image

Frank Moorfield

Meuterei auf der Caribian Queen

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Casco drehte den Becher um und knallte ihn hart auf das Holz der Schiffsplanken. Die Spieler starrten wie gebannt auf die Würfel.

„Zum Teufel, jetzt hab’ ich dich endlich geschafft!“ brüllte der bullige Kreole, der die Muskeln und den Nacken eines Kampfstieres hatte. Er hieb sich mit beiden Pranken auf die Schenkel und grinste von einem Ohr zum anderen. Sein Gesicht glich in diesem Augenblick einer dämonischen Fratze, wozu sicherlich auch seine verknorpelten Ohren sowie die breitgeschlagene Nase beitrugen.

„Gar nichts hast du geschafft“, sagte Pablo. „Wir sind jetzt lediglich auf dem gleichen Stand.“

„Was soll das heißen, du Ratte?“ In den pechschwarzen Augen Cascos glomm ein gefährliches Feuer.

„Daß du mich beschissen hast“, erwiderte Pablo wütend. Er war ein vierschrötiger Kerl, muskelbepackt und mit einem Gesicht voller häßlicher Narben.

Der Kreole fuhr von den Planken hoch.

„Reiß dein Maul nur nicht zu weit auf!“ stieß er hervor. „Ein einziges Wort noch, und ich zerquetsche dich zwischen Daumen und Zeigefinger wie eine Kakerlake.“

Pablo lachte heiser, und die anderen grinsten dazu erwartungsvoll.

„Wenn du spielst, mußt du dich auch an die Regeln halten“, sagte er ungerührt. „Bilde dir nur nicht ein, daß ich mich auf eine so plumpe Weise übers Ohr hauen lasse. Da such’ dir lieber gleich einen Dümmeren aus, es gibt ja genug Idioten an Bord dieses verdammten Kahns.“

Für einen Moment herrschte Totenstille. Die Spielkumpane blickten in gespannter Erwartung auf die massigen Körper der beiden dunkelhäutigen Giganten.

Sie wurden nicht enttäuscht.

Die Rechte Cascos zuckte blitzschnell zum Gürtel, und einen Lidschlag später blitzte die Klinge seines Messers grell im Licht der Vormittagssonne.

Jawohl, über der versteckten Bucht im Labyrinth der Islas de Mangles vor der westlichen Südküste Kubas brauten sich an jenem 23. April im Jahre des Herrn 1594 Wolken des Unheils zusammen.

Schon seit Tagen spürte jeder an Bord des schwarz gestrichenen Zweideckers mit dem anspruchsvollen Namen „Caribian Queen“, daß etwas in der Luft lag, aber keiner der Piraten konnte sich einen Reim darauf bilden. Die Stimmung an Bord glich der dumpfen Atmosphäre, die einem heftigen Gewitter vorausgeht.

Eigentlich hatte der sonnige Apriltag recht harmlos begonnen. Ein halbes Dutzend der verluderten Kerle hatte sich auf der Back im Schatten des mächtigen Schanzkleides hingehockt und ließ einen Würfelbecher kreisen. Kleinere und größere Häufchen von Perlen sowie Gold- und Silbermünzen wechselten ihre Besitzer und wurden von gierigen Händen hin und her geschoben.

Jetzt aber hatten die Piraten kaum noch Interesse an den Münzen. Ihre Augen waren auf Casco und Pablo gerichtet. Endlich passierte mal wieder etwas auf diesem Teufelskahn, auf dem die Kerle seit dem Anlaufen des Schlupfwinkels im Dezember des vergangenen Jahres tatenlos herumgammelten. Die nervtötende Warterei ging ihnen schon lange aufs Gemüt. Da half es auch nicht, wenn von Zeit zu Zeit eine kleinere Gruppe zum kubanischen Festland übersetzte, um dort in einer der zahlreichen Hafenkneipen mal tüchtig auf die Pauke zu hauen.

Das war ohne Zweifel der begehrteste Zeitvertreib, denn die glutäugigen Schönen, die fast schon zum Inventar der Spelunken gehörten, warfen allem, was Hosen trug, verführerische Blicke zu, und nicht nur das. Trotzdem hatten es die meisten Schnapphähne von der „Caribian Queen“ längst satt, einen Großteil ihrer Zeit faul an Bord herumzulungern oder bei den zahlreichen Glücksspielen ihre Barschaft zu verjubeln. So verschlechterte sich die Stimmung von Tag zu Tag mehr, und immer wieder mußte sich mal einer der Kerle „Luft“ verschaffen – gleich auf welche Weise.

Auch Casco war seit Tagen übelgelaunt. Kein Wunder, daß er jetzt die Nasenflügel blähte wie ein Büffel, der im Begriff ist, seinen Gegner auf die Hörner zu nehmen. Seine Rechte umklammerte den Griff des Messers, seine Augen funkelten tückisch.

„Komm her, du Ratte!“ zischte er. „Niemand bezeichnet mich ungestraft als Falschspieler. Auch du nicht.“

„Trotzdem hast du mich beschissen!“ schnaubte Pablo. „Alle können das bezeugen. Außerdem scheinst du die Hosen gestrichen voll zu haben. Warum sonst brauchst du einen Piekser? Deinen zarten Fäusten traust du wohl nichts mehr zu, wie?“

Casco warf einen verdutzten Blick auf sein Messer.

„Na schön“, sagte er dann mit rauher Stimme, „du sollst es haben, wie du willst – heiß oder kalt, langsam oder schnell. Wenn du dich vor einem Messerkampf fürchtest, bin ich gern bereit, dir mit den Fäusten was zu verpassen. Aber verlaß dich drauf – ich werde dir jeden Knochen einzeln brechen.“ Mit einer raschen Bewegung schob er das Messer in den Gürtel zurück.

Pablo quittierte das mit einem höhnischen Grinsen.

„So ist’s besser, Freundchen. Und jetzt zeig endlich, ob du deine großspurigen Versprechungen auch einhalten kannst.“ Sein narbiges Gesicht nahm einen lauernden Ausdruck an. Er stand nach vorn gebeugt wie ein Gorilla und hatte die Hände zu Fäusten geballt.

„Und ob ich dir das zeigen werde!“ stieß Casco hervor. Fast gleichzeitig wuchtete er seinem Gegner eine rechte Gerade entgegen.

Pablo hatte jedoch damit gerechnet. Er kannte die wilde und ungestüme Art Cascos und ebenso seine Verschlagenheit, Skrupellosigkeit und Hinterlist. Da er dem Kreolen, was diese und einige andere Charaktereigenschaften betraf, durchaus ebenbürtig war, reagierte er entsprechend. Trotz seiner massigen Gestalt war er flink und beweglich. Er tauchte blitzschnell unter der Faust Cascos weg und rammte diesem den kantigen Schädel in die Magengrube.

Casco keuchte und krümmte sich für einen Moment zusammen. Dann entrang sich ihm ein wütender Aufschrei, der an das Brüllen eines Ochsen erinnerte.

„Jetzt bist du endgültig dran!“ schrie er mit haßverzerrtem Gesicht. „Dir drehe ich die Nase so auf den Rücken, daß du dein eigenes Hinterteil betrachten kannst.“

„Versuch’s doch“, entgegnete Pablo wild. Im selben Augenblick stießen seine Pranken zu. Offensichtlich wollte er seinen Rammstoß mit den Fäusten wiederholen, um dem Kreolen abermals die Luft aus dem mächtigen Brustkorb zu jagen.

Doch diesmal war Casco auf der Hut. Er blockte den Hieb geschickt ab und erwischte seinen Gegner mit einem harten Schlag gegen die rechte Schulter.

Pablo wurde ein Stück um die eigene Achse gerissen. Dennoch reagierte er geistesgegenwärtig und ging sofort in die Hocke, denn der zweite Hieb Cascos hätte ihn ohne Zweifel am Kopf erwischt und von den Beinen gefegt. So aber stieß die Faust des Kreolen ins Leere, und er torkelte durch die Wucht des eigenen Schlages ein Stück vor.

Pablo nutzte das aus. Noch in der Hocke wirbelte er herum, warf sich der Länge nach zu Boden und griff nach Cascos Beinen. Bevor dieser zur Seite springen konnte, zog er ihm die Füße unter dem Körper weg, so daß der bullige Mann mit einem wüsten Fluch auf die Planken krachte.

Die Zuschauer, die den Schlagabtausch mit Begeisterung verfolgten, brüllten lachend auf. Solange sie Casco kannten, hatte es noch keiner geschafft, den Bullen auf eine so simple Weise aufs Kreuz zu legen.

Aber sie freuten sich zu früh. Der Kampf strebte rasch seinem Ende entgegen.

Pablo, der Casco an Körperkräften unterlegen war, wollte seinen bisherigen Erfolg auskosten. Der Gedanke, am Ende doch noch der Unterlegene zu sein, war ihm unerträglich, deshalb riß er mit einer jähen Bewegung sein Entermesser aus dem Gürtel. Er wollte unter allen Umständen verhindern, daß der Kreole wieder auf die Beine kam. Schon Sekunden danach zerschnitt die scharfe Klinge seines Messers die Luft und raste auf Casco zu.

Einen Atemzug lang sah Casco dem Tod ins Auge, dann warf er seinen schweren Körper in einem wilden Aufbäumen zur Seite. Das Messer fuhr mit einem dumpfen Geräusch in das Holz der Schiffsplanken.

Casco schäumte vor Wut. Mit einem Schrei, der seinen ganzen Haß zum Ausdruck brachte, griff er ebenfalls zum Messer. Dabei verwünschte er sich selber, weil er es zu Beginn des Kampfes in den Gürtel zurückgesteckt hatte.

Bevor Pablo die scharfe Klinge seiner Waffe aus dem Holz ziehen konnte, war sein Schicksal besiegelt.

„Stirb, du hinterlistiger Hund!“ brüllte Casco und stieß dem narbengesichtigen Burschen, der noch halb über ihn gebeugt war, von unten das Messer in die Brust.

Pablo kippte zur Seite und rollte auf den Rücken. Ein Röcheln verriet dem bulligen Kreolen, daß er seinen Gegner endgültig besiegt hatte. Trotzdem warf er sich in seiner unbändigen Wut über Pablo und hätte ohne Zweifel ein zweites Mal zugestoßen, wenn ihn nicht plötzlich die Stimme einer Frau in die Wirklichkeit zurückgerissen hätte.

Die Stimme gehörte der Black Queen, jener halbnackten Negerin mit dem athletischen Körperbau, die den gefürchteten Zweidecker mit eiserner Hand regierte und sich zum Ziel gesetzt hatte, die gesamte Karibik zu beherrschen.

„Aufhören!“ rief sie mit wütender Stimme. „Sofort aufhören!“

Casco rollte wild mit den Augen, dann ließ er das Messer zähneknirschend auf die Planken fallen.

Der Befehl der Black Queen war jedoch um Sekunden zu spät erfolgt, denn Pablo war tot. Seine Augen starrten gebrochen in den wolkenlosen Himmel.

Die Black Queen, die gestützt vom Feldscher zu einem ihrer sehr kurzen und seltenen Inspektionsgänge aufgebrochen war, blickte Casco böse an.

„Was geht hier vor?“ wollte sie wissen, und jeder an Bord bemerkte, daß ihre Stimme nicht mehr die frühere Schärfe und Festigkeit hatte. Sie war leiser und kraftloser geworden in der langen Zeit, seit die schwarze Piratin ihre schwere Verwundung auskurierte. Früher, ja, da hatte sie ihrem Namen alle Ehre gemacht. Stolz und tatkräftig wie eine Königin war sie aufgetreten und gar mancher hatte sich die Zähne an ihr ausgebissen.

Seit sie sich jedoch im Duell gegen El Tiburon eine Kugel dicht über dem Herzen eingefangen und viele Wochen lang mit Wundfieber, Vereiterungen und gefährlichen Entzündungen in ihrer Koje gelegen hatte, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Casco rappelte sich von den Planken hoch und deutete verächtlich auf die Leiche Pablos.

„Diese Ratte hat mich der Falschspielerei beschuldigt, und zwar unberechtigt, wie jeder dieser Männer hier bezeugen kann.“ Die Blicke, mit denen er seine Spielkumpane bedachte, sagten deutlich genug, daß eine gegenteilige Antwort von ihnen ernste Folgen nach sich ziehen würde.

Die Kerle nickten deshalb eifrig.

„Er hat recht, Madam!“ rief einer von ihnen. „Pablo hat den Streit begonnen. Er hat seine Pechsträhne nicht verwinden können.“

Die Piratin winkte ab.

„Werft die Leiche über Bord!“ befahl sie, und damit war der Fall für sie erledigt.

Die wüsten Kerle führten diesen Befehl aus, zumal es an Bord der „Caribian Queen“ ohnehin nicht üblich war, einen Toten in Segeltuch zu nähen und nach einem Gebet und einer Ansprache der See zu übergeben. Leichen nahmen den gleichen Weg wie die Küchenabfälle: man warf sie einfach über Bord.

Nachdem Pablos Körper mit einem Klatschen in das Wasser der Bucht eingetaucht war, zog sich die Black Queen mit Hilfe des Feldschers in ihre Achterdecksräume zurück. Das hämische Grinsen, das die wulstigen Lippen Cascos dabei umspielte, bemerkte sie nicht.

Sobald die einst so gefürchtete Frau nicht mehr zu sehen war, wandte sich Casco seinen Kumpanen zu. Ihre Schar war durch eine beträchtliche Anzahl Gaffer größer geworden. Das Stimmengewirr, das während des Auftauchens des weiblichen Kapitäns leiser geworden war, schwoll jetzt wieder an. Einige der Schnapphähne hieben dem bulligen Kreolen anerkennend auf die Schultern – getreu dem Brauch, sich immer auf die Seite des Stärkeren zu schlagen.

Casco genoß seinen Triumph, obwohl es nicht mehr sein Sieg über Pablo war, der sein Denken beherrschte. Seine Gedanken kreisten bereits um eine ganz andere Sache. Um eine Sache, die ihm schon seit Wochen im Kopf herumspukte, und über die man zuweilen hinter vorgehaltenen Händen tuschelte.

Der stiernackige Mann mit der breitgeschlagenen Nase zeigte jetzt mit dem Daumen zum Achterdeck.

„Unsere Queen scheint eine Katze ohne Krallen geworden zu sein“, sagte er spöttisch. „Wenn ich sie so kraftlos herumschleichen sehe, erinnert sie mich an meine sieche Großmutter.“

Während einige der verlotterten Burschen ein lautes Gelächter anstimmten, zogen es andere vor, zu schweigen, denn man wußte zur Zeit nicht so recht, wie man dran war auf der „Caribian Queen“.

Überhaupt hatte der Zusammenhalt an Bord in letzter Zeit merklich nachgelassen. Die meisten Männer waren gereizter Stimmung, und nichts fehlte ihnen mehr, als ein wilder Raid, der auch ihre leeren Beutel wieder auffüllte. So aber lag der Dreimaster seit Monaten in dieser einsamen Bucht, um die Genesung der Black Queen abzuwarten.

Das üppige Grün der Insel, die hochaufragenden Palmen und die baumhohen Farne waren oft wochenlang das einzige, was die Mannschaft zu sehen kriegte. Manchmal zog ein Schwarm Vögel lärmend über das Schiff weg und übertönte für einige Augenblicke die Flüche jener, die gerade beim Glücksspiel ihre letzte Barschaft verloren hatten. Die erzwungene Untätigkeit setzte den Kerlen am meisten zu. Alle warteten darauf, daß endlich etwas geschah.

Hinzu kam, daß seit Tagen auch die harte Hand an Bord fehlte. Die Black Queen war noch immer krank und schwach, und Caligula, ihr Geliebter, hatte schon vor acht Tagen das Schiff verlassen, um sich nach Havanna durchzuschlagen. Er wollte herausfinden, was aus Cariba geworden war, der im Auftrag der Black Queen schon vor einem Monat nach Havanna aufgebrochen war, um die Männer von der Schlangen-Insel, jenen schlagkräftigen Bund der Korsaren, den Spaniern ans Messer zu liefern.

Die Queen lebte nur noch ihrer persönlichen Rache. Da Cariba längst überfällig war, hatte der hünenhafte Caligula die Angelegenheit selber in die Hand genommen. Das aber war ein Fehler, wie sich noch zeigen sollte, denn seit er das Schiff verlassen hatte, bröckelte nicht nur der Zusammenhalt an Bord ab, sondern auch die Autorität. Und das war gefährlich, sehr gefährlich sogar.

In der Mannschaft gärte und brodelte es, und gerade Casco war einer von jenen, die genug Schlitzohrigkeit und Durchsetzungsvermögen hatten, um die allgemeine Stimmung auszunutzen.

Auch jetzt begann er das bereits schwelende Feuer wieder aufzuheizen.

„Manchmal frage ich mich“, fuhr er fort, „ob die Queen jemals wieder etwas als Kämpferin taugen wird. Ist euch nicht aufgefallen, wie schwach und abgemagert sie ist, he?“

Viele der Kerle, die sich auf der Back versammelt hatten, nickten zustimmend.

„Wie eine schwindsüchtige Kuh, die keinen Tropfen Milch mehr gibt“, bemerkte einer von ihnen und vollführte dabei eine geringschätzige Geste.

Ein kleiner Bursche mit Säbelbeinen und einer riesigen Warze auf der Nase sagte: „Sie kommt nie wieder richtig auf die Beine, auch wenn sie seit dem Landgang Caligulas ab und zu mal aus der Koje kriecht. Doch sie wird das niemals einsehen, selbst wenn wir hier langsam vermodern.“