TRINITY

MARIANNE WILLIAMSON

DU BIST

STÄRKER

als dein

SCHMERZ

SEELISCHE WUNDEN HEILEN UND
INNEREN FRIEDEN FINDEN

Aus dem Amerikanischen von
Susanne Kahn-Ackermann

TRINITY

Im Gedenken an
Richard

INHALT

VORWORT

1 Leid und Kummer übergeben

2 Durch die Dunkelheit ins Licht

3 Wider die Betäubung

4 Das wundersame Universum

5 Eine Kultur der Depression

6 Vergebung

7 Beziehungshimmel, Beziehungshölle

8 Uns selbst verändern, die Welt verändern

9 Das Licht des Buddha

10 Das Licht des Moses

11 Das Licht Jesu

12 Du bist stärker als dein Schmerz

DANK

Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht,

Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.

Daß von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens

keiner versage an weichen, zweifelnden oder reißenden Saiten.

Daß mich mein strömendes Antlitz glänzender mache;

daß das unscheinbare Weinen blühe.

O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein, gehärmte.

Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,

hinnahm, nicht in euer gelöstes Haar mich gelöster ergab.

Wir, Vergeuder der Schmerzen.

Wie wir sie absehn voraus, in die traurige Dauer,

ob sie nicht enden vielleicht.

Sie aber sind ja unser winterwähriges Laub,

unser dunkeles Sinngrün, eine der Zeiten des heimlichen Jahres –

nicht nur Zeit –, sind Stelle, Siedelung, Lager, Boden, Wohnort.

AUS: RAINER MARIA RILKE,

DUINESER ELEGIEN, DIE ZEHNTE ELEGIE,

INSEL VERLAG, LEIPZIG 1923

VORWORT

Alle sehen wir uns Zeiten im Leben gegenüber, in denen uns Schmerz und Qual des Daseins schier unerträglich erscheinen. Bei manchen kommen solche Erfahrungen selten vor, und der Schmerz ist relativ glimpflich. Andere aber können von der entsetzlichen Qual erdrückt werden und nur schwer zum winzigsten bisschen Trost finden. Immer tiefer und tiefer fallen wir in den Brunnen unserer Tränen, hinab in eine scheinbar bodenlose Finsternis. Wir fragen uns, woher all dieses Leiden kommt. Und wir fragen uns, ob es je ein Ende haben wird.

Wenn Sie selbst eine solche Zeit durchmachen – eine Zeit, in der allein schon der nächste Atemzug oder das Durchstehen eines weiteren Tages kaum vorstellbar scheint – oder ein von Ihnen geliebter Mensch, dann freue ich mich, dass Sie dieses Buch lesen. Es könnte sein, dass Sie hier ein paar Puzzleteile finden, die Sie noch nicht erforscht haben. Auf ein Geheimnis stoßen. Oder vielleicht auf ein Wunder.

Das heißt nicht, dass Sie sich nicht anstrengen müssen. Das heißt nicht, dass Sie keine Arbeit leisten müssen. Wunder sind keine Schnellreparatur oder einfache Lösung. Aber sie aktivieren eine von Gott herrührende spirituelle Kraft und Macht, um Ihnen zu helfen. Gott ist hier, ist da, auch inmitten Ihres Leidens. Und wenn Sie die Hand nach ihm ausstrecken, wird er sie Ihnen reichen.

Ziehen Sie nun die Möglichkeit in Betracht, dass alles geschehen könnte. Ich bitte Sie nicht, dies zu glauben, ich bitte Sie nur, in Betracht zu ziehen, dass dem so sein könnte. Allein der Gedanke, dass Wunder möglich sind, bewirkt mehr, um Ihnen den Weg zur Heilung zu ebnen, als Sie sich vorstellen können. Er öffnet die Pforten zu einem Reich unbegrenzter Möglichkeiten, unabhängig davon, was Sie durchgemacht haben oder gerade durchmachen.

Nicht der Schmerz, den Sie durchleben, bestimmt über Ihre Zukunft; Ihre Zukunft wird bestimmt davon, wer Sie sind, während Sie Ihren Schmerz durchleiden. Das soll die Tiefe Ihres Leidens nicht infrage stellen. Es ist innerhalb der sterblichen Welt ganz gewiss real. Aber weder ist die Realität, in der wir uns verfangen haben, das, was sie zu sein scheint, noch sind Sie selbst ganz das Wesen, das Sie Ihrem gegenwärtigen Gefühl nach sind. Wir können die Definition von unserem wahren Wesen und auch vom Wesen und der Natur der Welt erweitern – und unser Leben wird sich allmählich verändern. Ihr menschliches Ich oder Selbst mag sich momentan in der Hölle befinden, aber Ihr göttliches Selbst ist von Ihrem Leiden buchstäblich unberührt. Und Ihr göttliches Selbst ist Ihr wahres Wesen.

Ihr Unterbewusstsein ist Ihrer umfassenderen Realität gewahr und wird die Rolle übernehmen, sie Ihnen aufzuzeigen, wenn Sie dafür bereit sind. Dieser Prozess wird eine der großen Reisen Ihres Lebens sein, da Sie Dinge sehen werden, die Sie noch nicht gesehen haben, und Dinge erfahren werden, die Sie nicht wussten. Ihre Tränen, Ihr Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Ihre Angst, Ihre Wut, Ihr Schuldgefühl, Ihre Verbitterung, Ihr Reuegefühl, Ihr Schrecken – nichts davon wird übertüncht oder geleugnet. All das werden Sie nicht auflösen, indem Sie es im Dunkeln belassen, sondern indem Sie es dem Licht aussetzen. Und dabei werden Sie jenseits all dessen eine solche Herrlichkeit – in Ihnen selbst und in der Welt – wahrnehmen, dass Sie die Reise Ihres Leidens tatsächlich segnen werden, denn sie hat Sie zu sich selbst und dem Sinn Ihres Lebens geführt. Spirituelle Heilung liegt nicht in der Verleugnung Ihres Schmerzes, sondern darin, dass Sie ihn voll und ganz fühlen und Gott übergeben.

Und dann nehmen die Wunder ihren Anfang …

Dieses Buch ist eine spirituelle Betrachtung über das menschliche Leiden, über seine Ursachen und Transzendierung. Spiritualität bedeutet kein zartrosa gefärbtes, vages, psychologisch schlichtes Weltverständnis. Vielmehr stellt sie die tiefgründigste Erläuterung der Arbeits- und Vorgehensweise unseres Geistes dar und erklärt, wie dieser unsere Erfahrungen filtert. Spiritualität erkennt die außergewöhnliche Tiefe unserer grundlegendsten Sehnsucht – unserer Sehnsucht nach Liebe – und des außerordentlichen Schmerzes, den wir empfinden, wenn wir sie nicht finden.

In unserer Welt gibt es eine Epidemie von Depressionen und unzähligen Optionen, sie zu behandeln. So wie es natürliche Heilmittel für körperliche Krankheiten gibt, gibt es auch natürliche Heilmittel für Krankheiten des Geistes. Und mit einem »natürlichen Heilmittel« für Depression meine ich nicht Kräuter oder homöopathische Arzneien; ich meine die praktische Anwendung von Liebe und Vergebung als Medizin für die Seele.

Als Gesellschaft laden wir die Depression geradezu ein, indem wir die Liebe trivialisieren. Wir haben unsere Seelen für ein Linsengericht verkauft. Die menschliche Existenz ist nicht einfach nur eine zufällige Episode ohne einen höheren Sinn und Zweck als den, dass wir alle bekommen sollten, was wir haben wollen. Schauen wir aus diesem Blickwinkel auf unser Leben, ohne Deckschicht des reinen Geistes* (spirit), scheint es keinen letztendlichen Sinn zu haben. Und die Seele lechzt nach Sinn und Bedeutung, so wie der Körper nach Sauerstoff lechzt. Existiert kein spiritueller Rahmen, sind uns zwar die Mechanismen des Lebens bekannt, doch schrecken wir davor zurück, sie zu verstehen. Da wir es nicht schaffen, das Leben zu verstehen, missbrauchen wir es. Und durch diesen Missbrauch bewirken wir Leiden – für uns selbst und für andere.

Jede große religiöse und spirituelle Philosophie behandelt das Thema des menschlichen Leidens. In diesem Buch werden die tiefen Erkenntnisse und Einsichten, die uns die religiösen und spirituellen Lehren und Unterweisungen dieser Welt zur Verfügung stellen, nur oberflächlich berührt. Doch dringt es hoffentlich bis zu einem Punkt vor, der sich oftmals hinter den Schleiern von Dogma und Missverständnis verbirgt.

Zum Beispiel begann die spirituelle Reise Buddhas, als er zum ersten Mal des Leidens ansichtig wurde; Moses wurde vom Leiden der Israeliten bewegt; Jesus litt am Kreuz. Aber es geht nicht einfach nur darum, dass Buddha das Leiden sah; es geht darum, dass er es durch die Erleuchtung, durch das Erwachen, transzendierte. Es geht nicht einfach nur darum, dass die Israeliten versklavt waren; es geht darum, dass sie gerettet und ins Gelobte Land geführt wurden. Es geht nicht einfach nur darum, dass Jesus gekreuzigt wurde; es geht darum, dass er wiederauferstand. Das menschliche Leiden war nur der erste Teil einer Gleichung. Am meisten zählt das Geschehen, nachdem sich Gott kundtat.

Auch wir leiden und beobachten Leiden rings um uns herum; auch wir sind durch einen inneren Pharao versklavt; auch wir sterben am Kreuz der Grausamkeit und mangelnden Ehrfurcht der Welt. Ob es vor Tausenden von Jahren stattfand oder sich heute abspielt, Leiden ist Leiden, Unterdrückung ist Unterdrückung, und Grausamkeit ist Grausamkeit. Diese Dinge sind keine uralten Realitäten, die nicht mehr existieren. Sie sind nicht verschwunden.

Und auch nicht Gottes Macht und Kraft, sie auszulöschen. Reiner Geist erleuchtete Buddha; reiner Geist erlöste die Israeliten; reiner Geist ließ Jesus wiederauferstehen. Wenn wir wissen, dass unser Leiden das Gleiche ist wie das ihre, dann ergibt es Sinn, ihre Befreiung tiefer verstehen zu wollen, damit wir unsere eigene Befreiung leichter herbeiführen können. Wie blind wir sind, wie arrogant, wenn wir meinen, dass unser Leiden das Gleiche ist, dass wir aber doch irgendwie unseren Umgang damit verbessert haben. Glaubt wirklich irgendjemand, dass Buddha das Leiden dadurch hätte transzendieren können, dass er mehr Geld verdient, sich einen besseren Arbeitsplatz besorgt oder ein besseres Auto gekauft hätte? Oder dass die Israeliten der Sklaverei hätten entkommen können, wenn sie noch mal mit dem Pharao verhandelt oder ein Privatflugzeug gehabt hätten, das sie ins Gelobte Land brachte? Oder dass Jesus von den Toten hätte auferstehen können, wenn es damals schon die Kryokonservierung gegeben hätte?

Während der letzten paar Hundert Jahre hat die Menschheit das Auftreten mancher Leidensformen verringert und das anderer vermehrt. Wir haben die Bedrohung durch Kinderlähmung verringert, aber die Bedrohung durch eine atomare Katastrophe erhöht. Wir haben die Gefahren des Reisens gemindert, aber die Möglichkeit, dass unser ganzes Ökosystem implodiert, vergrößert. Und wenn wir meinen, wir hätten mit dem »Vergewaltigen und Plündern« aufgehört, brauchen wir uns nur das Geschehen überall auf der Welt anzusehen.

Es gibt heute keine weltliche Lösung für das Leiden der Menschheit oder deren Neigung zur Selbstzerstörung, die sich mit den Lösungen vergleichen ließe, die uns die großen Religionen und spirituellen Philosophien anbieten. Und genau darum hat der Ego-Geist sie für seine Zwecke eingespannt. Er hat in unserer Welt und in unseren Herzen die Macht des Friedens in die Macht des Schwertes verwandelt.

Heute beschränkt sich die Suche nach spiritueller Nahrung nicht auf eine bestimmte Lehre. Ob Buddhismus oder Judentum, Christentum oder Islam oder Hinduismus, hier gibt es kein Richtig oder Falsch. Sie alle sind kaleidoskopartige Facetten des einen essenziellen Diamanten. Ob wir uns persönlich auf die Geschichte von Buddha, Moses, Jesus, Mohammed oder Krishna beziehen; ob wir die Wahrheit tiefer gehend verstehen, wenn sie durch C. G. Jung, Joseph Campbell oder Ein Kurs in Wundern zum Ausdruck kommt; die wesentlichen Themen all dieser Lehren sind in ihrem Kern universeller Natur. Sie gelten für alle Menschen und – ganz wichtig – für alle Zeiten.

Die großen religiösen Persönlichkeiten und Unterweisungen der Welt sind Gottes Geschenke, eine göttliche Hand, die hinabreicht, um den Geist und das Gemüt jener zu erreichen, die sich aufgerufen fühlen. Während das Ego die äußerlichen Aspekte dieser Lehren nutzt, um uns voneinander zu trennen – manchmal sogar als Rechtfertigung, um einander zu zerstören –, vereinen uns ihre inneren Wahrheiten, indem sie uns lehren, wie wir miteinander leben sollen. Auf der inneren Ebene haben die großen Religionen der Welt immer zu Wundern geführt. Auf der äußeren Ebene führten sie genauso oft zu Gewalt und Zerstörung. Das muss sich ändern und wird sich ändern, da mehr Menschen dahin kommen, die mystischen Wahrheiten zu erkennen, das innere Gold, das sie alle in sich bergen. Die größte Chance für das Überleben der Menschheit im 21. Jahrhundert liegt nicht in der Erweiterung unseres äußeren Horizonts, sondern in der Vertiefung unseres inneren Horizonts. Das gilt für uns ganz persönlich und ebenso für uns alle gemeinsam.

Und solange wir das nicht tun, werden wir traurig sein. Unser Körper, unsere Beziehungen, unsere Karrieren, unsere Politik werden weiterhin ein Quell des Leidens sein, wo sie doch eigentlich ein Quell der Freude sein sollten. Im Innern aller großen spirituellen Lehren und Unterweisungen verbirgt sich der Schlüssel, um das umzukehren. Wenn wir den Schlüssel erst einmal finden und im Schloss umdrehen, werden wir erstaunt sein über das, was hinter der Tür verborgen liegt. Wir sind nicht ohne Hoffnung; wir haben sie einfach nur nicht gesehen. Wir sind nicht ohne Macht; wir haben sie einfach nur nicht in Anspruch genommen. Wir sind nicht ohne Liebe; wir haben sie einfach nur nicht gelebt.

Wenn wir diese Dinge sehen, beginnt sich unser Leben zu verändern. Unser Geist ist erwacht. Wunder geschehen. Und endlich sind unsere Herzen froh.

Ausgehend von Ein Kurs in Wundern, wird auch in diesem Buch das englische spirit durchgängig mit »reiner Geist« übersetzt. (A. d. Ü.)