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Wald ohne uns

Von Gesa Gottschalk

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Waldsterben

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Wald ohne uns

Nur selten dürfen Bäume in Deutschland machen, was sie wollen. Wachsen, kämpfen, kippen, sterben – und wieder zu Erde werden. An einigen Orten aber hält der Mensch sich heraus, schaut zu, zählt Käfer. Dort entsteht wieder Urwald: ein unverzichtbarer Lebensraum

Von Gesa Gottschalk

Ich habe den Wald gesucht. In einem Land, das zu einem Drittel von Bäumen bedeckt ist, das die Waldeinsamkeit erfunden hat und den Waldzustandsbericht. In dem mehr als 700.000 Menschen ihr Geld mit Holz verdienen und jedes Jahr mehr als 120 Milliarden Euro damit umsetzen. Ich habe in Deutschland den Wald gesucht, und es war überraschend schwierig.

Denn ich wollte nicht einfach einen Ort finden, an dem viele Bäume wachsen. Den erreiche ich selbst aus der baumarmen Hamburger Innenstadt problemlos in einer Viertelstunde. Durch diesen Wald joggen oder spazieren wir, er huscht an unserem Zugfenster vorbei. Manchmal tritt er als Fichtenmonokultur auf, immer häufiger als „naturnaher Mischwald“ – doch ganz gleich, ob seine Bäume im Kahlschlag fallen oder einzeln, ob sie sich selbst aussäen dürfen oder gepflanzt werden, ob ein Traktor oder ein Arbeitspferd die Stämme herauszieht: Dieser Wald wirkt zwar natürlich. In Wahrheit aber schafft ihn der Mensch. Er entscheidet, welche Bäume sterben und welche leben, wo sie wachsen und wie.

Ich habe den deutschen Urwald gesucht – und der ist eine Illusion, egal was die Werbebroschüren von Nationalparks behaupten. Es gibt keinen Flecken, der noch unberührt wäre von des Menschen Hand, auf dem nie jemand gejagt, nie jemand gerodet, nicht einmal Brennholz gesammelt oder seine Schweine gemästet hat. Seit 10.000 Jahren haben hier immer Menschen gewohnt, haben gepflügt und geerntet, Hütten und Städte gebaut, Schiffsmasten geschlagen, nach Gold gegraben und Holz zu Kohle verschwelt.

Immerhin 1,9 Prozent des deutschen Waldes aber sind inzwischen dauerhaft aus der Nutzung genommen: ein Fünfzigstel, auf das der Mensch keinen Einfluss hat. Ein Hauch Wildnis, die nach ihren eigenen Gesetzen funktioniert, nicht unterscheidet zwischen gut und böse, wertvoll und wertlos, schön und hässlich.

Manche dieser Flächen lässt der Mensch in Ruhe, weil es zu mühsam wäre, sie zu bewirtschaften: Wälder an Steilhängen oder in Mooren. Die meisten aber gehören dem Staat, liegen in Biosphärenreservaten oder Nationalparks. Eigentlich wollte die Bundesregierung ihren Anteil bis 2020 auf fünf Prozent erhöhen – doch ist bereits klar, dass sie dieses Ziel nicht erreichen wird.