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Foto: Monika Schulz-Fieguth

Manfred Kriegelstein wurde 1951 in Berlin (West) geboren und beschäftigt sich seit 1977 autodidaktisch mit Fotografie. Seit dieser Zeit ist er auch Mitglied im Deutschen Verband für Fotografie (DVF). Bei internationalen Fotowettbewerben und Ausstellungen wurden ihm mehr als tausend Auszeichnungen und Preise verliehen. Er gilt damit als erfolgreichster deutscher Teilnehmer seit Bestehen internationaler Fotosalons.

Kriegelstein ist Autor der bei der »edition q Berlin« erschienenen Fotobände »Ästhetik der Photographie«, »Farbe im Schwarz – Lanzarote« und »Rückseite einer Stadt – Berlin-Kreuzberg«. Letzterer wurde mit dem Kodak Fotobuchpreis ausgezeichnet!

Kriegelsteins Abhandlungen über Fragen der Fotografie wurden in zahlreichen Publikationen veröffentlicht, seine fotografischen Arbeiten in ca. 100 Einzelausstellungen weltweit gezeigt.

1984 wurde er in die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) berufen.
1987 erhielt er für seine fotografischen Leistungen den Ehrentitel »Maître Photographe de la FIAP« (MFIAP) der Fédération Internationale de l'Art Photographique.

Kriegelstein ist Juror bei nationalen und internationalen Fotowettbewerben und Mitautor des aktuellen Juryhandbuchs des DVF.

Seit über 20 Jahren leitet er Fotoworkshops und Seminare, insbesondere zu Fragen der Bildgestaltung und Bildbewertung sowie moderner Drucktechniken. Seine Leidenschaft gilt seit Jahren der konzeptionellen Fotografie und dem Fine Art Druck. Sein Atelier in Potsdam ist beliebter Treffpunkt gleichgesinnter Fotografen.

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Manfred Kriegelstein

Die Kunst des Sehens

Fotografie – Verborgenes sichtbar machen

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Lektorat: Gerhard Rossbach

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

ISBN:

1. Auflage 2017

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Interview mit Manfred Kriegelstein

Die Essenz der Fotografie

Fotografie ist Reduktion und Abstraktion

Das einfache Bild

Der Hintergrund

Gesetze der Bildgestaltung

Neue Bildinhalte

Fotografie ist Emotion und Achtsamkeit

Fotografie ist Zeichnen mit Licht

Fotografie ist auch Regie und Inszenierung

Fotografie ist Kreativität und Fantasie

Kuba – nostalgisch gesehen

Fantasie & Collage

Surreale Welten

Venedig Vintage

Gedanken zur Fotografie

Die Phasen der fotografischen Entwicklung

Auf einen Pfau folgen immer Pfauen

Bildbetrachtung – Bildbeurteilung – Bildbewertung

Das Plagiat

Die fotografische Handschrift

Files oder Fine-Art?

Gibt es eine Bildsprache?

Die hilfreichen Vier

Wann drücken Sie ab?

Was ist ein gutes Bild?

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VORWORT

»There is nothing worse than

a sharp image of a fuzzy concept«

Ansel Adams

Diesen Satz hat Ansel Adams vor mehr als 50 Jahren geprägt, in einer Zeit, in der Fotografen mit Filmrollen oder Planfilm unterwegs waren, also jede Aufnahme mit Bedacht vorbereiten mussten.

Heute ist die Fotografie schneller, die Zahl der Bilder exponentiell gewachsen. Die Versuchung ist groß, der technischen Perfektion des Equipments freien Lauf zu lassen, um damit korrekt belichtete und scharfe Fotografien zu produzieren – und je müheloser dies geschieht desto weniger scheinen wir dem Moment der Aufnahme noch unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Es entstehen häufig die von Ansel Adams beklagten technisch perfekten aber konzeptionslosen und uninspirierten Fotografien.

Mit dem Buch »Die Kunst des Sehens« gibt Manfred Kriegelstein Anregungen, wie wir uns als Fotografen aus dem »Autopilotmodus«, aus dem häufig durch Technik und Regeln geprägten Trott unseres fotografischen Tuns befreien und unsere Sinne schärfen für die eigentliche Essenz der Fotografie: Das Sehen.

Das fotografische Sehen geht dabei jedoch über den rein kognitiven Vorgang hinaus, es erfordert die Aufmerksamkeit, Geduld und Konzentration des Fotografen, die Besonderheiten, die Unscheinbarkeiten seiner Umgebung zu erfassen, die Lichtsituation zu erkennen, um daraus eine Idee, eine Konzeption für seine Aufnahme zu entwickeln. Das fotografische Sehen ist eine Fähigkeit, die tiefer verwurzelt ist, die Offenheit und Achtsamkeit erfordert, um ohne Bedingung und ohne Agenda das »hier und jetzt« zu erfassen.

Manfred Kriegelstein zeigt mit seinen eigenen Arbeiten, wie konzeptionelle Fotografie mit einem künstlerischen Anspruch gelingen kann. Er lässt uns teilhaben an seiner eigenen fotografischen Entwicklung, an seiner Erfahrung, die ihn zu einem erfolgreichen Fotografen gemacht haben. Lassen Sie sich inspririeren und motivieren durch unterschiedliche Wege, die zum gleichen Ziel führen: Bessere Fotografie durch aufmerksames Sehen und planvolles Vorgehen.

Gerhard Rossbach

August 2017

INTERVIEW MIT MANFRED KRIEGELSTEIN

GR: Die Seele der Kamera ist der Fotograf und das Auge der Kamera ist nicht das Objektiv – sondern das Auge des Fotografen. Also ist es konsequent, dem »fotografischen Sehen« mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aber kann man das lernen? Und wie?

MK: Ja, man kann. Aber es ist keine Technik, die man anwendet, sondern ein Prozess, der in der Regel Zeit braucht und auf den man sich einlassen muss. Wir sollten akzeptieren, dass sich unser fotografisches Sehen eher langsam entwickelt und nicht sofort präsent ist.

Es ist ja nicht nur für den Fotografen erstrebenswert, seine Umgebung wirklich wahrzunehmen, gerade in einer Zeit, in der unsere Sinne permanent unter Stress gesetzt werden, wir mit allen möglichen Bildern und virtuellen Realitäten beschossen werden. Da ist es ganz schwer, sich auf das Hier und Jetzt einzulassen. Das fotografische Sehen beinhaltet ja mehr als nur »Erkennen«. Es schließt das Erfassen vieler Eindrücke ein, zum Beispiel der Lichtstimmung. Oder interessanter formaler Strukturen einer bestimmten Szene oder besonderer Farbharmonien. Oder das Erfassen einer Situation oder einer Geschichte, die sich vor unseren Augen entwickelt. Oft ist es ja so, dass diese Dinge dynamisch ablaufen, sich die Situation permanent verändert. Man braucht dann ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration, um das zu erfühlen oder manchmal auch zu antizipieren.

Aber wie gesagt, das ist das Wunderbare an der Fotografie: Wenn man sich wirklich darauf einlässt, dann wird man dieses fotografische Sehen auch entwickeln, es braucht Übung, Zeit und kritische Selbstreflektion.

Doch was fast noch mehr zählt als die Befähigung, ist die Bereitschaft, mit dem Sehen Schritt zu halten, sich auf diese persönliche Entwicklung einzulassen und sich so neue Ausdrucksmöglichkeiten zu erschließen, um letztlich das Höchste zu erreichen, was möglich ist – eine individuelle fotografische Handschrift.

GR: Ich würde dich gerne mal »virtuell« auf einer deinen Fotoexkursionen begleiten. Erzähl mal, wie läuft das typischerweise ab? Bist du da lieber alleine unterwegs? Gehst du mit einem konkreten Plan los oder lässt du dich vor Ort lieber »achtsam treiben«?

MK: Mal so, mal so – was das Planen oder Treibenlassen angeht. Oft hat man ja ein Ziel, von dem man weiß oder zumindest vermutet, dass es »fotografisch ergiebig« sein wird. Ist die Lichtsituation passend, hat man also schon vorher eine Vorstellung von der Szene vor Ort, die man dann ansteuert. Sehr häufig ist man aber auch ohne Ziel unterwegs und stößt auf Unerwartetes. Für mich ist das eigentlich die spannendere Sache, die aber halt nur funktioniert, wenn man für Unerwartetes auch aufnahmefähig ist – womit wir wieder beim Sehen sind, also bei der Aufmerksamkeit und Konzentration, mit der wir uns als Fotografen bewegen sollten.

In jedem Fall fällt es mir leichter, alleine zu fotografieren als in der Gruppe. Da geht mir oft etwas die Konzentration verloren und das, was ich als »Flow« bezeichnen möchte, also das vollständige Ausblenden externer Reize und die Fokussierung auf den Ort und den Moment. Natürlich bin ich in den Seminaren und Workshops auch mit meinen Teilnehmern zum Fotografieren unterwegs, vermeide dann aber, fotografisch vorneweg zu gehen, also Motive zu zeigen und selbst die Initiative zu ergreifen. Das führt nämlich immer zu einem bloßen Kopieren, indem sich die anderen dann an der gleichen Stelle postieren und alle mehr oder weniger das gleiche Bild schießen. Eher versuche ich dann, die Teilnehmer in ihrem eigenen Sehen und in ihrer eigenen Umsetzung zu unterstützen.

Ich habe mal gesagt, der Fotograf ist bei seiner Arbeit ein einsamer Wolf – aber gelegentlich braucht er die Wärme des Rudels. Spätestens bei der Diskussion und Bildkritik

GR: Wie viel Zeit nimmst du dir, wenn du ein Sujet, eine Situation entdeckt hast? Kommst du häufiger zum gleichen Platz zurück?

MK: Zunächst einmal bin ich da in gewisser Weise ein Sonderfall, weil mich seit vielen Jahren ein Thema gepackt hat, an dem ich immer wieder arbeite, die »Ästhetik der Vergänglichkeit«. Das Thema selbst führt mich natürlich auch häufig an Plätze zurück, die ich vorher schon besucht habe, oft auch mehrfach. Aber der Moment ist immer wieder ein anderer, das Licht hat sich verändert und meine eigene Stimmung ist natürlich auch unterschiedlich. Daraus entstehen dann auch sehr verschiedene Bilder eines gleichen oder ähnlichen Sujets. Aber eines ist mir dabei aufgefallen. Die Bilder werden in der Regel besser, je öfter ich zu einem Ort zurückkomme. Das liegt aber auch daran, dass ich bestimmte Bilder im Kopf habe, die ich versuche zu finden, das heißt, ich habe zumindest ein Konzept, manchmal auch ein fertiges Bild im Kopf – und finde das dann häufig genau so oder zumindest ähnlich vor Ort.

Ja, und ich nehme mir definitiv Zeit für meine Fotoprojekte oder Shootings. Das ist enorm wichtig. »Ich geh jetzt mal eine Stunde fotografieren« funktioniert bei mir irgendwie nicht, das muss »open ended« sein, wenn es nötig ist. Es kann selbst vor der Haustür in Berlin einen ganzen Tag oder ein Wochenende dauern oder viele Wochenenden, wenn ich an einer größeren Sache bin.

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Und vor Ort nehme ich mir viel Zeit. Oft stelle ich auch das Equipment erst mal weg, hole mein Thermoskännchen raus und stimme mich bei einer Tasse Tee ein.

GR: Du hast dir einen Ruf als guter Fotograf über die Jahre erarbeitet, hast zahlreiche Preise gewonnen, Ausstellungen gehabt. Schreibst aber auch regelmäßig zum Thema Fotografie und gibst Workshops. Betrachtest du dich als Künstler oder eher als Lehrer? Und schadet der Lehrer dem Künstler? Hintergrund der Frage: Es gibt Fotografen, die sich bewusst aus der Didaktik, aus dem Bücherschreiben und dem Seminargeschäft raushalten, weil sie um ihre künstlerische oder professionelle Anerkennung fürchten.