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Titelseite

Inhalt

Alles neu und ganz bestimmt nicht gewollt

Ansichten eines Ponys

Es stinkt zum Himmel!

Liebe auf den ersten Blick. Zumindest bei Bulli

Hiiilfe, ich werde verfolgt!

Träume sind Schäume. Oder etwa doch nicht?

Chaos am Koi-Karpfen-Teich!

Willst du gelten, mach dir selten!

Fressen Pferde eigentlich Fische?

Erstens kommt es anders …

Und plötzlich ist alles ganz anders

Verfolgungsjagd durch die Feldmark

Ende gut, Neuanfang noch besser!

 

 

 

 

 

 

Für all unsere Pony- und Pferdemädchen.

Und für den echten Bulli!

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Alles neu und ganz bestimmt nicht gewollt

Manchmal ist das Leben himmlischer als Vanilleeis mit heißer Schokoladensoße und einem großen Klecks Sahne obendrauf.

Zusammen mit meiner besten Freundin Jette verlasse ich die Albert-Einstein-Stadtteilschule in der Gewissheit, dass ich sie die nächsten sechs Wochen nicht wiedersehen werde. Also meine Schule. Natürlich nicht Jette. Das wäre schließlich alles andere als himmlisch. Zumal Jette und ich uns doch gemeinsam zu diesem Ferienmalkurs an der Volkshochschule angemeldet haben. Und darauf freue ich mich wie verrückt.

„Was machst du heute noch so?“, fragt mich meine beste Freundin, als wir bei unseren Rädern angekommen sind. „Wollen wir uns später vielleicht noch treffen?“

Bedauernd schüttle ich den Kopf. „Geht leider nicht. Mama möchte unbedingt mit mir shoppen gehen.“

Nun ist es bestimmt nicht so, dass ich nicht gern shoppen würde – hallo, ich bin ein elfjähriges, äußerst modebewusstes Mädchen! Nur leider liegen zwischen dem Geschmack meiner Mutter und meinem eigenen ganze Kontinente. Mama steht auf Pastelltöne und romantisch-verspielte Rüschen. Ich mag es knallbunt und so richtig cool. Eine gemeinsame Shoppingtour ist daher selten entspannt, eher … na ja, verspannend bis echt stressig.

Aber egal. Ich habe mir vorgenommen, mir durch nichts und niemand meine supergute Ferienlaune verderben zu lassen.

„Ich rufe dich an, sobald wir zurück sind. Wenn es dann nicht zu spät ist, können wir uns ja noch treffen“, schlage ich Jette vor.

„Abgemacht!“ Sie grinst schief. „Und viel Spaß beim Shoppen.“

Ich winke lässig ab. „Wird schon.“

Zum Abschied umarmen Jette und ich uns und hauchen uns gegenseitig Küsschen auf die Wangen. Danach schwinge ich mich auf mein Rad und trete ordentlich in die Pedale.

Zu Hause werde ich von Karlchen begeistert empfangen. Er springt um mich herum und fiept dabei in den höchsten Tönen. Karlchen heißt übrigens mit Zweitname Kotelett. Mein Onkel Hape, der Scherzkeks, hat ihm diesen Namen verpasst. Eigentlich züchtet er ja Koi-Karpfen, aber hin und wieder bekommt seine Jack-Russel-Terrier-Hündin Cleopatra II. auch kleine Hundewelpen.

Das neun Wochen alte Karlchen hat er mir vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt. Und das, obwohl er der Meinung ist, dass Hunde in einer Großstadt wie Hamburg nichts verloren hätten. Aber ich habe hoch und heilig geschworen, dass ich jeden Tag mit ihm ganz lange Spaziergänge machen und, so oft es nur möglich ist, an die Alster gehen würde. Dort kann man nämlich auf der Hundewiese super Stöckchenwerfen spielen, was Karlchen total liebt.

„Ist ja guuut, du kleiner Verrückter. Ich bin ja wieder zu Hause …“, versuche ich ihn zu beruhigen – was quasi ein völlig aussichtloses Unterfangen ist. Karlchen gehört nämlich zu der extrem hyperaktiven Linie seiner eh schon recht temperamentvollen Rasse.

„Lina? Bist du etwa schon zu Hause?!“ Mama kommt mit ausgestreckten Armen auf mich zu. „Ich wollte dich doch abholen.“

Tja, das will Mama oft. Nur dummerweise kommt ihr auch oft etwas dazwischen. Meistens ist die Zeit daran schuld, die ihr irgendwie immer davonrennt.

„Ist nicht schlimm“, erkläre ich großzügig und winde mich aus ihrem Klammergriff.

„Und?“ Mama zieht die Augenbrauen bis unter ihren akkurat geschnittenen Pony hoch. „Wie ist es diesmal ausgefallen?“

„Ganz okay“, sage ich gedehnt.

Sie verzieht den Mund. „Herrje, Lina, nun mach es doch nicht so spannend. Zeig es mir endlich!“

Ich muss lachen, weil Mama mal wieder ungeduldiger als jedes Kleinkind an Weihnachten ist, während ich mein Zeugnis aus der Schultasche hervorkrame und es ihr reiche.

„Wow!“, macht Mama und strahlt mich stolz an. „Das nenn ich mal ein tolles Zeugnis, Lina.“

Ich zucke verlegen mit den Achseln – wobei, na ja, sie hat schon recht. Mein Zeugnis ist ziemlich gut ausgefallen. Bis auf die total ungerechten Dreien in Physik und Mathe habe ich nur Einsen und Zweien bekommen. Am meisten freue ich mich allerdings über die Bemerkung meiner Kunstlehrerin Frau Regnier – und Mama auch: „Lina ist künstlerisch begabt. Ihre zeichnerischen Arbeiten sind besonders ausdrucksstark“, liest sie stolz vor.

Ja, das Malen ist meine größte Leidenschaft und deshalb möchte ich später auch mal eine berühmte Malerin werden.

Richtig klasse wäre es natürlich, wenn ich so erfolgreich bin, dass ich das Malen zu meinem Beruf machen kann. Aber meine Kunstlehrerin meint ja, dass ich auf einem guten Weg sei. Von ihr habe ich auch den Tipp für den Ferienmalkurs an der VHS bekommen. Der Dozent ist ein ziemlich berühmter Hamburger Künstler, der schon viele Talente entdeckt und gefördert hat. Seitdem ich die Zusage erhalten habe, kann ich kaum noch schlafen. Meine Güte, ich weiß echt nicht, wann ich jemals so aufgeregt gewesen bin.

„Ich denke, Lina“, sagt Mama und sieht mich dabei irgendwie geheimnisvoll an, „der Ortswechsel kann deinen künstlerischen Horizont enorm erweitern.“

Hä? Ortswechsel? Wo wechsle ich denn hin?

„Was-was meinst du damit?“

Statt mir zu antworten, hakt sie mich unter und dirigiert mich rüber ins Wohnzimmer. Dort drückt sie mich mit sanfter Gewalt aufs Sofa und lässt sich dann direkt neben mich sinken.

„Was ist denn los, Mama? Du bist auf einmal so komisch.“

Sie holt tief Luft und spätestens jetzt beginne ich mir ernsthaft Sorgen zu machen. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.

„Mama?“

Noch einmal atmet sie tief durch, bevor sie die Bombe platzen lässt. „Also, es ist so: Onkel Hape will ja eine längere Reise machen und übermorgen soll es schon losgehen.“

Ich nicke. „Ja, das weiß ich.“

Jetzt verzieht sie das Gesicht, als hätte sie schlimme Zahnschmerzen. „Tja, nun droht das Ganze aber im letzten Moment zu platzen. Das ältere Ehepaar, das sich während Hapes Abwesenheit um seinen Hof und vor allem um die Koi-Karpfen kümmern wollte, musste ihm leider absagen.“

„Warum das denn?“, will ich erfahren.

Mama seufzt tief. „Der Mann hat sich das Bein gebrochen.“

„Oh, das tut mir leid.“ Ich kenne den Mann zwar nicht, aber trotzdem habe ich Mitleid mit ihm. So ein Beinbruch ist ja nicht gerade schön.

„Onkel Hape hat gefragt, ob ich … ähm … wir vielleicht einspringen könnten.“

Ich verstehe nur Bahnhof. „Wir sollen jetzt die Reise machen? Aber hat er nicht geplant, mindestens drei Monate wegzubleiben? So lange dauern meine Ferien doch gar nicht.“

Lachend winkt Mama ab. „Um Himmels willen, natürlich werden wir beide nicht Onkel Hapes Reise machen. Aber wir hüten sechs Wochen lang seinen Hof und passen auf seine geliebten Fische auf.“

Ich falle fast vom Sofa.

„Quatsch“, krächze ich. „Du machst doch Quatsch.“

Langsam schüttelt Mama den Kopf. „Nein, Lina, das ist mein voller Ernst. Ich habe auch schon alles mit der Firma geregelt. Ich mache zwei Wochen frei und danach arbeite ich von Onkel Hapes Hof aus.“

Ich bin sprachlos. Unmöglich kann ich die nächsten sechs Wochen auf dem Hof meines Onkels verbringen. So gern ich ihn mag, aber leider wohnt er in der schlimmsten Einöde, die man sich vorstellen kann. Umgeben von stinkenden Misthaufen und unvorstellbar vielen Mücken und Fliegen. Länger als ein Wochenende hält man das im Sommer dort nicht aus.

Ich springe vom Sofa auf und beginne vor meiner Mutter auf und ab zu laufen.

„Nee, Mama, das geht nicht. Weil – ich will da nicht hin. Was soll ich dort denn die ganze Zeit über machen? Da gibt es doch nichts außer Kühen, Onkel Hapes Fischen und stinkendem Mist.“

Und dann fällt mir noch etwas anderes ein – etwas, das Mamas Ankündigung, sechs Wochen auf Onkel Hapes Hof zu wohnen, völlig unmöglich macht.

„Außerdem kann ich eh nicht aus Hamburg weg. Ich nehme doch an dem Malkurs teil. Du musst sofort Onkel Hape anrufen und ihm leider, leider absagen.“

Doch Mama bleibt regungslos auf dem Sofa sitzen, statt sich ihr Handy zu schnappen und Onkel Hape anzurufen.

„Mama?“

„Lina, es geht nicht. Ich kann ihn unmöglich hängen lassen. Nicht nach all dem, was er für uns getan hat und noch immer tut.“

„Aber-aber, nein, Mama, du musst ihm absagen!“ Meine Stimme klingt so schrill, dass Karlchen sich vor Schreck unter dem Esstisch verkriecht.

Doch Mama ignoriert meinen Einwand einfach und redet fröhlich weiter. „Schau mal, Lina, nebenan ist doch dieser schöne Ponyhof. Dort lernst du bestimmt Mädchen in deinem Alter kennen“, behauptet sie.

Wütend boxe ich ins Sofakissen, weil ich mir einfach nicht anders zu helfen weiß.

„Ich will auf keinen Ponyhof! Ich habe Angst vor Ponys, wie du weißt. Und ich hasse Onkel Hapes Hof! Da stinkt es und überall schwirren Fliegen herum. ICH WILL DA NICHT HIN!“

Mama wird bleich wie Magerquark. „Aber Lina, warum sagst du denn so etwas?“

Ich renne zur Tür. Im Rahmen bleibe ich stehen und drehe mich zu Mama um. „Weil es die Wahrheit ist“, schluchze ich.

Dann stolpere ich den langen schmalen Flur entlang in mein Zimmer. Dort sinke ich auf mein Bett, starre die weiß getünchte Decke an und bin wild entschlossen, meine Sommerferien nicht auf Onkel Hapes Hof zu verbringen. Ich bleibe in Hamburg. Komme, was wolle. Ganz bestimmt ist das so!

Ansichten eines Ponys

„Weißt du, Bulli, du musst es mal so sehen: Gute Laune sorgt für gute Laune. Ich meine – ich bin gut gelaunt und dann merken das die anderen. Und dann sind die auch gut gelaunt und machen so gut gelaunte Sachen und so. Und dann merke ich das und bin gleich noch besser gelaunt, und dann wiederum überträgt sich das noch mehr auf die anderen …“

Wallys Stimme wird in meinen Ohren immer mehr zu einem Rauschen, denn ich habe längst aufgegeben, ihm zuzuhören. Der große Schimmel in der Box neben mir redet einfach dummes Zeug, und zwar ununterbrochen. Das ist wirklich grausam, besonders, wenn man so schlau ist wie ich. Ein tiefer Seufzer entweicht meiner breiten Ponybrust. Wally blickt auf.

„Alles in Ordnung bei dir, Bulli?“ Er mustert mich aus seinen großen braunen Augen, fast sieht er ein bisschen nachdenklich aus. Für seine Verhältnisse jedenfalls.

Ich nicke stumm, wild entschlossen, mir heute kein Gespräch von ihm aufzwingen zu lassen. Wally heißt eigentlich Wallenstein, war vor Jahren angeblich mal ein hocherfolgreiches Springpferd, gehörte einem noch erfolgreicheren Fußballprofi und bezieht nun sein Gnadenbrot auf dem Reiterhof der Familie Schulze-Naumann. Schon seit Tagen quält er mich mit belanglosem Kram wie den Geschichten aus der Schulreitstunde des Ponyhofes oder Klatsch und Tratsch aus der gegenüberliegenden Boxengasse, wo ihn die Kinder manchmal zum Putzen anbinden. Offenbar glaubt er, dass ich mich hier in meiner Außenbox langweile, so ganz ohne menschlichen Besuch.