchaus starkes Glied in der Kette, die unsere Wirtschaft am Laufen hält, die Spannung gehalten zu haben. Und das ohne zu reißen.

Stolz darauf, seinen Arbeitgeber so zufrieden zu stellen, dass auch er wiederum Stolz auf mich sein kann.

Stolz darauf, trotz körperlicher Anstrengung im Beruf, für meine Frau die ich über alles liebe abends noch die starke Schulter zu sein. Für sie da zu sein, weil sie es am Arbeitsplatz heute dank allgegenwärtiger Rationalisierungen und Einsparungen auch nicht leicht hatte. Aber ebenfalls ein Recht hat, sich nach getaner Arbeit auch erst mal bei jemandem auszukotzen, den seelischen Reset-Knopf zu drücken, um danach ihre „Batterien“ wieder neu aufzuladen.

Stolz darauf, in der Familie gebraucht zu werden, und sich mit einzubringen. Auch wenn es nur um Kleinigkeiten gehen sollte. Wie vielleicht mal seine Hemden zu bügeln. Oder vielleicht mal mit dem Staublappen durch die Wohnung zu laufen, und sich vom Staubsauger verfolgen zu lassen.

Stolz darauf, meiner Frau wieder etwas von dem zurückzugeben, was viele Menschen für allzu selbstverständlich halten. Nicht nur: Mann arbeitet, Frau auch, und kümmert sich ganz selbstverständlich noch um den Rest der Familie, mit all dem was dazu gehört.

Stolz darauf, zuzusehen und mit erleben zu können, wie der Enkel nach dem ersten Lebensjahr anfängt die ersten wackligen Gehversuche zu unternehmen. Und mit seinem kleinen Mund versucht, die ersten Worte zu formen, wie Pizza, Batz und dada, und damit Mama, Papa, und den Rest der Familie dazu animiert, sich köstlich darüber zu amüsieren. Wie schön und unbefangen sind doch der Kinder Jahre, die viel zu schnell vorübergehen, und die man so nie mehr zurückholen kann.

Wie ich einmal in einer Zeitschrift gelesen habe, sollte der ideale Tagesablauf aufgeteilt sein in acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden schlafen. Ha – graue Theorie, denn bei mir hat das schon seit langem nicht mehr so hingehauen. Bis eines Tages genau das passierte, was mich in die heutige Situation brachte.

Alltagsstress, der mich in die von Ärzten diagnostizierte Depression getrieben hat. Hinterhältig und schleichend. Weil ich nicht damit umgehen konnte, meinem Körper genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Die ersten Anzeichen nicht zu deuten wusste, weil die Ablenkung durch den täglichen Stress am Arbeitsplatz stärker war, und für innerliche Impulse keinen Platz mehr übrigließ. Die Arbeitszeit sich langsam steigerte und damit kaum noch Platz ließ, sich um andere wichtige soziale Kontakte auch außerhalb der Familie zu kümmern. Mangels Zeit. Sport existierte nicht mal mehr im Kopf. Im Nachhinein musste ich erst wieder lernen, wie wichtig Sport ist.

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Was, schon wieder so spät?

Alles klar, ich komme gleich.

Nein, ich bin noch nicht da!

Mensch, hätte ich nur Flügel.

Mann, es geht nicht schneller!

Jaaaa, gleich!

Irgendwann kommt der Tag . . .

Die Freizeit beschränkte sich nur noch auf Essen und Schlafen, um letztendlich völlig aus meinem Vokabular gestri-chen zu werden. Der verbliebene Rest Zeit musste einfach ausreichen, um weiterhin „ganz normal“ zu funktionieren. Es kann aber wirklich nur so viel Wasser in ein Fass gefüllt werden bis es voll ist, und überläuft, um diesen weisen Spruch zu zitieren. Erschreckend dabei, ich bin nur einer unter weiß nicht wie vielen Millionen Menschen, denen es genau so ergeht.

Ärzte und Therapeuten

Depression, das hat mich erst einmal vom Sockel gehauen. Allein schon dieses Wort, über das man so viel liest und hört. Nur nichts Genaues. „Ich bin auf einmal ein Außenseiter, der nicht mehr ganz normal da oben ist“ denke ich. Sofort fällt mir dazu ein: Psychokram, schwere Medikamente ohne die ein „normales“ Leben nicht mehr funktioniert und, und, und. Aber wie bitte geht ein normales Leben. Ich lebe es doch Tag für Tag, und stehe so mit beiden Beinen mitten drin in meinem Leben. Zumindest war ich bisher dieser Meinung

Und jetzt behauptet mein Hausarzt, die schwammigen und undeutlichen Gefühle, die mich innerlich schon seit geraumer Zeit beschäftigen, wären typische Symptome einer durch Stress verursachten Depression. Mit diesen Worten trieben mich innerliche Ängste noch ein Stück weiter hinein in die nach unten fallende Spirale einer typischen Depression, wie ich erst ein paar Wochen später bewusst erfahren durfte. Überhaupt, das Wort Depression schien mich von da an zu verfolgen.

Haben sie schon einmal daran gedacht, einen Psychologen aufzusuchen?“ Ich sehe schon die berühmte Couch vor meinen Augen, und ich liege darauf. Ein Mann im weißen Kittel versucht mich mit einschläfernder Stimme auf den richtigen Weg zu bringen. Seiner Meinung nach, aber – ich bin doch auf dem richtigen Weg, was habe ich denn falsch gemacht?

Bei einem der unzähligen Besuche bei meinem Hausarzt kam dann irgendwann auch mal die Frage: „Haben sie schon einmal über eine Kur nachgedacht?“ Habe ich nicht, weil mir ja nichts fehlt. Außer dass ich von Beruf aus immer müde bin. Wer schwer und viel arbeitet, der darf auch müde sein. Aber so müde? Inzwischen kamen meine Gedanken in die Gänge, und ich begann, die letzten Monate für mich zu analysieren – und versuchte mir dabei vorzustellen, mein unsichtbarer Gegenüber wäre ich. Der Film in meinem Kopfkino hatte begonnen.

Inzwischen kam auch der betriebliche Vertrauensarzt mit ins Spiel. Nachdem ich der Firma nun schon über einen längeren Zeitraum meine Arbeitskraft nicht mehr zur Verfügung stellen konnte, vereinbarte mein Arbeitgeber freundlicherweise über meinen Kopf hinweg einen Termin beim Betriebsarzt. Aha, unglaubhaft bin ich also auch noch. Ging mir zumindest so mal durch den Kopf. Obwohl ich natürlich wusste, dass ein Betrieb das darf. Das ist auch in Ordnung so.

Wiederum durfte ich also alles schildern, im Besonderen die berufliche Situation am Arbeitsplatz. Sehr viel Zeit hatte sich Frau Doktor dafür genommen. „Sie brauchen jetzt dringend Hilfe“ und riet mir ebenfalls mit Hilfe meines Hausarztes eine Rehabilitationsmaßnahme zu beantragen. „So bald wie möglich!“ „Jetzt ist es so weit“ schoss es mir durch den Kopf, und es kam mir im Moment gleich einer Einweisung in eine Psychiatrie vor. Wie wir es aus den Märchenfilmen kennen. Blaues Wägelchen, und dann ab in die Anstalt. Ganz schön viel auf einmal, was da auf mich einprasselte.

Da ich inzwischen schon längere Zeit im Krankenstand war, kam mir natürlich die Ruhe sehr entgegen. Sie war wohl einer der wichtigsten Wegbereiter überhaupt für mich, und ich distanzierte mich täglich weiter von dem Nerv tötenden Tagen, die hinter mir lagen. Nur wer sich, so wie ich, mit Depressionen noch nie auseinandergesetzt hat, kann nicht wissen, dass alles, was für einen offensichtlich negativ erscheint, von sich selbst viel stärker beurteilt wird, als die positiven Dinge, die um einen herum geschehen. Also „Alles nur halb so schlimm“, wie es Außenstehende sehen und der Meinung sind, einem mit diesem Spruch unheimlich helfen zu können.

Das war die eine Seite von mir, die Andere aber hingegen war auch sehr neugierig, was da auf mich zukommen soll. Im Nachhinein gesehen war es aber der absolut richtige Zeitpunkt. Wie ich Wochen später erfahren durfte, ist alles zum richtigen Zeitpunkt geschehen. Egal von woher auch diese vorprogrammierte Entscheidung gekommen war, ob von oben, oder gar von ganz oben, oder woher auch immer.

Bis zur Beginn der Reha ging mir dann Allerlei durch den Kopf, und ich muss sagen, ich fühlte mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Denn jetzt kamen auf einmal, völlig unerwartet und neu, noch Existenzängste dazu. Was wenn ich einmal nicht mehr arbeiten kann?

Ich bin doch noch viel zu jung für die Rente. Ein riesen Brocken an ungeklärten Fragen tauchte auf einmal vor mir auf. Gerade eben wieder etwas vom Horizont gesehen, schon wurde er wieder von dicken Wolken verdeckt.

Inzwischen war ich schon über drei Monate nicht mehr arbeitsfähig, ganz schön lange für jemanden, der ständig unter Strom stand. Aber an Stelle eines erholsamen Schlafes siegten noch immer Alpträume in wirren Bildern, die tagsüber in meinem Kopfkino ihre Fortsetzung suchten.

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Der alltägliche Wahnsinn

Depressionen. Aber ich doch nicht. Ich habe ja nur meine Pflicht getan und gearbeitet. So gearbeitet wie es ein Unternehmen sich wünscht. Immer pünktlich zur Stelle, stets zuverlässig und allzeit pflichtbewusst. Arbeitszeit stets bis an den legalen Bereich. Und wenn es mal drüber hinausgeht, was soll es, ich bin ja gesund und da geht doch noch was. Keine Beschwerden seitens der Kunden, im Gegenteil ich hatte immer das Gefühl bei ihnen willkommen zu sein. „Ach – gottseidank bist du wieder da. Dein Vertreter hat es ja überhaupt nicht geblickt“. Solche Kommentare taten einem schon gut zu hören. Allein schon diese eine, kleine, positive Resonanz, die einem direkt vermittelt wurde.

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