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Markus Dittrich studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam und arbeitet seit 1998 als freier Autor, vor allem für Kinder- und Jugendserien. Erste eigene Comics verfasste er schon im Alter von acht Jahren.

Vincent Andreas lebt als freier Autor und Regisseur in Berlin. Neben Erzählungen, Film- und Hörspieldrehbüchern für Erwachsene schreibt er Kinder- und Jugendliteratur.

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1. Endlich Ferien!

2. Ein rosarotes Prinzesschen

3. Finstere Pläne

4. Der Baulöwe brüllt

5. Ein Kuckuck im Busch

6. Unterm Sternenhimmel

7. Ein Retter in der Not

8. Das Siegel

9. Ein folgenschwerer Anruf

10. Die Prüfung des Siegels

11. Aus und vorbei

12. Bibi zählt eins und eins zusammen

13. Wo ist Fiona?

14. Wahre Freunde

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Eine frische morgendliche Brise wehte durch das offene Fenster herein. Bibi Blocksberg, die kleine Hexe aus Neustadt, kuschelte sich tiefer unter ihre Decke und schnupperte. Es roch nach Sommer, bunter Blumenwiese und frisch gemähtem Gras. Auch der Duft von heißem Kakao zog an ihrer Nase vorbei. Doch der kam nicht von draußen, sondern von unten aus der Küche.

„Mami macht schon Frühstück“, dachte Bibi. Behaglich räkelte sie sich und lauschte dem fröhlichen Vogelgezwitscher vor dem Fenster. Da aber stutzte sie. Noch andere Laute drangen an ihr Ohr: Hühner gackerten, ein Ziegenbock meckerte und ganz entfernt muhte eine Kuh. All diese Tiere gab es doch gar nicht bei ihr zu Hause in Gersthof! Als dann ein Hahn aus voller Kehle „Kikeriki!“ rief, wusste Bibi, wo sie war. So schön krähte nur ein einziger Hahn auf der ganzen Welt. „Na klar!“, dachte Bibi. „Es sind Sommerferien, und ich bin auf dem Martinshof! Hurra!“

„Bibi!“, hörte sie mit einem Mal die vertraute Stimme ihrer Freundin Tina. „Wach auf! Es ist Zeit zum Aufstehen!“

„Ach nö“, murmelte Bibi verschlafen und zog sich die Bettdecke bis über beide Ohren. „Noch fünf Minuten …“

„Kommt nicht in die Tüte, du Schlafmütze!“, lachte Tina. „Wir haben Mutti versprochen, beim Frühstück zu helfen. Die Ferienkinder stehen gleich auf!“ Sie rüttelte Bibi, doch die vergrub sich noch tiefer in ihre Kissen. „Na schön, wenn du nicht hören willst …“

Vorsichtig linste Bibi mit einem Auge unter ihrer Decke hervor. Bestimmt plante Tina eine kleine Gemeinheit, um sie aus dem Bett zu befördern. Vielleicht klatschte sie ihr gleich einen nassen Waschlappen ins Gesicht? Oder überfiel sie mit einer ihrer Kitzelattacken? Aber Tina hatte etwas ganz anderes vor. Plötzlich riss sie ihrer Freundin die Bettdecke weg, und ehe Bibi sichs versah, landete ein Kissen in ihrem Gesicht.

„Na warte“, nuschelte Bibi darunter hervor.

„Das kriegst du zurück!“

Sie packte das Kissen an einem Zipfel und schleuderte es in Tinas Richtung. Tina war darauf vorbereitet und duckte sich noch rechtzeitig. Das Kissen flog über ihren Kopf hinweg und verfehlte knapp die Deckenlampe.

„Daneben! Daneben!“, rief sie und spurtete zu ihrem Schreibtisch, auf dem das Kissen gelandet war.

„Ich hab ja noch mein eigenes …“, dachte Bibi. Sie wartete, bis Tina sich umdrehte, und diesmal verfehlte sie die Freundin nicht. Mit vollem Schwung landete das Kissen in ihrem Gesicht.

Schon war die schönste Schlacht im Gange! Lachend warfen Bibi und Tina sich die Kissen um die Ohren, dass die Federn nur so flogen. Mal traf die eine, mal die andere, und genauso oft gingen die Würfe daneben. Beinahe hätte die Zimmerpflanze auf Tinas Bücherregal dran glauben müssen, und Bibi fegte aus Versehen ihre Lampe vom Nachttisch. Dabei sprangen die beiden Mädchen von einem Bett zum anderen, jagten sich kreuz und quer durch das ganze Zimmer, bis die beiden nicht mehr konnten und am Ende vollkommen außer Atem auf dem Boden lagen.

„Frieden?“, japste Tina.

„Na schön, ausnahmsweise …“, keuchte Bibi.

Da hörten sie, wie Frau Martin von unten aus der Diele nach ihnen rief: „Tina! Bibi! Ihr wolltet mir doch beim Frühstück helfen!“

Erschrocken warf Tina einen Blick auf ihren Wecker, den sie versehentlich mit einem Kissenwurf unter ihr Bett befördert hatte. Es war schon kurz nach sieben! Auweia, jetzt aber schnell!

„Wir kommen gleich, Mutti!“, rief Tina und rappelte sich auf.

Es blieb nur noch Zeit für eine kurze Katzenwäsche im Bad. Zurück in Tinas Zimmer schlüpften die beiden hastig in ihre Klamotten: T-Shirt und Reithose.

Tina warf noch einen Blick auf das Durcheinander, das die beiden mit ihrer Kissenschlacht angerichtet hatten. „Besser Mutti sieht das nicht“, murmelte sie. „Bei dem Stress, den sie momentan hat, findet sie das bestimmt nicht lustig.“

„Nach dem Frühstück räumen wir ganz schnell auf“, beruhigte Bibi ihre Freundin. „Und weißt du, was wir dann machen?“

„Na klar!“, rief Tina und schloss die Tür hinter dem Chaos. „Wir haben bis zum Mittagessen Freizeit: Wir machen einen Wettritt!“

„Den Sabrina und ich natürlich gewinnen werden“, sagte Bibi und grinste breit.

„Von wegen!“, gab Tina zurück. „Amadeus und ich sind in Bestform! Ihr habt keine Chance!“

„Du meinst wie in den Osterferien, als ich eine ganze Minute vor euch am Ziel war?“, spöttelte Bibi. Das konnte Tina natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und so liefen die beiden laut lachend und sich neckend die Treppe zum Erdgeschoss hinunter.

Kurze Zeit später trudelten die ersten Kinder im gemütlichen Frühstücksraum des Martinshofs ein. Sie rieben sich verschlafen die Augen und gähnten, als sie an den langen Tischen Platz nahmen. Es gab knusprige Brötchen, saftig gelbe Butter, süße Marmelade aus Früchten vom Martinshof und Kakao oder Früchtetee.

„Mmh, Himbeere – meine Lieblingsmarmelade!“, rief Linus, ein kleiner Frechdachs mit Stupsnase und einem Gesicht voller Sommersprossen.

„He, ich will auch was davon haben!“, protestierte seine kleine Schwester Lena.

„Nicht streiten, es ist genug da!“, lachte Tina.

„Guten Morgen zusammen!“ Das Stimmengewirr verstummte, als Tinas Bruder Holger den Raum betrat. Alle grüßten fröhlich zurück, dann wandte sich Holger an die Älteren in der Gruppe: „Na? Wer macht heute beim Springreiten mit?“

Bibi und Tina zwinkerten sich schmunzelnd zu, als auf Holgers Frage hin zuerst die Mädchen der Gruppe blitzschnell ihre Arme erhoben und um die Wette „Ich! Ich!“ riefen. Der achtzehnjährige, blonde Holger war bei den Mädchen sehr beliebt! Doch auch die Jungen mochten ihn gerne, nicht zuletzt weil er ein toller Reitlehrer war, und so gab es unter den älteren Ferienkindern niemanden, der nicht bei Holgers Springreitunterricht mitmachen wollte.

Für die Kleineren hatten sich Bibi und Tina etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Nach dem Mittagessen wollten sie zu einem zweitägigen Ausflug aufbrechen! Da sie in der Nähe zelten wollten, würde Holger von Zeit zu Zeit nach ihnen sehen.

Geplant war, dass diejenigen, die noch nie auf einem Pferd gesessen hatten, auf dem großen hölzernen Leiterwagen mitfahren sollten, den wie immer die Ponys Max und Moritz zogen. Die restlichen Kinder saßen auf den anderen Ponys, und Bibi, Tina und Alex würden natürlich auf ihren Pferden reiten. Ihr Ziel würde die Alte Mühle sein, wo sie am Ufer des Mühlenteichs in Zelten übernachten wollten.

„Das wird bestimmt voll cool!“, schmatzte Linus, der bereits an einem zweiten Marmeladenbrötchen kaute. Zusammen mit seiner Schwester war auch er bei dem Ausflug dabei.

Tina freute sich schon sehr auf den Ausflug. Ihr und Bibi machte es immer wieder großen Spaß, sich um die Ferienkinder zu kümmern. Diesmal aber war die Vorfreude besonders groß, denn ihr Freund Alexander von Falkenstein würde dabei sein!

„Na? Denkst du schon an einen romantischen Abend am Lagerfeuer?“, neckte Bibi die Freundin.

Tina wurde rot und warf Bibi einen verärgerten Blick zu. Sie konnte es nicht leiden, wenn sie mit Alex aufgezogen wurde.

„Erst mal abwarten, ob der Abend so romantisch wird“, erwiderte sie. „Wahrscheinlich sind die Kleinen so aufgekratzt, dass sie uns die ganze Zeit auf der Nase herumtanzen.“

Diese Befürchtung hatte sie aber nicht wirklich. Bestimmt würden sich die Kinder nach dem Tag an der frischen Luft hundemüde in ihre Schlafsäcke kuscheln. So ein Ausflug mit Pferden und Zelten war für sie schließlich eine aufregende Sache.

Damit stand also der Tagesplan für die großen und kleinen Ferienkinder fest, und nachdem alle aufgegessen hatten, räumten Bibi und Tina die Tische ab und flitzten hinauf in Tinas Zimmer. Dort beseitigten sie schnell das von ihnen angerichtete Durcheinander, um kurz darauf mit den Reithelmen in der Hand wieder die Treppe hinunterzulaufen.

Tina wollte ihrer Mutter noch schnell Tschüss sagen und ging mit Bibi zum Büro. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Die beiden Mädchen hörten, dass Frau Martin telefonierte. Es schien um eine ernste Sache zu gehen, denn sie machte immer wieder nachdenklich „hm, hm …“ und „so, so“. Leise betraten Bibi und Tina das Büro.

„Ja, es wäre noch ein Bett in einem Viererzimmer frei“, sagte Frau Martin in den Hörer. „Ihrer Fiona muss aber klar sein, dass wir kein Luxushotel sind! Wenn Sie meinen, dass das gut geht, bringen Sie das Mädchen doch einfach gleich vorbei.“ Sie verabschiedete sich und legte auf.

„Wer war das denn, Mutti?“, fragte Tina. „Du klangst irgendwie genervt.“

Frau Martin zögerte mit der Antwort. „Ach, das ist bestimmt nur so ein dummes Vorurteil von mir“, begann sie. „Das war die Sekretärin eines Bauunternehmers. Er heißt Ole Obermeier und hat für seine Tochter Fiona in diesen Ferien keinen Platz mehr in dem Ferienclub gefunden, in dem sie sonst immer unterkommt. Da er sich wegen wichtiger Termine nicht um sie kümmern kann, hat seine Sekretärin überall herumtelefoniert und ist schließlich auf uns gekommen.“

„Diese Fiona macht sonst Ferien in Ferienclubs?“, fragte Bibi. „In solchen Nobelschuppen, wo sie zum Reiten nur reinrassige Vollblutaraber haben und die Mädchen in Einzelzimmern schlafen?“

„Na ja, so ungefähr“, sagte Frau Martin. „Ich will nicht, dass sie hier alles schlecht findet und eine miese Stimmung verbreitet. Aber wahrscheinlich mache ich mir zu viele Gedanken. Jedenfalls habe ich mich überreden lassen, und Fiona wird noch heute Nachmittag hier eintreffen.“

Damit war für Frau Martin das Thema „Fiona Obermeier“ beendet, und sie wandte sich wieder der Büroarbeit auf ihrem Schreibtisch zu. Bibi und Tina verabschiedeten sich mit einem „Bis später!“ und liefen dann hinaus auf den Hof.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Es würde ein heißer Sommertag werden. Der Ziegenbock Hoheit lag träge unter einem Baum und döste. Die Ente Ducky planschte mit den anderen Enten in dem kleinen Teich neben dem Toreingang, und das kleine Kälbchen Käthe trank mit großen Schlucken aus dem Trog an der Wasserpumpe.

Doch im Stall war es noch angenehm kühl. Sabrina und Amadeus erkannten die beiden Mädchen an dem Klang ihrer Stimmen und begrüßten sie mit einem freudigen Wiehern.

Bibi schien es eine Ewigkeit her zu sein, dass sie ihre Sabrina gesehen hatte. Gestern war sie so spät auf dem Martinshof eingetroffen, dass sie ihr Lieblingspferd nicht mehr hatte begrüßen können. Jetzt herzte und drückte Bibi sie, und Sabrina gab ihr einen liebevollen Stups mit ihrer samtigen Pferdeschnauze. Die bildhübsche Schimmelstute schien sich ebenso auf den Ausritt zu freuen wie der Fuchs Amadeus. Beide schnaubten behaglich, als Bibi und Tina sie bürsteten und striegelten.

Nachdem die beiden Mädchen sie gesattelt und aufgetrenst hatten, saßen sie auf, gaben leichten Schenkeldruck, und die beiden Pferde setzten sich in Bewegung. Die Hennen Berta und Hanna gackerten aufgeregt, als die zwei Reiterinnen im Schritttempo an ihnen vorbeiritten. Erst als sie das Hoftor hinter sich gelassen hatten, trieben die beiden Freundinnen ihre Pferde zu höherem Tempo an.

„Wer zuerst an der Alten Eiche ist!“, rief Tina ihrer Freundin zu.

„Alles klar!“, rief Bibi zurück. „Du kannst dich schon mal warm anziehen! – Hü, Sabrina!“

„Amadeus, los!“, feuerte Tina ihren Hengst an. Dann preschten sie im Galopp über die Wiesen hinter dem Martinshof davon.

Das satte grüne Gras der hügeligen Weidelandschaft rund um den Martinshof schien unter Sabrina dahinzufliegen, und Bibi hörte nur noch das Donnern der Hufe und das Brausen des Windes in ihren Ohren. Ihr blonder Zopf, der unter dem Reithelm hervorlugte, flatterte. Als Bibi eine kleine Anhöhe hinaufritt, sah sie in der Ferne die Türme und Zinnen von Schloss Falkenstein aus den Wipfeln der Bäume herausragen. Ihr Herz machte vor Freude einen Sprung, und als sie ihre Freundin Tina im Augenwinkel neben sich galoppieren sah, wurde ihr wieder einmal bewusst: Es gab einfach nichts Schöneres als Ferien auf dem Martinshof!

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Alex quetschte seinen Schlafsack ganz eng zusammen in eine seiner Satteltaschen. Endlich ging der Verschluss zu! Hatte er jetzt alles eingepackt? Seine Waschtasche und die Klamotten zum Wechseln hatte er in der linken Satteltasche verstaut, oben drauf hatte er das Campinggeschirr gepackt, und in der rechten Tasche befanden sich nun der Schlafsack und seine Taschenlampe. Und hier waren die Riemen, mit denen man das Zelt festschnallen konnte, und dort …

„Oh Mann! Das Zelt!“, dachte Alex. Beinahe hätte er das Wichtigste vergessen!

Aber wo war das Zelt? Er hatte es das letzte Mal benutzt, als er mit seinem Vater einen Wanderritt durch die ungarische Puszta gemacht hatte. Aber das war nun schon einige Zeit her. In seinem Zimmer war das Zelt eindeutig nicht. Tina machte sich immer lustig darüber, wie penibel aufgeräumt es bei ihm war. Alex hingegen fand diese Ordnung sehr praktisch. Jetzt zum Beispiel sah er auf einen Blick, dass das Zelt hier nirgendwo herumlag. Wahrscheinlich hatte es sein Vater mit den anderen Gepäckstücken aus Ungarn irgendwo im Schloss verstauen lassen. Nur … seinen Vater wollte Alex jetzt lieber nicht fragen.