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Kurzbeschreibung:

"Das Lied des Paradiesvogels - Die Polynesien Saga" 

Hamburg, 1890. Die Zwillinge Thea und Daniel sind unzertrennlich. Als Daniel vom Vater auf eine Expedition in die deutschen Südseegebiete geschickt werden soll, erscheint allein der Gedanke an Trennung den Geschwistern kaum vorstellbar. Sie fassen einen Entschluss: Wenn sie gehen, dann nur gemeinsam und so schmieden sie einen gefährlichen Plan ... 

Auch der junge Hamburger Reeder Leopold Saarner macht sich mit dem Schiff auf den Weg nach Polynesien. Er muss auf der fernen Insel seinen unehelichen Halbbruder finden und zu seinem Vater bringen. Aber er hat eigentlich kein Interesse daran, sein Erbe zu teilen .. Der in Richtung Südsee fahrende Dreimaster beherbergt die Hoffnungen, Wünsche und Ängste der Hamburger - es beginnt eine lange Fahrt in eine ungewisse Zukunft.

Rebecca Maly

Das Lied des Paradiesvogels III


Die Polynesien - Saga


Edel Elements

KAPITEL 10

Es war still, so still.

Das Fieber wütete noch immer in ihrem Körper, aber es war erträglich. Ein feuchtes Tuch kühlte ihre Stirn, Wind strich darüber.

Ob man mich an Deck gebracht hat?, überlegte Thea im Halbschlaf. Doch warum höre ich dann das Meer nicht? Und Wellen? Wo war die Wellenbewegung?

Nach und nach entkam sie dem Dämmerzustand, in dem das Fieber sie gefangen hielt. Sie öffnete die Augen, nur einen winzigen Spalt. Es war hell. Licht flutete durch ein Fenster herein, das den Blick auf einen diesig blauen Himmel frei gab. Weiß gekalkte Wände neben und über ihr. Als einzige Zierde hing ein Kreuz an der Wand. Der Jesus sah gemartert zu ihr herab, sein Körper verdreht und mit blutigen Wunden übersät. Thea wandte sich ab, schaute wieder zum Fenster hin.

Sie war nicht mehr auf dem Schiff, aber wo war sie dann? Ein Hospital? Neben ihrem Krankenlager stand ein Stuhl. Sicher hatte Daniel bis gerade eben dort ausgeharrt und würde gleich wieder zurück sein. Dann würde sie ihn fragen.

Erleichtert ließ sich Thea in die Kissen zurücksinken. Sie war sich sicher gewesen, auf dem Schiff sterben zu müssen, aber nun keimte wieder Hoffnung in ihr auf. In einem Hospital würde man ihr helfen können.

Wenn nur der Durst nicht so schlimm gewesen wäre. Gleich dort, auf einem kleinen Tischchen, standen ein schlichter Krug und daneben ein Glas. Das war ihre Erlösung. Sie würden warten, bis ihr jemand half.

Doch ihr Mund war so trocken. Der Durst wurde schier übermächtig. Als sie sich aufstützte, wurde ihr sofort schwindelig. Das dünne Tuch, mit dem sie zugedeckt war, schien sie regelrecht festzuhalten. Sie zerrte es zurück und schob vorsichtig ein Bein nach dem anderen über die Kante. Wieder drehte sich alles. Thea brauchte alle Kraft, um sitzen zu bleiben. Sie krallte ihre Hände in die Bettkante und sah an sich hinab. Ihre bloßen Beine waren nur noch halb so breit wie früher. Auch ihre Arme waren schmal geworden.

Wie lange war sie schon hier? Es war beängstigend, denn ihr fehlte jede Erinnerung daran, wie sie an diesen Ort gekommen war.

Durst.

Sie musste trinken, aber sie traute ihrem eigenen, fremd gewordenen Körper nicht mehr. Vorsichtig griff sie nach dem Glas und stieß es beinahe um. Es glich einem Kraftakt, ihrem zitternden Arm eine kontrollierte Bewegung abzuringen.

Dann endlich hatte sie es. Das Gefäß mit beiden Händen haltend, trank sie in winzigen Schlucken. Und auch das war anstrengend, aber es tat unendlich gut.

Sie fühlte sich gleich ein wenig besser, doch ihr Eindruck wurde Lügen gestraft, denn als sie das Glas wieder abstellen wollte, fiel es ihr auf halbem Wege aus der Hand.

Mit lautem Klirren zersprang es in zahllose Scherben.

Thea dachte nicht nach. Ihr erster Gedanke war, das Malheur zu beseitigen. Sie bückte sich nach einer großen Scherbe, und dann ging alles ganz schnell.

Schwindel überfiel sie, sie verlor den Halt, und im nächsten Augenblick fand sie sich auf dem Boden wieder. In ihrer Hand steckte eine Scherbe, und die Holzdielen unter ihr begannen zu schwanken, als sei sie erneut auf einem Schiff.

Schritte wurden laut, draußen rannte jemand. Die Tür wurde aufgestoßen, und ein großer Mann in einer langen Kutte kam herein. „Fräulein!“, rief er überrascht, dann war er auch schon bei ihr, fasste ihr beherzt unter die Arme und hob sie hoch.

Er setzte Thea auf die Bettkante und hielt sie stützend an den Schultern fest. „Geht es wieder?“

„Ja, danke, ich weiß auch nicht, wie … Ich war so durstig, es tut mir leid.“

„Das macht doch nichts.“ Er nahm ihre Hand und zog vorsichtig die Scherbe heraus. „Zum Glück nicht tief, aber wir müssen es trotzdem verbinden.“

„Wo ist mein Bruder, Daniel …“

„Ich bin Bruder Bernhard, Sie sind bei uns in guten Händen, Fräulein Klawitt.“ Der Mann hatte ein gutmütiges, rundliches Gesicht, das etwas zu breit für seinen schmalen Körper zu sein schien. Sein Haar war hell, fast weiß, die Haut gerötet statt gebräunt, wie es in diesen Breitengraden sonst üblich war.

„Sind Sie aus Bayern?“

„Man hört es mir also immer noch an“, meinte er und schmunzelte. „Ich hole Verbandsmaterial und bin gleich wieder zurück. Ich freue mich, dass Sie endlich auf dem Weg der Besserung sind, Fräulein Klawitt.“

Bevor sie etwas antworten konnte, war er schon aus dem Zimmer. Die Tür hatte er offen stehen lassen. Thea meinte, draußen Menschen vorbeigehen zu hören. Wahrscheinlich würde Daniel auch bald zurück sein.

Sie würde einfach nur warten. Das war anstrengend genug. Die Wunde in ihrer Handfläche tat kaum weh. Sie drückte sie mit einem Finger zu, damit das Blut nicht auf ihr Nachthemd tropfte. Es fühlte sich warm an, als habe ihr Blut mehr Fieber als sie selbst.

Wieder wanderte ihr Blick zum Fenster. Palmen bewegten ihre Wedel in einer sachten Brise. Auf den Blattspreiten turnten kleine Vögel herum.

„Schon zurück, junge Frau!“, ließ Bruder Bernhard verlauten.

Sie zuckte zusammen. „Haben Sie meinem Bruder Bescheid gegeben?“

Er schien einen Moment nachdenken zu müssen. „Noch nicht, Fräulein. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um Ihre Hand, und dann gibt es etwas zu essen. Wie klingt das?“

„Ich habe keinen Hunger“, erwiderte sie.

„Aber Sie müssen etwas essen. Sie haben schon zehn Tage nichts zu sich genommen. Ihr Körper braucht Nahrung, wenn Sie gesund werden wollen, und das wollen Sie doch.“

„Zehn Tage?“, wiederholte Thea erstaunt. „Ich kann mich nicht erinnern.“

„So lange sind Sie schon hier. In den ersten Tagen sah es sehr schlecht aus. Sie hatten eine schwere Entzündung im Leib. Wir konnten Ihnen nur Kräutertränke verabreichen, hoffen, warten und beten. Aber Gott hat offenbar ein Einsehen gehabt und lässt Sie noch eine Weile auf Erden weilen.“

„Also werde ich wieder gesund?“ Auf gewisse Weise hatte sich Thea bereits damit abgefunden gehabt zu sterben. Dass sie noch eine Chance bekam, fand sie irritierend. Freude konnte sie in diesem Augenblick keine empfinden. Bruder Bernhard war unterdessen mit dem Verbinden ihrer Hand fertig geworden.

„Wo bin ich?“, wollte sie wissen.

„In der Mission des Heiligen Michael. Zu siebt sind wir vor einigen Jahren ausgezogen, um den Heiden Gottes Wort zu predigen.“

„Ich möchte mich waschen“, sagte Thea nur, die mit einem Mal glaubte, den Schweiß der vergangenen zehn Tage, die sie im Fieber verbracht hatte, als klebrige Schicht auf der Haut zu spüren.

„Natürlich, ich werde nach einer Frau schicken lassen, die Ihnen hilft.“

„Danke, aber geben Sie bitte auch meinem Bruder Bescheid, er wird sicher ungeduldig auf eine Nachricht warten.“

Der Mönch faltete die Hände vor der Brust. Sein gerötetes Gesicht verlor die Farbe. „Ich weiß nicht recht, wie ich es Ihnen schonend beibringen soll, Fräulein. Gerne hätte ich damit noch gewartet …“

Thea durchlief ein eisiger Schauer. „Ist er tot? Ist Daniel etwas zugestoßen? Sagen Sie es mir!“ Die letzten Worte hatte sie regelrecht geschrien. Nun rang sie nach Atem.

„Tot, nein, Gott bewahre. Er wird wiederkommen. Nur nicht heute oder morgen. Er hat versprochen, dass die Nordstern auf dem Rückweg noch einmal hier Halt machen wird.“

In Thea zerbrach etwas. Plötzlich hatte sie keine Kraft mehr. Sie sank zurück auf ihr Kissen. Der Mönch hob ihre Beine auf das Bett und deckte sie zu. Erst als er das Zimmer verlassen hatte, begann Thea zu weinen.

Unzertrennlich. Von wegen unzertrennlich. In so einer Situation hätte sie Daniel niemals allein gelassen. Besonders dann nicht, wenn er mit dem Tode rang.

Und nun war sie allein. In irgendeiner Missionsstation am Ende der Welt. Sie weinte, bis sie selbst dafür zu erschöpft war. Dann fiel sie in einen unruhigen Schlaf voller Albträume.

***

Port Moresby war die größte Stadt, die Baptiste je gesehen hatte. Seit seinem letzten Besuch vor fast sechs Jahren war sie noch weiter angewachsen. Erst vor Kurzem war sie zur Hauptstadt des Britischen Kolonialgebietes British New Guinea erklärt worden, was ihr zu weiterem Aufschwung verholfen hatte.

Der Hafen war weitläufig, mit mehreren Kais und einem eigenen Trockendock. Dutzende Warenhäuser reihten sich aneinander. Es gab ein stetes Kommen und Gehen. Große Frachtschiffe wechselten sich mit Fischerbooten und kleinen Schaluppen ab. Baptiste und Baku hatten eine Weile suchen müssen, um einen freien Anlegeplatz zu finden, und mussten für jeden Tag, den sie dort lagen, eine Gebühr an den Hafenmeister entrichten.

Es war leicht gewesen, die verirrte Fracht der Oudebooms zu finden. Hier wurde alles gründlich aufgeschrieben und in Listen notiert. Auch für die Lagerzeit fielen Gebühren an.

Nachdem all das erledigt war, sahen sie sich die Stadt an. Es gab Steinhäuser und richtige Straßen, auf denen sich Kutschen und Karren drängten.