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Bertelsmann Stiftung · Das Progressive Zentrum (Hrsg.)

Soziale
Marktwirtschaft:
All inclusive?

3

Vermögen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

Verantwortlich: Dr. Henrik Brinkmann

Lektorat: Heike Herrberg

Herstellung: Christiane Raffel

Umschlaggestaltung und Layout: Büro für Grafische Gestaltung – Kerstin Schröder, Bielefeld

ISBN 978-3-86793-803-7 (Print)

ISBN 978-3-86793-821-1 (E-Book PDF)

ISBN 978-3-86793-822-8 (E-Book EPUB)

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

Inhalt

Wie können Chancen und soziale Mobilität für alle ermöglicht werden?

Henrik Brinkmann, Manuel Gath

Investitionen gegen die neue Ungleichheit – Wie können Vermögensaufbau erleichtert und Ungleichgewichte verringert werden?

Thomas Falkner

Eine Arbeitslosenversicherung für den Euroraum als automatischer Stabilisierungsmechanismus

Ferdinand Fichtner

Die soziale Erbschaft: Ansatz für eine neue Vermögenspolitik?

Timm Bönke, Astrid Harnack

Die Autorinnen und Autoren

Abstract

WIE KÖNNEN CHANCEN UND SOZIALE MOBILITÄT FÜR ALLE ERMÖGLICHT WERDEN?

Henrik Brinkmann, Manuel Gath

Zur Buchreihe

Die Bundesrepublik Deutschland steht gut da. Wirtschaftliche Kennziffern wie das Bruttoinlandsprodukt, die Exportquote oder auch die Beschäftigungsentwicklung und das Steueraufkommen zeichnen das Bild einer rundum gesunden und vor ökonomischer Stärke strotzenden Volkswirtschaft. Ein ähnlich einheitliches Bild von unserer Gesellschaft zu zeichnen, will hingegen nicht gelingen: In der öffentlichen, politischen und akademischen Debatte geht es immer häufiger um soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Menschen, Regionen, ja selbst Branchen wie der exportorientierten Industrie auf der einen und dem lokalen Dienstleistungsgewerbe auf der anderen Seite. Dabei ist nicht allein entscheidend, ob der Befund einer ungerechter gewordenen Gesellschaft empirisch in all seinen Facetten Bestand hat. Schon die Debatte beweist, dass das Thema gesellschaftlich relevant ist.

Die große Zahl ökonomischer und ökologischer Krisen der vergangenen Jahre hat vielen die Grenzen des bisherigen Wachstumsmodells deutlich gemacht. Die westlichen Industriegesellschaften, auch Deutschland, müssen sich kritisch hinterfragen lassen.

Zeitgleich lässt sich hierzulande ein Verlust von Vertrauen in die gesellschaftliche Leistung unserer Wirtschaftsordnung beobachten. Spätestens seit der weltweiten Finanzkrise hat sich nicht nur global, sondern auch in Deutschland die Einkommens- und Vermögensungleichheit in vielen Bereichen erhöht – die Chancen hingegen sind geringer geworden. Unser gesellschaftliches Selbstverständnis beinhaltet das Versprechen von Bildungs- und Entwicklungschancen für das Individuum und die Ermöglichung von sozialem Aufstieg. Wenn diese Perspektive für immer größere Teile der Gesellschaft nicht realisierbar ist, gefährdet das die Akzeptanz für unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.

Eine der Grundideen der Sozialen Marktwirtschaft ist die einer Markt- und Wettbewerbsordnung, in der wirtschaftliches Wachstum und sozialer Ausgleich Hand in Hand gehen. Vor diesem Hintergrund stellen sich zentrale Fragen, auf die Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Antworten finden müssen. Werden die Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft noch eingelöst? Wie krisenfest bzw. -anfällig ist unser Wirtschaftssystem? Welche Anforderungen stellen die Bürgerinnen und Bürger an unsere Wirtschafts- und Sozialordnung? Vor welchen Herausforderungen stehen wir in Zukunft wirtschaftlich und gesellschaftlich? Kurzum: Was muss getan werden, um weiterhin für alle Menschen in Deutschland ein gutes Leben zu ermöglichen?

Im Rahmen mehrerer Diskussionsrunden mit Vordenkern1 der in Deutschland etablierten Parteien, Wissenschaftlerinnen und Unternehmern haben die Bertelsmann Stiftung und Das Progressive Zentrum gemeinsam mit den Teilnehmenden Thesen, Positionen und Konzepte erörtert. Daraus ist ein vielfältiges Leitbild für eine zukunftsfähige und gesellschaftsorientierte Soziale Marktwirtschaft entstanden, die ein inklusives Wachstum möglich machen soll. Der vorliegende Band soll Diskussionen anregen und Denkanstöße geben, mit welchen Maßnahmen unser Wirtschaftsmodell zukunftsfest gemacht werden kann. Unser Ziel ist es, heute einen Beitrag zu leisten, damit die Weichen für morgen richtig gestellt werden.

Zu diesem Band

Der Erwerb von Eigentum ist vielen Menschen wichtig, weil sie damit Sicherheit und Autonomie verbinden – und weil die Höhe des Vermögens als eine Chiffre für gesellschaftlichen Erfolg gelesen wird. Dem Schutz des Eigentums gibt unsere Verfassung daher ein großes Gewicht. Der Erwerb von Eigentum ist jedoch kein Selbstzweck und erfolgt vor allem nicht in einem sozialen Vakuum. »Eigentum verpflichtet«, stellt das Grundgesetz fest. Aus individueller Perspektive sind die Einbettung in ökonomische Stabilität und solide wirtschaftliche Rahmenbedingungen eine Voraussetzung für das eigene ökonomische Handeln. Aus gesellschaftlicher Perspektive wiederum gilt: Kapitalausstattung und Kapitalerwerb sind Faktoren, die soziale Mobilität und Teilhabegerechtigkeit in einer Gesellschaft erheblich beeinflussen. Nicht zuletzt wird der langfristige soziale Zusammenhalt davon abhängen, ob die Startbedingungen und die Verteilung der Chancen als fair wahrgenommen werden.

Eine zukunftsfähige Sozial- und Wirtschaftspolitik wird daher gut daran tun, sich mit dem Vermögensaufbau und der Vermögensverteilung zu befassen. Dies ist durchaus in einem umfassenden Sinne zu verstehen, denn Kapital ist nicht nur im monetären Sinne wichtig, sondern auch als soziales und kulturelles Kapital. Ob jemand in der Lage ist, monetäres wie kulturelles Kapital individuell in Lebenschancen umzuwandeln, hängt von den jeweiligen ökonomischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen ab. Zu diesen Lebenschancen gehört auch der Erwerb von Vermögen als ganz konkrete Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand.

Man kann der Erkenntnis schlecht ausweichen: Die individuellen Kapitalausstattungen und damit die Lebenschancen gleichen einem Lotteriespiel. Kinder aus Arbeiterfamilien haben von Anfang an weniger Möglichkeiten, Vermögen und Eigentum zu erwerben, als Kinder aus Akademiker- oder Unternehmerhaushalten. Und das soziale und kulturelle Kapital entscheidet mit darüber – etwa in Form sozialer Kompetenz – wer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg hat.

Wenn die Republik über Ungleichheit und die Verteilung des Wohlstands diskutiert, geht es meist um das Einkommen und die Unterschiede zwischen Niedriglohnsektoren und boomenden Branchen. Die Rolle von Kapital und Vermögen wird hingegen oft außer Acht gelassen. Wenn sich aber wie in den letzten Jahren die faktorbezogene Einkommensverteilung von der Arbeit zum Kapital verschiebt, dann hat die Tatsache, dass 40 Prozent der Menschen in Deutschland über kein nennenswertes Vermögen verfügen, erhebliche Auswirkungen auf die Einkommensstrukturen und damit die Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Wohlstand: Vermögende bekommen jedes Jahr ein Stückchen mehr vom Kuchen ab.

Vermögen – monetäres wie soziales – hilft auch dabei, die Wechselfälle des Lebens zu bestehen. Es spricht viel dafür, dass mindestens die wirtschaftlichen Wechselfälle künftig mehr Menschen betreffen werden. Die Soziale Marktwirtschaft sieht sich konfrontiert mit fundamentalen Veränderungen. Mittel- bis langfristig wird es in Deutschland immer weniger bruchlose Erwerbsbiografien von der Ausbildung bis zur Rente in einem Betrieb geben. Fertigungs- und Unternehmensmodelle werden zunehmend flexibler, technologische Zyklen immer kürzer, Vernetzung, Kreativität und Teamgeist treten an die Stelle, wo früher wenig mehr außer Hierarchie war. Neben der klassischen Industriearbeitnehmerschaft entstehen neue, oft prekäre Beschäftigungsund Erwerbsformen.

Vor diesem Hintergrund arbeitet Thomas Falkner in seinem Beitrag eine Reihe von Veränderungen heraus, die zwischen Transformation und Disruption rangieren und unser Verständnis von Ökonomie, Erwerbsarbeit und Eigentum infrage stellen. Fortschreitende Automatisierung, Sharing Economy, zunehmende Soloselbstständigkeit von Arbeitenden und eine steigende Diskrepanz zwischen der Entlohnung von Arbeit und Kapital identifiziert der Autor als Entwicklungen, die völlig neue Anforderungen an die Menschen innerhalb einer Marktgesellschaft, aber auch an ihre staatliche Unterstützung und Förderung stellen. Aus seiner Sicht bedarf es daher vor allem einer Transformation der sozialen Sicherung, die auf ein neues Fundament gestellt werden müsse.

Die tiefgreifenden Formen des Wandels, auch mit Blick auf soziale Sicherung, müssen frühzeitig antizipiert und mit einer Inklusivität schaffenden Politik vorausschauend gestaltet werden. Die finanzielle Beteiligung aller Menschen am Wohlstand einer Gesellschaft wird klassischerweise über eine Einkommensumverteilung sichergestellt. Die aktuellen Herausforderungen sollten uns Anlass sein, neu über eine Politik zur Bildung von Vermögen nachzudenken. Vielleicht wäre es sinnvoll, individuelle Förderansätze mit einer neuen Form der Grundsicherung für alle zu verknüpfen. Innovative Konzepte zur Förderung von Eigentum könnten hilfreich sein, gerade auch mit Blick auf jene Gruppen, die die hierfür notwendigen Voraussetzungen noch nicht erfüllen. Gleichzeitig bedarf es besserer ökonomischer Bildung, um diese neuartigen Chancen auch nutzen zu können.

Der Beitrag von Timm Bönke und Astrid Harnack beschäftigt sich mit einer solchen innovativen Idee der Vermögensförderung. Unter dem Schlagwort »Soziale Erbschaft« plädieren Bönke und Harnack für eine völlige Neuausrichtung der deutschen Vermögenspolitik. Jeder junge Mensch, der in Deutschland kindergeldberechtigt ist, solle nach Vollendung des 25. Lebensjahres einestaatliche Erbschaft in Höhe von 10.000 Euro erhalten, um sie für sich und seine Zukunft gewinn- und glücksbringend zu investieren. Auf diese Weise ließe sich die Chancengleichheit für junge Erwachsene verbessern, Zugang zu Vermögen für breite Bevölkerungsschichten erleichtern und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Biografien unabhängig vom familiären Hintergrund zu gestalten.

Vermögensbildung braucht langfristig sichere Rahmenbedingungen. Ein solcher sicherer Rahmen für den Wohlstand und die wirtschaftliche Stabilität, die gerade Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Sozialen Marktwirtschaft erleben durfte, war der Prozess der europäischen Integration. Die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes, die Förderung grenzüberschreitender Wirtschaftsaktivitäten, die Liberalisierung ganzer Branchen, der freie Warenverkehr und zuletzt die gemeinsame Währung: Die Exportnation Deutschland hätte ohne die Europäische Union samt der Eurozone viel zu verlieren. Besonders viele Mittelständler, ob Aufsteiger oder Familienunternehmen mit langer Tradition, haben von der Entwicklung profitiert.

Die vergangenen Jahre haben aber auch deutlich gezeigt, dass dauerhafte ökonomische Ungleichgewichte zu politischen Krisen führen und die wirtschaftliche Dynamik in Europa massiv beeinträchtigen. Gerade deutsche Ohren hören diese Botschaft nur ungern: Wir täten gut daran, einen größeren Beitrag zur Erhaltung der europäischen Rahmenbedingungen zu leisten, denen wir einen Großteil unseres Wohlstandes verdanken. Automatische makroökonomische Stabilisatoren, die Stärken und Schwächen austarieren, sind für die wirtschaftliche und soziale Stabilität in den europäischen Nationalstaaten nicht zu unterschätzen. Wir sollten überlegen, dafür auch länderübergreifende Institutionen zu schaffen.

Ferdinand Fichtner macht hierzu in seinem Beitrag einen konkreten Vorschlag: Von der Einführung einer Europäischen Arbeitslosenversicherung verspricht er sich eine stabilisierende konjunkturelle Wirkung, denn diese Versicherung orientiert sich direkt an der Arbeitslosenquote und somit an einem der verlässlichsten Konjunkturmaße. Der große Vorteil bestünde außerdem darin, dass eine dadurch erreichte temporäre Entlastung von betroffenen Haushalten kriselnder Volkswirtschaften unmittelbar prozyklisch wirken würde.

1Für eine bessere Lesbarkeit verwenden wir meist entweder die weibliche oder die männliche Form personenbezogener Substantive. Wenn nicht anders erwähnt, sind damit beide Geschlechter gemeint.

INVESTITIONEN GEGEN DIE NEUE UNGLEICHHEIT – WIE KÖNNEN VERMÖGENSAUFBAU ERLEICHTERT UND UNGLEICHGEWICHTE VERRINGERT WERDEN?

Thomas Falkner

Das Vermögen und etwas vermögen