image

Meinen Eltern in liebendem Andenken und tiefer Dankbarkeit gewidmet.

Für meinen erstgeborenen Enkel Albert Shayan, Schweizer, Inder, Amerikaner.
Möge meine Erzählung dazu beitragen, dass er sich stets auch seinen Urner Wurzeln verbunden fühlt.

Wer nicht weiss, wo er herkommt, kann nicht wissen, wo er hingeht, und wer vom Vergangenen nicht loskommt, steht der Zukunft apathisch gegenüber.

PETER VON MATT

DAS KALB VOR DER GOTTHARDPOST

image

© 2017 Peter Arnold, CH-1196 Gland

Umschlag, Satz, Illustration: Nirine Arnold, CH-1203 Genève

Verlag und Druck: Tredition GmbH, Halenreihe 42, D-22359 Hamburg

ISBN

Paperback978-3-7439-7262-9

e-Book978-3-7439-7263-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

1. Erinnern an davor

2. Bis dass der Tod sie scheidet

3. Die Grosseltern und ihre Welt

4. Ein ungleiches Paar

5. Von der Bauern- zur Bauarbeiterfamilie

6. Zusammen im Gadenhaus

7. Aufbruch zu neuen Realitäten

8. Hellere und dunklere Jahre

9. Die Familie muss sich neu erfinden

10. «Wenn ich dann nicht mehr bin»

11. Als Pendler unterwegs

Anhang

Dank

Ahnentafeln

Die Nachkommen der Familie

Ortsbezeichnungen

Wissenswertes und Kurioses aus der Ahnengeschichte

Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur

Glossar der Urner Mundartausdrücke

1 ERINNERN AN DAVOR

Solange deine Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie grösser werden, schenk ihnen Flügel.

INDISCHES SPRICHWORT

Mir ergeht es jetzt wie unzähligen anderen älteren Menschen: Erinnerungen an früher bedeuten mir wieder viel und verleiten mich zum Sinnieren.

Kaum etwas verbindet sich dann in meiner Gefühlswelt so stark und bildhaft mit meiner Kindheit wie das alte Gadenhaus unter dem Gasthaus Brückli in Schattdorf. Dort im Kanton Uri bin ich 1945 auf die Welt gekommen. Dort habe ich die ersten zwölf Jahre meines Lebens verbracht. Bis es mich 1958 ins Sankt-Galler Rheintal verschlug, wo sich mir, dem angehenden Internatsmittelschüler, eine neue Welt auftat. Seither bin ich viel herumgekommen, habe mich mal da, mal dort niedergelassen, jedoch nie mehr im Kanton Uri. Aber die Wiege meiner Herkunft und meine familiären Wurzeln haben immer als emotionale Heimat in mir weitergelebt. Ich war schon lange verheiratet, als ich endlich aufhörte zu sagen, „ich gehe nach Hause“, wenn ich nach Schattdorf fuhr.

Als ich auf die Welt kam, waren bereits vier ältere Geschwister da, nach mir gesellten sich noch sechs jüngere hinzu. Sich einmal einer grossen Kinderschar zu erfreuen wünschte man damals in der katholischen Innerschweiz allen Jungvermählten. Kinder waren ein Geschenk Gottes. Sprach man von Kindersegen, war das wörtlich gemeint. Gerade elf zu bekommen war dann aber doch selten.

Wir sind alle daheim im Gadenhaus geboren worden.

Als Gadähüüs[1] bezeichnet der Urner Dialekt ein Gebäude, bei dem Stall und Wohnhaus unter einem Dach vereint sind. Mein Geburtshaus stand demnach auf einem Bauernhof. Er war klein und umfasste gerade einmal drei Hektaren Wiesland. Vater hatte ihn geerbt. Ich habe meinen Däädi aber zeitlebens nicht als Bauer, sondern als einfachen Bauarbeiter gekannt. Soweit ich mich zurückbesinnen kann, hatte er seinen Hof seinem jüngsten Bruder verpachtet. Onkel Xaver war ledig geblieben. Er zählte deshalb auf unsere Mitarbeit. Wir mussten ihm vor allem beim Heuen und Emden kräftig zur Hand gehen, denn er werkte noch fast ohne Maschinen. Mir machte das nichts aus, ganz im Gegenteil. Hätte ich nicht tief in mir andere Träume gehabt, wäre ich wohl am liebsten Bauer geworden. Doch auch mein Onkel richtete schliesslich sein Leben neu aus. Zu unserer Überraschung beschloss er 1965, bereits fünfzigjährig, ins Benediktinerkloster Einsiedeln einzutreten. Dort ist er 2005 als Bruder Josef gestorben.

Da war das alte Gadenhaus schon längst verschwunden. Wann habe ich es eigentlich zum letzten Mal gesehen? Ich vermag mich beim besten Willen nicht mehr daran zu erinnern. Es wurde wahrscheinlich in den späten Siebzigerjahren abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt befand es sich schon nicht mehr im Familienbesitz. In meinem Gedächtnis steht es jedoch immer noch. Ich sehe es vor mir, so deutlich, als wäre nicht über ein halbes Jahrhundert vergangen, seit ich es zum letzten Mal betreten hatte. Das Gadenhaus muss also auf mich eine tiefe Wirkung ausgeübt haben. Verständlicherweise, habe ich doch in ihm meine ersten Wurzeln geschlagen!

Haus und Stall standen ein paar Dutzend Schritte unterhalb des Gasthauses, zu dem unser Hof einst gehörte hatte. Deshalb wurde er Brücklihofstatt genannt. Das Gebäude stammte wohl aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts und war ostwestlich ausgerichtet. Die Frontseite des Wohnteils lugte in die Morgensonne, mit Blick auf das gegenüberliegende Wirtshaus. Dazwischen befand sich ein grasbewachsener Platz, auf dem ein kleiner Brunnen plätscherte und Gäste ihre Fahrzeuge parkten. Das Haus war ein Fachwerkbau auf festem Mauerwerk. Dieses umschloss das Erdgeschoss, ein einziger Raum, der als Werkstatt, Waschküche und Lagerraum diente. Die Ost- und Nord-fassaden mit geraniengeschmückten Fenstern waren mit unten abgerundeten, sonnenverbrannten Schindeln verkleidet. Der Wohnraum war knapp bemessen. Über eine offene, südseitlich gelegene Holztreppe gelangte man in einen geschlossenen Vorraum, von dem aus man den ersten Stock betrat. Zuerst fand man sich in der kleinen Küche wieder, wo der Esstisch stand, den Vater geschreinert hatte. Durch sie hindurch trat man in die Wohnstube ein und von dort linker Hand in das Elternschlafzimmer. Hinten von der Küche aus gelangte man über eine enge, steile und fensterlose Treppe in den zweiten Stock, wo sich eine Buben- und eine Mädchenschlafkammer befanden, die nur für je zwei Betten Platz boten. Unter der Treppe und an ihrem oberen Ende waren zwei Gelasse zur Aufbewahrung von Vorräten angebracht, oben gegenüber den Schlafkammern lag ein „Gerümpel-Kabuff“, in dem auch Mäuse hausten. Von ihm aus blickte man direkt auf die Tenne und den Heustock.

image

Frontseite des Gadenhauses. Der vor dem Haus parkende Volkswagen gehört einem Wirtshausgast.

Immerhin gab es in jedem Zimmer elektrisches Licht und in der Küche einen Schüttstein mit fliessendem Wasser. Das war aber der einzige Komfort, den das Haus bot. Eine Zentralheizung war nicht vorhanden. Nur Küche und Stube konnten beheizt werden. In der Küche sorgte der eiserne Kochherd das ganze Jahr über für Wärme. In der Stube stand ein schlanker Kanonenofen. Als Energiespender diente Holz. Im Winter bildeten sich Eisblumen auf den Fensterscheiben der Schlafzimmer. Es brauchte am Morgen Überwindung um aufzustehen. Der Aptritt war ausserhalb der Wohnräume oben im Treppenhaus eingebaut: ein ungeheiztes Plumpsklo. Ein Bad gab es nicht.

Unsere Wohnverhältnisse waren in jener Zeit normal. Ein Grossteil der Urner Bevölkerung lebte so. WC mit Wasserspülung, Dusche und Badewanne waren noch Luxuseinrichtungen. Die Mehrheit der Familien beanspruchte auch viel weniger Wohnraum als heute üblich, obwohl sie kinderreicher waren. Natürlich ging es in unserem Haushalt lebhaft zu und her. Gelegenheit, einander auszuweichen oder gar zu ignorieren gab es kaum.

Mit der Zeit nahmen ältere Familienmitglieder jedoch Anstoss an den vorherrschenden Zuständen. Sie fanden das Haus nicht mehr zeitgerecht, zu klein, zu mühsam im Unterhalt und mit zu wenigen Annehmlichkeiten ausgestattet. Deshalb entschlossen sich die Eltern Anfang der Sechzigerjahre, auf unserem Land ein neues Haus zu bauen, knapp hundert Meter vom alten entfernt. Um die Wohnkosten danach in einem für uns erträglichen Rahmen zu halten, wurde ein Zweifamilienhaus gebaut. Grundmauern und Diele waren betoniert, die anderen Wände im Riegelbau aus Holz gefertigt. Die Fassaden waren mit Eternitplatten verkleidet. Im Erdgeschoss befanden sich eine Garage, eine Werkstatt, ein Raum für die Zentralheizung, eine Waschküche und ein Keller. Der erste und zweite Stock, die man über ein knapp bemessenes Treppenhaus mit knarrenden, hölzernen Trittstufen erreichte, enthielten je eine Vierzimmerwohnung mit Küche und Bad und zwei Balkonen. Die untere Wohnung wurde vermietet. Die obere war für unsere Familie reserviert. Im Dachstock verfügten wir überdies über weitere vier Zimmer und ein WC.

Der Umzug ins neue Haus erfolgte Ende 1962. Er brachte unserer Familie grundlegende Veränderungen. Statt drei gab es nun sieben Schlafzimmer, plus ein Kämmerchen unter dem Schrägdach, das ich für mich herrichtete. Jedes Kind hatte sein eigenes Bett und sobald einige Geschwister ausgezogen waren, sogar auch ein Zimmer für sich. Zudem verfügte das Haus über Ölheizung, Warmwasser, Waschmaschine, Badezimmer, WC mit Wasserspülung, Elektroherd und Kühlschrank, Einrichtungen, die vor allem der Mutter das Leben erleichterten. Dank Zentralheizung und Elektroherd musste niemand mehr Holz spalten und morgens anfeuern oder winters fröstelnd unter die kalte Bettdecke schlüpfen. Ein Telefon vereinfachte den Kontakt mit der Aussenwelt.

Der Bau des neuen Wohnsitzes war eine mutige Tat, denn finanziell war er ein Wagnis. Er brachte aber die Trennung von Haushalt und Landwirtschaftsbetrieb endgültig zum Ausdruck. Auch passte das neue Haus in den wirtschaftlichen Aufschwung und soziokulturellen Wandel, der zu jener Zeit begonnen hatte, wie ein nie dagewesener Föhnsturm das noch immer bäuerlich geprägte Uri bis in seine Grundfesten zu erschüttern und eine radikale Zeitenwende einzuläuten. Unsere Eltern hatten sich offen gezeigt für diese Veränderungen; ja sie hatten sie in weiser Voraussicht sogar vorweggenommen. Das erleichterte es uns Jungen sehr, auf den Schwingen dieser Konjunktur einen Weg ins Leben einzuschlagen, der so ganz anders ausfiel als die überkommene Daseinsweise der Vorfahren, die ausnahmslos Bauern gewesen waren.

Der Verkauf des Hofes im Jahr 1970 machte den Bruch mit der alten Zeit endgültig. Am sinnfälligsten kommt er darin zum Ausdruck, dass seither weder wir noch unsere Kinder und Kindeskinder je wieder ein Auskommen in einem landwirtschaftlichen Beruf gesucht haben. Zudem ist einzig noch die älteste Schwester in Uri sesshaft geblieben. Alle anderen haben sich sonst irgendwo in der Schweiz niedergelassen. Ich selber habe einen Grossteil meines Lebens auf verschiedenen Kontinenten und unter Menschen fremder Kulturen und Sprachen verbracht.

Der Neubau versinnbildlicht für mich, wie kaum sonst etwas, eine markante Zäsur im Leben der Familie. Was deren innere Enwicklung und Dynamik anbelangt, kann ich deutliche Unterschiede zwischen der Zeit davor und danach ausmachen. Allerdings: Heute ist auch das Zweifamilienhaus für uns Geschichte. Weil Mutter darin ein lebenslanges Wohnrecht besass, hatten wir Geschwister 1971 nach Vaters frühem Tod beschlossen, es in Erbengemeinschaft zu verwalten. Nachdem auch sie 2008 gestorben war, sahen wir keinen Grund mehr, diese weiterzuführen. Deshalb schrieben wir das Haus zum Verkauf aus und lösten die Erbengemeinschaft auf.

Ich finde die Geschichte dieser beiden Häuser auch typisch für den Wandel, den die Gesellschaft, in der wir leben, über all die Jahre hinweg erfahren hat. Heutzutage ist in Uri kaum noch etwas so geblieben, wie ich es als Kind gekannt habe. Die Bildungsmöglichkeiten, die Arbeitswelt, der Einfluss der katholischen Kirche, die Mobilität der Leute, die Gestaltung der Freizeit, die Kommunikationsweisen, die Mentalität und gesellschaftlichen Normen, alles hat sich verändert. Vieles ist in Fluss geraten, nur noch wenig scheint dauerhaft Bestand zu haben. Selbst was vorher ganze Epochen überstanden hatte, ist daran, unwiederbringlich zu verschwinden. Mal für Mal, wenn ich nach Uri, in das Land meiner jungen Jahre komme, spüre ich, wie anders es inzwischen geworden ist. Ich habe Mühe, im nun städtisch anmutenden Schattdorf mit seinen Wohnblöcken, Villenvierteln und Industriezonen das Bauerndorf zu erkennen, in dem ich aufgewachsen bin.

Auch von unserem kleinen Hof ist nichts mehr übrig geblieben. Dort steht jetzt die neue Wohnsiedlung Gandrütti. Wenn ich es nicht selber erlebte hätte, könnte ich mir nicht vorstellen, dass hier einmal Onkel Xavers Kühe weideten und jeden Frühling dutzende Apfel-, Birnen- und Kirschbäume blühten.

Das Gasthaus Brückli steht immer noch, doch weil es 1976 von Grund auf erneuert wurde, ist vom alten nicht viel erhalten geblieben. Seinen Namen hat es beibehalten, das schmale Brückchen hingegen, neben dem es stand und nach dem es benannt wurde, gibt es längst nicht mehr. Es war kaum zwei Meter breit und bestand eigentlich nur aus ein paar Holzplanken, die über einen Durchlass gelegt waren, durch den der Gangbach hindurchfloss. Darüber führte die Gotthardstrasse, anderthalb Meter über der Bachsohle, wofür sie unmerklich ein Buckelchen machte. War der Gotthardpass offen, herrschte reger Verkehr. Zuweilen war er so dicht, dass er auf der engen Strasse nur zähflüssig vorankam. War der Pass hingegen geschlossen, wurde aus dem sommerlichen Fahrzeugstrom ein spärliches Rinnsal. Man konnte im Winter sogar eine Fahrbahn fürs Schlitteln benützen.

image

Wohl das letzte Hochwasser, welches das Gangbachbrückchen erlebt hat. Es droht schon fast, den Durchlass zu verstopfen. Im Hintergrund das Gadenhaus und dahinter der 1972 erstellte Wohnblock (Foto Edgar Zgraggen Schattdorf 1973)

Der Gangbach entspringt in den Süessbergen ob Haldi. Die meiste Zeit habe ich ihn als friedliches Wässerchen erlebt. Doch nach langen Regenfällen oder heftigen Gewittern schwoll er gefährlich an und wurde zum reissenden Wildbach. Sowas kam im Sommer öfters vor, weshalb er auf beiden Seiten von stattlichen Wehren eingefasst war, auf denen wir spielten. Bei grossen Unwettern musste das Brückchen jeweils entfernt werden, damit das Geschiebe im Bach nicht den Durchlass verstopfte. Bis die Gefahr gebannt war, wurde der Verkehr umgeleitet. Das war für uns Kinder immer eine besondere Zeit, denn für ein paar Tage drang kein Motorenlärm mehr von der weltenverbindenden Gotthardstrasse zu unserem Haus. Verkehrsverbänden und Behörden erschien das Brückchen allerdings allmählich als ein unzeitgemässes Hindernis. Deshalb beschloss man anfangs der Siebzigerjahre, den Unterlauf des Baches zu verlegen. Seit 1974 führt er weiter oben am alten Landsgemeindeplatz vorbei. Damit hatte das Brückchen ausgedient. Der Gangbach-Buckel wurde abgetragen, die Strasse verbreitert und rund zwei Meter abgesenkt.

image

Umbau des Gasthauses Brückli 1976. Der Gangbach-Buckel ist bereits verschwunden. Im Vordergrund ein Schützenverein auf dem Weg zum Landsgemeindeschiessen. Links das Gadenhaus (Fotosammlung Walter Schuler Bürglen)

In der Zwischenzeit hört man den Gotthardverkehr nur noch in der Ferne rauschen. Er hat noch einmal gewaltig zugenommen. Über sechs Millionen Fahrzeuge wälzen sich nun das ganze Jahr hindurch, sommers wie winters, der Reuss entlang über die Autobahn nach Süden und Norden. Die einstmalige Gotthardstrasse dient nur noch dem Ortsverkehr. Aber auch der ist ganz schön angewachsen.

Doch nicht bloss die äusseren Spuren dieses Fleckchens Erde, wo sich einst unser Familienleben abspielte, sind am Verschwinden. Auch mein Erinnerungsvermögen ist daran zu verblassen. Ich merke, dass ich langsam alt werde. Vielleicht tauchen deshalb gerade jetzt bei mir unzählige Fragen auf, wie meine Geschwister und ich die familiären Veränderungen im Lauf der Zeit erlebt und mitgestaltet haben. Ich spüre ein starkes Bedürfnis, mir über meine Herkunft noch einmal Orientierung zu verschaffen. Dabei wird mir auch bewusst, wie wenig ich eigentlich über meine Vorfahren weiss. Immerhin ist mir bekannt, aus welchem Winkel der Erde sie stammen, und ich kann mir ihr Leben ein wenig vorstellen, weil die Welt meiner Kindheit noch viele Ähnlichkeiten mit der ihren aufwies. Doch wie sieht es diesbezüglich bei der folgenden Generation, unseren Kindern, aus? Die meisten von ihnen sind nicht mehr in Uri aufgewachsen. Sie kennen die Verhältnisse nicht, in denen wir Geschwister gross geworden sind und haben Mühe, sie sich vorzustellen. So können sich mein Sohn und meine Tochter kaum mehr ausdenken, wie es war, mit derart vielen Geschwistern aufzuwachsen. Ihre Welt ist auch viel schnelllebiger als die, welche ich als Kind gekannt habe. Dass es für mich einmal selbstverständlich war, mich an Althergebrachtem und Traditionen zu orientieren, ist für sie nur schwer zu begreifen.

Deshalb will ich den Versuch wagen, verbliebenen Erinnerungen Leben einzuhauchen, und dafür noch einmal im Geist den Weg zurück in vergangene Zeiten unter die Füsse nehmen. Schreiben wider das Vergessen, um Erlebtes und Erfahrenes besser einordnen zu können. Die familiären, emotionalen und weltanschaulichen Wurzeln neubeleben, an denen sich meine Eltern ausgerichtet haben, weil sie uns zu guten Menschen erziehen wollten. Die Flügel ausfindig machen, die sie uns auf unseren Lebensweg mitgegeben haben. Mich fragen, wie diese Wurzeln sich heute anfühlen und wohin uns die Flügel schliesslich getragen haben.

Die Familiengeschichte, die ich schreibe, ist keine Fiktion, auch wenn ich manchmal mit etwas Fantasie nachhelfe. Doch ich werde immer bemüht sein, mich so getreu als möglich an die Fakten zu halten. Meine Schilderungen haben allerdings einen klar subjektiven Anstrich. Ich bin von Anfang an die erzählende Person und will so deutlich machen, dass die Geschichte in meinem Lebensweg verankert, sozusagen eine Reise ins Eigene ist. Ich bin derjenige, der die Figuren orchestriert und den Stoff – und damit auch den Leser und die Leserin – an die Hand nimmt.

Dabei geht es um eine ganz normale, durchschnittliche Familie, wie es sie ehemals in der ländlichen Innerschweiz wohl zu Hunderten gegeben hat. Ihr Geschick ist dennoch einmalig, unwiederholbar. Mich fasziniert der Gedanke, dass dies eine Geschichte ist, wie sie in keinem Geschichtsbuch steht, weil nur das Leben sie geschrieben hat, und dass sich in dieser kleinen die grosse Geschichte widerspiegelt.

Was mich betrifft, ist es ein zärtlicher Blick zurück, nachdenklich auch, aber nicht nostalgisch.

2 BIS DASS DER TOD SIE SCHEIDET

Tolstoi, der russische Autor von „Krieg und Frieden“, hat einmal in sein Tagebuch geschrieben, Romane sollten nicht damit enden, dass Held und Heldin heiraten, mit diesem Ende müsse man anfangen. Auch meine Geschichte fängt mit einer Hochzeit an. Sie ist die Geburtsstunde meiner Herkunftsfamilie.

Der 13. Mai 1937 wird in der Tat ein besonderer Tag im Leben meiner Eltern Dominik Arnold und Marie Imhof bleiben. Ein Meilenstein für sie und für uns. Eigentlich ist es ein gewöhnlicher Werktag mitten in der Woche, Donnerstag vor Pfingsten. Doch Dominik und Marie haben ihn ausgewählt, um etwas zu tun, was sie nur einmal tun werden. Früh am Morgen knien sie in der barocken, 1733 eingeweihten, von weit her sichtbaren Pfarrkirche Maria Himmelfahrt von Schattdorf oben am Hang vor dem Hochaltar nieder, um sich vor Gott und der Kirche das Jawort zu geben. Im Mittelpunkt des Altars, ein Meisterwerk des Walliser Holzschnitzmeisters Jodok Ritz, thront das aus dem alten Kirchlein stammende spätgotische Gnadenbild „Maria Krönung“. Weil es als wundertätig galt, hatte das Gotteshaus einmal zahlreiche Pilger angezogen, die ihre Hoffnungen und Sorgen der Gottesmutter anvertrauen wollten. Das tun jetzt auch Marie und Dominik.

In Wirklichkeit ist es eine Doppelhochzeit, etwas, das damals häufig vorkam, denn neben Dominik und Marie knien noch Sepp, der älteste Bruder von Marie, und seine Hochzeiterin Magdalena. Möglicherweise ist sonst niemand zugegen, ausser vielleicht ein paar Dorfbewohner, die der Frühmesse beiwohnen wollen. Doch so genau weiss das niemand mehr. Jedenfalls dienen die beiden Brautpaare einander auch als Trauzeugen. Nach der Segnung der Ehe durch Pfarrer Friedrich Ettlin tauschen die Jungvermählten die Eheringe aus, die sie fortan zeitlebens tragen werden; Mutter nach dem Tod ihres Gatten sogar beide, wie es der Brauch will. Zur Erinnerung an die Trauung überreicht der Pfarrer danach den Eheleuten den traditionellen „Hochzeitshelgen“. Auf dieser von ihm unterzeichneten Urkunde erkennt man die Dorfkirche und dahinter die schneebedeckten Schattdorfer Berge. Das Bild ist umrahmt von einem kitschig anmutenden Jugendstil-Christus mit weit geöffneten Armen, einem Engel mit dem heiligen Kind auf dem Schoss und der Vermählung von Maria und Josef. Darunter steht in feierlichen, blumenumrankten Lettern: „Andenken an das hl. Sakrament der Ehe“. Die Eltern werden den Helgen zusammen mit anderen Familiendokumenten sorgfältig aufbewahren.

Was das Alter anbelangt, sind Marie und Dominik ein ungleiches Paar. Dominik steht im besten Heiratsalter. Er ist achtundzwanzig, Marie hingegen erst achtzehneinhalb, also noch nicht volljährig. Beide stammen aus dem Schächental, die amtlichen Papiere weisen sie als Bürger von Spiringen aus. Sie haben auch den gleichen Wohnort. Allerdings ist Dominik erst vor ein paar Jahren nach Schattdorf gezogen, um den kleinen Bauernhof Brücklihofstatt zu bewirtschaften, den sein Vater erworben hatte. Maries Eltern besitzen im Rynächt das Gut Weg- und Bärenried, auch Kleinried genannt, eine knappe halbe Stunde Fussweg vom Brückli entfernt an der Grenze zu Erstfeld. Der Hof ist Teil eines Stufenbetriebs, zu dem noch der Oberwiler gehört, hoch oben auf der linken Talseite der Reuss, auf halber Distanz zwischen Erstfeldertal und Bockitobel[2]. Auf diesen zwei Heimwesen hat Marie ihre jungen Jahre verbracht.

image

Der Hochzeitshelgen

Kennengelernt hatten sich die beiden mutmasslich rund zwei Jahre vor der Hochzeit, dank Regina. Diese war ihrem Bruder Dominik aus dem Schächental gefolgt, um ihm den Haushalt zu führen. Sie war kurz mit Sepp, dem Doppelhochzeiter, befreundet gewesen. Lang genug jedenfalls, dass Dominik auf Sepps junge, hübsche Schwester Marie aufmerksam wurde. Offenbar fand auch Marie Gefallen an ihm. Tatsächlich reifte bei beiden nach und nach der Entschluss, den Weg gemeinsam durchs Leben zu gehen und eine Familie zu gründen.

Anfang 1937 hatten sie das Nötige in die Wege geleitet. Sie hatten ihr Ansinnen auf dem Zivilstandsamt Schattdorf angemeldet, worauf dieses ein Heiratsaufgebot ausfertigte, das dann mehrere Wochen im Anschlagkasten der Heimat- und Wohngemeinden aushing. Schliesslich wurde das Eheversprechen noch im Amtsblatt des Kantons Uri publiziert. Natürlich waren die zwei Heiratswilligen auch beim Pfarrer gewesen, um sich unterweisen zu lassen. Wie üblich verkündete er danach an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen von der Kanzel herab die kommende Hochzeit, mit der Aufforderung, ihm allfällige kirchliche Ehehindernisse zu melden. Offenbar hatte niemand auf die Blutsverwandtschaft der zwei Heiratswilligen hingewiesen, die, obwohl recht entfernt, nach dem gültigen Kirchenrecht ein Dispensgesuch erforderlich gemacht hätte. In der Tat erscheint in ihrem Stammbaum ein gemeinsames Ahnenpaar. Schlussendlich waren die beiden am vergangenen Montag, 10. Mai 1937, auf dem Standesamt Schattdorf zur Ziviltrauung erschienen, zusammen mit Sepp und Lena.

Nach geltendem öffentlichem Recht waren meine Eltern also am Morgen des 13. Mai 1937 bereits Mann und Frau. Aber das war für sie unerheblich. Beide waren gläubige Katholiken. Bindend für sie war nur das Jawort in der Kirche. Nie wäre ihnen in den Sinn gekommen, auf den göttlichen Segen zu verzichten, zumal das im Dorf und bei Eltern, Geschwistern und Verwandten schlecht angekommen wäre. Er machte die Ehe zu etwas Unantastbarem und Heiligem. Das Versprechen der Brautleute vor dem Altar, in guten wie in schlechten Tagen zusammenzuhalten, bis dass der Tod sie dereinst scheiden wird, war deshalb eine ernstzunehmende Angelegenheit. Die katholische Kirche lehrt ja, dass, was Gott vereint hat, der Mensch nicht trennen darf. Für alle Beteiligten war unvorstellbar, dass dieser Bund je einmal anders als durch den Tod aufgelöst werden könnte. Was heutzutage bloss Absichtserklärung ist, besass damals unwiderruflichen Charakter. Kein Brautpaar dachte seinerzeit daran, sich jemals scheiden zu lassen, und kaum eines von ihnen wird diesen Schritt trotzdem einmal tun.

Der Mai war schon in jenen Tagen ein bevorzugter Heiratsmonat. 1937 verdiente er seinen Ruf als Wonnemonat ganz besonders, denn das Wetter war aussergewöhnlich schön, sodass die Heuernte so rasch wie selten eingebracht werden konnte. Nur am Tag der Trauung zeigte er sich von seiner garstigsten Seite. So erzählte es mir Maries jüngster Bruder, der damals neun Jahre alt war, von dem ich mir das Ereignis schildern liess. Es soll den ganzen Tag in Strömen geschüttet haben. Wenn, wie der Volksmund prophezeit, Hochzeit im Regen Segen bedeutet, wurde somit der Ehebund von Marie und Dominik überreichlich mit verheissungsvollen Vorzeichen eingedeckt.

Der guten Laune der Brautleute tat das schlechte Wetter jedenfalls keinen Abbruch. Sie wollten den „schönsten Tag des Lebens“, an dem sie aus der Gemeinschaft der Ledigen austreten und in den Kreis der Verheirateten eintreten würden, geziemend und würdig begehen. Für sie wäre niemals in Frage gekommen, sich nach dem Abstecher in die Kirche gleich wieder in die Arbeitskleider zu stürzen, wie das andere taten. Zur Feier des Tages hatten die zwei Brautpaare von einer Garage ein stattliches Auto mit Chauffeur gemietet, das Sepp und Marie im Kleinried abholte. Um vom Haus aus auf die nahe gelegene Gotthardstrasse zu gelangen, musste das Auto zuerst dem Walenbrunnen entlangfahren und dann eine scharfe Kurve machen, um auf das Brückchen über den Bach zu gelangen. Dafür war es gezwungen, weit auszuholen. Doch die Wiese war vom Regen so durchtränkt, dass der Wagen im Schlamm steckenblieb. Man musste eine Kuh holen, um ihn herauszuziehen.

Nach dem Gottesdienst ging’s zum Festmahl bei den Eltern Imhof im Rynächt. Vater Josef hatte eigens ein Kalb schlachten lassen. Wenn Mutter das später erzählte, leuchteten ihre Augen. Hätte sie einen Beweis gebraucht, dass ihr Vater sie besonders gut mochte und ein herzensguter Mensch war, hier hatte sie ihn. Kam dazu, dass Sepp und Marie Josef Imhofs erster Sohn und erste Tochter waren, die in den Ehestand traten. Da konnte er sich doch nicht lumpen lassen!

Auf alle Fälle soll die Stube beim Hochzeitsessen im Kleinried proppenvoll gewesen sein. Nach den Feierlichkeiten fuhr das Paar für drei Tage nach Madonna del Sasso ob Locarno. Auch das unterstreicht, wie festlich es die Hochzeit gestaltete. Eine solche Hochzeitsreise war dannzumal noch ein Privileg der Oberschicht, denn sie war nicht bloss mit Kosten verbunden. Dominik hatte auch schauen müssen, dass jemand zuhause das Vieh besorgte.

Noch etwas liessen sich Dominik und Marie an ihrem Festtag nicht entgehen: Den traditionellen Termin im Studio des Fotografen, um sich ablichten zu lassen. Das Hochzeitsfoto wurde danach mit einem Rahmen versehen und daheim gut sichtbar aufgehängt.

Ich habe es gerne angeschaut. Es ist ein herrliches Zeitdokument, das mir vorkommt wie ein Buch voll geheimer Botschaften, die sich dem Leser nur häppchenweise preisgeben. Die zwei Jungvermählten stehen in inszenierter Pose da. Der hager wirkende Mann im eleganten schwarzen Anzug, mit Fliege, lackiert glänzenden Schuhen, den Hut lässig am Knie angelegt, ein schmuckes Blümchen – ist es echt? – im Knopfloch und ein weisses Tüchlein, vielleicht das „Hochzeitslumpen“ genannte Schnupftuch, im Westentäschchen, ist mein Vater. Er sieht schick aus, schaut mit hellem Blick, man ahnt die blauen Augen, ernst, gefasst und zufrieden in die Kamera. Sieht man ihm seine achtundzwanzig Jahre an? Am ehesten an der hohen Stirnglatze und am bereits schon ein wenig schütteren blonden, nach hinten gekämmten Haar. Neben ihm steht Mutter im damals üblichen einfachen schwarzen, nicht ganz knöchellangen Gschpüüsächläid, das danach als Sonntagsrock diente, und einem bis zum Boden reichenden weissen Schleier. Er ist mit einem feingliedrigen, kaum sichtbaren Kränzchen im Haar befestigt. Dieses darf nur tragen, wer jungfräulich in die Ehe geht, was von der Braut selbstverständlich erwartet wurde. Geben sich die beiden hinter dem Rücken die Hand oder stehen sie einfach nahe beieinander? Das grosse Blumengebinde, das Mutter in der rechten Armbeuge trägt und die weisse Schleife in ihrer Hand verleihen dem Bild eine feierliche Note. Ihr schwarzes gescheiteltes Haar ist schlicht frisiert. Ihr Gesicht wirkt weniger ernst als Vaters, mir ist es, als würde sie ein wenig schmunzeln. Auch ihre schwarzen, offenen Schuhe glänzen, kein Stäubchen ist darauf auszumachen. Sie ist ein wenig kleiner als ihr Partner. Doch ich habe Mühe, in ihr die blutjunge Frau zu sehen, die sie mit ihren achtzehneinhalb Jahren in Wirklichkeit noch war.

image

Hochzeitsfoto der Eltern

Ihr jugendliches Alter war für Marie aber tatsächlich ein Problem. Das hat Mutter später immer wieder betont. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie gerne noch etwas zugewartet, doch Vater habe unbedingt heiraten wollen. Die beiden waren sich also in dieser Beziehung nicht ganz einig gewesen. Gab es noch andere Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen? Nichts jedenfalls, was Mutter erwähnenswert gefunden hätte.

Wir Kinder jedoch haben unsere Eltern manchmal nicht bloss altersmässig als ungleiches Paar empfunden. Als Persönlichkeiten und vom Temperament her waren sie ziemlich verschieden. Für uns gab es dafür eine einleuchtende Erklärung, auch wenn sie vor allem auf Eindrücken und Hörensagen beruhte: Vater und Mutter hatten eine recht unterschiedliche Kindheit und Jugend erlebt. Beide stammten aus Bauernfamilien, die kaum zwei Dutzende Kilometer voneinander entfernt lebten und viele Gemeinsamkeiten besassen, aber eben auch vieles, das verschieden war. Aus Vaters und Mutters Bemerkungen durften wir schliessen, dass insbesondere ihre Väter einen grossen Einfluss auf sie ausgeübt hatten. Doch während Mutter den ihren verehrte, liess Vater manchmal durchblicken, dass er dem seinen gegenüber zwiespältige Gefühle hegte. Er hatte zwar von ihm einiges geerbt, doch hatte es zwischen den beiden auch Unstimmiges gegeben.

3 DIE GROSSELTERN UND IHRE WELT

BAUERSLEUTE VON ALTEM SCHROT UND KORN

Ausser den Grossmüttern habe ich keine Vorfahren gekannt. Die Grossväter waren schon tot, als ich auf die Welt kam. Trotzdem war mir der Vater meines Vaters, Grossvater Dominik Arnold, irgendwie eine vertraute Gestalt. Für uns Kinder hatte er fast Legendenstatus. Er war bereits 1935 gestorben, weshalb ihm niemand von uns Geschwistern jemals begegnet ist. Doch was man über ihn in der Verwandtschaft erzählte, verlieh ihm die Aura einer aussergewöhnlichen Persönlichkeit. Insgeheim waren wir stolz auf ihn.

Dominik hatte 1858 im Getschwiler[3] ob Spiringen das Licht der Welt erblickt. Seine Wiege stand also im hinteren Schächental. Er war das älteste Kind des Ehepaars Peter Leonz Arnold und Anna, die ledig ebenfalls Arnold geheissen hatte. In Uri bilden die Arnold ein eng mit Spiringen verbundenes Geschlecht. Wahrscheinlich stammen alle Urner Arnold aus diesem Dorf. Die Symbiose geht so weit, dass Familien- und Gemeindewappen identisch sind.

Grossvater wurde in eine Bauersfamilie hineingeboren. In jener Zeit lebten fast alle Bewohner des Schächentals von traditioneller Weide- und Milchwirtschaft. Sie war die „vorzüglichste Lebensquelle“ der Bevölkerung. Die sonnigen und vergleichsweise wenig steilen, von zahlreichen verstreuten Siedlungen übersäten südwestlich ausgerichteten Hänge eigneten sich ausgezeichnet dafür. Der weniger ertragreiche Ackerbau war vor Jahrhunderten aufgegeben worden. Zum Vieh gehörten nicht bloss Kühe, sondern auch Schafe und Ziegen, die zahlenmässig sogar überwogen. Man lebte weitgehend in Eigenversorgung, denn das Schächental war verkehrstechnisch noch kaum erschlossen. Zudem war das Leben sehr hart. Alles musste in mühseliger Handarbeit erledigt werden. Selbst den Warentransport ins Unterland nach Altdorf besorgten Männer und Frauen meist zu Fuss, mit einer Hotte oder Traggabel auf dem Rücken. Das setzte dem Handel der wenigen landwirtschaftlichen Güter wie Käse, Zieger, Butter und Vieh, die man zu Geld machen konnte, enge Grenzen. Begüterte zählten auch auf die Zinsen der „Gülten“, wie die Wertpapiere im Grundstückhandel genannt wurden. Doch für das Gros der Bevölkerung war Geld Mangelware. Weit wichtiger für sie war, dass sie Grund und Boden besassen oder nutzniessen konnten.

Handwerk und Gewerbe konnten sich so nicht zu alternativen Erwerbszweigen entwickeln. Jeder Bauer war auch Schuster, Schreiner und Zimmermann, die Hausfrauen besassen meist ein Spinnrad oder einen Webstuhl und schneiderten. Familien, die genügsam lebten, fanden dennoch im Vergleich zu anderen Landesteilen recht gute Bedingungen vor. Denn zu den Standortvorteilen des Tales gehörten zahlreiche Alpweiden am oberen Rand des permanenten Siedlungsbereichs, auf der anderen Seite der Schächentaler Berge und auf „Ennet Märcht“, wie der Urnerboden jenseits des Klausenpasses genannt wurde. Das begünstigte das Entstehen nomadenhafter Stufenbetriebe.

Da fast alle Waldungen, ein Grossteil der Alpen und die Allmenden einer „Korporation“ genannten Genossenschaft gehörten, was sie zu Gemeinschaftsgut machte, waren auch Ärmere, von denen es sehr viele gab, nicht ganz von der Nutzung der natürlichen Ressourcen ausgeschlossen. Freilich waren Haushalte besser dran, die über eigenen Grund und Boden verfügten. Am Idealsten war, man besass mindestens zwei Heimwesen in unterschiedlicher Höhenlage, unten eine Hofstatt und weiter oben einen „Berg“, wie Maiensässe genannt wurden, dazu ein Auftriebsrecht auf eine Alp, etwas Ried für Streugewinnung und ein kleines Wäldchen. Das reichte dann allemal, um materiell ein einigermassen sorgenfreies Leben zu führen.

Diesem Ideal kam der bäuerliche Betrieb von Dominiks Vater recht nahe. Peter Arnold gehörte zwar nicht zu den reichen Senten-Bauern. So wurden Grundbesitzer genannt, die mindestens zwei Dutzend eigene Kühe auf die Alp führen konnten. Er war aber auch kein „Stümpeler“, wie die Kleinstbauern hiessen. Denn er besass mehr als der Durchschnitt, das heisst er hatte mehr als bloss zwei oder drei Kühe, ein wenig Rindviehnachwuchs sowie ein halbes Dutzend Schafe und Ziegen. Er war Besitzer einer schönen Liegenschaft im Getschwiler, dem dazugehörigen Ried und eines höher gelegenen Anwesens, die Hintere Weid. Dazu war er Anteileigner der Eigen-Alp Mettenen. Er war also ein vergleichsweise wohlbestallter Bauer und ausserdem ein geachteter Bürger. Während vier Jahren hatte er in Springen das Amt des Dorfvogtes ausgeübt. Mit anderen Worten war er so etwas wie der Verwalter der Gemeinde gewesen.

Die Jugend von Grossvater Dominik war von Vorkommnissen geprägt, die bezeichnend für die damaligen Lebensbedingungen im Schächental waren. Zwei Jahre nach seiner Geburt starb die Mutter im Kindsbett, ein tragisches Ereignis, das häufig vorkam. Dominik wuchs mit einem Bruder als Halbwaise auf. Der Vater heiratete zehn Jahre später ein zweites Mal. Diese Ehe war mit sechs weiteren Kindern gesegnet. Unglücklicherweise starben die zwei ältesten Stiefbrüder von Dominik innerhalb von drei Tagen im Teenagealter an „Halsbräune“, einer Infektion der oberen Atemwege, heute echter Krupp oder Diphterie genannt. Die medizinische Grundversorgung der Talbewohner war noch äusserst mangelhaft. Die Menschen standen Krankheit und Unfällen recht hilflos gegenüber.

Das Bergbauernleben war auch sonst äusserst entbehrungsreich und voll Gefahren. Besonders im Winter schlug die Natur oft hart zu, wenn Lawinen Gebäude zerstörten, Vieh töteten, Menschen verletzten oder ihr Leben auslöschten. Ausserdem waren viele unverzichtbare Arbeiten riskant, vor allem das Sammeln und Transportieren von Wildheu, mit dem Kleinbauern ihre Heuernte aufstockten. Auch die Beförderung der Milchprodukte von den Alpen ins Tal war mühsam und teilweise gefährlich. Die Sennen entlegener Alpweiden benutzten manchmal schwindelerregende Abkürzungen. Beim Holzräischtä im Winter büsste mancher Jüngling und Familienvater Gesundheit oder Leben ein.

Die hygienischen Verhältnisse waren schlecht, die Wohnungen unzulänglich durchlüftet. Viele Häuser besassen keinen Kamin, weshalb der Rauch oft in der Küche hängen blieb. Die Menschen vermochten sich nur ungenügend gegen Nässe und Kälte zu schützen. Sie ernährten sich fast ausschliesslich mit selbsterzeugten Milch- und Fleischprodukten. Wenn die Familie ein Gärtchen besass, gab’s manchmal auch etwas Gemüse und Kartoffeln zu essen. Andere Lebensmittel mussten mühsam ins Tal getragen werden. Deshalb war die Ernährung einseitig. Erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts brachte der aufkommende Hausierhandel Mehl bis in die hintersten Berggüter, weshalb Frauen wieder häufiger anfingen, Brot zu backen. In Spiringen und Unterschächen entstanden die ersten Bäckereien. Aber auch Kaffee, Schnaps und Tabak kamen in Mode.

Folgerichtig starben die Menschen vor allem an Erkrankungen der Atem- und Verdauungsorgane und an Lungenentzündung, oder sie kamen durch ein Unglück ums Leben.

Die Wiederverheiratung von Witwern war nicht unproblematisch, weil Nachkommen die Interessen der Kinder aus erster Ehe tangierten. Jedenfalls kam Dominik mit seiner Stiefmutter nicht gut aus. Ihr wird nachgesagt, sie sei etwas „hässig“ gewesen. Ein Indiz dafür, dass sie sich stark für ihre eigenen Kinder einsetzte? Erstgeborene hatten sowieso den Nachteil, dass das Erbe selten vor dem Tod der Eltern aufgeteilt wurde. Wollten sie vorher selbständig werden, mussten sie sich ihre Existenz eigenhändig aufbauen. Die Eltern liessen sie gewähren, sofern sie auf die Präsenz jüngerer Söhne zählen konnten, die mit ihnen gewissermassen als „Altersversicherung“ den Familienbesitz bewirtschafteten. Urgrossvater Peter dagegen entschloss sich, Dominik und seinem anderen Sohn aus erster Ehe frühzeitig gemeinsam die Verantwortung für den Nebenbetrieb Hintere Weid und die Alp Mettenen zu übertragen. Die beiden viel jüngeren Halbbrüder blieben bei den Eltern auf dem ertragreicheren Getschwiler, den sie schliesslich erbten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Grossvater Dominik bereits aus eigenem Antrieb begonnen, den Weg einzuschlagen, der aus ihm den „soliden Bauersmann von altem Schrot und Korn“, „guten Familienvater“ und „treuen, gewissenhaften Geschäftsmann“ machen wird, als den ihn das „Urner Wochenblatt“ nach seinem Tod pries. Er hatte verinnerlicht, dass Nutzland besitzen und mehren der Dreh- und Angelpunkt des herrschenden Wirtschaftssystems war, wenn man für sich und seine Nachkommen über eine sichere Existenzgrundlage verfügen wollte. Wie das Grundbuch belegt, gab es im Schächental einen regen Bodenhandel. Allerdings wickelten sich die meisten Eigentumsübergänge innerhalb der Familie ab. Die Wirtschaftsweise war um sie herum aufgebaut, der familiäre Haushalt war Produktions- und Konsumeinheit in einem. Er umfasste nicht bloss die zu versorgenden Menschen, sondern stellte auch die unmittelbar verfügbaren Arbeitskräfte. Der Betrieb musste deshalb möglichst im Einklang mit der Grösse des Haushalts sein. Man führte ihn solange als möglich im Familienverband, den man über Heiratsbeziehungen abzustützen trachtete. Boden veräusserte man nur an Aussenstehende, wenn es nicht zu umgehen war oder man anderswo bessere Alternativen gefunden hatte.

Dominik begann schon früh, das Bauerngewerbe mit „umsichtigem Viehhandel“ zu ergänzen, den er mit Spürsinn betrieb. Einer seiner Spezialitäten war es, Rinder und Kühe zu kaufen, die Schwierigkeiten hatten, trächtig zu werden, weshalb sie eigentlich kaum mehr wert waren als Schlachtvieh. Er brachte sie wieder zum Kalben, sodass er sie mit schönem Gewinn weiterverkaufen konnte. War er so etwas wie ein autodidaktischer Viehdoktor, oder besass er Naturheilkräfte? Seinen hervorragenden Ruf unter den Nachkommen verdiente er sich jedoch nicht deswegen, sondern weil er sein Geld zielstrebig in den Erwerb von Landgütern investierte. 1891 kam er in den Besitz des Holzerbergli, ein Bergheimwesen, das halbwegs zwischen Getschwiler und Weid lag. Nachdem er 1906 von seinem Schwiegervater das einst einer anderen Sippenlinie zugefallene Obermattli zurückerworben hatte, überliess er die Weid seinem Bruder, behielt aber seinen Anteil an Mettenen. 1915 gelang es ihm, von seinem ledigen, sterbenskranken Stiefbruder Peter den Getschwiler zu kaufen. Später wird Grossvater seinen Grundbesitz mit einem Gut in Schattdorf ergänzen. Es ist der Hof, auf dem ich auf die Welt gekommen bin. Grossvater wird nachgesagt, er habe diese Landkäufe planmässig getätigt, um nach seinem Tod jedem seiner Söhne eine eigenständige bäuerliche Existenz zu ermöglichen.

Im Volksmund war Dominik Arnold besser als Häirechä Dominäli bekannt. Dieser Übername wies ihn als Mitglied einer Sippe aus, die auf einen Häiri gerufenen Ahnen zurückgeht, seinen Urgrossvater Heinrich Arnold. Später erwarb er sich zusätzlich den Übernamen Häfeler. Woher die Bezeichnung rührt, dazu gibt es verschiedene Deutungen. Sie könnte darauf hinweisen, dass Dominik, weil er kleinwüchsig und daher von etwas gedrungener Statur war, aus der Ferne einem Fässchen glich. Vielleicht hat sie eher damit zu tun, dass in seinem Haus so viel Wohlstand herrschte, dass die „Ankenhafen“ immer voll waren. Schliesslich wird gesagt, er habe einmal einer Lieblingskuh den ungewöhnlichen Namen „Häfeli“ gegeben, was man so speziell fand, dass er als deren Besitzer in Erinnerung blieb.

image

Hochzeitsfoto von Dominik und Maria Arnold-Arnold, aufgenommen im Studio von Otto Z’berg in der Schmiedgasse Altdorf

Erst mit vierzig entschloss sich Dominik zu heiraten. Die Auserwählte, die er 1898 in Spiringen an den Traualtar führte, hiess Maria Arnold und war auch bereits neununzwanzig Jahre alt. Die junge Familie wurde aber im Familienbuch Unterschächen mit Wohnsitz Weid eingetragen. Die Braut hörte nicht bloss auf denselben Familiennamen, sie war auch mit ihrem Hochzeiter verwandt. Allerdings nicht wegen dem Nachnamen, sondern weil beide eine Grossmutter hatten, die Schwestern waren. Heiraten von nahen Verwandten kamen häufig vor. Um getraut zu werden, mussten sie ein Gesuch um kirchliche Dispens einreichen, was die beiden denn auch taten. Das Brautpaar kannte sich jedoch auch deshalb, weil es nahe beieinander wohnte. Das ist nicht verwunderlich, denn das Leben der Menschen spielte sich noch fast ausschliesslich im unmittelbaren Umkreis ihrer Heimwesen ab, weshalb man selten über die Dorfgrenze hinaus heiratete. Maria war auf dem Hof Riedmatt gleich neben dem Obermattli und etwas oberhalb des Holzerbergli aufgewachsen. Sie war also eine Riädmättleri. Das Gut hatte ihr Grossvater Josef Maria Arnold, Mariä gerufen, erworben.

Als Maria und Dominik heirateten, war das Medium der Fotografie bereits ein wenig gesellschaftsfähig geworden. Dass ein Brautpaar sich ablichten liess, war zwar im Urnerland noch nicht allgemein üblich, doch auch Bauersleute mit starkem Familiensinn ergriffen nun manchmal die Chance, sich und kommenden Generationen ein dauerhaftes Andenken zu schenken. Meine Grosseltern mussten sich aber für diesen Zweck eigens nach Altdorf begeben. Es wird eines der wenigen, wenn nicht gar das einzige Bild bleiben, das sie zusammen zeigt. Mit seinem schwarzen Grundton strahlt es Ernsthaftigkeit aus. Man sieht den Brautleuten an, dass sie etwas fortgeschrittenen Alters und nicht bloss im übertragenen Sinne „gutbetucht“ sind. Doch dem Ganzen haftet etwas Bäuerliches an, beispielsweise wenn man die schlecht sitzende Krawatte oder die Hand des Bräutigams anschaut, die ungelenkzärtlich auf der Schulter seiner Angetrauten ruht.

Grossmutter Maria stammte ebenfalls aus relativ gutsituierter Familie. Ihr Vater Johann Arnold gehörte zu den Dorfhonoratioren. Er hatte einmal das Amt des Waisenvogts und ebenfalls während zwei Jahren das des Dorfvogts von Spiringen bekleidet. Er besass mehrere Güter auf verschiedenen Höhenstufen und eine Alpung.

image

Grossmutter mit ihrem Spinnrad

Trotz Heirat im vorgerückten Alter belebten schliesslich zahlreiche Kinder das grosselterliche Heim. Im Lauf der Jahre kamen zwölf zur Welt. Diese Gebärfreudigkeit entsprach der familiären Tradition. Die Häirechä wie die Riädmättler besassen meist stattliche Familien. Einzelkinder kamen äusserst selten vor. Unter meinen Schächentaler Ahnen findet sich kein einziges Beispiel. Vier von Grossmutters Neugeborenen starben jedoch schon im Kleinkindalter. Auch das war nicht aussergewöhnlich.

Allem Anschein nach kam das Ehepaar, begünstigt durch die ökonomischen Umstände, gut miteinander zurecht. Grossmutter packte in Haus und Hof mit an. Sie spann meisterhaft Schafwolle zu Garn, eine Fertigkeit, die sie noch im hohen Alter ausübte, und webte im Getschwiler bis in die Fünfzigerjahre Stoffbänder, die sie zu Leintüchern zusammennähte. Sie konnte sich aber auch Mägde leisten. Grossvater sei sehr geschickt gewesen, was er in die Hand nahm, sei ihm geraten. Er besass den Ruf, ein ehrlicher und zuverlässiger Geschäftspartner zu sein. Er habe sich aber auch hilfsbereit gezeigt und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn an den Tag gelegt. Ferner wird erzählt, dass er gerne einen Jass klopfte, es aber schlecht ertrug, wenn seine Partner Fehler machten. Im Übrigen dachte er bis zuletzt nicht daran, untätig zu bleiben und die Zügel des Betriebs aus der Hand zu geben.

Dominik starb im Oktober 1935 kurz nach der Getschwiler Kilbi. Es herrschte so schlechtes Wetter, dass seine älteste Tochter beim Wattigwiler, wo sie wohnte, über einen Bach getragen werden musste, um in den Getschwiler zu gelangen. Grossvater wurde mit „grosser Beteiligung von nah und fern“ auf dem Gottesacker von Unterschächen beigesetzt.

Dass er nicht in Springen bestattet wurde, wo er heimatberechtigt war und auf dessen Territorium ein Grossteil seines Bodenbesitzes lag, hing damit zusammen, dass er seine Bürgerrechte in der Nachbargemeinde ausgeübt und dort einmal zwei Jahre das Amt des Kirchenvogts und das des Vogts der „Bruderschaft zum sterbenden Josef“ innegehabt hatte. Er war eine lokale Respektperson.

Kirchenvogt sein war früher einmal die höchste Würde gewesen, die ein Bürger im Dorf erlangen konnte. Der Kirchenvogt stand dem von der Kantonsverfassung vorgeschriebenen Kirchenrat vor, dem die zivile Leitung des Kirchenwesens oblag. Er hatte das Kirchengut zu verwalten und dafür geradezustehen, dass die Pfarrherren ihr jährliches Gehalt erhielten – nötigenfalls sogar aus der eigenen Tasche. Der Amtsinhaber war auch verpflichtet, als Sonntagspolizei während des Gottesdienstes für Ruhe, Ordnung und Anstand in der Kirche und näheren Umgebung zu sorgen.

Als Grossvater gewählt wurde, drängte sich jedoch niemand mehr vor, das Amt auszuüben. Die Behörden von Unterschächen beklagten sich im Gegenteil darüber, dass es immer schwieriger würde, öffentliche Ämter zu besetzen. Dominik Arnold war nur zweite Wahl gewesen. Er hatte sich zur Verfügung gestellt, weil der Erstgewählte das Amt ablehnte. Kirchenvogt sein war immer noch mit Ansehen verbunden, beispielsweise einem Ehrenplatz in der Kirche. Ausserdem blieb der Titel über die Amtszeit hinaus bis zum Lebensende als „Herr alt Kirchenvogt“ erhalten. Offenbar war das aber nicht mehr Anreiz genug, um sich um das Amt zu wettstreiten. Wahrscheinlich sah man jetzt mehr die Bürde als die Würde, welche die Vogtrolle mit sich brachte.

Dass er einmal als Kirchen- und Bruderschaftsvogt geamtet hatte, ist kein Indiz dafür, dass Grossvater besonders religiös war. Vermutlich war er einfach nach Massgabe seiner Zeit ein normal „frommer“ Erdenbürger, der seine Christenpflicht treu erfüllte, die Lehre und Autorität der Geistlichkeit nicht in Frage stellte, stets den Schutz Gottes und der Heiligen anrief, für Verstorbene und arme Seelen betete und in die Kirche ging, wann es sich gehörte. Das darf man denken, weil die katholische Kirche die wichtigste Autorität im Dorf verkörperte, der sich die Wenigsten widersetzten.

Auch ansonsten kann ich über Grossvaters Persönlichkeit nur Vermutungen anstellen. Als waschechter Schächentaler war er wohl