Cover

Butler Parker
– Box 5 –

E-Book 21-25

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-942-8

Cover

Gangster und Kanonen 

Roman von Dönges, Günter

Butler Parker hielt den recht eigenartigen Humor dieser vier Männer für völlig unangebracht. Schließlich war es Mittag, und um diese Zeit trug man nach Parkers Ansicht keine falschen Bärte und rote Pappnasen. Die so kostümierten und verunstalteten Männer kamen sehr schnell aus dem Portal der Bankfiliale und trugen nicht nur vollgefüllte, große Taschen aus Segeltuch, sondern auch Maschinenpistolen. Sie liefen auf einen parkenden Wagen zu und genierten sich nicht, nach allen Seiten zu schießen.

Parker, der seine Bankauszüge kontrollieren wollte, kannte das augenblickliche Datum sehr genau. Da der Thanksgiving-Day erst in einigen Monaten zu erwarten war, mußte es sich, so schloß er messerscharf, um einen Bankraub handeln.

Er stand den vier Männern im Weg, doch er wollte nicht weiter stören. Im Bestreben, das Feld zu räumen, lief Parker den vier kostümierten Gangstern direkt in die Arme. Er wußte sich im Moment nicht anders zu helfen, als höflich seine schwarze Melone zu lüften und zu grüßen. Er glich einem alten, leicht verwirrten Mann, der die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat.

Vielleicht rettete Parker damit sein Leben. Die vier Gangster stießen ihn zwar zur Seite, doch sie schossen nicht auf ihn. Es war aber auch ein zu komisches Bild: Butler Parker übersah die drohend auf ihn gerichteten Maschinenpistolen und deutete nun sogar eine Verbeugung an.

Dennoch konnte er es nicht verhindern, mit einem der vier Gangster zu kollidieren. Ein heftiger Stoß schleuderte ihn zur Seite. Parker verlor das Gleichgewicht, fiel zu Boden und rettete damit zum zweiten Mal sein Leben. Denn kaum lag er flach auf dem Pflaster, da peitschten die ersten Schüsse los. Zwei Angestellte der Bank standen im Portal neben den imitierten griechischen Säulen. Sie schossen aus allen Rohren, und zwar sehr schlecht.

Die Gangster hüpften ungeniert in den bereits anfahrenden Ford und hielten es nicht mehr für nötig, die Schüsse zu beantworten. Der ganze Spuk dauerte nur wenige Sekunden, so schnell arbeiteten die Gangster. Als Parker sich vom Pflaster erhob, mißbilligend den Kopf schüttelte, da war der Stationswagen bereits hinter der nächsten Straßenbiegung verschwunden.

Einige weibliche Passanten fielen erst jetzt in Ohnmacht, oder stießen grelle, spitze Schreie aus. Die beiden Bankangestellten ließen sich als Helden feiern. Männliche Besucher der Bank fanden es an der Zeit, ihr Leben für die Allgemeinheit zu opfern. Aus Mangel an Gelegenheit verzichteten sie dann allerdings darauf. Die Polizei, schnell und bestens informiert wie immer, schickte bereits einige jaulende Streifenwagen auf die Reise. Dieser ganze Überfall erinnerte lebhaft an einen Operettenulk, wenn die beiden erschossenen Bankangestellten im Schalterraum nicht gewesen wären. Sie nämlich erinnerten an die harte, grausame Wirklichkeit. Die »Rotnasen« hatten wieder einmal zugeschlagen wie so oft in den vergangenen Wochen. Jene vier Gangster also, die stets mit falschen Rauschebärten und roten Pappnasen auftauchten und ihren Spitznamen von der Presse erhalten hatten. Doch das hatte sich inzwischen längst herausgestellt, die »Rotnasen« waren hartgesottene Gangster, die keine Rücksicht kannten und gnadenlos schossen, wenn ihnen Widerstand geleistet wurde …

*

»Mich wundert es nicht, daß Sie mal wieder Augenzeuge eines Verbrechens wurden«, sagte Strafverteidiger Mike Rander, der junge Herr Josuah Parkers. Er hatte sich den Bericht seines Butlers gerade angehört und schüttelte in komischer Verzweiflung den Kopf. Sie befanden sich in dem großen Arbeitszimmer des Penthouse, hoch über den Dächern von Chikago. Von dem riesigen, breiten Fenster aus ging der Blick über den Michigan-See.

»Nach meinen Informationen erbeuteten die vier Gangster insgesamt 86000 Dollar, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis gestatten darf.«

»Das ist bereits der dritte Raub in diesem Monat«, meinte Rander, ein sympathisch aussehender Mann von etwa 38 Jahren. Den erfolgreichen Anwalt sah man ihm nicht an, er glich mehr einem durchtrainierten Sportsmann, was seine Figur betraf. Vom Gesicht mit den braunen Augen und der hohen Stirn war durchaus zu vermuten, daß er Lehrer an einer Hochschule war.

»Nach meiner privaten Statistik, Sir, raubten die ›Rotnasen‹ bisher insgesamt 281000 Dollar. Und zwar in einem Zeitraum von genau sieben Wochen. Bis auf eine Ausnahme bevorzugten sie bei ihren Besuchen Bankfilialen in den Außenbezirken der Stadt.«

»Ihr Interesse kommt mir verdammt verdächtig vor, Parker«, wehrte Mike Rander ab. Er kannte schließlich die Leidenschaft seines Butlers, Verbrechen aufzuklären und Gangster zu jagen.

»Die Behörden waren bisher leider nicht in der Lage, die ›Rotnasen‹ in ihrer Arbeit zu hemmen, Sir. Ich gebe zu bedenken, daß bisher vier Personen erschossen und zwei Personen lebensgefährlich verletzt wurden. Von den Leichtverwundeten ganz zu schweigen. Das dürfte für die Brutalität und Rücksichtslosigkeit dieser vier Gangster sprechen.«

»Parker, geben Sie sich keine Mühe, ich werde nicht anbeißen«, knurrte Mike Rander, der sich jedoch bereits in die Verteidigung gedrängt fühlte.

»Ich versage es mir, Sir, von der ausgesetzten Belohnung zu sprechen«, haspelte Josuah Parker seinen Fäden hartnäckig weiter herunter. »Die einzelnen Belohnungen der geschädigten Banken, sowie der Staatsbehörde betragen insgesamt 10 000 Dollar.«

»Parker, wir sollten zur Tagesordnung übergehen«, schlug Mike Rander vor. »Ich möchte meinen Kaffee haben. Heute abend bekomme ich Besuch. Zwei meiner Klienten wollen Verträge mit mir durchsprechen.«

»Sir, Sie können sich auf mich verlassen«, antwortete Josuah Parker würdevoll. »Wenn Sie gestatten, komme ich noch einmal auf die ›Rotnasen‹ zurück.«

»Ich gestatte es nicht, Parker! Das ist mein letztes Wort. Persönlich sind wir überhaupt nicht angesprochen, wir werden uns diesmal heraushalten.«

»Sir, ich widerspreche nur sehr ungern«, entgegnete Josuah Parker, »Tatsache ist jedoch, daß ich mir bereits die Freiheit nahm, mich persönlich sehr stark zu engagieren.«

»Was soll denn das schon wieder heißen?«

»Als ich mit einer der Rotnasen zusammenstieß, Sir, hatte ich das Unglück, beim schnellen Losreißen eine Anstecknadel des betreffenden Gangsters …«

»… mitzunehmen, vornehm ausgedrückt«, unterbrach Mike Rander seinen Butler. »Sie brauchen sich gar nicht so gewunden auszudrücken. Ich kenne doch Ihre Geschicklichkeit. Wenn es sein muß, beschämen Sie einen ausgelernten Taschendieb.«

»Sir, Sie schmeicheln meinen bescheidenen Fähigkeiten«, antwortete Parker leicht verschämt. »Wenn ich Ihnen diese Anstecknadel vielleicht einmal zeigen darf?«

»Ausgeschlossen, versuchen Sie es erst gar nicht, Parker.« Mike Rander war fest entschlossen, nicht anzubeißen. »Ich will mit dieser Geschichte nichts zu tun haben. Ich werde Ihnen aber einen guten Rat geben. Werfen Sie diese Anstecknadel schleunigst in den Müllschlucker, sonst werden Sie eines Tages noch sehr viel Ärger haben. Oder noch besser, senden Sie sie anonym an die Polizei. Sie wird dafür bezahlt, die ›Rotnasen‹ zu erwischen.«

»Ich bedanke mich in aller Form für diesen Hinweis«, sagte Josuah Parker. »Allein der Name dieser Anstecknadel wird bei der Polizei eine Sensation hervorrufen.«

»Wie bitte?« erkundigte Mike Rander sich gegen seinen Willen, doch sofort danach merkte er bereits, daß er sich schon viel zu sehr interessierte. Unwillkürlich lachte er leise auf. Er war wieder einmal auf einen echten Parker-Trick hereingefallen.

»Ich sprach in aller Zurückhaltung und Bescheidenheit von der bewußten Anstecknadel, Sir.«

»Dann sagen Sie schon endlich, was auf ihr steht.«

»Wenn Sie sich vielleicht selbst vergewissern wollen, Sir?« Josuah Parker griff hinter sich und zog ein kleines silbernes Tablett von einem Anrichtetisch. Darauf lag die Nadel, ein Zeichen, daß Parker sicher gewesen war, sie seinem jungen Herrn zeigen zu können.

Mike Rander verlor seine Abwehrbereitschaft. Er hob die kleine, ovale Nadel hoch und hielt sie gegen das Licht. Die Nadel bestand aus Silber, der ovale Kopf aus Goldblech mit einem kobaltblauen Emailüberzug. Das geschwungene dunkelrote Schriftband darauf lautete: St. John’s Junior Club.

»Donnerwetter«, bemerkte der Anwalt und pfiff leise. »St. John’s Junior Club, das klingt sehr exclusiv, ist es ja schließlich auch.«

»Wenn Sie es wünschen, Sir, kann ich Ihnen mit wenigen Worten einige Tatsachen über diesen Club berichten.«

»Schön, ich kenne ihn zwar, bin aber gespannt, was Sie dazu zu sagen haben.« Rander lächelte verschmitzt.

»Dieser sogenannte ›St. John’s Club‹, Sir, ist in der Wahl seiner Mitglieder sehr vorsichtig. Nur die sogenannten Spitzen der Gesellschaft werden nach längerer Wartezeit und nach Stellung zweier Bürgen in einem speziellen Rituell aufgenommen. Der Beitrag ist enorm hoch und sichert so allein schon die Sonderstellung. Das Clubhaus befindet sich in unser unmittelbaren Nachbarschaft. Neben den Senioren gibt es auch Junioren, die sich in einem gesonderten Club treffen. Hier handelt es sich zumindest um die Töchter und Söhne der Mitglieder. Nachteiliges wurde bisher nicht bekannt. Der St. John’s Club legt keinen Wert auf Publicity.«

»Stimmt genau, Parker. Um so mehr wundert es mich, daß eine der Rotnasen diese Nadel trug.«

»Das, Sir, war geeignet, mein Interesse zu wecken.«

»Es wird sich natürlich um eine verlorengegangene Nadel handeln, anders kann ich mir das nicht vorstellen.« Mike Rander sprach immer leiser und stellte sich vor das große Fenster. »Auf der anderen Seite ist es natürlich nicht ausgeschlossen, daß irgendein Junior des Clubs zum Verbrecher geworden ist.«

»So deutlich, Sir, wagte ich es nicht auszudrücken«, warf Parker respektvoll ein. »Könnte man nicht diskrete Ermittlungen einziehen, bevor ich die Anstecknadel der Polizei übersende?«

Mike Rander wandte sich um, grinste niederträchtig.

»Der Angelhaken sitzt bereits«, sagte er dann. »Wir werden dieser Sache mal so nebenbei nachgehen, Parker. Es trifft sich wunderbar, daß einer meiner Gäste heute abend dem St. John’s Club angehört.«

»Auf diese Tatsache wollte ich Sie gerade aufmerksam machen, Sir.«

»Sie haben schon gründliche Vorarbeit geleistet, Parker.«

»Wenn Sie es wünschen, kann ich bereits mit einer vollständigen Mitgliederliste aufwarten, Sir. Sie betrifft allerdings vorerst die Senioren.«

»Wie, zum Henker, sind Sie denn an dieses Staatsgeheimnis geraten?«

»Ich möchte weder ungezogen noch unhöflich sein, Sir, bitte jedoch, mir die Antwort vorerst zu erlassen.«

»Genehmigt«, erwiderte Mike Rander. »Aber wenn schon, denn schon. Besorgen Sie auch die Mitgliederliste der Junioren.«

»Sie wird für mich gerade angefertigt und kopiert, Sir. Ich denke, daß ich sie bereits in wenigen Stunden in Besitz haben werde.«

Parker verbeugte sich und verließ das Arbeitszimmer des Anwalts. Mike Rander starrte auf die ovale Anstecknadel und schüttelte zweifelnd den Kopf.

Ob das hier wirklich eine brauchbare Spur war …?

*

Ein seltsames, hochbeiniges Fahrzeug rollte durch Chikagos Straßen. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxicab, an dem selbst mit einer Lupe keine einzige abgerundete Ecke zu entdecken gewesen wäre.

Dieser Wagen machte einen jämmerlichen Eindruck. Passanten glaubten schnaufende und asthmatische Geräusche des Motors zu vernehmen, doch das war reine Einbildung. Sie konnten schließlich nicht wissen, daß sich unter der eckigen Motorhaube ein äußerst gepflegter Rennmotor befand, der zu Höchstleistungen fähig war.

Der Wagenaufbau verbarg zudem die supermoderne technische Einrichtung. Dieser Wagen, den man nur als ein Monstrum bezeichnen konnte, war nichts anderes als eine Tarnung. Butler Parker bevorzugte solche technischen Spielereien.

Steif wie ein hoher Würdenträger saß er am Steuer. Seine schwarze, stahlgefütterte Melone saß untadelig auf seinem Kopf. Das glattrasierte Pokergesicht mit den großen Augen zeigte keine Regung. Korrekt war der Sitz des schneeweißen Eckkragens, fleckenlos sein Covercoat. Die nervigen Hände Parkers staken in schwarzen Handschuhen. Der obligate Universal-Regenschirm mit seinen diversen Überraschungen hing am gewohnten Platz neben dem Fahrer.

Der Butler ignorierte das Grienen und Grinsen seiner Mitmenschen. Er übersah das ängstliche Ausweichen der überholenden Wagen. Ihn interessierte einzig und allein sein Ziel. Vor dem grauen und massigen Bau des St. John’s Club verringerte er die Fahrt seines hochbeinigen Monstrums und bog in das Grundstück ein. Da er als privater Besucher kam, fuhr er um den großen Gebäudekomplex herum und hatte Zeit und Gelegenheit, die ausgesuchten Häßlichkeiten des Clubs zu bewundern. Das Haus stammte wohl noch aus der Zeit der Jahrhundertwende. Die Zahl der Kamine auf dem winkligen Dach war nur abzuschätzen. Der Architekt hatte keine Chance versäumt, immer noch einen zusätzlichen Erker oder Turm anzubringen.

Josuah Parker wurde erwartet. Er hatte sich telefonisch angesagt. Er ließ sein Monstrum, auf dem Parkplatz für Lieferanten stehen und klingelte am Hintereingang.

Ein Clubdiener öffnete. Als er Butler Parker sah, zuckte er diensteifrig zusammen und verbeugte sich. Erst dann ging ihm auf, daß er ja den Eingang für Lieferanten und Dienstboten geöffnet hatte. Entsprechend knurrig fiel danach seine Frage aus.

»Mr. Senfton erwartet mich«, antwortete Parker würdevoll.

»Jetzt, um diese Zeit?«

»In der Tat, junger Freund, wollen Sie mich bitte anmelden. Mein Name ist Parker, Josuah Parker, um korrekt zu sein.«

»In welcher Angelegenheit …«

Parker ließ den Clubdiener nicht ausreden. Ein Blick aus seinen kühlen Augen reichte vollkommen aus, um den Clubdiener in sich zusammenfallen zu lassen. Der Mann verzichtete darauf, seine Frage zu vervollständigen. Er nahm die Beine in die Hand und verschwand im Innern des Hauses.

Josuah Parker haßte es, vor offenen Türen zu stehen. Um seinen Besuch zudem abzukürzen, genierte er sich nicht, mit der größten Selbstverständlichkeit das Haus zu betreten. Mit fein ausgebildetem Instinkt fand er den richtigen Weg. Das lag zum Teil wohl auch daran, daß er in jungen Jahren in ähnlichen Clubs als Butler gearbeitet hatte.

Im Lichthof neben der Küche kam der Clubdiener ihm schon wieder entgegen. Obwohl, er’s nicht wollte, verbeugte er sich vor Parker.

»Mr. Senfton ist nicht zum Dienst erschienen, Sir«, meldete er diensteifrig.

»Sein Dienstzimmer ist leer.«

»Wurde Mr. Senfton angerufen?«

»Äh, das nicht, er …!«

»Ich rege an, diesen Anruf nachzuholen«, meinte Parker fast freundlich. »Mr. Senfton wurde vielleicht von einem Unwohlsein befallen.«

»Wenn Sie bitte ins Sekretariat mitkommen wollen, Sir …!«

»Eine gute Idee, junger Freund, Sie machen Fortschritte.« Parker zwinkerte andeutungsweise und folgte dem Clubdiener in das Sekretariat. Der Clubdiener beeilte sich, Parkers Anregung in die Tat umzusetzen. Er wählte die Nummer von Senftons Wohnung, ließ mehrfach durchläuten und legte den Hörer schließlich enttäuscht in die Gabel.

»Er meldet sich nicht, Sir«, fügte er überflüssigerweise hinzu.

»Geben Sie mir seine Privatadresse.«

Der junge Freund stand im Banne Parkers. Nur so war es zu erklären, daß er Senftons Privatadresse tatsächlich nannte. Sein Kratzfuß war direkt klassisch, als Parker sich am Eingang mit einem Kopfnicken verabschiedete.

*

»Ulkiger Bursche, was, Norman?« meinte ein junger Mann von etwa 25 Jahren, der nachlässig, dennoch aber teuer gekleidet war. Er stand plötzlich neben dem Clubdiener Norman und grinste dem hochbeinigen Monstrum Parkers nach. »Wer war denn das?«

»Den Namen habe ich vergessen, Sir«, entschuldigte sich Norman Aldine. »Er wollte zu Senfton.«

»Zu unserem Haus- und Hofmeister?« spöttelte der junge Mann, der sich Gerald Thorne nannte. Nachlässig zündete er sich eine Zigarette an und schüttelte dankend den Kopf, als Norman Aldine ihm Feuer reichen wollte. Thorne ging in das Haus und schien diesen kleinen Zwischenfall bereits vergessen zu haben. In Wirklichkeit aber prägte er sich das Kennzeichen von Parkers hochbeinigem Monstrum sehr genau ein. Um es nur ja nicht zu vergessen, notierte er sich später sogar die Nummer. Bei seinem Namen konnte es keine Schwierigkeiten bedeuten, den Eigentümer des Wagens ausfindig zu machen. Die Thornes gehörten schließlich zum Geldclan dieser großen Stadt Chikago. Ihre Wünsche waren fast so etwas wie ein Gesetz.

Josuah Parker wußte davon nichts. Er hatte den jungen Mann noch nicht einmal gesehen. Der Butler beeilte sich, in die Walton Street zu gelangen. Da sein Bekannter Senfton sich nicht gemeldet hatte, stiegen in ihm einige drückende Sorgen hoch.

Harold Senfton, der Butler des St. John’s Club, wohnte in einem Apartment-Hotel. An der Rezeption erfuhr Parker Etage und Nummer des Apartments. Ein Lift brachte ihn hinauf in den vierten Stock. Auf sein Klingelzeichen rührte sich nichts hinter der Tür.

Josuah Parker ließ sich von solchen Kleinigkeiten niemals aufhalten. Er griff in eine seiner unergründlichen Manteltaschen und suchte einen passenden Spezialöffner. Ohne groß Maß zu nehmen, öffnete er das Schloß innerhalb von 30 Sekunden. Ein gewerbsmäßiger Einbrecher hätte Parker bestürmt, bei ihm noch einmal in die Lehre gehen zu dürfen.

Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms stieß Parker die Tür zum Wohnraum auf. Er blieb im Türspalt stehen und registrierte die Einzelheiten. Er zuckte mit keiner Wimper, als er den ermordeten Harold Senfton neben einem schweren Ledersessel ausmachte.

Daß Senfton tot war, unterlag keinem Zweifel. Das Messer in seiner Brust redete eine sehr deutliche Sprache …!

*

Josuah Parker, korrekt wie immer, meldete diesen Mord der Polizei. Vom Zimmer des Toten aus rief er das Hauptquartier an und beschränkte sich in bewährter Art nur auf die nackten Tatsachen. Er vergaß allerdings, seinen Namen zu nennen, als der diensttuende Beamte ihn danach fragte. Das hing bestimmt nicht mit Parkers innerer Aufgewühltheit zusammen. Ihm kam es wohl nur darauf an, einen gewissen Vorsprung zu gewinnen.

Auf eine gründliche Durchsuchung der kleinen Wohnung verzichtete er. Parker glaubte zu wissen, daß dieser Mord in einem engen Zusammenhang mit seiner Bitte stand, Senfton solle ihm eine Liste der St. John’s Junioren besorgen. Parker ging in Gedanken sogar noch einen Schritt weiter. Hatte der Besitzer der Anstecknadel seinen Verlust bereits bemerkt und seine Vorkehrungen getroffen, um alle Spuren zu verwischen? Dann, so folgerte er weiter, mußte der Täter unter den Junioren des Clubs zu finden sein.

Josuah Parker, der keinen Wert darauf legte, von der Polizei bereits zu diesem Zeitpunkt verhört zu werden, fuhr mit dem Lift zurück in die Halle. Als er die Straße betrat und auf seinen Wagen zuschritt, schnitten zwei dunkel gekleidete Männer ihm den Weg ab. Sie schienen auf den Butler gewartet zu haben.

»Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Parker, der stehenbleiben mußte.

»Bekomm nur keinen Schlaganfall, Alterchen«, sagte der größere der beiden Männer. Er besaß straff zurückgekämmtes Haar und unruhige Augen in einem bleichen Gesicht. Die Hand in der Manteltasche ließ darauf schließen, daß sie einen Revolver umspannte.

»Ich fühle mich geehrt, daß Sie sich um meine Gesundheit sorgen«, erwiderte Parker.

»Klopfen Sie keine Sprüche«, unterbrach ihn der zweite Mann. Er war untersetzt und schien keinen Hals zu haben, so kurz war er. Die Knorpelnase deutete unverkennbar an, daß er einmal Boxer gewesen sein mußte. Seine kleinen Augen blickten Parker tückisch an.

»Bitte, was soll ich nicht klopfen?« fragte Parker indigniert.

»Los, machen Sie schon, dort wartet unser Wagen. Beim geringsten Fluchtversuch werden wir Sie niederknallen, Alter.«

Das Bleichgesicht schob sich hinter Parker und trat ihm in die Hacken. Der Butler sah sich gezwungen, auf einen recht mitgenommenen Ford zuzugehen. Er wußte, daß er keine leeren Drohungen gehört hatte. Als Fachmann auf diesem Gebiet war ihm bekannt, daß er es mit zwei ganz üblen Halsabschneidern zu tun hatte.

Sie verfrachteten ihn in dem Ford. Parker mußte neben dem Bleichgesicht auf dem Rücksitz Platz nehmen. Der Strolch mit der Knorpelnase übernahm das Steuer. Sie lösten sich gerade vom Gehsteig, als weit hinten auf der Straße der erste Streifenwagen heranheulte. Zu spät, viel zu spät für den Butler, der im Moment nichts unternehmen konnte, vielleicht auch nicht wollte. Es gehörte zu seinen Gepflogenheiten, niemals etwas zu überstürzen. Kontakte dieser Art schätzte er, sie trieben die Dinge nämlich schnell voran.

»Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen«, begann Parker nach einer Weile, »darf man fragen, wohin diese Fahrt gehen soll?«

»In die Hölle, wenn du nicht spurst«, antwortete das Bleichgesicht und lachte reichlich albern.

»Was stellen Sie sich, wenn ich neugierig sein darf, unter meinem Spuren vor?«

»Das wird dir der Boß sagen, Alter. Und nun halt endlich deinen Rand, die Quasselei geht mir auf die Nerven!«

»Ich empfehle Ihnen, bei Gelegenheit einen Kursus für angewandte Höflichkeit zu besuchen«,! entrüstete sich Parker. »Ihr Benehmen mißfällt mir.«

»Was denkst du, was dir gleich alles mißfallen wird.« Das Bleichgesicht amüsierte sich und gluckste vor Lachen. »Dir werden wir mal ordentlich die Hammelbeine langziehen, Alter. Auf so einen Vogel haben wir schon lange gewartet.«

»Ich beabsichtige nicht, auf das Niveau Ihrer Unterhaltung und Ausdrucksweise herunterzusteigen«, entgegnete Josuah Parker und hielt ab sofort den Mund. Dafür beobachtete er aber sehr genau, welchen Weg sie nahmen. Schon daran ließ sich sein Optimismus abmessen. Es war für ihn ganz selbstverständlich, daß er auch diesmal wieder freikommen würde. Ob er sich diesmal darin täuschte, stand allerdings auf einem ganz anderen Blatt. Daß ein sehr scharfer Wind wehte, merkte er beim Aussteigen in einer unterirdischen Garage, die zu einem alten Bürohaus in der Nähe des Hafens gehörte.

Kaum stand Parker auf dem schmutzigen Betonboden, da rammte das Bleichgesicht ihm den Revolverlauf in den Rücken. Die Knorpelnase kam um den Ford herum und hatte ein Stück ausgefranstes Kabel in der Hand.

Josuah Parker wich ein wenig zaghaft gegen das bereits geschlossene Kipptor der Tiefgarage zurück. Den beiden Schlägern gefiel das außerordentlich. Sie weideten sich an Parkers Vorsicht und Angst.

»Kleine Abreibung gefällig?« fragte die Knorpelnase. Zischend schlug er mit dem Kabelstück durch die Luft.

»Meine Herren, ich appelliere an Ihre Großmut«, rief Josuah Parker aus. »Sie werden einen alten, verbrauchten Mann wie mich doch nicht in gesundheitliche Schwierigkeiten bringen …!«

In den Augen der Knorpelnase glühte blanker Sadismus. Langsam hob er das Stück Drahtkabel. Parker schloß geschwächt die Augen, als könnte er den Anblick nicht mehr ertragen. Der Druck des Revolvers in seinem Rücken ließ nach. Das Bleichgesicht wich zur Seite aus, um vom Kabel nicht getroffen zu werden.

In diesem Augenblick erlitt der Butler einen bösen Schwächeanfall. Diese Anspannung war nun doch zu groß für ihn. Er taumelte gegen das Stahltor der Garage und strich sich mit der rechten, freien Hand über die Stirn.

»Komm, laß ihn noch ’nen Moment in Ruhe«, rief das Bleichgesicht seinem Partner zu. »Der sackt ja gleich ab.«

Mit diesen Worten verschwand auch der Revolver in der Tasche des Gangsters. Josuah Parker merkte von alledem nichts. Er hatte genug damit zu tun, auf den Beinen zu bleiben. Er sah wirklich aus wie ein alter, müder und verbrauchter Mann.

Die Knorpelnase sah sich um ihr Vergnügen betrogen. Wenigstens einen Schlag noch wollte sie anbringen. Zischend teilte das Stück Kabel die stickige Luft der Tiefgarage.

Genau in diesem Moment entwickelte Parkers Regenschirm Eigenleben. Er schnellte hoch und prellte gegen den Unterarm des Schlägers. Die Knorpelnase schrie auf und starrte verdutzt auf die leere Hand.

Der Butler, nun in Fahrt, dachte nicht daran, eine Kunstpause einzulegen. Der Regenschirm beschrieb einen kleinen Halbkreis. Dann senkte sich der bleigefütterte Griff auf den Schädel des Bleichgesichts.

Der Gangster sah, wie man im Volksmund so treffend sagt, ziemlich dumm aus der Wäsche. Er riß weit die Augen auf, spürte eine seltsame Lähmung in seinen Gliedern und … verlor das Bewußtsein. Aufseufzend rutschte er an der rauhen Wand herunter und blieb leblos auf dem Betonboden liegen.

Die Knorpelnase brüllte vor Wut auf. Noch konnte er seinen rechten Arm nicht bewegen, dafür versuchte er es nun mit dem rechten Fuß. Er hatte die feste Absicht, ihn in Parkers Unterleib zu treten. Auf den Gedanken, seine Waffe zu ziehen, kam der Mann in seiner Wut nicht.

Parkers Regenschirm erwies sich wieder einmal als universell. Der Fuß des Gangsters schwebte noch in der Luft, da hakte der Griff unter die Ferse des Mannes. Ein schneller, kurzer Ruck, und der Gangster verlor das Gleichgewicht. Er knallte mit dem Hinterkopf gegen den Ford, verdrehte die Augen und landete krachend auf dem Boden. Josuah Parker schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Er haßte die Anwendung von Gewalt. Er mußte sich jedesmal überwinden, aus sich herauszugehen.

Um die beiden Gangster nicht unnötig in Versuchung zu führen, entwaffnete er sie. Er steckte ihre Revolver ein und schob zwei veritable Klappmesser durch das Gitter des Garagen-Gullies.

Damit war seine Arbeit noch nicht beendet. Um zu einem späteren Zeitpunkt von ihnen nicht überrascht zu werden, öffnete er die Kofferhaube des Ford und verstaute die beiden Gangster im Kofferraum. Als Krönung dieser Vorsicht schloß er eine seiner Handschellen an Hand und Bein der Gangster. Falls sie wieder zu sich kamen und den Kofferraum verlassen konnten, mußte ihre Bewegungsfreiheit darunter ungemein leiden. Falls die Knorpelnase nämlich aufrecht ging, mußte das Bleichgesicht sich mit dem angefesselten Handgelenk tief verbeugen. Bestand jedoch das Bleichgesicht darauf, aufrecht zu gehen, so hatte die Knorpelnase das zweifelhafte Vergnügen, sein rechtes Bein extrem hoch in die Luft zu strecken.

Josuah Parker war mit seinen Vorbereitungen zufrieden. Nach einem letzten Blick auf den bereits wieder geschlossenen Kofferraum machte er sich auf den Weg, seinen eigentlichen Gastgeber aufzusuchen. Noch hatte er keine Ahnung, zu welcher Gang das Bleichgesicht und die Knorpelnase gehörten.

Es war frappierend, mit welcher Selbstverständlichkeit und Sicherheit Parker sich bewegte. Er schien hier zu Hause zu sein. Den Regenschirm korrekt über den linken Unterarm gelegt, schritt er würdevoll durch die kleine Seitentür und stieg eine Treppe empor.

Er landete in einem kleinen Korridor, in dem es nach frischer Farbe roch. Parker entdeckte eine nur angelehnte Tür, stieß sie auf und grüßte höflich. Am Schreibtisch des schäbig eingerichteten Büros saß ein älterer Mann und blätterte lustlos in einem dicken Kontobuch.

Dieser Mann ließ sich zuerst täuschen. Er nickte grüßend zurück, sah wieder in das Kontobuch und merkte mit einer erstaunlichen Verzögerung erst, wer da am Schreibtisch stand. Als er es merkte, schoß er jedoch blitzartig von seinem Stuhl hoch und sah den Butler fassungslos an.

»Parker ist mein Name«, stellte der Butler sich vor und lüftete seine schwarze Melone. »Wenn mich nicht alles täuscht, werde ich hier erwartet.«

»Sie sind dieser … Parker?« antwortete der ältere Mann zögernd. Er strich sich durch das schüttere Haar und rückte sich die Nickelbrille zurecht.

»Melden Sie mich bitte an …!« Parker wies mit der Spitze seines Regenschirms auf eine dickwattierte Tür, hinter der seiner Ansicht nach der Chef des Unternehmens sitzen mußte. Die schwammigen Gesichtszüge des Mannes gerieten in Bewegung und Konfusion. Ohne weitere Fragen zu stellen, stürzte er auf die Tür zu und verschwand hinter ihr.

Josuah Parker war mit seinem Auftreten zufrieden. Da das Kontobuch unbewacht war, blätterte er darin herum. Mit geschultem Auge entdeckte er schnell, daß diese Firma einen Autoverleih betrieb. Der Umsatz war nicht besonders groß.

Die wattierte Tür wurde jäh aufgestoßen. Der Mann mit dem schütteren Haar kam heraus, stotterte herum und gab die Tür frei.

»Wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere, soll ich wohl eintreten, ja?« fragte Parker. Der Schwammige nickte und schluckte ein paarmal vor Erregung. Josuah Parker lächelte milde und betrat das Büro.

Hier war die Einrichtung nun doch wesentlich vornehmer. Der Chef des Unternehmens schien sehr viel Geld investiert zu haben. Er saß in einer Sitzecke und rauchte eine Zigarette.

Parker verbeugte sich und lüftete seine schwarze Melone. Sein Gegenüber mochte etwa 45 Jahre alt sein. Der hochgewachsene, breitschultrige Mann schien eine Art Playboy zu sein. Er sah sehr gut und sehr kühn aus. Das scharfgeschnittene Gesicht mit den dunklen Augen und dem schwarzen Haar erinnerte Parker an einen italienischen Briganten.

»Ich muß mich über das Benehmen Ihrer Angestellten beschweren«, begann Parker mit wohlgesetzten Worten. »Es gehört sich einfach nicht, mit einem Drahtkabel zu spielen.«

Der Brigant stand langsam auf. Seine dunklen Augen blitzten. Er musterte Parker wie ein Ausstellungsstück, lächelte gewinnend, aber doch irgendwie gefährlich.

»Sie beschweren sich also?« erkundigte er sich fast sanft.

»In der Tat, das war keine Art, einen neuen Kunden für Ihren Autoverleih zu gewinnen.«

»Sie werden sich gleich wundern«, reagierte der Brigant scharf. »Ich kann zwar ’ne Menge Spaß verstehen, doch Sie dürfen nicht frech werden.«

»Der Ton Ihrer Angestellten scheint an Ihren Manieren geschult worden zu sein«, entgegnete der Butler. »Darf ich nun endlich erfahren, was Sie von mir wollen? Wie ich heiße, ist Ihnen ja bekannt. Bevor ich mich auf eine Diskussion einlasse, müßte ich erst einmal wissen, mit wem ich das möglicherweise zweifelhafte Vergnügen habe.«

»Ich bin Lern Barry«, stieß der Brigant hervor und warf sich in die Brust.

»Aha …!«

»Das sagt Ihnen wohl nichts, oder?«

»Sie unterschätzen mich, Mr. Barry. Ich weiß, daß Sie in zwei Fällen zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Es geht zur Zeit das Gerücht, Sie unterhielten eine Gang, die sich mit gestohlenen Autos befaßt. Was wahr daran ist, weiß ich zur Zeit nicht zu sagen.«

Lern Barry, der kühn aussehende Brigant, war perplex. Er kannte eine Menge Leute. Er war es gewohnt, daß man vor ihm kuschte. Seine Brutalität war stadtbekannt, wenigstens in einschlägigen Kreisen. Ein Mann wie Parker war ihm allerdings noch nie über den Weg gelaufen.

»Dann wissen Sie ja, was Ihnen blüht«, zischte Barry gereizt. »Falls Sie spuren, werde ich Ihnen eine Chance geben, haben Sie mich verstanden?«

»Sie drücken sich ungewöhnlich deutlich aus, Mr. Barry.«

»Schön, daß Sie begreifen, Parker. Im Auftrag eines meiner Bekannten suche ich eine Anstecknadel.«

»Ich fürchte, Sie verwechseln mich mit einem Fundbüro, Mr. Barry.«

Der Brigant grinste und drückte seine Zigarette aus.

»Ich weiß genau, daß Sie diese Anstecknadel besitzen. Rücken Sie sie heraus, und der Fall ist erledigt. Falls Sie aber stur sind, werde ich Sie aufschwänzen lassen.«

»Ich möchte doch um mehr Sachlichkeit bitten«, schlug Josuah Parker vor. »Um welche Nadel handelt es sich eigentlich?«

»Ich merke schon, daß Sie Schwierigkeiten machen wollen, Parker.« Lern Barry trat an den Schreibtisch und drückte auf einen dort angebrachten Klingelknopf. Nach wenigen Sekunden erschien der Buchhalter mit dem schwammigen Gesicht.

»Zum Teufel, wo stecken Georg und Joel?« hauchte Barry seinen Buchhalter an.

»Die sind …, also …, ich weiß nicht.«

»Sie müssen doch dasein, sie haben schließlich Parker hierhergebracht«, brüllte Barry wütend.

»Vielleicht kann ich gewisse Irrtümer aufklären«, mischte Josuah Parker sich ein. »George und Joel, wie Sie die beiden Angestellten nennen, befinden sich augenblicklich, wenn mich nicht alles täuscht, im Kofferraum des Ford unten in der Tiefgarage. Ich bezweifle doch sehr, ob sie ohne fremde Hilfe hier im Büro erscheinen können.«

»Wie war das?« Lern Barry runzelte die Stirn, um seinen Buchhalter dann hinauszuscheuchen. Er zündete sich eine neue Zigarette an und hüstelte nervös.

»Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen«, verabschiedete sich Parker von seinem Gastgeber. »Empfehlen Sie mich Ihrem Freund, der die bewußte Anstecknadel vermißt. Ich bedaure es ungemein, daß der Butler des St. John’s Clubs deshalb ermordet wurde. Die Täter werde ich selbstverständlich zur Rechenschaft ziehen.«

»Sind Sie wahnsinnig, Parker?« Lern Barry brüllte auf und lachte verzerrt. »Sie glauben doch nicht im Traum, daß ich Sie gehen lassen werde?«

»Ich bin sicher, daß Sie sich das sehr schnell überlegen werden, Mr. Barry.« Der Universal-Regenschirm zuckte vor wie ein langer Schleppdegen. Aus der Spitze schnellte plötzlich eine nadelspitze Klinge, sie stoppte Barrys Bewegung. Der Gangster wollte nämlich gerade seine Waffe aus dem Schulterholster ziehen.

Mit verzerrtem Gesicht und hervorquellenden Augen starrte der Gangsterboß auf die Degenklinge. Er schwitzte vor Angst und wagte sich nicht zu rühren.

»Ich könnte jetzt sehr nachdrücklich fragen, wer Ihr Freund ist, der die Anstecknadel vermißt«, redete Parker weiter. »Doch ich schätze gewisse Methoden nun einmal nicht. Die ›Rotnase‹ werde ich auch mit normalen Mitteln zu finden wissen.«

»Was sagen Sie da?« wunderte sich Lern Barry sichtlich. »Was hat das mit den ›Rotnasen‹ zu tun?«

»Benutzen Sie Ihren Kopf, aber seien Sie vorsichtig«, riet Parker dem Gangsterboß. »Selbst Haie können sich an zu großen Brocken verschlucken …!«

*

»Parker, Parker, eines Tages werden Sie mal an den falschen Mann geraten«, sagte Mike Rander warnend, mußte aber gegen seinen Willen lachen. »Wie haben Sie es geschafft, diese Gangsterhöhle zu verlassen?«

»Ich räume ein, daß ich mir meinen Weg mühsam suchen mußte, Sir«, gestand Parker. »Mr. Barry war nicht in der Lage, mich zur Tür zu begleiten.«

»Wieso nicht?«

»Er litt unter den Folgen meines höflichen Abschiedsgrußes, Sir. Der Rand meiner Kopfbedeckung traf seine Nase. Mr. Barry brach daraufhin in unmännliche Tränen aus.«

»Mit anderen Worten, Sie schlugen ihn mit Ihrer Melone nieder?«

»So kann man es allerdings auch ausdrücken, Sir.«

»Damit haben Sie sich einen unversöhnlichen Feind geschaffen.«

»Und einen sehr nachdenklichen, Sir.«

»Was soll denn das schon wieder heißen?«

»Als ich von den ›Rotnasen‹ sprach, Sir, hatte ich den Eindruck, daß Mr. Barry von dieser Querverbindung nichts wußte. Im Auftrag eines seiner Freunde wollte er mir die Anstecknadel abjagen, daß dieser Freund möglicherweise aber eine Rotnase ist, verblüffte ihn.«

»Wenn Sie sich nur nicht getäuscht haben, Parker.«

»Ich beobachtete genau das Gesicht des Mr. Barry, Sir. Seine Verblüffung war augenscheinlich. Er wird meiner Anregung ganz gewiß folgen.«

»Und was versprechen Sie sich davon?«

»Eine Entfremdung zwischen Mr. Barry und seinem Freund.«

»Daraus wollen Sie also Kapital schlagen?«

»Gewiß, Sir. Die notwendigen Vorgeplänkel können unserer Sache nur förderlich und dienlich sein. Je mehr unsere Gegner sich gegenseitig verschleißen, desto sicherer werden wir das Geheimnis der Anstecknadel und der ›Rotnasen‹ lösen. Ihr Einverständnis natürlich voraussetzend.«

»Sie wissen doch genau, daß ich Ihnen keine Vorschriften mache, Parker. Passen Sie nur auf, daß Sie nicht angefallen werden. Bald wird auch die Rotnase wissen, wie gefährlich Sie sind. Dann helfen die alten Tricks nicht mehr weiter!«

»Sir, ich will es getrost darauf ankommen lassen. Was ich übrigens vermeiden möchte, Leutnant Custer von der Mordkommission wartet in der Diele.«

»Custer, was will denn der?«

»Ich fürchte, Sir, einige Fragen an mich richten. Ich bin ziemlich sicher, daß er mich auf Grund einer genauen Personenbeschreibung identifizierte. Sie wissen doch, als ich nach der Feststellung des Mordes an Mr. Senfton das Apartment-Hotel verließ.«

»Er wird Ihnen Vorwürfe machen, daß Sie das Eintreffen der Polizei nicht abwarteten.«

»Er wird, wenn ich das Voraussagen darf, Sir, nach dem Grund meines Besuchs fragen. Ist es angebracht, die ›Rotnasen‹ ins Gespräch zu bringen?«

»Natürlich«, entschied Mike Rander sofort. »Wir werden der Polizei nichts verschweigen.«

»Gewiß, Sir, ich pflichte Ihnen vollkommen bei. Ich werde die mir gestellten Fragen so beantworten, wie ich es vor meinem Gewissen verantworten kann.«

»Dann sehe ich schwarz für die Antworten, Parker.« Mike Rander lächelte. »Ich weiß doch, wie weit Ihr Gewissen sein kann, wenn Sie hinter Gangstern her sind …!«

*

Etwa gegen 21 Uhr erschien Josuah Parker im St. John’s Club. Er verlangte Mr. Cardiff zu sprechen, den Sekretär des Clubs. Ein Clubdiener brachte ihn in das Sekretariat. Ein sehr glatter und übertrieben höflicher Mann von etwa 40 Jahren kam ihm an der Tür entgegen und stellte sich als Sekretär vor. Geoffrey Cardiff, wie er mit vollem Namen hieß, trug einen dunklen Anzug. Seine grauen Augen wurden von einer Hornbrille unterstrichen. Dünne, blutleere Lippen und ein fliehendes Kinn paßten zu diesem mageren Gesicht mit den hervorstehenden Backenknochen.

»Mr. Rander kündigte Sie bereits an«, sagte er und lud Parker ein, näherzutreten. »Hoffentlich kann ich Ihnen helfen. Ich weiß allerdings nicht, um was es geht, Mr. Parker.«

»Es handelt sich um eine Clubnadel«, begann Parker. Steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß der Butler auf der Kante des tiefen, modernen Ledersessels. »Wenn meine Annahme mich nicht sehr täuscht, trug sie eine der berüchtigten ›Rotnasen‹. Das hier ist die bewußte Nadel.«

Geoffrey Cardiff sah Parker entsetzt an, als habe er ein Sakrileg begangen, dann nahm er die Nadel vorsichtig in die Hand und hielt sie gegen das Licht seiner Schreibtischlampe.

»In der Tat, das ist eine unserer Juniorennadeln«, bestätigte er nach kurzer Prüfung.

»Läßt sich feststellen, wer von den Junioren diese Nadel verlor?«

»Da müßte ich erst einen Aushang ans Schwarze Brett schlagen.«

»Die Nadeln sind nicht registriert? Ich suchte vergeblich nach einer Mitgliedsnummer.«

»Nein, die Anstecknadeln werden nicht registriert. Nach Aufnahme in den Club werden sie ausgegeben, das ist alles.«

»Und auch immer getragen?«

»Oh, das möchte ich nicht sagen, Unser Club ist derart exclusiv, daß darauf kaum Wert gelegt wird.«

»Bleibt also nur der Aushang?« erkundigte sich Parker knapp.

»Allerdings, Mr. Parker. Um auf die ›Rotnasen‹ zurückzukommen, ich halte es selbstverständlich für ausgeschlossen, daß irgendein Junior gemeinsame Sache mit Gangstern machen könnte. Sie wissen sicher nicht, aus welchen Kreisen sich unsere Mitglieder zusammensetzen.«

»Sie glauben also, daß eine wohlgefüllte Geldbörse immun gegen Verbrechen macht?«

»Das natürlich nicht, ich möchte nicht mißverstanden werden, Mr. Parker, ich kann mir nur nicht vorstellen …«

»Die Junioren bewegen sich in welchen Altersklassen?« Parker konnte seine Frage durchaus direkt stellen, wenn er wollte.

»Eine Grenze ist da kaum gesetzt«, erläuterte Cardiff widerwillig. »Meist wechseln die Mitglieder erst nach ihrer Heirat zu den Senioren über. Eine Trennung ist da kaum gegeben. Das lockerte sich im Laufe der Zeit sehr auf.«

»Wer gibt die Anstecknadeln aus?« wollte Parker wissen.

»Das gehört zu meinen Pflichten, Mr. Parker. Hat das Präsidium des Clubs über einen Antrag entschieden, kann ich die Nadel ausgeben.«

»Sie verfügen über einen größeren Vorrat davon?«

»Nun, das kann man nicht gerade sagen, Mr. Parker. Die Nadeln sind echt, daher auch sehr teuer.«

»Mich würde interessieren zu erfahren, wie viele Nadeln Sie zur Zeit aufbewahren.«

»Oh, da kann ich Ihnen schnell helfen, Mr. Parker. Wenn Sie sich einen Moment gedulden wollen.«

Geoffrey Cardiff stand auf und trat vor einen altertümlichen und mit Schnörkeln bedeckten Stahlschrank. Umständlich öffnete er ihn und hob dann eine kleine Kassette heraus. Auch sie mußte er erst noch öffnen.

»Ich schätze, daß es etwa ein Dutzend sind«, meinte Cardiff, als er den Deckel der Kassette hochdrückte. »Sehen Sie hier … Oh, was ist denn das …? Das ist doch unmöglich …! Ich weiß genau, daß die Nadeln in der Kassette waren.«

Parker beugte sich kaum vor. Mit einem Blick sah er, daß die Kassette leer war. Sie enthielt nicht eine einzige Nadel. Cardiffs Kopf färbte sich rot, seine Lippen wurden noch blutleerer und schmaler.

»Die Nadeln sind gestohlen worden«, krächzte er entgeistert. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Mr. Parker.«

»Wann sahen Sie sie zuletzt?«