Inhaltsverzeichnis

Erster Teil: Die Grafschaft Ruppin
Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur zweiten Auflage
Vorwort zur Volksausgabe
Am Ruppiner See
Wustrau
Karwe
Radensleben
Neuruppin
Die Ruppiner Garnison
Regiment Prinz Ferdinand Nr. 34 1742 bis 1806
Regiment Mecklenburg-Schwerin Nr. 24
Rheinsberg
Rheinsberg
Zwischen Boberow-Wald und Huwenow-See oder Der Rheinsberger Hof von 1786 bis 1802
Köpernitz
Zernikow
Die Ruppiner Schweiz
Die Ruppiner Schweiz
Am Molchow- und Zermützel-See
Die Menzer Forst und der Große Stechlin
Die Menzer Forst und der Große Stechlin
Walchow
Protzen
Garz
Das Dosse-Bruch
Neustadt a. D.
Wusterhausen a. D.
Trieplatz Ein Kapitel von den Rohrs
Tramnitz
Auf dem Plateau
Ganzer
Gottberg
Kränzlin
Lindow
Gransee
Gentzrode

Zweiter Teil: Das Oderland
Vorwort zur dritten Auflage
Das Oderbruch und seine Umgebungen
Von Frankfurt bis Schwedt
Das Oderbruch
Freienwalde
Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens
Buckow
Der große und der kleine Tornow-See
Möglin
Quilitz oder Neu-Hardenberg
Friedland
Kunersdorf
Gusow
Schloß Friedersdorf
Jenseits der Oder
Küstrin
Tamsel
I
Tamsel
II
Zorndorf
Auf dem Hohen-Barnim
»Der Blumenthal«
Prädikow
Schloß Kossenblatt
Steinhöfel
Von Sparren-Land und Sparren-Glocken
Am Werbellin
Das Pfulen-Land

Dritter Teil: Havelland
Vorwort zur zweiten Auflage
Havelland
Die Wenden und die Kolonisation der Mark durch die Zisterzienser
Die Wenden in der Mark
Die Zisterzienser in der Mark
Kloster Lehnin
Die Lehninsche Weissagung
Kloster Chorin
Spandau und Umgebung
Sankt Nikolai zu Spandau
Das Havelländische Luch
Der Brieselang
Der Eibenbaum im Parkgarten des Herrenhauses
Schloß Oranienburg
Tegel
Die Seeschlacht in der Malche
Das Belvedère im Schloßgarten zu Charlottenburg
Potsdam und Umgebung
Die Havelschwäne
Die Pfaueninsel
Groß Glienicke
Fahrland
Die Fahrlander Chronik
Sacrow
Bornstedt
Wer war er?
Marquardt
Geheime Gesellschaften im achtzehnten Jahrhundert
Uetz
Paretz I
II
Etzin
Falkenrehde
Zwei »heimlich Enthauptete«
Wust
Der Schwielow und seine Umgebung
Der Schwielow
Caputh
Petzow
Baumgartenbrück
Alt Geltow
Neu Geltow
Werder
Die Werderschen
Glindow

Vierter Teil: Spreeland
Vorwort
In den Spreewald
In den Spreewald
Zwischen Spreewald und Wendischer Spree
Eine Osterfahrt in das Land Beeskow-Storkow
Die Wendische Spree
An Bord der »Sphinx«
An der Spree
Schloß Köpenick
Die Müggelsberge
Der Müggelsee
Rahnsdorf
Friedrichsfelde I
Friedrichsfelde II
Rechts der Spree
Buch
Falkenberg
Blumberg
Werneuchen
Malchow
Kienbaum
Links der Spree
Eine Pfingstfahrt in den Teltow
Kleinmachenow oder Machenow auf dem Sande
Großbeeren
Geist von Beeren
Berlin in den Tagen der Schlacht von Großbeeren
Löwenbruch
Schloß Beuthen
Saalow
Gröben und Siethen
Gröben und Siethen
Der Scharnhorst-Begräbnisplatz auf dem Berliner Invalidenkirchhof
An der Nuthe
Saarmund und die Nutheburgen
Blankensee
Trebbin
Schlußwort
Theodor Fontane

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

(Alle 5 Bände)

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musaicumbooks@okpublishing.info
2019 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1518-8

Erster Teil: Die Grafschaft Ruppin

Vorwort zur ersten Auflage

Inhaltsverzeichnis

»Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen.« Das hab ich an mir selber erfahren, und die ersten Anregungen zu diesen »Wanderungen durch die Mark« sind mir auf Streifereien in der Fremde gekommen. Die Anregungen wurden Wunsch, der Wunsch wurde Entschluß.

Es war in der schottischen Grafschaft Kinross, deren schönster Punkt der Leven-See ist. Mitten im See liegt eine Insel, und mitten auf der Insel, hinter Eschen und Schwarztannen halb versteckt, erhebt sich ein altes Douglas-Schloß, das in Lied und Sage vielgenannte Lochleven Castle. Es sind nur Trümmer noch, die Kapelle liegt als ein Steinhaufen auf dem Schloßhof, und statt der alten Einfassungsmauer zieht sich Weidengestrüpp um die Insel her; aber der Rundturm steht noch, in dem Queen Mary gefangensaß, die Pforte ist noch sichtbar, durch die Willy Douglas die Königin in das rettende Boot führte, und das Fenster wird noch gezeigt, über dessen Brüstung hinweg die alte Lady Douglas sich beugte, um mit weit vorgehaltener Fackel dem nachsetzenden Boote den Weg und womöglich die Spur der Flüchtigen zu zeigen.

Wir kamen von der Stadt Kinross, die am Ufer des Leven-Sees liegt, und ruderten der Insel zu. Unser Boot legte an derselben Stelle an, an der das Boot der Königin in jener Nacht gelegen hatte, wir schritten über den Hof hin, langsam, als suchten wir noch die Fußspuren in dem hochaufgeschossenen Grase, und lehnten uns dann über die Brüstung, an welcher die alte Lady Douglas gestanden und die Jagd der beiden Boote, des flüchtigen und des nachsetzenden, verfolgt hatte. Dann umfuhren wir die Insel und lenkten unser Boot nach Kinross zurück, aber das Auge mochte sich nicht trennen von der Insel, auf deren Trümmergrau die Nachmittagssonne und eine wehmütig-unnennbare Stille lag.

Nun griffen die Ruder rasch ein, die Insel wurd ein Streifen, endlich schwand sie ganz, und nur als ein Gebilde der Einbildungskraft stand eine Zeitlang noch der Rundturm vor uns auf dem Wasser, bis plötzlich unsre Phantasie weiter in ihre Erinnerungen zurückgriff und ältere Bilder vor die Bilder dieser Stunde schob. Es waren Erinnerungen aus der Heimat, ein unvergessener Tag.

Auch eine Wasserfläche war es; aber nicht Weidengestrüpp faßte das Ufer ein, sondern ein Park und ein Laubholzwald nahmen den See in ihren Arm. Im Flachboot stießen wir ab, und sooft wir das Schilf am Ufer streiften, klang es, wie wenn eine Hand über knisternde Seide fährt. Zwei Schwestern saßen mir gegenüber. Die ältere streckte ihre Hand in das kühle, klare Wasser des Sees, und außer dem dumpfen Schlag des Ruders vernahm ich nichts als jenes leise Geräusch, womit die Wellchen zwischen den Fingern der weißen Hand hindurchplätscherten. Nun glitt das Boot durch Teichrosen hin, deren lange Stengel wir (so klar war das Wasser) aus dem Grunde des Sees aufsteigen sahen; dann lenkten wir das Boot bis an den Schilfgürtel und unter die weit überhängenden Zweige des Parkes zurück. Endlich legten wir an, wo die Wassertreppe ans Ufer führt, und ein Schloß stieg auf mit Flügeln und Türmen, mit Hof und Treppe und mit einem Säulengange, der Balustraden und Marmorbilder trug. Dieser Hof und dieser Säulengang, die Zeugen wie vieler Lust, wie vielen Glanzes waren sie gewesen? Hier über diesen Hof hin hatte die Geige Grauns geklungen, wenn sie das Flötenspiel des prinzlichen Freundes begleitete; hier waren Le Gaillard und Le Constant, die ersten Ritter des Bayard-Ordens, auf und ab geschritten; hier waren in buntem Spiel, in heiterer Ironie, fingierte Ambassaden aus aller Herren Länder erschienen, und von hier aus endlich waren die heiter Spielenden hinausgezogen und hatten sich bewährt im Ernst des Kampfs und auf den Höhen des Lebens. Hinter dem Säulengange glitzerten die gelben Schloßwände in aller Helle des Tags, kein romantischer Farbenton mischte sich ein, aber Schloß und Turm, wohin das Auge fiel, alles trug den breiten historischen Stempel. Von der andern Seite des Sees her grüßte der Obelisk, der die Geschichte des Siebenjährigen Krieges im Lapidarstil trägt.

So war das Bild des Rheinsberger Schlosses, das, wie eine Fata Morgana, über den Leven-See hinzog, und ehe noch unser Boot auf den Sand des Ufers lief, trat die Frage an mich heran: So schön dies Bild war, das der Leven-See mit seiner Insel und seinem Douglas-Schloß vor dir entrollte, war jener Tag minder schön, als du im Flachboot über den Rheinsberger See fuhrst, die Schöpfungen und die Erinnerungen einer großen Zeit um dich her? Und ich antwortete: nein.

Die Jahre, die seit jenem Tag am Leven-See vergangen sind, haben mich in die Heimat zurückgeführt, und die Entschlüsse von damals blieben unvergessen. Ich bin die Mark durchzogen und habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte. Jeder Fußbreit Erde belebte sich und gab Gestalten heraus, und wenn meine Schilderungen unbefriedigt lassen, so werd ich der Entschuldigung entbehren müssen, daß es eine Armut war, die ich aufzuputzen oder zu vergolden hatte. Umgekehrt, ein Reichtum ist mir entgegengetreten, dem gegenüber ich das bestimmte Gefühl habe, seiner niemals auch nur annähernd Herr werden zu können; denn das immerhin Umfangreiche, das ich in nachstehendem biete, ist auf im ganzen genommen wenig Meilen eingesammelt worden: am Ruppiner See hin und vor den Toren Berlins. Und sorglos hab ich es gesammelt, nicht wie einer, der mit der Sichel zur Ernte geht, sondern wie ein Spaziergänger, der einzelne Ähren aus dem reichen Felde zieht.

Es ist ein Buntes, Mannigfaches, das ich zusammengestellt habe: landschaftliches und Historisches, Sitten- und Charakterschilderung – und verschieden wie die Dinge, so verschieden ist auch die Behandlung, die sie gefunden. Aber wie abweichend in Form und Inhalt die einzelnen Kapitel voneinander sein mögen, darin sind sie sich gleich, daß sie aus Liebe und Anhänglichkeit an die Heimat geboren wurden. Möchten sie auch in andern jene Empfindungen wecken, von denen ich am eignen Herzen erfahren habe, daß sie ein Glück, ein Trost und die Quelle echtester Freuden sind.

Berlin, im November 1861

Th. F.

Vorwort zur zweiten Auflage

Inhaltsverzeichnis

Statt eines regelrechten Vorwortes heute lieber ein Wort über »reisen in der Mark«.

Ob du reisen sollst, so fragst du, reisen in der Mark? Die Antwort auf diese Frage ist nicht eben leicht. Und doch würd es gerade mir nicht anstehn, sie zu umgehen oder wohl gar ein »nein« zu sagen. So denn also »ja«. Aber »ja« unter Vorbedingungen. Laß mich Punkt für Punkt aufzählen, was ich für unerläßlich halte.

Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst Liebe zu »Land und Leuten« mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß den guten Willen haben, das Gute gut zu finden, anstatt es durch krittliche Vergleiche totzumachen.

Der Reisende in der Mark muß sich ferner mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben. Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen. »Auch die häßlichste« – sagt das Sprichwort – »hat immer noch sieben Schönheiten.« Ganz so ist es mit dem »Lande zwischen Oder und Elbe«; wenige Punkte sind so arm, daß sie nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man muß sie nur zu finden verstehn. Wer das Auge dafür hat, der wag es und reise.

Drittens. Wenn du reisen willst, mußt du die Geschichte dieses Landes kennen und lieben. Dies ist ganz unerläßlich. Wer nach Küstrin kommt und einfach das alte graugelbe Schloß sieht, das, hinter Bastion Brandenburg, mehr häßlich als gespensterhaft aufragt, wird es für ein Landarmenhaus halten und entweder gleichgültig oder wohl gar in ästhetischem Mißbehagen an ihm vorübergehn; wer aber weiß: »hier fiel Kattes Haupt; an diesem Fenster stand der Kronprinz«, der sieht den alten unschönen Bau mit andern Augen an. – So überall. Wer, unvertraut mit den Großtaten unserer Geschichte, zwischen Linum und Hakenberg hinfährt, rechts das Luch, links ein paar Sandhügel, der wird sich die Schirmmütze übers Gesicht ziehn und in der Wagenecke zu nicken suchen; wer aber weiß, hier fiel Froben, hier wurde das Regiment Dalwigk in Stücke gehauen, dies ist das Schlachtfeld von Fehrbellin, der wird sich aufrichten im Wagen und Luch und Heide plötzlich wie in wunderbarer Beleuchtung sehn.

Viertens. Du mußt nicht allzusehr durch den Komfort der »großen Touren« verwöhnt und verweichlicht sein. Es wird einem selten das Schlimmste zugemutet, aber es kommt doch vor, und keine Lokalkenntnis, keine Reiseerfahrung reichen aus, dich im voraus wissen zu lassen, wo es vorkommen wird und wo nicht. Zustände von Armut und Verwahrlosung schieben sich in die Zustände modernen Kulturlebens ein, und während du eben noch im Lande Teltow das beste Lager fandest, findest du vielleicht im »Schenkenländchen« eine Lagerstätte, die alle Mängel und Schrecknisse, deren Bett und Linnen überhaupt fähig sind, in sich vereinigt. Regeln sind nicht zu geben, Sicherheitsmaßregeln nicht zu treffen. Wo es gut sein könnte, da triffst du es vielleicht schlecht, und wo du das Kümmerlichste erwartest, überraschen dich Luxus und Behaglichkeit.

Fünftens und letztens. Wenn du das Wagstück wagen willst – »füll deinen Beutel mit Geld«. Reisen in der Mark ist alles andre eher als billig. Glaube nicht, weil du die Preise kennst, die Sprache sprichst und sicher bist vor Kellner und Vetturinen, daß du sparen kannst; glaube vor allem nicht daß du es deshalb kannst, »weil ja alles so nahe liegt«. Die Nähe tut es nicht. In vielen bereisten Ländern kann man billig reisen, wenn man anspruchslos ist; in der Mark kannst du es nicht, wenn du nicht das Glück hast zu den »Dauerläufern« zu gehören. Ist dies nicht der Fall, ist dir der Wagen ein unabweisliches Wanderungsbedürfnis, so gib es auf, für ein Billiges deine märkische Tour machen zu wollen. Eisenbahnen, wenn du »ins Land« willst, sind in den wenigsten Fällen nutzbar; also – Fuhrwerk. Fuhrwerk aber ist teuer. Man merkt dir bald an, daß du fort willst oder wohl gar fort mußt, und die märkische Art ist nicht so alles Kaufmännischen bar und bloß, daß sie daraus nicht Vorteil ziehen sollte. Wohlan denn, es kann dir passieren, daß du, um von Fürstenwalde nach Buckow oder von Buckow nach Werneuchen zu kommen, mehr zahlen mußt als für eine Fahrt nach Dresden hin und zurück. Nimmst du Anstoß an solchen Preisen und Ärgernissen – so bleibe zu Haus.

Hast du nun aber alle diese Punkte reiflich erwogen, hast du, wie die Engländer sagen, »deine Seele fertig gemacht« und bist du zu dem Resultate gekommen: »Ich kann es wagen«, nun denn, so wag es getrost. Wag es getrost, und du wirst es nicht bereuen. Eigentümliche Freuden und Genüsse werden dich begleiten. Du wirst Entdeckungen machen, denn überall, wohin du kommst, wirst du, vom Touristenstandpunkt aus, eintreten wie in »jungfräuliches Land«. Du wirst Klosterruinen begegnen, von deren Existenz höchstens die nächste Stadt eine leise Kenntnis hatte; du wirst inmitten alter Dorfkirchen, deren zerbröckelter Schindelturm nur auf Elend deutete, große Wandbilder oder in den treppenlosen Grüften reiche Kupfersärge mit Kruzifix und vergoldeten Wappenschildern finden; du wirst Schlachtfelder überschreiten, Wendenkirchhöfe, Heidengräber, von denen die Menschen nichts mehr wissen, und statt der Nachschlagebuchs- und Allerweltsgeschichten werden Sagen und Legenden und hier und da selbst die Bruchstücke verklungener Lieder zu dir sprechen. Das Beste aber, dem du begegnen wirst, das werden die Menschen sein, vorausgesetzt, daß du dich darauf verstehst, das rechte Wort für den »gemeinen Mann« zu finden. Verschmähe nicht den Strohsack neben dem Kutscher, laß dir erzählen von ihm, von seinem Haus und Hof, von seiner Stadt oder seinem Dorf, von seiner Soldaten- oder seiner Wanderzeit, und sein Geplauder wird dich mit dem Zauber des Natürlichen und Lebendigen umspannen. Du wirst, wenn du heimkehrst, nichts Auswendiggelerntes gehört haben wie auf den großen Touren, wo alles seine Taxe hat; der Mensch selber aber wird sich vor dir erschlossen haben. Und das bleibt doch immer das Beste.

Berlin, im August 1864

Th. F.

Vorwort zur Volksausgabe

Inhaltsverzeichnis

Der erste Band der »Wanderungen« – dem die drei andern in rascher Reihenfolge folgen werden – erscheint hier in einer Volksausgabe, die, wie dies schon bei den frühren Auflagen der Fall war, abermals eine nicht unbeträchtliche Erweiterung erfahren hat. Das Kapitel »Wilhelm Gentz«, in dem ich zu meiner Freude viel Autobiographisches mitteilen oder doch benutzen konnte, ist neu, während das den Lebensgang von Alexander Gentz darstellende Kapitel »Gentzrode« einer zugleich die mannigfachsten Verhältnisse der Stadt wie der Grafschaft behandelnden Umarbeitung unterzogen wurde. Ein weiterer Aufsatz, den ich mit Rücksicht auf die hervorragende Bedeutung des darin zu Schildernden: Geheimerat Hermann Wagener (»Kreuz-Zeitungs-Wagener«, geboren am 8. März 1815 im Pfarrhause zu Segeletz), diesem ersten Bande gerne noch hinzugefügt hätte, mußte mit Rücksicht auf den ohnehin überschrittenen Raum zurückgestellt werden. Vielleicht daß sich später, wenn auch von andrer Hand, eine Einreihung ermöglicht.

Berlin, 9. März 1892

Th. F.

Die Ruppiner Garnison

Inhaltsverzeichnis

Regiment Prinz Ferdinand Nr. 34
1742 bis 1806

Inhaltsverzeichnis
Unüberwundnes Heer,
O Heer, bereit zum Siegen oder Sterben.
Ewald von Kleist
Bei Jena, da hatte der Preuße verspielt,
Die Franzosen hatten wie Teufels gezielt,
Und viel preußisch Blut war geflossen.
George Hesekiel

Die Gründung des Regiments
Uniformierung, Kanton und Garnison

Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung ging Friedrich II. an die Umgestaltung beziehungsweise Neubildung von Regimentern. Bei dieser Gelegenheit entstand aus dem 2. Bataillon des Ruppiner Regiments »Kronprinz« Nr. 15 das Regiment Nr. 34. Der König verlieh es (1742) seinem jüngsten Bruder Ferdinand und gab ihm dementsprechend den Namen: Regiment Prinz Ferdinand. Es führte denselben vierundsechzig Jahre lang, bis zur Auflösung der Armee. Die Offiziere, die ihm bei seiner Errichtung zugewiesen wurden, hatten bis dahin teils dem Regimente Nr. 15, teils dem Regimente Nr. 6 angehört. Regiment Nr. 6 waren die berühmten »großen Blauen«, das Potsdamsche Riesenregiment Friedrich Wilhelms I.

Wie das Regiment unmittelbar nach seiner Errichtung beschaffen war, darüber fehlen alle sicheren Notizen. Die Taten des Regiments Prinz Ferdinand sind aufgezeichnet worden, aber weder über Zahl und Zusammensetzung noch über Uniformierung und Kommando desselben existieren bis zum Jahre 1785 bestimmte und spezielle Angaben.

Erst in der Stammliste des eben genannten Jahres heißt es: »Regiment Prinz Ferdinand hat ponceaurote offene Aufschläge, Kragen und Klappen, zitronengelbe Unterkleider (Hose und Weste). Die Offiziere haben Aufschläge, Kragen und Klappen von feinem Plüsch, eine breite gebogene Tresse um den Hut und Achselbänder. Die Grenadiermützen sind oben blau und haben unten weißes Blech.«38

Dementsprechend also war die Erscheinung des Regiments in den letzten Lebensjahren Friedrichs des Großen. Unter seinem Nachfolger wurde die Uniform geändert; ob dies aber unmittelbar nach dem Thronwechsel oder erst nach der Rückkehr aus der Rheincampagne (1795) geschah, ist nicht mit Bestimmtheit festzustellen gewesen. Im letzten Lebensjahre Friedrich Wilhelms II. war laut Stammliste von 1797 die Uniform des Regiments die folgende: ponceaurote Aufklappen, blaue Aufschläge und Kragen. Die Offiziere haben unter den Klappen drei, auf der Tasche drei und auf dem Aufschlage drei schmale gestickte silberne Knopflöcher, hinten einen gestickten kleinen Triangel und um den Hut eine schmale silberne Tresse mit einer großen silbernen Agraffe und schwarzer Kokarde. In das »Triangel«-Abzeichen ließe sich allerhand hineingeheimnissen; aber ich verzichte darauf.

Sechs Jahre später, unter Friedrich Wilhelm III., begegnen wir abermals einer Änderung. »Regiment Prinz Ferdinand« – so heißt es in der Stammliste von 1803 – »hat ponceaurote Kragen, Klappen und Aufschläge. Die Offizieruniform ist mit achtzehn verschlungenen silbernen Schleifen mit losen Puscheln (wie beim Regiment Nr. 10) besetzt; um den Hut eine schmale silberne Tresse. Die Gemeinen haben auf dem Rock sechs weiße wollene Bandschleifen, wovon zwei unter den Klappen und zwei hinten stehen.«

Dies wird genügen, um zu zeigen, daß die sogenannte »alte Armee« wie in ihrem Wert, so auch in ihrer Erscheinung keineswegs immer dieselbe war. Das, was 1740 entstand und 1806 begraben wurde, war inzwischen durch viele Phasen gegangen und stellte nicht ein Bild, sondern viele Bilder dar.

Auch die Kanton- und Garnisonsverhältnisse des Regiments blieben im Laufe der Zeit nicht genau dieselben.

Was zunächst den Rekrutierungsbezirk (Kanton) angeht, so heißt es in der Stammliste von 1785: »Das Regiment Prinz Ferdinand hat seinen Kanton im ruppinschen Kreise und in einem Teile der Prignitz, dazu in den Städten Ruppin, Nauen, Lindow und Rheinsberg.« Achtzehn Jahre später haben sich diese Dinge geändert, der Bezirk hat sich erweitert, und wir finden in der Stammliste von 1803: »Regiment Prinz Ferdinand hat seinen Kanton in Teilen des ruppinschen und uckermärkischen Kreises, dazu in einem Teile der Prignitz. Es gehören ihm zu: 366 Dörfer sowie die Städte Alt- und Neu-Ruppin, Lindow, Nauen, Rheinsberg, Lychen, Neustadt a. D., Freienstein, Wilsnack und Templin.«

Sein Hauptgarnisonsort war immer Ruppin, doch scheinen zeitweilig auch in andern Städten kleine Kommandos gelegen zu haben. 1803 standen die beiden Musketierbataillone in Ruppin, die beiden Grenadiercompagnien in Templin und das 3. Bataillon in Nauen.

Wir gehen nun zur Aufzählung der Aktionen über, an denen das Regiment teilnahm.

Das Regiment Prinz Ferdinand während des Siebenjährigen Krieges

Die voraufgehenden beiden Schlesischen Kriege gaben dem Regimente nur zweimal Gelegenheit, sich zu bewähren; es focht bei Chotusitz (Caslau) am 17. Mai 1742 und bei Kesselsdorf am 15. Dezember 1745. Weitere Details werden nicht berichtet.

Auch die Nachrichten über die Beteiligung des Regiments an den Schlachten des Siebenjährigen Krieges fließen nicht reichlich.

1756 waren die Grenadiere mit bei Lobositz (1. Oktober); die Musketierbataillone befanden sich unter den Truppen, die zur Einschließung des Lagers bei Pirna zurückgeblieben waren. Hier blieben sie bis zur Kapitulation der Sachsen am 15. Oktober.

1757, im Mai und Juni, lag das Regiment vor Prag, an der Belagerung der Festung teilnehmend. Am 7. September fochten die Grenadiere bei Moys (wo Winterfeldt fiel), die Musketiere in der Schlacht bei Breslau am 22. November. Bei Leuthen, 5. Dezember, war das ganze Regiment.

1758 teilten sich die Bataillone; das eine war bei der Belagerung von Olmütz, das andere gehörte mit zur Bedeckung des großen Munitionstransportes für die Belagerer. Dieser Teil des Regiments wurde bei Domstadtl angegriffen, verteidigte sich aber mit so viel Bravour, daß ein Teil der Wagen gerettet wurde.

1759 wird das Regiment nicht genannt. Es scheint also ebensowenig wie bei Zorndorf und Roßbach (1758), so auch bei Kunersdorf nicht mit engagiert gewesen zu sein.

1760 ist das Glanzjahr des Regiments. Die Grenadiere wurden bei Landeshut, 23. Juni, unter Fouqué nahezu aufgerieben, der Rest in Gefangenschaft geschleppt; die Musketiere fochten am 15. August in der Schlacht bei Liegnitz und scheinen, neben dem Regiment Anhalt-Bernburg, den Hauptanteil am Siege gehabt zu haben. Der König verlieh allen Capitainen den Pour le mérite, dazu ein Geschenk von 100 Friedrichsdor. Namentlich dies letztere, bei den damaligen Kassenzuständen, deutet darauf hin, daß es dem Regiment an diesem Tage gelungen sein mußte, sich die Zufriedenheit des Kriegsherrn in einem besonders hohen Grade zu erringen. Andererseits (auch das mag Erwähnung finden) werden nicht viele in der Lage gewesen sein, von dieser besonderen Huld des Königs Nutzen zu ziehen, denn es heißt in aller Kürze: »Die Musketierbataillone waren beinah völlig ruiniert worden.«

Die Schlacht bei Liegnitz war die einzige, die dem Regimente zu besonders ruhmreicher Betätigung Gelegenheit gab. Es mag deshalb gestattet sein, bei dieser überhaupt glänzenden und zugleich poetisch-eigentümlichen Aktion einen Augenblick zu verweilen und eine kurze Schilderung derselben zu geben.

»Es war eine ungemein schöne Sommernacht. Der gestirnte Himmel hatte kein Wölkchen, und kein Lüftchen wehte. Niemand schlief. Die Soldaten hatten sich zwar mit ihrem Gewehr im Arm gelagert, allein sie waren munter, und da sie nicht singen durften, so unterhielten sie sich mit Erzählungen. Die Offiziere gingen spazieren, und die Generale ritten umher, um alles Nötige zu beobachten. Was den König angeht, so hat Gleim die Situation gegeben:

Auf einer Trommel saß der Held
Und dachte seiner Schlacht,
Den Himmel über sich zum Zelt
Und um sich her die Nacht.

Es fing eben an zu dämmern, als sich Laudon näherte, der mit seiner 30 000 Mann starken Armee den linken Flügel der Preußen im Lager angreifen wollte. Bald aber wurd er mit Erstaunen gewahr, daß er die ganze Armee des Königs vor sich habe, dessen zweites Treffen auch sogleich auf ihn losfiel und ihn von einer in der Nacht aufgeführten Batterie her begrüßte. Das erste Treffen hatte Friedrich zur Beobachtung Dauns bestimmt, der seinem rechten Flügel gegenüberstand. Laudon, auf die Unterstützung seines Oberfeldherrn rechnend, wich dem Kampfe nicht aus, sondern bot den Preußen die Spitze und überließ den Ausgang der Tapferkeit seiner Truppen und dem ihn so oft begleitenden Glück. Er ließ seine Kavallerie vorbrechen, sah aber, daß diese zurückgeworfen und in die Moräste getrieben wurde. Nun erst ging unsere Infanterie vor und schlug nach einem hartnäckigen Kampfe (an dem die Regimenter Prinz Ferdinand und Anhalt-Bernburg in erster Reihe teilgenommen zu haben scheinen) die österreichische Infanterie aus dem Felde. Die letztere machte noch den Versuch, mit einer ganzen Kolonne durch das vor der preußischen Front gelegene Dorf Panthen zu rücken, allein die Unseren steckten es durch Haubitzgranaten in Brand und zwangen den Feind, das Gefecht auf den linken Flügel einzuschränken.

Daun, auf dessen Erscheinen Laudon gerechnet hatte, kam ohne sonderliches Verschulden zu spät, da der Wind so stand, daß der Kanonendonner nicht gleich anfangs gehört wurde, trotzdem die Entfernung nur eine gute halbe Meile betrug.

Laudon, der alles getan und sich persönlich der größten Gefahr ausgesetzt hatte, zog sich nun zurück und überließ dem Könige das Schlachtfeld. 6000 Österreicher waren gefangen, 4000 tot oder verwundet; dabei waren ihnen 23 Fahnen und 82 Kanonen verlorengegangen. Bei Friedrichs Heere zählte man 1800 Tote und Verwundete, die zu erheblichem Teil auf die beiden genannten Regimenter entfielen.

Die Auszeichnungen, die dem Regimente Prinz Ferdinand zuteil wurden, hab ich bereits namhaft gemacht. Anders, aber nicht geringer war der Lohn, der dem Regiment Anhalt-Bernburg zufiel. Dieses Regiment hatte sich kurz vorher bei der Belagerung von Dresden (wo es bei einem Ausfall des Feindes zurückgeschlagen worden war) die Ungnade des Königs zugezogen, und die gemeinen Soldaten hatten zur Strafe die Seitengewehre, die Unteroffiziere und Offiziere die Huttressen verloren. Dies ward als ein solcher Schimpf empfunden, daß das ganze Regiment entschlossen war, bei nächster Gelegenheit die verlorene Ehre wieder zu erkämpfen oder zugrunde zu gehen. Diese nächste Gelegenheit war: Liegnitz. Der König, dem nichts entging, hatte gesehen, welche Opfer gebracht worden waren. Nach der Blutarbeit ritt er bei dem Regiment vorbei. Die Offiziere schwiegen, vier alte Soldaten aber fielen dem König in den Zügel, umfaßten seine Knie und flehten um die verlorne Gnade. ›Ja, Kinder, ihr sollt sie wieder haben, und alles soll vergessen sein!‹ Noch am selben Tage erhielten die Soldaten ihr Seitengewehr und die Offiziere ihre Tressen zurück.

Die Schlacht bei Liegnitz hatte nur zwei Stunden gedauert.39 Um fünf Uhr früh war alles vorüber. Um neun Uhr marschierte bereits die ganze Armee den Russen unter Tschernyschew entgegen. Noch am selben Tage wurden drei Meilen zurückgelegt.«

Archenholz, dem die vorstehende Schlachtschilderung im wesentlichen entlehnt ist, tut des Regimentes Prinz Ferdinand – dessen glänzende und ausschlaggebende Beteiligung an der Liegnitzer Affaire historisch feststeht – nicht Erwähnung. Überhaupt gehört unser Ruppiner Regiment nicht zu denen, die seitens dieses trefflichen Geschichtsschreibers (dessen Darstellung des Siebenjährigen Krieges ich bei dieser Gelegenheit erneut mit dem allergrößten Interesse gelesen habe) bevorzugt worden sind. Die Regimenter Itzenplitz und Manteuffel, Schwerin und Winterfeldt, Prinz Heinrich und Anhalt-Bernburg, vor allem das Regiment Forcade werden wiederholentlich genannt, auch andere noch, aber dem Regiment Prinz Ferdinand ist nicht eine Zeile gewidmet. Die Billigkeit erheischt, hinzuzusetzen, daß mit Ausnahme der Liegnitzer Schlacht die Aktion des Regiments nirgends eine hervorragende gewesen zu sein scheint. 1761 war es noch in Polen und Pommern, namentlich vor Kolberg, tätig; 1762 nahm es an der Belagerung von Schweidnitz teil. Dann kam der Frieden. Über das Garnisonleben, das nun eintrat, sprech ich erst weiterhin, davon ausgehend, daß die Formen dieses Lebens nach der Rheincampagne nicht wesentlich anders waren als nach dem Siebenjährigen Kriege.

Das Regiment Prinz Ferdinand während der Rheincampagne 1793 und 1794

1792 war das Regiment mit unter den Truppen, die am 19. August, 42 000 Mann stark, die französische Grenze überschritten und etwa drei Wochen später in die Champagne einrückten. An der Spitze des Regiments stand damals Oberst von Koschitzky40, der wahrscheinlich schon aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges her dem Regiment angehörte. Wenigstens find ich in der ältesten mir bekannt gewordenen Rangliste: »Zustand der preußischen Armee, 1778«, von Koschitzky als ältesten Capitain.

Sehr wahrscheinlich war das Regiment mit bei Valmy (20. September 1792), doch fehlen in den Aufzeichnungen, die mir darüber zugänglich waren, alle bestimmteren Angaben. Erst 1793, während des eigentlichen Rheinfeldzuges, geschieht des Regimentes speziell Erwähnung. Es war bei der Kanonade von Ginsheim, später bei der Blockade und Belagerung von Mainz. Die Erstürmung der Zahlbacher Schanze und nach der Übergabe von Mainz die zweimalige Wegnahme des Kettricher Hofes geschah durch das Regiment, welches auch bei der Diversion in die Vogesen die Avantgarde machte. Das 2. Bataillon vertrieb den Feind vom Igelberge bei Lembach.

1794 wurde die Leibcompagnie des Regiments »auf dem Sande« von einem weit überlegenen Feinde angegriffen, hielt aber das Feuer desselben mehrere Stunden lang standhaft aus, ohne ihren Posten zu verlassen. Das ganze Regiment war bei dem Angriff auf Lautern und Trippstadt. Ferner war das erste Bataillon bei Johanniskreuz. Es warf den mit überlegener Macht angreifenden Feind und hielt ihn so lange, bis eine allgemeine Retraite erfolgte.

So die spärlichen Aufzeichnungen aus jener Zeit, die wohl nur mit Hilfe von Kriegsministerialakten oder von Briefen und Tagebüchern erweitert werden können. Andere Truppenteile, trotzdem das Regiment Prinz Ferdinand keineswegs zu den »unliterarischen« gehörte, sind nach dieser Seite hin vom Glück begünstigter gewesen. So beispielsweise das Regiment Herzog von Braunschweig in Halberstadt. Aus der Feder Karl Friedrichs von dem Knesebeck (des späteren Feldmarschalls), der, nachdem er anfänglich als Junker im Infanterieregiment von Kalckstein gestanden hatte, dem vorgenannten Regimente Herzog von Braunschweig angehörte, existieren zahlreiche Briefe, die speziell über die Kriegsereignisse von 1792 bis 1794 die interessantesten Mitteilungen machen, aber Regiment Prinz Ferdinand, unter dessen jüngeren Offizieren sich ein Bruder Karl Friedrichs von dem Knesebeck befand, mußte auf solche Auszeichnungen verzichten. Die Taten, die unberichtet bleiben, sind nicht viel anders wie nicht geschehen.

Das Regiment Prinz Ferdinand während der Friedensjahre von 1795 bis 1806

1795 kehrte das Regiment vom Rhein in seine alte Garnison zurück. Oberstlieutenant von Tschammer, der es nach dem Rücktritte Koschitzkys während des größeren Teils der Campagne geführt hatte, avancierte zum Obersten, und von Gloeden, du Rosey, von Seydlitz und von Byern waren um diese Zeit die vier Majore des Regiments. Von Tschammer blieb Kommandeur bis 1800 oder 1801. In diesem Jahre ging das Kommando an Major von Böhmken oder Bömcken (beide Schreibweisen kommen vor) über, der auch, inzwischen zum Obersten avanciert, 1806 das Regiment bei Auerstedt führte.

Die Friedensjahre, die zwischen 1795 und 1806 lagen, scheinen glückliche Jahre gewesen zu sein. Die Stadt wuchs nach dem Brande von 1787 schöner wieder auf, und die lichtvollen Straßen und Plätze, die damals im frischen Anstrich ihrer Häuser noch mehr heiter als monoton wirkten, gaben dem ganzen Leben ein freundliches Gepräge. Die glückliche Eigenart der Personen, die an der Spitze der Bürgerschaft wie der Garnison standen, wirkte zu diesem günstigen Resultate mit. Oberst von Tschammer41 gehörte in die Reihe jener Offiziere der alten Armee, die Pflege des Schönen, Sinn für die Wissenschaften und Eifer für das allgemeine Wohl mit straffer Haltung im Dienst zu verbinden wußten. Er rief eine Garnisonschule ins Leben, gewährte der Stadt bei ihren Anlagen und Verschönerungen mannigfache Hilfe und war der erste, der in dem damals Tschammerschen, jetzt Gentzschen Garten die friderizianischen Erinnerungen zu pflegen begann.

Ein neuer Geist fing an sich unter dem Einflusse französischer Ideen und Siege zu regen, aber freilich ragte das Alte vielgestaltig in das Neue hinein, und während die Stichworte der »Freiheitsära« von Mund zu Mund gingen und Humanität und Toleranz den Inhalt jeder Ressourcenrede bildeten, regierte draußen der Zopf und der Stock unverändert weiter, und an nicht wenig Tagen im Jahre tat sich die bekannte Gasse auf, und der Delinquent mußte sie durchlaufen. Uns überkommt ein Schauder, wenn wir jetzt die Einzelheiten dieser Vorgänge beschrieben lesen, aber wie Pastor Heydemann in seiner »Geschichte Ruppins« sehr richtig bemerkt: »Die Rücken waren damals härter.« Die Prügelstrafe war allgemein, die Eltern schlugen ihre Kinder, die Lehrer ihre Schüler, und wie es beim Nähr- und Lehrstande war, so durft es ohne viel Aufhebens auch beim Wehrstande sein. Man war an solche Prozeduren gewöhnt und hielt die rauhe Behandlung der Soldaten für ganz in der Ordnung. Ja, die davon Betroffenen sahen es selbst derartig an und versagten ihren Vorgesetzten keineswegs ein gewisses Maß von Zuneigung, wenn sich nur Gerechtigkeit mit der Strenge paarte.

In der Tat, unsre nachträgliche Verurteilung all dieser Dinge trifft nicht voll das Richtige, und um so weniger, wenn wir im Auge behalten, aus welchen Elementen sich die damalige Armee zwar nicht ausschließlich, aber doch zu sehr erheblichem Teile zusammensetzte: rohe Gesellen, die nicht eins der Zehn Gebote hielten, verlorene Söhne, deren Moral so weit reichte wie ihre Furcht, und Ausländer, die zu allem andern auch noch das Gefühl gesellten: was uns umgibt, sind Fremde oder Feinde.

Ein Vorkommnis, das Heydemann erzählt, ist höchst charakteristisch für die Naturwüchsigkeit damaliger Zustände. Man führte Schäferspiele auf und schrieb Idyllen42, aber man war weder nervös noch sentimental. Die Geschichte selbst aber ist die folgende.

Ein Soldat, ein heftiger, leicht aufbrausender Mensch, bewarb sich um die Gunst eines Mädchens, das in der Offizierküche diente. Sie lehnte seine Anträge, die ehrlich gemeint waren, ab. Eines Tages, als sie vom Bäcker gegenüber den für den Offiziertisch bestimmten Braten holte, trat der Soldat mitten auf dem Damm an sie heran und fragte: ob sie noch nicht entschlossen sei, ihn zu heiraten. »Nein.« Im selben Augenblick empfing sie einen Messerstich in den Hals. Sie ließ (auch charakteristisch) den Braten nicht fallen, schritt vielmehr weiter, setzte die Schüssel auf den Tisch und sank dann ohnmächtig zu Boden. Die Wunde war nicht tödlich, aber der Soldat, der sich inzwischen auf der Wache selbst gemeldet hatte, mußte auf Tod und Leben laufen. Er überwand die furchtbare Strafe und diente weiter, während das Mädchen nach Potsdam hin übersiedelte. Ebendahin kam auch der Soldat; ein Zufall fügte es so. Hier nun erneuerten beide ihre Bekanntschaft, Mordversuch und Gassenlaufen waren vergessen, und vor dem Altar der Garnisonkirche besiegelten sie den Bund ihrer Herzen.

Die Hauptvorkommnisse des Ruppiner wie jedes damaligen Garnisonlebens waren die Desertionen. Die ganze Bevölkerung, auch die der Nachbardörfer, wurde dabei in Mitleidenschaft gezogen. Ruppin erwies sich für etwaige Fluchtversuche sehr günstig, da mehrere mecklenburgische Gebietsteile derartig eingesprenkelt im Preußischen lagen und noch liegen, daß der Weg bis beispielsweise zur Enklave Netzeband hin kaum zwei Meilen betrug. Netzeband war gleichbedeutend mit Freiheit. In vielen hundert, um nicht zu sagen tausend Herzen hat sich damals alles Denken und Wünschen um die Frage gedreht: Werd ich Netzeband erreichen oder nicht? Und alles, was sich nur ersinnen ließ, um das Desertieren unmöglich zu machen, ward infolge davon angewandt. Das Hauptmittel hieß Verheiratung. Der Arm der Frau hielt fester als der Arm des Gesetzes. Aber nicht jeder wollte heiraten. Da galt es denn andere Sicherheitsmaßregeln ausfindig zu machen. Nicht nur durchstreiften Patrouillen die Stadt während der Nacht, sondern auch Unteroffiziere gingen von Haus zu Haus und riefen die in Bürgerquartier liegenden Soldaten an, um sich zu überzeugen, daß sie noch da seien. Wurd aus diesem oder jenem Grunde dem Anruf nicht geantwortet, so blieb nichts anderes übrig, als den Wirt zu wecken und an die einzelnen Schlafstellen heranzutreten. Erwiesen sich aber all diese Mittel umsonst und war es dem einen oder andern nichtsdestoweniger gelungen zu entkommen, so ward eine Kanone, die draußen am Wall stand, mehrere Male abgefeuert. Man konnte die Schüsse in Katerbow, einem dicht vor Netzeband gelegenen preußischen Dorfe, hören. Was Friedrich der Große von ganz Preußen gesagt hat, »es müsse immer en vedette sein«, das galt doppelt und dreifach von Katerbow. An Katerbow hing viel. Es war für den Flüchtling die »letzte Gefahr«, und erst wenn er diese glücklich hinter sich hatte, war er frei. In Ruppin selbst aber ließ man es nicht bei den Alarmschüssen bewenden, die Deserteurglocke auf der Klosterkirche wurde geläutet, und entdeckte man die Stelle, wo der Entronnene über die Mauer gestiegen war, so verfielen die beiden zunächst stehenden Schildwachen ebenfalls der Strafe des Gassenlaufens.

Ums Gassenlaufen – fast noch über das Desertieren hinaus – drehte sich ein gut Teil des allgemeinen Interesses. Es gehörte, wie die Hinrichtungen, zu den derberen Volkslustbarkeiten. Das Bedürfnis nach Sensation, das jetzt in »Armadale« oder in dem »Vermischten« unserer Zeitungen seine Nahrung findet, fand damals in den Hergängen des Lebens selbst seine Befriedigung. Es liegen uns ganz minutiöse Schilderungen vor, wie nun die Prozedur eingeleitet und seitens des Profoses die von ihm geschnittenen Ruten – um derentwillen er der »Regiments-Federschneider« hieß – an die in der Gasse stehenden Soldaten verteilt wurden. Aber wir leisten auf Wiedergabe dieser häßlichen Dinge Verzicht und erfreuen uns lieber an humoristischen Zügen, die nicht minder aus den Zeiten jenes militärischen Terrorismus berichtet werden. Aus allen geht hervor, daß man nicht sonderlich eingeschüchtert war und immer noch Muße fand zu Übermut und guter Laune. Selbst zu Wortspielen.

Einer der Soldaten hieß Winter. Es war um die Zeit, wo das Tauwetter begann, und die Eiszapfen schmolzen bereits an den Dächern. Winter, der sich schlüssig gemacht hatte, die nächste Nacht zu entspringen, sah seinen Hauptmann im Fenster liegen, der sich, rauchend, der Märzensonne freute. Winter grüßte hinauf und rief: »Herr Hauptmann, ich glaube, der Winter geht ab.« – »Das glaub ich auch.« Und am andern Morgen war Winter fort. Er war über den gefrorenen See nach Wuthenow hin entkommen.

Ein anderer verkleidete sich als Schornsteinfeger. In rußiger Kleidung, eine schwarze Leiter auf der Schulter, den Besen in der Hand, war er glücklich zum Tor hinausgekommen und schritt gradeswegs auf das Mecklenburgische zu. Da kam ihm, zu weiterem Glück, ein Netzebander Bauer nachgefahren und fragte: »Schornsteinfeger, wohin?« – »Nach Netzeband, da brennt ein Schornstein, den ich löschen soll.« – »Das ist am Ende bei mir.« – »Kann wohl sein.« Und der Bauer ließ nun den vermeintlichen Schornsteinfeger aufsteigen und jagte auf Netzeband zu, wo sich der Gerettete für gute Fahrt freundlich bedankte.

Sehr ansprechend ist die folgende kleine Geschichte, mit der wir diesen Teil des Kapitels schließen wollen. Ein Mann, der später als Lehrer und Oberküster eine bekannte Persönlichkeit in Neuruppin war, gehörte in seiner Jugend ebenfalls dem Regiment Prinz Ferdinand an. Er war verlobt und wünschte sich zu verheiraten, da man aber (weil er zu den Bevorzugten zählte) seines Bleibens im Regiment ohnehin sicher zu sein glaubte, wurd ihm seitens des Obersten der unerläßliche Konsens verweigert. Die Folge davon war: Desertion. Und so schritt denn unser Freund auf Netzeband zu und hatte den halben Weg bereits glücklich zurückgelegt, als er das Prusten von Pferden hinter sich hörte und gleich darauf einen Wagen neben sich sah, in dem, in höchsteigener Person, der gestrenge Herr Oberst saß. »Wohin?« fragte dieser. »Nach Netzeband; ich will mir Tuch kaufen.« – »Da will ich auch hin; setz dich nur auf den Bock.« Und so fuhr denn der Oberst den Deserteur nach Netzeband hinein. Als sie vor dem Kruge hielten, sprang der Soldat vom Wagen, trat an den Kutschenschlag und sagte: »Herr Oberst, ich melde mich als Deserteur.« Der Oberst wetterte nun durch alle Register durch, legte sich aber endlich aufs Kapitulieren. »Was hilft's! stell deine Bedingungen.« – »Generalpardon, Herr Oberst, und den Konsens, zu heiraten.« – »Beides sollst du haben; steig nur wieder auf.« Und so geschah es. Er kam mit seinem Obersten, als ob nichts vorgefallen wäre, nach Ruppin zurück und empfing, ohne vorgängige Strafe, die gewünschte Heiratserlaubnis.

Das Regiment Prinz Ferdinand bei Auerstedt 14. Oktober 1806

Der Krieg gegen Frankreich war endlich beschlossene Sache. Am 9. August erging die Mobilmachungsordre, und am 31. August verließ das Regiment Prinz Ferdinand Neuruppin, um es nicht wiederzusehen. Nur Individuen kehrten zurück, kein Regiment.

Der Marsch ging zunächst auf Magdeburg, das samt Umgegend den Sammelplatz für die märkischen und magdeburgischen Truppen bildete. Der Herzog von Braunschweig, in seiner Eigenschaft als Oberkommandierender, verlegte am 13. September sein Hauptquartier nach Halle und setzte die bei Magdeburg versammelten Truppen, und unter diesen auch unser Regiment Prinz Ferdinand, am 15. auf Naumburg zu in Bewegung. Am 21. und 22. wurden bei letztgenanntem Orte die Kantonierungen bezogen.

Die Hauptarmee, 57 000 Mann stark, bestand aus den Divisionen Schmettau, Wartensleben und Prinz von Oranien und aus einer abermals zwei Divisionen starken Reserve. Die Schlacht bei Auerstedt ward im wesentlichen mit den erstgenannten drei Divisionen, also mit etwa 30 000 Mann geschlagen. Den beiden Reservedivisionen – die zweifellos imstande gewesen wären, die Niederlage in einen Sieg zu verkehren – fiel nur die Aufgabe zu, den Rückzug zu decken. Sie hatten hierbei, einzelne Abteilungen abgerechnet, nur geringe Verluste.

Dies vorausgeschickt, wenden wir uns jetzt der so verhängnisvoll gewordenen Bataille zu. Feindlicherseits kommandierte Marschall Davout, unsererseits Herzog von Braunschweig. Hüben und drüben traten drei Divisionen, und zwar echelonartig, in den Kampf ein. Unsere Division Schmettau stieß bei Hassenhausen auf die französische Division Gudin; dieses Dorf, nach kurzer Besitzergreifung unsererseits, ging wieder verloren, und nun wurde Hassenhausen der Punkt, um den sich ein mehrstündiges, mörderisches Gefecht drehte. Wer Hassenhausen hatte, hatte den Sieg. Der Division Schmettau folgend, griff diesseitig die Division Wartensleben ein, aber auch der Feind führte jetzt die Division Friant in den Kampf. Alle unsere Versuche, das Dorf wieder in unseren Besitz zu bringen, scheiterten; die Regimenter Alvensleben und Kleist, jenes von der Schmettauschen, dieses von der Wartenslebenschen Division, litten schwer. So standen die Dinge, als auf unserer Seite die Division Prinz von Oranien mit den Brigaden Lützow und Prinz Heinrich auf dem Kampfplatze eintraf. Schon vor ihrem Erscheinen war der Herzog von Braunschweig tödlich verwundet worden, und soweit noch in dem überhandnehmenden Wirrsal von Kommando die Rede sein konnte, war dasselbe auf den König in Person übergegangen. Im richtigen Erkennen dessen, worauf es ankam, dirigierte dieser die Division Oranien ebenfalls gegen Hassenhausen, und zwar derart, daß die Brigade Lützow am rechten Hügel der daselbst fechtenden und durcheinandergekommenen Truppenteile, die Brigade Prinz Heinrich aber nach vorgängiger Wegnahme des Dorfes Poppel am linken Flügel eingreifen sollte.

Bei der Brigade Prinz Heinrich befand sich neben dem Grenadierbataillon Rheinbaben und dem Regiment Puttkamer auch unser Regiment Prinz Ferdinand. Wir folgen dem Vorgehen dieser Brigade.

Die Brigade trat an; das Grenadierbataillon Rheinbaben nahm die Tête. Unter persönlicher Führung des Obersten Prinz Heinrich43 ging es gegen das ihm als nächstes Angriffsobjekt bezeichnete Dorf Poppel vor. Die Grenadiere vertrieben den Feind mit dem Bajonett, wurden aber beim Heraustreten aus dem Dorfe durch ein so heftiges Gewehrfeuer empfangen, daß sie sich in Unordnung durch Poppel und das ihnen zur Unterstützung nachgesandte zweite Bataillon Puttkamer hindurchzogen. Dieses letztre Bataillon wurde nunmehr von feindlichen Chasseurs angefallen, schlug indessen den Angriff ab, und als jetzt der Rest der Brigade: das erste Bataillon Puttkamer und das erste und zweite Bataillon Prinz Ferdinand, in gleicher Höhe anlangte, zog sich der Feind – wahrscheinlich das 108. französische Linienregiment – zurück.

Das Grenadierbataillon Rheinbaben blieb jenseits Poppel, die übrigen vier Bataillone der Brigade Prinz Heinrich aber gingen in gerader Richtung auf das durch drei französische Regimenter (21., 85. und 12.) teils direkt besetzte, teils in der linken Flanke soutenierte Hassenhausen vor, wo sie bald in ein heftiges Artillerie- und Gewehrfeuer gerieten. Die Verluste mehrten sich rasch, und als in diesem kritischen Moment auch französischerseits eine dritte Division – die Division Morand – mit elf frischen Bataillonen in den Kampf eintrat, wichen die Unseren auf der ganzen Linie. Prinz Heinrich hielt mit seinen vier Bataillonen bis zuletzt. An ihn schlossen sich wieder einige vorgebrachte Bataillone der Division Schmettau und das Grenadierbataillon Hanstein an, mit denen er noch einmal zu avancieren versuchte. Bald aber sah er sich isoliert und gezwungen, durch das mittlerweile vom Feinde wieder eroberte Poppel zurückzugehen. An die Spitze seiner Bataillone sich stellend, bahnte er sich den Weg mit dem Bajonett.

Die Grenadierbataillone Rheinbaben und Knebel unter Prinz August von Preußen nahmen an diesem Angriffe teil. Das Pferd des Prinzen Heinrich ward erschossen, der Prinz selbst beim Sturze desselben bedeutend verletzt. Oberst Scharnhorst gab ihm sein eigenes Pferd und passierte das durch den Angriff beider preußischer Prinzen momentan wiedergewonnene Poppel mit dem Gewehr in der Hand. Zwischen Poppel und Taugwitz drängte sich jetzt der ganze linke Flügel zusammen. Der Rückzug ging gegen Auerstedt und seitwärts gegen Reisdorf, teils aufgelöst, teils wieder einigermaßen geordnet.

Die Verluste waren groß. Von der gesamten Infanterie, die gegen Hassenhausen gestanden hatte, war beinah die Hälfte tot oder verwundet. Auch das Regiment Prinz Ferdinand hatte dementsprechend gelitten. Tot waren: Major von Selasinsky, Stabscapitain von der Hagen, Premierlieutenant von Goetze.

Das Regiment Prinz Ferdinand bis zur Kapitulation von Pasewalk, 29. Oktober

Wie Magdeburg Rendezvous vor Eröf
en war, so war es jetzt Sammelplatz für die bei Jena und Auerstedt geschlagenen und nach dem Tode des Herzogs von Braunschweig beide dem Fürsten von Hohenlohe unterstellten Armeen. Auch unser Regiment Prinz Ferdinand nahm auf Magdeburg seinen Rückzug.44 Dem von Hoepfnerschen Werke »Der Krieg von 1806 und