MICHEL PARRY/

MILTON SUBOTSKY (Hrsg.)

 

SEX IM 21. JAHRHUNDERT

 

 

 

 

Erzählungen

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 15

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Zeichen der Zukunft – Ein Vorwort von Michel Parry und Milton Subotsky 

 

NIE WIEDER DRÜCKEN! von Robert Silverberg 

EIN ODER ZWEI TRICKS von John Novotny 

SPÜREN SIE ETWAS, WENN ICH DAS MACHE? von Robert Sheckley 

IN DER GRUPPE von Robert Silverberg 

DER BUCKLIGE von Charles Beaumont 

LIEBE, WAS IST DAS? von Isaac Asimov 

EIN SPIEL FÜR EIN MOTELZIMMER von Fritz Leiber 

DER PERFEKTE GENTLEMAN von R. J. McGregor 

LOVE, INC. von Robert Sheckley 

DIE VANA von Alain Dorémieux 

EIN AUSWEG von Miriam Allen deFord 

 

Das Buch

 

 

Was Sie schon immer über Ihre sexuelle Zukunft wissen wollten...

Kann man seine Verführungskünste durch paranormale Kräfte steigern?

Gruppensex über eine Entfernung von fünfhundert Kilometern durch ein Computer-Interface...

Wie treiben es die Außerirdischen?

Keine Probleme mehr zwischen den Geschlechtern, sobald sich Unisex durchgesetzt hat...

Wird so unser Liebesleben im 21. Jahrhundert aussehen?

 

Dieser Klassiker unter den Science-Fiction-Anthologien - erstmals erschienen im Jahr 1979 - enthält elf internationale Spitzen-Erzählungen von Robert Silverberg, Issac Asimov, John Novotny, Robert Sheckley, Charles Beaumont, Fritz Leiber, R.J. McGregor, Alain Dorémineux und Miriam Allen deFord.

  Zeichen der Zukunft –

  Ein Vorwort von Michel Parry und Milton Subotsky

 

 

 

Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie würden gegen Ende des 22. Jahrhunderts Soziologie studieren, und die Vorlesung wird von einem berühmten Professor aus einer fernen Galaxis gehalten. Er/sie/es spricht über die sexuellen Probleme der Bewohner von Terra III im goldenen 21. Jahrhundert. Insbesondere geht er auf jene Bemühungen ein, die die damalige Weltregierung unternahm, um diese Probleme zu lösen, und welchen Erfolg sie dabei hatte.

Zur Veranschaulichung werden verschiedene Beispiele angeführt. Nicht mehr drücken handelt von der jugendlichen Form sexueller Begierde am Anfang des 21. Jahrhunderts. Die Person, von der diese Episode handelt, unterscheidet sich ein wenig vom Rest der Menschheit. Was wird passieren, wenn sich dieser Mensch des Unterschieds bewusst wird?

Sexualkunde-Unterricht allein scheint nicht zu genügen. Vielleicht benötigt die Menschheit ganz andere Mittel, um endlich Befriedigung finden zu können. Wie wäre es, wenn jeder Mensch Ein oder zwei Tricks auf Lager hätte?

Mechanische Stimulanzien tauchten bereits im zwanzigsten Jahrhundert auf. Aber einen Staubsauger, der jeder Hausfrau gefällt, gibt es doch erst ein Jahrhundert später. Spüren Sie etwas, wenn ich das mache? führt uns dieses Wunderwerk vor.

Jeder Reiz verblasst mit der Zeit. In der Mitte des 21. Jahrhunderts hatte man gehofft, ein System gefunden zu haben, durch das jedes Individuum vollkommene sexuelle Erfüllung findet. Aber einer In der Gruppe tanzt aus der Reihe.

Vielleicht resultieren alle Probleme nur daraus, dass es zwei verschiedene Geschlechter gibt. Wenn es zum Beispiel nur noch eines gäbe, wäre wahrscheinlich alles in Ordnung. Es müsste nur per Gesetz geregelt werden. Der Bucklige zeigt uns, wie das funktionierte.

Als in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts Wesen von einem anderen Planeten auf die Erde kamen, wollten sie natürlich auch die sexuellen Praktiken der dort dominanten Spezies erforschen. Liebe - was ist das? fragten sie sich und suchten auch gleich nach einer Antwort.

Sobald der dritte Planet jener Sonne in unserer relativ kleinen Galaxis erst einmal entdeckt war, wollten auch Besucher aus weiter entfernten Teilen des Alls seine sexuellen Attraktionen auskosten. Aber Ein Spiel für ein Motelzimmer verdeutlicht, dass das nicht immer ganz ungefährlich war.

Es dauerte nicht lang, und die Erdbewohner reisten selbst in die fernsten Ecken des Universums. Und mit diesen Reisen tauchten neue Probleme auf. Ein Mädchen, das sich alleine auf eine Raumreise begibt, kann leicht von Fremden belästigt werden. Aber sie hat ja die Möglichkeit, sich selbst einen Mann zu erschaffen, der ihren Ansprüchen genügt. Nur weiß nicht jedes junge Mädchen, wie Der perfekte Gentleman aussehen soll - und zumindest eines entdeckte, dass man mehr als ein Paar Hosen braucht, um einen Mann zu erschaffen.

Ferien bedeuten Freiheit, oft auch sexuelle. Gegen Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts war Terra III zum idealen Ferienplaneten geworden, und viele Besucher kamen nur, um die Dienste von Love, Inc. in Anspruch nehmen zu können.

Manchmal ängstigten sich die Bewohner von Terra III vor imaginären Katastrophen. Angenommen, sagten sie sich, eine geheimnisvolle Krankheit würde alle Frauen des Planeten töten, würden die einsamen Männer dann einen Ersatz finden können, wie zum Beispiel Die Vana? Und was wäre, wenn sich herausstellen sollte, dass der Ersatz mörderischer war als die vorherige Einsamkeit?

In der letzten Dekade des einundzwanzigsten Jahrhunderts waren intergalaktische Reisen alltäglich geworden. Terra III schickte Botschafter zu fremden Planeten, und diese wiederum schickten ihre Botschafter zu uns. Meistens waren sie glücklich, überhaupt hier sein zu dürfen. Aber wenn es darum ging, sexuelle Methoden auszuprobieren, die ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack waren, hatte ihre Regierung dann Verständnis für den Ausweg?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  NIE WIEDER DRÜCKEN! von Robert Silverberg

 

 

 

Ich drücke... und der Schuh bewegt sich. Sehen Sie mal! Er bewegt sich wirklich! Alles, was ich zu tun brauche, ist ein stummer, innerer Anstoß, keine Hände, einfach aus dem Kern meines Geistes hinausgreifen, und mein alter, schiefgelaufener brauner Schuh, der linke, rutscht langsam über den Boden meines Schlafzimmers. Vorbei am Stuhl, vorbei am Stapel zerlesener Schulbücher - Geometrie, Spanisch im zweiten Jahr, Bürgerkunde, Biologie, etc. -, vorbei am verschwitzten Bündel hingeworfener Kleidung. Der Schuh gehorcht mir tatsächlich. Ein leises Wischen, als er über die unebenen alten Linoleumfliesen gleitet. Schaut, wie er sanft an die gegenüberliegende Wand stößt, sich auf die Kante stellt und zum Stillstand kommt. Seine Reise ist beendet. Ich wette, ich könnte ihn an der Wand hochklettern lassen. Aber mach dir die Mühe jetzt nicht, Mann. Nicht jetzt gleich. Das ist harte Arbeit. Entspann dich, Harry. Deine Arme zittern. Du schwitzt am ganzen Körper. Mach es dir eine Weile bequem. Du brauchst nicht alles auf einmal zu beweisen.

Was habe ich überhaupt bewiesen?

Es hat ganz den Anschein, dass ich mit dem Denken Gegenstände in Bewegung versetzen kann. Wie ist es damit, Mann? Hast du dir je vorgestellt, dass du über ausgefallene Kräfte verfügst? Nicht bis eben zu diesem Abend. Diesem lausigen Abend. Als du mit Cindy Klein dagestanden und den schrecklichen Knoten pulsierender Spannung in den Lenden gespürt hast, so, als müsstest du dein Wasser abschlagen, aber fünfzigmal schlimmer, eine Zone der Qual, die irgendeine Art unheimlicher Energie ausstrahlte, wie ein irrer Dynamo in meinem Körper. Und plötzlich, ohne bewusste Wahrnehmung, findest du einen Weg, diese Energie anzuzapfen, sie durch den Körper hochzuziehen in den Kopf, zu verstärken und... zu gebrauchen. Wie eben bei dem Schuh. Wie ein paar Stunden vorher mit Cindy. Du bist also nicht bloß ein dummer, ungeschickter Halbwüchsiger, Harry Blaufeld. Du bist etwas ganz Besonderes.

Du hast Macht. Du bist potent.

Wie gut es doch ist, allein in meinem muffigen Schlafzimmer zu liegen und den Schuh über den Boden rutschen lassen zu können, einfach, indem ich ihn auf diese besondere Weise ansehe. Das Gefühl der Stärke, das ich daraus ziehe! Ungeheuer. Ich bin potent. Ich habe Macht. Das bedeutet potent sein, Macht zu haben, aus dem lateinischen potentia, abgeleitet aus posse. Können. Fähig sein. Ich bin fähig. Ich kann diese ganz außerordentliche Leistung vollbringen. Und nicht nur in kurzen, unvorhersehbaren Stößen. Ich habe das unter bewusster Kontrolle. Alles, was ich zu tun habe, ist, in dieses Spannungsreservoir zu greifen und ein paar Schübe abzuschöpfen. Enorm! Was für ein seltsamer Abend das ist.

 

Gehen wir drei Stunden zurück. Zu einer Zeit, als ich von dieser potentia noch keine Ahnung hatte. Vor drei Stunden war ich vor allem eines: geil. Ich stehe um halb elf mit Cindy vor ihrer Tür. Wir sind ins Kino gegangen, wir haben hinterher einen Cappuccino getrunken, und jetzt will ich bei ihr zum Ziel kommen. Ich will ins Haus gebeten werden, weil ich weiß, dass ihre Eltern übers Wochenende weggefahren sind und keiner da ist außer ihrem großen Bruder, der heute Nacht bei seiner Freundin in Scarsdale ist und noch Stunden wegbleibt, und wenn ich erst einmal durch die Tür bin, hoffe ich, dass ich, na, hineingebeten werde. Welch eine gezierte Metapher! Sie wissen, was ich meine. Ein dreifaches Hoch also auf Casanova Blaufeld, der an starker jungfräulicher Entflammung leidet. Seht mich an, wie ich stammle, nach Worten suche, von einem Bein auf das andere trete, an den Lippen kaue, wie ich rot werde. Alle meine Pickel leuchten auf wie Funkfeuer, wenn ich rot werde. Los, Blaufeld, nimm dich zusammen. Leg dir ein anderes Image zu. Versuch es damit: du bist 23 Jahre alt, hochgewachsen, kräftig, selbstsicher, ein Mann von Welt, Veteran so vieler Betten, dass du sie nicht mehr zählen kannst. Buschiger Bart, in den die Mädchen gern mit den Händen hineinfahren. Großer Schnauzbart. Und du verlangst keine Gefälligkeit von ihr. Du winselst und flehst nicht und sagst, bitte, Cindy, machen wir's doch, weil du weißt, dass du nicht bitte zu sagen brauchst. Es ist keine Gnade, die du erbittest: Du gibst genauso gut, wie du bekommst, klar, also haben beide Teile was davon, nicht? Nicht? Falsch. Du bist so selbstsicher wie ein Ferkel. Du möchtest sie für deine schmutzigen Bedürfnisse ausnutzen. Du weißt, dass du ungeschickt sein wirst. Aber tu wenigstens so. Schultern straff, Bauch einziehen, Brust heraus. Harry Blaufeld, der teuflische Verführer. Als erstes die Hände an ihren Pulli. Niemand ist in der Nähe; die Nacht ist dunkel. Greif nach den Titten, mach sie heiß. Hat dir nicht Jimmy, der Grieche, gesagt, dass du das tun sollst? Du versuchst es also. Dumm grinsend, während du dich mit den Augen praktisch entschuldigst. Zugreifen. Die gierigen Finger berühren den flauschigen, roten Stoff.

Ihr Gesicht gerötet und großäugig. Ihr Mund dünnlippig und breit. Ihre Stimme rau und scharf. Sie sagt: »Sei nicht widerlich, Harry. Sei nicht albern.« Albern! Weicht vor mir zurück, als sei ich ein Ungeheuer mit acht Augen und grünen Fangzähnen. Sei nicht widerlich. Sie versucht schnell ins Haus zu schlüpfen, bevor ich wieder an ihr herumfummeln kann. Ich stehe da und sehe, wie sie nach dem Schlüssel sucht, und in mir steigt dieser furchtbare Zorn auf. Warum widerlich? Warum albern? Alles, was ich wollte, war doch, ihr meine Liebe zu zeigen, oder? Dass sie mir wirklich etwas bedeutet, dass ich mich mit ihr verstehe. Beweis der Zuneigung durch körperlichen Kontakt. Richtig? Also griff ich hin. Eine kleine Zärtlichkeit. Vorspiel zu zarter Intimität. »Sei nicht widerlich«, sagte sie. »Sei nicht albern.« Das banale kleine unreife Ding. Und jetzt spüre ich, wie die Wut sich steigert. Unten zwischen meinen Beinen ist dieser grässliche Schmerz, diese pulsierende Empfindung von Qual, diese rein sexuelle Spannung, und sie ergießt sich in meinen Bauch, breitet sich in mir aus wie ein Flammenstrom. Irgendwo in mir ist ein Damm gebrochen. Ich spüre Feuer unter meiner Schädeldecke. Und da ist sie! Die Macht! Die Kraft! Ich befrage sie nicht. Ich frage mich nicht, was sie ist oder wo sie herkommt. Ich stoße sie einfach, ganz hart, aus drei Meter Entfernung, ein schneller, heftiger Stoß. Es ist wie eine unsichtbare Hand an ihren Brüsten - ich kann sehen, wie der Pulli vorne flachgepresst wird - und sie kippt nach hinten, greift in die Luft und fällt auf den Hintern. Ich habe sie umgestoßen, ohne sie zu berühren. »Harry«, lallt sie. »Harry?«

Meine Wut ist verraucht. Jetzt bin ich entsetzt. Was habe ich getan? Und wie? Wie? Platt auf den Hintern, rrumms. Aus drei Metern Entfernung!

Ich renne den ganzen Weg nach Hause und schaue mich nicht um.

 

Schritte im Flur, klickedi-klack. Meine Schwester ist von ihrem Rendezvous mit Jimmy, dem Griechen, zurück. So heißt er gar nicht. In Wirklichkeit heißt er Aristides Pappas. Ari, nennt sie ihn. Ich nenne ihn Jimmy, den Griechen, aber nicht vor ihm. Er ist 2,10 m groß, mit schwarzen, öligen Haaren und einer riesigen Nase, die direkt aus seiner Stirn entspringt. Er ist 27 Jahre alt und hat tausend Mädchen vernascht. Sara wird ihn nächstes Jahr heiraten. Inzwischen sehen sie einander drei Abende in der Woche und schlafen oft miteinander. Sie hat nie ein Wort darüber zu mir gesagt, über ihren Verkehr, aber ich weiß Bescheid. Natürlich treiben sie's. Warum auch nicht? Sie werden ja heiraten, nicht? Und sie sind erwachsen. Sie ist 19 Jahre alt, also tut sie's legal. Ich werde erst in vier Jahren und vier Monaten 19. Für mich ist es jetzt legal, denke ich. Wenn ich nur. Wenn ich nur jemanden hätte. Wenn ich nur.

Sie geht in ihr Zimmer. Klunck. Ihre Tür. Es ist ihr egal, ob die ganze Familie aufwacht. Was kann sie das stören? Sie ist aufgeputscht. Sie schwelgt in den Erinnerungen an das, was sie mit Jimmy, dem Griechen, eben gemacht hat. In diesem warmen Gefühl. Nachglühen, steht im Buch.

Ich möchte wissen, wie sie es machen, wenn sie es machen.

Sie gehen in seine Wohnung. Ziehen sie sich zuerst ganz aus? Unterhalten sie sich, bevor sie anfangen? Trinken sie etwas? Rauchen sie Hasch? Sara behauptet, sie raucht kein Hasch. Ich wette, sie schwindelt mich an. Sie sind nackt. Mein Gott, er ist so groß, er muss ein Riesending haben. Erschreckt sie das nicht? Sie legen sich auf das Bett. Oder auf ein Sofa. Vielleicht auf den Boden? Einen dicken, flauschigen Teppich? Er berührt ihren Körper. Vorspiel. Ich habe darüber gelesen. Er streichelt die Brüste. Und seine andere Hand geht hinunter. Ich habe mir die Zeichnungen angesehen, kenne mich aber da unten bei den Frauen doch nicht richtig aus. Jimmy, der Grieche, kennt sich aus, das steht fest. Er berührt sie da. Und dann? Sie wird heiß, nicht? Wie weiß er, wann es Zeit ist, einzudringen? Die Zeit kommt. Sie tun es endlich. Wissen Sie, ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Er liegt auf ihr, und sie bewegen sich, gewiss, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie die Körper zusammenpassen, wie sie sich eigentlich bewegen, wie sie es machen.

Sie zieht sich jetzt aus, gleich gegenüber. Herunter mit der Bluse, der langen Hose, dem BH, dem Schlüpfer, was sie eben anhat. Ich kann sie herumgehen hören. Möchte wissen, ob ihre Türe wirklich fest zu ist. Schon lange her, seitdem ich sie richtig gesehen habe. Wer weiß, vielleicht sind ihre Brustwarzen noch steif. Selbst wenn ihre Tür nur einen Spalt offensteht, kann ich von meinem Zimmer aus zu ihr hineinsehen, wenn ich mich hier im Dunkeln zusammenkauere und glotze.

Aber ihre Tür ist verschlossen. Wenn ich nun hin greife und ihr einen kleinen Stoß gebe? Von hier aus. Ich ziehe die Kraft in meinen Kopf hinauf, ja... hin greifen... schieben... ah... ja! Ja! Sie bewegt sich! Zwei Zentimeter, fünf, sieben. Das reicht. Zu schnell, aus dem Blick. Ich glaube, sie war nackt. Jetzt kommt sie zurück. Nackt, ja. Sie wendet mir den Rücken  zu. Du hast ein hübsches Gesäß, Schwester, weißt du das? Dreh dich um, dreh dich um, dreh dich um... ah. Ihre Brustwarzen sehen aus wie immer. Sind überhaupt nicht steif. Hinterher werden sie wohl wieder flach. Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden. Ich lese sonst kaum in der Bibel, nur solche Stellen. Cindy hat größere als du, darauf würde ich wetten. Außer, sie stopft den BH aus. Heute Abend konnte ich das nicht erkennen. Ich war zu aufgeregt.

Sara zieht ihren Morgenmantel an. Ein letztes Aufblitzen von Schenkel und Bauch, dann nichts mehr. Verdammt. Ins Badezimmer. Das Wasser rauscht. Sie wäscht sich. Jetzt ist der Hahn zugedreht. Und jetzt... sssss, sssss. Ich kann mir vorstellen, wie sie dasitzt, vor sich hin grinst und an das denkt, was sie und Jimmy, der Grieche, gemacht haben. Oh, Gott, was für eine Qual! Ich bin eifersüchtig auf meine eigene Schwester! Dass sie es dreimal in der Woche tun kann, während ich... nirgends bin... mit niemand... niemand... nichts...

Überraschen wir Sara doch ein bisschen.

Hmm. Kann ich etwas steuern, das nicht direkt in meinem Blick ist? Mal versuchen. Das WC ist in der rechten Ecke des Badezimmers, unter dem Fenster. Und der Spülknopf ist - kurz nachdenken - auf der Wandseite, hoch oben - ja. Okay, greif hin, Mann. Pack zu, bevor sie es tun kann. Drück... hinunter... drück. Ja! Hör dir das an, Mann! Du hast gespült, ohne dass du dein Zimmer verlassen hättest!

Es wird ihr schwerfallen, das zu verstehen.

 

Sonntag: ein Regentag, ein Tag des Kopfzerbrechens. Ich kann die seltsamen Ereignisse von gestern Nacht nicht loswerden. Meine Macht - wo kommt sie her, wozu kann ich sie gebrauchen? Und ich komme nicht über die Erkenntnis hinweg, dass ich gleich morgen früh wieder Cindy gegenübertreten muss, in der Biologiestunde. Was wird sie zu mir sagen? Ist ihr klar, dass ich gar nicht in ihrer Nähe war, wird sie Angst vor mir haben? Wird sie mich der Gesellschaft zur Verhütung übernatürlicher Erscheinungen melden, oder denen, die sonst dafür zuständig sind? Ich möchte mich am liebsten krank melden und zu Hause bleiben. Aber was nützt das? Ich kann ihr nicht ewig ausweichen.

Je angespannter ich werde, desto stärker fühle ich die Macht in mir. Heute ist sie sehr stark. Vielleicht liegt es am Regen. Alle Nerven zucken. Die Luft ist feucht, und vielleicht macht mich das leitfähiger. Wenn niemand hinsieht, experimentiere ich. Im Badezimmer, weitab vom Waschbecken, schraube ich den Verschluss der Zahncremetube ab. Ich drehe den Wasserhahn auf und zu. Ich öffne und schließe das Fenster. Wie genau ich das steuern kann! Diese Dinge zu tun, erfordert große Anstrengung: Ich zittere, ich schwitze, ich spüre, wie meine Kiefermuskeln sich verkrampfen, wie meine Backenzähne schmerzen. Aber ich kann dem Kitzel, meine Fähigkeiten auszuprobieren, nicht widerstehen. Ich spiele riskante Streiche. Beim Frühstück steckt meine Mutter vier Scheiben Brot in den Toaster; Ich sitze mit dem Rücken dazu und ziehe ganz vorsichtig den Stecker aus der Dose, und als sie fünf Minuten später nachsieht, stellt sie verwirrt fest, dass das Brot noch ungetoastet ist. »Wie ist der Stecker herausgerutscht?«, fragt sie, aber natürlich sagt ihr das keiner. Danach, als wir alle herumsitzen und die Sonntagszeitungen lesen, schalte ich aus der Ferne das TV-Gerät ein, und das plötzliche Geplärr eines Zeichentrickfilms lässt alle zusammenzucken. Und ein paar Stunden später schraube ich in der Diele eine Glühbirne heraus, ganz langsam, lasse sie einen Augenblick in der Luft schweben und dann auf dem Boden zerplatzen.

»Was war das?«, sagt meine Mutter erschrocken.

Mein Vater sieht nach. »Eine Birne ist aus der Lampe gefallen und geplatzt.«

Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Wie kann eine Birne herausfallen? Das gibt es doch nicht.«

Und mein Vater sagt: »Sie muss locker gewesen sein.« Überzeugt klingt es nicht. Es muss ihm eingefallen sein, dass eine Birne, die so locker war, dass sie herausfallen konnte, nicht gebrannt haben kann. Und die Birne hatte gebrannt.

Wie lange kann es dauern, bis meine Schwester diese Vorfälle mit der Episode der sich selbst spülenden Toilette in Zusammenhang bringt?

 

Der Montag ist da. Ich betrete das Klassenzimmer durch die Hintertür und schleiche mich zu meinem Platz. Cindy ist noch nicht da. Aber da kommt sie. Mein Gott, wie schön sie ist! Das glänzende, schimmernde rote Haar, bis auf die Schultern fallend. Die helle, makellose Haut. Die funkelnden, geheimnisvollen Augen. Der rote Pulli, der vom Samstag. Meine Hände haben diesen Pullover berührt. Ich habe den Pullover auch mit meiner Macht berührt.

Ich beuge mich über mein Heft. Ich kann es nicht ertragen, sie anzusehen. Ich bin ein Feigling.

Aber ich zwinge mich, aufzusehen. Sie steht vorne im Mittelgang und starrt mich an. Ihr Ausdruck ist merkwürdig - nervös, unsicher, die Lippen hat sie zusammengepresst. So, als wolle sie zu mir kommen und mit mir reden, zögere aber. Als sie bemerkt, dass ich sie ansehe, blickt sie zur Seite und setzt sich. Die ganze Stunde sitze ich vorgebeugt, mit hochgezogenen Schultern, betrachte ihren Rücken, ihren Nacken, ihre Ohren. Fünf Pulte trennen mich von ihr. Ich stoße einen schweren, romantischen Seufzer aus. Die Versuchung kitzelt mich. Es wäre so einfach, über diese Entfernung hinwegzugreifen und sie zu berühren. Ihre weiche Wange mit einer unsichtbaren Fingerspitze zu streicheln. Ihren Hals zu liebkosen. Meine besondere Kraft dazu zu benützen, ihr zärtlich Hallo zu sagen. Siehst du, Cindy? Siehst du, was ich tun kann, um meine Liebe zu zeigen? Nachdem ich es mir vorgestellt habe, bringe ich es nicht mehr fertig, mich zurückzuhalten. Ich hole die Kraft aus dem brodelnden Reservoir in meinem Inneren herauf; ich pumpe sie hoch und stelle gleichzeitig die automatischen Berechnungen für die Stärke des Schubs an. Dann begreife ich, was ich tue. Bist du verrückt, Mann? Sie wird schreien. Sie wird hochspringen, wie von der Tarantel gestochen. Sie wird sich auf dem Boden wälzen und in Hysterie verfallen. Halt, halt, du Verrückter! Im letzten Augenblick gelingt es mir, den Impuls abzulenken. Keuchend und ächzend biege ich die Kraft von Cindy fort und schleudere sie blindlings in eine andere Richtung. Mein wahllos geführter Stoß fegt durch das Zimmer wie eine Peitschenschnur und trifft das große, gerahmte Schaubild der Pflanzen- und Tierreiche an der linken Wand des Klassenzimmers. Es wird losgerissen, wie von einem Orkan erfasst, und fliegt sieben Meter weit im hohen Bogen an die Tafel. Der Rahmen splittert. Überall fliegen Glassplitter umher. Die Klasse gerät in Panik. Alles schreit, rennt durcheinander, hebt Glassplitter auf, reißt die Augen auf, stellt Fragen. Ich sitze da wie eine Statue. Dann fange ich an zu frösteln. Und Cindy dreht sich ganz langsam um und sieht mich an. Ein Ausdruck des Entsetzens lässt ihr Gesicht erstarren.

Sie weiß es also. Sie hält mich für eine Art Missgeburt. Sie hält mich für ein Ungeheuer.

 

Poltergeist. Das ist es, was ich bin. Das bin ich.

Ich bin in der Bücherei gewesen. Ich habe Hausaufgaben auf dem Gebiet des Okkulten gemacht. Also: Harry Blaufeld, kleiner Poltergeist. Aus dem deutschen poltern, Lärm machen, und Geist. Poltergeister lassen Teller an der Wand zerschellen, Bilder von den Haken fallen, Türen zuschlagen, wenn niemand in ihrer Nähe ist, Steine durch die Luft fliegen.

Ich weiß nicht genau, ob es richtig ist, zu sagen, ich sei ein Poltergeist, oder besser, dass ich nur der Wirt für einen bin. Das kommt darauf an, welche Theorie man bevorzugt. Eingefleischte Okkultisten meinen, Poltergeister seien wandernde Dämonen oder Geister, die sich gelegentlich in Menschen niederlassen, durch die sie ihre Energien bündeln und ihre frechen Scherze ausüben. Diejenigen dagegen, die parapsychologische, außersinnliche Erscheinungen wissenschaftlich zu analysieren versuchen, sagen, es sei auf absurde Weise mittelalterlich, an wandernde Dämonen zu glauben; für sie ist ein Poltergeist einfach jemand, der fähig ist, eine paranormale Gabe in sich so zu binden, dass er Dinge bewegen kann, ohne sie zu berühren. Ich selbst neige zur letzteren Auffassung. Es ist viel schmeichelhafter, sich vorzustellen, dass ich eine außergewöhnliche psychische Gabe besitze, als dass ich von einem umherstreifenden Dämon besessen bin. Und weniger erschreckend.

Poltergeister sind nichts Neues. Ein chinesisches Buch, das an die tausend Jahre alt ist, mit dem Titel Plaudereien aus der Jade-Halle erzählt von einem, der den Frieden eines Klosters störte, indem er Geschirr durch die Gegend warf. Die Mönche holten einen Exorzisten, um ihn in die Gewalt zu bekommen, aber der lärmende Geist führte den Exorzisten an der Nase herum: Seine Mütze wurde heruntergerissen und an die Wand geworfen, sein Gewand gelockert und sogar seine Hose heruntergezogen, so dass er sich vorzeitig zurückzog. Nur so weiter, Poltergeist! Andere versuchten es, wo er gescheitert war, aber sie sahen ihre Mühen durch einen Regen frecher Geschosse belohnt, die durch die Luft flogen, beschrieben mit Worten von Bosheit und bitterem Schimpf.

Die Archive quellen über von derartigen Geschichten aus vielen Ländern und Zeiten. Man denke an den Fall Clarke, 1874 in Oakland, Kalifornien. Zur Stelle: Mr. Clarke, ein erfolgreicher Geschäftsmann von strenger, reservierter Lebensart, seine Frau, die halbwüchsige Tochter und der achtjährige Sohn, dazu zwei von Mr. Clarkes Schwestern und zwei männliche Hausgäste. In der Nacht vom 23. April läutet es an der Haustür, gerade als alle zu Bett gehen wollen. Niemand da. Ein paar Minuten danach läutet es wieder. Im Salon scheinen Möbel gerückt zu werden. Einer der Gäste, ein Bankier namens Bayley, sieht im Dunkeln nach und wird von einem Sessel getroffen. Niemand da. Ein Kasten mit Silberbesteck schwebt die Treppe herunter und landet krachend. Ein schwerer Kohlenkasten fliegt als nächstes umher. Ein Stuhl trifft Bayley am Ellenbogen und prallt an ein Bett. Im Esszimmer erhebt sich ein massiver Eichenstuhl einen halben Meter in die Luft, rotiert, sinkt herab und jagt den unglücklichen Bayley vor drei Zeugen durch das Zimmer. Und so weiter. Alles legt sich schaudernd zu Bett, aber die ganze Nacht hört man Rumoren und Dröhnen; am nächsten Morgen findet man das ganze Mobiliar durcheinander. Die Haustür, die abgesperrt und verriegelt war, ist aus den Scharnieren gerissen. In der nächsten Nacht ähnliches. Ebenso in der übernächsten, in einem weiblichen Kreischen aus dem Nichts gipfelnd, von solcher Schrecklichkeit, dass die Clarkes und ihre Gäste dazu getrieben werden, in einem Nachbarhaus Zuflucht zu suchen. Eine Erklärung für diese Dinge ist nie angeboten worden.

Ein Mann namens Charles Fort, der 1932 verstorben ist, brachte einen großen Teil seines Lebens damit zu, Poltergeisterscheinungen und andere Rätsel zu erforschen. Fort schrieb vier dicke Bücher, die ich bis jetzt nur überflogen habe. Sie sind voller Zeitungsberichte über seltsame Dinge wie das plötzliche Auftauchen von mehreren jungen Krokodilen in englischen Bauernhöfen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, und Gewitter, bei denen Schlangen, Frösche, Blut oder Steine vom Himmel regneten. Er sammelte Ausschnitte, die beschrieben, wie Kohlenhaufen, Häuser und sogar Menschen plötzlich und schlagartig in Brand gerieten. Leuchtende Gegenstände, die durch den Himmel segelten. Unsichtbare Hände, die Tiere und Menschen misshandeln. Phantomgeschosse, die Fenster zerschießen. Unerklärliches Verschwinden von Menschen, und ebenso unerklärbares Wiederauftauchen in weiter Ferne. Und so weiter, und so fort. Fort scheint geglaubt zu haben, dass die meisten dieser Erscheinungen das Werk von Wesen aus dem interplanetarischen Raum waren, die zu ihrer eigenen Belustigung in das Getriebe unserer Welt eingreifen. Aber alles konnte er nicht so erklären. Vor allem Poltergeister passten nicht in diese Vorstellung, und so schrieb er: Ich betrachte Poltergeister deshalb als böse oder falsch oder widersprüchlich oder absurd... Dennoch sagte er: Ich will die Existenz der Poltergeister nicht bestreiten, weil ich vermute, dass später, wenn wir aufgeklärter sind oder wenn wir das Maß unseres Glaubens erweitern oder mehr von der zunehmenden Ignoranz erlangen, die Wissen genannt wird, Poltergeister assimilierbar sein werden. Dann werden sie so vernünftig erscheinen wie Bäume.

Ich mag Fort. Er war exzentrisch und wahrscheinlich sehr leichtgläubig, aber nicht dumm oder verrückt. Ich glaube nicht, dass er mit seinen Wesen aus dem interplanetarischen Weltraum Recht hat, aber ich bewundere seine Haltung dem Unerklärlichen gegenüber.

Die meisten Poltergeister sind ausgemachter Schwindel. Sie sind von Fachleuten auf gedeckt worden. Da gab es 1944 die Episode in Wild Plum, North Dakota, wo Stücke glühender Kohle aus einem Eimer in die Kleinschule von Mrs. Pauline Rebel sprangen. Auf den Pulten der Schüler geriet Papier in Brand, an den Vorhängen zeigten sich Sengspuren. Das Wörterbuch der Klasse bewegte sich von selbst. In der Stadt wurde von dämonischen Einflüssen gesprochen. Ein paar Tage später, nachdem ein stellvertretender Staatsanwalt begonnen hatte, die Leute zu vernehmen, gestanden vier von Mrs. Rebels Schülern, dass sie die Kohlen umhergeworfen hatten, um ihre Lehrerin zu erschrecken. Sie hatten das meist dann getan, wenn sie ihnen den Rücken zudrehte oder die Brille abnahm. Ein Streich. Ein Schwindel. Manche Leute möchten einem einreden, alle Poltergeister-Geschichten seien gleichermaßen betrügerisch. Ich bin zur Stelle, um zu bezeugen, dass das nicht zutrifft.

Alle echten Poltergeist-Ereignisse haben eines gemeinsam: stets ist ein Halbwüchsiger beteiligt, oder ein Kind, das an der Schwelle zur Adoleszenz steht. Das ist die Böses Kind- Theorie über Poltergeister, zuerst 1890 von Frank Podmore in Berichte der Gesellschaft für psychische Forschung aufgestellt. Man sieht, dass ich sehr fleißig gewesen bin. Das Kind ist meist unglücklich, gewöhnlich in sexuellen Schwierigkeiten, und leidet entweder an dem Gefühl, nicht begehrt zu werden, oder an Frustration oder beidem. Es gibt keine Statistiken darüber, aber der Volksmund geht davon aus, dass Teenager, die in Poltergeistaktivitäten verwickelt sind, gewöhnlich als jungfräulich gelten.

Der Fall Clarke von 1874 wird damit zum Werk der halbwüchsigen Tochter, die, wie ich vermute, in Mr. Bayley verliebt war. Die Vielzahl der von Fort erwähnten Fälle, die meisten aus dem neunzehnten Jahrhundert, zeigen einen Haufen von Poltergeist-Kindern, die in einer sexuell unterdrückten Zeit mit allem Möglichen um sich warfen. Irgendwo musste die brodelnde Energie zum Ausdruck kommen. Ich entdeckte meine eigene Polterkraft, als ich mich in einem Zustand begieriger Lust nach Cindy Klein befand, die nichts von mir wissen wollte. Vor allem das nicht. Aber statt durch die pure Gewalt meiner aufgestauten Triebe zu explodieren, fand ich plötzlich einen Weg, diese ganze Kraft nach außen zu kanalisieren. Und ich drückte...

Wieder Fort: Wo Kinder atavistisch sind, können sie in Beziehung zu Kräften stehen, über welche die meisten Menschen hinausgewachsen sind.

Atavismus: ein seltsamer Rückfall in die primitive Vergangenheit.

Vielleicht waren wir zu Zeiten der Neandertaler alle Poltergeister, aber im Lauf der Jahrtausende haben die meisten von uns das abgelegt. Und noch einmal Fort: Selbstverständlich gibt es andere Erklärungen für die okkulten Kräfte der Kinder. Eine lautet, dass Kinder, statt atavistisch zu sein, gelegentlich den Erwachsenen weit voraus sind und ungewöhnliche Begabungen ankündigen, weil ihr Geist nicht von Konventionen behindert wird. Danach gehen sie zur Schule und verlieren ihre Überlegenheit. Nur wenige Wunderkinder haben eine Ausbildung überstanden.