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Nr. 2612

 

Zielpunkt BASIS

 

In der Doppelgalaxis Chanda – Perry Rhodan sucht sein verschwundenes Raumschiff

 

Michael Marcus Thurner

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Der furchtbare, aber kurze Krieg gegen die Frequenz-Monarchie liegt inzwischen sechs Jahre zurück. Die Hoffnung auf eine lange Zeit des Friedens bleibt leider unerfüllt. Die geheimnisvolle Macht QIN SHI schlägt zu, und es geschieht mehrerlei:

Alaska Saedelaere stößt mit dem Kosmokratenraumschiff LEUCHTKRAFT ins Reich der Harmonie vor, um dessen Kommandantin Samburi Yura zu befreien.

Bei der ersten Begegnung mit der Herzogin kommt es allerdings zu Missverständnissen, und Saedelaere bleibt mit dem Zwergandroiden Eroin Blitzer im Palast der Harmonie unter Beobachtung.

Das Solsystem wird von unbekannten Kräften in ein abgeschottetes Universum entführt, in dem die geheimnisvollen Auguren die Kinder und Jugendlichen beeinflussen wollen, um die Menschheit »neu zu formatieren«.

Perry Rhodan schließlich hat es in die von Kriegen heimgesuchte Doppelgalaxis Chanda verschlagen, wo er zuerst einen Außenposten etablieren und Informationen gewinnen musste. Nun gilt seine Sorge dem legendären Fernraumschiff der Menschheit und der Mission mit dem ZIELPUNKT BASIS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner sucht ein Rendezvous.

Gucky – Der Mausbiber möchte sich als Reinigungskraft austoben.

Nemo Partijan – Der Wissenschaftler entwickelt sich zum Lieblingsansprechpartner Rhodans.

Protektor Kaowen – Der Xylthe versucht, Herr der BASIS zu werden.

Trasur Sargon – Ein Ertruser flieht vor den Dosanthi.

1.

Wir

 

Früher war es anders. Wir kämpften nicht. Wir hatten nicht die Möglichkeit – und schon gar nicht die Ambitionen –, uns mit mutmaßlichen Gegnern Gefechte zu liefern.

Wir sagen mutmaßlich, weil der Feind von heute ein Verbündeter von morgen sein könnte. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass sich im Laufe der Jahrzehntausende die Fronten ändern, immer wieder.

Der neue Pilot ist anders. Er irritiert uns. Er hat den richtigen Geist, doch er greift zu Mitteln, die uns unbekannt sind.

Wir wehren uns nicht. Wir können uns nicht wehren. Wir sind bloß mentale Substanz. Gedanken und Erinnerungsfetzen, die hängen blieben, während wir unseren Dienst ausübten.

Der Pilot wirkt anziehend auf uns. Seine Attraktivität beruht auf jener Unbekümmertheit, die er sich trotz seines Alters bewahrt hat. Auf seiner Hingabe. Auf der Art und Weise, wie er Zusammenhänge erfasst.

Es gibt viele gute Gründe, Perry Rhodan zu mögen – und einige, vor der Berührung mit seiner Persönlichkeit zurückzuschrecken.

Einer der Gründe für unsere Ablehnung wird soeben schlagend: Der unsterbliche Terraner zwingt uns in die Schlacht. Er nutzt uns, MIKRU-JON, um Unglück und Tod zu verbreiten.

 

*

 

Wir geraten in einen Hinterhalt. Aus den Ortungsschatten mehrerer Sonnen lösen sich Raumschiffe. Sogenannte Zapfenraumer.

Unsere Gegner verhalten sich aggressiv. Schon oft hatten wir es mit angriffslustigen und gewissenlosen Wesen zu tun. Wir alle haben unsere Erfahrungen in der Konfrontation gemacht, und sie waren nur selten positiver Natur. Auch wenn wir stets unbeschadet entkommen konnten, blieben Erinnerungsnarben zurück, die bis heute nachwirken.

Perry Rhodan bereitet sich mit unserer Hilfe auf die Auseinandersetzung vor. Manche von uns helfen ihm lieber als andere; doch in unserer Gesamtheit bieten wir gewiss eine zufriedenstellende Unterstützung.

Er schlüpft nun ins Schiff. Er berührt uns. Gleitet mit unserer Hilfe tief in MIKRU-JON. Er ist zum Piloten geworden, so, wie wir allesamt einstmals Piloten waren.

Der Unsterbliche beginnt den Dialog mit MIKRU-JON. Mit dem künstlichen Bewusstsein und mit uns. Er verschmilzt mit Metall und Rechner. Mit Gedanken und Erinnerungsfetzen.

Wir helfen ihm. Wir leiten seinen Geist. Wir bewirken, dass er so rasch wie möglich Perfektion in seiner Rolle findet.

Er wiederum hilft uns, den ungewöhnlichen Blickwinkel eines anderen, fremden Volkes einzunehmen, wie auch wir alle einander einst fremd waren. Wir sehen unsere Umgebung, das kalte und gleichzeitig so lebendige All, mit seinen Sinnen.

Manche von uns bedauern ihn wegen seiner eingeschränkten Wahrnehmungsmöglichkeiten. Er kann keine Quarks in seinen Körperröhren fühlen und schmecken wie Pilot Aljo Podroz. Das UHF-Spektrum ist für ihn bloß ein abstrakter Begriff, weil bei ihm ungleich Pilotin Daramalawa die feinen Wellen im obersten Spektrumsbereich zwischen den Körperlamellen nicht blubbern. Er weiß nicht, wie es ist, die Gerüche des Vakuums zu identifizieren und derart nach Spuren zu suchen, wie es einst Pilotin Sox Zweigrab, die Jägerin, zustande brachte.

Wir seufzen im Kollektiv, und irgendwo an Bord des Schiffs atmet unser Manifestationskörper Mikru heftig durch. Sie ist wir, wir sind sie. Wir sind frei – und dennoch gebunden.

Perry Rhodan beschleunigt. Seine Gedankensteuerung mag ein wenig grob wirken; auch das ist diesen eigenartigen terranischen Wahrnehmungsmängeln geschuldet.

Dennoch genießen wir die Kraft, die MIKRU-JON – und damit uns – durchströmt. Wir bewegen uns. Die Erinnerung an ein früheres Leben in Körpern wird stärker.

Der Kampf steht unmittelbar bevor. Wir bringen Mikru dazu, Zweifel zu äußern; doch Rhodan hört nicht auf sie/uns. Seine Argumente sind stichhaltig, und es wird ganz gewiss keinen Streit zwischen ihm und ihr/uns geben. Er ist der Pilot. Wir sind Gedanken und Erinnerungsfetzen.

Wir werden endgültig eins mit ihm, und wir wehren uns nicht. Wir werden mit all unserer Erfahrung helfen. Metall und Geist finden zusammen. Die Schlacht kann beginnen.

2.

Perry Rhodan

 

Ramoz schnupperte in die Luft. So, wie er es in seiner früheren Form angesichts einer Gefahr immer wieder getan hatte.

Er wirkte wie ein in die Enge gedrängtes Tier, das sich auf sein Gegenüber stürzen wollte. Die orangefarbene Körperbehaarung war gesträubt; mit Blicken suchte er nach einem Ausweg aus seiner Zwangslage.

Plötzlich entspannte er sich und sagte: »Laaangweilig.«

»Ich würde an deiner Stelle ruhig halten«, meinte Mondra Diamond, »dann hättest du die Untersuchungen rascher hinter dir. «

»Laaangweilig«, wiederholte Ramoz. Er trat unruhig von einem Bein aufs andere. »Und nicht nur das: Es nervt gewaltig. Ich habe keine Lust, länger euer Versuchskaninchen zu spielen.«

»Wir müssen wissen, ob du gesund bist. Ob du eine Gefahr für deine Umwelt und dich selbst bist.« Mondra trat nah an Ramoz heran. »Du hast die ungewöhnlichste Wandlung durchgemacht, die ich jemals erlebt habe. Wir müssen die Hintergründe erforschen und sie verstehen lernen.«

»Ich glaube nicht, dass ihr es herausfinden werdet. Und all das spielt sowieso keine Rolle. Hauptsache, ich bin bei Verstand – und wieder zu Hause ...«

Perry Rhodan ignorierte die Worte und beschränkte sich aufs Beobachten. Gemeinsam mit einem Team aus Fachärzten und Psychologen verfolgte er seit den frühen Morgenstunden die Untersuchungen aus der Sicherheit eines Nebenraums.

Ramoz war instabil. Von einer Sekunde zur nächsten änderte sich sein Verhalten. Wie eben: Er fuhr herum, riss sich all seine Rezeptor-Bänder vom Leib, stürmte an Mondra vorbei und kratzte über die Tür. Der Kristalldorn in seinem rechten Auge bewegte sich hin und her. Wachsam suchte das ehemalige Tier den Raum ab und verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse, als er Kamerasonden entdeckte.

Ramoz schnappte nach einer von ihnen. Mit einer erschreckend schnell ausgeführten Bewegung seiner Rechten fischte er das fliegengroße Objekt aus der Luft, umfasste es und klatschte es gegen die Wand.

Rhodan hielt seine Angst mühsam im Zaum. Es war nicht das erste Mal, dass ihn Ramoz’ Verhalten erschreckte. Mondra war allein mit dieser tickenden Zeitbombe – und wer wusste schon, ob ihr persönlicher Schutzschirm angesichts der Unberechenbarkeit ihres Gegenübers rechtzeitig hochfahren würde?

Sie redete beruhigend auf ihn ein. So lange, bis Ramoz zurück zur Untersuchungsplattform ging und sich von ihr die Rezeptor-Bänder umlegen ließ.

»Du bist meine Traumfrau«, flüsterte Ramoz. »Vergiss diesen seltsamen Unsterblichen! Gehen wir gemeinsam auf große Fahrt! Kapern wir ein Schiff! Ziehen wir hinaus in die unendlichen Weiten des Weltalls, nur du und ich ...«

Ramoz geriet ins Schwadronieren, und Rhodan meinte, ihn zwischendurch schnurren zu hören. Er umgarnte Mondra mit einer Penetranz, die sie gewiss nicht leiden konnte.

Rhodan erkannte die Ermüdungserscheinungen in ihrem Gesicht, die Zeichen, die Böses ahnen ließen. Sie blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Nase – eine bezaubernde Nase übrigens! – zuckte, und sie zog die Schultern ein wenig hoch.

Gleich geht sie an die Decke ...

Mit hämischer Vorfreude erwartete Rhodan die Explosion. Drei- oder viermal hatte er Mondra während der letzten Jahre die Nerven verlieren sehen, und er hatte stets gut daran getan, möglichst schnell Deckung zu suchen. Und zwar am besten hinter mehrfach gestaffelten Schutzschirmen ...

Doch Mondra schaffte es einmal mehr, sich zurückzunehmen. Sie entspannte sich und zeigte ein Lächeln. Besänftigend redete sie auf das humanoid und zugleich katzenhaft wirkende Wesen ein. Sie legte Ramoz eine Hand auf die Schulter, streichelte ihn. Mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit und Vertrautheit, die sie nach einigen Sekunden offenbar selbst zurückschrecken ließ.

»Sie ist verdammt gut«, flüsterte Mirjam Ono. Die untersetzte Frau mit dem bunten Flitter im Haar war die leitende Exo-Psychologin des versammelten wissenschaftlichen Gremiums. »Ihr Gestus, das Mienenspiel, die Wortwahl – alles ist perfekt. Ich hätte es nicht besser hinbekommen.«

»Sie spielt keine Rolle«, behauptete Rhodan. »Sie handelt gemäß ihrem Naturell.«

»Das glaube ich nicht!«

Er schwieg. Sein Vertrauen in Können und Erfahrung der Frau war nicht sonderlich groß. Unter anderen Umständen hätte er gewiss bessere Leute in jenes Team einbezogen, das sich um Ramoz kümmerte. Doch auf Orontes war gutes Personal Mangelware.

Du hast kein Recht, über diese Menschen zu urteilen!, mahnte sich Rhodan. Sie wurden völlig unvorbereitet aus ihrem beschaulichen Leben gerissen. Selbst dir fällt es schwer, wieder Boden unter den Füßen zu spüren. Die Lage ist alles andere als rosig.

Um Gründe für ein wenig Hoffnung auf eine Besserung ihrer Situation zu finden, musste man sehr, sehr tief schürfen. Sie waren Vertriebene. Flüchtlinge.

Ein Feind, über den bislang so gut wie nichts bekannt war, hatte sie besiegt und die BASIS in Besitz genommen. Die Milchstraßenbewohner waren zu Bällen in einem Spiel geworden, das sie nicht verstanden. Rhodans Sohn Delorian spielte eine ebenso undurchschaubare Rolle wie der geheimnisvolle Fremde Ennerhahl und ein Wesen, das QIN SHI genannt wurde.

Sie saßen in der Galaxis Chanda fest, er hatte den Anzug der Universen anvertraut bekommen und war von Ennerhahl angewiesen worden, sich um das »Multiversum-Okular« zu kümmern.

Mehr wussten sie nicht.

Rhodan schluckte heftig. Dies war seine persönliche Leidensgeschichte und die der BASIS-Besatzung. Doch es gab weitaus Schlimmeres: Am Tag der Entführung des riesigen Schiffs war das Solsystem verschwunden. Die Heimat der Menschheit war nicht mehr dort, wo sie sein sollte.

Was für eine Katastrophe! Und ich sitze hier fest; auf einem Glutplaneten. Ich beschäftige mich mit Ramoz, der sich unter dem Einfluss hyperphysikalischer Kräfte wundersamerweise vom Tier zum intelligenten Wesen gewandelt hat. Ich bewege mich durchs Unbekannte, blindlings, und hoffe, trotz unserer kritischen Situation den nächsten Morgen zu erleben.

Rhodan nahm sich zurück. Er war zu ungeduldig. Er musste die Erfolge im Kleinen suchen. Immerhin war es ihnen gelungen, den Einwohnern von Orontes, den Todringern, eine Aufenthaltsfrist von 60 Tagen abzuringen.

Ihre Streitkraft war um die beiden Korvetten HARL DEPHIN und SENCO AHRAT sowie um den Kreuzer der LUNA-Klasse namens TUBLIR angewachsen. Deren Personal half mit, die Reparaturarbeiten an Bord der CHISHOLM zu beschleunigen. Alles ging zügig voran; von den psychischen Belastungen der ersten Tage in dieser fremden Sterneninsel war nur noch wenig zu spüren.

Durch Ortungssonden, die sie in die Weiten der Galaxis hinausgejagt hatten, wussten sie ein wenig mehr über die hiesigen Machtstrukturen. Winzige Reiche und Piratenflotten wie jene der Quolnäer Keretzen kämpften um mehr Einfluss. Sie schmiedeten brüchige Bündnisse oder versuchten, ihr Terrain zu vergrößern.

Jeder gegen jeden, so lautete das Motto in Chanda. Eine kontrollierende und führende Hegemonialmacht war weit und breit nicht zu entdecken ...

Genug davon! Für diese Gedanken war ein anderes Mal Zeit. Er musste sich auf Mondra und Ramoz konzentrieren.

»Als du wieder du selbst wurdest«, sagte seine Lebensgefährtin eben, »sagtest du, es wäre schön, wieder zu Hause zu sein. Welche Sprache sprichst du da eigentlich?«

»Ich erinnere mich an vieles.« Ramoz grinste.

»Zu Hause ist ein sehr breiter Begriff. Ich vermute, du meinst die Galaxis, in der wir uns befinden?«

»So ist es.«

»Geht’s vielleicht ein wenig genauer?« Mondra sprach ruhig und geduldig. »Woran erinnerst du dich? Denk nach! Besitzt du Informationen, die uns in unserer derzeitigen Situation helfen?«

»Sicherlich. Aber ich kann derzeit nicht darauf zurückgreifen.«

»Warum nicht?«

»Keine Ahnung.« Ramoz gab einen Laut von sich, den Perry als vergnügt einordnete. »Aber ich mache mir keine Sorgen. Ich benötige lediglich ein wenig Inspiration. Dann kommt alles von selbst zurück.«

»Inspiration?«

»Du weißt schon ... Die richtige Stimmung, die passende Umgebung, eine angenehme Begleitung ...«

Er lächelte Mondra vertraulich zu und berührte sie sanft.

»Lass den Unsinn, Ramoz!«

»Ach komm! Ich habe mir nicht allzu viele Erinnerungen an mein Leben in Tiergestalt bewahrt; dennoch gibt’s einiges, was hängen geblieben ist. Bilder und Eindrücke. Du hast keine Geheimnisse vor mir, weißt du? Ich kenne deine Vorlieben, genau wie Perry.«

Rhodan verließ seinen Platz, missachtete alle Sicherheitsvorkehrungen und eilte schnurstracks zum Untersuchungsraum. Ein Alarmsignal ertönte. Rhodan sprach einen Überrangbefehl aus, die Schutzschirme erloschen.

Er betrat den hell ausgeleuchteten Raum. »Wie geht’s denn so?«, fragte er in Richtung Ramoz. »Du siehst gut aus.«

»Danke der Nachfrage, Perrylein.« Ramoz nickte ihm zu und zog den Kopf ein wenig ein. »Ich vermute, du hast gelauscht?«

Rhodan ignorierte die Provokation. Er trat zu Mondra und umfasste ihre Schultern mit einem Arm. »Es ist spät. Mein Magen knurrt. Ich denke, wir haben uns alle eine Pause verdient.«

»Ihr behandelt mich wie ein Versuchsobjekt«, sagte Ramoz leise und gereizt. »Seit meiner Wandlung muss ich mich für euch zur Verfügung halten. Ihr stellt pausenlos Fragen. Ihr wollt meinen Geist durchleuchten. Fachleute kümmern sich um meine Physis und meine Psyche. Ständig muss ich mir Untersuchungen am Augendorn gefallen lassen ...«

»Das geschieht alles zu deinem Besten«, unterbrach ihn Mondra. »Wir sorgen uns um dich. Immerhin besteht die Gefahr, dass die Transformation weiter fortschreitet.«

Ramoz bleckte die raubtierhaften Zähne. Es wirkte bedrohlich. »Seid ihr schon einmal auf die Idee gekommen, dass ich gern einige Zeit für mich allein hätte? Schließlich bin ich es, dessen Leben sich so abrupt geändert hat. Ihr habt keine Ahnung, was es bedeutet, zu erwachen – und festzustellen, dass man Jahre oder Jahrzehnte als Tier verbracht hat.«

Er öffnete den Mund und wollte etwas hinzufügen, überlegte es sich dann aber.

»Es tut mir leid«, brachte der Terraner mühsam beherrscht hervor. »Wir haben große Sorgen und Probleme, wie du weißt. Manche Dinge gehen mir ganz einfach zu langsam. Ich vergesse manchmal, dass nicht jedermann an mein Tempo gewöhnt ist.«

»Du vergisst manchmal, dass du von Normalsterblichen umgeben bist«, sagte Ramoz leise. »Dies ist eine weitere Erinnerung, die ich aus meinem Tier-Dasein mit herübergerettet habe.«

»Mag sein.« Das Thema war Rhodan unangenehm. Es stellte die Quintessenz dessen dar, was ihm Mondra von Zeit zu Zeit vorwarf. »Doch zurück zu dir: Du hättest gern eine Ruhepause. Ein wenig Zeit für dich selbst. Ist das so?«

»Ich möchte weniger Leute um mich haben. Ich benötige Auslauf ... ich meine: Ausgang. Ich kann es nicht leiden, stets im Zentrum des Interesses zu sein. Es macht mich unruhig. Aggressiv.« Ramoz schüttelte sich. Auch wenn die Bewegung Ausdruck seines Widerwillens war, wirkte sie elegant.

»Wir können die Untersuchungen sicherlich ein wenig einschränken ...«

»Nicht ein wenig! Ich werde ab nun die Spielregeln festlegen! Ich bin nicht euer Gefangener. Ihr habt kein Recht, über mich zu bestimmen.« Ramoz zog sich die Rezeptor-Bänder von der entblößten Brust. Einige Haare seines Körperflaums blieben daran kleben.

»Einverstanden!«, sagte Mondra schnell. »Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass du mehr Ruhe bekommst.«

»Ich möchte mich ausschließlich mit dir unterhalten«, setzte Ramoz noch eins drauf. »Ich will in nächster Zeit keinen anderen Menschen mehr sehen.«

»Du wirst unverschämt!«, meinte Rhodan.

»Nenn es, wie du willst.« Ramoz stieß gut hörbar Luft durch die flache Nase aus. »Überleg dir einfach, was du von mir möchtest. Und denk dran, dass ich dich gut kenne. Besser, als du ahnst. Meine Instinkte haben mich nicht verlassen ...«

»Ich schlage vor, dass wir nun wirklich eine Pause einlegen«, mischte sich Mondra ein weiteres Mal ein. »Wir sind allesamt ein wenig angespannt.«

»Was immer du möchtest, Frauch... Mondra.«

Ramoz wich zur Seite und griff nach einem Hemd, das aus Rhodans Fundus stammte. Es passte ihm unverschämt gut. Es spannte sich um seine Brust und zeigte das Spiel seiner Sehnen und Muskeln.

Rhodan zog Mondra mit sich aus dem Raum. »Du hättest dich nicht einmischen sollen!«, wies sie ihn zurecht, kaum, dass sie auf den Gang getreten waren. »Er weiß ganz genau, dass er beobachtet wird. Er wollte dich provozieren – und das ist ihm ausgezeichnet gelungen.«

»Mag sein. Ramoz’ Art ist mir nicht sonderlich sympathisch.«

»Typisches Eifersuchtsverhalten. Ein männliches Alphatier trifft auf ein anderes – und schon geht’s zur Sache«, belehrte Mondra ihn mit einem spitzbübischen Grinsen.

»Unsinn!«, sagte Rhodan – und wusste ganz genau, dass er nicht sonderlich überzeugend klang.

Sie betraten die kleine Küche der Wissenschafts-Abteilung und tranken heißen Kaffee. Für eine Weile standen sie da, jeder in seinen eigenen Gedanken verhangen, bis Mondra sagte: »Ramoz hat recht mit seinen Klagen über unsere Behandlung. Und nicht nur das: Meinem Empfinden nach käme ich wesentlich rascher zu Ergebnissen, wenn ich freie Hand hätte.«

»Das bedeutet?«

»Schaff mir Mirjam Ono und ihre Sippe vom Hals. Sie sollen sich meinethalben im Hintergrund mit der Auswertung meiner Aufzeichnungen beschäftigen. Aber ich möchte keine Beobachtungssonden mehr um mich haben. Keinen energetischen Schutzkäfig, kein Wachpersonal.« Sie deutete auf einen massigen, bewaffneten Epsaler, der am Ende des Gangs stand und ihnen auffällig-unauffällige Blicke zuwarf.

»Abgelehnt«, sagte Rhodan. »Die Gefahr ist zu groß. Du kennst Ramoz in seiner neuen Erscheinungsform nicht.«

»In manchen Situationen ist er scheu, verletzlich und unsicher. Dann schlägt seine Stimmung von einem Moment zum nächsten um, und er gibt sich selbstbewusst wie ein Algorrian. Und genauso stinkig, nebenbei gesagt.«

»Die Stimmungsschwankungen haben wohl mit seiner Verwandlung zu tun. Ich halte ihn für unberechenbar.«

»Wir wollen Antworten, nicht wahr? Wir möchten wissen, wie er nach Markanu ins Museum der Halbspur-Changeure gekommen ist. Was hatte er dort zu suchen, warum hat er sich an mich gehängt? Hat ihn jemand aus Chanda weggeschafft, obwohl dieser Jemand wusste, dass dies seine Verwandlung zum Tier bedingen würde? Oder wurde er bereits vorher verwandelt, und wenn ja, von wem und warum?« Mondra holte tief Atem. »Was hat es mit den Knieschützer-Gamaschen auf sich? Wer hat sie ihm angelegt? Offenbar bargen sie das Potenzial zur Rückgewinnung seines eigenen Ichs. Wenn man ihn verbannt hat – warum ließ man ihm dieses sonderbare Schlupfloch offen?«

»Das und tausend andere Dinge wollen wir wissen, ja. Doch wir müssen so vorsichtig wie möglich vorgehen. Nemo Partijan hat erst gestern seine Diagnose erstellt ...«

»Du siehst in dem Kerl wohl den neuesten Wissenschafts-Guru? Er darf zu allem und jedem seinen Senf dazugeben, und du glaubst ihm kritiklos.«

»Er hat mich bislang nicht enttäuscht. Du musst ihm recht geben, wenn er – ich zitiere wörtlich – von einer labilen, der jähen Metamorphose geschuldeten Verwerfung der Psycho-Struktur spricht und ...«

»Und – ich zitiere ebenso wörtlich – von einer erstaunlichen physischen Stabilität sowie einem beträchtlichen mentalen Potenzial

Rhodan trank den Kaffee aus. »Wir beide kommen wohl auf keinen grünen Zweig, was Ramoz’ Gefährlichkeit betrifft.«

»Richtig.«

Er rang sich ein Lächeln ab. »Schade. Insbesondere jetzt, da ich dich bitten wollte, mich auf eine kleine Mission zu begleiten.«

Mondra runzelte die Stirn. »Ich sehe das verräterische Glänzen und Glitzern in deinen Augen. Diese Mission scheint nicht so klein zu sein, wie du mir gerne weismachen möchtest.«

»Ach, weißt du ... Die Lage auf Orontes ist so weit unter Kontrolle, und ich dachte, es wäre Zeit, nach Spuren der BASIS zu suchen ...«

»Um was zu tun?«

»Um ihre Rückeroberung vorzubereiten, selbstverständlich.«

 

*

 

»Sie begleitet uns also nicht?«, fragte Gucky.

»Warum fragst du, wenn du ohnedies meine Gedanken liest?«

»Ich sagte es bereits einmal: Du lädst mich richtiggehend dazu ein. Deine Mentalstabilisierung ist faktisch nicht vorhanden, deine Gedanken liegen vor mir wie ein offenes Buch. Es handelt sich keinesfalls um einen Vertrauensbruch. Ich verdächtige dich vielmehr, mir einige Gedankenhappen hinzuwerfen, damit ich nachfrage. Damit du mit mir sprechen kannst.«

»Mag sein.« Rhodan zuckte mit den Schultern.

»Mondra ist eine starke Persönlichkeit. Sie ist es gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen.«

»Das nervt manchmal ganz schön«, gestand Rhodan.

»Du hast es niemals anders gewollt. Denk an Thora, an Mory Abro, an Gesil. Allesamt waren sie keine Hausmütterchen. Du benötigst jemanden, an dem du dich reiben kannst.«

»Stimmt. Dennoch mache ich mir Sorgen. Sie steigert sich in diese Sache mit Ramoz, als gäbe es keine anderen Probleme.«

»Andere Leute hingegen beschäftigen sich mit vernünftigen Gedanken. Mit der Rückeroberung der Riesenschildkröte BASIS zum Beispiel. An Bord einer Mikrofliege wie MIKRU-JON. Mit einer Besatzung von drei Mann. Wobei eines dieser Bordmitglieder zu deinem großen Glück bereits Erfahrung mit der Rettung von Universen und anderen Kleinigkeiten gesammelt hat.«

Rhodan grinste und wechselte übergangslos das Thema. »Ist Nemo Partijan an Bord?«

»Ich bin mit ihm teleportiert. Er hat sich ein Zimmer für seine Zwecke adaptieren lassen und unterhält sich seit seiner Ankunft mit dem Schiffs-Avatar. Mir scheint, als hätte er einen Narren an der bezaubernden jungen Dame gefressen.«

»Dann lassen wir ihn vorerst in Ruhe.« Rhodan wandte sich zu einem Holoschirm um und sprach leise einige Worte ins Aufnahmefeld.

»Eine Nachricht für Mondra?«

»Ja.«

»Sicherlich albernes Liebesgeschwafel. Stimmt’s?«

»Um das herauszufinden, bedarf es keiner telepathischen Fähigkeiten.«

»Richtig. Gesunder Iltverstand reicht in diesem Fall völlig aus.« Gucky zupfte an Rhodans Anzug der Universen. »Komm schon, gib den Startbefehl! Lass uns nach der BASIS suchen!«

 

*

 

Sie nahmen die Reise über 775 Lichtjahre zur letzten bekannten Position des Riesenschiffs mit vergleichsweise geringer Geschwindigkeit in Angriff. Mit einem Überlichtfaktor von 500.000 würden sie ihr Ziel in einem halben Tag erreichen.

»Wir sollten das Tempo weiter drosseln«, empfahl Nemo Partijan, der sich erstmals seit dem Start vor zwei Stunden in der Zentrale MIKRU-JONS blicken ließ. »Wir wissen nach wie vor viel zu wenig über die hiesigen Bedingungen.«

»Ich habe alles im Griff«, entgegnete Rhodan. Er steckte in der Pilotenrolle und hatte Mühe, die Worte des Wissenschaftlers wahrzunehmen. Zu sehr war er mit dem Schiff verbunden, wodurch er eine ganzheitlichere Erfahrung des Weltraumflugs erlebte als an Bord jedes anderen Raumers.

Er achtete nicht weiter auf Partijan und widmete sich seiner Aufgabe. Es war gewiss nicht notwendig, MIKRU-JON zu steuern. Die Bedingungen waren zwar schwierig, doch keineswegs so, dass das Schiff nicht selbstständig damit zurechtkommen würde.

Doch er wollte sich so gut wie möglich vorbereiten. Je mehr Übungsstunden er als Pilot in dieser fremdartigen Umgebung der Galaxis Chanda verbrachte, desto besser würde er im Ernstfall reagieren können.