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KARIN STEINBACH und PETER HABELER

DAS ZIEL IST DER GIPFEL

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INHALT

ANSTELLE EINES VORWORTS

Jeder hat seinen Achttausender

LAUSBUBEN AM EVEREST

Die erste Besteigung des höchsten Berges der Welt ohne künstlichen Sauerstoff

„Am Everest hatte ich mehr Angst als bei allen späteren Expeditionen“

HELDEN UND LEHRMEISTER

Die Ostwand der Rofanspitze mit Hias Rebitsch

„Du brauchst solche Leute, die mehr von dir halten, als du eigentlich kannst – dann wächst du über dich selbst hinaus“

ERFOLGE UND RÜCKSCHLÄGE AN DEN HOHEN BERGEN DER WELT

Sternstunde am Nanga Parbat

„Wenn wir Angst vor dem Tod hätten, würden wir nicht extreme Bergsteiger werden“

DIE SCHÖNSTEN BERGE STEHEN DAHEIM

Die Highlights des Zillertals

„Ich wollte einfach da hinauf“

DIE GÖTTIN DES TÜRKIS

Leicht und schnell im Alpinstil

„Das war ein ganz natürliches, logisches Verständnis zwischen uns“

DER BERGPROFESSOR

Vom Bergführer zum Unternehmer: Die Ski- und Alpinschule Mount Everest

„Das Schöne am Vermitteln des Bergsteigens ist, dass die Leute Freude am Berg haben“

WIE AUF EINER HIMMELSLEITER

Der Nordgrat des Kangchendzönga

„Du musst irgendwo das Letzte, das Äußerste, was du in dir hast, aktivieren“

ALLEIN IST ALLES ANDERS

Solo-Begehungen im Karwendel und im Wilden Kaiser

„Dass du nur auf dich selbst beschränkt bist, macht den Reiz aus, es intensiviert das Erlebnis“

GAUDI ODER PLAISIR – KLETTERN EINST UND JETZT

Frêneypfeiler und Grand Pilier d’Angle:
Die großen Routen von Chamonix

„Bei uns war halt der Gipfel das Ziel“

MIT 75 JAHREN NOCH IMMER AKTIV

Lokaltermin in der Westwand der Maukspitze

„Die Freude ist weiterhin meine Triebfeder“

HERBERT WOOPEN
IN TIEFER VERBUNDENHEIT GEWIDMET

JEDER HAT SEINEN ACHTTAUSENDER

Einer der besten französischen Alpinisten, Lionel Terray, bezeichnete uns Bergsteiger als „Eroberer des Unnützen“ – zu Recht, möchte man meinen. Als Lebensraum eignet sich das Gebirge nicht sonderlich, und auch irdische Reichtümer sind auf den Gletschern und Gipfeln nicht zu holen. Was ist dann der Grund dafür, dass sich doch so viele Menschen im Gebirge aufhalten, Wanderungen, Klettertouren, Gletscherüberquerungen unternehmen und sich in den Bergen Kraft und Ausdauer für das Leben „im Tal“ holen?

In der Tat ist es nicht leicht, die Faszination des Bergsteigens zu beschreiben. Sind es die Farben, die besonders intensiv dem Jahreslauf folgen? Ist es die Mächtigkeit, die imposante Erscheinung der Gipfel, und gleichzeitig die unglaubliche Ruhe, die das Gebirge ausstrahlt? Kann es sein, dass man aus Neugierde auf einen hohen Berggipfel steigt, um quasi wie mit einem Weitwinkel der Kamera mehr zu sehen und zu erkennen als in einem engen Tal?

Ich bin im Zillertal geboren und im Gebirge aufgewachsen, und als Kind war es wohl eher die Neugierde, die mich zum Bergsteigen gebracht hat. Wie sieht es da oben aus, finde ich dort etwas, was es im Tal nicht gibt? Irgendjemand hatte einmal erzählt, man könnte das Meer sehen. Nun, das Meer habe ich in den heimatlichen Bergen nicht gesehen, aber ich erlebte eine Fülle von äußerst intensiven, herrlichen Eindrücken, die mich formten und meinen weiteren Lebensweg bestimmten.

Ich wurde Bergsteiger, Bergführer; wenn man will, könnte man auch Abenteurer sagen. Mein Hobby, das Bergsteigen, wurde zu meinem Beruf. Ich hatte das Glück, Freunde zu kennen, die mir das Wesentliche für das Überleben im Gebirge beibrachten. Aber nicht nur das technische Rüstzeug wurde mir mitgegeben, sie lehrten mich vor allem auch den Respekt vor der Natur und ihrer Größe.

Möglichst viele Spielarten des Alpinismus kennenzulernen, das war mir wichtig. Kletterrouten im leichten und im extremen Gelände, Anstiege im steilen Eis, lange, ausgedehnte Gratklettereien über eine Reihe von mehreren Gipfeln … Durch intensives Training erreichte ich eine große Sicherheit in den Bergen. Häufig kletterte ich bei schlechtestem Wetter. Ob es regnete oder schneite – was kümmerte mich das? Wichtig war die Erfahrung, das Erleben möglichst vieler verschiedener Situationen.

Mein „Verschleiß“ an Seilpartnern war groß. Viele von ihnen wussten mit mir irgendwann nicht mehr viel anzufangen. Es ging ihnen alles zu schnell, und wenn ich damals nach zehn bis zwölf Stunden schwerster Kletterei am Gipfel meine obligaten Karotten auspackte und während des Kauens schon wieder zum Aufbruch drängte, hassten sie mich. Ich war besessen, kletterte viel allein, Touren im höchsten Schwierigkeitsgrad im Wilden Kaiser, an Fleischbank, Totenkirchl und Predigtstuhl, in der schnellstmöglichen Zeit. Aber nicht die Zeit als solche war mir wichtig. Schnell zu klettern bedeutete, einem möglichen Gewitter auszuweichen, bedeutete Sicherheit.

Mitte der Sechzigerjahre lernte ich einen jungen Südtiroler Bergsteiger kennen – Reinhold Messner. Instinktiv wusste ich: Das wird mein Partner. Reinhold hatte die gleichen Ideen, war unglaublich schnell, sowohl im Fels als auch im Eis, und genau wie ich wollte er Neues. Gemeinsam „wieselten“ wir durch die Eiger-Nordwand, in knapp zehn Stunden. Wir wussten um unsere Fähigkeiten und wollten neue Maßstäbe setzen – an den hohen Bergen der Welt.

1969 durchstiegen Reinhold und ich die über 50 Grad steile Ostwand des Yerupaja, eines Sechstausenders in Peru. Wir waren um Mitternacht in die Wand eingestiegen, kletterten teilweise seilfrei und erreichten unseren Ausgangspunkt kurz vor Mitternacht des gleichen Tages. Mit Messner war in der Tat alles möglich, seine Sicherheit und seine technischen Fähigkeiten im schwersten alpinen Gelände waren unerreicht. Wir passten zusammen und ergänzten uns. Unsere weiteren gemeinsamen Unternehmungen, nun im Himalaja, standen unter einem guten Stern. Unsere Erfolge machten uns selbstsicher, aber nie übermütig; wir wussten immer, wann es Zeit war, umzukehren.

Im Zusammenhang mit dem Bergsteigen wird immer wieder gern zitiert, dass der Weg das Ziel sei. Für meine aktive Zeit als Kletterer und Höhenbergsteiger möchte ich dieser Aussage widersprechen. Auch wenn der Weg wichtig ist, mein eigentliches Ziel war nie der Weg, sondern immer der Gipfel, die maximale Leistung. Auf dieses Ziel war ich fokussiert. Um meine Ziele zu erreichen, musste ich die eine oder andere gefährliche Situation in Kauf nehmen. Doch ich tat das nicht aus Todessehnsucht; indem ich die Gefahren überwand, den Tod riskierte, konnte ich den Wert des Lebens umso deutlicher erkennen.

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Peter Habeler am 8. Mai 1978 kurz vor dem Südgipfel: Mit Reinhold Messner gelang ihm die erste Besteigung des Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff.

Nach vielen Jahren im Gebirge hat das Bergsteigen für mich heute noch denselben Stellenwert wie früher, wenn ich auch nicht mehr so ungestüm bin, nicht mehr so wild. Meine Heimat sind gleichermaßen die europäischen Alpen wie auch das Dach der Welt, die Himalajaberge. Jedes Jahr, zumeist im Herbst, zieht es mich unweigerlich nach Nepal. Die Ziele sind nicht mehr so hoch gesteckt. Meine Partner, mit denen ich die prächtigen Hochgebirgstäler durchwandere oder auch diesen oder jenen Gipfel besteige, kommen mittlerweile aus aller Herren Länder.

Wenn ich mit Gästen unterwegs bin, passe ich mich an ihre Geschwindigkeit an, was manchmal auch bedeutet, sich relativ langsam fortzubewegen. Bin ich allein, gehe ich sehr schnell, dann tanze ich, dann springe ich auch. Es ist mir ein Vergnügen, rhythmisch und gezielt Fuß vor Fuß zu setzen, schnell und präzise den Platz für den nächsten Schritt zu wählen. Ich bin ein leidenschaftlicher Geher. Das Gehen ist für mich überhaupt das Maß aller Dinge. Gehen ist meditativ. Sehr langes Gehen führt an die Grenze der Erschöpfung. Man erreicht unweigerlich einen toten Punkt. Dann muss man sich auf gut Deutsch „einen Tritt in den Hintern geben“ – dann wird es plötzlich ganz licht, hell und schön. Das muss nicht am Everest sein. Je nach persönlichem Können reicht dafür ein Dreitausender, ein Viertausender, eine Kletterroute an der eigenen Leistungsgrenze, eine Trekkingtour über hohe Pässe. Jeder, der ins Gebirge geht, hat seinen Achttausender.

Heute versetze ich keine Grenzen mehr, aber ich lote immer noch, immer wieder meine eigenen Grenzen aus. Auch wenn ich immer noch gern schnell gehe, immer noch höhentauglich bin, bin ich natürlich nicht mehr so agil und leistungsfähig wie früher. Die großen alpinistischen Meilensteine setzt heute eine andere, junge Generation. Dies nicht sehen zu wollen wäre verblendet.

Was mich jedoch jung hält, ist die Tatsache, dass ich weiterhin Ziele habe. Ziele, die meinem Können und meiner Verfassung entsprechen. Sicher, meine Routen werden leichter, meine Gipfel niedriger werden. Aber ich werde weiterhin Ziele haben und Herausforderungen suchen.

Doch die Berge sind nicht nur Herausforderung für mich. Sie sind auch ein Ruhepunkt. Selbst wenn ich schlecht gelaunt von daheim weggehe, weil mir etwas durch den Kopf geht, was ich nicht klären kann – sobald ich unterwegs bin, auf dem Weg nach oben, fällt diese Beklemmung von mir ab. Ich habe Zeit, um meinen Gedanken nachzuhängen, um die Maßstäbe wieder zurechtzurücken. Der Kopf wird frei. Ich gehe auf einen Gipfel, und wenn ich wieder herunterkomme, bin ich ein anderer Mensch.

Immer noch erobern wir Bergsteiger „Unnützes“, tun Dinge, die rational nicht erklärbar sind, und fühlen uns wohl dabei. Es muss etwas dran sein am Gehen, am Überwinden, am Suchen und Finden von Lösungen. Langes Gehen, ausgedehntes Wandern – das ist Balsam für Seele und Körper. Am Berg fühle ich Kraft und Wärme. Wenn ich mir für mein weiteres Leben etwas wünschen darf, so lautet dieser Wunsch, dass ich noch möglichst lange gehend unterwegs sein kann. Und vielleicht dabei auch noch den einen oder anderen Gipfel erreiche.

LAUSBUBEN AM EVEREST

DIE ERSTE BESTEIGUNG DES HÖCHSTEN BERGES DER WELT OHNE KÜNSTLICHEN SAUERSTOFF

Am 21. April 1978 stieg ich mit Reinhold Messner vom Basislager ins Lager 1 auf. Wir wollten in den folgenden Tagen unseren ersten Angriff auf den Gipfel des Mount Everest (8850 m) machen. Nach wochenlangen Versicherungsarbeiten im Khumbugletscher und in der Lhotseflanke fühlten wir uns in einer prächtigen Verfassung. Durch oftmaliges Aufsteigen in die Hochlager hatten wir uns optimal akklimatisieren können; bis zum Vorgeschobenen Basislager auf 6400 Metern marschierten wir, als ob wir irgendwo in den heimatlichen Bergen wären. Dementsprechend gut war auch unsere Stimmung. Unser Ziel war klar: Als erste Menschen wollten wir versuchen, ohne künstlichen Sauerstoff den höchsten Punkt der Erde zu erreichen – ein Vorhaben, das von vielen Medizinern als völliger Unsinn bezeichnet und zum Scheitern verurteilt worden war. Auch in alpinistischen Kreisen räumte man uns nur geringe Chancen ein.

Reinhold und ich wollten, das hatten wir immer wieder betont, nur einen Versuch machen. Wir wussten, dass bereits in den Zwanzigerjahren Engländer ohne jegliche Sauerstoffhilfe Höhen von mehr als 8500 Metern erreicht hatten, überdies mit einer völlig unzulänglichen Ausrüstung. Bekannt war auch, dass nach der 1953 erfolgten Erstbesteigung des Mount Everest durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay kein ernsthafter Versuch ohne Sauerstoff mehr erfolgte. Man sprach nur immer wieder davon, dass es unmöglich wäre, dass der im Vergleich zur Meereshöhe nur mehr ein Drittel betragende Sauerstoffdruck schwere körperliche Schäden insbesondere des Gehirns nach sich ziehen würde. Wohl waren bei einigen Unternehmungen die Bergsteiger nicht permanent mit Sauerstoff unterwegs gewesen, hatten manchmal nur Schlaf sauerstoff oder Sauerstoffduschen genommen (im ersten Fall Michl Dacher am Lhotse, im zweiten die Chinesen 1975 am Everest). Unverständlicherweise wurde hier einige Male von „sauerstofflosen“ Besteigungen gesprochen. Doch auch diese Expeditionen müssen zu den traditionellen zählen. Als sauerstofflos kann nur eine Besteigung gelten, bei der vom Beginn der Expedition bis zum Ende überhaupt kein zusätzlicher Sauerstoff – in welcher Form auch immer – eingesetzt wird.

Reinhold und ich hatten uns einer Expedition des Österreichischen Alpenvereins, die unter der Leitung von Wolfgang Nairz stand, angeschlossen. Die Mannschaft bestand aus bewährten Bergsteigern; für die medizinische Betreuung waren Raimund Margreiter aus Innsbruck und Oswald Oelz aus Zürich zuständig. In gemeinsamer Arbeit hatten wir den gefürchteten Khumbu-Eisfall versichert und die Hochlager aufgestellt, in der Lhotseflanke waren Fixseile verankert worden. Dem ersten Gipfelsturm stand nichts mehr im Weg. Am 22. April erreichten Reinhold und ich Lager 2, unser Vorgeschobenes Basislager auf 6400 Metern, und tags darauf das Lager 3 in der Lhotseflanke auf 7200 Metern. Am Morgen des 24. beschloss ich, nachdem ich mir mit Sardinen aus der Dose, die gefroren waren, den Magen verdorben hatte, wieder zurück ins Lager 2 abzusteigen. Reinhold wollte mit zwei Sherpas zum Südsattel vorstoßen und Lager 4 errichten. Später am Nachmittag verschlechterte sich das Wetter. Um 18 Uhr herrschte starkes Schneetreiben, und der Sturm steigerte sich zum Orkan. Das Zelt am Südsattel, in dem Reinhold mit den beiden Sherpas war, wurde zerfetzt. Am nächsten Tag wütete der Wind mit unverminderter Heftigkeit, Reinhold konnte notdürftig ein Reservezelt errichten. Nach einer weiteren Nacht, der zweiten ohne Sauerstoff, gelang den dreien erst am 26. der Abstieg ins Lager 2. Erschöpft und von den Strapazen gezeichnet, erreichte Reinhold am 27. April das Basislager.

Mittlerweile waren Wolfgang Nairz, Robert Schauer und Horst Bergmann zusammen mit Ang Phu, dem Sherpa-Sirdar, aufgestiegen. Das Wetter war herrlich, sie wollten zum Gipfel. Am 1. Mai spurten sie in hüfttiefem Schnee vom Südsattel hinauf bis auf 8500 Meter, wo sie Lager 5 errichteten. Ab einer Höhe von 7200 Metern hatten sie Sauerstoffmasken benutzt. Das Wetter war unverändert gut. Nach fünfstündigem Aufstieg erreichte die Mannschaft am frühen Nachmittag des 3. Mai den Gipfel des Everest. Es war ein großartiger Erfolg, der uns, die wir in den tieferen Lagern warteten, großen Auftrieb gab. Am selben Tag, an dem die Gipfelmannschaft müde, aber in guter Verfassung im Lager 2 eintraf, nächtigten auch Reinhold und ich dort. Das Wetter schien zu halten. Die fürchterliche Hitze vermeidend – die Quecksilbersäule kletterte manchmal auf über 40 Grad plus –, stiegen Reinhold und ich anderntags durch die Lhotseflanke, verbrachten eine kalte, aber gute Nacht in Lager 3 und gelangten am 7. Mai nach anstrengender Spurarbeit um die Mittagszeit zum Südsattel auf rund 7900 Metern. Drei Sherpas sowie Eric Jones, ein bekannter englischer Bergsteiger, hatten uns begleitet. Obwohl wir ohne künstlichen Sauerstoff aufgestiegen waren, fühlten wir uns gut.

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Der Mount Everest mit dem stark zerklüfteten Khumbugletscher

Während der Nacht kam Sturm auf. Wir schliefen kaum, und der Sauerstoffmangel machte sich bemerkbar. Ich hatte kalte Füße, die ich nicht warm bekommen konnte. Gegen drei Uhr früh begann Reinhold Tee zu kochen. Heute, das wussten wir, würde die Entscheidung fallen. Um halb sechs krochen wir, die Steigeisen bereits an den Füßen, aus dem Zelt. Immer noch blies der Wind heftig aus Südwesten, dunkle Wolkenbänke standen über dem Nuptsegrat. Mein erster Impuls war umkehren – ich konnte mir schwer vorstellen, bei diesen Verhältnissen auch nur einige hundert Meter hinaufzukommen. Durch mein Zögern hatte Reinhold einen kleinen Vorsprung gewonnen. Ich rief Eric Jones, bat ihn, unseren Aufbruch zu filmen, und folgte Reinhold.

In den Beinen spürte ich eine bleierne Müdigkeit, bereits nach 20 bis 30 Metern musste ich jeweils Rastpausen einlegen. Wenn sich das verschlimmerte, würde ich nicht einmal bis zum Südgipfel kommen. Vielleicht war es doch vermessen, vom Südsattel aus zu starten und damit einen Höhenunterschied von fast 950 Metern zurücklegen zu müssen, noch dazu ohne Sauerstoffhilfe? Doch die Bedenken der vergangenen Tage waren völlig verschwunden. Ich dachte nicht an zu Hause, nicht an Frau und Kind, sondern nur noch an die bergsteigerischen Schwierigkeiten, die uns bevorstanden. Ich konzentrierte mich ganz und gar auf den Aufstieg, registrierte jeden meiner Schritte und versuchte, meine Kräfte einzuteilen und mit ihnen so lange wie möglich zu haushalten.

Von erhabenen Gedanken oder Gefühlen konnte allerdings keine Rede sein. Mein Gesichtskreis war ganz eng, beschränkte sich auf das Allernotwendigste. Ich sah nur meine Füße, nur die nächsten Schritte und Griffe, und bewegte mich wie ein Automat. Ich schaltete völlig ab und dachte nur noch an die nächsten fünf Meter vor mir. Ich dachte nicht an den Everest, nicht an unser Ziel. Nur dass ich diese nächsten fünf Meter hinter mich brachte, war wichtig, sonst nichts. Wenn ich überhaupt an etwas anderes dachte, dann daran, wie ich hier am besten wieder herunterkommen würde.

Die Luft wurde knapper und knapper. Ich war nahe am Ersticken. Ich erinnere mich noch, dass mir ein einziges Wort im Takt meiner Schritte durch den Kopf ging: „Vorwärts, vorwärts, vorwärts …“ Wie eine tibetische Gebetsmühle. Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ab und zu blieb ich stehen, rammte den Eispickel in den Schnee und lehnte mich für eine halbe Minute darauf, schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und versuchte mich auszuruhen. Dann spürte ich deutlich, wie sich meine Muskeln mit neuer Kraft anreicherten, und es ging für zehn oder zwanzig Schritte weiter.

Inzwischen hatte ich Reinhold eingeholt und nützte als Führender das felsige Gelände aus, um nicht im grundlosen Schnee spuren zu müssen. Wir kletterten Passagen im I. und II. Schwierigkeitsgrad, konzentrierten uns völlig auf diese Kletterei und spürten, dass sich unsere Körper auf das verminderte Sauerstoffangebot einstellten. Immer wieder versuchte ich meine Zehen zu bewegen, die seit dem Aufbruch gefühllos waren. Mit kreisenden Armbewegungen trieb ich das Blut bis in die Fingerspitzen. Reinhold filmte öfter mit einer Super-8-Kamera, manchmal machte ich einige Fotos. Um halb zehn erreichten wir Lager 5.

Reinhold kochte Tee. Es dauerte eine knappe halbe Stunde, bis er fertig war. Uns war beiden klar, dass wir nach der Trinkpause sofort weitergehen mussten, erst recht, da das Wetter immer schlechter wurde. Unser gemeinsamer Wille besiegte den Wunsch, umzukehren oder wenigstens zu schlafen. Wir wollten auf jeden Fall weiter hinauf, selbst wenn es nur bis zum 8750 Meter hohen Südgipfel wäre. Auch der Südgipfel ohne Sauerstoff wäre ein großer Erfolg gewesen; er hätte den Beweis erbracht, dass es eines Tages möglich sein würde, ohne Sauerstoff bis zum Hauptgipfel zu gelangen.

Über den Südostgrat, auf der Ostseite bleibend, stapfte ich voran, Reinhold zehn Meter hinter mir. Kurz vor Erreichen des Steilaufschwungs, der zum Südgipfel zieht, versank ich in grundlosem Pulverschnee. Wie ein Maulwurf wühlend, querte ich auf allen vieren nach links zu einem Felsgrat, der jäh in die 2000 Meter hohe Südwestwand abbrach. Etwa 150 Meter kletterten wir über diesen Pfeiler. Es war die höchste, luftigste Kletterei, die ich je gemacht hatte, noch dazu ohne Seil. Nur hier keinen Sturz …

Kurz nach zwölf Uhr erreichte ich den Südgipfel. Reinhold, der etwa 20 Meter unter mir stand, war nur mehr undeutlich zu sehen, er verschwand in den Schneefahnen, die der Südwestwind vom Grat blies. Unter uns brodelte ein Wolkenmeer, aus dem Makalu, Cho Oyu und Lhotse herausragten. Der Hauptgipfel schien zum Greifen nahe, und doch wussten wir, dass für diese Strecke oft Stunden gebraucht wurden. Wir konnten noch die Fußstapfen der Nairz-Mannschaft erkennen. Der Grat war stark überwechtet – wir seilten uns an. Mit äußerster Vorsicht kletterten wir, abwechselnd führend, weiter. Reinhold filmte, so oft es aus Sicherheitsgründen zu verantworten war. Sein eisverkrustetes Gesicht sah aus wie eine Grimasse. Am Hillary Step, der Aufsteilung im Gratverlauf, konnten wir die Tritte unserer Vorgänger benutzen; einige waren aber ausgebrochen, und der Untergrund war instabil.

Die letzten Meter zum Gipfel gingen – oder vielmehr krochen – wir gemeinsam. Trotz aller Euphorie, es bald geschafft zu haben, war ich körperlich total am Ende. Ich ging nicht mehr aus eigenem Willen, sondern nur noch mechanisch, wie ein Automat. Kurz nach 13 Uhr standen wir am höchsten Punkt der Erde. Wir umarmten uns, freuten uns, waren endlich befreit von dem unmenschlichen Zwang, weitergehen zu müssen. Vage wurde mir bewusst, dass wir die ersten Menschen waren, die es ohne jegliche Sauerstoffhilfe auf den höchsten Punkt der Erde geschafft hatten. Trotzdem war in mir kein Triumph, sondern eher ein Gefühl der Leere. Das Ziel, das mir so wichtig gewesen war, war erreicht. Ich war leer, sowohl körperlich als auch im Geist. Ich wollte hinunter, nur noch hinunter.

Ich machte mich vom Seil los, schnitt einen Meter davon ab und befestigte das Seilstück zum Beweis unserer Besteigung an dem Aluminiumgestänge, das die Chinesen 1975 als Vermessungszeichen am Gipfel errichtet hatten. Ich fotografierte, Reinhold filmte und hantierte mit seinem Tonbandgerät. Er wollte noch etwas bleiben. Mich zog es hinunter ins Lager 4. Vorsichtig begann ich mit dem Abstieg.

Die fünf Meter hohe Gegensteigung zum Südgipfel kroch ich auf allen vieren hinauf. So schnell wie möglich wollte ich zum Südsattel hinunter, machte für Reinhold im Sinne des Abstiegs einen Pfeil in den Schnee und rutschte langsam, den Pickel als Bremse benutzend, über die Ostflanke zum Lager 5 ab. Diese Abstiegsart, das „Abfahren“, verlangt jahrelanges Training, große Geschicklichkeit und ist nicht jedermanns Sache. Unterhalb von Lager 5 benutzte ich ein Couloir, musste einige Male meine Rutschfahrt unterbrechen, um über kleinere Felsabsätze hinabzuklettern, und gelangte sehr schnell hinunter auf 8150 Meter. Etwa 200 Meter oberhalb des Südsattels geriet ich allerdings in ein Schneebrett, rutschte unkontrolliert weiter und verlor dabei Pickel und Steigeisen, doch letztendlich kam ich mit einem „blauen Auge“ – einem verdrehten Knöchel – davon. Eric Jones, der den Großteil meines Abstiegs beobachtet hatte, traute seinen Augen nicht. Ich hatte vom Gipfel bis in den Südsattel genau eine Stunde gebraucht.

Eine halbe Stunde später, kurz nach 15 Uhr, kam Reinhold. Durch oftmaliges Abnehmen seiner Schutzbrille zum Filmen hatte er sich eine fürchterliche Bindehautentzündung zugezogen. Eine weitere Nacht verbrachten wir im Lager 4. Reinhold hatte rasende Schmerzen, die uns umso mehr erschreckten, weil wir Schlimmeres als Schneeblindheit befürchteten: Blutungen im Augenhintergrund, möglicherweise Anzeichen eines beginnenden Hirnödems. Am 9. Mai stiegen wir gemeinsam durch die Lhotseflanke ab; Reinhold, der nur wenige Meter sehen konnte, blieb dicht hinter mir. Am selben Tag, spätnachmittags, stolperten wir ins Vorgeschobene Basislager, wo wir überschwänglich begrüßt wurden und uns erholen konnten. Unsere Idee hatte sich tatsächlich verwirklichen lassen.

„AM EVEREST HATTE ICH MEHR ANGST ALS BEI ALLEN SPÄTEREN EXPEDITIONEN“

Du hast selbst davon gesprochen, Peter, dass ihr am Everest noch Lausbuben wart. Meinst du damit, dass ihr so frech wart, ihn ohne Sauerstoff anzugehen?

Na ja, freche Ideen hatten wir öfter. Ich hatte eine freche Idee, als ich 1967 zum ersten Mal am Montblanc war und auf dem schwierigsten Weg, über den Frêneypfeiler, auf den Gipfel kletterte. Reinhold und ich hatten eine freche Idee, als wir 1974 die Eiger-Nordwand in einem Tag machen wollten und letztendlich knapp zehn Stunden gebraucht haben. Wir waren frech, als wir im Winter in die Bonattiroute am Matterhorn einstiegen. Wir waren immer frech. Und Gott sei Dank waren wir frech, denn diese Frechheit – das war keine dumme Frechheit, sondern eine Frechheit, die auf unserer Leistungsfähigkeit beruhte. Und letzten Endes war diese Frechheit dann auch am Everest vorhanden. Aber mit den Lausbuben meine ich etwas anderes. Im Grunde genommen kann ich da aber nur für mich selbst sprechen. Für mich war der Everest überhaupt die erste große Expedition. Natürlich, es gab 1975 den Hidden Peak mit Reinhold, es gab 1977 unseren Versuch am Dhaulagiri, aber trotzdem war ich sozusagen ein Anfänger, hatte im Höhenbergsteigen noch zu wenig Routine. Körperlich war ich lange nicht so gut beieinander wie am Hidden Peak oder bei späteren Achttausendern. Und psychisch – ich war jung verheiratet, hatte eine sehr starke Bindung zu Regina, unser Sohn Christian war gerade mal 14 Monate alt. Ich war nicht voll konzentriert auf den Berg. Nicht hundertprozentig. Wir waren Lausbuben, weil wir viele Fehler gemacht haben, es noch nicht besser wussten.

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1974 gelang Peter Habeler und Reinhold Messner die viel beachtete erste Durchsteigung der Eiger-Nordwand an einem Tag. Im Bild Reinhold Messner am „Zerschrundenen Pfeiler“.

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Nach ihrer sensationellen, nur zehnstündigen Durchsteigung der gefürchteten „Mordwand“ werden die Helden an der Kleinen Scheidegg von Clint Eastwood (links) und Heidi Brühl gefeiert.

Welche Fehler waren das?

Wir nahmen zum Beispiel im Basislager Schlaftabletten. Jeden Abend ein Valium, damit wir schlafen konnten – furchtbar. Dann machten Reinhold und ich einmal einen Erkundungsgang durch den Khumbu-Eisbruch hinauf ins Tal des Schweigens, wo das Vorgeschobene Basislager aufgebaut werden sollte. Am Vortag, in Lager 1, hatte ich den ganzen Abend gesungen, so gut waren wir drauf. Doch das Wetter wurde schlecht. Es kam Sturm auf. Eine furchtbare Nacht – wir mussten das Zelt mit Eisschrauben befestigen und hielten die ganze Nacht die Zeltstangen fest. Wenn der Wind uns das Zelt zerrissen hätte, wären wir wahrscheinlich gestorben. Dieses Erlebnis hat mir irgendwo einen Knick gegeben, und das hat Reinhold auch gemerkt. Aber es hat dann ja trotzdem funktioniert.

Ihr hattet eigentlich mehr Glück als Verstand – kann man das so sagen?

Nein, mehr Glück als Verstand hatte ich nicht. Am Everest hatte ich eher zu viel Verstand, konnte die Bedenken nicht loslassen. Daher kam auch mein zögerliches Verhalten, das für Reinhold mit Recht zum Problem wurde. Sonst bin ich immer gelaufen wie eine Rakete, aber am Everest hat es mich hin und her geworfen. Am Everest hatte ich mehr Angst als bei allen späteren Expeditionen, auch viel mehr Angst als am Hidden Peak. Ich habe noch deutlich diesen fürchterlichen Lärm in Erinnerung, wenn der Wind sich oben in der Südwestwand bricht und dann durch das Western Cwm herausschießt. Herunten meint man, da fährt ein Zug vorbei. Wenn ich im Basislager saß, machte mich dieses Geräusch total nervös. Ich muss dem Reinhold wirklich danken, dass er die Geduld mit mir nicht verloren hat. Er hat mich dann tatsächlich wieder so weit motiviert, dass ich gesagt habe, so, und jetzt packen wir’s, jetzt ziehen wir’s durch.

Wie kam es überhaupt dazu, dass ihr gemeinsam unterwegs wart?

Seit wann kanntet ihr euch?

Wir haben uns im Februar 1966 das erste Mal getroffen, anlässlich einer Winterbegehung des „Pilastro“ am Zweiten Südwandpfeiler der Tofana di Rozes. Ich kletterte mit Horst Fankhauser. Sepp Mayerl, mit dem ich oft unterwegs war und von dem ich sehr viel lernte, brachte noch zwei Freunde mit: Gernot Röhr und eben Reinhold Messner. Das war unsere erste gemeinsame Tour.

Aber es ging dann gleich weiter, eine Woche später waren Horst und ich am Südpfeiler der Maukspitze und haben die zweite Winterbegehung gemacht. Wir waren da ja wie die Wilden. Anfang März stiegen wir in die Bonattiroute in der Matterhorn-Nordwand ein, Sepp Mayerl, Gernot Röhr, Reinhold und ich. Die Verhältnisse waren schlecht, es gab einen Wettersturz, wir mussten nach der „Traversata degli Angeli“ einen abenteuerlichen Rückzug antreten.

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Bereits um die Mittagszeit war der berüchtigte „Götterquergang“ erreicht.

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In der Matterhorn-Nordwand

Wenn ihr damals so viel unterwegs wart, wie seid ihr denn jeweils hingekommen? Von Mayrhofen nach Zermatt, das ist doch kein Katzensprung.

Wir reisten fast immer mit dem Motorrad an. Zuerst fuhren wir zu zweit auf der Maschine von Horsts Vater, dann konnte ich die Puch 175 von meinem Nachbarn Hans Lottersberger nehmen. Aber die ging nur 80 Stundenkilometer – das ging dann ganz schön lang bis in die Dolomiten, auf der alten Bundesstraße, die Autobahn gab es damals noch nicht. Am schlimmsten war es, wenn es dann auch noch geregnet hat. Aber so waren wir wenigstens mobil. Das Motorrad war schon besser als das Fahrrad. Der Buhl musste noch bis zum Badile strampeln.

Ab 1966 hast du dann viele schwierige Routen mit Reinhold Messner begangen.

Ja, wir ergänzten uns perfekt, waren beide sicher und schnell. Es dauerte allerdings bis zum Sommer 1974, bis wir die Matterhorn-Nordwand ein zweites Mal versuchten, auf der Schmidführe. Der Fels war komplett vereist, dann kam auch noch ein Gewitter. Aber wir haben es geschafft. In mein Tourenbuch schrieb ich damals: „Nur mit Reinhold lässt sich so etwas machen. Alle Partner, die ich jemals zuvor hatte, verblassen neben ihm.“

In dieser Zeit habt ihr auch eure ersten Expeditionserfahrungen gemacht. 1969 wart ihr in den peruanischen Anden, in der Ostwand des Yerupaja, allerdings ohne Gipfelerfolg. Im Sommer 1975 seid ihr dann zu eurer ersten Himalaja-Expedition mit dem Ziel Hidden Peak aufgebrochen. Wie entstand diese Idee?

Reinhold hatte damals Kontakt mit Walter Bonatti. Dessen Erstbesteigung des Gasherbrum IV zusammen mit Carlo Mauri hatte ihn sehr beeindruckt. Die war 1958. Und 1957 am Broad Peak, das war ja auch nur eine vierköpfige Expedition: Buhl, Schmuck, Wintersteller und Diemberger. Das war dann in unseren Köpfen: ein Achttausender zu zweit. Und das haben wir dann durchgezogen. Wir haben einfach gewusst, dass wir etwas Neues tun wollen. Mit sieben oder acht Trägern marschierten wir ins Basislager, entlohnten sie, die liefen dann wieder zurück, und wir haben diese sehr elegante Geschichte am Hidden Peak gemacht.

Etwas Neues – damit meinst du den Alpinstil an den Achttausendern?

Ja, Alpinstil in einer Zweiermannschaft. Wir haben alles, was wir in der Nordwestwand des Hidden Peak gebraucht haben, vom Basislager mitgenommen und haben zwischen 6000 und 6100 Metern unser Lager 1 aufgestellt, direkt am Fuß dieser großen, sehr steilen Flanke, die praktisch bis zum Gipfel hinaufzieht. Es war klar, dass wir in dieser Flanke nicht sichern konnten, wir mussten sie seilfrei durchsteigen. Mit einem weiteren Zwischenlager auf 7100 Metern zogen wir dann zum Gipfel, in einer atemberaubenden Ausgesetztheit. In dieser Flanke pfeift es hinunter; wenn du da fliegst, bist du hin. Und wir hatten ja doch einiges im Rucksack: Zelt, Schlafsäcke, Kocher, Proviant, ein 20-Meter-Seil für den Notfall. Oben war es windstill, herrlichstes Wetter, gar nicht mal so kalt, vielleicht hatte es 12, 13 Grad minus, und ich saß da auf meinem ersten Himalaja-Gipfel und war einfach wahnsinnig beeindruckt.

Absteigen musstet ihr dann auch wieder über diese steile Flanke?

Von 8000 bis auf 6000 Meter hinunter mussten wir fast alles mit dem Gesicht zur Wand absteigen. Die Flanke war vielleicht 48, 50 Grad steil. Ich habe dann allerdings den Reinhold noch erschreckt – mir war mein Rucksack zu schwer, und weil die Flanke nach unten auf den Gletscher flach auslief, habe ich ihn einfach hinunterrutschen lassen. Reinhold war weit unter mir, außerhalb der Falllinie des Rucksacks, aber trotzdem ist er im ersten Moment erschrocken, weil er dachte, ich sei gestürzt. Unten konnte ich den Rucksack unversehrt wieder aufsetzen.

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Peter Habeler am Gipfel des Hidden Peak, im Hintergrund der Masherbrum

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Reinhold Messner in der steilen Nordwestwand des Hidden Peak

Ihr seid dann in einem Zug bis ins Lager 1 abgestiegen und wart am nächsten Tag wieder im Basislager. Vier Tage für einen Achttausender – wirklich eine elegante Geschichte.

Ich bin davon ausgegangen, dass wir das schaffen. Ich war sehr motiviert. Und abgesehen von meinen Migräneanfällen in Skardu und im Lager 1 ging es mir ausgezeichnet. Auch Reinhold war in Bestform, außerdem hatte er schon die Erfahrung vom Nanga Parbat und vom Manaslu. Nach unserem Erfolg am Hidden Peak lag es nahe, weitere Achttausender zu besteigen, und Reinhold schlug für 1977 den Dhaulagiri vor.

Warum seid ihr am Dhaulagiri gescheitert?

Das hatte mehrere Gründe. Zum einen das Wetter: Es schneite dauernd, die Verhältnisse waren schlecht. Außerdem hat unser Viererteam mit Otto Wiedmann und Mike Covington nicht ganz harmoniert. Für eine Wand wie die Dhaulagiri-Südwand, die mehr als 4000 Meter hoch ist, muss alles optimal stimmen. Sie wurde erst 1999, mehr als 20 Jahre nach uns, von Tomaž Humar erstbegangen.

Humar hat dem Alpinstil noch eins draufgesetzt, indem er allein ging. Reinhold Messner und du, ihr wart frühe Anhänger des Alpinstils im Himalaja. War das damals schon Strategie? Oder hat sich das einfach aus der Not ergeben, weil ihr euch eine große Expedition mit all diesem Aufwand an Organisation und Trägern gar nicht leisten konntet?

Das war schon Strategie. Wir wollten aus zweierlei Gründen klein bleiben. Erstens ist die Organisation bei einer kleinen Mannschaft leichter und zweitens die menschliche Seite unproblematischer. Wenn du dir die großen Expeditionen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren anschaust, bei denen gab es doch fast jedes Mal Zores. Der eine will das, und der andere will das nicht, und der Dritte will überhaupt nicht, und der Vierte möchte es in einem Tag machen. Wir haben uns gesagt: Wir sind zwei, wir sind beide eigenständig, wir sind gut. Wir haben die Möglichkeit, diese hohen Berge zu besteigen, und zwar ohne Sauerstoff. Wir wussten, dass wir uns gegenseitig total aufeinander verlassen können. Die Kleinstexpedition mit Partnern, die ich gut kenne, hat sich als das am besten Machbare gezeigt. Nach dem Everest war ich nur noch in Kleinstexpeditionen unterwegs – außer 1984 am K2, und da hat es auch nicht funktioniert. Eine kleine Expedition ist schlagkräftig, aber die Teilnehmer müssen natürlich harmonieren.

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Wieder zurück im Basislager – die Besteigung des Hidden Peak war einer der größten Erfolge von Peter Habeler und Reinhold Messner.

Am Everest wart ihr aber in eine größere Expedition eingebunden?

Ja, denn so schnell hätten wir für ihn gar keine Genehmigung bekommen. Deswegen schlossen wir uns einer bereits genehmigten Expedition an, der des Österreichischen Alpenvereins. Reinhold kannte Wolfgang Nairz, den Leiter, gut, mit ihm war er 1972 am Manaslu gewesen. Reinhold war auch die treibende Kraft bei der Everest-Besteigung ohne Sauerstoff, er war der Stratege. Und er wusste, in mir hat er einen kongenialen Partner, der mitmacht.

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Allen Zweifeln zum Trotz: Am 8. Mai 1978 wird der Gipfel des höchsten Berges der Welt erstmals ohne künstlichen Sauerstoff erreicht.

Der aber nicht nur „mitmachte“, sondern, nachdem er seine Zweifel überwunden hatte, genauso zum Gipfel wollte wie er.

Genau. Ich war mir aber bis zum Südgipfel nicht sicher, ob wir es schaffen würden oder nicht. Es war neblig, es hat geweht, und vor allem mussten wir wahnsinnig viel spuren. Das Spuren war die Hölle. Wenn du bei jedem Schritt in diesem windgepressten Schnee bis zum Knie einbrichst, das kostet unheimlich viel Kraft. Vom Südgipfel an war ich dann überzeugt, ja, jetzt werden wir es machen. Reinhold kletterte den Hillary Step als Erster, weil er von oben filmen wollte. Der Grat ist steil, ausgesetzt, es geht sowohl nach Südwesten steil hinunter als auch nach Osten, auf die Kangshungseite. Das sind fast 3000 Meter bis auf den Kangshunggletscher. Wenn du da ausrutschst, bist du weg, und deinen Partner ziehst du mit.