image

Burt Frederick

Kämpft sie
nieder

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Das Morgengrauen des 6. April Anno 1594 kroch mit blassen Nebelschleiern auf die Küste der Bahamainsel Mariguana zu. Das Dickicht des tropischen Pflanzenwuchses schien die Dunstschwaden von See her in sich aufzusaugen, um die Feuchtigkeit zu speichern und damit für die Sonnenglut des bevorstehenden Tages gewappnet zu sein.

Die grüne Wand des Inselwaldes begann hinter einem schmalen Streifen weißen Sandstrands, auf den sich flache Wogen mit dünnen Schaumkronen nur wie zaghaft vorwagten. Unsichtbar, doch unüberhörbar erwachte das Leben in der üppigen Vegetation. Eine meist gefiederte Tierwelt begrüßte den Morgen in vielstimmig lärmender Freude. Da schrie und trällerte, keckerte und trompetete es, als hätte ein Wettstreit um die größte Lautstärke begonnen.

Nichts schien den Frieden zu trüben. Denn von menschlichen Bewohnern gab es auf diesem paradiesischen Eiland keine Anzeichen.

Doch aus den Nebelschwaden vor der Küste tauchten Konturen auf, die nichts Friedliches hatten. Ein mächtiger Bugspriet stach durch das milchige Grau, und die feuchten Schleier umwaberten die Beplankung des Schiffsrumpfes, der mit langsamer Fahrt auf Ostkurs dahinglitt. Nur Fock- und Großsegel der Galeone waren gesetzt. Das lohfarbene Tuch wurde von der mäßigen Brise aus Ostnordost nur scheinbar widerwillig gefüllt. Es schien, als sträube sich die Natur, dem drohend anmutenden Schiff den Vortrieb für seine Schleichfahrt zu gewähren.

Das trübe Licht des beginnenden Tages ließ die Bronzeleiber der ausgerannten Kanonen matt schimmern, die Männer, die kampfbereit hinter den Geschützen kauerten, wagten vor Anspannung nicht, sich zu bewegen.

Mit einer Distanz von nur vier Kabellängen tastete sich das dreimastige Kriegsschiff an der Inselküste entlang. Doch dort, im Dickicht, gab es offenbar niemanden, den die gefechtsbereiten Kanonen der beiden Geschützdecks hätten einschüchtern können.

Manchmal klangen Vogelstimmen durch den morgendlichen Lärm, die sich wie Hohngelächter anhörten.

Don Pedro de Harana, Capitán der dreimastigen Kriegs-Galeone „Granada“, wippte auf den Zehenspitzen. Seine Offiziere kannten das, und unter normalen Umständen hätten sie darüber gegrinst. Aber an diesem frühen Morgen mußte man damit rechnen, daß Don Pedro sogar Augen im Hinterkopf hatte. Wie er so dastand, an der Querbalustrade des Achterdecks, strahlten Wut, Gereiztheit und Aggressivität in geballter Form von ihm aus.

Ja, sie kannten ihn in solchen Momenten. Und sie hüteten sich, ihn anzusprechen. Denn er war wie ein Pulverfaß. Ein einziges falsches Wort konnte die Lunte sein, die ihn hochgehen ließ. Dann scherte er sich den Teufel darum, ob es korrekt war, einen Offizier in Anwesenheit von unteren Dienstgraden abzukanzeln. Dann vergaß er diesen wichtigen Punkt der militärischen Etikette, die er sonst so sehr schätzte.

Wippend und kerzengerade stand er dort, als hätte er einen Rohrwischer verschluckt. Geradlinig hingen die Arme nach unten, die Hände, die er über dem verlängerten Rückgrat zusammengelegt hatte, symbolisierten eine mühsam selbst auferzwungene Geduld. Don Pedros Uniform saß makellos wie stets. Der blinkende Helm und der Degen mit der kostbar ziselierten Griffschale verdeutlichten, daß er in aller Kürze mit einer kriegerischen Auseinandersetzung rechnete.

Auch in diesem Punkt wären die Offiziere zu einem Grinsen geneigt gewesen, rechneten sie nicht damit, daß ihr Vorgesetzter jegliche Art von Zweifel an seinen Entscheidungen sofort wittern würde. Doch sie teilten insgeheim die Meinung des Ersten, daß es auf dieser verträumten Insel keine Menschenseele gab, die auch nur daran dachte, so etwas wie Piraterie zu betreiben.

Don Pedro de Harana war allerdings von seinem Auftrag besessen. Das wußte jeder an Bord der „Granada“, vom Decksmann bis hinauf zum Ersten Offizier. Am liebsten hätte Don Pedro reihenweise Piratenschiffe aufgestöbert und auf den Meeresgrund geschickt. Seit sie den Stützpunkt Cartagena verlassen hatten, fieberte de Harana darauf, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Denn er wußte, daß er dem Generalkapitän Don Alonso de López y Marqués damit einen großen Gefallen tun würde. Letzterer kochte noch immer vor Wut, seit er einer Auseinandersetzung mit rätselhaft kampfstarken Korsarenschiffen westlich von Hispaniola mit knapper Mühe entronnen war. Mit dem Piratenunwesen in der östlichen Karibik sollte nun endgültig aufgeräumt werden. Don Pedro war stolz darauf, in dieser Angelegenheit gewissermaßen als Vorreiter auftreten zu dürfen. Als Kundschafter, der einen Schlupfwinkel nach dem anderen entdecken und für die Vernichtung bloßlegen würde.

Beide Marse waren mit Ausguckposten besetzt. Jede Bucht, und wenn sie noch so winzig war, wurde gründlich ausgespäht. Marodeure und Galgenstricke pflegten die unmöglichsten Orte als Verstecke zu benutzen. Letzten Endes war es gut möglich, daß das von dem „Franzmann“ bezeichnete Piratenschiff schon in eine andere Bucht verholt hatte.

Don Pedro de Harana zweifelte nicht im mindesten daran, daß seine Entscheidung richtig gewesen war. Nach der Flucht dieses Kerls, der sich Ernest Fabien nannte, hatte er zwei Landetrupps Seesoldaten ausgesetzt und mit der „Granada“ die Ankerbucht an der Südseite von Mariguana verlassen. Die Soldaten hatten den Auftrag, die Insel nach Norden zu durchqueren, um auf dem Landweg zu jener Bucht vorzustoßen, die der „Franzmann“ auf der Seekarte benannt hatte.

Die „Granada“ hatte unterdessen die Ostspitze der Insel gerundet und pirschte sich nun an der Nordküste auf westlichem Kurs voran. Etwa in der Mitte der Insel befand sich die Piratenbucht.

Aber welche Rolle spielte das schon! Don Pedro wippte bei diesem Gedanken heftiger auf den Zehenspitzen. Ha, er würde diese Hunde so oder so aufspüren, wohin auch immer sie sich verholt haben mochten. Denn daran, daß er durch den „Franzmann“ einer üblen Bande von Halsabschneidern auf der Spur war, gab es für ihn nicht den geringsten Zweifel.

Beweis dafür war die ungeheure Frechheit dieses Kerls.

Die Frechheit nämlich, einfach zu entwischen. Natürlich bewies das seine Gefährlichkeit. Und wenn einer von dieser Sorte war, dann konnte auch die ganze Bande nicht viel anders sein. Don Pedro bereute nachträglich, daß er diesen Fabien nicht in Eisen gelegt hatte. Seine Wut darüber, daß die Posten sich überrumpeln ließen, war noch immer nicht verraucht. Doch sein Jagdfieber hatte bereits die Oberhand gewonnen. Dieses Piratenschiff würde er unangespitzt in den Grund bohren. Mit einem Eisengewitter, das wie ein Höllengericht über die Galgenstricke hereinbrechen sollte.

Nach und nach lichteten sich mittlerweile die Nebelschwaden, zunehmende Helligkeit erfaßte den Küstenbereich. Unbändige Freude erfüllte den Capitán der „Granada“. Auch das Wetter war auf seiner Seite. Sehr bald würde die Sonne aufgehen, dann würde nicht einmal der Allmächtige mehr Gnade mit dem Piratenpack haben.

Aus einem plötzlichen Entschluß heraus wandte sich Don Pedro abrupt um. Mit hoch erhobenem Kopf, die Hände weiter auf dem Rücken, stelzte er auf die drei Offiziere zu, die vor der Heckbalustrade Aufstellung genommen hatten.

Kaum, daß er sich ihnen zugewandt hatte, gingen sie in Habtachtstellung. Nachlässigkeiten duldete er bei niemandem. Am allerwenigsten bei seinen Offizieren, die den Gemeinen ein ständiges Vorbild zu sein hatten.

In herrischer Pose blieb Don Pedro vor den drei Männern stehen, sah den Ersten an und reckte auffordernd das Kinn vor.

„Ich will noch einen Blick auf die Karte werfen“, sagte er knarrend. „Es muß doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese verdammte Bucht nicht bald erreicht haben.“

„Sofort, Capitán.“ Der Erste griff nach dem zusammengerollten Pergament, das er in der Tasche seines Wamses verstaut hatte. Er rollte die Karte auseinander und hielt sie mit beiden Händen senkrecht hoch.

„Und?“ Don Pedro bellte das eine Wort, daß es wie ein Pistolenschuß klang.

Der Dritte Offizier, der zugleich Navigator war, beeilte sich, einen Schritt näher heranzutreten. Mit dem Zeigefinger deutete er auf einen Punkt im nördlichen Küstenverlauf der Insel.

„Wir befinden uns jetzt ungefähr hier, Capitán. Die Piratenbucht …“

„Ungefähres will ich nicht wissen“, schnaubte Don Pedro. „Die genaue Position brauche ich, Mann! Wenn Sie Ihres Postens als Navigator nicht würdig sind, brauchen Sie es nur zu sagen. Vielleicht fühlen Sie sich überfordert. Wie? Habe ich recht?“

„Nein, Capitán.“ Der Dritte zog unwillkürlich den Kopf ein Stück tiefer zwischen die Schultern, als erwarte er eine körperliche Züchtigung.

„Widersprechen Sie mir nicht, Kerl!“ Don Pedro wippte mit einem energischen Ruck auf und ab. „Ich rate Ihnen, leisten Sie sich während dieser Fahrt keine weitere Schlampigkeit. Sonst sind Sie spätestens bei unserer Rückkehr nach Cartagena die längste Zeit Navigator auf diesem Schiff gewesen.“

„Jawohl, Capitán“, sagte der Dritte so klar und deutlich, wie er es trotz seiner Wut im Bauch zustande brachte.

„Und? Wie ist nun unsere genaue Position?“

Der Dritte tippte noch einmal auf die Stelle des Küstenverlaufs, die er zuvor schon angezeigt hatte.

„Genau hier, Capitán. Es kann sich folglich nur noch um genau zwei Minuten handeln, bis wir die besagte Piratenbucht in Sichtweite haben.“

Natürlich war diese genaue Zeitangabe hoffnungslos übertrieben. Aber der Dritte sah keinen anderen Ausweg, um Don Pedros Bedürfnis nach Genauigkeit zu erfüllen. Und eine gütige Fügung des Schicksals bestätigte die Angabe des Offiziers im nächsten Augenblick, noch bevor dieser Eisenfresser von einem Kapitän zu einer Entgegnung ansetzen konnte.

Die Stimme des Ausgucks ertönte aus dem Großmars.

„Deck! Größere Bucht Backbord voraus!“

Don Pedro de Harana vollführte eine zackige Kehrtwendung und stelzte voller Spannung zur Querbalustrade zurück. Am Backbordniedergang beugte er sich vor und starrte in das noch immer trübe Morgenlicht.

Wie um ihn zu besänftigen, brach in diesem Moment die Sonne über der östlichen Kimm hervor. Und von einer Minute zur anderen ergoß sich strahlende Helligkeit über die Karibische See.

Der Einschnitt im Küstenverlauf war jetzt überdeutlich zu erkennen.

„Backbordgeschütze klar zum Feuern!“ schrie Don Pedro. Er mußte sich bemühen, nicht gleichzeitig seine Freude hinauszubrüllen. Jetzt ging es dem Piratengesindel an den Kragen! Hier und jetzt, an diesem herrlichen Aprilmorgen, der sich von keiner besseren Seite hätte zeigen können. Im Handumdrehen würde dieser Fall erledigt sein, und dann konnte Punkt eins auf der Erfolgsliste abgehakt werden.

„Backbordgeschütze klar!“ meldete der Stückmeister vom Niedergang zur Back, wo er Stellung bezogen hatte.

Die Geschützmannschaften lauerten hinter den Bronzerohren, die Decksleute, die die Segel im entscheidenden Moment backzubrassen hatten, standen auf dem Sprung. In wenigen Augenblicken, so dachte Don Pedro voller Stolz, würde sich die „Granada“ in eine feuerspeiende schwimmende Festung verwandeln, gegen die niemand auch nur die geringste Chance hatte.

Ohnehin würde er das Gesindel im Schlaf überraschen. Mit Gegenwehr war praktisch nicht zu rechnen. Dieses faule Pack lag meist bis in die Mittagsstunden auf dem Ohr, fraß sich dann den Wanst voll und verbrachte den Rest des Tages bis in die späte Nacht damit, zu saufen und herumzuhuren. Für diesen lasterhaften Lebenswandel sollte sie jetzt das Gottesurteil treffen – und für ihre Frechheit, im Machtbereich der spanischen Krone ihr Unwesen zu treiben.

Die „Granada“ glitt auf die Mündung der Bucht zu. Auch die drei Offiziere waren jetzt an die Querbalustrade geeilt. Ungewollt hatten auch sie sich von der allgemeinen Spannung packen lassen. Absolute Stille war auf den Decks der Galeone eingekehrt. Mit zusammengepreßten Lippen wartete der Stückmeister auf das Zeichen, das ihm der Capitán jeden Moment geben mußte.

Die Weite der Bucht schob sich mehr und mehr ins Blickfeld der Männer.

Gähnende Weite! Paradiesisch leer!

Don Pedro de Harana war versucht, einen Fluch auszustoßen. Ein Capitán Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II, von Spanien, fluchte jedoch nicht, vor allem nicht in Anwesenheit von niederen Chargen.

Dann erblickte er die winkenden Soldaten am Strand. Ihre Helme und Brustpanzer schimmerten im strahlenden Schein der Morgensonne.

„Lassen Sie vor Anker gehen“, wandte sich Don Pedro mit müder Stimme an den Ersten Offizier. „Lassen Sie die Boote zu Wasser bringen und die Männer an Bord holen.“

„Jawohl, Capitán“, antwortete der Erste und salutierte. Dann hallte seine energische Befehlsstimme über die Decks.

Don Pedro drehte sich um, stelzte zur Heckbalustrade und starrte auf die See hinaus. Die freudige Erregung, die ihn vor Minuten noch erfüllt hatte, war düsteren Gedanken gewichen. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Nie und nimmer war er vom Pech verfolgt. Das Schicksal konnte sich nicht gegen ihn gewandt haben. Die Gerechtigkeit war doch auf seiner Seite. Es durfte einfach nicht angehen, daß es eine andere, fatale Gerechtigkeit gab, die auf der Seite des ostkaribischen Lumpenpacks stand. Don Pedro schickte einen flehentlichen Blick zum Himmel. Inbrünstig bat er den Allmächtigen, ihn mit gerechtem Zorn auf seinem dornenvollen Weg zu begleiten.

Unvermittelt durchzuckte ihn ein Gedanke. War das etwa schon ein Wink des Himmels? Warum hatte er nicht eher daran gedacht?

Die Buchten westlich von hier!

Natürlich. Dorthin konnten die Piraten verholt haben. Es gab nur diese eine Möglichkeit, denn sie konnten sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.

Wenig später jedoch folgte die endgültige Ernüchterung für Don Pedro. Der Truppführer der Soldaten, ein Teniente, meldete sich auf dem Achterdeck, nachdem seine Männer an Bord gebracht worden waren.

„Ich bitte darum, meinen Bericht erstatten zu dürfen“, sagte der Teniente in jenem barschen Ton, den Don Pedro so sehr schätzte.

„Ich höre“, entgegnete de Harana gnädig.