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Maren C. Jones

Traue niemals einem Frauenhelden!

Humorvoller Liebesroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

1.

Annie bügelte. Seit Stunden.

Das beruhigte sie immer und im Moment hatte sie Ruhe nötig.

Torsten, dieser Schweinehund, hatte sie nämlich betrogen. Und nicht nur einmal, wie's aussah.

Zärtlich strich sie über das faltenfreie Hemd ihres Exfreundes.

»Du spinnst«, sagte Mika.

»Vermutlich«, gab Annie trocken zurück. Sie bügelte schon seit einer gefühlten Ewigkeit und genauso lange sah ihr ihre beste Freundin mit strengem Blick dabei zu.

»Stopf die Sachen einfach in die Kartons und gut ist!«, quengelte Mika.

Im Flur, gleich neben der Eingangstür, standen fünf große Kartons, alle beschriftet. Torsten stand in riesigen Buchstaben darauf. Schön geschrieben. Annie hatte sich Zeit genommen, damit es auch gut lesbar war. Normalerweise war ihre Schrift recht hässlich und schwer zu entziffern, eine typische Doktorenschrift eben, hatte Torsten immer gesagt.

Eine Doktorin würde sie bald sein, aber ihre Schrift war nicht deswegen so kritzelig. Sie schrieb nicht wie ein Mädchen, so einfach war das. Sie hatte generell nichts Mädchenhaftes an sich.

Seit einem halben Jahr lebten sie nun zusammen. Das hier war ihre Wohnung.

»Ich stopf die Sachen nicht einfach in Kartons«, sagte Annie ruhig. Wut zeigte sie nie, Enttäuschung auch nicht. Und Weinen lag ihr nicht. Sie wurde auf andere Art und Weise mit dem Ende dieser Beziehung fertig. Nun zog sie das nächste Hemd aus dem Wäschekorb und breitete es sorgfältig auf dem Bügelbrett aus. Bevor sie das Eisen ansetzte, strich sie den Stoff glatt. Sie nahm Abschied von Torsten, indem sie seine Kleider bügelte, sie faltete und verpackte. Ganz langsam schob sie ihn aus ihrem Leben. Mit jedem gebügelten Hemd ein Stückchen weiter.

»Du bist verrückt«, sagte Mika. Ihr Haar leuchtete seit Kurzem grellrot. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß sie auf der Couch.

Die Wohnung hatte Annie von ihrer Großtante geerbt. Torsten hatte gewollt, dass sie die Räumlichkeiten cooler einrichtete, aber Annie hatte nie die Zeit gehabt. Die altmodischen Möbel gefielen ihr. Sie umgab sich gerne mit Dingen, die eine Geschichte hatten.

Seufzend legte sie das Hemd auf den Stapel Wäsche und trug ihn zu den Kartons. Nur noch einen musste sie verschließen, auch das tat sie mit Bedacht. Das Paketband hatte sie griffbereit. Im Packen war sie große Klasse.

»Und jetzt?«, wollte Mika wissen.

Jetzt schob Annie die Kartone zur Tür hinaus. Einen nach dem anderen. Torsten würde spätestens in einer Stunde hier auftauchen, sie hatte nicht vor, noch einmal mit ihm zu sprechen.

Beim McDonalds am Schottentor hatte sie ihn gesehen, wie er …!

Ach, daran wollte sie lieber nicht denken. Er hatte ein hübsches Ding geküsst. Eigentlich hatten sie sich fast gegenseitig aufgefressen. Mit aneinandergeklebten Mündern und fetten Burgern in den Händen hatten sie dagesessen, ohne auf andere Gäste zu achten.

Annie küsste ja nie in der Öffentlichkeit. Nie. Das lag ihr genauso wenig wie das Weinen. Der Austausch von Zärtlichkeit war nichts für die Augen Unbeteiligter.

Die Tür schloss sie hinter sich, den Schlüssel drehte sie zweimal um, aus purer Gewohnheit.

Natürlich hatte sie Torsten und seine neue Flamme zur Rede gestellt. Sie war an den Tisch getreten und dort hatte sie eine lange Weile stehen müssen, bis die beiden sie endlich bemerkt hatten.

Eine wirklich lange Weile.

Sie war nicht der Typ Frau, der einem Mann eine Szene machte! Annie war viel zu nüchtern, vielleicht sogar kühl. Torsten hatte sie mal leidenschaftslos genannt, dabei war sie voller Leidenschaft, wenn es um ihre Tiere ging. Nur noch zwei große Prüfungen standen bevor, dann konnte sie sich Magistra der Veterinärmedizin nennen.

Diese Trennung durfte ihr das nicht vermiesen! Sie hatte nur noch zwei Wochen Zeit, um sich vorzubereiten.

»Jetzt sitzt er auf der Straße«, sagte Mika.

»Ist mir egal.«

Auch für Torsten stand eine wichtige Prüfung an – zumindest behauptete er das ständig. Sie wusste gar nicht, was er so machte. Er studierte Anglistik, vorher hatte er sich für Politikwissenschaften interessiert, zwischendurch war ihm durch den Kopf gegangen, ob er nicht vielleicht Arzt werden wollte. Torsten ein Arzt? Das konnte sich Annie gar nicht vorstellen!

Sie klappte das Bügelbrett zusammen. Torsten war noch nie besonders entscheidungsfreudig gewesen. Er wusste nicht, was er mit sich und seinem Leben anfangen sollte. Mika hatte sie schon damals gewarnt, sich bloß nicht auf jemanden wie ihn einzulassen!

»Das ist alles deine Schuld«, meinte Annie griesgrämig.

»Hm?« Mika perfektionierte ihre Frisur. Seit Kurzem schwamm sie auf der Retrowelle. Die Haare stylte sie wie ein Pin-up Girl. Die hochtoupierten, mit einer erklecklichen Menge Haarspray besprühten Locken schob sie unter ihr breites Haarband. Die Jeans trug sie immer hüfthoch.

Annie war im Vergleich dazu recht unscheinbar. Sie betrachtete es nicht als notwendig, mit auffallenden Kleidern ihren Busen oder Po zu präsentieren. Von beidem hatte sie ohnehin nicht viel. Ihr Körper war kräftig und schlank, ein Brett, keine Sanduhr. Aber ihre Arme waren lang, das war hilfreich im zukünftigen Job, vor allem bei Rektaluntersuchungen.

Im Fernsehen stapften die hübschen Doktorinnen mit sauberen Gummistiefeln aus sauberen Ställen. In der Realität hatte Annie schon das eine oder andere Mal die Plazentareste von ihrem Geburtskittel kratzen müssen!

»Du warst doch diejenige, die mir Torsten vorgestellt hat!«, sagte sie. Mika schaute unschuldig drein. »Ich war aber auch diejenige, die meinte, dass ihr beide überhaupt nicht zusammenpasst!«

Natürlich passten sie nicht zusammen. Torsten war ein Frauenaufreißer gewesen, für Beziehungen nicht gemacht. Aber Annie hatte ihn gezähmt – oder zähmen wollen.

Offensichtlich war es ihr nicht gelungen.

»Such dir jemand anderen!«, sagte Mika tröstend. Annies Freundin kam über ein gebrochenes Herz meist innerhalb weniger Stunden hinweg. Bei Annie dauerte das schon mal Tage, oder Wochen, oder Monate.

»Ich will keinen Mann, aber ich brauche einen Mitbewohner«, gab sie zerknirscht zu. Die zweihundert Euro, die ihr Torsten monatlich gezahlt hatte, fehlten nun. Da sie ihre Eltern nicht unterstützen konnten und ihr Stipendium mager ausfiel, war sie auf jede Einkommensquelle angewiesen. Annie arbeitete viel, aber immer unentgeltlich. In der Vergangenheit hatte sie schon etliche Praktika absolviert, ohne einen einzigen Cent dafür zu erhalten. Sie wollte sich weiterbilden, das hatte oberste Priorität.

»Einen Mitbewohner? Ich kann mich umhören …«, sagte Mika grinsend.

»Nein, bloß nicht!«

»Sei nicht albern! Ich wüsste sogar schon wen …«

»Ich will mit niemandem zu tun haben, den du kennst«, sagte Annie entschieden. Mika war ihre beste Freundin – leider auch die einzige. Sie kannten sich seit fast fünf Jahren. Mika war ganz anders als sie, schrill und voller Abenteuerlust.

»Suchst du nun eine Frau oder einen Mann?«, fragte Mika.

Annie überlegte. Ihre burschikose Art kam bei ihren Geschlechtsgenossinnen nicht gut an. Außerdem hatte sie nichts übrig für Zickenkrieg – und der brach früher oder später immer aus, wenn zwei Frauen zusammenwohnten! Sie hatte sich schon immer mit Männern besser verstanden. Annie war unfähig, wie eine Frau zu denken. Vielleicht war sie auch unfähig, wie eine Frau zu fühlen. Sonst hätte sie schon längst geweint.

»Lieber wäre mir ein Kerl, aber bloß kein Frauenheld!«, sagte sie bestimmt.

»So einer muss doch zu finden sein«, entgegnete Mika zuversichtlich.

»Was ist nun mit deinem neuen Freund?« Annie musste fragen. Das gehörte sich so. Aber eigentlich wollte sie nie wieder irgendetwas mit irgendeinem Mann zu tun haben. Vor allem wollte sie nichts mehr von der Liebe hören! Jeder sehnte sich danach, jeder schwärmte davon – am Ende blieb nur Enttäuschung übrig.

»Ich dachte schon, du fragst nie!«, kreischte Mika. Sie war aufgesprungen, ihr praller Busen wippte hin und her. Annies Freundin war stolz auf die kurvige Figur, damit gelang es ihr spielend leicht, Männerherzen höherschlagen zu lassen. Annie setzte ja immer auf ihren Intellekt. Damit konnte sie punkten, Intelligenz erwartete sie auch von den Männern. Warum sie dann auf jemanden wie Torsten reingefallen war, verstand sie selbst nicht. War’s seine charmante Art gewesen? Das volle Haar, die blauen Augen, die kleinen Grübchen, wenn er lächelte?

Ihr wurde schwer ums Herz. Heulte sie jetzt doch noch?

Energisch klatschte sie die Handflächen gegen ihre Wangen. Sie musste sich zusammenreißen! Annie ließ sich nie unterkriegen, egal, was passierte. Daran würde auch Torsten nichts ändern.

Torsten … was für ein bescheuerter Name, der passte zu einem Vollpfosten! Torsten, der Vollpfosten.

Fast musste sie lachen.

»… Und wie romantisch er ist!«, hörte sie Mika sagen. Ihre Freundin erzählte ihr schon seit einer Weile von ihrem neuen Schwarm und Annie hatte nicht zugehört. »Er ist echt süß, du wirst ihn mögen!« – damit beendete sie ihren Monolog. Erwartungsvoll schaute sie zu Annie, von der sie sich eine wohlwollende Antwort erhoffte.

»Toll … Ist sicher ein toller Kerl …«, sagte Annie matt. Was sollte sie auch sonst sagen? Das war jetzt schon der zehnte Mann, den Mika ihr in den letzten sechs Jahren vorgestellt hatte. Und jeder war noch toller gewesen als der letzte. Annie war schon gespannt auf Mann Nummer elf, der dann sicher der tollste überhaupt sein würde – bis Mann Nummer zwölf vorbeikam.

»Du hast gar nicht zugehört«, beschwerte sich Mika.

»Ich habe genug gehört«, sagte Annie grummelnd. Ihre beste Freundin seufzte tief und sagte:

»Du wirst den Richtigen noch finden, ganz sicher!«

Den Richtigen fand man nur, wenn man auch daran glaubte, dass es ihn gab. Und Annie glaubte schon lange nicht mehr daran. Auch bei Torsten war sie stets unsicher gewesen …

Mittlerweile konnte sie auf fünf gescheiterte Beziehungen zurückblicken. Für Mika war das sicher nicht viel. Sie würde sich auch in Mann Nummer zwanzig verlieben, als wär’s das erste Mal.

»Komm doch mit!«, sagte Mika plötzlich.

»Mitkommen? Wohin?«

»Du hast mir wirklich nicht zugehört? Theo kocht heute für mich! Er hat mich in seine Wohnung eingeladen!« Auch das erzählte Mika, als wäre es etwas Besonderes.

»Du hast doch schon oft bei ihm übernachtet …«

»Natürlich, aber er hat noch nie für mich gekocht!«

»Und ich soll mitkommen? Da wäre ich doch das dritte Rad am Wagen!« Sie wollte die frisch Verliebten bei ihrem Verliebtsein nicht stören.

»Und was willst du stattdessen tun? Hier rumsitzen und Trübsal blasen?«

»Du sagst das, als wär’s was Schlechtes …« Manchmal war Annie ganz gerne deprimiert. Alles im Leben hatte zwei Seiten, nicht nur eine Münze. Wie sollte man Licht zu schätzen wissen, wenn man die Dunkelheit nicht kannte? Wie sollte man dankbar für Glück sein, wenn man nicht Traurigkeit erfahren hatte …? Ach, wenn sie Liebeskummer hatte, wurde sie immer philosophisch. Das passte gar nicht zu ihr. Sie war eine Macherin, die die Ärmel zurückkrempelte und stets nach vorne schaute.

»Komm schon mit! Das wird lustig! Dann lernst du Theos Freund kennen.«

»Willst du mich wieder verkuppeln?« Das versuchte Mika ständig. Am Ende entschied sich Annie aber immer für Männer, von denen ihr ihre beste Freundin abriet. Vielleicht sollte sie ausnahmsweise auf sie hören …

»Eine neue Liebe ist nun mal die beste Medizin gegen Liebeskummer«, sagte Mika altklug. Sie musste es ja wissen, bei ihr funktionierte dieses Heilmittel wunderbar.

»Ich meine es ernst: Ich habe genug von Beziehungen!« Wenn sie wegen Torsten die Prüfung vermasselte, würde sie ihm das nie verzeihen!

Mika verschränkte die Arme vor dem üppigen Busen. Sie setzte einen strafenden Blick auf.

»Wenn du meinst … Trotzdem solltest du mitkommen! Hier wartet niemand mehr auf dich.«

Das stimmte. Die Sache mit ihr und Torsten war vorbei. Endgültig.

Annie war Single. Vielleicht sogar für immer.

 

2.

Ben hatte wieder mal verschlafen, leider passierte ihm das regelmäßig. Wie gut, dass Theo ihn immer wachrüttelte.

Ein dumpfes »Hey!« drang an sein Ohr.

»Was ist denn?«, murmelte er.

»Das fragst du mich? Du weißt doch, dass heute Mika vorbeikommt!«

Theos Oberkörper steckte in einem biederen Hemd, eine hässliche Fliege zierte seinen Hals.

Mika? Wer war das? Mühevoll richtete er sich auf. Theo guckte anklagend. Ach ja, die Kleine mit der riesigen Frisur und dem riesigen Busen. Nur insgesamt war sie nicht riesig. Sie reichte Ben nicht einmal bis zu den Brustwarzen.

»Was?!«, fragte er genervt. Theo deutete auf die Bettseite neben Ben. Zwei Frauen schliefen dort. Das Bett war zum Glück recht groß, sonst hätten sie nicht zu dritt Platz darin gehabt.

»Das ist nicht so, wie’s aussieht«, meinte Ben sofort.

»Das ist es bei dir nie! Mika kommt in einer halben Stunde! Was soll sie denn denken, wenn hier nackte Mädchen rumlaufen? Das hier ist doch kein Swingerklub!«

Ob Mika das wirklich stören würde? Theo schien zu glauben, sich eine ganz brave Freundin geangelt zu haben. Wie er auf diese Idee kam, verstand Ben gar nicht. Mika hatte es faustdick hinter den Ohren, da war er sich sicher.

Erschöpft rieb er sich die Schläfen. Die Mädchen waren nicht nackt. Er selbst war es auch nicht, oder doch? Kurz hob er die Decke an. Nein, er trug sogar noch die Jeans von gestern Abend. Nur das Shirt hatte er ausgezogen.

»Ladys, Zeit aufzustehen!«, flötete er gut gelaunt. Theo warf die Hände in die Luft und zog von dannen.

Die Blonde strich sich die Haare aus dem Gesicht. Mit verklebten Augen sah sie zu ihm hoch.

»Guten Morgen!«, sagte Ben mit einem strahlenden Lächeln. Er hatte noch keine Ahnung, wie er die beiden Frauen aus dem Bett bugsieren konnte.

»Hm? Wo bin ich?«, fragte die Kleine, nachdem sie sich mit wirrem Blick umgesehen hatte. Der Körper der Brünetten erwachte nun auch zum Leben.

»Letzte Nacht war wirklich …«, begann Ben. Er suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, »ein unvergessliches Erlebnis«, fiel ihm ein. Vergessen würde er diese Nacht wirklich nicht. Die beiden Mädchen hatte er im Wiener Kultlokal U4 aufgelesen.

Ursprünglich hatte er nur mit der Brünetten nach Hause gehen wollen, aber irgendwie war alles anders gekommen. Am Ende hatten beide seine Schuhe und sein Klo vollgekotzt. Theos Klo, um genau zu sein. Das war auch Theos Wohnung. Ben würde sich eine andere Bleibe suchen müssen, weil bald Mika kam. Die süße, kleine, rundliche Mika.

»Letzte Nacht?«, fragte die Brünette.

»Ja, war wirklich großartig!« Ben verließ seufzend das Bett und sammelte die Anziehsachen der kotzfreudigen Damen auf. Die Blonde hielt sich den Kopf, der vermutlich höllisch schmerzte. Beide waren verkatert.

»Ihr müsst jetzt gehen, tut mir leid«, sagte er und zog die Decke mit einem Ruck vom Bett. Beide trugen nur BH und Slip. Ben kratzte sich verlegen am Kopf. Warum waren sie fast nackt? Ach, jetzt fiel es ihm wieder ein. Sie hatten nicht nur seine Schuhe und das Klo vollgekotzt, sondern auch ihre eigene Kleidung. Er hatte die Mädchen ausziehen müssen. Was war er doch für ein Gentlemen! Dieser ganze Aufwand für nichts. Nicht mal ein Kuss war drin gewesen, auch wenn er sich daran erinnerte, dass die Brünette ihren hübschen Schmollmund auf seinen hatte drücken wollen. Dankend hatte er abgelehnt. Ihre mit Kotze verschmierten Mundwinkel waren nicht besonders einladend gewesen!

Die beiden Frauen schienen endlich zu verstehen. Wortlos zogen sie sich an. Gleich darauf schob Ben sie aus seinem Zimmer, durch den Flur und schließlich aus der Wohnungstür. Die Jacken und Handtaschen schmiss er ihnen hinterher. Sie wollten etwas sagen, da fiel die Tür bereits ins Schloss.

»Vermassle mir das bloß nicht!«, ermahnte ihn Theo.

»Sie sind doch weg, was willst du noch?«

Ben hatte Mika erst ein einziges Mal gesehen. Weil er damals ausnahmsweise nicht verschlafen hatte. Theo neigte dazu, seine Freundinnen vor ihm zu verstecken. Warum, wusste Ben nicht. Gefragt hatte er auch nie.

Eigentlich kam er doch mit jedem gut zurecht! Auch mit den Frauen, besonders mit den Frauen. Vielleicht zögerte es Theo deswegen immer hinaus, Ben mit seinen Freundinnen bekannt zu machen?

Er dachte viel zu viel nach, das tat er eigentlich nie. Ben ließ immer alles auf sich zukommen.

»Hübsche Fliege«, kommentierte er grinsend, als er an Theo vorbeispazierte. Die Schlafzimmertür schlug er zu, dann warf er sich mit dem Kopf voraus in die weichen Kissen. Gestern war er erst um vier Uhr nachts nach Hause gekommen. Eine Stunde lang hatte er Kotze aufwischen müssen.

Einen erholsamen Schlaf hatte er sich wirklich verdient!

 

Jemand hämmerte ununterbrochen an seine Tür. Sicher war es Theo, wer denn sonst?

»Was ist denn noch?«, rief Ben genervt.

»Essen ist fertig!«, ertönte laut. War er eingepennt? Wie spät war es? Eilig suchte er nach dem Wecker, er fand ihn auf dem Boden. Es war doch tatsächlich Punkt zwölf Uhr, Mittagszeit. Normalerweise stürmte Theo in sein Zimmer ohne anzuklopfen. Warum war er plötzlich so zurückhaltend?

Die Tür öffnete sich einen Spalt weit. »Kommst du jetzt?«, zischte sein Freund. »Mika ist hier und sie hat ihre Freundin mitgebracht!«

»Was?« Ben verstand gar nichts mehr.

»Zieh dich an und komm endlich!« Theos Gesichtsfarbe war purpurrot. So hatte Ben ihn noch nie gesehen. Fast sah er aus wie sein Vater, dem häufig die Zornesröte ins Gesicht gestiegen war, wenn Ben sich in Gegenwart seiner Geschäftsfreunde nicht angemessen verhalten hatte.

»Ich komme gleich«, brummte er verstimmt. Dann kroch er aus dem Bett, hin zum Badezimmer und machte sich frisch. Der üble Geruch von Kotze hing in der Luft. Beinahe musste er sich übergeben.

Zum Duschen blieb keine Zeit, zum Rasieren auch nicht. Er wusch sich rasch Gesicht und Achselhöhlen, das musste reichen. Die Zähne putzte er in Lichtgeschwindigkeit, die Frisur war nicht zu retten, aber schließlich musste er sich nur gut benehmen und nicht gut aussehen.

Mit Shirt und locker sitzender Jeans verließ er sein Zimmer. In der Wohnung duftete es nach Lasagne, Theo wollte seine Freundin beeindrucken.

Ben trat an den Esstisch, wo sich die zwei Damen schon niedergelassen hatten. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf und entschuldigte sich fürs Zuspätkommen. Mika kannte er bereits, ihre Freundin hingegen …

Er beugte sich über den Tisch, um ihr die Hand zu reichen. Sie beäugte ihn misstrauisch, lächelte kühl und erwiderte seine Begrüßungsgeste mit gerümpfter Nase. Normalerweise waren Frauen von ihm hingerissen, diese hier schien von seinem Charme unbeeindruckt. War sie überhaupt eine Frau? Er hatte zweimal hinsehen müssen, um auf diese Frage eine Antwort zu finden. Sie kleidete sich wie ein Kerl. Ein weites Shirt, olivgrün, kein Make-up, das blonde Haar war glatt und kurz geschnitten. Sie konnte es gerade mal hinters Ohr streichen.

»Ich wusste gar nicht, dass du eine Freundin mitbringst, Mika.«

»Annie hat Liebeskummer, da dachte ich, etwas Abwechslung täte ihr gut!« Ben grinste schief. Mika hatte noch weniger Feingefühl als er. Ihrer Freundin war es anzusehen, wie sehr es ihr missfiel, dass über ihr Liebesleben gesprochen wurde.

»Ist das etwa ein Geheimnis?«, sagte Ben und zwinkerte der Unbekannten zu. Sie hatte ihm ihren Namen nicht verraten. »Wer eine so schöne Frau sitzenlässt, ist nicht mit Intelligenz gesegnet.«

Der Spruch ging ihm leicht über die Lippen, dabei fand er Mikas Freundin nicht attraktiv. Sicher würde er sich niemals nach ihr umdrehen. Selbst wenn sie saß, wirkte sie riesig. Waren ihre Schultern noch breiter als seine? Schmale Lippen, dazu ein kantiges Kinn – Ben stand auf runde Gesichter mit Schmollmündern. Die Brünette von gestern Abend fiel ihm plötzlich ein.

Vielleicht hätte er sie doch küssen sollen …

»Nimm Ben nicht ernst, der flirtet ständig. Ist wie ein Reflex«, murrte Theo verdrießlich.

»Es hat sich noch keine Frau beschwert«, gab Ben zurück. Enthusiastisch blickte er zu der Eisprinzessin, deren Miene sich nicht regte. Hatte ihr Mundwinkel kurz gezuckt? Das musste er sich eingebildet haben. Ganz bestimmt. Die Muskeln in ihrem Gesicht waren vermutlich schon vor Jahren verkümmert. Sie sah aus, als hätte sie noch nie gelacht.

Theo spachtelte die Lasagne aus der Glaspfanne und gab jedem ein Stück. Seine Freundin bekam ein extragroßes. Vermutlich glaubte er, ihr ohnehin riesiger Busen würde noch weiter wachsen, wenn er sie anständig fütterte.

Kopfschüttelnd verspeiste Ben sein Mittagessen. Er selbst kochte nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

»Verrätst du mir nun deinen Namen?«, fragte er Mikas Freundin. Er wollte das Eis brechen. Die kühle Blonde sah hoch.

»Annie. Ich heiße Annie«, sagte sie. Ben zog die Stirn in Falten. Wie konnte eine Amazone wie sie, die vermutlich den Männern das Fürchten lehrte, eine so wohlklingende Stimme haben?

»Und was machen Sie so, Annie?« Er wollte sie noch mal Sprechen hören. Normalerweise siezte er nur ältere Damen und Herren, aber niemanden, der in seinem Alter war.

»Ich studiere Veterinärmedizin.« Er mochte den Klang ihrer Stimme wirklich sehr. Plötzlich erschienen ihm ihre Gesichtszüge viel weicher, auch wenn ihr Ton keinen Zweifel daran zuließ, dass sie sich nicht unterhalten wollte. Schon gar nicht mit ihm. Warum war sie dann gekommen?

»Eine Tierärztin? Wie spannend …« Er hatte immer einen Hund haben wollen, aber sein Vater hatte ihm Haustiere nicht erlaubt.

»Ihr beide wollt also zusammenziehen?«, fragte er. Er wurde das Gefühl nicht los, er war der Einzige am Tisch, der entspannt dieses Essen genoss. Theo war seinetwegen nervös, das konnte er spüren. Dabei hatte Ben noch kein einziges Mal auf Mikas Busen gestarrt. Flirten tat er, wenn überhaupt, nur mit Annie, dem Eisberg. Sie zu umschiffen schien unmöglich. Nicht länger suchte er das Gespräch mit ihr, um eine Kollision zu verhindern. Irgendwie fühlte er sich unwohl in ihrer Gegenwart. Lag es an ihrer Größe oder doch an ihren kalten Augen, die ständig auf ihm hafteten, als wollte sie ihn überwachen?

»Mika muss am Fünfzehnten aus ihrer Wohnung raus«, sagte Theo.

»Oh.« Jetzt hatte es Ben endgültig die Sprache verschlagen. Das war nämlich in zwei Tagen. »Und das hättest du mir nicht früher sagen können?«

»Wir haben schon vor vier Wochen darüber gesprochen!«

»Tatsächlich?« Verlegen kratzte er sich am Kopf. Theo log nie, aber Ben hörte nicht immer zu. Und die Zeit verging manchmal so schnell, da kam er gar nicht mit. Er war ständig mit seinen Gedanken woanders.

»Ja, tatsächlich.« Jetzt war es totenstill. Er sah auf. Die Amazone starrte ihn an. Beinahe lief es ihm kalt den Rücken runter.

»Du hast noch keine neue Wohnung gefunden?«, meldete sich Mika zu Wort. Ihre Stimme war schrecklich nervig, wie hielt Theo das nur aus?

»Nein, aber ich komme schon klar. So ist das immer bei mir.«

Er hatte sich mit achtzehn eine eigene Wohnung gesucht und schlug sich seitdem ohne das Geld seines Vaters durch. Er würde schon eine Bleibe finden. Zwei Tage …

»Annie sucht einen neuen Mitbewohner«, sagte Mika geradeheraus. Ihre Freundin verschluckte sich an dem Bissen Lasagne. Theo klopfte ihr sofort auf den Rücken.

»Alles okay?«, fragte er besorgt.

Bens Mundwinkel sanken tief nach unten. Wie lange würde er dieses Kasperltheater noch ertragen müssen? Sein bester Freund schmiss ihn also raus, um mit dieser nervigen, kleinen Jessica Rabbit zusammenzuziehen? Plötzlich hatte er Lust, einfach aufzustehen und abzuhauen – im Weglaufen war er schon immer große Klasse gewesen –, aber diesmal blieb er sitzen.

»Du suchst einen Mitbewohner?«, brummte er. Wagemutig kam er dem Eisberg näher.

»Ja, aber keinen Mann.«

»Eigentlich hast du doch gesagt, dass …«, begann Mika.

»Hey, ich werde mich ganz sicher nicht an dich ranmachen, klar?«, rutschte Ben über die Lippen. Erschrockene Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Das hätte er nicht sagen sollen, aber er war wütend. Was ging ihn das alles überhaupt an? Sie saßen hier wie eine kleine, nette Familie und doch hatten sie nichts miteinander zu tun. Der Einzige, der ihm an diesem Tisch etwas bedeutete, war Theo, und der warf ihn raus.

»Ben ist schwul, deswegen«, sagte Theo plötzlich. »Er steht nicht auf Frauen, du hast also nichts zu befürchten.«

»Das ist ja perfekt!«, quietschte Mika aufgeregt. Ben zwinkerte irritiert. Dieses Drama in drei Akten steuerte mit rasender Geschwindigkeit auf den Höhepunkt zu. »Was sagst du, Annie? Ihr würdet euch perfekt ergänzen!«

Das Gesicht der Amazone verdüsterte sich.

»Du magst Männer?«, fragte sie skeptisch. Noch nie hatte ihn jemand für schwul gehalten.

»Kann ich dich mal sprechen, Theo?«, zischte Ben, ohne auf ihre Frage zu antworten. Er packte seinen Freund am Kragen des biederen Hemdes – die Fliege verrutschte – und zerrte ihn ins Schlafzimmer.

»Was soll dieses Affentheater?«, schimpfte Ben, als sie allein waren.

»Welches Affentheater?« Auch Theo war zornig. »Ist es meine Schuld, wenn du dich nicht um eine neue Wohnung kümmern kannst? Du hast doch damals gesagt, das sei kein Problem!«

Ben dachte angestrengt nach. Wahrscheinlich war er noch nicht richtig wach gewesen, als Theo ihm die Hiobsbotschaft überbracht hatte. Sein Freund neigte dazu, wichtige Gespräche immer frühmorgens führen zu wollen.

»Ich finde aber auf die Schnelle keine Wohnung!«

»Erzähl das mal Mika! Sie kann auch nirgends hin!«

»Ihre Freundin hat doch Platz genug!«

Theo seufzte tief. »Annie ist in Ordnung, und sie kann sogar kochen! Komm schon, ihr werdet euch sicher verstehen!«

»Du kennst sie doch gar nicht«, brummte Ben. »Außerdem bin ich nicht schwul, wie du weißt.« Das Ganze war doch lächerlich.

»Ja, aber sie weiß das nicht! Halt dich ein paar Wochen zurück und spiel ihr was vor, bis du eine Wohnung gefunden hast. Komm schon, mir zuliebe!«

Ben konnte nicht fassen, dass ihn sein Freund so hängenließ. Einen Moment lang war er einfach nur sprachlos. Vielleicht war er sogar verletzt.

»Ich und schwul? Das kauft sie mir doch niemals ab …«

Theo wollte ihn loswerden, darum ging es hier. Ben war zwar nicht der vorbildlichste Mitbewohner, aber das hatte er nicht verdient, oder doch?

»Okay, ich gehe. Vorausgesetzt du kannst die kaltherzige Amazone da draußen davon überzeugen, dass ich lieber am anderen Ufer fische. Als ob ich mich für so eine interessieren würde …!« Wenn sie die letzte Frau auf Erden wäre, würde er nicht …!

Wütend rauschte er aus dem Schlafzimmer und setzte ein falsches Lächeln auf. Darin hatte er schließlich Übung.