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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-053-1
Es war ein klarer warmer Morgen, die Hitze des Tages war bereits zu ahnen, aber noch war die Temperatur angenehm. Am blauen Himmel zeigte sich keine Wolke, das Meer war fast spiegelglatt. Leise schwappten die Wellen an den Sandstrand, wo winzige Krebse sich in Windeseile vergruben, sobald sie sich bedroht fühlten. Bruno Hahnfeld legte sein Handtuch auf einen der niedrigen Felsen, die die kleine Bucht einrahmten und lief dann schnell ins Wasser. Er bedauerte es, daß er seiner Schwester und deren Familie nicht schon früher nach Mallorca gefolgt war. Aber er hatte sich nur fünf Tage freimachen können. Heute morgen noch, dann würden sie bereits zurückfliegen. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, daß es auf dieser Insel solche paradiesischen Flecke gab!
Mit langen Zügen schwamm er hinaus. Die versteckt gelegene Sandbucht, die er sich für seine morgendliche Schwimmstunde ausgesucht hatte, war Teil einer größeren, überwiegend felsigen Bucht, und er war in den vergangenen drei Tagen morgens immer ganz allein gewesen. Selbstvergessen legte er sich auf den Rücken und sah in die unglaubliche Bläue über ihm. Daß es so etwas überhaupt gab! Zu Hause in Berlin war das Wetter zumindest am Tag seines Abflugs auch nicht schlecht gewesen, aber dafür hatte es vorher wochenlang eigentlich nur geregnet, es war wirklich katastrophal gewesen. Und einen solchen Himmel wie diesen sah man in Deutschland selbst im Hochsommer nur selten.
Er seufzte und drehte sich wieder um. Als er zum Strand zurückblickte, glaubte er etwas zu sehen, das vorher nicht dagewesen war. Er konnte es jedoch nicht genau erkennen. Er blinzelte, aber das half nichts, er war zu weit weg. Freilich schien es ihm, als bewege sich etwas auf ihn zu. Vielleicht ein anderer früher Schwimmer?
Zuerst war er ärgerlich, denn dieses war sein Paradies, das wollte er nicht mit anderen teilen. Dann mußte er über sich selbst lachen. Als wenn hier nicht Platz genug für viele gewesen wäre! Er wandte dem Strand erneut den Rücken zu und schwamm noch weiter hinaus. Das Wasser war wie Seide, und er träumte davon, ein Fisch zu sein, der sich in seinem Element bewegte – denn so kam es ihm im Augenblick vor, das Wasser: Wie sein Element.
Er war immer ein guter Schwimmer gewesen, aber in Berlin ging er nur selten in eins der Bäder. Die Zeit fehlte ihm einfach. Irgendwie hatte er es bisher nicht geschafft, Schwimmen in seinen Alltag einzubauen. Vielleicht sollte er einen neuen Anlauf machen? Er merkte doch gerade, wie gut ihm das tat.
Nach einer weiteren halben Stunde bekam er Hunger und schwamm langsam zurück. Hoffentlich hatte sein Schwager das Frühstück schon fertig – in diesem Urlaub war nämlich Markus dafür zuständig, weil Lena, Brunos Schwester, es liebte, morgens noch ein wenig länger im Bett zu liegen. Und Ben und Lisa hatten sich bereit erklärt, ihrem Vater morgens zu helfen. Erstaunlicherweise klappte das sogar. Ben war jetzt sechseinhalb, Lisa war gerade fünf geworden.
Als er den Strand erreicht hatte, stieg er langsam aus dem Wasser. Jetzt erst sah er die junge Frau, die sich gerade abtrocknete und ihm entgegensah.
Sie lächelte, als sie sagte: »Sie schwimmen immer ganz schön weit raus.«
»Immer?« fragte er. »Woher wollen Sie das denn wissen?«
»Dies ist jetzt der dritte Morgen, an dem ich Sie sehe«, erklärte sie. »Ich schwimme schon seit Wochen um diese Zeit hier, meistens ganz allein. Aber seit drei Tagen sind Sie da, und an jedem von diesen drei Tagen sind Sie so weit hinausgeschwommen.«
»Ich sehe Sie heute zum ersten Mal«, erwiderte er und stellte fest, daß sie ausgesprochen gut aussah: Dunkle Haare und Augen, ein schöner geschwungener Mund. Ihr Körper war schlank und geschmeidig – eine richtige Traumfrau, dachte er. Typisch für mich, daß ich sie noch nicht einmal bemerkt habe!
»Ich weiß«, sagte sie und zog ihren Bademantel an. »Sie schwimmen länger als ich, ich bin nach Ihnen gekommen und vor Ihnen wieder gegangen. Heute hab ich auf Sie gewartet.«
Er war zu verblüfft, um ihr sofort zu antworten. Schließlich fragte er: »Und warum das?«
»Reine Neugier«, antwortete sie und lächelte wieder.
Es war ein sehr anziehendes Lächeln, das er unwillkürlich erwiderte. »Und?« fragte er. »Ist Ihre Neugier jetzt gestillt? Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie gesehen hab en?«
»Danke, ja«, antwortete sie ernsthaft. »Sehen wir uns morgen?«
»Aber nur, wenn Sie wieder ein bißchen länger bleiben«, sagte er. »Sonst merke ich vielleicht gar nicht, daß Sie dagewesen sind. Außerdem ist morgen mein letzter Tag. Übermorgen fliege ich nach Berlin zurück – zusammen mit meiner Schwester und ihrer Familie. Die habe ich hier für ein paar Tage besucht.«
Er wußte selbst nicht, warum er ihr das alles erzählte – vermutlich wollte er sie noch ein bißchen länger am Strand festhalten.
»Na, so was!« rief sie. »Ich fliege auch übermorgen nach Berlin zurück. Das ist ja ein Zufall, vielleicht haben wir sogar die gleiche Maschine. Wann fliegen Sie denn?«
Aber das konnte Bruno ihr nicht genau sagen. »Ich sehe noch einmal nach, irgendwann am Nachmittag jedenfalls. Und morgens werde ich ganz bestimmt noch einmal schwimmen gehen.« Er wartete auf ihre Reaktion.
Sie ließ nicht lange auf sich warten. »Ich auch«, erklärte sie. »Wir haben also noch zwei Verabredungen miteinander. Bis morgen.«
Sie wandte sich zum Gehen, aber im letzten Augenblick fiel ihm noch eine Frage ein, mit der er sie einige weitere Minuten zurückzuhalten hoffte. »Sie waren wochenlang hier, haben Sie gesagt? Haben Sie hier die ganze Zeit Urlaub gemacht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Gearbeitet«, sagte sie, »aber nun ist der Job vorbei, und ich fliege zurück.« Sie sah seine fragenden Augen und lachte. »Sie sind neugierig!« stellte sie fest. »Ich habe ein paar der heimischen Pflanzen hier untersucht – ich arbeite für ein botanisches Institut.«
»Interessant«, sagte Bruno, und er meinte es auch so. »Klingt aufregend.«
»Und Sie arbeiten bei einer Bank.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Das weiß ich auch nicht. Sie sehen so aus, finde ich.«
»Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung?«
Sie lachte hell auf. »Das können Sie sich selbst aussuchen!«
Mit diesen Worten drehte sie sich um und war so schnell verschwunden, daß er nicht mehr dazu kam, etwas zu erwidern.
Langsam machte er sich auf den Rückweg. Sein Magen knurrte mittlerweile vernehmlich, aber er fühlte sich trotzdem äußerst wohl nach dieser überraschenden und überaus angenehmen Begegnung. Die anderen würden sich schon wundern, wo er so lange blieb. Jetzt ein gutes Frühstück – und dann konnte er bereits anfangen, sich auf den kommenden Morgen zu freuen, an dem er die schöne Meerjungfrau wiedersehen würde.
*
»Na, mein Kleiner«, sagte Carola Senftleben zu dem anderthalbjährigen Jungen, den sie geduldig mit kleinen Bananenstückchen fütterte. »Schmeckt es dir denn?«
»Ja!« Der Junge strahlte und wollte von sich aus nach dem Obst greifen, doch sie zog ihm den Teller weg.
»Das laß mich lieber machen, sonst fliegt die Banane gleich wieder durchs ganze Zimmer, und Desiree muß dann saubermachen. Ich glaube nicht, daß sie dazu große Lust hat.«
Eine Tür klappte, und sie rief: »Sind Sie das, Desiree?«
»Wer sonst?« rief eine fröhliche Stimme zurück. »Ach, Frau Senftleben, das Wasser war wieder so wunderbar, das können Sie sich gar nicht vorstellen.«
»Das kann ich wohl, ich gehe ja gleich selbst schwimmen, sobald Sie Lukas wieder übernommen haben.«
Desiree Döhring betrat den Raum, gab dem Kind einen schmatzenden Kuß auf die winzige Nase, der ihm ein glucksendes Lachen entlockte und schenkte Carola Senftleben ein strahlendes Lächeln. »So eine nette Nachbarin wie Sie hatte ich die ganze Zeit über hier auf Mallorca nicht, Frau Senftleben! Schade, daß Sie nur so kurz hier sind.«
»Sagen Sie das nicht! Mein Nachbar in Berlin verhungert wahrscheinlich in der Zwischenzeit, weil ich nicht für ihn koche.«
»Der junge Arzt, der die Notaufnahme in dieser einen Klinik leitet?«
»In der Kurfürsten-Klinik, jawohl! Als Arzt ist er ganz großartig – aber als Koch! Das können Sie sich nicht vorstellen, Desiree. Ich glaube, er würde es sogar schaffen, eine Tiefkühlpizza zu verderben.«
Desiree lachte, während sie sich Lukas auf den Schoß setzte und die weitere Fütterung übernahm. »Aber er scheint ein netter Mensch zu sein, Ihr Nachtbar.«
»Ein sehr netter!« Carola Senftlebens blaue Augen strahlten. Dr. Adrian Winter war ihr sehr ans Herz gewachsen und sie ihm, das wußte sie. Zwar trennte sie ein Altersunterschied von rund dreißig Jahren, aber das nahmen sie kaum wahr, wenn sie sich miteinander unterhielten. Es gab viele Themen, für die sie sich beide interessierten, gelangweilt hatten sie sich noch nie miteinander.
Erstaunlicherweise ging es ihr mit der jungen Desiree Döhring ähnlich, die sie gleich am ersten Tag ihres Mallorcaurlaubs kennengelernt hatte. Und auch Desiree hatte sich sofort der reizenden älteren Dame aus Berlin angeschlossen, mit der sie sich besser unterhalten konnte als mit vielen Frauen ihres Alters, die hier auf Mallorca nichts anderes im Sinn hatten, als möglichst schnell braun zu werden, einen Mann kennenzulernen und jede Nacht durchzufeiern. Das alles war nichts für Desiree.
»Und?« erkundigte sich Frau Senftleben jetzt. »Haben Sie Ihren Vorsatz in die Tat umgesetzt und ihn angesprochen, den einsamen Schwimmer?«
»Ja, habe ich. Deshalb bin ich so lange weggeblieben, Frau Senftleben. Er schwimmt ja ungefähr eine Stunde.«
»Wie ist er denn so?«
»Ich habe gewartet, bis er aus dem Wasser kam – er war ziemlich überrascht, er hatte nämlich wirklich nicht gemerkt, daß ich morgens auch immer da war. Er ist sehr sympathisch. Und er sieht ziemlich gut aus, groß und blond, mit schönen grauen Augen.«
Carola Senftleben lächelte. »Er gefällt Ihnen also. Haben Sie sich gleich für morgen wieder verabredet?«
»Klar. Und für übermorgen. Stellen Sie sich vor, er ist auch aus Berlin und fliegt übermorgen nach Hause.«
»Zur gleichen Zeit wie wir?« Sie hatten bereits festgestellt, daß sie denselben Rückflug gebucht hatten, worüber sie beide sehr froh waren.
»Das wußte er nicht«, kicherte Desiree. »Er hatte sich die Zeit nicht gemerkt und will es heute nachsehen. Ich denke, er wird es mir morgen sagen.«
»Dann werde ich ihn also vielleicht auch noch kennenlernen. Wie heißt er denn?«
»Vorgestellt haben wir uns noch nicht«, berichtete Desiree.
»Sie haben ja auch noch Zeit!« Carola Senftleben stand auf. »So, Desiree, dann gehe ich jetzt schwimmen. Wissen Sie überhaupt, daß ich hier meine Gewohnheiten völlig geändert habe? Zu Hause liege ich um diese Zeit noch im Bett, dafür geistere ich nachts immer ziemlich lange herum.«
»Und warum machen Sie es hier nicht genauso?«
»Weil es hier morgens am schönsten ist«, erklärte Frau Senftleben. »Um diese Zeit, wenn es noch ruhig ist, finde ich es einfach traumhaft. Wollen wir später vielleicht zusammen einen kleinen Spaziergang machen?«
»Gern, ich muß mit Lukas sowieso raus. Und mit meiner Arbeit bin ich fast fertig, ich kann heute ruhig ein bißchen bummeln.«
»Sie können sich dann ja melden. Jetzt schwimme ich erst einmal, dann frühstücke ich richtig, danach sehen wir weiter. Bis später, Desiree. Tschüß, Lukas.«
»Dadada!« sagte Lukas. Es klang so vergnügt, daß beide Frauen lachen mußten.
*
»Wo warst du denn so lange, Onkel Bruno?« wollte Ben wissen. »Wir sind schon halb verhungert!«
»Ihr hättet doch nicht auf mich warten müssen«, sagte Bruno und setzte sich eilig an den gedeckten Frühstückstisch.
»Aber wir mußten!« rief Bens Schwester Lisa. »Papi hat das von uns verlangt.«