Elftes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Der Brand war vorüber. Zehn Tage lang hatte er wie ein rasendes Tier durch die Zweimillionenstadt hingewütet und zwei Drittel davon erwürgt.

Jetzt endlich glomm es nur noch insgeheim unter den Schutthaufen. Aschfahle Rauchsäulen stiegen lotrecht zum glühenden Sommerhimmel empor – die letzten Verkünder einer sterbenden Elementargewalt.

Beim Morgengrauen des elften Tages trat Nero, wie er dies während des Brandes so oft gethan, wieder hinaus auf die Plattform des mäcenatischen Turmes.

Er gedachte der Abendstunde, da er beim Anblick der brennenden Urbs die Kithara geschlagen. Das Feuer in seiner wildverzehrenden Kraft, vom Sturme gepeitscht, prunkvoll dahinwogend über das endlose Häusermeer, hatte ihn damals berauscht. Er wähnte sich in der Rolle des Zeus, der, den Donnerkeil in der Rechten, mit zerschmetternden Blitzen die lebendige Erde bis hinauf zu den Höhen des Olympos in Lohe setzt. Diese Stadt flammte für ihn; sie zeigte, daß Rom stürzen konnte, und daß dennoch der Welt nichts verloren ging, wenn nur er, der Gewaltige, feststand auf dem Piedestal seiner cäsarischen Gottheit.

Jetzt aber, da er, die Schwüle des Lagers fliehend, hoch an der Brüstung lehnte und nahezu alles, was noch vor kurzem der Schauplatz sorgloser, vergnügungssüchtiger Menschen gewesen, in rauchendem Schutt erblickte: da ergriff ihn etwas wie Groll gegen die Götter, die er nicht glaubte, etwas wie Haß gegen das unbesiegbare Fatum. Diese starre Notwendigkeit glich in ihrer entsetzlichen Willkür einem frevelnden Knaben, der boshaft ein blühendes Beet zertritt, ein Gemälde besudelt, eine kunstvolle Statue zerschlägt. Das Fatum, die Anangke, die Moira, war der einzig echte Herrscher des Universums, mächtiger nicht nur als der geträumte Jupiter, sondern sogar als er, Claudius Nero, der bis dahin vermeint hatte, alles, vom Steingefilde Arabiens bis zu den Säulen des Herkules, unter sein Joch zu beugen. Er hatte mit diesem Fatum gerungen; das Ergebnis des ungleichen Kampfes lag vor ihm: ein unermeßliches Chaos, schwarzgraue, qualmende Trümmer, – ein Anblick, schauderhafter als der eines leichenbesäten Schlachtfeldes.

Wenn das Fatum sich anmaßte, so ins Blaue hinein zu toben wie ein bezechter Schurke, wenn es ihm tausend Hemmnisse da in den Weg legte, wo er das Gute wollte: weshalb sollte der Cäsar, im Besitze der obersten Herrschergewalt, an Kühnheit und Großartigkeit seiner Willkürpläne hinter dem Fatum zurückstehen? Unschuldige und Schuldige hat das große Verderben hinweggerafft. Auch Nero wollte jetzt ein Verderben sein für die Menschheit, nur mit dem Unterschied, daß er noch edler fühlte als jene Schickung, die ihm Seneca einst mit dem unbegreiflichen Namen ›Vorsehung‹ zu bezeichnen gewagt hatte.

Die Opfer des Nero sollten nicht blindlings fallen, wie die des Fatums, sondern nach wohlerwogenen Grundsätzen. Er schlachtete sie zunächst seinem Hasse, dann aber auch, wie er zögernd sich eingestand, seiner Sicherheit.

Das Volk, so sehr sich der Imperator bemüht hatte, das öffentliche Unglück zu lindern, insbesondere auch durch eine trefflich organisierte Zufuhr der nötigen Lebensmittel, tobte dennoch vor nicht zu stillender Wut über die furchtbare Katastrophe, und heischte mit Ungestüm ein Sühnopfer, das dem Mißgeschicke der Siebenhügelstadt an Großartigkeit gleichkäme.

Geizte Nero mit der Befriedigung dieser Rachlust, so lief er Gefahr, daß der Unwille der entfesselten Menge bis zu ihm selber heraufzischte.

Auch dieser Unwille wäre das Fatum gewesen, – eine veränderte Form nur der nämlichen, Göttern und Menschen verhaßten Anangke, die Rom in Asche gelegt.

Mit der Anangke jedoch war nicht zu ringen. Er konnte sie nur verhöhnen, ihr durch listige Kunstgriffe ausweichen oder vielleicht – und das war eines Weltbeherrschers am würdigsten – ihre schwindelerregende Brutalität übertrumpfen.

Die Christen, die heute abend, dem Volk zum ergötzlichen Schauspiel, in den cäsarischen Gärten am Mons Vaticanus zu Tode gequält werden sollten: sie mochten, wenn ihre Marter den Gipfel erreicht hatte, dem waltenden Kaiser bezeugen, ob er der Aufgabe, die er sich vorgesetzt hatte, gewachsen war.

Ja, er haßte die Christen! Ihre Lehre schien ihm jetzt ebenso thöricht, so zweck- und sinnlos, wie die stoischen Philosopheme des Seneca. Diese erbärmliche Welt, die ihm hier aus den schaurigen Trümmern der ›Arestochter‹ ein so lautes Verdikt ihrer eigenen Unvernünftigkeit zurief, lohnte weder den Ernst noch die Selbstbeherrschung. Greifbar und echt war lediglich der Genuß: philosophisch-mystische Spekulationen, die ja doch dem entsetzlichen Rätsel nie auf den Grund drangen, konnten die Echtheit und Greifbarkeit nur beeinträchtigen. Nicodemus und Seneca flossen dem Imperator gleichsam in eine einzige unheilbringende, hagere Gestalt zusammen. Wie unablässig hatte ihm Seneca in den Ohren gelegen mit seinen volltönigen Phrasen von der sittlich-freien Entwickelung der Menschheit, von der abstrakten Pflicht, von dem Hochgefühl der Entsagung! Es war geradezu unerträglich!

»Die Wahnwitzigen!« murmelte Nero, nach Osten starrend, wo ein gelblicher Lichtstreif das Erwachen des Tages verkündete. »Was ist Tugend! Einen duftigen Becher unberührt stehen zu lassen, obgleich die Seele danach verschmachtet! Tantalus nach eigener, freier Entschließung! Wer dankt mir's denn, ihr hirnverbrannten Heuchler und Narren? Wenn ich nun wirklich eurer Lehre gehorchte, stünde ich deshalb weniger unter dem Banne des Daseins? Hätte ich minder die Krankheit zu fürchten und den alles zerbrechenden Tod?«

Er seufzte.

»Wahrlich, der Tod ist noch nicht einmal das Entsetzlichste! Hassenswerter scheint mir der Fluch, altern zu müssen! Das gierige Greisentum, das sich boshaft an unserm Blut mästet, bis wir selber zum spotterregenden Schatten dahinschwinden, – welch ein Dämon hat es ersonnen? Was da schön ist und blühend auf dieser Erde, was da jubelt und jauchzt –: die Zeit wird ihm die Frische und Kraft aus den Adern saugen, und der erbärmliche Rest gleicht diesen Trümmern hier! Alt zu werden! Heimlich zu fühlen, wie der schwellende Arm, der deinen Nacken umwindet, nicht mehr so wonnevoll und so selig erbebt wie der deine! Zu merken, daß die schmelzende Zärtlichkeit Heuchelei, daß der Kuß, die Verzückung der schmachtenden Augen Komödie ist! Nicht du, Claudius Nero, wirst dann mehr geliebt werden, sondern der mächtige Kaiser, dein fürstliches Prunkgewand, dein Scepter, deine unermeßlichen Reichtümer! Wie dort drüben das ehedem so stolze Palatium, wirst du einst nur noch die fahle Ruine sein von dem, was du warst, – hohläugig, welk, das Antlitz gefurcht, ein Abscheu selbst für die Dirnen vom Walle des Tullius!«

Er legte die Hände über die Augen, als habe er das Bild seiner Zukunft schon leibhaftig erblickt.

»Und das ahnen sie alle voraus!« dachte er ingrimmig. »Seneca erlebt es schon an sich selbst. Er fühlt, wie der Brand seiner Lebensglut Funke um Funke verlischt, – und dennoch ging er mit Nicodemus ans Werk, mich blind zu machen gegen die einfache, unverkennbare Wahrheit! Ich sollte die flüchtigen Stunden der Jugendkraft mit asketischer Philosophie vertrödeln, statt mich der Gegenwart hinzugeben, und das Licht zu genießen, solange es Tag ist! Ich sollte ein Cäsar werden für die Anhänger des Gekreuzigten!«

Er beugte sich über die marmorgedeckte Brüstung und stützte das Haupt in die Hand. Ein wehmütiges Zucken spielte um seinen Mund. Weitgeöffneten Auges sah er hinaus in das beginnende Morgenrot.

»Ja, auch ich erblicke in eurem Propheten ein wahrheitsvolles Symbol: seine dornenbekränzte Gestalt verkörpert mir das traurige Los alles Irdischen. Wir alle sind vom Fluch des Schicksals an jenes furchtbare Kreuz genagelt, das Erde heißt. Wir alle werden, früh oder spät, an diesem Marterholze verbluten, und zuckenden Angesichts wie der sterbende Galiläer zum Himmel rufen: ›Hoffnung, du, Trügerin alles dessen was atmet, und du, unsterblicher Mut, warum hast du mich nun verlassen?‹ Jesus mit seinem trostlosen Ausgang ist der duldende Mensch. Weil dieser Ausgang aber gewiß ist, soll ich mir deshalb die Qual meiner Wanderschaft noch vergrößern? Soll ich trauern, wo ich vergessen, soll ich entsagen, wo ich erobern kann? Nein, ihr Asketiker! Dann lieber gleich in den Tod! Ein Sprung hier über die Brüstung schiene mir logischer, als der Irrwahn eurer trostlosen Selbstverleugnung.«

Zur Tiefe schauend, gewahrte er einen langen Zug seiner Sklaven, die mit schweren Ladungen aller Art nach den vatikanischen Gärten hinauszogen.

Im Auge des Imperators flammte es auf wie von plötzlicher Wildheit. Er sah ihnen nach, bis sie hinter den ragenden Mauern eines ausgebrannten Theaters verschwunden waren.

»Ja, so ist's,« hauchte er durch die Zähne. »Wenn nicht jeder Tag, der über die Berge steigt, uns neue Wonnen verkündet, neue Erregungen, dann ist's eine Qual zu leben. Genießen will ich, bis mir der letzte Blutstropfen in den Adern erstarrt; Auge und Ohr ergötzen; im berauschenden Cäcuber den letzten Verstand lassen, und am Busen verliebter Weiber und knospender Mädchen Verzückungen schlürfen wie der hellenische Donnergott. Ich wäre nicht Nero, wenn Poppäa allein mir genügen könnte. Nein, ihr alle genügt mir nicht, und wäre ich turmhoch unter dem Blütenglanz eurer schimmernden Leiber begraben! Die rasendste Lust ist nur eine Täuschung für Augenblicke. Sie stillt nicht, was da drinnen so maßlos wütet und tobt. Nazarener, ihr sollt mir die Antwort geben, ob's noch ein Mittel gibt, den Lebensdurst des Imperators zu löschen! Ich fühle es, wie's mich stürmisch hinaustreibt zum Anblick eurer grausigen Todesqualen. Vielleicht bedarf ich eurer unsäglichen Marter als Hintergrund für das Glück, dem ich nachjage. Wenn jeglicher Nerv eures gefolterten Leibes vor Schmerz zusammenzuckt wie eine zertretene Schlange, so muß die Wonne sich zwiefach als Wonne fühlen. Unsre Altvordern bauten ihre Triclinien mit dem Ausblick auf Gräber und Leichensteine: das erhöhte ihnen die Freuden am Festgelage. Ich will das noch überbieten. Körper will ich erblicken, die langsam dahinsterben, die toll werden bei dieser entsetzlichen Langsamkeit, während mich zitternde Wollust zum Gotte macht. Ich muß jetzt nachholen, was ich früher versäumt habe.«

Die Arme über der Brust verschränkt, umwandelte er einigemal die Plattform. Ein seltsames Lächeln zog ihm die Lippen kraus.

»Die guten Quiriten! Wenn sie ahnten, daß ihr Kaiser nahe daran war, den elenden Nicodemus Bruder zu nennen! Wäre er minder bübisch gewesen, – beim Styx, wer möchte dann sagen, wie's heute um Rom stünde . . .?«

Er seufzte.

Dann zog er die Achseln hoch.

»Schwerlich besser!« sagte er zu sich selbst. »Deutlich in jeder Linie erblick' ich es vor mir, das harte, starre Gesicht mit den tiefliegenden Augen. Seine lauernde, demütig-stolze Art schien zu sagen: ›Steige herab vom Thron der Imperatoren: ich, Nicodemus, hoffe hier Platz zu nehmen!‹ Wenn das geschehen wäre, wenn die Ehrsucht des Nicodemus jede Selbständigkeit in der Seele des Herrschers vernichtet und die eigene, siegverlangende Unduldsamkeit an die Stelle gesetzt hätte: wahrlich, die furchtbare Katastrophe, die jetzt eben zu Ende ging, wäre ein Scherz gewesen im Vergleich mit den blutigen Umwälzungen im weiten Weltreich! Er hätte die Feinde des Nazarenertums mit Feuer und Schwert verfolgt, und Scheiterhaufen errichtet, in ihrer Gesamtheit größer und qualmender, als die lodernde Roma!«

Er sah zu Boden.

»Wunderbar!« klang es halblaut von seinen Lippen. »So verschiedenartige Früchte zeitigt ein und derselbe Glaube. Nicodemus und Acte! Welch ein Gegensatz zwischen den beiden! Welch ein klaffender Abgrund!«

Höher und höher flammte das Morgenrot über dem Kamm des Sabinergebirges. Zartes Purpurgewölk schwamm flockengleich im Zenith. Der erste Strahl zuckte über die niedergebrannte Stadt und verkündete einen Tag, der unvergeßlich sein sollte in den Annalen der römischen Kaisergeschichte.

Zwei Stunden später empfing der Cäsar den Agrigentiner, der ihm zu melden kam, wie weit sich die Vorbereitungen zu dem für heute abend geplanten Riesenfeste entwickelt hatten.

Alles ging hier nach Wunsch.

»Ich bürge dafür,« lächelte Tigellinus, »du selber, dessen Auge doch wahrlich von Schaustellungen und kunstvoll ausgedachtem Gepränge schier übersättigt ist, du selbst, o Cäsar, wirst überrascht sein und mir bekennen, mein Werk sei musterhaft.«

»Also wie lautet dieses musterhafte Programm?«

»Laß mich die Einzelheiten verschweigen, ich bitte dich! Du bist Künstler genug, um zu begreifen, daß man lieber zu wenig verrät als zu viel. Die Bewirtung des Volkes leitet mir der vortreffliche Phaon, dessen Talente ich Tag für Tag mehr bewundere. Halb Capua hat seine Magazine geleert für die Beleuchtung, den Blumenschmuck, die Flaggen, die Teppiche. Alles übrige fügt sich harmonisch in das Gesamtbild. Wenn ich hinzusetze, daß ich die Festmusik eigens zu diesem Zwecke durch unsre beliebtesten Tondichter habe verfertigen lassen, so hab' ich genug gesagt. Mit einem Worte: das Ganze wird glorreich.«

»Nun, und das Volk? Was sagt es zu der glänzenden Gastfreundschaft seines Kaisers?«

»Es jubelt.«

»Das sagtest du gestern bereits. Gibt es noch Leute, die bezüglich der Nazarener im Zweifel sind? Ich meine . . . die sie für schuldlos halten?«

»Kaum. Die Verhafteten leugnen zwar; aber einer von ihnen, Paulus mit Namen, hat seinen Richtern mit Donnerstimme entgegengerufen, in diesem Brande erblicke er das Strafgericht des allmächtigen Gottes und die Erfüllung der alten Wahrsagung, die da lautet: ›Ich will ihren Namen auslöschen, und ihr Land will ich zu einer Wüste machen.‹«

»Paulus . . .? Der Name ist mir zu Ohren gekommen.«

»Ich selber sprach dir von ihm,« sagte der Agrigentiner. »Eine Persönlichkeit von unwiderstehlicher Kraft. Die dämonische Wucht seiner Rede riß – für Momente wenigstens – alles dahin, was irgend jemals in ihr Bereich kam. Deshalb nahm ich auch Anstand, diesen höchst gefährlichen Menschen mit ins Programm zu nehmen. Sein bloßer Anblick vielleicht hätte ihm Schüler geworben – und vollends, wenn er in letzter Stunde den Mund geöffnet und gezeugt hätte für die Lehre des Nazareners . . .«

Claudius Nero nickte still vor sich hin. Dann richtete er aus den Agrigentiner einen fragenden Blick.

Achtes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Im Atrium hatten sich unterdes die Senatoren mit einer Vollzähligkeit eingefunden, die geradezu überraschend war; denn die Mehrzahl der hohen Herren war bereits in die Sommerquartiere übergesiedelt und nur, der Einladung der Kaiserin-Mutter gehorchend, eigens zum Zweck des großen Chattenempfangs nach Rom zurückgekehrt.

Der kaiserliche Geheimschreiber Epaphroditus hatte die Ankömmlinge begrüßt, und sie ehrerbietigst nach den kissenbelegten Sesseln geführt, die da rechts und links vor den festlich geschmückten Arkaden in bogenförmiger Linie aufgestellt waren.

Die Morgensonne malte bereits einen Streifen von Mannshöhe an den oberen Rand der Archivmauer. Die ringsher verstreute Blumenfülle, von den Sklaven mit künstlich zerstäubtem Wasser besprengt, schimmerte wie ein Frühlingsgarten im Tau, und die kostbaren Teppiche glühten mit jeder Minute farbenreicher und prächtiger.

Der Staatsminister hatte von jeher eine Art Stolz darein gesetzt, daß derartige Zeremonien, wie der jetzt bevorstehende Empfang der Chattengesandtschaft, bis ins kleinste pünktlich in Scene gingen.

Fast in dem nämlichen Augenblicke, da Nero, von seinem glänzenden Hofstaat umringt, nach dem Hochsitz wandelte, und die versammelten Senatoren mit einem weit vernehmlichen ›Ihr Herren, seid mir gegrüßt!‹ bewillkommte, tauschte Seneca draußen vor dem Vestibulum mit dem hochgewachsenen, graubärtigen Führer der germanischen Edelinge einen kräftigen Händedruck. Die Gesandten waren von ihren mähnenumwallten Rossen gesprungen.

Nero, das ›Heil dem Kaiser!‹ der Senatoren mit einer huldvollen Handbewegung erwidernd, hatte sich auf einen der beiden Prunksessel unter dem Baldachin niedergelassen.

Zu seiner Rechten stand Burrus mit einigen Militärtribunen. Zur Linken der Agrigentiner Sophonius Tigellinus; Otho, der Gatte der schönen Poppäa Sabina; der junge Dichter Lucanus, den Seneca während der letzten Monate auffällig beschirmt und gefördert hatte; der Geheimschreiber Epaphroditus; und einige andre Hof- und Staatsbeamte mit ihren vornehmsten Untergebenen.

Weiter nach rechts und nach links folgten kleine Abteilungen von Prätorianern, in vergoldeten Harnischen, hochrot gefärbte Roßschweife auf dem blinkenden Helmfirst, an der Hüfte das Schwert, – den gewaltigen Langspeer nach Art der Wachtposten senkrecht im Arme.

Rechts und links an der Spitze der Senatoren saßen die regierenden Konsuln, deren Amt seit der staatlichen Neugestaltung nur noch äußerlich eine Bedeutung hatte, aber nichtsdestoweniger glühend erstrebt wurde.

Auch der germanischen Botschaft hatte der Staatsminister eine Ehrenwache von prätorianischen Kriegern zugeführt, die jetzt zunächst durch das Ostium einzog, und sich links vom Eingang, gerade dem Thron gegenüber, ordnungsgemäß aufstellte.

Hiernach erschien der Staatsminister mit dem Führer der Chatten, Lollarius geheißen. Die übrigen, stattliche, hochgewachsene Männer von dreißig bis vierzig Jahren, blauäugig und blond, bis auf zwei, deren Haupthaar die dunklere Färbung des Südens zeigte, wandelten unmittelbar hinter Lollarius einher und machten dann in der Mitte des Atriums Halt, während ihr Anführer mit dem höflichen Seneca dicht zu dem teppichbelegten Podium heranschritt.

»Allgewaltiger Cäsar,« begann der Staatsminister, »der vortreffliche und tapfere Mann, der in Gemeinschaft mit seinen edlen Genossen als ein Freund des römischen Namens hier das Palatium betritt, ist der Gaufürst Lollarius, wohl der Erste im Rate unter den chattischen Großen, ein ruhmreicher Heerführer und ein ausgezeichneter Kenner unsrer Sprache, unsrer Gesetze und Sitten.«

So sprechend, trat Seneca neben den Agrigentiner Sophonius Tigellinus, der die Hünengestalt des chattischen Gaufürsten mit staunender Neugier musterte.

Nero erhob sich, schritt bis auf die letzte Stufe des Podiums herab, und reichte dem Botschafter mit einem gewinnenden Lächeln die Hand.

»Wir heißen dich und die Deinen in unsrer geheiligten Siebenhügelstadt freudig willkommen. Aus deinen Augen blickt Geradheit und Mut. Ich liebe das. Im Namen der hier versammelten Väter und des unbezwungenen römischen Volkes biet' ich dir ehrliche Freundschaft an. Denn unsre Freundschaft zu suchen – das wissen wir von unserm Proprätor, eurem Nachbar am Rheine – seid ihr nach Rom gereist.«

»Du sagst es, großmächtiger Kaiser,« versetzte Lollarius in musterhaftem Latein; denn auch er hatte, wie jetzt sein ältester Sohn, vor vielen Jahren die Weltstadt am Tiberstrome besucht, um Studien zu machen auf dem Gebiete der Staatswissenschaften und der römischen Kriegskunst. »Nachdem dein Stellvertreter unsre berechtigten Wünsche erfüllt hat, wüßte ich nicht, weshalb wir Chatten euch grollen müßten, – wenn ich's auch tief beklage, daß die kaiserlichen Legionen manchen urgermanischen Landstrich nach und nach in römischen Boden verwandelt haben.«

»Weshalb beklagst du das?« fragte der Cäsar.

»Weil wir Nordlandsmänner, die ihr Römer nur als Einzelvölker beurteilt, weit näher untereinander verwandt sind, als der Italier mit dem Hispanier; weil wir ein großes, gewaltiges Reich von einerlei Stamm und Nation ausmachen könnten, wenn nicht ein Teil uns durch Rom entfremdet, ein andrer durch die leidige Zwietracht vollständig lahmgelegt wäre. Wir Chatten allein und die wackeren Sigambrer haben Verständnis für die Zusammengehörigkeit aller germanischen Stämme, für die Allmacht der Staatsidee, die euch Römer so groß gemacht, – kurz: für das Vaterland.«

Der Imperator stieg jetzt wieder die Stufen hinauf und ließ sich langsam unter dem Baldachin nieder, während zwei Sklaven, die Blicke des Staatsministers verstehend, einen Goldsessel zum Podium hinantrugen.

»Ich begreife das,« sagte der Kaiser wohlwollend. »Inzwischen bitte ich dich, auf diesem Stuhle hier Platz zu nehmen. Es ziemt sich nicht, daß man Gesandte, die dem Völkerrecht wie dem Gastrecht gleichmäßig heilig sind, länger stehen läßt, als die Begrüßung währt.«

Lollarius zögerte einen Augenblick. Dann stieg er ruhigen und selbstbewußten Schrittes das Podium hinan, als sei es den Stammesgenossen des Mannes für spätere Jahrhunderte vorbehalten, sich im Kaiserpalaste heimisch zu fühlen, wie jetzt der hochgebietende Imperator.

»Lollarius,« hob Nero wiederum an, da sich der Chatte gesetzt hatte, – »du siehst es: unsre bloße Begegnung hat ausgereicht, um die Sache, über die wir verhandeln wollten, ins reine zu bringen. Kein Römer, solange nicht offener und ehrlicher Krieg zwischen uns herrscht, soll hinfürder eure Landschaft in ungebührlicher Absicht betreten dürfen. Das gleiche versprecht ihr uns. Auch im übrigen halten wir freundliche Nachbarschaft. Eure Leute verkaufen uns die Erträgnisse der Jagd und des Fischfangs, die herrlichen Tierfelle, das köstliche Wild und die Lachse der Logana. Von uns bezieht ihr die kunstvollen Werkzeuge, die tarentinischen Wollstoffe, die milchweißen Gewänder für eure Frauen und Jungfrauen, die Gürtel und Spangen, vor allem aber die Gabe des unsterblichen Bacchus. Denn, wie ich höre, da droben bei euch will die herzerquickende Rebe nicht recht gedeihen; ihr behelft euch mit einem sonderbaren Gebräu von Weizen und Gerste, das ihr – ein wahres Wunder – zu einer gewissen Aehnlichkeit mit unserm italischen Weine herankünstelt.«

»Herr,« versetzte Lollarius, und strich sich schmunzelnd über den breiten, graugesprenkelten Bart, – »unsrer Getränke gibt's zwei: ein süßeres und ein herberes. Das erste nennen wir Met, das zweite Bier, – und wahrlich, wenn die Metpokale so kreisen, oder gar die gewaltigen Bierhörner, und ein kriegerischer Gesang ertönt in der Runde, und die Hirschkeule oder der Bärenschinken liefert uns die saftigen Scheiben, dann möchtest auch du, o Cäsar, uneingedenk des römischen Prunkes, bekennen, daß wir Germanen zu leben wissen.«

»Daran zweifle ich nicht,« erwiderte Nero. »Jegliche Gepflogenheit ist berechtigt, jegliche Art und Sitte hat ihre Vorzüge. – Also wir stehen nun am Ziele. Hier meine Hand! Friede und Freundschaft! Nur der Form halber soll mein Geheimschreiber Epaphroditus einen Staatsvertrag abfassen, – nicht, weil ein Zweifel bestünde, sondern zur Einverleibung in die Archive. Denn auch ihr besitzt wohl Amtsgebäude oder Heiligtümer der Götter, wo ihr gewichtige Aktenstücke verwahren laßt.«

»Unsre Priester und Edelinge sind des Schreibens nicht unkundig,« sagte Lollarius. »Auch wird es den Chatten genehm sein, die Freundschaftsworte des Kaisers auf kräftigem Pergament zu besitzen. Es gibt Leute bei uns, denen man solcherlei Dinge gelegentlich wiederholen muß.«

»Morgen noch empfängst du die Urkunden zur Unterzeichnung,« versetzte der Imperator. »Nun aber, nachdem das alles erledigt ist, erzähle mir doch, ich bitte dich, einiges von dir und deinen Genossen. Wer sind die Männer, die dich begleiten? Du könntest sie wohl heranführen.«

Lollarius erhob sich.

Der Kaiser hielt ihn zurück.

»Zuvörderst du,« sagte er huldvoll. »Du heißest Lollarius. Der Name klingt ja beinah lateinisch?«

»Er ist nach lateinischer Weise umgebildet – für euch; dieweil ihr die rauheren Laute des Nordens minder beherrschen würdet. Ich heiße in germanischer Sprache Lautharto, das ist verdolmetscht: ›das große Herz‹. Mein Edelsitz erhebt sich am Ufer der Lahn, die ihr Logana nennt, unweit der Stelle, wo die reißende Wisacha in den Fluß mündet. Weiterhin erhebt sich der waldüberkleidete Vogelsberg, so genannt um seiner unzähligen Urhähne willen, deren Balzen wie das wunderbare Gekreische der Wotansraben durch den dämmernden Forst klingt. O, es ist ein herrliches Land, unser Chattenland!«

»Seltsam,« erwiderte Nero. »Wir Römer lieben weder die Bergwälder noch die Felsengeklüfte. Uns verlangt es nach lieblich blühenden Auen, nach Lorbeerhainen, vornehmlich aber nach dem Gestade des Meeres. Du hast kein Meer, selbst keinen See in der Nähe?«

»Nein, Imperator. Die Lahn und die Wisacha müssen uns schadlos halten. Eure gewaltigen Brandungen kennen wir nicht. Doch, daß ich's gestehe: hundert Schritte nur von meinem Gehöft strömt die Wisacha über steiles Geröll so schroff in die Tiefe hinab, daß ihr Gebrause schier an den Wellenschlag des Tyrrhenischen Meeres erinnert. ›Den Guß‹ oder ›die Gießen‹ nennt man diesen Strudel im Volke, und mein Edelsitz heißt danach die Burg an den Gießen.«

Eine Weile noch plauderte so der Cäsar mit dem bärtigen Chattenführer, als ob der Beherrscher des Römerreichs nahezu willens sei, demnächst während der Sommermonde in den Wäldern der Logana als Gast zu erscheinen. Dabei warf er indes ab und zu einen Blick nach Seneca, der dann jedesmal kaum bemerklich die Lippen regte: ›Du hast noch Zeit, Herr.‹

Endlich stieg Lollarius vom Podium hernieder und holte die drei vornehmsten Männer seiner Gefolgschaft heran.

Einer derselben, der goldhaarige, wangenblühende Heilo, war beauftragt, dem Kaiser ein stattliches Ehrengeschenk anzukündigen: zwölf lebende Auerochsen, die man in eigens dazu hergerichteten Wagen auf der großen linksrheinischen Heerstraße bis nach Vesontio und von dort nach Massilia gebracht hatte, wo sie nach Ostia eingeschifft wurden.

Das Schiff mit den Ungeheuern, die für die kaiserliche Arena bestimmt waren, lag jetzt am aventinischen Hügel vor Anker, und Heilo ersuchte den Imperator, sobald es ihm gut dünke, die Freundschaftsgabe des chattischen Volks in Empfang zu nehmen.

Nero dankte, hieß, da Seneca immer noch gleichmütig dastand, auch die übrigen Teilnehmer der Deputation vortreten, redete eifrig mit jedem einzelnen und erhob dann die Rechte.

Zwölf scharlachrot gekleidete Hofbedienstete schritten auf diesen Wink hin aus dem Säulengange hervor und überreichten jedem der zwölf Gesandten als Gegengabe des Imperators ein kostbares Schwert mit Goldgriff und in glänzender Goldscheide.

Die Senatoren, die anfangs über die gar zu leutselige Art des Kaisers heimlich gemurrt hatten, hielten es dennoch für angebracht, in die Beifallsrufe miteinzustimmen, die jetzt Flavius Scevinus, Barea Soranus, Thrasea Pätus und andre Genossen der hohen Körperschaft in wohlberechneter Absicht erschallen ließen. Einige ausgesprochene Anhänger der Kaiserin-Mutter indes konnten sich kaum noch beherrschen. Mit jeder Minute malte sich deutlicher in ihren verblüfften Gesichtern die ungeduldige Frage: ›Wo bleibt Agrippina? Weshalb nimmt sie nicht Platz an der Seite des Sohnes, den sie zum Kaiser gemacht hat?‹

Agrippina befand sich noch immer auf der hallenden Landstraße in ihrer breitüberdeckten Carruca.

Der Staatsminister hatte ›ordnungsgemäß‹ bei ihr angefragt, wann der Empfang der Chattendeputation stattfinden solle, – und die entsprechende Antwort erhalten.

Agrippina hatte die Zeit für die Wagenfahrt reichlich bemessen.

War es die Schuld nun etwa des Seneca, wenn ihm der Kaiser ›plötzlich befahl‹, just eine halbe Stunde früher die Zeremonie anzuberaumen, als Agrippina gewünscht hatte . . .?

Arglos lehnte sie an der Seite ihrer Vertrauten, der meergrünäugigen Pantherin Acerronia, und scherzte darüber, wie außerordentlich leicht es sei, einem störrisch gewordenen Knaben wieder die Zügel zu straffen.

Sie glaubte sich völlig Herrin der Situation.

Sie pries im stillen ihre bedeutende Staatsklugheit, die nun der Zufall so meisterhaft unterstützte . . .

Ja, ja, diese Acte hätte den Herrschergelüsten der Kaiserin-Mutter gefährlich werden, sie hätte im fortgesetzten Verkehre mit Nero allgemach einen Standpunkt der Einsicht erklimmen können, der ihr gezeigt hätte, wie wenig Wissen dazu gehört, um ein Weltreich zu lenken. Jener phantastische Liebesrausch war ja doch nur das Vorspiel. Nach einigen Monaten wären ihr andre Empfindungen, andre Wünsche und Hoffnungen in der Seele gereift . . . Wenn diese Acte zum Beispiel dem Kaiser ein Kind, einen Knaben geschenkt hätte! Welch ein gewaltiger Sporn für die Mutter, nach Einfluß, ja nach der Herrschaft zu streben! . . . Nein, das Schicksal hatte hier einen Geniestreich begangen: Agrippina durfte zufrieden sein.

Ein huldvolles Lächeln schwebte auf ihren Lippen.

»Nun, Acerronia?« fragte sie nach Beendigung dieses schönen Gedankengangs. »Du scheinst ja heute so kühl und so gleichmütig? Nicht ein einziges Mal hast du zum Wagenfenster hinausgeschaut, während doch Pharax, der stattliche Pharax, in eigener Person unsre Bewaffneten führt. Jüngst noch ein Jauchzen und Jubeln wie von hunderttausend liebedurstigen Lerchen, – und nun mit einemmal diese Verschlossenheit? Habt ihr euch etwa veruneint? Wie?«

»Nein!« sagte die hübsche Pantherkatze mit erstaunlicher Barschheit.

Jeder andre Sterbliche wäre durch ein halb so häßliches ›Nein‹ für immer der Gnade Agrippinas verlustig gegangen. Nur Acerronia genoß in dieser Beziehung die unglaublichsten Vorrechte.

Agrippina ergriff ihre Hand. »Was ficht dich an, Täubchen?« fragte sie mütterlich. »Schon bei der Abfahrt hab' ich bemerkt, daß dein Antlitz etwas umflort war.«

»Pah! Dieser Pharax!« rief Acerronia geringschätzig.

»Ist dein Verlobter und wird, dafern es die Götter nicht hindern, noch vor Herbst dein Gemahl. Ich hab's ihm versprechen müssen . . .«

»Müssen?« fragte Acerronia. »Wer konnte dich zwingen?«

»Nun, er bat mich darum, er flehte . . .«

»Wie viele bitten, ohne erhört zu werden!«

»Ich verstehe dich nicht,« sagte die Kaiserin. »Hat dein Sinn sich geändert? Pharax gefiel dir doch. Gleich bei der ersten Begegnung.«

»Ja, er gefiel mir, und er gefällt mir noch heute; aber eines gefällt mir nicht: daß er dir so gefallen hat.«

»Närrin!« lächelte Agrippina. »Träumst du oder bist du bezecht? Wie kann's dich verdrießen, wenn der Mann, den ich dir zugedacht, meinen Beifall hat? Wär es dir lieber, ich fände ihn widerwärtig?«

»Vielleicht, – – denn es kommt mir bisweilen so vor . . .«

»Nun?«

»Darf ich offen meine Gedanken aussprechen?«

»Freilich.«

»Nun, ich meine, du selber bist – über die Ohren verliebt in ihn.«

Agrippina ward außerordentlich ernst.

»Dank es den Göttern, daß der Cäsar dieses Wort nicht vernommen hat! Er ließe dich kreuzigen.«

»Meinetwegen!« murmelte Acerronia. Sie nagte die Lippen. Ihre Stirn umwölkte sich zusehends.

»Laß jetzt die Thorheiten!« sagte die Kaiserin strafend.

»Nun, so verbiete den Sklaven, daß sie dir Dinge nachsagen, die . . . die . . .«

»Du solltest vor Scham in die Erde sinken! Acerronia, die Tochter des cordubanischen Ritters, hört auf das Schandgerede der Unfreien! Jetzt verstehe ich erst! Wisse denn, Acerronia: mit eigenen Ohren hab' ich gehört, was zwei Dirnchen, die im albanischen Parke die Hecken zustutzten, selbander geschwatzt haben. Sie erfrechten sich, ihre Kaiserin zu beschimpfen; denn solche gemeine Seelen wissen ja niemals die politische Gunst der Fürstin von den Zärtlichkeiten des Weibes zu trennen. Ich rede hier ganz ohne Scheu, denn es ekelt mich an, daß gerade du in diesen schmutzigen Sumpf trittst. Ein Wink von mir, und jene Sklavinnen würden sterben. Agrippina aber denkt zu groß von ihrem unsterblichen Namen, als daß die Kleinheit und die Niedrigkeit sie beleidigen könnte. Artemis schoß die Pfeile auf die Töchter der Niobe, aber die Frösche im Tümpel mißachtet sie.«

Die Worte der Kaiserin klangen so würdig und weihevoll, daß sie die Zweifel Acerronias glänzend besiegten.

»Verzeih mir!« schluchzte das Mädchen.

Sie legte ihr Antlitz wider die Schulter ihrer Gebieterin, als suchte sie Schutz vor sich selbst.

Dann plötzlich zurückfahrend und ihre Hände wie Krallen ausstreckend: »Ich aber, ich bin keine Fürstin von hohem Geblüt; ich kann mich herablassen, die erbärmlichen Lügenmäuler zu züchtigen, wenn ich sie jemals wieder bei so schandbaren Reden ertappe. Und so schwör' ich's beim Jupiter . . .«

»Ruhig, mein Kind!« unterbrach Agrippina die Zürnende. »Siehst du, hier sind wir bereits mitten im Häusergewühl. Trockne die Thränchen! Du hast eine Rolle zu spielen. Zum erstenmal erscheinst du vor dem Senat.«

»Weshalb ist Pallas nicht mitgekommen?«

»Er liegt im Fieber. Gestern abend ließ er sich krank melden.«

»Ich bekenne dir, Herrin, daß ich für meine Person recht wenig Verlangen trage, mich von den ernsthaft-albernen Senatoren begaffen zu lassen.«

»Du liebst Ausdrücke . . . Ernsthaft-albern! Uebrigens was du dir einbildest! Heute, bei einer so wichtigen Staatsaktion . . .!«

»Mein rotes Haar ist noch wichtiger. Daß es schön ist, hast du ja selber gesagt, – fast so schön wie dein eigenes nachtschwarzes, und je älter die Männer, um so verrückter.«

Die Hufschläge der Kappadozier dröhnten jetzt über das Pflaster der Via Sacra . . .

Tigellinus hatte inzwischen von dem Herannahen des harnisch-umblitzten Reisewagens Kunde bekommen.

Während der Kaiser noch mit den Chatten plauderte, schlich der Agrigentiner hinweg, um die Kaiserin-Mutter mit ihrer Gefolgschaft am Vestibulum zu bewillkommnen.

»Herrin,« sprach er, »ich bitte, beeile dich! Wenn dir's genehm ist: hier durch die Seitenthüre! Vor der Mündung des Ostiums stehen die Polstersessel der Botschafter.«

»Wie? Schon jetzt?« fragte die Kaiserin, während ein helles Rot ihr Gesicht überflammte.

»Ja, schon jetzt. Du hast dich nämlich zum Bedauern des Kaisers und der versammelten Väter etwas verspätet.«

»Ich? Wieso? Wir sind pünktlich, wie die Soldaten zur Wachablösung. Sprich! Was bedeutet das?«

Tigellinus, die größte Unterwürfigkeit heuchelnd, zuckte die Achseln. »Unser Herr und Gebieter hat es gewollt. Ich machte ihm Vorstellungen, aber er meinte, man dürfe die Chatten, die in so trefflicher Absicht gekommen seien, nicht warten lassen. Noch ist es ja vollauf Zeit, du Erlauchte! Noch kann dem weltgeschichtlichen Akte durch dein Erscheinen die letzte Weihe gespendet werden.«

Agrippina fieberte. Ohne auf Acerronia und die sonstige Gefolgschaft zu warten, schritt sie majestätischen Ganges durch die vorderste Thüre der Linkswand.

Die Senatoren erhoben sich. Agrippina wandte sich nach dem Podium.

Da stieg Nero, alle Bitternis, die in ihm aufquoll, bekämpfend, ruhig von dem Throne herab, eilte der Kaiserin-Mutter entgegen und begrüßte sie mit der üblichen zeremoniellen Umarmung. »Welch freudige Ueberraschung!« rief er – so hatte ihm Seneca diese Rolle entworfen – »Die Staatsgeschäfte sind nun beendet. Freuen wir uns jetzt doppelt der trauten Gemeinschaft in der Familie!«

Das Murmeln des Beifalls, das die Mehrheit der Senatoren vernehmen ließ, zeigte der Fürstin die Vollständigkeit ihrer Niederlage. Sie fühlte, daß sie geradezu lächerlich wurde, wenn sie nicht gute Miene zum bösen Spiel machte. Die Meisterschaft ihrer Selbstbeherrschung feierte jetzt einen Triumph.

»Ich danke dir,« sprach sie, den Sohn auf die Stirn küssend, »daß du so rasch und so glücklich eine höchst schwierige und verwickelte Angelegenheit zum Schlusse geführt hast. Es scheint mir, die edlen Männer, die hier versammelt sind, Römer wie Chatten, warten darauf, daß sie der Cäsar verabschiedet. Dies erledige noch! Vermelde ihnen den herzlichen Anteil, den ich an dem Gelingen des Freundschaftsbundes genommen habe, und folge uns dann zum Frühmahl nach dem kleinen Triclinium!«

Würdevoll grüßend entfernte sie sich. Innerlich aber kochte ihr die empörte Seele vor Wut und herzzerfressendem Haß.

»Ein Werk des Seneca!« knirschte sie durch die Zähne, als sie bei Acerronia vorbeikam. »Ich habe es wohl bemerkt, wie der Schurke seit einiger Zeit lau wurde und verlogen. Die Mär von diesem Ereignis wird hinausdringen in die Stadt, in das ganze latinische Land, in alle Provinzen. Mein Ansehen ist unwiderruflich erschüttert. Allerorts wird es heißen: ›Agrippina hat abgedankt . . .‹ Abgedankt? Nun und nimmer! Die Zeit soll's lehren! Geduld nur und Mäßigung! Hüte dich, Acerronia! Kein Mensch unter dem Himmel des Jupiter, und er, der Undankbare, am wenigsten, darf eine Ahnung haben, wie tief mir dieser schreckliche Stoß in die Brust gedrungen. Der Pöbel würde sonst jauchzen. Geduld, nochmals Geduld! Ganz unmerklich kann ich zurückerobern, was er mir abgetrotzt. O, ich verstehe ihn! Das war die Rache für Acte! Nun freut's mich doppelt, daß ihr götterverfluchter Leib den Fischen zum Fraß geworden!«

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Zwei Wochen später saßen im Arbeitsgemache des Flavius Scevinus sechs Personen in flüsternder Unterredung: der Hausherr; Metella, seine Gemahlin; Barea Soranus; Pätus Thrasea; die reiche Aegypterin Epicharis; und der Staatsminister Annäus Seneca.

Der letztere hatte infolge der Festigkeit, mit der er sich jeder Gewaltmaßregel wider die junge Geliebte seines kaiserlichen Gebieters entgegenstemmte, so sehr die Gunst der Kaiserin-Mutter verscherzt, daß sie alles aufbot, um ihn aus seiner maßgebenden Stellung bei Hof zu verdrängen.

Seneca nämlich beurteilte – trotz seiner Theorie von der Allgewalt des Naturwillens, der in der Liebe um so entschiedener zum Ausdruck gelange, je eigensinniger die Verliebtheit sich zu gebärden scheine – die Leidenschaft des Cäsars als einen vorübergehenden Rausch, der sich ohne Nachteil für Neros geistige Entwickelung austoben werde, falls man ihm Zeit lasse, im entgegengesetzten Falle jedoch die bedenklichsten Folgen nach sich ziehen könne.

Noch scheute Agrippina sich vor dem Aeußersten – vor der Umgehung Senecas nämlich und der Ausführung ihrer Pläne auf eigene Faust; – denn die im großen und ganzen verständige Haltung Neros nach jener letzten unangenehmen Erörterung und die strenge Zurückgezogenheit Actes flößten ihr einen gewissen Respekt ein.

Auch waren die Worte der unglücklichen Octavia vielleicht nicht spurlos an ihr vorübergegangen.

Dennoch glaubte der Staatsminister den Zeitpunkt ziemlich nahe gerückt, da es heißen würde: ›Dem Uebermute der Agrippina Wälle entgegengetürmt!‹

»Genossen,« sprach Pätus Thrasea mit seiner herzbewegenden Stimme, »ich bin der Ansicht, daß wir, falls nicht Nero für eine entscheidende That sofort zu gewinnen ist, selbständig vorgehen –, wenn auch so schonend als möglich. Der heillose Vorfall bei dem Gartenfeste des Flavius Scevinus hat uns ja zur Genüge gezeigt, daß die Mörderin des Kaisers Claudius und des Britannicus ihre schmachvollen Künste noch nicht verlernt hat. Wenn unser Annäus Seneca, dem diese Missethaten von Anfang bekannt waren, nicht schon längst für die Beseitigung der Verbrecherin Sorge getragen, so ist dies lediglich eine vielleicht allzu zaghafte Rücksicht auf den pietätsvollen Sohn gewesen, der von den Frevelthaten der Mutter nichts ahnte. Mehr und mehr jedoch scheint sich Nero von den Staatsgeschäften zurückzuziehen. Agrippina ist thatsächlich die Alleinherrscherin, und neben einigen klugen und verständigen Maßnahmen übt sie, wo es ihr wirklicher oder vermeintlicher Vorteil erheischt, die verruchteste Willkür aus.«

»Du sagst es!« riefen Metella und die Aegypterin Epicharis zugleich.

»Insbesondere,« fuhr Pätus Thrasea fort, »hat mich die schändliche Missethat gegen Flavius Scevinus empört. Ich schwieg – denn ich schweige da, wo das Reden verfrüht erscheint. Sofort aber bin ich klar darüber gewesen, daß jener geheimnisvolle Dolchstoß die Antwort Agrippinas auf den patriotischen Trinkspruch unsres herrlichen Freundes war. Viele Wochen hindurch lag Flavius Scevinus schwer krank danieder. Jetzt endlich ist er dank der Heilkunst seines redlichen Polyhymnius, wieder genesen. Ich habe im Einverständnis mit Flavius euch hier in dies Zimmer entboten; denn es erscheint mir ebensosehr eine Pflicht der Freundschaft, wie der Vaterlandsliebe, die widerwärtige Angelegenheit energisch ins Auge zu fassen.«

»Du meinst, es herrsche kein Zweifel über den Thäter?« wandte sich Barea Soranus an Pätus Thrasea.

»Alle Welt raunt sich zu, Agrippina sei die Verbrecherin.«

»Und die Beweise für ihre Urheberschaft? Ich hasse dies erbärmliche Weib, – aber ich bin ein Freund der Gerechtigkeit. Noch will mir das, was Pätus Thrasea angeführt hat, nicht vollständig einleuchten.«

»Wieso?« fragte Pätus.

»Nun, ich sehe zum Beispiel vollkommen die Gründe ein, weshalb Agrippina den Kaiser Claudius aus dem Wege geräumt hat. Der Tropf war ihr persönlich zum Ekel; seine schulmeisterlichen Schrullen kamen ihr überall quer; und wenn es denn in der That vergiftete Pilze waren, mit denen sie dem Schwächling zu Leibe ging, so will ich meinetwegen auch das alberne Witzwort glauben, das man ihr in den Mund legt: ›Pilze sind ein Gericht, das die Menschen zu Göttern macht.‹ Ich fasse das, obwohl ich es schurkisch und dirnenhaft finde. – Sie hat dann später dem edlen Britannicus vergiftetes Wasser unter den Glühwein gegossen. Auch hier muß ich einräumen, daß die Motive der Verbrecherin logisch, daß ihre Handlungen vom Standpunkte eines ehrbegierigen Schandweibes klar und verständlich waren. – Wenn sie jedoch um einiger Worte willen – die doch schließlich nur dem Cäsar zu Gemüt führen sollten, daß er aufgehört habe, ein Kind zu sein, – wenn sie, sage ich, dem Flavius Scevinus diesen harmlosen Trinkspruch mit sofortiger Abschlachtung lohnt, so bin ich ratlos über die Gründe. Man schießt doch nicht mit Katapulten nach Spottvögeln.«

Es entstand eine Pause.

»Pätus,« hub dann Flavius Scevinus an, »du hast mir früher schon allerlei Andeutungen gemacht, – aber die Aerzte erlaubten ja nicht, daß du öfter als dies einzige Mal meine Schwelle betratest. Ich sollte erst vollständig wieder gekräftigt sein, eh' ich dem altvertrauten Freunde die Hand schüttelte. Ich denke, daß du mehr weißt, als Barea Soranus vermutet. Wohl denn, so ergänze nun jene Andeutungen, damit auch diese hier, insbesondere der Staatsminister, alles erfahren mögen!«

»Gern,« erwiderte Pätus. »Ich hätte schon angefangen, wenn nicht Freund Barea gar so rhetorisch wirksam seine Skepsis betont hätte. Seneca wird nicht staunen, denn er kennt ja die Sitten der Kaiserin und ihren ungezügelten schnöden Charakter.«

»In der That,« bestätigte Seneca, »ihre Kühnheit entwickelt sich täglich gefahrdrohender. Ich habe ihr das Vergangene verziehen, um Neros willen, und weil ich der Ansicht bin, daß es dem wahren Philosophen geziemt, streng gegen sich selbst, mild aber gegen andre zu sein. Nun jedoch gilt es, den reißenden Strom endlich einzudämmen: sonst überschwemmt er das Reich, und die Farbe seiner Gewässer wird ein dampfendes Rot sein.«

»So weit also ist es gekommen mit unsern Hoffnungen!« seufzte Flavius Scevinus.

»So weit – unter dem Scepter des milden, menschenfreundlichen Nero, des glühenden Kunstschwärmers, des trunkenen Naturfreundes, der vielleicht nur den einzigen Fehler besitzt, allem, was ihn begeistert, in gar zu leidenschaftlicher Träumerei nachzuhängen.«

»Wir geraten hier auf ein fremdes Gebiet,« bemerkte der finster blickende Barea. »Pätus wollte uns darlegen, was er beobachtet hat.«

»Pätus Thrasea hat das Wort!« riefen drei Stimmen zugleich.

»Also, mein teurer Flavius Scevinus,« begann Thrasea, »das Verbrechen, das die Kaiserin-Mutter an dir begehen ließ, war nur halb ein politisches, und als solches sogar ein äußerst unkluges und verfrühtes; denn es hat uns veranlaßt, die Gefahr, die jedem von uns über dem Haupte schwebt, ruhig und sicher ins Auge zu fassen, und die Verwirklichung unsrer Pläne mit verdoppelter Energie zu betreiben. Sie glaubte aus deinem Trinkspruch entnommen zu haben, daß auch du, den sie halb für einen Bekehrten hielt, ein Stein in der Wallmauer sein würdest, die das alte, noch ungebrochene Römertum ihr entgegenzustellen gedenkt. Und so mochte sie in ihrer plötzlichen Aufwallung stöhnen: ›Hinweg mit dem Hindernis – und je eher desto besser!‹ Ihre Aufwallung jedoch würde nicht so maßlos gewesen sein, wenn Otho, dem sie einige Tage zuvor ihre verschwiegenste Gunst anbot, ohne etwas andres zu ernten als verbindliche Ausflüchte – (Poppäa hat mir's erzählt) – wenn also Otho während des Trinkspruches nicht so vergnüglich gelächelt hätte. Das gab den Ausschlag.«

»Pah,« unterbrach ihn Barea, »wer weiß, über was er grinste. Vielleicht über die hübschen Rundungen seiner Gemahlin. Vielleicht über das unverschämte Lärvchen der Acerronia.«

»Ereifere dich nicht, wackerer Soranus,« fuhr Pätus fort. »Worüber Otho gelächelt hat, bleibt ja gleichgültig. Thatsache ist, daß er gelächelt, oder, wie du dich ausdrückst, gegrinst hat, daß die Kaiserin dieses Grinsen bemerkte und auf sich und ihre peinliche Situation bezog. Klar und deutlich hab' ich gesehen, wie sie bei diesem mehrfach erwähnten Lächeln erbleichte, während das Schärfste, was du gesprochen, längst doch vorüber war. Nun kochte die Wut des verschmähten, liebebedürftigen Weibes in ihr empor. Sie wollte dem Otho, den sie noch immer nicht aufgibt, zeigen, wie's dem Vermessenen ergeht, der die schönste Frau Roms – denn dafür hält sie sich doch – zu beleidigen wagt.«

»Hm!« brummte Soranus.

Nach einer Pause hub Thrasea Pätus wiederum an: »Ich bemerkte alsbald, daß sie irgend was plane. Vielleicht gedachte sie auch, just durch die Schnelligkeit der Bestrafung dem poppäasüchtigen Otho Eindruck zu machen. Kurz, sie benutzte den ersten geeigneten Augenblick, um dem Bevorzugten ihrer Leibwächter einen Auftrag zu geben, den dieser mit erschreckender Pünktlichkeit, aber den Göttern sei Dank, ohne rechtes Geschick ausführte.«

»Auch ich gewahrte das flüchtige Zwiegespräch der Kaiserin mit einem der Centurionen,« sagte Metella. »Ich fand es der guten Sitte zuwider, aber ich dachte, es handle sich nur um ein zärtliches Liebeswort. Denn wir wissen ja durch Poppäa, daß Agrippina keinerlei Vorurteile kennt in der Wahl ihrer Liebhaber. Gestern ein senatorischer Jüngling, heute vielleicht ein wohlgewachsener Soldat: – das ist so ihre tugendsame Gepflogenheit.«

»Aber sie hält's doch ziemlich geheim,« versetzte die Aegypterin Epicharis. »Mir wenigstens, die ich so vielfach herumgehorcht, ist noch nie was von ihren bedenklichen Abenteuern zu Ohren gekommen.«

»Nun, man ist ja wohl vorsichtig in solchen Bemerkungen,« lächelte Pätus Thrasea. »Damals jedoch war es ein öffentliches Geheimnis, daß der Centurio Gallienus im Vollbesitz ihrer Gunst stand, und heute noch soll er zu gewissen Stunden nach Mitternacht von dem Wahne besessen sein, er, der unbedeutende Kriegsmann, beherrsche die Herrscherin Roms.«

»Das alles beweist nichts,« rief Barea Soranus. »Ich versichere euch, der Centurio hat bis zu dem Augenblick, da wir den Hilferuf des Scevinus vernahmen, den Platz hinter der Loge seiner Gebieterin nicht verlassen.«

»Vortrefflich,« erwiderte Pätus. »Aber daß man innerhalb der zehn Minuten, die zwischen dem kurzen Gespräch mit der Kaiserin und der Gruppierung der Logenwache belegen sind, sehr wohl einen derartigen Auftrag weiter geben und dem Buben, der die Missethat ausführen soll, das Stilett behändigen kann – das will meinem ewigen Krittler Barea Soranus nicht einleuchten – obgleich ich hier ausdrücklich hinzufüge, daß ich dieses Verhandeln des Centurio Gallienus mit einem der Prätorianer beobachtet habe.«

»Das scheint mir allerdings von Belang,« versetzte Soranus. »Aber ich zwinge mich trotzdem zu zweifeln, solang auch nur die leiseste Möglichkeit einer andern Deutung vorliegt. Muß das, was aufeinander folgt, auch schon deshalb ursächlich miteinander verknüpft sein? Werde nicht ungeduldig, Pätus Thrasea! Ich entwickle hier nur meine Grundsätze. Im übrigen traue ich – ohne Bescheidenheit sei es gesagt – deinem bewährten Scharfblicke mehr als dem meinigen.«

»Und trautest du meinem sogenannten Scharfblick auch nicht, so würdest du meinen Worten doch glauben als denen eines wahrhaftigen Mannes. Ich vermute nicht nur, ich weiß, daß Agrippina die Mörderin ist; ich weiß es aus dem Mund einer Frau, die bei jenem Feste zugegen war und häufig genug mit Agrippina verkehrte, um ihre Eigenheiten zu kennen; ja, die den Dolch, mit dem das Verbrechen geschah, auffand und als eine Waffe der Kaiserin-Mutter erkannte.«

»Beim Herkules,« rief Soranus, »nun schweige ich.«

»Wer ist jene Frau?« erklang es im Chore.

»Ich darf sie nicht nennen.«

»Schade,« versetzte Flavius Scevinus.

»Aber ich kann mir sie denken,« sagte Metella.

»Wo aber fand jene Unbekannte den Dolch?« fragte Barea Soranus.