Cover.jpg

„Mit Gründen ist da nichts zu machen – was einer mag, ist seine Sach’, denn kurz gesagt: In Herzenssachen geht jeder seiner Nase nach.“

Wilhelm Busch

Inhalt

Vorwort – Besuch mit Duftnote

I. DUFT UND MENSCH

1. Der Geruch meiner Kindheit: die Dünen von Comillas

2.Bücher sind sinnlich: Bücher riechen …

3.Warum wir mehr riechen sollten

4.Von Riechzellen und Rezeptoren – Wunderwerk Nase

5.Psychologie des Riechens – der Proust-Effekt

6.Das Riechen entdecken

7.Kino für alle Sinne – wenn ein Film dufte ist

8.Der schlimmste Duft, den ich kenne …

9.Gestank und schlechte Gerüche – Warnsignal und Geschmackssache

10.Ich kann dich gut riechen – Liebe und Partnerschaft

11.Schweiß – ein ganz besonderer Duft

12.Geruchssinn und Gesundheit – kann man Krankheiten riechen?

II. DUFT IM WANDEL

13.Eine kurze Geschichte des Duftes

14.Weihrauch – Comeback eines Klassikers

15.Der Duftkrieg von Köln

16.Wie entsteht ein Parfüm?

17.Die Suche nach dem Duft von morgen – Zukunft und Trends

18.Wie finde ich meinen perfekten Duft?

19.Wirtschaftsfaktor Duft

III. DUFT IM ALLTAG

20.Wie Düfte unser Leben verändern

21.Supermarkt der Sinne

22.Teurer Duft im Innenraum – Autos und Gerüche

23.Duft in der Architektur

24.Andere Länder, andere Gerüche – Der Duft der großen weiten Welt

25.Eine Sprache für Gerüche

26.Juristisches Niemandsland – Gerüche vor Gericht


Kleines Duftlexikon

Quellen

Dank

Dufttagebuch

Vorwort – Besuch mit Duftnote

Ein altes Fabrikgebäude, am Rhein gelegen. Vorne in dem Backsteinbau befindet sich ein Künstleratelier, nach hinten hinaus – mit Rheinblick – liegen die Büros von Robert Müller-Grünow. Hier arbeiten er und sein zwölfköpfiges Team, Chemiker, Parfümeure, Marketingfachleute, an der Entwicklung von „Hightech Duftkommunikations-­Technologien, Duftspeicher-Medien und Duftkonzepten beziehungsweise speziellen Düften für Unternehmen und Marken“, so ist es auf Müller-Grünows Website zu lesen. Klingt erst einmal kompliziert, heißt aber einfach: Hier im Kölner Hauptquartier werden Düfte für die ganze Welt kreiert. Unternehmen auf allen Kontinenten und aus den unterschiedlichsten Branchen gehören zum Kundenstamm. Für Automobilkonzerne, Hotelketten, Arztpraxen, Museen und Galerien, Nahverkehrsbetriebe, Supermarktketten, Modefirmen, Kinoproduktionen, ja selbst für die UNO waren die Kölner schon tätig und haben im Laufe der Jahre mehr als fünftausend Düfte entwickelt.

„Duftdesign ist gefragter denn je. Keine Sinneswahrnehmung ist schneller und unmittelbarer, weil der Duft uns ohne Umweg über das Unterbewusstsein erreicht“, erzählt Müller-Grünow, und dabei ist ihm eine Botschaft besonders wichtig: Mit Düften möchte er niemanden an der Nase herumführen, sondern – ganz im Gegenteil – den Menschen bewusst machen, wozu unsere Nase fähig ist. Denn sie sei, so der Fachmann, „ein wahres Wunderwerk der Evolution“.

Viele Milliarden Euro werden Jahr für Jahr mit Düften und Aromen für alle Lebensbereiche vom edlen Parfüm bis hin zum Putzmittel umgesetzt, und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen? – haben wir es verlernt, unserer Nase intuitiv zu folgen und ihr zu vertrauen. Robert Müller-Grünows flammendes Plädoyer für unser Riechorgan führt mitten hinein in die geheime Welt der Düfte.

Und wie riecht es beim Duftdesigner in Köln-Mülheim? Nach Sommer, Wasser und Frische, wann immer eine leichte Brise durchs offene Fenster hineinweht. Gleichzeitig gediegen und vertrauenerweckend – nach dem Holz des alten Parkettbodens, dem Leder der Bürostühle und irgendwie ein bisschen nach frischem Waldboden, grün und satt.

„Wir hatten in diesem Raum eine Präsentation für einen Kunden“, erklärt Robert Müller-Grünow und öffnet eine kleine schwarze Dose mit einem Duftgel, einer farblosen Paste, an der wir schnuppern dürfen. Der Kunde sei Pierre Huyghe, ein Künstler aus Frankreich, der seine neue Ausstellung beduften wolle, mit dem Geruch von Waldboden. Das sei nicht der erste Auftrag von Pierre Huyghe, sagt Müller-Grünow, dieser sei „immer auf der Suche nach eigentümlichen Düften. Einmal brauchte er einen Krankenhausgeruch für seine Ausstellung im Pariser Palais de Tokyo“. Da sei ihm der Waldbodenduft doch lieber und näher, so Robert Müller-Grünow, denn der Geruch von Bäumen und frischer Erde versetze ihn jedes Mal zurück in seine Kindheit …

Olaf Köhne und Peter Käfferlein

DUFT UND MENSCH

„Das beste Gedächtnis hat bekanntlich die Nase!“

Kurt Tucholsky

2. Bücher sind sinnlich: Bücher riechen …

… auch dieses Buch, das Sie gerade in Ihren Händen halten. Bücher sprechen alle unsere Sinne an. Wir lesen Bücher mit den Augen, wir halten sie in unseren Händen, unsere Ohren hören das Rascheln der Blätter, wir riechen die Seiten bei jedem Umblättern. Dass dieses sinnliche Erleben von Büchern und Papier immer mehr verschwinde, beklagte ein großes Unternehmen für die Herstellung von Druckmaschinen. Denn neben der Haptik und der Lust am Blättern ist der Geruch eines Buches einer der wichtigsten Gründe, warum sich die meisten Leser beim Kauf immer noch für die Papierform entscheiden.

Doch in Zeiten von E-Books und Digitalisierung geht dem klassischen Druckhandwerk auch etwas von dessen Sinnlichkeit verloren. Besagter Druckmaschinenhersteller wollte etwas dagegen unternehmen: Wir erhielten den Auftrag, für das Unternehmen einen Markenduft zu entwickeln, der so riechen sollte, wie es früher in den Werkhallen der Drucker roch: nach Druckerschwärze, Leim und Papier. Ein ungewöhnliches und anspruchsvolles Projekt, das dann für eine Fachmesse gedacht war. Zusammen mit der norwegischen Duftexpertin Sissel Tolaas – wir werden sie an anderer Stelle im Buch noch näher kennenlernen – kreierten wir einen Duft, der über die Lüftungsanlage in die Messehalle geleitet wurde und die Besucher auf eine olfaktorische Zeitreise mitnahm, mitten hinein in eine altmodische Druckerei.

Vor allem alte Bücher verströmen einen ganz typischen Geruch, den Professor Matija Strlič vom University College London genauer untersucht hat. Strlič leitet dort das „Institut für Nachhaltiges Kulturerbe“ (Institute for Sustainable Heritage).

„Ich bemerkte, dass einige Bibliothekare an alten Büchern rochen, um deren Alter festzustellen“, erzählte Professor Strlič Journalisten der Zeitschrift „Geo“ in einem Interview. „Als Chemiker wollte ich den Zerfall von Büchern aber analytisch beschreiben, anhand des Geruchs, also der flüchtigen organischen Verbindungen, die das Papier abgibt. Wir untersuchten mehr als siebzig Papiersorten. Die instabilen Papiere rochen durch die Essigsäure sauer. Andere rochen sehr süß, nach Vanille.“

Wodurch aber entsteht der Geruch von Büchern? Die Qualität des Papiers und die Chemikalien, die bei Herstellung und Druck verwendet werden, spielen dabei eine wesentliche Rolle. VOC-Stoffe, sogenannte flüchtige organische Verbindungen (Volatile Organic Compounds), die sich im Kleber und in der Tinte befinden, werden im Laufe der Jahre freigesetzt. Das Team von Professor Strlič ging folgendermaßen vor: Zunächst rochen die Experten an den alten Papieren und verschafften sich einen ersten Eindruck mit der eigenen Nase. Meist ist das die beste Methode, um Gerüche zu analysieren. Im nächsten Schritt wurden die flüchtigen organischen Verbindungen (VOC), die man unter anderem mit Glasglocken eingefangen hatte, mittels Massenspektrometer, einem Verfahren zum Messen von Atomen oder Molekülen, untersucht. Der Geruch alter Bücher setzt sich aus hunderten flüchtiger organischer Verbindungen zusammen. Auch der Säuregehalt schlägt sich im Geruch nieder. So fanden die Londoner Forscher einen hohen Säuregehalt gerade in Büchern, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. 

Alle diese Komponenten zusammengenommen machen den Geruch aus, den man sofort bemerkt, wenn man eine Bibliothek oder ein Antiquariat betritt. Prof. Strlič und sein Team verfolgten mit ihren Untersuchungen das Ziel, die chemischen Bestandteile der Geruchskomponenten von Büchern zu bestimmen, ohne diese – wie bisher üblich – durch Entnahme von Proben zu beschädigen. Man erhoffte sich, Hinwiese für die Restaurierung von Büchern und Aufschluss über die Zeit ihrer Entstehung zu erlangen. Außerdem fand man heraus, welchen Gerüchen sie im Laufe ihres „Buchlebens“ ausgesetzt waren. Ließen sich die Gerüche der Vergangenheit, die man aus den Büchern herausfilterte, sogar auch nachbauen? Das sei dann leider doch nicht ganz so einfach, meinte Prof. Strlič.

„Um alte Gerüche wieder lebendig zu machen, brauchen wir nicht nur die chemische Zusammensetzung, sondern auch die persönlichen Eindrücke und Erinnerungen der Menschen.“ Und da wären wir beim Thema der Dufterinnerungen …

Der Geruch von Büchern ist davon abhängig, wo und wie sie aufbewahrt werden. Papier nimmt schnell Gerüche an und ist ein guter Geruchsspeicher, für gute wie schlechte Gerüche. Der größte Feind des Buches ist Nässe. Feuchtes Papier wird modrig, im schlimmsten Fall kommt es zu Schimmelbefall, es müffelt. Auch Zigarettenrauch und Essensgerüche beeinflussen den Geruch eines Buches.

Wie aber bekommt man unangenehme Gerüche wieder aus dem Buch heraus? Wenn ein Buch nach Rauch riecht, kann Lüften helfen, aber nur, wenn das Buch nicht zu intensiv diesem Geruch ausgesetzt wurde. Frosten oder Gefriertrocknung hilft dann, wenn das Buch Feuchtigkeit aufgesogen hat, die das Papier muffig riechen lässt. Dafür verpackt man das Buch in einem luftdichten Gefrierbeutel und verstaut es im Gefrierfach. Die Feuchtigkeit im Buch wird zu Eis. Die Nässe wird dem Papier entzogen. Diese Methode sei schonend für Tinte und Papier, sagen Experten. Ist das Buch nach dem Frosten trocken, heißt das aber noch lange nicht, dass der schlechte Geruch auch verschwunden sein muss. Wenn das Papier von Schimmelpilz befallen ist, hilft nur noch, das Buch zum Restaurator zu bringen, der es im Laugenbad behandelt, was aufwändig und teuer ist. Bei schlechtem Geruch arbeiten Restauratoren auch mit Ozon, das den Büchern den Geruch entzieht. Ein Allheilmittel gegen muffig riechende Bücher gibt es aber nicht. Man kann sie in eine geschlossene Kiste mit einer Duftquelle deponieren. Denn Papier nimmt, wie gesagt, Duft gut auf – nur wie der gewünschte Duft mit dem ungewünschten harmoniert, ob letzterer wirklich ganz überlagert werden kann, lässt sich im Voraus nicht sagen. Dies hängt von den Duftmolekülen und deren Struktur ab.

Paper Passion

Wer lieber E-Books liest anstatt eines Papierbuchs, der muss auf den Geruch von Büchern nicht ganz verzichten. Geza Schön, ein Parfümeur, mit dem ich schon seit einigen Jahren zusammenarbeite, entwickelte das erste Parfüm mit Papiergeruch: Paper Passion, so der Name dieses besonderen Duftes, also „Leidenschaft für Papier“. Die Verpackung des Flakons ist ein Buch, in dem die Seiten so ausgestanzt sind, dass der Flakon darin Platz findet. Entworfen von Karl Lagerfeld, der für seine Leidenschaft für Papier bekannt ist. Literaturnobelpreisträger Günter Grass veredelte die Buch-Verpackung mit einem Gedicht. Der Verleger Gerhard Steidl, der Paper Passion in Auftrag gab, schickte Geza unzählige Bücher, Papiersorten, Tinten und Farben, um ihn auf das Projekt einzustimmen und ihn zu inspirieren. Geza Schön sagt, er habe den Buchduft schließlich aus dreizehn verschiedenen Rohstoffen kreiert.

„Siebzehn Versuche habe ich gebraucht“, berichtet er der „Süddeutschen Zeitung“, „die Basis aber war recht schnell fertig: Papier riecht industriell, trocken und fettig. Die Arbeit ging fix, weil das Ziel klar definiert war. Ich konnte gar nicht groß herumspielen.“

Er selbst habe den rohen Papiergeruch mit holzig-chemischer Note bevorzugt, doch auf Wunsch Steidls machte er den Duft durch Nuancen von Moschus und der Duftblüte Osmanthus tragbarer. „Es riecht trotzdem noch krass nach Buch“, so Schön. „Die Idee für den Buch-Duft stammte ursprünglich von den Machern des britischen Lifestyle-Magazins „Wallpaper“. Paper Passion war gar nicht als Parfüm gedacht, sondern eher als ein Duft für Buchliebhaber, die gelegentlich die Flasche aufschrauben und sich an dem Duft erfreuen. Aber ich kenne tatsächlich Leute, die sich mit Paper Passion einsprühen.“

Ein letzter Gedanke zu Büchern und ihrem ganz spezifischen Duft: Kunst- und Fotobände, also Bücher, die besonders ästhetisch und aufwändig gestaltet sind, sollten doch eigentlich auch der Nase gefallen, aber gerade sie riechen oftmals penetrant nach chemischen Stoffen, was unter anderem mit den dem Farbdruck zu tun hat. Je aufwändiger ein Buch gestaltet wird, umso häufiger wird dessen Geruch vernachlässigt.

Für den in Berlin lebenden dänischen Künstler Jeppe Hein haben wir einmal eines seiner Kunstbücher beduftet. „Sensing the world inside yourself“ lautet der Titel: „Nimm die Welt in dir selbst wahr“. Eine Seite des Buches trägt den Duft von Jeppes Heimat; er soll die Stille und Ruhe wiedergeben, die Jeppe spürt, wenn er in sein Haus auf dem Land zurückkehrt, wo es nach Wald, Wasser und Sommer riecht.

3. Warum wir mehr riechen sollten

Düfte wecken Erinnerungen und Wünsche, die uns und unser Verhalten beeinflussen. Düfte und Aromen erlauben uns, unsere Umwelt und unser Umfeld wiederzuerkennen. Riechen ist der einzige Sinnesreiz, der direkt mit dem limbischen System des menschlichen Gehirns verknüpft ist. In diesem Bereich entstehen Emotionen, und Erinnerungen werden dort gespeichert. Düfte beeinflussen Entscheidungen instinktiv, da diese Informationen nicht rational gefiltert werden. So haben sie unmittelbare Wirkung. Geruchsreize nehmen wir sogar schneller wahr als Seh- oder Hörreize. Und unser Geruchssinn ist enger mit unserem Erinnerungsvermögen verknüpft als jeder andere unserer Sinne.

Unsere Nase und ihre großartigen Fähigkeiten, all das, was sie zu leisten in der Lage ist, wird leider von vielen völlig unterschätzt. Die Nase spielt in unserem Alltag, egal ob privat oder beruflich, kaum eine Rolle. Topmanager, die für die Wahrnehmung ihres Unternehmens verantwortlich sind, haben das Thema Duft oftmals gar nicht erst auf ihrer Agenda. Beispiel Automobilindustrie: Der Kauf eines Autos ist immer eine sehr emotionale Entscheidung, auch wenn wir versuchen, sie rational zu begründen. Egal welche Motorleistung, wie hoch der Benzinverbrauch, wie lange die erwartete Lebensdauer – letztendlich entscheiden wir nach Optik, Image, Gefühl, nach sinnlichen Eindrücken – und das gilt für jede Preisklasse. Dieses Bewusstsein haben viele Unternehmen – noch – nicht. Am wenigsten wird an den Geruch eines Produktes gedacht. Und wenn doch, heißt das noch lange nicht, dass jeder Versuch, der Marke einen Duft zu verleihen, funktioniert. Ein deutscher Automobilkonzern wollte seine Neuwagen beduften lassen. Denn man konnte die Wagen zwar dank Sounddesigns und Haptik als Modelle dieser Marke erkennen, nicht aber aufgrund eines eigenen Markendufts! Das sollte sich ändern. Ein Duft wurde entworfen und die Neuwagenmodelle damit ausgestattet. Und dennoch roch jeder Wagen auch nach der neuen Beduftung völlig anders. Warum? Auch die im Wageninneren verarbeiteten Materialien wie Kunststoffe, Leder oder Hölzer geben alle ihre eigenen Düfte ab. Sie hätten eigens beduftet oder wenigstens in der Verarbeitung olfaktorisch optimiert werden müssen, um am Ende einen Gesamtduft für den Wagen kreieren zu können. Nur hatte daran niemand gedacht.

Aber auch in unserem alltäglichen Leben nutzen wir das vorhandene Potenzial unserer Nase nicht aus. Dabei kann uns der Geruchssinn gute Dienste leisten, die Nase begleitet uns ja stets. Sie kann uns helfen herauszufinden, wie es uns geht und in welcher Umgebung wir uns befinden. Sie kann uns warnen und auch berauschen. Immerhin atmen wir jeden Tag etwa 25 000 Mal ein und aus, mehr als zwölf Kubikmeter Luft saugen wir in die Lungen, und mit jedem Atemzug strömen Millionen Duftmoleküle in unsere Nase. Doch wir haben leider verlernt, uns bewusst riechend durch die Welt zu bewegen. Gleichzeitig aber werden wir in vielen Bereichen unseres Lebens immer häufiger durch Düfte und Gerüche beeinflusst.

Natürlich nehmen wir immer mit allen Sinnen wahr, unseren Geruchssinn schalten wir ja nicht ab, was auch nicht möglich wäre. Wir können unsere Nase schlecht verschließen, außer wir halten sie uns zu. Und wer nicht zu riechen in der Lage ist, der wird schnell feststellen, welche dramatischen Einbußen an Lebensqualität mit dem Verlust des Geruchssinns einhergehen. Unser Handeln wird geprägt und beeinflusst von allem, was wir um uns herum wahrnehmen – über alle Kanäle. Nur über das, was wir riechen, machen wir uns in der Regel nicht allzu viele Gedanken. Dagegen denken wir intensiv über das nach, was wir sehen, hören, fühlen und ertasten, und natürlich auch darüber, was wir schmecken. Schmecken und Riechen sind zwei sehr eng verbundene Sinne, aber das Riechen läuft eigentlich nur so nebenher. Dabei ist unser Geruchssinn der älteste aller Sinne. Die ersten bakteriellen Lebensformen auf der Erde fristeten ihr Dasein in der Ursuppe, wo es still und düster war. Um sich ernähren zu können, und später zur Partnersuche, waren sie auf einen Sinn angewiesen – aufs Riechen!

Kein Land der riechenden Dichter und Denker

Lange Zeit haben Dichter, Denker und Philosophen den Geruchssinn und seine Bedeutung regelrecht diskriminiert und ein Bild erzeugt, das diesem Sinn nicht gerecht wird.

Immanuel Kant fand in seiner „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, seiner letzten philosophischen Schrift, nur wenig schmeichelhafte Worte:

„Geruch ist gleichsam ein Geschmack in der Ferne, und andere werden gezwungen, mit zu genießen, sie mögen wollen oder nicht, und darum ist er als der Freiheit zuwider weniger gesellig als der Geschmack, wo unter vielen Schüsseln oder Bouteillen der Gast Eine nach seiner Behaglichkeit wählen kann, ohne dass Andere genöthigt werden, davon mit zu genießen …“

Nicht nur sieht Kant den Geruchssinn als der Freiheit zuwiderlaufend an, er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Welcher Organsinn ist der undankbarste und scheint auch der entbehrlichste zu sein? Der des Geruchs. Es belohnt nicht, ihn zu cultiviren oder wohl gar zu verfeinern, um zu genießen; denn es giebt mehr Gegenstände des Ekels (vornehmlich in volkreichern Örtern) als der Annehmlichkeit, die er verschaffen kann, und der Genuss durch diesen Sinn kann immer auch nur flüchtig und vorübergehend sein, wenn er vergnügen soll …“ Der Geruchssinn wird also als niederer Sinn eingeschätzt.

Wenig Aufbauendes liest man auch in den Schriften von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Für ihn ging der Bedeutungsverlust des Riechens einher mit der Entwicklung einer kriechenden Kreatur, am Boden schnüffelnd und aufs Riechen angewiesen, zum Menschen mit aufrechtem Gang, für den der Geruchssinn keine lebenswichtige Bedeutung mehr hat. In „Das Unbehagen in der Kultur“ (1930) schreibt Freud vom „Zurücktreten der Geruchsreize“ als Folge der „Abwendung des Menschen von der Erde“ und des „Entschlusses zum aufrechten Gang“. Das Riechen galt als ein Relikt der Vorzeit. Dennoch war Freud der Zusammenhang von Gerüchen und Psyche sehr wohl bewusst.

Auch Georges-Louis Leclerc de Buffon, ein französischer Naturforscher des 18. Jahrhunderts, nannte den Geruchssinn verächtlich einen Sinn der Animalität. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts nahm sich die forschende Welt des bis dahin unterschätzten Geruchssinns endlich ernsthaft an.

Von duftenden Banken und fremden Gesichtern

Düfte senden sehr starke Signale, ihre Botschaften gelangen unmittelbar in unser Unterbewusstsein. Das lässt sich beweisen. Setzt man bei einer Testreihe einen Duft ein, zeigen sich gravierende messbare Veränderungen in der Wahrnehmung im Vergleich zu exakt der gleichen Testsituation, bei der kein Duft verwendet wird. Hier das Beispiel einer Untersuchung, welche meine Mitarbeiter und ich im Auftrag einer Bank durchführten, die zu dem Zeitpunkt gerade ein neues Design bekommen hatte, neue Farben und einen neuen Look. Nun sollte ein passender Duft für die Bank kreiert und auf seine Wirkung hin getestet werden. Zunächst haben wir zwei Düfte entwickelt, die einer Reihe von Testpersonen präsentiert wurden. Die Probanden saßen vor einem Monitor, auf dem man ihnen ganz unterschiedliche Bilder – Farbmotive, Architekturfotos und anderes – zeigte. Unter Einfluss der beiden Düfte mussten die Probanden diese Bilder nun bewerten. Der Duft, unter dessen Einwirkung stärkere und positivere Aussagen getroffen wurden, kam in eine zweite Runde. Jetzt wurden Attribute der Bank abgefragt, einmal in einem Raum mit dem Duft und einmal in einem unbedufteten, um herauszufinden, ob der Duft überhaupt zu dem Finanzunternehmen passt. Nachdem der Duft auch diese Hürde genommen hatte, ging es in die dritte und letzte Runde des Tests: Jetzt wurden einige Bankfilialen beduftet, andere nicht. Danach wurden die Kunden aller Filialen Folgendes gefragt: Wie wirkt sich der neue Duft auf Ihre Wahrnehmung und Beurteilung der Bank aus? Hat er Einfluss auf Ihre Kundenzufriedenheit? In welcher Filiale haben Sie einen positiveren Eindruck von den Räumlichkeiten und den Mitarbeitern? Und würden Sie zum Beispiel Wartezeiten in einer bedufteten Filiale eher in Kauf nehmen als in einer ohne Duft? Das Ergebnis war erstaunlich. Bei den Befragungen, die wir mit dem Marktforschungsinstitut „isi“ durchführten, stellten wir fest, dass folgende Begriffe besonderes häufig in den bedufteten Filialen genannt wurden: „vertrauenswürdig“, „sympathisch“, „modern“. Auffallend war zudem, dass sich vor allem Bankkundinnen positiv angesprochen fühlten. Hierzu muss erklärt werden, dass Frauen generell sensibler auf Gerüche reagieren als Männer.

Als ich während der Testreihe eine der Bankfilialen besuchte, war ich selbst überrascht davon, wie sehr der Duft den Räumen einen ganz eigenen Charakter verlieh, obwohl er kaum wahrnehmbar war: sehr transparent und doch gleichzeitig energetisierend. Er vermittelte ein gutes Raumgefühl, ohne aufdringlich zu sein – und genau das ist es, was ein guter Raumduft erreichen sollte.

Auch das Ergebnis einer anderen Versuchsreihe, die wir 2014 ebenfalls mit „isi“ im Auftrag des ARD-Wirtschaftsmagazins „Plusminus“ durchführten, war spannend. Wir wollten der Frage nachgehen, ob ein Duft Auswirkungen darauf hat, ob wir eine fremde Person sympathisch finden oder nicht. 28 Männer und Frauen nahmen als Testpersonen an der Studie teil. Man setzte sie in einen Raum, jeweils in eine Kabine mit einem Computerbildschirm. Auf dem Monitor präsentierte man ihnen jeweils nur zwei Sekunden lang zwanzig Fotos von Gesichtern: zehn Männer und zehn Frauen, alt und jung, in zufälliger Reihenfolge. Unsere Probanden sollten nun in Sekundenschnelle entscheiden, wie sympathisch die Personen auf dem Bildschirm auf sie wirkten. Dafür konnten sie am Computer Sympathiepunkte auf einer Skala von eins bis neun verteilen. Die 28 Teilnehmer unterteilte man in zwei Gruppen: Bei der ersten war der Testraum ganz leicht und unaufdringlich mit einem Vanille-Karamell-Duft aromatisiert. Bei der zweiten Gruppe wurde kein Duft verwendet. Nach Beendigung des Tests wurden die Teilnehmer gefragt, ob ihnen denn im Raum irgendetwas etwas aufgefallen sei. Wenn sie verneinten, wurde nachgehakt, ob sie zum Beispiel einen Geruch wahrgenommen hätten. Alle Teilnehmer antworteten, sie hätten nichts gerochen. Eine Probandin meinte sogar, ausgerechnet einen Vanilleduft hätte sie garantiert gemerkt, denn „den mag ich überhaupt nicht“. Der Duft war also, wie erwünscht für den Versuch, kaum wahrnehmbar verteilt worden. Und dennoch kam die Studie zu dem Ergebnis, dass sich der kaum wahrnehmbare, angenehme Duft sehr positiv ausgewirkt hatte. „Die Teilnehmer der Gruppe im Duftraum fanden die fremden Gesichter signifikant – zu 20 Prozent – sympathischer als diejenigen, die die Fotos im unbedufteten Zimmer betrachtet hatten“, fasst Patrick Hehn von „isi“ das Ergebnis zusammen. Und was kann man mit diesem Ergebnis nun anfangen? Würde man den Duft, so Hehn weiter, zum Beispiel in einem Supermarkt verwenden, hätte das möglicherweise positive Auswirkungen auf die Atmosphäre. Als Kunde würde man das Verkaufs­personal als wesentlich freundlicher und sympathischer empfinden.

Wir sind visuelle Wesen

Würden unsere Testpersonen bewusster riechend ihr Umfeld wahrnehmen, dann wäre ihnen das Vanille-Karamell-Gemisch vermutlich aufgefallen. Wir wissen, das zeigen Studien wie diese, dass wir viel mehr riechen könnten, wenn wir nur wollten. Warum aber behandeln wir unsere Nase so stiefmütterlich? Die Antwort ist einfach: Wir werden stark durch visuelle Reize beeinflusst. Die Entwicklung hin zu einer Dominanz des Visuellen nahm ihren Anfang schon vor Jahrzehnten und hat in den vergangenen Jahren rasant an Fahrt gewonnen. Früher war es vor allem der heimische Fernseher, der uns medial prägte, heute sind wir rund um die Uhr und überall von Monitoren umgeben: Computerbildschirme, Tablets, Smartphones. Nie zuvor wurden wir so dauerberieselt wie heute. Informationen werden uns vor allem visuell vermittelt. Da passt das Ergebnis einer Umfrage aus dem Jahr 2011 unter 7 000 jungen Menschen aus aller Welt gut ins Bild, ob sie eher auf ihren Geruchssinn oder auf moderne Technologien wie Mobiltelefon, Computer, Tablets und digitale Plattformen wie Social Media verzichten würden. Von den Befragten entschieden sich 53 Prozent gegen den Geruchssinn. Mehr als die Hälfte der sogenannten Digital Natives, also die, die im digitalen Zeitalter groß geworden sind, würden lieber darauf verzichten zu riechen, als sich über Facebook und Instagram auszutauschen! Ein unfassbares Ergebnis, das aufzeigt, wie groß das Unwissen darüber ist, wie unverzichtbar die Nase für unser Leben ist. Der Parfümeur Geza Schön reagiert auf die Studie mit klaren Worten:

„Die Leute wissen gar nicht mehr, dass wir, wenn wir keinen Geruchssinn haben, auch nicht schmecken können. Ohne das Riechen macht nichts mehr Spaß, das Essen nicht und der Sex auch nicht. Wir sind rein intellektuelle und visuelle Geschöpfe, die es bald schaffen werden, das Riechen in die Tonne zu treten und als null und nichtig abzustempeln.“

Können wir noch Gefahren riechen?

Verlernt haben wir auch, Gefahren zu riechen, denen unsere Vorfahren noch ausgesetzt waren. Die Zeiten haben sich geändert. Die wenigen gefährlichen Tiere, denen wir in unseren Wäldern noch begegnen könnten, müssen wir kaum mehr fürchten. Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, sie zu riechen oder zu wittern. Auch wenn der Wolf sich gerade wieder breitmacht, ich kenne niemanden, der ihm in freier Wildbahn begegnet ist. Und könnten Sie ihn im Zweifelsfall am Geruch erkennen? Wohl kaum, allein die Frage klingt lachhaft.

Es gibt viele Alltagssituationen, in denen die Notwendigkeit des Riechens an Bedeutung verloren hat. Oder besser gesagt: Sie wurde uns abgenommen. Sind Sie zum Beispiel in der Lage, eine Krankheit zu erriechen? Können Sie eine brenzlige Situation erschnuppern?

„Ja, natürlich rieche ich es, wenn Gas ausströmt“, werden viele jetzt sagen. Aber sind Sie sicher, dass Ihre Kinder jemals Gas gerochen haben und die Gefahr erkennen würden?

Das heute verwendete Erdgas selbst hat übrigens keinen eigenen Geruch. Um die Menschen zu warnen, wenn beispielsweise eine Leitung undicht ist, wird Gas mit sogenannten Odoriermitteln – geruchsintensive Substanzen – parfümiert. Wichtig dabei ist, dass man für das Gas einen Geruch wählt, der uns nicht aus dem Alltag, aus Küche und Haushalt, bekannt vorkommt, sondern einen, der aufschreckt, um den Warneffekt zu erzielen. Seit 2001 riecht unser Gas meistens nach dem schwefelfreien „Gasodor S-Free“ – einem Acrylatgemisch, das nach Lösungsmitteln stinkt. Einziger Haken: Früher roch Gas eher nach faulen Eiern. Wer den alten Geruch abgespeichert hat, könnte womöglich die Feuerwehr zu spät alarmieren.

Während uns der Gasgeruch also die Information „Gefahr“ vermittelt, wird uns das Riechen beim Thema Ernährung und Lebensmittel weitestgehend abgenommen. Wir laufen weder Gefahr, verdorbene Lebensmittel zu kaufen, noch sie zu verzehren, solange sie abgepackt und mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum bedruckt sind. Das mag hilfreich sein, aber „Mindestens haltbar bis …“ bedeutet längst nicht, dass Lebensmittel nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums schlagartig schlecht und ungenießbar sind. Was landet nicht alles im Müll, nur weil das Datum um einen Tag überschritten wurde? Eine Studie des WWF – „Das große Wegschmeißen“ – kam zu dem Ergebnis, dass die Deutschen mehr als 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Jahr wegwerfen, was fast einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs von über 54 Millionen Tonnen entspricht. Der überwiegende Teil der so entsorgten Lebensmittel – fast 10 Millionen Tonnen – wäre vermeidbar, unter anderem durch veränderte Konsumgewohnheiten. Mein Tipp: Dem eigenen Geruchssinn bei Lebensmitteln vertrauen! Riecht das Produkt auch nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums noch gut oder ist es tatsächlich hinüber? Klar, was komisch riecht, muss entsorgt werden. Ich jedenfalls mache den Geruchstest, bevor ich abgelaufene Lebensmittel in die Tonne werfe. Anschauen, anfassen und riechen – durch den sinnlichen Umgang mit dem, was wir zu uns nehmen, erleben wir unser Essen unmittelbarer. Das gilt besonders für den Kauf von Obst und Gemüse, im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt. Ich entscheide dort nicht nur nach dem, was ich sehe, sondern vor allem nach dem Eindruck meiner Nase.

Auch andere Produkte, die uns tagtäglich umgeben, sollten wir immer einem Geruchstest unterziehen. Wenn etwas sehr stark nach Kunststoff riecht, liegt das möglicherweise daran, dass chemische Substanzen ausgedünstet werden, die schädlich sein können. Bei Textilien zum Beispiel, die einen unangenehmen chemischen Geruch haben, sollte man vorsichtig sein. Bei der Textilproduktion kommen zahlreiche Chemikalien zum Einsatz, bis das fertige Kleidungsstück in den Handel gelangt. Viele Substanzen werden schon während der Produktion herausgewaschen, dennoch bleibt oft ein typischer chemischer Geruch zurück.

„Das können Rückstände von Chemikalien aus dem Herstellungsprozess sein oder Substanzen, die am Ende aufgebracht werden, um den Textilien bestimmte Eigenschaften zu verleihen“, so Sandra Papes, Ökotoxikologin bei der Umweltberatung Wien. Der Geruch könne ein erster Hinweis für den Einsatz von Chemikalien sein, doch über die Schädlichkeit der Substanzen selbst sage dieser noch nichts aus, erklärt Papes. Man könne bestimmte Substanzen wahrnehmen, andere aber wieder nicht. „Also heißt kein Geruch nicht automatisch, dass keine Schadstoffe enthalten sind.“ Denn manche Substanzen, die bedenklich sein können, würden speziell dafür verwendet, dass Kleidung keinen schlechten Geruch annimmt, und riechen selbst nicht. Trotzdem sollte man extrem stinkende Kleidungsstücke oder Schuhe lieber nicht kaufen.

Seiner Nase mehr zu vertrauen kann also in vielen Situationen des Alltags hilfreich sein. Bewusst riechen, Gerüche erkennen und richtig einschätzen. Es ist nicht schwer! Man riecht ja auch, wenn der Apfelkuchen im Backofen fertig ist.

Wie rieche ich eigentlich?

Wir geben Milliarden für Düfte im kosmetischen Bereich aus, aber wissen wir eigentlich, wie wir selbst riechen? Wie ist unser Körpergeruch? Mögen wir ihn? Wie riecht unsere Partnerin oder unser Partner? Wie riechen die eigenen Kinder und wie unsere Eltern? Ob Mann und Frau sich riechen können oder nicht, ist immerhin entscheidend dafür, ob sie zusammenkommen und gesunde Kinder bekommen können. Denn nur wenn Mann und Frau sich im wahrsten Sinne des Wortes gut riechen können, wenn also das Immunsystemprofil von Mann und Frau, das über den Geruch vermittelt wird, zusammenpassen, hat eine Partnerschaft eine Zukunft. Vertraue deinem Geruchssinn auch beim nächsten Date!

Und Ihr eigenes Zuhause – wie riecht es eigentlich da? Es lohnt sich, dem Geruch in den eigenen vier Wänden einmal nachzuspüren. Wir selber nehmen den Duft unseres Zuhauses gar nicht mehr wahr, weil wir uns daran gewöhnt haben. Erst nachdem wir länger verreist waren und danach zurück in unsere Wohnung kommen, erkennen wir unseren individuellen Wohngeruch. Stellen Sie sich nur mal vor, wie es für Sie ist, wenn Sie zu jemandem zu Besuch kommen. Denken wir nicht manchmal, hier riecht es aber komisch, irgendwie nicht gut. Ob wir uns in Räumen wohlfühlen, hängt ganz entscheidend davon ab, ob uns der Geruch dort gefällt. Möglicherweise haben Ihre Besucher das gleiche Empfinden bei Ihnen zu Hause.

Plädoyer für die Nase

Dass ich alle fünf Sinne beisammen habe, anders gesagt, dass ich meine Nase nicht lieblos behandle, liegt auf der Hand. Ich rieche für mein Leben gern. Welche Düfte mir die liebsten sind, kann ich auf Anhieb nicht sagen. Die Abwechslung macht’s. Ich freue mich jeden Morgen, wenn ich in mein Büro komme, denn dort riecht es immer nach dem, woran ich gerade arbeite. Im Moment ist das ein Duft, den wir für die Telekom entwickelt haben. „Wie, bitte schön, riecht denn ein Telekommunikationsunternehmen?“, werden sich einige nun fragen. Wenn wir für ein Unternehmen einen passenden Duft kreieren sollen, bekommen wir davor meist eine Reihe von Vorgaben: Begriffe, mit denen die Kunden die Marke verbinden sollen. Der Rest bleibt uns und unserer Kreativität überlassen. Der Duft für die Telekom sollte aktivierend sein, zur Farbe Magenta passen und er sollte – ganz wichtig – nahbar wirken. Diese Aussagen versuchten wir in Duftstoffe zu übersetzen. Der Duft, der dabei entstand, hat eine holzige Note und mutet fast ein bisschen orientalisch an. Er vermittelt ein sehr wohliges Gefühl, ohne einschläfernd zu sein – im Gegenteil. Er riecht vertraut, ein Duft wie ein Freund, der einem sehr nahe ist. Wir haben ihn mit dem Parfümeur Geza Schön entworfen. Aber wundern Sie sich jetzt nicht, wenn Sie das nächste Mal in einen Telekom-Shop gehen und es dort nicht so riecht, wie ich es beschrieben habe. Bislang lässt die Telekom nur einige Filialen im Ausland, nicht aber in Deutschland beduften.

Warum riecht die eine Marke so, die andere ganz anders? Was sind die Kriterien, nach denen ein passender Duft für ein bestimmtes Produkt ausgewählt wird? Muss ein teures Auto auch teuer riechen, und wie riecht „teuer“ überhaupt? Verbessern wir tatsächlich unsere Lebensqualität, indem wir uns mit den richtigen Düften umgeben? Meiner Meinung nach sind das wichtige Fragen.

Das Wissen, das ich mir im Laufe meiner Berufslaufbahn über die Welt der Düfte angeeignet habe, möchte ich Ihnen weitergeben und Sie damit zu einem bewussteren Umgang mit Ihrem Geruchssinn animieren. Ich wünsche mir, dass wir alle unsere Sinne schärfen. Dass wir darüber nachdenken, was wir riechen. Und dass die Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Düften, wie sie mir in meiner Arbeit regelmäßig begegnen, abgebaut werden. Der Vorwurf der Manipulation zum Beispiel steht schnell im Raum. Niemand möchte durch Düfte in Geschäften oder im öffentlichen Leben manipuliert werden. Auch ich nicht. Das Gefühl der Manipulation haben viele Menschen aber gerade deswegen, weil sie verlernt haben, ihre Nase einzusetzen und ihrem Geruchssinn zu vertrauen. Wer bewusst riecht, den kann man nicht manipulieren. Der bekannte Duftforscher Professor Hanns Hatt bringt es auf den Punkt, wenn er sagt:

„Wir haben das Riechen zum Tabuthema erklärt: Man darf Menschen anschauen, man darf sie ansprechen, man hört ihnen zu, aber man darf nicht an Menschen riechen. Das hat etwas Intimes, das gehört sich nicht. Und dann gibt es den Vorwurf der Manipulation. Überall wo ich gehe und stehe, sind Düfte im Raum. Es gibt keine duftleeren Räume. Und jeder Duft, den ich selber verwende, ist eine Form der Manipulation. Wenn ich mich mit einem Parfüm bedufte, mache ich das meist nicht für mich, sondern für andere. Wir müssen einfach langsam merken, dass Riechen etwas Wunderbares ist und dass wir sehr gut im Riechen sein können, wenn wir es nur wollen.“

1. Der Geruch meiner Kindheit: die Dünen von Comillas

Kennen Sie das auch? Sie schlendern durch eine fremde Stadt, denken an nichts Besonderes, und plötzlich, nur für den Bruchteil einer Sekunde, riechen Sie durch die geöffnete Tür eines Restaurants oder Ladenlokals einen bestimmten Geruch, ganz zart und eigentlich kaum wahrnehmbar, und dennoch genügt der Duft, um Ihre Erinnerungen an ein bestimmtes Erlebnis wachzurufen, das vielleicht Jahre, manchmal Jahrzehnte zurückliegt. Plötzlich sitzen Sie wieder am Küchentisch Ihrer Großmutter, wo es nach selbstgemachtem Apfelkuchen roch. Während ich das aufschreibe, denke ich an den Geruch des Kaiserschmarrns meiner Mutter – der duftete nach Butter und Karamell. Allein der Gedanke daran lässt mir heute noch das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Düfte wecken Erinnerungen – an schöne Momente, aber auch an weniger schöne. Sie haben die Macht, die unterschiedlichsten Gefühle in uns zu wecken: Liebe, Vertrautheit, Geborgenheit, aber auch Angst, Beklemmung, Unwohlsein. Schon der griechische Philosoph Aristoteles wusste: „Der Mensch riecht Riechbares nicht, ohne ein Gefühl des Unangenehmen oder Lustvollen zu empfinden.“ Keine Dufterinnerung geht verloren – wir haben nur verlernt, sie bewusst abzurufen.

Wenn man mich nach dem Duft meiner Kindheit fragt, dann denke ich sofort zurück an die Dünen von Comillas, einem kleinen Ort an der Costa Verde, der grünen Küste im Norden Spaniens. Die ersten zehn Jahre meines Lebens fuhr ich mit meinen Eltern in den Sommerferien dorthin. Bei Comillas gibt es einen besonders schönen Strandabschnitt, den wir eines Tages entdeckten. Unseren Wagen parkten wir an einer kleinen Straße unterhalb der hohen Dünen, und sobald ich die Autotür öffnen durfte, sprang ich hinaus und rannte, so schnell es ging, die Sandhügel hinauf, wo Dünengräser und eine Art Weidekraut wuchsen, die mir die Sicht auf das Meer versperrten. Doch noch bevor ich es sehen konnte, roch ich es – das Meer, das Salz, den warmen Sand. Und je tiefer ich in die Dünenlandschaft kam, umso intensiver wurde der Geruch.

Nun sind Düfte seit Jahrzehnten mein tägliches Brot, aber dieses Aroma der Dünen von Comillas war etwas ganz Besonderes, eine einzigartige, prägnante Duftkomposition. Wenn ich die Augen schließe und an den Geruch denke, habe ich ihn sofort vor mir und ich fühle mich zurückversetzt in die Sommerferien.

Viele Jahre später ist mir der Duft wiederbegegnet – an einem ganz anderen Flecken der Welt, völlig überraschend und unerwartet, an einem Strand in Uruguay. Fremde Länder und Kulturen inspirieren mich zu neuen Duftkreationen, denn jedes Land, jede Kultur hat eine individuelle Duftidentität, auch davon werde ich noch berichten. Doch zurück an den Strand in Uruguay. Auf allen meinen Reisen war dies der einzige Ort, an dem es so roch wie damals in Comillas. Ich habe später einmal versucht, diesen Geruch in unserem Labor herzustellen, aber es wollte mir nicht gelingen. Vielleicht weil es ein sehr komplexer Duft ist, bei dem – wie so oft bei außergewöhnlichen Düften – viele verschiedene Komponenten zusammenkommen. Hier waren es die Dünengräser, das Heidekraut, die Aromen von Süß- und Salzwasser. Comillas liegt an der Mündung des Rabia in den Atlantik. Durch Ebbe und Flut tauschen sich dort im steten Wechsel Salz- und Süßwasser aus. Und nicht zu vergessen der Geruch des warmen Sandes. Ja, alles riecht, ein Stein ebenso wie ein Stück Holz, Metall ebenso wie der Mensch. Lediglich die Intensität des Geruchs, den Materie absondert, unterscheidet sich. Je dichter ein Stoff, desto weniger Duft gibt er letztlich ab.

Neben Nordspanien gibt es noch zwei andere frühe Dufterinnerungen, die für mich prägend waren. Da sind die Weinberge an der Mosel, wo ich als Kind während der Ferien bei der Weinlese helfen durfte. Den Geruch, der mir beim Traubenpflücken in die Nase stieg und an den Fingern haften blieb, das Aroma aufgeplatzter Trauben, die langsam braun wurden, werde ich ebenso wenig vergessen wie das Duftgemisch im Weinkeller: Maische, Alkohol und altes Steingemäuer.