GEBROCHENE SPRACHE

Ach, sie haben ihre Sprache verloren

Und der Zunge flinke Biegsamkeit,

auszudrücken Glück und neues Leid

in der Melodie, in der sie nicht geboren.

Aus Friedrich Hollaenders »Emigrantenballade« (1939)

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 mussten zahlreiche Menschen ins europäische Ausland und nach Übersee flüchten, darunter auch viele Drehbuchautoren und Schriftsteller.1 Für sie war es oft besonders schwer, in einer fremdsprachigen Umgebung ihre gewohnte Arbeit fortzusetzen. Oft beherrschten sie die neue Sprache nur gebrochen, und das Schreiben in fremder Lexik und Grammatik bereitete große Mühe. Der zur Kunst entwickelte differenzierte Umgang mit der Muttersprache und ihren kulturellen Traditionen galt nichts mehr. Für Menschen, deren wichtigstes Werkzeug die Sprache war, war diese Situation mehr als frustrierend, bisweilen sogar existenzbedrohend, denn ohne ihre Arbeit konnten sie sich und ihre Familien nicht mehr versorgen. Erschwerend hinzu kamen die abweichenden Produktionsmethoden, wie beispielsweise in Hollywood die stark arbeitsteiligen Prozesse, sowie die Konkurrenz der im Exilland bereits etablierten Autoren. Dennoch gelang es manchen, sich in der fremden Sprache zu behaupten. Berufliches Netzwerk, persönliche Kontakte und individuelle Umgangsweisen mit der außergewöhnlichen Notsituation spielten hierbei eine Rolle. Einige verbanden alte kulturelle Erfahrungen mit denen des Exillandes wie z.B. Billie/Billy Wilder und Hermann Kosterlitz/Henry Koster, denen später auch der Wechsel auf den Regie-Stuhl bzw. hinter den Produzenten-Schreibtisch gelang. Das XIII. cinefest »Gebrochene Sprache. Filmautoren und Schriftsteller des Exils« beschäftigte sich 2016 mit den Schicksalen geflüchteter Autoren im 20. Jahrhundert. Beim 29. Internationalen Filmhistorischen Kongress, dessen überarbeitete Vorträge in diesem Band zusammengestellt sind, lag der Fokus auf der Exilsituation während des »Dritten Reichs«.

»Those Torn From Earth« (1941, deutsch: »Menschliches Treibgut«, 1995) nannte der Komponist Friedrich Hollaender – dessen »Emigrantenballade« den Titel für das vorliegende Buch lieferte – den Roman, in dem er die Schicksale vieler seiner Mit-Exilanten verarbeitete (Hollaender selbst verneinte jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen, aber es lassen sich leicht Parallelen zu den Biografien von Joe May, Kurt Gerron, Alfred Kerr, Ernst Lubitsch u.a. erkennen). Geoff Brown analysiert das 1941 in New York veröffentlichte Werk, das einen aufschlussreichen Einblick in die Gefühlswelt der ins Ausland exilierten deutschen Filmschaffenden bietet.

Eine ganze Reihe von Exilautoren war auch an dem Omnibusfilm TALES OF MANHATTAN (1941/42, Julien Duvivier) beteiligt. Anhand von dessen Entstehung beschreibt Réka Gulyás, wie ungarische Flüchtlinge in Hollywood Fuß fassten und welchen Einfluss sie auf die amerikanische Filmindustrie hatten.

Aber nicht nur Hollywood war Fluchtpunkt vieler Exilsuchender. Frankreich schien zunächst naheliegend und bot zumindest bis 1940 einen einigermaßen sicheren Hafen sowie mitunter auch neue Arbeitsmöglichkeiten. Der Bulgare Slatan Dudow floh 1934 von Berlin nach Paris, wo er seinen Kurzfilm SEIFENBLASEN (1933/34) fertigstellte, den er noch in Deutschland im »Untergrund« begonnen hatte. Thomas Tode, der für seinen Beitrag u.a. das umfangreiche französische Briefkonvolut von Slatan Dudow ausgewertet hat, schildert dessen vergebliche Bemühungen, in Frankreich weiter an Filmprojekten zu arbeiten.

Im Beitrag von Christoph Fuchs wird die Karriere des wiener Autors und Filmproduzenten Max Glass beleuchtet, der etwas früher, 1933, nach Paris ging. Er gründete dort eine Produktionsfirma, wobei er allerdings die Zusammenarbeit mit anderen Exilanten eher vermied.

Die jüdische Schriftstellerin Irène Némirowsky floh schon 1919 mit ihren Eltern vor dem russischen Bürgerkrieg aus Russland nach Frankreich. Dort wurde sie französische Schriftstellerin und schrieb über russische Themen. Nach einer Denunziation wurde sie 1942 von den Nazis nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie umkam. In ihrem Artikel zeichnet Heike Klapdor die bewegende Lebensgeschichte Némirowskys nach.

Eine »Exilkarriere« ganz anderer Art machte Ludwig Berger in Amsterdam. Christian Rogowski beschreibt, wie Berger, dessen Film PYGMALION (1936/37) als Beginn einer eigenständigen niederländischen Filmkunst gefeiert wurde, in Amsterdam Unterschlupf fand. Dort überlebte er mit Unterstützung von Freunden und Glück die deutsche Besetzung und den Krieg.

Wenn es für Schriftsteller im Exil allgemein schon schwierig war, traf es Alfred Kerr, der auf eine lange und sehr erfolgreiche Karriere in Deutschland zurückblicken konnte, besonders hart. Nicht mehr der Jüngste, fiel es ihm schwer, wieder ganz von vorn und in einer ihm fremden Sprache beginnen zu müssen. Deborah Vietor-Engländer berichtet über die wenig bekannten Filmdrehbücher, die er im Exil verfasste, in der Hoffnung, sich und seine Familie damit über Wasser halten zu können. Auch andere Schriftsteller wandten sich aus ähnlichen Motiven dem Schreiben für den Film zu.

Kerrs deutlich jüngerer Kollege Friedrich Torberg versuchte sich als Drehbuchautor in Hollywood. Im Mittelpunkt von Michael Omastas Beitrag steht dessen Arbeit am Film VOICE IN THE WIND (1943, Arthur Ripley), einem der wenigen Hollywoodfilme jener Zeit, die sich konkret mit dem Thema Exil und Vertreibung auseinandersetzten.

Brigitte Mayr beschäftigt sich mit dem Schicksal der wiener Autorin Anna Gmeyner, die sich im Laufe ihres Lebens an unterschiedlichen Orten immer wieder neu orientieren musste und sich in England als Filmautorin durchschlug. Eine andere Autorin, Gina Kaus, ebenfalls aus Wien, versuchte sich in Hollywood als Drehbuchautorin. Jan-Christopher Horak analysiert ihre Filmarbeiten und gibt einen Eindruck von ihrer Arbeitsweise und Philosophie.

Nicht nur Filmschaffende, sondern auch Filmkritiker und -publizisten wurden ins Exil getrieben. Zwischen seiner Heimatstadt Prag und Berlin hin- und herpendelnd, bewegte der Drehbuchautor und Filmkritiker Willy Haas sich, wie Francesco Pitassio in seinem Beitrag darlegt, zwischen den Kulturen, Künsten und Epochen. Das Schicksal führte ihn schließlich ins Exil nach Indien, wo er Henrik Ibsens »Gengangere« (»Gespenster«, 1881) für das Kino bearbeitete.

Einer seiner bekanntesten Kollegen war Siegfried Kracauer, dessen Exil und Arbeit in den USA gut erforscht ist. Michael Girke wirft einen Blick auf Kracauers weniger bekannte Versuche als Drehbuchautor während seines Exils in Paris. Lotte Eisner verschlug es ebenfalls nach Paris, wo sie versuchte, weiterhin als Filmkritikerin zu arbeiten, bevor sie am Aufbau der Cinémathèque française mitwirkte. Julia Eisner beleuchtet die elementare Arbeit, die sie dabei für das Archiv leistete – von der Filmwissenschaft, die sich vornehmlich nur mit Eisners Schriften beschäftigt, häufig übersehen.

Der vorliegende Band vereint die unterschiedlichsten Schicksale verschiedener Autoren, die durch die politischen Verhältnisse in die Emigration getrieben wurden. So entsteht ein filmhistorischer Einblick in die Exilgeschichte von Filmautoren, der an dieser Stelle jedoch nur bruchstückhaft bleiben kann. Das Buch soll auch anregen, sich weiter und vertiefend mit der Materie auseinanderzusetzen.

»Exilant wird wohl keiner freiwillig«, schreibt Brigitte Mayr in ihrem Text. Auch im 21. Jahrhundert sind immer noch Menschen auf der Flucht und in den vergangenen zehn Jahren ist ihre Anzahl dramatisch gestiegen. Unter den Geflüchteten sind auch Filmschaffende, die in ihrem Exilland weiter in ihrem Beruf tätig sein möchten. Ziel- und Fluchtländer haben sich geändert, doch es sind ähnliche Schicksale und Probleme, mit denen Geflüchtete auch heute noch zu kämpfen haben.

Erika Wottrich, Swenja Schiemann

Hamburg, im Sommer 2017

1 In den vorliegenden Texten wird ausschließlich aus Gründen der Lesbarkeit die männliche Form verwendet. Die männliche Form schließt die weibliche Form mit ein.

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Schutzumschlag der Originalausgabe von 1941 (Entwurf: Hedi Schoop)

Geoff Brown

DIE 5000 FINGER DES DR. H
Friedrich Hollaender und sein Exil-Roman »Those Torn From Earth«

Im bibliografischen Anhang seiner Studie zum deutschen Exil-Kino, »Continental Strangers«, hat Gerd Gemünden Friedrich Hollaenders Roman »Those Torn from Earth« aus dem Jahr 1941 (1995 in deutscher Übersetzung unter dem Titel »Menschliches Treibgut« erschienen) der Unterabteilung »Memoirs, Autobiographies, Novelizations« zugeordnet.1 Die letzte Kategorie ist ein raffinierter Trick, denn sie vermeidet die Verlegenheit von Akademikern, in einem scheinbar fiktiven Werk nach historischen Tatsachen zu suchen. Nur ein weiterer zeitgenössischer Roman über das Schicksal eines Film-Emigranten taucht in Gemündens Liste auf: Christopher Isherwoods »Prater Violet« (1945, »Praterveilchen«).

Die Einzigartigkeit von Hollaenders Buch als persönliche, fiktionale Reflexion der Exil-Erfahrung in der Filmwelt reicht weit über die Seltenheit des Genres hinaus. Man bedenke nur den Lebenslauf des Autors. Als er in den 1930er Jahren seinen Antrag auf Erteilung der amerikanischen Staatsbürgerschaft ausfüllte, schrieb Hollaender in die Spalte Beruf das Wort »Composer«. Zu Recht, denn er war der Komponist von Marlene Dietrichs schmissigen Liedern in DER BLAUE ENGEL (1929/30, Josef von Sternberg), von satirischen Nummern für das Kabarett der Weimarer Zeit und einer wachsenden Zahl von Hollywood-Soundtracks, schließlich auch der Kinderphantasie THE 5,000 FINGERS OF DR. T (DIE 5000 FINGER DES DR. T, 1952/53, Roy Rowland).

Doch Hollaender hatte sich seit 1912 auch als Schriftsteller betätigt, beginnend mit seiner Kleinoperette »Bumbo Mumbo«, aufgeführt in Berlin. Für Max Reinhardts Kabarett »Schall und Rauch« und sein eigenes »Tingel-Tangel-Theater« schrieb er beißende Liedtexte. Er verfasste den Text für Dietrichs Erkennungsmelodie »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt« – ein Titel, den er 1965 für seine Autobiografie »Von Kopf bis Fuß. Mein Leben mit Text und Musik« übernahm. Aber es erforderte für den Schriftsteller Hollaender die Erfahrung des Exils, um über einen Liedtext hinauszukommen und die Länge eines 448-seitigen Romans zu erreichen. Mit der Veröffentlichung von »Those Torn from Earth« im Frühjahr 1941 wechselte Hollaender nicht nur seinen Beruf, sondern auch seine Sprache, wenn auch nicht die Nationalität seiner Geburt.

Er wurde, wie er es in seiner Autobiografie beschreibt, 1896 im »schmutzigbraunen Londoner Nebel«2 geboren, als sein Vater, der Komponist Victor Hollaender, als Dirigent in London arbeitete. Die Familie kehrte 1901 nach Deutschland zurück, jedoch blieben Friedrich Hollaender ein anglisierter Geburtsname (Frederick Maurice Hollaender) und ein britischer Pass.

Als der Roman 1941 in den USA erschien, lag Hollaenders – nun wieder Frederick genannt – Vertreibung aus Deutschland bereits acht Jahre zurück. Die letzten sechs Jahre hatte er – bei Paramount unter Vertrag – Hintergrundmusik und Songs geschrieben, jedoch nicht die Texte (die stammten von amerikanischen Vertragsautoren des Studios). Zu den neuesten Songs gehörten »Jungle Jingle« für THE FARMERS DAUGHTER (1939/40, James P. Hogan) sowie die Titelmelodien für ARISE, MY LOVE (1940, Mitchell Leisen) und MOON OVER BURMA (1940, Louis King): alles eskapistische Stücke aus der Hollywood-Fabrik.

Der Roman kündigte sich jedoch als etwas ganz anderes an. Da war der Titel, knapp und heftig. Das Buch begann mit einem lobenden Vorwort von Thomas Mann, der erst vor kurzem in Kalifornien angekommen war, sich aber sofort als der prominenteste literarische Emigrant an der Westküste etabliert hatte. Er beschrieb Hollaenders Roman als »außergewöhnliche(s) und schöne(s) Werk (…) voller gespanntem Leben, mutig und auf kunstvolle Weise unterhaltsam, geschrieben in einem konturierten, genauen und farbigen Englisch«, in dem die »Protagonisten der Handlung, Künstler zumeist, vor dem Ungeist des Dritten Reichs geflüchtet und an fremde Strände gespült, (…) ein ganzes Corps von humanen, liebenswerten Individuen (bilden), die der Kunst und der Freiheit dienen.«3

Noch vor den ersten Worten begegneten diese Flüchtlinge dem Leser in symbolischer Form auf dem markanten Buchumschlag, entworfen von Hollaenders zweiter Frau, der schweizer Tänzerin, Kabarettistin und Keramikerin Hedi Schoop. Ein Scheinwerfer durchbricht das vorherrschende Dunkel und zeigt mehrere gequälte Lehmfiguren, mit ausgestreckten Armen, festgehalten in dem Augenblick, als sie »der Erde entrissen« werden, »torn from earth«; einem der typisch kräftigen Ausdrücke, mit denen die Gestalten des Romans beschrieben werden. Das Umschlag-Design für Stefan Weidles deutsche Übersetzung von 1995 – ein blaugrüner Fleck, der auf gelben Streifen ruht und damit einen Strand andeutet – ist viel sanfter. Ebenso lässt Weidles Titel »Menschliches Treibgut«, eine Phrase, die das heimatlose Dahintreiben der ins Exil Gezwungenen kennzeichnet – auch heute in Europa ein aktuelles Phänomen –, die Gewalt von Hollaenders Original vermissen.

Der Inhalt

Sowohl der englische als auch der deutsche Titel verweisen dennoch auf eine zentrale Ironie des Romans und sogar der allgemeinen Emigrationserfahrung. Viele, die aus dem »Dritten Reich« flohen, mussten sich der Kultur, Geschichte und Gemeinschaft entrissen fühlen, der sie entstammten: Theodor W. Adorno verglich in seinen eigenen Exil-Aufzeichnungen »Minima Moralia« (erschienen 1951) die Erfahrung direkt mit einer Beschädigung.4 Doch die Orte im Ausland, die die Emigranten Heimat zu nennen versuchten, beherbergten gewöhnlich viele andere Flüchtlinge: Freunde, Konkurrenten, Feinde, Fremde. Die überfüllte Situation konnte eine Quelle des Trostes sein. Sie konnte ebenso Streitereien und Eifersucht hervorbringen, was die Sache noch verschlimmerte, wie die Brecht’schen Tagebücher über dessen eigenes Exil in Kalifornien deutlich machen.

Streit wie Gemeinschaftsgefühl finden sich auch in Hollaenders Roman, einem Kaleidoskop des Exillebens, in dem die Stimmung zwischen realistischer Reportage, expressionistischen Visionen, zarten Momenten, menschlicher Komödie und bitterer Wut schwankt. Die Handlung springt von Gestalt zu Gestalt, von Ort zu Ort, um das Leben der künstlerischen Freunde und Kollegen zu schildern, die 1933 gezwungen waren, Berlin für ein neues Leben und Kämpfe im Ausland zu verlassen.

Zwei Gestalten dominieren. Eine ist ein Filmregisseur, Jacques Mando – erfolgreicher Schöpfer deutscher Filmunterhaltung, aber, wie sich herausstellt, nicht erfolgreich in Hollywood. Die andere ist ein Dirigent, Hermann Hamforter, der auf den ersten Blick ein erfolgreicheres Exil erlebt, zuerst in London, dann in Los Angeles, dem Ort des düsteren Romanfinales.

Die Handlung beginnt in Deutschland, im Februar 1933, mit einem Kartenspiel unter Freunden in Mandos Haus im berliner Westen; gegen Ende des Kapitels wird im Radio der Reichstagsbrand gemeldet. Kapitel 2 und 3 schildern den Verlust von Arbeit und Sicherheit unter dem Nazi-Regime. In Kapitel 4, immer noch 1933, kommt Bewegung in die Handlung, indem Mando und seine Frau, eine Schauspielerin, mitsamt ihrem Haustier, der Schildkröte Cleopatra, den Zug nach Paris besteigen. Im 5. Kapitel erreicht Hamforter London, wo ein BBC-Konzert seine Karriere befördert und zu einer glücklichen Ehe mit einer englischen Pianistin führt. Fünf nachfolgende Kapitel, die lebendigsten in diesem Buch, zeigen das Leben der Emigranten im pariser Hotel Asconia oder in ihren Lieblingscafés, beim Warten, Träumen, Schlafen, Verzweifeln, beim Kampf mit einer fremden Sprache. Zwei weitere Kapitel mit Hamforter bringen Hinweise auf zukünftige Verwicklungen: mit der Nachricht von der brutalen Inhaftierung seines Freunds, des Künstlers Jürgen Curtis, in einem Gefangenenlager und einer beunruhigenden Begegnung mit Hitler in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett.

In den Kapiteln 13–15, jenen mit den unpräzisesten Details und Gefühlen für die Lokalität, verlagert sich die Handlung nach Palästina, wohin Mandos ehemaliger Regieassistent Skalitzer im Sommer 1933 auswandert. Er eröffnet in Tel Aviv eine Milchbar. Das Geschäft wendet sich vom Erfolg zum Scheitern. Dann schiebt Hollaender die Figur beiseite, indem er ihr einen Job als Präsident eines neuen Unternehmens gibt, das hebräischsprachige Filme macht. Skalitzer schreibt in sein Tagebuch: »Me! If this isn’t a fairy-tale, such as no one can invent!«5

Die übrigen elf Kapitel des Romans folgen den beiden Hauptfiguren nach Hollywood, einem wahren Märchenreich, wie es von vielen Emigranten neben Hollaender giftig geschildert wurde. Carl Zuckmayer, der 1939–41 in Hollywood als fruchtloser Drehbuchautor arbeitete, beschrieb den Ort als »eine der brutalsten und häßlichsten Großstädte der Welt«, einen Ort, der oberflächlich wie ein »Reich des ewigen Frühlings« erschien, aber mit einer »trostlose(n), mörderische(n) Häuserwüste« dahinter.6 Hollaenders Hollywood ist ebenso janusköpfig: künstlich hell und luxuriös, aber der Albtraum rumort unter der Oberfläche. Hamforters große Krise kommt während einer naiven, schicksalhaften Rückkehr nach Deutschland, wo er seinen Freund Curtis befreien will. Mandos weit katastrophalere ist pures Hollywood: das Ergebnis des beruflichen Scheiterns, eine spirituelle Krise mit Botschaften aus dem Jenseits, mühsam vermittelt durch ein Medium, und eine apokalyptische Gasexplosion, die keine Überlebenden hinterlässt. Mit dem Gesicht »in an expression of infinite pain« spricht Hamforter die letzten Worte des Romans, während er über den Schutt von Mandos Haus schaut: »You too –! God, how many more must be crucified before this world be delivered –?«7

Die Schatten der Gestalten

In einer Notiz vis-à-vis der Titelseite erklärt Hollaender, seine Figuren seien »entirely fictitious« und »any resemblance whatever to living persons must be considered coincidental«. Das entspricht jedoch keineswegs der Erfahrung jener Leser mit etwas Kenntnis von Exilforschung, Filmgeschichte oder Hollaenders Autobiografie. In seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe des Romans identifiziert Volker Kühn einige der offensichtlichen Vorbilder, insbesondere Jacques Mando, den herrischen Regisseur, der mit seiner Frau, einer Schauspielerin, das Leben in Hollywood genießen will, aber zunehmend von der Filmindustrie marginalisiert wird.8 Gewisse Details und die Schilderung der Figur zeigen, dass Mando dem Regisseur, Autor und Produzent Joe May (Joseph Otto Mandel) entspricht, dessen Pomp und Ruhm in Deutschland keine Garantie für den Hollywood-Erfolg darstellte – eine Situation, die nach dem Erscheinen des Buchs noch deutlicher wurde. Ernst Lubitsch erscheint kurz als Regisseur Rumpf, der auf Partys die Weisheit der assimilierten Emigranten verbreitet. Cameoauftritte haben auch fiktionale Versionen von Peter Lorre, Hollaenders musikalischem Protégé Franz Wachsmann und dem Theaterkritiker Rolf Nürnberg. Als Hamforters Entsprechung wurde Otto Klemperer vorgeschlagen, der sicherlich Hamforters letzte Position als Dirigent der Los Angeles Philharmonic teilt, aber nicht jede erzählerische Wendung. Hinter anderen Figuren stehen Fragezeichen. Enthält die Schauspielerin Greta Wallien Elemente von Elisabeth Bergner? Vielleicht ja, vielleicht nein. Dies ist ein Spiel, das man stundenlang fortsetzen könnte. Aber man sollte es nicht zu sehr übertreiben: Man muss einem Romancier Raum lassen, seine Inspirationen zu verschmelzen oder etwas zu erfinden.

Jedenfalls ist die größte Quelle der realen Geschichte eindeutig Hollaenders eigene Erfahrung, vor allem die Monate 1933 in Paris, die er mit anderen Emigranten im Vorbild für das Hotel Asconia – dem engen, billigen Hotel Ansonia – verbrachte, das er in seiner Autobiografie als »Nest der Vertriebenen, Zufluchtsstätte der Enteigneten« schildert.9 Wie Hamforter bot die BBC Hollaender ein Konzert in London, das im April gesendet wurde. Wie Mando manifestierte er seinen Status als amerikanischer Einwanderer durch die Einreise in die USA von Mexiko aus, eine von Wilhelm Dieterle vorgeschlagene Route. Hollaenders Frau Heidi taucht für einen Absatz als Herstellerin von bunten Keramikfiguren auf. Die Kontakte der Figur mit Wunderheilern und Spiritisten könnten auch eigener Erfahrung entstammen. Überraschenderweise besucht Mando nie die Wahrsagerin, die Marlene Dietrich empfahl, jene mit wenigen Zähnen, die Hollaenders Schicksal kryptisch zusammenfasste: »Es geht nicht gut. Aber es geht nicht schlecht.«10 Es war ein Satz, den er nie vergessen sollte.

»Es geht nicht gut. Aber es geht nicht schlecht.«

Tatsächlich verlief Hollaenders amerikanische Karriere durchaus besser. Auf der »nicht guten« Seite musste er bei seinen Referenzen für die Studiobosse eher auf amerikanische Erfolge verweisen, als sie mit vagem und entferntem europäischen Ruhm zu untermauern. Er lernte das Schreiben auf Bestellung, war gezwungen zu sentimentalem Futter, weit weg von Dietrichs sexuell nuancierten Songs in DER BLAUE ENGEL. Jenseits seiner Filmarbeit scheiterte sein Versuch, wieder eine Bühnenkarriere zu starten, als er im Laufe des Jahres 1934 am Santa Monica Boulevard eine Version seines »Tingel-Tangel-Theaters« eröffnete, die aber innerhalb eines Jahres schließen musste. Es folgte frustrierte Untätigkeit – die er damit füllte, dass er begann, den Roman zu schreiben, eine Übung, die einige Zeit von einigen Mit-Exilanten, darunter Wilder und Wachsmann, finanziell unterstützt wurde.

Doch die »nicht schlechte« Seite dominierte. Ein Rezensent seiner ersten »Tingel-Tangel«-Show, »Allez-Oop«, schrieb: »This man is a genius«.11 Und als er sich 1935 bei Paramount unter dem sympathischen Abteilungsleiter Boris Morros einlebte, genoss Hollaender eine weitaus erfolgreichere Karriere als Mando/Joe May oder andere Emigranten, die durch Sprachprobleme, mangelnde Affinität oder mangels eines guten Agenten behindert waren. Thomas Manns Bruder Heinrich, Hollaenders Vermittler beim Vorwort, wurde 1941 nach einem Jahr als Drehbuchautor von Warner Bros. entlassen. Hollaender blieb zwei Jahrzehnte lang in Beschäftigung, erhielt über 130 Hollywood-Aufträge und konnte regelmäßig mit Kollegen und Freunden aus Europa zusammenarbeiten.

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Ende einer Ära: Darsteller und Produktionsteam von Ich und die Kaiserin (1932/33, Friedrich Hollaender), fotografiert am 5.1.1933, 25 Tage bevor Hitler Reichskanzler wurde

Sein amerikanisches Debüt, die Fox-Produktion I AM SUZANNE! (ICH BIN SUSANNE, 1933, Rowland V. Lee), vereinte ihn wieder mit Lilian Harvey, Star des einzigen Films, den er in Deutschland als Regisseur gedreht hatte: ICH UND DIE KAISERIN (1932/33). Er komponierte für sieben Dietrich-Filme, darunter DESTRY RIDES AGAIN (DER GROSSE BLUFF, 1939, George Marshall) und A FOREIGN AFFAIR (EINE AUSWÄRTIGE AFFÄRE, 1947/48, Billy Wilder). Sechs Filme beruhten auf von Billy Wilder mitverfassten Drehbüchern; vier wurden von Lubitsch produziert oder inszeniert. Hollaenders Musik erhielt vier Oscar-Nominierungen; sieben Lieder kletterten auch hoch in der amerikanischen Hitparade. Seine Einnahmen im Studio betrugen bisweilen 30–40.000 Dollar pro Jahr.12 »Frederick Hollander is all smiles these days«, schrieb Film Daily 1937.13 Selbst über BANDITS AND BALLADS, den er 1934 für RKO inszeniert hat und in seiner Autobiografie als erniedrigenden Western erwähnt, könnte man Positives sagen. Tatsächlich handelte es sich um einen Musical-Zweiakter, ein Vehikel für die populäre Broadway-Sängerin Ruth Etting, der nach Aussagen von Kinobesitzern vom Publikum sehr genossen wurde.14 Vielleicht entsprach es Hollaenders Stolz oder Eitelkeit, angebliche Rückschläge und Kränkungen zu übertreiben, um seine Verachtung für Hollywood zu demonstrieren. Er wäre damit nicht der einzige unter den Emigranten.

Auch hinter andere Darstellungen seiner Autobiografie muss man Fragezeichen setzen, darunter eine, die zur Überlegung anregt, ob Posen des Autors auch die Schilderungen des Romans zur Notlage der Emigranten verzerrt haben. Anlässlich seines Besuchs in London im März 1933 für ein BBC-Konzert – die Vorlage für Hamforters Konzert im Roman – schildert er, wie er britische Journalisten mit einer freimütigen Verdammung Hitlers schockiert habe, den er als »Teufel« bezeichnet habe.15 Dies weicht weit vom Eindruck des Rundfunk-Korrespondenten des Sheffield Daily Independent ab. Dessen Bericht nach befleißigte sich Hollaender eines diskreten Schweigens über die Ereignisse in Deutschland (möglicherweise aus Furcht vor Repressalien), Hollaender meinte: »I am not political, I am an artiste«.16

Übertrieb also Hollaender seinen Ärger über das Leben in der Emigration, reflektiert im Schicksal seiner Romangestalten? Bei allen subjektiven Aspekten seiner Autobiografie ginge es zu weit, dies zu bejahen und ihm das Recht auf Wut über seine Situation, »torn from earth«, zu verweigern. Man sollte auch das Recht eines Romanautors anerkennen, dramatische Begebenheiten zu erfinden oder auszuschmücken. Zweifellos wäre eine genaue Auswertung von Hollaenders Privatdokumenten nötig sowie die schon lang geplante Biografie des amerikanischen Wissenschaftlers Alan Lareau, um ein abgerundetes Bild seiner Gefühle über das Leben im Exil und die Leben anderer zu gewinnen, die aus Nazi-Deutschland fliehen mussten.

Die Sprache

Eines ist klar: Hollaender genoss das Schreiben über die Probleme der Emigranten und das Schreiben auf Englisch. In »Von Kopf bis Fuß« schildert er, wie seine Frau während der Atlantiküberfahrt 1933 Englisch aus einem Sprachführer lernte: »How do you do? My uncle has a fountain pen, but my sister likes Swiss cheese.«17 Seine eigenen sprachlichen Kenntnisse übertrafen dies Niveau bald bei Weitem. Der meisterhafte Improvisator am Piano war bald ähnlich selbstsicher, in englischer Sprache zu improvisieren und die Wörter mutig und anschaulich zu setzen.

Zahlreiche Passagen sind überladen geschrieben, ähnlich wie sein Film ICH UND DIE KAISERIN überladen inszeniert ist: beides vielleicht das Ergebnis eines intelligenten Anfängers, der sich zu sehr anstrengt. Von schmissigen Dialogen und treffenden Details wechselt der Roman plötzlich in das sprachliche Äquivalent eines expressionistischen Gemäldes von Otto Dix – das Vokabular ist überhitzt, die Phrasen winden sich qualvoll. Manchmal stürzt er sich auf ein ungewöhnliches englisches Wort, wenn ein einfacheres treffender, aber auch langweiliger gewesen wäre. So in diesem Satz aus einer seltsamen Parabel über die Zerstörung eines Ameisenstaats: »Courageously they undertook, and without much folderol, the new grouping of the saved workers«.18 Mit »Folderol« wird ein sinnloses Ornament oder trivialer Firlefanz bezeichnet. In der deutschen Übersetzung steht »Getue«19 – eine angemessene Entsprechung, doch ähnelt sie eher einer braunen Papiertüte neben Hollaenders eigenwilliger Geschenkverpackung. An anderen Stellen benutzt er einfach ein falsches Wort, ohne dass es vom Lektorat des Verlags korrigiert worden ist. Insgesamt überraschen Hollaenders Sätze den Leser immer wieder.

Doch die größte stilistische Eigenart des Romans ist seine stakkatohafte Phrasierung, die sich bisweilen so stark in den Vordergrund drängt, dass es schwerfällt, sich daran zu erinnern, dass der Autor jemals schwungvolle Melodien mit einem lyrischen Fluss geschrieben hat. Beispielsweise dieser Ausschnitt aus der fieberhaften Beschreibung eines von Hamforters Träumen, Anlass für seine Rückkehr nach Deutschland, um den Freund Curtis zu retten: »The scissors. Hamforter’s palm around the scissors. Still warm from the grinding. Run. Run, Hamforter. Pironi’s. If you can find it. Streets up and down. Lonely steps, echoing.«20

Diese Schreibweise passt zu einem Albtraum, doch entsprach sie offenbar auch Hollaenders Ausdrucksweise, wenn er deutsch und nicht über Träume schrieb. Verstümmelte Sätze aus zwei, drei Wörtern finden sich überall in seiner Autobiografie. So auch der Vorläufer von drei Songs, »Berliner Tempo«, die er 1920 für Max Reinhardts Kabarett »Schall und Rauch« zu Texten von Walter Mehring komponiert hat. Der letzte davon, »Heimat Berlin«, war berühmt für seine verbale Heraufbeschwörung der hastigen Eile der Berliner auf belebten Bürgersteigen:

»Die Linden lang! Galopp! Galopp!

Zu Fuß, zu Pferd, zu zweit!

Mit der Uhr in der Hand, mit’m Hut auf’m Kopp

Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit!«21

Im Programmheft des Kabaretts lobt Hollaender die suggestive Wirksamkeit von Rhythmus und sprachlicher Kraft. Sicherlich versuchte er, auf den Seiten von »Those Torn from Earth« eine entsprechende Wirkung zu erreichen, wenn er das Tempo kurzer, schneller Sätze nutzt, den verrückten Galopp der Emigranten durch zerfledderte, bedrängende Erfahrungen abzubilden.

Jenseits von Vokabular und Tempo ist ein weit wichtigerer Aspekt Hollaenders Wahl der Sprache bei seinem Romandebüt. Er hatte das Glück, eine Wahl zu haben. Nicht alle Emigranten erlangten seine Gewandtheit, sich auf Englisch auszudrücken; ebenso wenig alle emigrierten Schauspieler, wie Fritz Kortner feststellen musste, als er von M-G-M und RKO getestet und abgelehnt wurde. Einige Emigranten lehnten es aus moralischen Gründen ab, ihr Deutsch zu benutzen: Es war Hitlers Sprache geworden, die Sprache des Feindes. Hollaenders Komponisten-Kollege Kurt Weill ließ die deutsche Sprache bewusst hinter sich. Ebenso der Drehbuchautor Kurt Siodmak, der in einem späten Interview äußerte: »When you live in a new country, you have to be reborn«.22 Igor Stravinsky zog es in seinen Exiljahren vor, Texte lieber auf Englisch, Französisch und Latein zu verfassen, als ins Russische zurückzufallen, das er einmal mit emotionalem Schmerz als »the exiled language of my heart« bezeichnete.23

Keine dieser Reaktionen traf auf Hollaender zu. Er benutzte Englisch, weil es pragmatisch war. Er verkehrte in Hollywood die ganze Zeit auf Englisch. Der Roman war für ein amerikanisches Publikum verfasst, eine deutsche Ausgabe wäre undenkbar gewesen. Gleichzeitig verschloss er sich dem Deutschen zu keiner Zeit, sonst hätte er niemals seine lange »Emigrantenballade« geschrieben, die er 1939 im German Jewish Club in Los Angeles vortrug. Ebenso wenig wäre er in den 1950er Jahren nach Deutschland zurückgekehrt, wo er neue satirische Revuen komponierte und schrieb.

Zu vielen der Gedanken über das Exil in der »Emigrantenballade« gibt es Entsprechungen in »Those Torn from Earth«, doch dürfte es einem Leser der Originalausgabe des Romans schwerfallen, den hier ausgedrückten Gefühlen zuzustimmen:

»Ach, sie haben ihre Sprache verloren

und der Zunge flinke Biegsamkeit,

Auszudrücken Glück und neues Leid

in der Melodie, in der sie nicht geboren.«24

Hollaender, der sich so geschickt in Musik und Worten auszudrücken wusste, hat niemals eine Sprache verloren. Er erwarb einfach eine weitere, beherrschte sie mit einer Begeisterung für Wörter – und indirekt damit für das Leben –, wodurch die Schärfe der verzweifelten Passagen des Romans erträglich gemacht wird.

Rezeption und die Folgen

Als er seinen Bruder auf Hollaenders Roman aufmerksam machte, schrieb Heinrich Mann, er sei »gerade im richtigen Augenblick« geschrieben worden.25 Im Rückblick ist diese Aussage in Frage zu stellen. Sowohl die allgemeine Presse wie die Fachpresse zollten dem Buch wenig Aufmerksamkeit. Im Dezember 1940 informierte Film Daily seine Leser, Hollaender habe gerade eine »romantic novel« abgeschlossen – eine bizarre Wortwahl. Hedda Hoppers später Kommentar in ihrer Klatschkolumne lag ähnlich daneben: »It’s told simply, which makes it all the more moving.«26 Zumindest Marianne Hauser, die das Buch für die New York Times rezensierte, hatte es offensichtlich gelesen. Sie erwähnte seine strukturellen Fehler und dass die Gefühle zu dick aufgetragen seien, »like mascara meant for the photographic lens«,27 doch hielt sie den Roman wegen seiner politischen Implikationen für wertvoll. Der Verkauf war gering, das Buch hatte keine Wirkung. Es ist auf Englisch niemals nachgedruckt worden.

Ein Blick auf die allgemeine Zeitstimmung und Amerikas Reaktion auf die Emigranten in den Monaten vor dem Angriff auf Pearl Harbor hilft, den kommerziellen Misserfolg in einen größeren zeithistorischen Zusammenhang einzuordnen. Kurz vor Hausers Rezension in der New York Times schrieb der Gründer der Theatre Guild, Lawrence Langner, für eine Zeitschrift einen Artikel mit dem Titel »A Happy Invasion«, in dem er von den emigrierten europäischen Schriftstellern und Schauspielern – darunter Kortner und Zuckmayer –, die sich fruchtbringend assimilierten und ihren Genius in Broadway-Produktionen einbrachten, ein möglichst vorteilhaftes Bild zeichnete.28 Es könnte keinen größeren Kontrast zur Einschätzung der Theaterarbeit der Emigranten geben als einen Artikel von Eugene Burr, dem Theaterkritiker des Entertainment-Fachblatts Billboard: »painfully self-conscious, embarrassingly over-accentuated, ridiculously stylized, brutally theory-bound and fantastically ineffective«.29 Es folgen die Namen der Schuldigen: Bergner, Max Reinhardt und wieder einmal Kortner. Es fehlt jeglicher Hinweis auf die Hintergründe der Anwesenheit der Emigranten.

Woher kam die riesige Diskrepanz zwischen den beiden Positionen? Ein Blick in andere Nachrichten jener Zeit bietet zumindest eine Teilerklärung. Im Dezember 1940 machten vom Justizministerium veröffentlichte Statistiken deutlich, dass die geflohenen Schauspieler und Musiker keinen negativen Einfluss auf die Beschäftigung amerikanischer Künstler gehabt hätten – eine verbreitete Befürchtung.30 Etwas später, im Sommer 1941, berichteten Reporter von den Untersuchungen eines isolationistischen Senats-Unterausschusses über angebliche »Kriegshetze« von Hollywood-Studios, die Filme mit einer deutlichen Anti-Nazi-Tendenz produzierten.31

Da der Roman auf der »falschen Seite« des Kriegseintritts der USA erschien, geriet er in einen Hexenkessel aus Angst, falschem Optimismus und eingeschränkten Perspektiven. »Those Torn from Earth«, mit seinem düsteren Titel und Umschlag, konnte für einen oberflächlichen Beobachter leicht weder als gute Unterhaltung noch als unerlässliche Lektüre erscheinen.

Es gab von Hollaender keine weiteren Romane auf Englisch. Er hatte genug mit Filmmusiken für Hollywood zu tun. Unter den vielen Routineaufträgen gab es einige Filme, die eine persönlichere Note als üblich anschlugen. Für Billy Wilders A FOREIGN AFFAIR, der 1947 in einem zynisch beobachteten Nachkriegs-Berlin spielt, schrieb er drei bemerkenswerte Songs (Text und Musik) für Marlene Dietrichs raue Gesangstimme: »Black Market«, »Illusions« und »The Ruins of Berlin«.

THE 5,000 FINGERS OF DR. T, aus der Feder von Dr. Seuss (Theodor Geisel), nutzte Hollaenders Talent für musikalische Parodie und das Groteske – notwendige Begleiterscheinungen zu den totalitären Albträumen, die dem Gehirn des kindlichen Helden von dem diktatorischen Musiklehrer Dr. Tewilliker eingeimpft wurden.

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Hollaender (l.) begrüßt Sigi Arno bei dessen Rückkehr nach Hamburg

Als er 1955 in die Bundesrepublik heimkehrte, ein Jahr nachdem Joe May nach Jahren voller Krankheit, Arbeitslosigkeit und bitterer Armut gestorben war, konzentrierte sich Hollaender zunächst auf das Verfassen von Bühnen-Revuen, gab das Genre jedoch sechs Jahre später angesichts schwindender Ziele für Satire auf. Die Last der Vergangenheit nahm zu. Ebenso das Alter. In öffentlichen Auftritten und in seinen Liedern verkörperte er zunehmend das Bild des traurigen Clowns, dem die Witze und der Lebenszweck abhanden gekommen waren.32 Er starb 1976. Es war eine wenig glückliche Re-Immigration.

Leider enthält »Von Kopf bis Fuß« nur einen kurzen Abschnitt zu »Those Torn from Earth«,33 obwohl das Buch für Hollaender eindeutig ein wichtiges Dokument seines vergangenen Lebens darstellte. In Phrasierung und Struktur erinnern die Passagen über das frühe Exil in Paris in der Autobiografie stark an den Roman. Dieses direkte Echo sowie die Tendenz der Memoiren, Tatsachen auszuschmücken, und der exakte Wortlaut zurückliegender Gespräche, die wunderbar genau erinnert werden, lösen einen letzten, reizvollen Gedanken aus. Könnte vielleicht »Von Kopf bis Fuß« die Romanfassung und »Those Torn from Earth« die Autobiografie sein? Die Umkehrung und Verwirrung würde ausgezeichnet zum Komponisten des Dietrich-Songs »Illusions« aus A FOREIGN AFFAIR passen, gesungen in jenen tiefen, dunklen, lebensüberdrüssigen Tönen, die ihm so sehr gelangen:

»I’ll sell them all for a penny,

They’ll make pretty souvenirs.

Take my lovely illusions,

Some for love, some for tears.«

1 Gerd Gemünden: Continental Strangers. German Exile Cinema 1933-1951. New York: Columbia University Press 2014, S. 240-242. – Friedrich Hollaender: Those Torn from Earth. New York: Liveright 1941; deutsch: Menschliches Treibgut. Übersetzt von Stefan Weidle. Bonn: Weidle 1995. — 2 Friedrich Hollaender: Von Kopf bis Fuß. Mein Leben mit Text und Musik. München: Kindler 1965, S. 7. — 3 Thomas Mann: Vorwort. In: Hollaender: Menschliches Treibgut, a.a.O., S. 5. Hollaenders Verbindungsmann zu Thomas Mann war dessen älterer Bruder Heinrich, vgl. Hans Wysling (Hg.): Thomas Mann, Heinrich Mann. Briefwechsel 1900–1949. Frankfurt/Main: S. Fischer 1968, S. 204 f. — 4 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987 (1951 Erstausgabe), S. 32. — 5 Hollaender: Those Torn from Earth, a.a.O., S. 250. — 6 Carl Zuckmayer: Als wär’s ein Stück von mir. Frankfurt/Main: Fischer 1966, S. 486 f. — 7 Hollaender: Those Torn from Earth, a.a.O., S. 448. — 8 Hollaender: Menschliches Treibgut, a.a.O., S. 345-354. — 9 Hollaender: Von Kopf bis Fuß, a.a.O., S. 293. — 10 Ebd., S. 334. — 11 Vivian Denton: The Truth and Nothing but the Truth. In: Hollywood Filmograph, 10.3.1934, S. 9. — 12 Jan-Christopher Horak: Music: Frederick Hollander – Zwischenspiel in Hollywood (1933–1945). In: Viktor Rotthaler (Red.): Friedrich Hollaender. Wenn ich mir was wünschen dürfte. Hambergen: Bear Family Records 1996, S. 48-52 (Beibuch zur CD-Edition). — 13 Ralph Wilk: A »Little« from Hollywood »Lots«. In: Film Daily, 7.9.1937. — 14 Vgl. Motion Picture Herald, 8.6.1935. — 15 Hollaender: Von Kopf bis Fuß, a.a.O., S. 277. — 16 Wireless Correspondent: Friedrich Hollaender, German Composer for Stage and Films. In: Sheffield Daily Independent, 4.4.1933. — 17 Hollaender: Von Kopf bis Fuß, a.a.O., S. 316. — 18 Hollaender: Those Torn from Earth, a.a.O., S. 63. — 19 Hollaender: Menschliches Treibgut, a.a.O., S. 51. — 20 Hollaender: Those Torn from Earth, a.a.O., S. 346. — 21 Peter Jelavich: Berlin Cabaret. Cambridge: Harvard University Press 1993, S. 148. — 22 Pat McGilligan: Backstory 2: Interviews with Screenwriters of the 1940s and 1950s. Berkeley: University of California Press 1997, S. 257. — 23 Igor Stravinsky, Robert Craft: Dialogues and a Diary. London: Faber and Faber 1968, S. 22; vgl. auch Jean-Michel Palmier: Weimar in Exile. London: Verso 2006, S. 254-256. — 24 Hollaender: Menschliches Treibgut, a.a.O., S. 361. — 25 Wysling, a.a.O., S. 204. — 26 Film Daily, 23.12.1940. Sowie: Buffalo Courier Express, 9.9.1942. — 27 Marianne Hauser: The Fate of Refugees. In: The New York Times Book Review, 11.5.1941. — 28 Vgl. Lawrence Langner: A Happy Invasion. In: The New York Times, 4.5.1941. — 29 Eugene Burr: From Out Front. In: Billboard, 29.6.1940. — 30 Not Many Refugee Jobs. In: Billboard, 7.12.1940. — 31 »Warmonger« Films Are Truthful Portrayals of Existing Conditions, Film Chiefs Tell Senate Enquiry. In: Variety, 1.10.1941. Weitere Anti-Nazi Hollywood Scripts in: Variety, 8.10.1941. — 32 Vgl. Volker Kühn: Spötterdämmerung. Vom langen Sterben des großen kleinen Friedrich Hollaender. Berlin: Partdehas 1997, S. 125. — 33 Hollaender: Von Kopf bis Fuß, a.a.O., S. 331.

Réka Gulyás

THE HUMAN TOUCH
Autoren des Films TALES OF MANHATTAN und ihre Beiträge

Wer sich mit ungarischer Filmgeschichte beschäftigt, stößt irgendwann auf den Satz: »It is not enough to be Hungarian, you need talent, too!« Diese Devise soll in Hollywood über dem Eingang der Metro-Goldwyn-Mayer Studios (M-G-M) und – laut anderen Quellen – auch auf dem Schreibtisch von Adolph Zukor (Paramount Studios) gestanden haben. László Görög – einer der Autoren des Films TALES OF MANHATTAN (SECHS SCHICKSALE, 1942, Julien Duvivier) – behauptete, dass diese Aussage sogar im Radio formuliert wurde und erst später in den Studios auf Schildern gedruckt erschien.1

Der legendäre Satz verweist darauf, dass im »Goldenen Zeitalter« Hollywoods zahlreiche ungarische Exilanten ihr Glück in der amerikanischen Filmindustrie versuchten. Obwohl in der »Neuen Welt« viele von ihnen eine erfolgreiche Karriere machten, sind bis heute nur die Lebensläufe derjenigen ungarischen Filmkünstler erforscht, die als internationale Größen in die Filmgeschichte eingingen, wie Adolph Zukor (Produzent), George Cukor (Regisseur), Michael Curtiz (Regisseur, Autor), Alexander Korda und Joe Pasternak (Produzenten, Regisseure). Weitaus weniger bekannt sind die Lebens- und Arbeitsumstände von Drehbuchautoren, die meist im Schatten von Produzenten, Regisseuren und Schauspielern standen. Der Episodenfilm TALES OF MANHATTAN ist ein Paradebeispiel für die Zusammenarbeit emigrierter und einheimischer Drehbuchautoren in den USA, denn an seiner Entstehung waren insgesamt 17 Autoren, davon neun Exileuropäer, unter ihnen fünf Ungarn, beteiligt.2

Emigrationswellen aus Ungarn

Der eingangs zitierte Satz impliziert zunächst die massive Präsenz ungarischer Filmkünstler in Hollywood. In ihrem Buch »De Budapest à Hollywood« unterscheidet die Kulturwissenschaftlerin Katalin Pór drei große Auswanderungswellen aus Ungarn nach Amerika.3 Die erste Welle datiert sie auf den Zeitraum 1871–1918 als Folge der 1848er Revolution bzw. des sogenannten Ausgleichs im Jahre 1867, der Ungarn innerhalb der k.u.k. Monarchie eine Teilautonomie sicherte. Da die vollständige Unabhängigkeit Ungarns nicht erreicht wurde und zunächst keine wirtschaftliche Besserung eintrat, brachen in diesem Zeitraum ca. 1,5 Millionen Ungarn nach Amerika auf.4 Unter diesen Emigranten befanden sich auch die Familien der späteren Mitbegründer Hollywoods, William Fox, George Cukor und Adolph Zukor.

Die zweite Welle war Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs und der Niederschlagung der Räterepublik. Das Horthy-Regime verfolgte linke Intellektuelle, vor allem solche, die in den 133 Tagen der Räterepublik wichtige Posten bekleidet hatten, wie Alexander Korda, Béla Balázs und Edmund Pauker.5 Diese Emigranten machten auf ihrer Flucht Zwischenstation in Wien und/oder Berlin. Andere wanderten 1919 direkt nach Amerika aus. So auch der Abenteurer Joseph Hermann Pasternak, der als Jugendlicher emigrierte, allerdings 1928–36 als Produktionsleiter der Deutschen Universal nach Europa zurückkehrte.6

Diese Auswanderungswelle dauerte ungefähr bis zum »Black Thursday« am 24.10.1929, da durch den Börsenkrach und die darauffolgende »Great Depression« die USA als Einwanderungsland vorübergehend an Attraktivität verloren. Während in der ersten Hälfte der 1930er Jahre Ungarns primäres politisches Ziel noch die Konsolidierung innerhalb Europas war, wurde ab der zweiten Hälfte die Orientierung an der nationalsozialistischen Politik Deutschlands immer offensichtlicher. Ereignisse wie der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich (12.3.1938), der Erlass der drei Judengesetze in Ungarn (1938, 1939, 1941) und schließlich Ungarns Eintritt an der Seite des Deutschen Reichs in den Zweiten Weltkrieg (27.6.1941) förderten die dritte Auswanderungswelle nach Amerika. Diese dritte Welle wies nach Katalin Pórs Aussage eine Besonderheit auf: »In dieser Zeit gingen zwischen Budapest und Hollywood nicht nur Personen auf Wanderschaft, sondern auch ihre Werke.«7 Sie weist darauf hin, dass zwischen 1930 und 1943 insgesamt 20 sogenannte »Erfolgsstücke«, die von ungarischen Autoren zwischen 1909 und 1937 geschrieben wurden, von Hollywoodstudios für den Film adaptiert worden sind.

Vor dem Exil: »New York« und »Klein-Hollywood« in Budapest

Alle ungarischen Drehbuchautoren, die in Amerika später erfolgreich waren, begannen in Ungarn als Journalisten und Schriftsteller – meist als Dramatiker. Der zentrale Ort in Budapest, der später in Hollywood für die Emigranten zum Erinnerungs- und Sehnsuchtsort par excellence wurde, war das 1894 gegründete Café »New York«. Tag und Nacht wurden hier Manuskripte und Nachrichten ausgetauscht. Es war ein wichtiger Treffpunkt, ein Umschlagplatz, an dem Empfehlungen ausgesprochen, Vorstellungsgespräche geführt und Verträge abgeschlossen wurden. Auch die ersten Filmvorführungen fanden hier statt.

Für die ungarischen Autoren war es Brauch, sich regelmäßig an einem Ort zu treffen und auszutauschen. Es gab unter ihnen ein sehr enges und effizientes Netzwerk. Die Emigranten führten diese Tradition in Wien und Berlin fort, es gab in beiden Städten bevorzugte Etablissements für ungarische Künstler. Da die meisten Intellektuellen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgrund ihrer Schulbildung in der österreich-ungarischen Monarchie gut Deutsch sprachen, gelang es vielen Autoren, in der wiener Filmindustrie oder in Berlin Fuß zu fassen. Sie wurden beliebte Stofflieferanten deutschsprachiger Produktionen – in dieser Zeit entstanden erste Arbeitsbeziehungen u.a. mit Ernst Lubitsch und Billie/Billy Wilder, die später in Hollywood für die Emigranten von Bedeutung waren. Nach dem Machtantritt Hitlers 1933 kehrten jedoch mehrere ungarische Filmkünstler nach Budapest zurück, da sie in Deutschland durch die Juden- und Ausländergesetze über Nacht zur »Persona non grata« wurden. Einige ihrer jüdischen Kollegen aus Deutschland und Österreich folgten ihnen. Zwischen 1933 und 1938 wurden in den Hunnia Studios in Budapest zahlreiche Filme in Mehrsprachenversionen gedreht. Diesen florierenden Filmbetrieb nannte Viktor Gertler, der Cutter von DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930, Wilhelm Thiele), »Klein-Hollywood«.8

Ungarische Exilautoren des Films TALES OF MANHATTAN

Von den 17 an TALES OF MANHATTAN beteiligten Autoren waren fünf Ungarn. Sie waren zwischen 1935 und 1940 in Amerika eingetroffen und hatten nach und nach angefangen, in Hollywood als Drehbuchautoren zu arbeiten. Als erster übersiedelte Melchior Lengyel in die Neue Welt.9 Wie man seinem Tagebuch entnehmen kann, stellte ihn das Verlassen seiner Heimat vor eine schwierige Wahl: »Hoffnung aus Amerika, eine Ausreisemöglichkeit nach Hollywood, als die einzige Chance, die Unsicherheit loszuwerden. Ein ewiges Dilemma: In Budapest zu bleiben und zusammen mit den anderen in einem Gulaschkessel zu schmoren, oder außer Landes nach Lebensmöglichkeiten und Erfolgschancen zu suchen – währenddessen vergehen die Jahre und das chancenlose Alter stellt sich ein.«10 Doch er ergriff rechtzeitig die Gelegenheit, nach Hollywood zu gehen, indem er 1935 dem Ruf von Ernst Lubitsch folgte. Er sollte das Drehbuch »Hotel Imperial« seines Landsmanns Lajos/Ludwig Bíró für ein Remake überarbeiten.11 Das Projekt scheiterte zwar, Lengyel blieb jedoch in Amerika und wirkte als Drehbuchautor an zahlreichen Filmen mit, u.a. an Lubitschs ANGEL (ENGEL, 1937) und TO BE OR NOT TO BE (SEIN ODER NICHTSEIN, 1941/42).

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Tales of Manhattan (1942, Julien Duvivier): aus dem Vorspann

László Vadnay121314