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Endnoten

1

Vgl. dazu Albrecht Koschorke, »›Säkularisierung‹ und ›Wiederkehr der Religion‹. Zu zwei Narrativen der europäischen Moderne«, in: Ulrich Willems / Detlef Pollack [u. a.] (Hrsg.), Religion und Moderne. Kontroversen um Modernität und Säkularisierung, Bielefeld 2013, S. 237260.

2

Diese Formulierung findet sich bei Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil. Faust über sich selbst: »Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehauste? / Der Unmensch ohne Zweck und Ruh, / Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen brauste, / Begierig wütend nach dem Abgrund zu?«

3

Vgl. Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse, Wien 1963.

4

Vgl. Dieter Thomä, Puer Robustus. Eine Philosophie des Störenfrieds, Berlin 2016.

5

Thomas Nagel, »Evolutionstheoretischer Naturalismus und die Angst vor der Religion« [1997], in: Das letzte Wort, Stuttgart 1999, S. 186210; hier: S. 191.

6

Der Existenzdialektiker Sören Kierkegaard weist darauf hin, dass im unbedingten Selbst-sein-Wollen stets die abgründige Angst mitläuft, gerade nicht dieses von Gott gesetzte Selbst sein zu wollen.

7

Vgl. zu dieser Formulierung, allerdings antithetisch in Hans Magnus Enzensberger, Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer, Frankfurt a. M. 2006.

8

In der Chronologie der Zitate: Richard Dawkins, Der Gotteswahn, Berlin 2006; Daniel C. Dennett, Den Bann brechen. Religion als natürliches Phänomen [2005], Frankfurt a. M. 2009; Christopher Hitchens, Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet, München 2007; ders., The Hitch: Geständnisse eines Unbeugsamen [2010], München 2011.

9

Carlo Strenger, Zivilisierte Verachtung. Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit, Frankfurt a. M. 2016, S. 68; 21.

10

»Take up the White man’s burden – And reap his old reward: / The blame of those ye better / The hate of those ye guard – / The cry of hosts ye humour / (Ah, slowly!) toward the light: – / ›Why brought ye us from bondage, Our loved Egyptian night?‹«

11

Grundzüge einer anständigen Gesellschaft, deren Institutionen nicht demütigen, entwickelt Avishai Margalit in: Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung [1996], Berlin 1997.

12

Mark Lilla, Der totgeglaubte Gott. Politik im Machtfeld der Religion, München 2013, S. 153; 57 ff.

13

Ein MacGuffin stellt einen Türöffner dar: Er bildet den Anstoß für die zu erzählende Geschichte: Unabhängig davon, ob es um die Beschaffung von vertraulichen Unterlagen, den Diebstahl der geheimen Weltformel oder um einen nicht näher definierten Auftrag geht: Der Inhalt eines MacGuffins ist beliebig, weil es hier einzig und allein auf das die Handlung erregende Moment, nicht aber auf den tatsächlichen Gegenstand ankommt.

14

Vgl. Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus, München 2003.

15

José Casanova, Europas Angst vor der Religion, Berlin 2009, S. 94 f.; 29.

16

Die Geschichte des Unbehausten will dabei nur linear erzählt werden; sie kennt keine dialektischen Umschwünge, da ansonsten die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen würden. Aber dadurch fällt ebenso die Komplexität der menschlichen Gewaltverstrickung unter den Tisch; denn wer wollte mit Blick auf die Schlachthäuser des 20. Jahrhunderts ernstlich behaupten, dass auf der gottlosen Vernunft a priori ein Friedenssegen liegen würde?

17

So eine Anmerkung von Adolf Eichmann, dem Logistiker der Juden-Deportationen im Zweiten Weltkrieg, der in seinem Prozess gegen die ihm zu Last gelegten »Verbrechen gegen die Menschheit und dem jüdischen Volk« diesen »Grund« tatsächlich als Erklärung für sein Handeln anführte.

18

Der große Theoretiker der Zivilreligion des 19. Jahrhunderts, Alexis de Tocqueville, hat hier vor allem auf den politisch mäßigenden Aspekt der Religion hingewiesen: Dort nämlich, wo das demokratische Gesetz erlaube, »alles zu tun, so hindert die Religion es, alles auszudenken, und verbietet ihnen, alles zu wagen« (Über die Demokratie in Amerika [1835/1840], Bd. 1, Zürich 1987, S. 441 f.).

19

Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten [1798], in: Werkausgabe, Bd. XI, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1977, S. 265393; hier: S. 333, Anm.

20

Aus Alan M. Dershowitz, Die Entstehung von Recht und Gesetz aus Mord und Totschlag [2000], Hamburg 2002, S. 134 f.

21

Neben der bereits erwähnten Arbeit von José Casanova ist vor allem Charles Taylors monumentale Studie über Ein säkulares Zeitalter [2007], Berlin 2009, zu erwähnen.

22

Carl Schmitt, Politische Romantik [1919], Berlin 61998, S. 18.

23

Vgl. Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016.

24

Vgl. Salman Rushdie, Joseph Anton. Die Autobiografie [2012], München 2014.

25

Vgl. Martin Mosebach, »Kunst und Religion. Vom Wert des Verbietens«, in: Berliner Zeitung vom 18. Juni 2012; vgl. dazu auch die argumentative Hilfe von Robert Spaemann, »Beleidigung Gottes oder der Gläubigen?«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. Juli 2012.

26

Zur Kritik an dem fundamentalistischen Aberglauben der Unversöhnbarkeit von Aufklärung und Religion vgl. Susan Neiman, »Was ist heute Religion?«, in: Zeit Philosophie, 68. Jg., Nr. 25, Juni 2013, S. 20.

27

In seinem dystopischen Roman Unterwerfung (Köln 2015) schildert Michel Houllebecq die politische Erosion einer Gesellschaft, deren Islam-Anbiederung schließlich zu ihrer Entmündigung führt – ein Buch, das ausgerechnet an dem Tag erschien, als ein islamistisches Todeskommando die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo stürmte und unter den Anwesenden ein Massaker anrichtete.

28

So der Gastbeitrag de Maizières in: Zeit Online vom 30. April 2017.

29

In einigen Publikationen wird die Selbstfindungsgeschichte der Deutschen zu einem opulenten literarischen Ereignis; vgl. Dieter Borchmeyer, Was ist deutsch? Die Suche einer Nation zu sich selbst, Berlin 2017; Neil MacGregor, Deutschland: Erinnerungen einer Nation, München 2015.

30

So lautete die Schlagzeile der Bild-Zeitung am Tag nach der Papstwahl von Joseph Kardinal Ratzinger.

31

Das Adorno-Zitat lautet vollständig: »Eine emanzipierte Gesellschaft jedoch wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen. Politik, der es darum im Ernst noch ginge, sollte deswegen die abstrakte Gleichheit der Menschen nicht einmal als Idee propagieren. Sie sollte statt dessen auf die schlichte Gleichheit [...] deuten, den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann.« (Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt a. M. 1984, S. 130 f.)

32

Vgl. dazu die instruktive Analyse von Albrecht Koschorke, »Wenn das Warten kein Ende nimmt«, in: Die Zeit vom 12. April 2017, S. 42.

Einleitung: Über das Angstkreuz der Moderne

Normalerweise ist alles anders. Wenn ich als Wissenschaftler und Forscher eingeladen werde, einen Vortrag zu halten oder einen Beitrag zu schreiben, dann schaue ich mir höflicherweise das Thema an, worüber ich sprechen soll, skizziere ein Thesenpapier, formuliere es aus, und zum Schluss überlege ich mir noch einen guten Titel. Von diesen Standards akademischer Rechtschaffenheit bin ich in diesem Fall abgewichen. Denn bei dem Ziel, einen Essay über das Verhältnis von Religion und Politik zu schreiben, stand mir in Sekundenschnelle der Titel bereits vor Augen – noch bevor ich überhaupt eine Zeile auf das Papier gebracht hatte: Wer hat Angst vor Gott?

Für mich ist diese Angst vor Gott ein fundamentales Merkmal der Moderne, ähnlich wie die kantische Kritik der Vernunft und das postmoderne Anything goes. Vor gar nicht langer Zeit hat sie sogar die neutralen Barrieren des Rechtsstaats übersprungen und in Gestalt der Verhältnismäßigkeit die Religionsfreiheit beschnitten. So urteilte das Kölner Landgericht 2012, dass die Zirkumzision, also die Entfernung der männlichen Vorhaut aus religiös-kulturellen Gründen, den Tatbestand der Körperverletzung erfülle und dem Wohle des Kindes zuwiderlaufe. Von Rechts wegen wurde also sanktioniert, was sich spätestens seit der Aufklärung als immer lauter werdendes Gerücht seine eigene Bestätigung gesucht hat: Religion ist zwingend gewalttätig und gehört im modernen freiheitlichen Rechtsstaat gezügelt. Zu diesem Bild passt, dass sich die Kölner Richter in ihrer Begründung auf die Argumente von Holm Putzke bezogen haben, einem Rechtswissenschaftler, der als Beiratsmitglied der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung naturgemäß mit religiösen Angstträumen zu tun hat.

Doch in meinem Essay beschäftige ich mich nicht nur mit der säkularen Angst vor Gott; das würde als Epochenkennzeichnung sicherlich zu kurz greifen. Vielmehr geht es mir in meiner Darstellung auch um die in den Stätten des Heiligen produzierte Gottesfurcht selbst, also gewissermaßen um deren religiöse Entwicklung. Denn auch das gebietet die Fairness: Die weltweite Wiederkehr der Religion ist, was zumindest ihre fundamentalistischen Ableger betrifft, eine brandgefährliche Quelle der Einschüchterung, bei der die Enttäuschung im Angesicht der Sinnlosigkeit der liberalen Freiheitskultur mit der rechten Angst vor Gott zusammenfällt, der allein nur unsere Seelen zu erlösen vermag.

Erst beide Seiten zusammen ergeben das unheilvolle Bild einer sich im Taumel befindlichen Moderne, die ihre Liberalität aus Gründen der Sicherheit immer weiter hinterfragt. Die Angst entspringt dabei aus dem Herzen der Moderne selbst. Aber sie ist deshalb nicht auch ihr unabänderliches Schicksal.

Doch warum? Dazu müssen wir tief in ihre Geschichte eintauchen, ihre konstitutiven Mythen und Legenden zu fassen und zu erzählen versuchen, um verstehen zu können, wie sich Liberale und Gläubige auf der Grundlage ihres narrativen Selbstverständnisses jeweils säkular und religiös gemacht haben.1 Damit verbinde ich die Möglichkeit einer Neu-Erzählung, die dramaturgisch nicht mehr dem alten Frontverlauf folgt, sondern vielmehr neue Wege zwischen Vernunft und Religion zu erproben versucht. Zumindest ist das meine Hoffnung, auf die hier auch der Titel anspielt. Er nimmt Bezug auf Albees Who is afraid of Virginia Woolf? (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, 1962), einem Stück, das mit den verlogenen Idealen des American Way of Life schonungslos abrechnet. Während Albee aber die verdrängte Gewalt in der individualistischen Beziehungsrhetorik auf die Bühne bringt, geht es in meinem Essay um die erzählerische Neudeutung jener seltsamen ›Angstlust‹, die das Nachdenken über Religion von jeher in ihrem (verborgenen) Schraubstock hält. Gott ist nämlich nicht der große böse Wolf (the big bad wolf), von dem die alten Kinderlieder schaurig-wohl zu berichten wissen. Und wenn Grund für diese Annahme besteht: Wer wollte sich dann noch vor der Gegenwart fürchten?

I. Der Unbehauste

§ 1 Drei Kränkungen

Die Entwicklung der Moderne hat ihre eigene Leidensgeschichte. Zeitgenössischem Denken geht es demgegenüber oft vor allem darum, an der Vorwärts- und Zielgerichtetheit ihrer Arbeit keinen Zweifel zu lassen und selbst noch in allem Unvollendeten irgendwie Fortschrittlichkeit aufscheinen zu lassen. Es zählt nun zu den wichtigeren Einsichten Sigmund Freuds, dass man diese Emanzipationsgeschichte auch rückwärts erzählen kann – und zwar nicht als Fortschritt zu immer größerer Freiheit und Kompetenz, sondern als eine Abfolge narzisstischer Kränkungen des Menschen.

In seinem Aufsatz von 1917 über »Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse« beschreibt Sigmund Freud die Logik der Weltbildrevolutionierung als dreifachen Prozess der Verdrängung des Menschen aus seiner angestammten metaphysischen Mitte: vertrieben aus den Himmelskathedralen des Universums (die Erde steht nicht mehr im Zentrum des Universums), der Schöpfung (der Mensch ist nicht mehr die Krone derselben, sondern nur ein Tier unter Tieren) und der Souveränität (bewusstes Denken bildet nur den kleinsten Teil des menschlichen Denkens, ist nur die Spitze des Eisbergs). So wird die Existenz des Menschen immer mehr zu einer randständigen Erscheinung. Dieser Prozess der Marginalisierung läuft nicht ohne innere Verwerfungen ab; vielmehr ›kränken‹ die historischen Institutionen der Wissenschaft den Menschen in den Tiefen seines Daseins: Kosmologisch, biologisch und psychologisch findet ein umfassender Exodus statt, der ihn zu einem metaphysischen Unbehausten,2 zu einem Paria bzw. Klassenlosen macht.

Dieser große Vorgang der Gottes-Emanzipation hinterlässt jedoch seine Spuren, denn letztlich steht auch dieser paradigmatische Wechsel im Erklärungsansatz nicht außerhalb von Raum und Zeit. »We never really advance a step beyond ourselves« (David Hume) – und das bedeutet, dass es eben keinen unverrückbaren festen Punkt der Selbsterkenntnis gibt, an dem die Vernunft ansetzen könnte, um objektiv zu bestimmen, was sein soll und vor allem: was nicht sein soll. Letztlich geht es nur um eins: nämlich um die bestmögliche Interpretation der besten aller möglichen Welten. Und ob diese Welt mit Gott oder ohne Gott gedacht werden kann, muss oder soll, lässt sich eben von vorneherein nicht entscheiden.

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