cover
Katharina Klimt

Liebe kostet Extra

Escort Lovestory





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Business as Unusual

Es gibt keine, wirklich keine Stadt, die verdorbener, lasterhafter und ungerechter ist. Mein Vater hat einmal gesagt, dass sich unter dem heutigen Straßenbelag, unter dem alleine schon dreckigen Teer, eine Schlacke befindet, die aus Jahrhunderten von Unrat gepresst wurde. Verdichtet zu der Essenz der Schlechtigkeit.  

Diese Schicht bildet das Fundament der Stadt. Meine Stilettos klappern spitz darüber, ultra hohe Absätze, und beim Gehen kommt mir die Erzählung meines Vaters in den Sinn. Ich bin froh, dass ich diese Straßen nur minimal berühre. Die Straßen von London. 

 

Heute ist ein normaler Abend. Ich bin ins Hotel Marriott beordert worden; dort wartet der Umschlag auf mich. Er ist das Wichtigste, der Grund, warum ich diesen Job mache. Der Kunde ist ein classic. Ich unterteile die Männer in vier Kategorien: strange, pervert, first timer und classic. Er hat mich für zwei Stunden gebucht. Das bedeutet Abendessen im Restaurant und dann nach oben aufs Zimmer gehen – für die Nachspeise, um die es eigentlich geht. 

Ich ziehe meinen Mantel enger. Überhaupt ist der Sommer ein Witz aus Wind und Regen, ich würde ja auch lachen, wenn mir die Tropfen nicht direkt ins Gesicht peitschen würden. Der Taxifahrer hat mir Mitleid zugelächelt, als er mich an der Ecke Mayfair absetzte. Ich gab ihm für die Gefühlsinvestition drei Pfund Trinkgeld. Wird sowieso eingerechnet, der Kunde zahlt immer die Anfahrt. Sobald es vorbei ist, muss ich alleine nach Hause kommen. Wie beim Handwerker. Und Handwerkerin bin ich. 

 

Das Hotel besitzt ein 5-Sterne-Restaurant, aber gerade deswegen muss ich vorsichtig sein. Mein persönlicher Paragraph 75: Nicht auffallen! Wenn eine exzellent gekleidete Dame in einem Hotelfoyer erscheint (ich trage die Haare hochgesteckt, dazu ein schwarzes Kostüm mit silbrig glänzenden Seidenstrümpfen), dann darf sie nie stehen bleiben. Warum sollte sie auch, wenn sie zum Dinner erwartet wird oder selbst ein Zimmer belegt? Nur ein Callgirl bliebe stehen. Deshalb gehe ich zielgerichtet durchs Foyer und orientiere mich unauffällig. 

Links vorne die Rezeption, seitlich daneben geht es zu den Aufzügen. Mein Kopf dreht sich fast unmerklich, da habe ich den richtigen Weg entdeckt. Eine Doppelglastür führt mich über beigen Teppichboden tiefer ins Hotel. Das Restaurant ist nicht zur Straße ausgerichtet, das kommt mir zupass. 

Waiting to be seated. Ich melde mich beim Platzkellner an. Diese Herren tragen häufig die Nase hoch, very british, und tun geschäftig. Ich fühle kurz in meinen Blazer, dort habe ich für Notfälle zehn Pfund Bestechungsgeld. Notwendig war es noch nie. 

Ich atme auf, als der Kellner kühl aber höflich nickt. Schnell nenne ich ihm den Namen, unter dem der Tisch für heute Abend reserviert wurde. Mein Tischgast sei schon eingetroffen. 

Jetzt folgen bange Sekunden: Wie alt wird er sein? Ist er gepflegt? Hat er Mundgeruch? Gutes Aussehen ist mir egal, ich muss ja nur einen Abend mit ihm verbringen. Ich halte mich dicht hinter dem Kellner und lege mein Willkommenslächeln auf. Der Kunde erwartet eine charmante Begrüßung, damit beginnt die Illusion, für die er viel Geld bezahlt. 

 

Das Restaurant ist gut gefüllt, von überall hört man das leise, fast zärtliche Klimpern von Besteck. Ich seufze innerlich auf, als wir am Tisch ankommen. »Hallo, Liebling«, begrüße ich die mir unbekannte Person. »Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. In der Firma brauchten sie noch wichtige Unterlagen.« Alles gelogen und im Preis inbegriffen. 

Schnell nehme ich Platz und schaue auf mein Gegenüber. Ich schätze ihn auf Mitte vierzig, leichter Grauschimmer an den Schläfen, Maßanzug und sauber rasiertes Kinn. Gut betuchter Geschäftsmann. Der Abend dürfte keine Probleme bereithalten. 

Er lächelt schmallippig und räuspert sich. Vollkommen normal: Der Kunde ist anfangs immer nervös. Er muss erst warm werden und sich auf die Illusion einlassen, dass ich seine Geliebte sei. 

Hautkontakt ist jetzt das Wichtigste. Ich lege meine perfekt manikürten Finger auf seine Hand. ›Jetzt komm schon. Entspann dich. Du bezahlst dafür, Süßer!‹, sage ich in Gedanken. 

Ermutigt blickt der Mann zum Kellner. »Bringen Sie mir einen gut gekühlten Chardonnay und für … dich?« ›Na, geht doch!‹ Ich zeige ihm meine frisch gebleachte Zahnreihe: »Für mich dasselbe, Liebling.« Ich bestelle immer das Gleiche wie der Kunde. Außer es ist harter Alkohol, der ist Tabu – schließlich bin ich im Dienst! 

 

Hotelrestaurants haben ein eigenes Flair. Es ist eine Mischung aus privatem Wohnzimmer und Bahnhofshalle. Fast alle Gäste sind auch Zimmereigner. Sie sind einfach zu faul, abends auszugehen. Somit ist es wie eine erweiterte Hotelsuite. Businessleute, Touristen, kaum Kinder, absolut gar keine Frauen ohne Begleitung. Das spielt mir in die Karten. Niemand verdächtigt mich, nicht dazuzugehören. 

»Bist du gut hierhergekommen?«, tastet er vor. Oh je, da muss ich nachhelfen. 

»Aber ja. Und in Wirklichkeit bin ich zu spät, weil ich mich für dich zurechtmachen musste  …« Meine Worte zeigen sofort Wirkung. 

»Hat man dir gesagt, was ich gerne habe?« Seine Augen beginnen zu glänzen. 

Keine Ahnung, die Agentur hatte nichts erwähnt. Trotzdem nicke ich: »Das werden wir nach dem Essen in Ruhe besprechen.« Ich schürze die Lippen. »Ich gehe mir kurz die Nase pudern … bis der Wein kommt … hast du etwas, was du mir mitgeben wolltest?« 

Das ist der Wink mit dem Zaunpfahl. Viele Kunden vergessen am Anfang den Umschlag. Aber dies ist mein persönlicher Paragraph 3: Pay first, then you eat. Es ist nicht so, dass ich den Männern misstraue. Eine spätere Übergabe ist nur ein Stimmungskiller par excellence. Wer will schon ohne Kleider über Geld sprechen? Eben! Also möglichst gleich das Thema erledigen. 

Ich stehe auf und blinzele ihm mit künstlichen Wimpern zu. Endlich fällt bei ihm der Groschen und er greift in sein Jackett. Der Umschlag wandert unauffällig in meine hungrige Handtasche. Ich werfe ihm eine Kusshand zu und verschwinde. 

 

In der Toilettenkabine kann ich in Ruhe den Betrag kontrollieren. Fünfzig Prozent gehören mir, den Rest muss ich morgen auf das Konto meines Chefs einzahlen. Meistens maile ich noch der Agentur, dass alles okay sei. Nachdem die Förmlichkeiten erledigt sind, stelle ich mich vor den Spiegel, ziehe mit einem Konturstift den Mund nach und lege frischen Lipgloss auf. Glänzende, verheißungsvolle Lippen. Ein classic denkt während des ganzen Essens an den zu erwartenden Blowjob. Da bin ich mir sicher. Deshalb widme ich meinem Mund die größte Aufmerksamkeit. 

Als ich wieder zum Tisch komme, steht der Wein schon an meinem Platz. Er reicht mir strahlend die Speisekarte. »Du ziehst die Blicke der Gäste scharenweise an!«, seufzt er. 

»Dankeschön. Aber ich bin nur für dich da, die anderen haben keine Chance.« ›Zumindest heute Abend nicht, Süßer.‹ 

»Dein Name war …?« 

»Heaven.« Der Name ist Programm, ist doch klar. 

»Heaven«, seine Stimme ist begeistert, »ich bin Marc.« 

Bist du nicht. Wie alle übrigen Marcs, die mich gebucht haben, auch nicht. Das gehört zum Spiel. Kein Mann nennt seinen wahren Namen. Ich ebenso nicht, aber das weiß er. 

 

Wir stoßen an. Er bestellt ein Entrecôte mit Beilage, und ich schließe mich an. Jetzt ist Small Talk an der Reihe. Ich spiele mit den Fingern am Glasstiel und schenke ihm einen gekonnten Augenaufschlag. »Bist du geschäftlich in der City?« 

Er sprudelt sofort los, erleichtert, dass wir ein Thema haben: »Ich bin Fond Manager, war gestern noch in Dubai, heute Abend erst eingeflogen. Morgen wird ein stressiger Tag in unserer Londoner Filiale, ich muss die neue Bilanz vorstellen, oh Mann, ich will gar nicht dran denken. Da dachte ich, dass ich mir ein wenig Entspannung verdient habe!« Er zwinkert mir zu und leert den Rest des Glases in einem Zug. 

»Eine gute Entscheidung«, sage ich lächelnd. »Du bist bei mir in besten Händen.« Meine handwerklichen – oder besser: mundwerklichen – Fähigkeiten werden von der Agentur gerühmt! Um dies zu unterstreichen, tupfe ich meine Lippen und benetze sie wieder mit Wein. Gerade so viel, dass mir etwas davon in die Mundwinkel läuft. Diese zarte Andeutung bringt die meisten Kunden auf Siedetemperatur 

Auch ›Marc‹ scheint langsam Hunger zu bekommen. Auf den Nachtisch natürlich. Er beschleunigt die Arbeit von Messer und Gabel. Ich merke, er will keine unnötige Zeit verschwenden. Die Uhr tickt, so ist das nun mal in meinem Gewerbe. Auch ich esse jetzt schneller. Nichts ist ärgerlicher, als den Kunden warten zu lassen. Wir plaudern noch über das Wetter, den chronisch verstopften Verkehr und die überteuerten Minicab-Taxen. 

Als er das Besteck zusammenlegt, führe auch ich die letzte Gabel zum Mund. Natürlich muss er aus Höflichkeit nach einem Digestif, einem Espresso oder Dessert fragen. Und natürlich lehne ich ab. Alles Weitere wird auf dem Zimmer serviert. 

 

Ich erhebe mich vorsichtig, angele meine Handtasche und hake mich unter den wartenden Arm. Das Essen wird automatisch auf seiner Kreditkarte verbucht. Inklusive prozentualem Trinkgeld. 

Während wir zu den Aufzügen schlendern, plappere ich ihn voll. Irgendetwas von einer Freundin, deren Hund und wie sich beide auf der Rolltreppe von Harrods beinahe stranguliert hätten. Das ist wichtig, um das Hotelpersonal nicht misstrauisch werden zu lassen. 

Im Aufzug gibt es zwei Varianten: Ist er leer, darf er mir an den Hintern greifen. Ist er voll, dann halte ich Abstand und quassele einfach weiter. 

Marc hat kein Glück. Zwei Japaner, korpulent und mit identischen Brillengestellen, glotzen mich während der Fahrt an. Ahnen sie etwas? Eigentlich bin ich eine unverdächtige Erscheinung. Zwar bestens gestylt aber business konform. 

Die Kunden bevorzugen nämlich Natürlichkeit, die Frau von nebenan, mit der sie auch ins Theater gehen könnten (aber nie gehen). Ich bin eine niveauvolle Begleitung, eine Edel-Escort. Ungeschminkt würde ich als Kindergärtnerin durchgehen: milchig blasse Haut und blonde dünne Strähnen. Dazu bin ich so groß wie ein Standventilator. Ich brauche bei einer Buchung mindestens eine Stunde, um mich für den Auftrag aufzuhübschen. 

 

Das Aufzugsdisplay zeigt das oberste Stockwerk. Lautlos rollen die Türen zur Seite. Er führt mich in einen dämmrig beleuchteten Flur und hält vor einer zweiflügeligen Tür. Eine Suite. Nicht schlecht. Da gibt es meist einen Whirlpool im Bad, der von Kunden gern für eine Entspannungsmassage genutzt wird. Ich merke mir die Zimmernummer und folge ihm nach. 

Wenn wir das Zimmer betreten, ist es, als schritten wir durch eine Schleuse. Der Kunde verhält sich sofort anders. War er vorher noch um Höflichkeit bemüht, geht es jetzt um sein Geld. Er hat mich gekauft und möchte nun den Gegenwert für seine Investition sehen. 

Ich schreite durch den großzügigen Raum, setze mich auf das Kingsize-Bett und ziehe die Schuhe aus. Der Mann ist angespannt, das spüre ich. Er hat sich mit der Hüfte an den TV-Tisch gelehnt und spielt mit der Fernbedienung. Ich will die Atmosphäre lockern: »Wollen wir erst einen Piccolo aus der Minibar trinken?« Meine Stimme soll einschmeichelnd sein, aber ich sehe, dass er überhaupt nicht zuhört. Seine Augen springen nervös zu meinen bestrumpften Beinen, dann zu meinem Ausschnitt und wieder zurück. Er bewertet mich. 

»Was machst du alles?«, schießt er hervor. 

Ich versuche, Zeit zu gewinnen. Irgendetwas fühlt sich nicht richtig an. Der Mann steht wie unter Strom. Er fährt sich durch die Haare und nestelt an seiner Krawatte. »Na komm, sag schon. Was darf ich mit dir machen?« 

»Möchtest du mich ausziehen?«, schlage ich vor. Ich muss seine aufgestaute Energie kanalisieren. Vielleicht wird er dadurch ruhiger. 

Er tritt zu mir und schaut auf mich herab. »Lass die Bluse an, zieh nur untenrum alles aus. Ich will, dass es nach einer spontanen Nummer im Büro aussieht.« 

Folgsam rolle ich die schönen Strümpfe von den Knien, da korrigiert er erneut. »Die Strümpfe anlassen. Auch die Schuhe. Nur den Slip runter.« 

Ich nicke und greife mir unter den Rock, um mein Höschen auszuziehen. Aus Prinzip trage ich ausschließlich teure Dessous. Das kleine Stoffstück ist ein Kunstwerk aus rotem Satin mit aufwendiger Spitze um den Bund und niedlichen seitlichen Schleifen. Doch das beachtet er gar nicht. Der Mann stolziert im Zimmer umher, als würde er angestrengt nachdenken. Ich stehe mit luftigem Schritt bereit und schaue ihm zu. 

»Jetzt hab ich’s«, ruft er auflachend. »Ich bin dein Chef! Und du bist die junge Sekretärin, die eine Festplatte gehimmelt hat – da war unser Jahresabschluss drauf, eine Katastrophe!« 

Ein Rollenspiel. Nicht ungewöhnlich, aber kein classic mehr. Ich stufe ihn neu ein: ein strange. Jetzt gilt es, ohne Umschweife in seine Fantasie einzusteigen, damit es rasch zum Eigentlichen kommt. Rollenspiele können sich ziehen. Einen Traum, den er schon tausend Mal beim Einschlafen durchexerziert hat – mit der Hand in der Hose – kann schnell anstrengend werden. 

Ich gebe die naive Empfangsdame mit Dackelblick und tänzele auf ihn zu: »Dann … komme ich in dein Büro. Ich erwarte die Abmahnung.« Flehend blicke ich zu ihm auf. »Oh bitte, bitte feuern Sie mich nicht, mein attraktiver Chef!« 

Sein Gesicht verzieht sich zu einer Fratze. »Halts Maul, du miese Schlampe! Du hast um gar nichts zu bitten. Du hast deine Arbeit zu machen.« 

Ich stocke irritiert. Gehört das noch zum Spiel? Das Glitzern in seinen Augen macht mir Angst. Er scheint meine Unsicherheit zu fühlen. Ein eigentümliches Lächeln huscht über seine Lippen. »Wenn du nicht zu normaler Arbeit zu gebrauchen bist … musst du es mit anderen Qualitäten eben wettmachen!« 

»Wie kann ich den Fehler wiedergutmachen?«, sage ich demütig und senke den Kopf. Ich höre, wie er den Reißverschluss seiner Hose öffnet. »Konzentrier dich auf die Arbeit, die du am besten kannst. Geh auf die Knie. Mach den Mund auf.« 

Ich befolge seine Anweisungen. ›Es ist ein Job, nur ein verdammter Job‹, denke ich, als ich vor ihm niedersinke. Er zieht sich ein Kondom über (ohne geht bei mir gar nichts, das wird von der Agentur schon vorher geklärt). Dann schiebt er mir alles, was er hat, in den Mund. Er will keine Zungenfertigkeiten, er will nur in mich dringen, soweit wie möglich. Als ich würge und zurückzucke, fängt er zu lachen an. »Du wirst es dir nächstes Mal überlegen, bevor du unerlaubt an meinen Computer gehst!« Er schiebt wieder nach, dass ich husten muss. Speichel fließt mir übers Kinn hinab. Der Würgereiz ist unerträglich, aber das scheint ihn anzustacheln. 

Meine Hand hält ihn zurück. »Wenn du das weitertreibst, kotze ich dir auf den teuren Anzug«, sage ich entschieden. Er tut enttäuscht. »Ich dachte, in deiner Preislage wäre ein Deep Throat locker drin.« 

Ich komme auf die Beine. »Vielleicht bei guter Vorbereitung und langsamen Vorgehen, aber nicht nach einem Dinner, Süßer.« 

Er wirkt wie ein Junge, dem man das Weihnachtsgeschenk abgenommen hat. Was für ein erbärmlicher Mensch! ›Es ist ein Job, nur ein verdammter Job‹, hallt es in meinem Kopf. 

Seine Stimme klingt beleidigt, als er sich hin und her wendet – dabei ragt es immer noch aus seinem Hosenschlitz. Einfach nur lächerlich. »Dann …, dann …« Er blickt suchend durch den Raum, der Fahnenmast schwingt seinem Blick hinterher. »Dann beug dich über den Tisch neben dem Fernseher. Und halt den Rock hoch!« 

Gehorsam gehe ich in Position und zucke zusammen, als er mir grob zwischen die Schenkel greift. Seine Finger erkunden mich, aber nicht vorsichtig, sondern besitzergreifend. »Du miese Schlampe«, fällt er wieder in seine Rolle. »Das ist deine dreckige, kleine …« 

»Aufhören!«, rufe ich dazwischen. Das geht zu weit und in die falsche Richtung. Doch er deutet dies als Teil des Spiels. »Du leistest Widerstand? Vor deinem Chef?« Seine Hände krallen sich in meine Hinterbacken. »Mach die Beine breit!«, kommandiert er. 

Ich folge, weil er ohne Geschlechtsverkehr nicht nach Hause gehen wird. Auch hier verhält er sich wie ein Tier. Er nimmt mich und legt ein heftiges Tempo vor. Mein Bauch schabt schmerzhaft an der Tischkante. 

»Du verdorbenes Miststück, jetzt geb ich dir, was du verdienst!« Er stöhnt und grunzt und ich falle mitein: »Oh, Sie gemeiner Chef … oh, Sie können mich doch hier im Büro nicht … oh, ah, ah, ja, ja.« So in der Art jedenfalls. 

Es scheint ihm zu gefallen, denn er steigert noch mal die Bewegung. Ich komme mir vor wie ein Betonrüttler. Das wird wieder einige blaue Flecken geben. Kurz bevor er am Ziel ist, hält er inne – und zieht sich aus mir zurück. Ich weiß natürlich sofort, was das bedeutet. 

Schon erschallt sein Befehl: »Dreh dich um. Geh auf die Knie, schnell! Nun mach, ich bin gleich soweit!« 

Ich tue wie geheißen. Als ich sehe, dass er den Gummi abstreift, schließe ich vorsorglich die Augen. Dann bekomme ich alles ins Gesicht. Viele Männer wollen diesen Abschluss. Es ist ein Macht-Ding, eine Demütigung, die mir jedes Mal bis ins Herz sticht. Ich bin für ihn kein ebenbürtiger Mensch, ich bin eine Nutte, die man beschmutzen darf – vielleicht sogar beschmutzen muss, um von der eigenen Erbärmlichkeit abzulenken. Zumindest hat er nun seine Munition verschossen.  

 

Schweigend stehe ich auf und verschwinde im Bad. Als ich zurückkomme – die Haare wieder perfekt gestylt – liegt er entspannt auf dem Bett. 

»Du warst echt erste Sahne, Baby«, begrüßt er mich gönnerhaft. 

Ich schwanke leicht. Bei seinem selbstherrlichen Anblick wird mir speiübel. Trotzdem ringe ich mir ein Lächeln ab. »Mir hat es auch gefallen«, lüge ich ihm ins Gesicht. 

Wir haben noch Zeit, deshalb muss ich mich zu ihm legen. Sein Blick geht verträumt an die Decke. »Das hat richtig gutgetan. Wenn du wüsstest, wie oft mich mein Chef schon rund gemacht hat. Und seine Sekretärin hat sogar ein wenig Ähnlichkeit mit dir!« Er grinst mich von der Seite an.  

»Dafür bin ich da, mein Süßer.« 

»Natürlich bist du viel heißer als sie.« 

»Dankeschön. Du bist aber auch ein heißer Mann.« Wie dick kann man auftragen, ohne dass es komisch klingt? Antwort: unendlich dick. Dann kommt die Mutter aller Freier-Fragen: »Wieso machst du das eigentlich? Du könntest doch jeden Mann haben.« 

Und ich gebe die Mutter aller Callgirl-Antworten: »Weil ich einfach Spaß daran habe, mein Süßer!« – und lenke geschickt auf ein anderes Thema. 

Warum ich es wirklich mache? So genau weiß ich das nicht mehr. Angefangen hat es mit meinem Traum vom Jurastudium. Meine Eltern kommen aus dem Norden, aus Newcastle. Sie waren von Anfang an dagegen, dass ich ins teure London ziehe. Aber ich war ein Dickkopf. Knocking on hard wood. Wenn ich mir einmal etwas da hinein gesetzt hatte, konnte mich nichts davon abbringen. 

Neben dem Studium sollten mich diverse Büroarbeiten über Wasser halten. Ich hatte sogar einen Freund. Einen ganz lieben mit Wangengrübchen. Leider flatterten immer mehr Rechnungen ins Haus – und ich flatterte nach einem Streit aus der Wohnung meines Freundes. Zuviel Geflatter für ein armes Mädchen, das plötzlich auf der Straße stand. 

Ich wollte aber auf keinen Fall zurück; ich wollte vor meinem Vater nicht zugeben, dass ich gescheitert war. Eines Tages las ich die Anzeige unserer Agentur: ›Nebenjob für Studentinnen, freie Zeiteinteilung, 50 % Cash‹. Am nächsten Morgen saß ich in dem kleinen schmuddeligen Büro am Themseufer … 

 

Die zwei Stunden sind zu Ende. Ich mache mich fertig zum Gehen und gebe meinen obligatorischen Abschiedskuss auf die Wange. »Es hat mir gut gefallen. Vielleicht sieht man sich wieder?« 

Ich werde ihn nie mehr wiedersehen. In der Agentur kann ich angeben, wenn mir ein Kunde nicht zusagt. Er wird dann automatisch für mich geblockt: Heaven ist krank, unpässlich, hat gerade einen Kunden, ob man nicht eine andere Dame in Betracht ziehen könnte? Ich bin fast immer ausgebucht (bis zu drei Termine die Woche, mehr ist ungesund) und kann mir das leisten. 

Als ich kurz darauf vor dem Hotel stehe, kommt mir der Regen wie ein zärtlicher Mantel vor, der mich umhüllt und in dem ich ertrinken will. Vor Scham und vor Demütigung. Keine Frau kann sich daran gewöhnen, benutzt zu werden. 

Ich winke ein schwarzes Cab heran. Der Fahrer schenkt mir einen vielsagenden Blick, als ob er wüsste, was mir widerfahren ist. Ich rolle mich auf der Rückbank zusammen und zische ihm meine Adresse zu. Wir fahren durch die Bond Street, vorbei an Luxusboutiquen und prächtigen Stadtvillen, dem Aushängeschild Londons. Doch das sind nur Fassaden. Längst kann ich dahinter sehen. Und das, was ich sehe, höhlt meine Seele aus. 

Ich sehne mich nach dem kleinen Mädchen, das im Auto der Eltern den Kopf aus dem Fenster hielt, und sich an den vorüberfliegenden Bäumen schwindlig sah. Aber ich kann nicht mehr zurück. Meine Eltern würden es nicht verkraften. 

Im Schein der Straßenlaternen sehe ich dem Regen zu. Meine Kehle wird trocken und ich kurbele das Fenster herunter. Ich will hören, wie es auf die Straße prasselt. Auf die Schlacke, den Unrat, die jahrhundertealte Schicht, deren Teil ich geworden bin. 

Lautlos laufen die Tränen über meine Wangen.