PROF. DR.
ANDREAS MICHALSEN

MIT ERNÄHRUNG
HEILEN

Besser essen. Einfach fasten. Länger leben.

Unter Mitarbeit von
Dr. Suzann Kirschner-Brouns

Herausgegeben von
Friedrich-Karl Sandmann

Insel Verlag

Inhalt

Diese kurze Übersicht zeigt den Inhalt des Buches; ein detailliertes Verzeichnis finden Sie jeweils zu Beginn der Kapitel.

Mit Ernährung heilen
Vorwort

Die Evolution, der Darm und der Stoffwechsel
Die Erfolgsgeschichte des Menschen und der Irrweg unserer Ernährung

Den natürlichen und gesunden Rhythmus wiederentdecken

Fasten ist fest in unserer Kultur verankert

Wie die Nährstoffe in die Zellen kommen

Ein kluger Schutzmechanismus der Evolution

Besser essen, gesünder leben
Neues Bewusstsein für die Ernährung

Die gesündesten Orte der Welt

Die mediterrane Ernährung

Die großen Nährstoffgruppen und ihre Lebensmittel

Essen als Heilmittel und meine Superfoods

Einfach fasten, länger leben
Heilfasten, Scheinfasten, Intervallfasten

Warum das Fasten für uns so bedeutsam ist

Wie Fasten die Selbstheilung aktiviert

Die Reaktionen des Körpers auf Essen und Fasten

Die heilende und vorbeugende Wirkung des Fastens

Mit Ernährung und Fasten heilen
Mein Therapieprogramm für ein gesundes Leben

Warum alle Diäten gescheitert sind

Meine Therapien bei chronischen Erkrankungen

Krebserkrankungen durch Ernährung und Fasten vorbeugen

Neues Wissen aus der Altersforschung

Index

Literaturauswahl

Vorwort

Seit zehn Jahren bin ich als Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin und als Professor für klinische Naturheilkunde der Charité tätig – und Ernährung hat für mich heute, auch in der eigenen Familie, den höchsten Stellenwert. Das war aber nicht immer so. Obwohl ich durch mein Elternhaus und besonders durch meinen Vater, der selbst naturheilkundlich orientierter Arzt war, erfahren habe, dass gesunde Ernährung ein Teil der Medizin ist, ernährte ich mich in meiner Zeit als Assistenzarzt und während vieler Nächte im Schichtdienst auf der Intensivstation, in der Feuerwehrzentrale oder zwischen Einsätzen mit dem Notarztwagen bedenkenlos von Fast Food, viel Süßem – und ich rauchte. Gemüse oder Salat standen nur selten auf meinem Ernährungsplan, es musste immer schnell gehen und einfach nur satt machen. Die Quittung folgte, als mir mit Anfang 30 die betriebsärztliche Untersuchung erhöhten Blutdruck und deutlich erhöhte Blutfettwerte attestierte. Die Kollegin ermahnte mich damals, etwas an meinem Lebensstil zu ändern. Ich nahm mir das tatsächlich zu Herzen, sah ich doch bei meiner täglichen Arbeit mit vielen Patienten, die einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten, was die Folgen einer ungesunden Ernährung und eines ungesundes Lebensstils sein konnten und dass es eigentlich darum gehen müsste, zu erforschen und zu vermitteln, wie man sich mit der richtigen Ernährung früher vor Krankheiten schützen kann. Ich selbst begann, mich mediterran zu ernähren, gab das Rauchen auf – und ein halbes Jahr später waren meine Blutdruck-, Cholesterin- und Triglycerid-Werte wieder normal.

In meiner damaligen internistischen Abteilung richtete ich meinen klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkt danach aus und entwickelte spezielle Patientenprogramme für Lebensstil, um präventiv gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzugehen. Schließlich wechselte ich in das Fach der Naturheilkunde und lernte staunend, was sich mit einer Ernährungsumstellung, aber auch durch das Heilfasten für beeindruckende gesundheitliche Resultate erzielen lassen. Ich untersuchte die Effekte des Fastens und von gesunder Ernährung in klinischen Studien und wollte die Ursachen ihrer gesunden Wirkung verstehen. Im Jahr 2008 gelangten die Alters- und Anti-Aging-Forscher der renommierten US-amerikanischen Universitäten zu der Erkenntnis, dass es kein einziges Medikament und keine einzelne medizinische Maßnahme gibt, die ein gesundes, langes Leben versprechen, sondern nur eine Möglichkeit: zu fasten! Ich nahm Kontakt mit diesen Wissenschaftlern und zu Fasten-Forschern weltweit auf. Es entwickelte sich ein fruchtbarer Austausch mit den Kollegen und eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung rund um die Frage: Wie kommt es dazu, dass Fasten im Laborversuch auf so einzigartige Weise das Leben zu verlängern in der Lage ist?

Als ich die Fakten mit meinem Wissen und meiner Erfahrung zur gesunden Ernährung zusammenbrachte, erkannte ich, dass Fasten und Ernährung an den gleichen Schnittstellen im Körper arbeiten, dieselben Mechanismen bedienen und wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen! Durch regelmäßiges Heilfasten, Intervallfasten und eine betont pflanzliche Ernährung mit wenig verarbeiteten Lebensmitteln können wir so tatsächlich den meisten chronischen Erkrankungen vorbeugen und gezielt gegensteuern. Fasten und Essen ergänzen sich ideal. Die beeindruckenden Erkenntnisse und die Heilungserfolge an Tausenden von Patienten der Fasten-Forschung legen nahe, dass die Kombination aus regelmäßigem Fasten und gesundem Essen das Beste ist, was wir unserem Körper geben können.

Es muss also darum gehen, das, was wir essen, wann und wie oft wir essen mit unserem biologischen Programm, unseren uralten Genen und unserem Stoffwechselprogramm wieder in Einklang zu bringen.

Die Idee hinter diesem Buch ist, Ihnen verständlich zu zeigen, wie Sie besser essen und einfach und richtig fasten können, um den Jahren nicht nur mehr Leben(squalität) und Gesundheit zu geben, sondern womöglich auch dem Leben mehr Jahre. Ich möchte Ihren Blick schärfen für eine kluge und gesunde Ernährungsweise, die entscheidend ist für den Erhalt oder die Wiederherstellung der Gesundheit. Ich möchte aufklären, indem ich Sie mitnehme auf eine Reise zu unseren Ursprüngen, unseren uralten Genen, die uns bis heute ausmachen; ich stelle Ihnen die gesündesten Orte der Welt vor, an denen Menschen leben, die sich seit Generationen ursprünglich und traditionell ernähren und damit gesund älter werden als irgendwo sonst; ich erkläre unser Stoffwechselsystem und den Sitz des Immunsystems, das Mikrobiom (Darmflora), und zeige, wie entscheidend es für unsere Gesundheit ist und wie Sie es mit der richtigen Ernährung unterstützen können; ich stelle die großen Nährstoffgruppen und die Lebensmittel vor, die diese enthalten, und gehe den vielen Unsicherheiten und Missverständnissen nach, die sich um sie herum entsponnen haben: Fette, Proteine und Kohlenhydrate.

Im zweiten Teil des Buches erfahren Sie alles Wichtige zum großen Thema Fasten, die verschiedenen Methoden – Heilfasten, Scheinfasten, Intervallfasten – und bei welcher Erkrankung welches Fasten hilft. Welcher Fastentyp Sie sind und wie man seine Entlastungs- und Fastentage richtig gestaltet und eine Fastensuppe kocht, erfahren Sie im praktischen Teil. Im letzten Kapitel folgen meine zusammengefassten Empfehlungen und entwickelten Therapien für die häufigsten Erkrankungen, die sich mit der Kombination aus gesunder Ernährung und einfachem Fasten hochwirksam beeinflussen lassen.

Ich möchte Sie nicht nur davon überzeugen, sich mit Ihrer Ernährung und damit mit Ihrer Gesundheit zu beschäftigen, sondern Ihnen auch das Rüstzeug an die Hand geben, damit Sie sich aktiv selbst um Ihre Gesundheit kümmern können – denn Sie haben sie in der Hand!

Verlassen Sie sich nicht auf die Medizin, die Symptome bekämpft, sondern nehmen Sie sich selbst der Ursachen an. Denn: 70 Prozent der chronischen Erkrankungen, an denen wir mit zunehmendem Alter leiden, haben ihre Ursache auch in falscher Ernährung. Die Langzeitstudie »Global Burden of Disease« hat inzwischen gezeigt, dass die Bedeutung der Gene und der medizinischen Versorgung für die Gesundheit weniger wichtig sind, als wir denken, und dass die Ernährung und der Lebensstil für die meisten chronischen Erkrankungen maßgeblich sind. Schon im alten Griechenland wurde von Hippokrates, dem Urvater der Medizin, und seiner Schule die Ernährung und die díaita, die Heilung durch die Lebensweise, ins Zentrum jedweder Therapie gestellt. Die heutige kostenintensive und medikamentöse Medizin weiß um diese Zusammenhänge, schenkt ihnen aber kaum Beachtung: Für Bluthochdruck werden Blutdrucksenker, für Diabetes Antidiabetika, für Entzündungen Entzündungshemmer und für erhöhte Blutfette Fettsenker verschrieben. Und starkes Übergewicht wird immer öfter mit einer operativen Magenverkleinerung angegangen.

Krankheiten dagegen mit Ernährung und Fasten gegenzusteuern und vorzubeugen kostet wenig – und ist hocheffektiv für Ihre Gesundheit. Das Fasten sollte wieder einen festen Platz in unserem Leben haben. Seit ich die Fasten-Forscher getroffen habe und in Indien auch die ethische Dimension von Ernährung kennengelernt habe, habe ich übrigens beschlossen, mich komplett vegetarisch zu ernähren – einerseits aus gesundheitlichen Gründen, aber auch, weil ich davon überzeugt bin, dass es die Ernährung der Zukunft für unseren Planeten ist.

Ernährung ist vieles: unsere körperliche Lebensgrundlage, Kultur, Genuss, aber auch Gewohnheit und unter Umständen Sucht. Sie kann im Körper so vieles bewirken, und wenn wir sie richtig zu nutzen wissen, ist sie reinste Medizin und Genuss zusammen – und damit das beste Mittel, um lange und gesund zu leben.

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Prof. Dr. med. Andreas Michalsen

Die Evolution, der Darm und der Stoffwechsel
Die Erfolgsgeschichte des Menschen und der Irrweg unserer Ernährung

Den natürlichen und gesunden Rhythmus wiederentdecken

Fasten ist fest in unserer Kultur verankert

Darm und Stoffwechsel – wie die Nährstoffe in die Zellen kommen

Den natürlichen und gesunden Rhythmus wiederentdecken

Bis vor etwa 10 000 Jahren zogen unsere Ahnen als Jäger und Sammler ohne festen Wohnsitz umher, sie sammelten Beeren, Samen, Wurzeln und Pilze, jagten Hasen oder Büffel. Dabei war die Sammlertätigkeit wichtiger als die der Jagd, denn die Früchte, Samen und Insekten deckten den größten Teil des täglichen Kalorienbedarfs und versorgten den Körper mit Vitaminen und Mineralstoffen. Man vermutet, dass der tägliche Bedarf an Nahrung drei bis sechs Stunden Arbeit in Anspruch nahm. War die Region fruchtbar, wurde man schneller satt.

Durch die Nutzung des Feuers wurden viele Pflanzenbestandteile zusätzlich essbar und erweiterten das Nahrungsspektrum enorm. Die Wissenschaft kann den Zeitraum, ab wann der Mensch in der Lage war, ein Feuer zu entzünden, also zwei bestimmte Steine aneinanderzuschlagen, bis ein Funke entsteht, nicht genau benennen. Wahrscheinlich konnten aber selbst Urmenschen wie der Homo erectus ein natürliches Feuer, das durch Blitzschlag entstanden war, vor rund einer Million Jahren nutzen. Schon damals spielten sie also mit dem Feuer. Durch ein Erhitzen der Pflanzen jedenfalls wurden die in ihnen enthaltenen faserigen Bestandteile aufgelöst, dazu viele Giftstoffe zerstört. Es erscheint daher plausibel, dass ein schonendes Erhitzen die meisten Nahrungsmittel bekömmlicher macht und dies der Gesundheit förderlich ist. Noch heute.

Rohkost

Unter Ernährungsexperten und Naturheilkundlern wird heftig diskutiert, ob Rohkost gesund ist, und wenn ja, in welcher Menge. Tatsache ist, dass das Erhitzen sowie Kauen und Einspeicheln der Nahrung dem Magen-Darm-Trakt einen guten Teil Arbeit abnehmen. Sicherlich hat das Erhitzen vor allem vor Infektionen geschützt und sich daher evolutionär durchgesetzt. Ob wir in Anbetracht der optimalen Lagerungs- und Kühlungsmöglichkeiten, die wir haben, immer noch jedes Lebensmittel erhitzen müssen, ist zu bezweifeln. Interessant ist aber, dass wir für die Verdauung von Rohkost andere Bakterien im Darm benötigen als für gekochte Speisen (siehe Mikrobiom, S. 31ff.). Was Rohkost betrifft, so bin ich der Meinung, dass jeder das individuell entscheiden sollte, abhängig von Konstitution, Gesundheit und Verträglichkeit. Wenn der Körper zum Beispiel durch eine Erkrankung geschwächt ist, dann ist meistens auch der Verdauungstrakt in Mitleidenschaft gezogen. In diesem Fall rate ich Ihnen unbedingt zu Gedünstetem oder Erwärmtem statt zu Rohkost, um Magen und Darm zu entlasten.

Lange Zeit wurde unumstritten angenommen, dass der Verzehr von Fleisch existenziell war für die Größenzunahme des Gehirns und damit entscheidend für die nächsten Schritte menschlicher Weiterentwicklung. Diesen Zusammenhang ließen archäologische Funde in Afrika vermuten. An ihnen konnte nachgewiesen werden, dass das Gehirn an Gewicht just in dem Moment zulegte, als Frühmenschen den afrikanischen Urwald hinter sich ließen und geografisch in steppenartige Regionen umsiedelten. Hatten sie sich zuvor vorwiegend von Pflanzlichem ernährt, mussten sie in ihrer neuen Umgebung auch ihren Speiseplan umstellen. Nun kamen Wüstenhasen oder andere Tiere »auf den Tisch«, denn es fehlten in den eher trockenen Gebieten Früchte tragende Bäume und Sträucher – das wurde lange Zeit gedacht, bis man begriff, dass man einen Denkfehler gemacht hatte: Denn die Regionen, in denen die Frühmenschen zuwanderten und die wir heute als Steppe oder gar Wüste einordnen, waren keineswegs nur karg, sondern zur damaligen Zeit auch von Wald bedeckt. Die Theorie mit dem Fleisch und dem Gehirn ist also nicht mehr ganz schlüssig. Wovon wir auf jeden Fall ausgehen können: Selbst wenn der Urmensch schon ein Allesfresser war, Fleisch stand nur äußerst selten auf seiner Speisekarte.

Die damalige Ernährungsform hat sich evolutionär als ideal erwiesen: Sie war vorwiegend pflanzlich und vor allem vielseitig. Ausgrabungen haben ergeben, dass die Sammler und Jäger der Steinzeit kaum unter einer Mangelernährung litten, größer im Wuchs waren und über eine bessere Gesundheit verfügten als ihre sesshaften Nachfahren. Der damalige Homo sapiens war außerdem höchst flexibel. Kam es zu einer Dürre in seinem Landstrich, zog er weiter; wurde ein Lebensmittel ungenießbar aufgrund eines Schädlingsbefalls, aß er eben etwas anderes. Steinzeitmenschen bildeten aus diesem Grund »die erste Wohlstandsgesellschaft«, wie es oft heißt, denn ihnen ging es erstaunlich gut. Neben ihrer ausgewogenen Nahrung lebten sie in Gemeinschaften ohne größeren Stress – zumindest arbeiteten sie nicht bis zum Burn-out. Außerdem waren sie den ganzen Tag an der frischen Luft und bewegten sich ausreichend.

Was aber nicht bedeutet, dass das Leben in vielerlei Hinsicht nicht beschwerlich genug war, von der medizinischen Versorgung ganz zu schweigen. Dennoch möchte ich den Blick noch einmal explizit auf die Ernährungsgewohnheiten der Sammler und Jäger lenken: zumeist pflanzlich und vielseitig. Das entspricht den traditionellen Ernährungsformen, wie wir sie heute noch in den Gegenden beobachten, in denen die Menschen besonders alt werden und dabei gesund bleiben (siehe Blue Zones, S. 44ff.).

Noch ein anderer Aspekt ist hier spannend, nämlich der natürliche Rhythmus, in dem in der Steinzeit die Nahrungsaufnahme stattfand. Die Natur gab vor, was und zu welcher Zeit gegessen wurde. Fand man einen Strauch voller Beeren, schlug man sich den Bauch voll; erlegte man ein Tier, wurde es direkt verzehrt, denn die Kühltruhe existierte noch nicht. Gab das Areal nichts mehr her, zog man weiter, und mitunter musste man tagelang ohne Nahrung auskommen. Mit Sonnenuntergang war sowieso Schluss mit Essen, bei Dunkelheit legte man sich schlafen. Nach Sonnenaufgang stand nicht gleich das Frühstück in Gestalt von Müsli parat, sondern man musste sich erst einmal aufraffen, um es sich zu beschaffen. Der Weg zur nächsten Nahrungsquelle war im Zweifel weit entfernt und beschwerlich. Wobei: Im Sommer dürften die Vorräte der Natur reichhaltiger gewesen sein als im kargen Winter.

Dem Verdauungssystem Erholung gönnen

Immer wieder wurde die Nahrungsaufnahme unterbrochen, es gab kürzere oder längere Phasen des Hungerns. Über Zehntausende von Jahren hatten die Menschen in diesen beiden Punkten (Flexibilität und Rhythmus) keine große Wahl. Für unseren Körper war das anscheinend auch kein Problem. Im Gegenteil: Heute wissen wir, dass sich unsere Zellen erholen und Reparaturmechanismen anwerfen, wenn der Körper längere Zeit nichts zu essen bekommt.

Doch als die Frühmenschen vorerst genug von ihrer Mobilität hatten und als Sammler und Jäger davon zu träumen begannen, Bauern zu werden, wurden sie sesshaft – mit Scholle, Ackerbau, Viehzucht, Vorratskammern für den Winter und allem Drum und Dran. Auf diese Weise setzte man der Unberechenbarkeit der Natur und den Gezeiten einen regelmäßigen Rhythmus entgegen. Fragen wie »Was essen wir?« und »Wann essen wir?« stellten sich nicht. Auch wenn immer wieder Hungersnöte durch Ernteausfälle die Menschen plagten und das Leben anstrengender wurde, weil von morgens bis abends auf den Feldern und in den Ställen geschuftet werden musste, so gab es nun öfter regelmäßige Mahlzeiten als früher. Allerdings ging durch den systematischen Anbau von Nutzpflanzen wie Getreide nach und nach die Nahrungsvielfalt verloren. Gleichzeitig wurde mehr tierisches Protein gegessen (Fleisch- und Milchprodukte). Nicht zu vergessen: Der Mensch wurde abhängiger von seiner Umgebung.

Dieser Prozess verlief kontinuierlich weiter, bis sich mit den industriellen Revolutionen unser Leben und unsere Ernährungsgewohnheiten noch einmal radikal veränderten. Und das in jeder Hinsicht. Durch Elektrizität, Kühlschränke und schnelle Transportmöglichkeiten erhielten Menschen auf einmal schier unbegrenzten Zugang zu Nahrungsmitteln. Heute können die meisten von uns das ganze Jahr über an sieben Tagen in der Woche vierundzwanzig Stunden am Tag (24/7 also) essen und arbeiten. Auf den ersten Blick war dies der Sieg über die unberechenbare Natur, auf den zweiten ein großes Problem für die Biologie des menschlichen Körpers – ein fragwürdiger Erfolg also.

Der moderne Fortschritt, vor allem in der Lebensmittelindustrie, hat unsere Gene und Zellen nämlich wenig beeindruckt – höchstens negativ. Das uralte Programm – Essen, gefolgt von Phasen des Hungerns, gefolgt von Nahrungsaufnahme – ist immer noch in ihnen verankert. Zwar gibt es schon einige »jüngere« genetische Anpassungen und Veränderungen in unserem Körper, doch die sind rar. So haben wir Europäer zum Beispiel in den letzten 10 000 Jahren aufgrund der Viehzucht eine Möglichkeit entwickelt, Kuhmilch zu vertragen. Das Milchzucker spaltende Enzym Laktase ermöglicht es, dass die meisten von uns keine Bauchkrämpfe mehr bekommen, wenn sie Kuhmilch trinken und Kuhmilchkäse essen (siehe auch S. 89f.). Das dürfte zu Beginn der Zuchtviehnutzung nicht der Fall gewesen sein und am Anfang bei den meisten sesshaft Gewordenen zu einigen Bauchschmerzen geführt haben.

Die Missachtung der Bedürfnisse des Stoffwechsels

Unser Verdauungs- und Stoffwechselsystem hat sich ansonsten seit 100 000 Jahren kaum verändert. Das war anscheinend auch nicht nötig. Der menschliche Organismus war im Lauf der Evolution stets klug. Fortwährend hat er versucht, den Königsweg zu finden, um sowohl in Phasen des Hungerns als auch des Überflusses gesund zu bleiben. So gut es ging. Darum kann unser Körper bis heute mit dem fragwürdigen Erfolg der Nahrungssuche bestens umgehen. Entweder es gibt etwas zu essen – oder eben nicht.

Da beginnt aber das Problem. Unser Körper ist mit den umfassenden Veränderungen der Lebensgewohnheiten vor allem der letzten 200 Jahre völlig überfordert. Moderne Transportmittel und Kühlsysteme ermöglichen die permanente Verfügbarkeit von Nahrung aus aller Welt. Zu jeder Jahreszeit. Dazu kommen industriell gefertigte Lebensmittel mit etlichen künstlichen Zusatzstoffen, mit zu viel Zucker, viel zu viel Salz. Auch tägliche Fleischgerichte sind moderne Errungenschaften, mit denen das uralte Stoffwechselsystem unseres Körpers nicht klarkommt.

Industrielle Lebensmittel

Das Angebot der Lebensmittelindustrie an Fertigprodukten, sogenannten Convenience-Erzeugnissen, wird immer größer: Tiefkühlkost, Konserven, Instant-Produkte, Produkte aus dem Kühlregal, aber auch ungekühlte Komplettmahlzeiten, Fertigprodukte in Bio-Qualität – und neu hinzu gekommen sind auch Fertigprodukte, die damit werben, vegan zu sein. Sie sollen uns bei der Zubereitung von Mahlzeiten Arbeitsschritte und Zeit ersparen. Gespart wird aber auch an gesunden Inhaltsstoffen, dafür beinhalten viele dieser Produkte zahlreiche schädliche Zusatz- und Aromastoffe, Geschmacksverstärker und zu viel Fett, Zucker und Salz. Mit den berühmt berüchtigten »Ravioli in der Dose« kam Ende der 1950er-Jahre das erste Fertigprodukt auf den deutschen Markt. Im Jahr 2018 wurde für Deutschland ein Umsatz mit Fertiggerichten von insgesamt 3,74 Milliarden Euro ermittelt – die Branche jubelt, da sich angeblich eine steigende Tendenz abzeichnet. Dem gilt es entgegenzuwirken! Gesund ist, was frisch auf den Tisch kommt und nicht industriell vorverarbeitet wurde.

Für uns Menschen ist aber nicht nur das Überangebot – laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft standen 2016 rund 160 000 (!) verschiedene Lebensmittel in den Regalen hiesiger Supermärkte –, sondern ebenso die Zeitspanne, in der wir essen beziehungsweise nicht essen, problematisch. So wunderbar es natürlich ist, dass wir hierzulande keine Hungersnöte mehr kennen, so dramatisch ist es für den Körper, wenn wir unser Bedürfnis nach Essen beim geringsten Appetit augenblicklich stillen. Die meisten essen nämlich heute ohne Grund, ganz einfach, weil sie es können. Nahrung ist in unserer Wohlstandsgesellschaft ja pausenlos vorhanden: hier der kleine Vormittagssnack, dort der »Coffee to go«, auf dem Tresen im Büro die Glaskugel mit Süßigkeiten, nachmittags das Stück Kuchen in der Kantine oder der Smoothie, weil der so besonders gesund sein soll.

Das Verrückte ist, dass wir uns trotz dieser Menge an verfügbarer Nahrung nicht nur zu ungesund, sondern auch zu einseitig ernähren. Nämlich zu viele Kohlenhydrate, zu viele tierische Eiweiße, ungesunde Fette, zu viele Zusatzstoffe.

Die dramatische Zunahme chronischer Erkrankungen

Die Folgen sehen und spüren wir alle. Übergewicht und ernährungsbedingte Erkrankungen wie Bluthochdruck, Arthrose, Diabetes, Gefäßverkalkungen, Niereninsuffizienz oder Rückenschmerzen nehmen seit Jahren dramatisch zu.

Die häufigsten chronischen Erkrankungen der gesamten westlichen Welt insgesamt, zunehmend aber auch in Asien und Afrika, sind: Arthrose, Rheuma, Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit und Schlaganfall, Atemwegserkrankungen sowie Krebserkrankungen. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts hat ergeben, dass in Deutschland 43 Prozent der Frauen und 38 Prozent der Männer von mindestens einer chronischen Krankheit betroffen sind; mit steigendem Alter nimmt die Häufigkeit der Erkrankungen zu. Ab einem Alter von 65 Jahren treten, unabhängig vom Geschlecht, sogar mehrere chronische Erkrankungen auf, siehe auch Diagramm S. 18.

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Anteil der Menschen mit mindestens einer chronischen Krankheit nach Geschlecht und Alter

Quelle: www.rki.de/geda/2014

Die ernährungsbedingten Erkrankungen sind jedoch kein biologisches Schicksal, sondern wurden erst mit unseren veränderten Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zur Epidemie.

Chronische Erkrankungen – mit Ernährung heilen

Die Geschichte der Medizin der letzten 200 Jahre belegt zweifellos unglaublich große Erfolge. Durch Prävention, Hygiene, Impfungen und die effektive Behandlung von Infektionen und Verletzungen können heute akute und schwere Erkrankungen behandelt und auch geheilt werden. Die Säuglingssterblichkeit ist weltweit dramatisch gesunken, überhaupt leben wir heute medizinisch besser versorgt und länger. Andererseits fehlen der modernen Medizin nachhaltige Konzepte für die epidemisch auftretenden chronischen Erkrankungen, die durch eine ständige Nahrungsverfügbarkeit und der damit zusammenhängenden Überernährung bedingt sind. Es liegt nahe, die Folgen durch innovative Medikamente, die aktuell in Tausenden von pharmazeutischen Laboren entwickelt werden, zu bekämpfen. Aber Medikamente sind grundsätzlich nie so perfekt auf den Körper abgestimmt wie gesunde Ernährung und Bewegung. So haben Mediziner und Pharmakologen zwar Wege gefunden, ein zu hohes Cholesterin infolge falscher Ernährung mit modernen Medikamenten zu stoppen. Die Medikamentengruppe der Statine, die die Cholesterinsynthese blockiert, führt aber dazu, dass der Körper sich Alternativen sucht, um Cholesterin herzustellen. Mit Nebenwirkungen. Damit überwiegt nicht bei jedem, der sie einnimmt, der Nutzen.

Eine ideale Therapie sieht anders aus. Mit einer Ernährungsumstellung und regelmäßiger Bewegung ist viel gewonnen, nicht nur als Therapie einer Hypercholesterinämie, sondern auch als Prävention (siehe S. 311ff.).

Es wäre gesünder für uns, wir wären schlechtere Futterverwerter geworden, aber die Evolution hat andere Gene gewinnen lassen. Sie hatte nicht mit Kühlschränken zu konkurrieren, ihr ging es einzig und allein ums Überleben – und das hieß in Urzeiten eine erfolgreiche Anpassung an eine oft widrige Umwelt. Da gab es die kargen Winter oder die Erfahrung, dass eine Dattelpalme nur jedes zweite Jahr Früchte trug – das erforderte kluges Handeln. Und so legte der Körper möglichst schnell und ergiebig Fettreserven für schlechte Zeiten an. Gute Futterverwerter, also Homo sapiens mit mehr Gewicht auf den Rippen, das ihnen über Notzeiten hinweghalf, waren die Gewinner bei der Fortpflanzung. Die Fähigkeit, ausreichend Fettreserven zu lagern, wurde dementsprechend an die Folgegeneration weitergegeben. Aber da Hungersnöte in der westlichen Zivilisation inzwischen selten sind, machen unsere Fettreserven wenig Sinn; sie werden kaum durch äußere Umstände aufgebraucht. Und längst ist das Übergewicht mit seinen Folgekrankheiten auf dem Vormarsch.

Wäre unser Körper ein Auto, könnten wir das Modell wechseln. Statt mit dem Geländewagen weiterhin durch die Landschaft zu brettern (und Mammuts zu jagen), könnten wir in ein kleines Stadtauto einsteigen. Aber da dies nicht möglich ist, weil die Evolution unseren Stoffwechsel vor hunderttausenden Jahren geprägt hat, besteht auf absehbare Zeit die Lösung ausschließlich darin, den Sprit zu wechseln. Und das betrifft nicht nur die Art, sondern auch die Menge des Treibstoffs, den unser Körper in der heutigen Zeit benötigt. Weniger, leichtere und gesündere Kost ist angesagt (und regelmäßig gar nichts), denn wir laufen nicht mehr täglich sechs Stunden durch die Landschaft. Stattdessen sitzen wir acht Stunden lang still. Die Umstellung des Treibstoffs, sprich: unserer Nahrung, ist die einzig wirklich sinnvolle Lösung.

Ernähren wir uns (wieder) gesünder und fasten (wieder) öfter, stehen die Chancen gut, gesund zu bleiben und sehr alt zu werden.

Schon im antiken Griechenland bildete bei Hippokrates (460–370 v. Chr.), dem Urvater der Medizin, die díaita (Ernährungs-, aber auch Lebensweise) das Zentrum jeder Therapie. Interessanterweise empfahl der Arzt zur Behandlung von Fettleibigkeit körperliche Bewegung und nur eine große Essensmahlzeit in 24 Stunden, also Intervallfasten pur!

Fasten ist fest in unserer Kultur verankert

Auch bei uns ist regelmäßige Nahrungskarenz seit Jahrhunderten traditionell verankert. In allen Weltreligionen wird gefastet. Fasten gilt als Zeit der Einkehr und Besinnung und ist durch den freiwilligen Verzicht ein Ausdruck von Glauben und Demut. Zudem werden die Sinne geschärft, der Körper wird in einen wachen, klaren und euphorischen Zustand versetzt. Das ist evolutionär bedeutungsvoll, denn so entgehen einem die unter dem Gras versteckten Pilze genauso wenig wie der Geruch des Wildes, das hinter einem Busch versteckt grast. Anders formuliert: Mit allen Sinnen lässt sich erfolgreicher Nahrung sammeln und erjagen.

Im Christentum wird 40 Tage ab Aschermittwoch bis Ostern gefastet, die Sonntage nicht mitgezählt. Jesus wurde am Ende seiner Fastenzeit in Versuchung geführt, ließ sich aber nicht beirren. Als der Teufel ihm zuraunte: »Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden«, konterte er: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« (Matthäusevangelium). Griechisch-orthodoxe Christen fasten 180 bis 200 Tage im Jahr, zu unterschiedlichen Zeiten. Sie praktizieren ein Teilfasten, bei dem vor allem auf Fleisch verzichtet wird. Im Judentum wird je 25 Stunden vor den Feiertagen Purim und Pessach sowie an Jom Kippur gefastet. Auch der Prophet Mohammed fastete. Dazu und zur Meditation zog er sich regelmäßig auf den Berg Hira zurück, auf dem er 610 n. Chr. das erste Offenbarungserlebnis hatte. Im Monat Ramadan, dem neunten Monat des islamischen Mondkalenders, erhielt Mohammed dort den Koran. Viele der 1,6 Milliarden Muslime auf der Welt fasten darum heute im Ramadan und verzichten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Die Sadhus, hinduistische Gurus, sind lebenslang in Askese, und im Buddhismus fasten viele zu Vesakh, dem höchsten buddhistischen Feiertag. In der Theravada-Tradition des Buddhismus ist Intervallfasten üblich, es wird dann nur einmal am Tag gegessen, und zwar in der späten Morgenzeit bis zum Mittag.

Effekte des Fastens wurden auch für kriegerische Zwecke genutzt. In der Antike hielten Spartaner und Perser ihre Soldaten dadurch wehrfähig. Im Alten Testament wird beschrieben, wie die Makkabäer, jüdische Aufständische, drei Tage lang hungerten, bevor sie gegen König Antiochus in den Kampf zogen. Und der deutsche Kaiser Otto I. verweigerte seinem Heer vor der entscheidenden Schlacht gegen die Ungarn das Essen.

Die heilsame Wirkung des Fastens –
von der Antike bis heute

Der antike griechische Schriftsteller Plutarch (um 45 bis um 125 n. Chr.) war ebenfalls vom Fasten überzeugt. Er empfahl: »Statt Medizin zu nehmen, faste heute lieber.« Ähnliche Zitate sind von Platon und seinem Schüler Aristoteles überliefert. Grundsätzlich verwundert es nicht, dass das Fasten in seiner religiösen Tradition, aber auch in seinem philosophischen Kontext lobend und positiv erwähnt wird. Wie gesagt, der Verzicht auf Nahrung steigert die Wachheit, die Aufmerksamkeit und die Sinne.

Spätere Literaten machten sich auf ihre Weise Gedanken zum Fasten. Mark Twain formulierte: »Etwas Hunger kann für den Kranken tatsächlich mehr tun als die besten Arzneien und Ärzte.« Und für seinen amerikanischen Kollegen Upton Sinclair war das Fasten eine persönliche Rettung. Er widmete seinen positiven Fastenerfahrungen sogar ein ganzes Buch. Seine Gesundheit war durch den Stress einer jahrelangen intensiven Recherche und Arbeit an seinem Buch Der Dschungel, einem Enthüllungsbuch über die schrecklichen Zustände in den Schlachthöfen von Chicago, stark angeschlagen. Medizinische Behandlungen brachten keine Besserung, lange Fastenkuren hingegen schon. Im Jahr 1911 veröffentlichte er seine Fastenerfahrung in The Fasting Cure. Er blieb ein Fan des Fastens bis zu seinem Tod mit 90 Jahren. Zu dieser Zeit gab es bereits einige Fastenärzte, die als Pioniere viele Patienten behandelten und über ihre eindrucksvollen Erfolge berichteten. Der britische und in die Staaten übergesiedelte Arzt Henry S. Tanner (1831–1918) machte seine erste Fastenerfahrung 1877 (er fastete 40 Tage), etwa zur gleichen Zeit dokumentierte der US-amerikanische Fastenarzt Edward H. Dewey (1837–1904) seine Fastenheilerfolge.

Aber erst moderne Forschung und Molekularbiologie konnten die Effekte des Fastens wissenschaftlich nachweisen. In den folgenden Kapiteln werde ich die eindrucksvolle therapeutische Wirkung von Fasten und kalorischer Restriktion bei vielen chronischen Erkrankungen vorstellen. Das betrifft sowohl die Therapie als auch die Prävention. Die Forschungen auf diesem Gebiet haben dem Fasten inzwischen zu neuer Popularität verholfen. Laut einer Forsa-Umfrage von 2017 erfreut sich Fasten auch hierzulande wieder zunehmender Beliebtheit, innerhalb von fünf Jahren ist die Zahl derjenigen, die ab Aschermittwoch fasten, von 15 auf 59 Prozent gestiegen.

Der Gerontologe Valter Longo von der University of Southern California wurde 2018 vom Time Magazine aufgrund seiner Fastenforschungen unter die 50 einflussreichsten Menschen auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge (health care) gewählt. Seine wissenschaftlichen Arbeiten zum Fasten sind bahnbrechend, und ich bin froh, dass wir inzwischen bei einigen wissenschaftlichen Projekten eng zusammenarbeiten.

Inzwischen geht es vor allem um die Frage, wie gefastet werden sollte und gar nicht mehr darum, ob Fasten gesund ist – das ist längst hinreichend erwiesen! In meinem großen Fasten-Kapitel erfahren Sie, wie und mit welchen Erfolgschancen mit dieser Therapiemethode Krankheiten zu bekämpfen oder vorzubeugen sind (siehe S. 168ff.).

Natürlich wünsche ich niemandem, dass er unfreiwillig hungern muss, doch wir alle tun gut daran, uns aus gesundheitlichen Gründen das Hungergefühl regelmäßig aus eigener Entscheidung zurückzuholen.

Unsere heutigen Ernährungsgewohnheiten sind regelrecht entgleist. Studien zeigen, dass die meisten Menschen bis zu zehnmal am Tag etwas essen. Ein richtiges Hungergefühl kennt fast niemand mehr, Kalorien werden nicht nur zu den Mahlzeiten, sondern auch fortwährend zwischendurch eingenommen, kontinuierlich sozusagen.

Aber es geht nicht nur um die Menge. Wir Menschen genießen gern, und gab es noch vor Hunderten von Jahren nur die Süße der reifen Früchte oder selten einmal mit Honig Gesüßtes, so werden wir heute von der Lebensmittelindustrie mit Zucker überschüttet. Kaum ein Produkt enthält keinen Zucker.

Darum ist es neben dem Fleisch vor allem der Zucker, der unsere gesunden traditionellen Ernährungsformen mittlerweile konterkariert. Die »Kreta-Diät« war die Urform der gesunden Mittelmeerdiät (siehe S. 48ff.). 2017 war ich auf Kreta und konnte feststellen, dass es fast nirgendwo mehr das klassische Vollkornfladenbrot gibt, sondern nur noch leicht gesüßtes Weißbrot und enorme Mengen Süßes. Da wundert es nicht, dass in Griechenland heute mehr übergewichtige Menschen leben und die Herzinfarktraten höher sind als in anderen europäischen Ländern. Es ist das mediterrane Paradox: Die »Erfinder« der gesündesten Ernährungsform sind mittlerweile die Menschen, die übergewichtig und krank sind!

Noch nie standen uns frisches Obst, Gemüse und Gewürze in einer solchen Fülle zur Verfügung – und zwar das ganze Jahr über. Allerdings hat der Transport von Lebensmitteln rund um den Globus dazu geführt, dass wir nicht mehr saisonal und regional essen. Beides ist für unser Mikrobiom, unseren Darm wahrscheinlich von Nachteil (siehe S. 31ff.) und man nimmt an, auch für unsere Gene.

Abgesehen davon, dass wir instinktiv spüren, wie unnatürlich es ist, im Dezember Erdbeeren, Tomaten und Melonen im Supermarkt vorzufinden. Wirklich gut schmeckt die importierte Ware dann auch selten, und der Vitamin- und Nährstoffgehalt ist durch den abgebrochenen Reifungsprozess, wenn die Waren oft noch »grün« in die Container gelangen, sowieso fragwürdig.

Mein Tipp: Berücksichtigen Sie grundsätzlich, zu welcher Jahreszeit und zu welchem regionalen Gericht importiertes Gemüse oder Obst passen könnten. Ist das nicht der Fall, verzichten Sie besser auf das Überseeangebot!

Ein kluger Schutzmechanismus der Evolution

Übelkeit in der Schwangerschaft ist ein Mechanismus, der im Lauf der Evolution entstanden ist, um den Embryo vor Giften zu schützen. Schwangere reagieren stark auf Gerüche, auf einen bitteren Geschmack sowie auf tierische Produkte und treffen dadurch eine gesunde Nahrungsauswahl für ihr Ungeborenes. Oder verzichten »freiwillig« auf potenziell Schädigendes.

So erklärt man sich, dass Schwangere gerade auf Fleisch, Fisch und Eier mit Abneigung reagieren, denn tierische Produkte waren von jeher eine Parasitenquelle. Eine Untersuchung von 27 unterschiedlichen traditionellen Gemeinschaften weltweit zeigte, dass in 20 von ihnen Schwangerschaftsübelkeit auftrat, in sieben jedoch nicht. Deren Bewohner ernährten sich überwiegend vegetarisch, vor allem von Mais. Übelkeit ist also ein evolutionärer Schutzmechanismus, auch bei Nichtschwangeren.

Dieser Schutzmechanismus wird von modernen Lebensmitteln oft überdeckt durch Zusatzstoffe (Zucker oder auch Salz). Ohne diese »Vernebler« würden wir uns viele moderne Krankheiten und damit viel Leid ersparen. Limonade ohne Zucker aber würde niemand mehr trinken, Süßigkeiten ohne Zucker verlören ihren Reiz, Fertigsoßen ohne Geschmacksverstärker würden die Menschen nicht kaufen.

Interessanterweise sind fast alle Früchte von Natur aus ungiftig. Früchte sehen so leuchtend schön aus, damit sie von Tier und Mensch gegessen werden, denn nur dann wird ihr Samen in der Welt verteilt. Klar, dass deshalb Pflanzen ihre Früchte meist giftfrei halten. Sie hüllen sie oft lediglich in eine Schale, die mit natürlichen Abwehrstoffen gespickt ist. Die anderen Pflanzenteile werden von uns Menschen eher gemieden oder müssen speziell zubereitet werden, damit wir sie gut verdauen können. Alles ist perfekt durchdacht.

Zusammenfassung

Darm und Stoffwechsel – wie die Nährstoffe in die Zellen kommen

Unsere Organe und Zellen können nur existieren, wenn sie regelmäßig mit Sauerstoff und Energie versorgt werden. Darum atmen wir und darum essen wir.

Damit die Nahrung dem Körper zugutekommt, muss sie zunächst in kleinere Bausteine, die Nährstoffe, zerlegt werden. Diesen Prozess der Zerkleinerung und Aufspaltung der Nahrung in Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße bezeichnet man als Verdauung. Die dabei entstehenden verstoffwechselten Nährstoffe werden aus dem Darm ins Blut abgegeben und zu den Zellen transportiert. Mithilfe von Enzymen werden sie in den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien, chemisch in Energie umgewandelt. Diese steht dem Körper dann für viele Prozesse zur Verfügung.

Es mag vielleicht überraschen, aber die Verdauung beginnt nicht erst im Magen, sondern schon in der Küche. Garen, Braten und Kochen sind erste, outgesourcte Schritte der Verdauung. Wenn wir Kartoffeln, Brokkoli und Möhren klein schneiden und erhitzen, werden dadurch schon deren Zellwände aufgebrochen und Mineralstoffe freigesetzt. Das erleichtert Verdauungsvorgänge im Magen-Darm-Trakt.

Ganz praktisch: Allein durch den Anblick der Nahrung und die wunderbaren Gerüche wird unsere Verdauung angeregt. Uns läuft sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammen, wenn wir die in Olivenöl ausgelassenen Zwiebeln oder den Knoblauch riechen. In dieser »kephalen« Phase (»den Kopf betreffend«) werden durch Gedanken ans Essen oder den Geruch von Speisen im Gehirn entsprechende Signale freigesetzt – die Speichelproduktion setzt ein, Botenstoffe werden an die an der Verdauung beteiligten Organe gesandt.

Im Mund wird die Nahrung nämlich nicht nur zerkleinert, sondern auch angedaut, indem sie mit dem ersten Verdauungsenzym, der Speichel-Amylase, vermischt wird. Kohlenhydrate werden im Mund so schon zu 20 bis 30 Prozent aufgespalten. Je sorgfältiger das geschieht, je weniger Arbeit hat später der Darm. Darum bin ich ein so großer Befürworter für langes und intensives Kauen.

Reise der Nahrung durch den Körper

Ist die Nahrung gut mit Speichel durchmischt, beginnt ihre lange Reise durch den Körper. Von unserem Gehirn wurden längst weitere Signale und Hormone an die tiefer gelegenen Verdauungsorgane gesendet. Der Brei, der geschluckt wird und über die Speiseröhre in den Magen wandert, wird dort schon sehnlichst erwartet.

Durch den sehr sauren pH-Wert der Magensäure – nüchtern zwischen 1,5 und 2 – werden so gut wie alle Krankheitserreger, die mit der Nahrung in den Körper gelangen, eliminiert. Das ist allerdings ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits schützt die Magensäure den Körper vor Bakterien, andererseits ist sie so aggressiv, dass sie außerhalb des Magens leicht Schaden anrichtet. Darum ist der Schließmuskel zwischen Magen und Speiseröhre so wichtig; er verhindert, dass der saure Magenbrei in die Speiseröhre zurückfließt und diese verätzt. Ist der Mechanismus gestört, tritt Sodbrennen auf. Man spricht von Refluxkrankheit, wenn dieser Zustand chronisch wird und außer Sodbrennen, einem Druckgefühl hinter dem Brustbein und einem Aufstoßen noch weitere Schmerzen verursacht. Die Refluxkrankheit ist die häufigste Erkrankung des Verdauungstrakts, hiervon sind zehn Prozent der Bevölkerung bundesweit betroffen.

Magensäure, Enzyme und Magenbewegungen zersetzen sehr wirksam den Großteil der Nahrung. Man spricht jetzt von der gastrischen Verdauungsphase (Gaster ist griechisch und meint »Magen«). Je nach Nahrungsmenge wird die Magenwand mehr oder weniger weit gedehnt, je nach Nahrungszutat – insbesondere durch Eiweiße und Gewürze – in Wallung gebracht. Durch die Magenperistaltik, wellenförmige Muskelkontraktionen, wird die Nahrung mit Säure und Enzymen vermischt.

Auch im nüchternen Zustand ist der Magen aktiv. Nach einer kurzen Ruhephase, wenn der Nahrungsbrei weiter in den Dünndarm gerutscht ist, beginnt er sich wieder zusammenzuziehen. Diese Kontraktionen können den gesamten Verdauungstrakt wie eine Welle durchströmen und sehr ausgeprägt sein. Als Folge der Turbulenzen kann ein Geräusch entstehen, wenn Luft durch den Magenausgang gepresst wird, das Magenknurren. Die Kontraktionen ohne Verdauungsfunktion werden in der Medizin als Putzwellen- oder Housekeeper-Reflex bezeichnet.

Der Magen steuert den gesamten Verdauungsprozess. Wurde die Nahrung im Mund schlecht gekaut oder ist das Essen sehr fettig, wird über die Magennerven der weitere Verdauungsvorgang gebremst. Darm und Verdauungssäfte aus Bauchspeicheldrüse und Galle müssen dann erst einmal warten, weil der Magen entsprechend länger mit seiner Verdauungsarbeit beschäftigt ist. Kohlenhydrate werden in ungefähr zwei Stunden vom Magen vorverarbeitet, Fleisch und Fett brauchen bis zu sechs Stunden.

Darm und Leber –
das Zentrum des Stoffwechsels

Wurde der Nahrungsbrei aus dem Magen in den Dünndarm abgegeben, beginnt die intestinale Phase der Verdauung (lat. intestina: die »Eingeweide«). Der Dünndarm ist fünf bis sechs Meter lang und besteht aus drei Abschnitten: dem Zwölffingerdarm (Duodenum), dem Leerdarm (Jejunum) und dem Krummdarm (Ileum). In den Zwölffingerdarm werden die Verdauungssäfte aus Bauchspeicheldrüse und Gallenblase eingeleitet; sie neutralisieren die Säure des Magens und spalten Eiweiße, Zucker und Fett. Die ausreichend zerkleinerten und vom Körper benötigten Nahrungsbestandteile werden über die Dünndarmschleimhaut in das Lymph- und Blutsystem aufgenommen. Durch Fortsätze (Zotten), Einsenkungen (Krypten) und einen Bürstensaum (Mikrovilli) ist die Dünndarmschleimhaut fast 400 Quadratmeter groß und bietet darum eine optimale Resorptionsfläche. Der Dünndarm ist also bestens gerüstet, damit hier die hauptsächliche Verdauung stattfinden kann.

Das mit Nährstoffen aufgetankte Blut fließt direkt zur Leber, dem Hauptumschlagplatz für den Stoffwechsel. Die Leber ist gleichzeitig der Ort, an dem Zucker gespeichert wird; der Speicherzucker wird als Glykogen bezeichnet. Eine gewisse Menge Glykogen bietet für zwölf bis 24 Stunden Reserveenergie. Diese ist für den Fastenstoffwechsel von zentraler Bedeutung, siehe S. 37f. Erst wenn das Glykogen in der Leber aufgebraucht ist, sendet sie Signale für den Fettabbau.

Weitere Aufgaben der Leber sind Cholesterin- und Fettsynthese, Proteinproduktion und Blutreinigung. Körpereigene (Hormone, rote Blutkörperchen) und körperfremde Stoffe (Alkohol, Medikamente etc.) werden hier abgebaut und für die Ausscheidung vorbereitet. So gelangt ein von allen Schadstoffen gereinigtes Blut zum Herzen und schließlich zu den Zellen, Muskeln, Organen und zum Bindegewebe.

Während Proteine und Kohlenhydrate in die Dünndarmblutgefäße aufgenommen werden, ist der Fettstoffwechsel ein wenig komplizierter. Nahrungsfette müssen, weil sie nicht wasserlöslich sind, zunächst transportfähig gemacht werden. Das beginnt zum Teil schon im Mund und im Magen. Im Dünndarm spalten spezielle Enzyme (Lipasen) Nahrungsfette in kleinere Bestandteile wie freie Fettsäuren, Glycerin, Mono- und Diglyceride. Diese werden von den Dünndarmzellen aufgenommen. Kurz- und mittelkettige Fettsäuren gelangen über die Pfortader in die Leber, längerkettige Fettsäuren gelangen über die Lymphe in den venösen Blutkreislauf und dann erst zur Leber.

Wasser wird ebenfalls über die Dünndarmschleimhaut resorbiert, und außerdem wird an der Darmschleimhaut auch aussortiert, welche Stoffe der Körper dringend benötigt oder welche ausgeschieden werden können oder müssen.

Aus dem Dünndarm gelangt das, was jetzt noch übrig bleibt, in den etwa ein bis anderthalb Meter langen Dickdarm (Colon). Anatomisch sieht er aus wie ein Rahmen, der sich um den Dünndarm legt, ohne dass der Rahmen allerdings unten geschlossen ist. Wie schon beim Übergang von der Speiseröhre in den Magen verhindert eine Klappe ein Zurückgleiten der Nahrungsreste vom Dick- in den Dünndarm. Ist diese Bauhin-Klappe durch eine Darmentzündung in Mitleidenschaft gezogen, können Blähungen, Schmerzen und Druckgefühl auftreten.

Im Dickdarm wird der allerletzte Rest verwertet, Mineralien wie Calcium werden hier resorbiert und noch einmal Flüssigkeit herausgefiltert. Bei Durchfall ist der Stuhl darum so flüssig, weil diese Funktion durch die Darmentzündung eingeschränkt ist und kein oder wenig Wasser entzogen werden kann. Unter normalen Umständen aber wird der eingedickte Stuhl mit Schleim überzogen, damit er gleitfähig ist, um zusammen mit abgeschilferten Darmzellen ausgeschieden zu werden. Schleim und Darmzellen sind übrigens der Grund, warum selbst nach mehrtägigem Fasten der Stuhlgang noch regelmäßig sein kann.

Das neu entdeckte Organ –
das Mikrobiom

Im Dickdarm ist das Mikrobiom (Mikrobiota, Darmflora) zu Hause. Dieses besteht aus circa 100 Billionen Bakterien und Mikroben und wird mittlerweile wie ein eigenständiges Organ betrachtet. Dieses Bakterienorgan wiegt 1,5 bis 2 Kilogramm.

Lange Zeit konnte man nur einige wenige Keime beziehungsweise Bakterien mittels Stuhlproben im Labor anzüchten und nachweisen. Durch neue Analysemethoden ist es möglich geworden, alle Keime auf der menschlichen Haut und im Körper zu untersuchen. Man bedient sich hierfür genetischer Entschlüsselungsmethoden. Im Jahr 2012 hatte man zum ersten Mal sämtliche menschlichen Keime genetisch entschlüsselt und dabei festgestellt, dass 99 Prozent der 100 Billionen Keime rund 1000 Bakterienarten zugeordnet werden können. Da es sich in der Tat fast ausschließlich um Bakterien handelt, bezeichnet man die Gesamtheit der Gene aller Keime im menschlichen Körper als Mikrobiom (griechisch: »kleine Leben«). Diese tummeln sich fast ausschließlich im Darm, darum benutzt man das Wort »Mikrobiom« heute synonym für die Darmflora.

Weltweit werden aktuell Tausende Studien zum Mikrobiom durchgeführt. Ich übertreibe wirklich nicht: Es ist das